politischer hintergrundbericht - Hanns-Seidel-Stiftung

26.01.2015 - Von einem friedlichen Wahlkampf, begleitet von friedlichen Kundgebungen und. Demonstrationen, ist daher im Kongo nicht auszugehen.
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POLITISCHER HINTERGRUNDBERICHT Projektland:

DR Kongo

Datum:

26. Januar 2015

Beginn des Wahlkampfes – Sind friedliche Demonstrationen im Kongo überhaupt möglich? Die nächsten Präsidentschaftswahlen in der DR Kongo sollen verfassungsgemäß Ende 2016 stattfinden. Die aktuellen Ereignisse in Kinshasa im Januar 2015 legen den Schluss nahe, dass sie von gewaltsamen Auseinandersetzungen begleitet werden könnten. Die kongolesische Hauptstadt Kinshasa wurde seit Montag, 19. Januar 2015, von gewaltsamen Auseinandersetzungen erschüttert. Während der folgenden drei Tage eskalierte die Situation, nicht nur in Kinshasa, sondern auch in anderen Städten, wie Goma und Bukavu. Es kam zu Ausschreitungen zwischen Polizei und Armee (FARDC: (Forces Armées de la République Démocratique du Congo Armée) auf der einen Seite und Oppositionellen, insbesondere Studenten, aber auch gewaltbereiten Jugendlichen auf der anderen Seite. Diese Auseinandersetzungen führten zu Plünderungen, vor allem von chinesischen oder kongolesisch-chinesischen Geschäften in mehreren Vierteln der Hauptstadt, in Goma und Bukavu und zur Zerstörung von Gemeinschaftseinrichtungen sowie Transportmitteln des öffentlichen Nahverkehrs. Selbst die vom Staat den Studenten kostenlos zur Verfügung gestellten Busse wurden zerstört. Einzelne Rathäuser wurden angegriffen, eines brannte ab. Von Übergriffen auf Bürgermeister wurde berichtet. Die Universität Kinshasa wurde von aufgebrachten Studenten besetzt. Strategisch wichtige Straßen wurden von den Demonstranten mit brennenden Reifen und Autos blockiert und unpassierbar gemacht. Das Leben in einzelnen Vierteln kam vollständig zum Erliegen. Der Großteil der Einwohner Kinshasas verbarrikadierte sich in ihren Häusern. Die Sicherheitskräfte setzten Schusswaffen und Tränengas ein. Erst ab Donnerstag, 22 Januar 2015, ließ die Spannung in der Hauptstadt nach. In Goma dagegen wurden die Demonstrationen fortgeführt. Die Behörden in Kinshasa hatten die Abschaltung von SMS-Diensten und Internetverbindungen veranlasst. Dennoch wurden auf YouTube Bilder und Filmaufnahmen von den Ausschreitungen bereits am Montag, 19. Januar, gezeigt. Obwohl Thomas Luhaka, der zuständige Kommunikationsminister, die vollständige Nutzung der Internet- und Telefonverbindungen ab Freitag, 23. Januar 2015, zugesichert hatte, waren diese bis zum 26. Januar noch in vielen Teilen des Landes eingeschränkt oder nicht freigeschaltet.

Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Hintergrundbericht_DR Kongo, 26. Januar 2015

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Am Donnerstag, den 22 Januar berichtete die AFP (Agence France Press) in Übereinstimmung mit staatlichen Stellen, die Demonstrationen hätten vor allem in Kinshasa, mehrere Dutzend Tote gefordert. Dagegen haben kongolesische NROs die Zahl der Toten auf etwa 42 geschätzt. Auslöser der Unruhen war die Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes im Parlament am 17. Januar 2015, in dem unter anderem die Durchführung einer Volkszählung als Bedingung für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen (Artikel 8) festgelegt ist. Die Forderung nach einer Volkszählung stellte ursprünglich die Opposition, da die letzte Zählung im Kongo 1984 stattgefunden hatte, weil es kein Einwohner- und Meldewesen gibt und keine verlässlichen demographischen Zahlen zur Einteilung der Wahlkreise zur Verfügung stehen. Bei der Erstellung der Wählerlisten ist daher Missbrauch möglich. Die Opposition befürchtete eine erhebliche Verschiebung der Wahltermine um mindestens zwei Jahre, wenn zuvor eine Volkszählung durchgeführt werden müsse. Da die Wahlen alle fünf Jahre gemäß der kongolesischen Verfassung stattfinden müssen, die Amtsinhaber aber bis zur offiziellen Ernennung ihrer Nachfolger im Amt bleiben, hätte dies zur Folge, dass Präsident Kabila über das Jahr 2016 hinaus weiterhin Präsident bleiben könnte. Gemäß der gültigen Verfassung wäre eine dritte Amtszeit des Präsidenten verfassungswidrig. Es kursieren unterschiedliche Gerüchte, wie und ob eine verlängerte Amtszeit des Präsidenten möglich ist. In der Verfassung, Artikel 220, ist die Amtszeit des Präsidenten auf maximal zwei Legislaturperioden hintereinander beschränkt. Nur eine neue Verfassung könnte eine weitere Amtszeit ermöglichen. Es sei denn, man vertritt die Auffassung, der Inhalt des Artikels 220 der kongolesischen Verfassung könne geändert werden. Dann wäre der Weg frei, auch andere Bestimmungen der Verfassung zu verändern. In der Tat beinhaltet Artikel 220 der Verfassung keine Bestimmung, dass dieser nicht mit qualifizierter Parlamentsmehrheit revidiert werden kann. Experten gehen davon aus, dass eine Volkszählung bei guter Organisation und Durchführung mindestens drei bis vier Jahre dauern würde. Die Opposition befürchtet nun aufgrund des neuen Wahlgesetzes, dass der Präsident zwar keine neue Amtszeit anstrebt, er aber keine Wahlen organisieren will und somit weiterhin im Amt bleiben könnte. Dies war der Auslöser für die Opposition um die UNC (Union pour la nation congolaise mit Vital Kamerhe) zu Demonstrationen aufzurufen. Im Laufe der Woche schloss sich auch die UDPS (Union pour la Démocratie et le Progrès Social) um Etienne Tshisekedi, der sich aus Brüssel meldete, den Protesten an und forderte gar einen Volksaufstand nach dem Vorbild von Burkina Faso. Ebenso betätigte sich die katholische Kirche erneut politisch und zeigte sich auch solidarisch mit den Demonstranten. Die Regierung lehnte zwar nicht die Verantwortung für das neue Wahlgesetz ab, machte aber durch Vize-Premier und Innenminister Evariste Boshab deutlich, dass allein die unabhängige Wahlkommission CENI den Wahltermin bestimmen werde. Die aktuelle Situation im Kongo beunruhigte auch die internationale Gemeinschaft, die im Rahmen mehrerer Mitteilungen und Pressekonferenzen an die kongolesische Bevölkerung appelliert hatte, Ruhe zu bewahren und friedlich zu demonstrieren. Ungewohnt deutlich erinnerte die Europäische Union die Regierung, sowohl die Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Hintergrundbericht_DR Kongo, 26. Januar 2015

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Verfassung als auch den geplanten Wahltermin für 2016 zu respektieren und nicht eine Volkszählung zur Bedingung für die Wahlen zu machen. Ebenso hat der Generalsekretär der Vereinigten Nationen, Ban Ki-moon, am Donnerstag, 22. Januar, die politischen Lager im Kongo ermahnt, zu einem konstruktiven und friedlichen politischen Dialog zurückzukehren und die Wahlen friedlich, angemessen und verfassungskonform zu organisieren. Nach der Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes im Parlament hatte noch das Oberhaus, der Senat, über dieses zu entscheiden. Nach dreitägiger, im Fernsehen live übertragener Beratung lehnte der Senat am Freitag, 23. Januar, das Wahlgesetz ab, auch aufgrund der Auseinandersetzungen vor dem Senatsgebäude. Am Samstag, den 24. Januar 2015 entschied der Vermittlungsausschuss (commission mixte) mit Vertretern aus beiden Häusern, die strittigen Passagen des neuen Wahlgesetzes, insbesondere Artikel 8, zu streichen. Parlamentspräsident Aubin Minaku bestätigte am Sonntag, dass die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 auf Grundlage der bekannten Bevölkerungszahlen erfolgen werden und Artikel 8 aus dem Wahlgesetz gestrichen wurde. Die Abstimmung über den modifizierten Text des Wahlgesetzes (Streichung des Artikels 8) wurde vom Senatspräsidenten, Léon Kengo wa Dondo, als historisch bezeichnet. Sie zeige, dass der Staat dieses Mal den Willen des Volkes gehört und berücksichtigt habe. Die Überprüfung des Wahlgesetzes hat nicht nur die Abhängigkeit der Wahlen 2016 von einer neuen Volkszählung ausgeschlossen, sondern auch zu mehreren Neuheiten geführt, wie etwa die Wahlmöglichkeit für Kongolesen, die im Ausland leben, oder Stimmenabgabe per Internet, vorausgesetzt, dass die Internetverbindungen zuverlässig funktionieren und während der Wahlen nicht angegriffen werden. Auch wenn die Situation in Kinshasa mittlerweile wieder ruhig und das normale Leben zurückgekehrt ist, kann die Stimmung innerhalb der Bevölkerung als angespannt und besorgt beschrieben werden. Unverändert bestehen Zweifel, ob im Jahr 2016 tatsächlich Wahlen stattfinden werden, da deren Finanzierung unklar ist. Es besteht derzeit zumindest der Eindruck, dass die Regierung der Unabhängigen Nationalen Wahlkommission (CENI) für die Vorbereitungen der Durchführung der Wahlen anstelle der geforderten 169 Millionen US Dollar bis heute nur 30 Millionen US Dollar zur Verfügung gestellt habe. Ein Testlauf wird die Organisation der angekündigten Kommunalwahlen im Jahr 2015 sein. Auch hier bestehen ernsthafte Zweifel an deren Durchführbarkeit. Bezeichnend an den Auseinandersetzungen im Januar war, dass diese kaum eine politische Botschaft hatten. Zu den Demonstranten gehörten auch Jugendbanden, die das entstehende Chaos ausnutzen wollten, um zu plündern, stehlen und zu rauben. Politisch interessierte Bürger hatten sich noch zu Beginn an den Demonstrationen beteiligt, sich dann zurückgezogen, als diese ins Chaos führten. Die im Internet veröffentlichten Video-Aufnahmen zeigen kaum politisch motivierte Demonstranten, dafür aber grölende und singende Jugendliche.(vgl. https://www.youtube.com/watch?v=Ho9Q53Ed5O4). Die Nachrichten aus dem Kongo sind seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960 geprägt von Kriegen und Auseinandersetzungen. Nach jahrelanger Diktatur wurden in Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Hintergrundbericht_DR Kongo, 26. Januar 2015

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den Jahren 2006 und 2011 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen durchgeführt, die nicht friedlich abliefen. Während der kriegerischen Auseinandersetzungen in Kinshasa in den Jahren 2006 und 2007 (zwischen der Präsidialgarde und der Privatarmee von Jean-Pierre Bemba) versuchten Banden, das Chaos für Plünderungen zu nutzen. An allen Demonstrationen beteiligen sich Jugendbanden, deren Interesse sich nicht auf politische Meinungsäußerung, sondern auf Straftaten bezieht. Dies wird von den Ordnungskräften immer wieder als Argument für ihr hartes Eingreifen gegen die Demonstranten benutzt. Aus diesem Grund ist eine friedliche Demonstration nach dem Vorbild Burkina Fasos in Kinshasa derzeit nicht vorstellbar. Im Falle einer Machtergreifung durch die Bevölkerung würde dies zu massiven Plünderungen führen, von denen sich Kinshasa und das Land, wie schon 1991 und 1993, nur noch sehr schwer erholen würde. Von einem friedlichen Wahlkampf, begleitet von friedlichen Kundgebungen und Demonstrationen, ist daher im Kongo nicht auszugehen. Vermutlich stehen dem Land unruhige Zeiten bevor – aber auch dies ist nichts Neues für die Kongolesen. Götz Heinicke Der Autor ist Auslandsmitarbeit der Hanns-Seidel-Stiftung in Kinshasa, DR Kongo Beitrag erstellt unter Mitarbeit von Blain Valentin, Praktikantin

IMPRESSUM Erstellt: 26. Januar.2015 Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2015 Lazarettstr. 33, 80636 München Vorsitzende: Prof. Ursula Männle, Staatsministerin a.D., Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Verantwortlich: Dr. Susanne Luther, Leiterin des Instituts für Internationale Zusammenarbeit Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359 E-Mail: [email protected], www.hss.de

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