politischer bericht aus der russischen föderation - Hanns-Seidel-Stiftung

28.10.2014 - Dr. Markus Ehm. Leiter der ... Hauptgeschäftsführer Dr. Peter Witterauf. Verantwortlich ... allerdings sehen auch 36% die Entwicklung mit Sorge.
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POLITISCHER BERICHT AUS DER RUSSISCHEN FÖDERATION Dr. Markus Ehm Leiter der Verbindungsstelle Moskau Nr. 19 /2014 – 28. Oktober 2014

IMPRESSUM

Herausgeber

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Vorsitzende

Prof. Ursula Männle Staatsministerin a.D.

Hauptgeschäftsführer

Dr. Peter Witterauf

Verantwortlich

Ludwig Mailinger Leiter des Büros für Verbindungsstellen Washington, Brüssel, Moskau, Athen / Internationale Konferenzen Hanns-Seidel-Stiftung e.V. Tel.: +49 (0)89 1258-202 oder -204 Fax: +49 (0)89 1258-368 E-Mail: [email protected]

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Zunehmende Verschlechterung der Beziehungen Moskaus zum Westen und wachsende Entfremdung zwischen den Bevölkerungen Russlands und der Ukraine Das kremlkritische Demoskopie-Institut „Levada-Zentrum“ legt aktuell die Ergebnisse von zwei Umfragen zu außenpolitischen Themen vor. Danach stuft die Bevölkerung der Russischen Föderation die Beziehungen ihres Landes zu den USA und zur Europäischen Union mit stark zunehmender Tendenz als angespannt und feindlich ein (1). Gleichzeitig unterstützen die Menschen mit großer Mehrheit den Kurs der eigenen politischen Führung und sehen die Verantwortung für das Blutvergießen in der Ostukraine nicht beim Kreml. Die Ukrainer hingegen kommen genau zur gegenteiligen Auffassung (2). In beiden Umfragen kommt eine starke Entfremdung zwischen den Menschen in Russland und der Ukraine zum Ausdruck (3). 1.

Deutliche Verschlechterung der Beziehungen zum Westen

Das Levada-Institut befragt die Menschen in der Russischen Föderation regelmäßig zu ihrer Meinung über den Stand des Verhältnisses zwischen Moskau und Washington sowie zwischen Moskau und der Europäischen Union.1 In den Jahren zwischen 2003 und 2013 gab es eine gewisse Stabilität: Etwa 60 bis 70% bewerteten die Beziehungen jeweils als “normal“ und „sachorientiert“. Doch schon in diesem Zeitraum wurde das Verhältnis zwischen Russland und der EU zunehmend negativ mit „angespannt“ und „feindlich“ (2003: fast 0%; 2013: ca. 10%) und abnehmend positiv mit „gut“ und „freundschaftlich“ (2003: ca. 30%; 2013: ca. 15%) beschrieben. Im Jahr 2014 haben sich nun signifikante Änderungen ergeben. Gegenwärtig charakterisieren 28% der Befragten die Beziehungen zwischen Brüssel und Moskau als “normal“ und „sachorientiert“, nur 3% als positiv, dafür aber 66% als negativ. Diese 66% teilen sich bei einer Konkretisierung wie folgt auf: 50% „angespannt“ (Januar 2014: noch 9%), 16% „feindlich“ (Januar 2014: 1%). Noch schärfere Konturen zeigen die Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Washington und Moskau: 39% feindlich (Januar 2014: 4%), 43% „angespannt“ (Januar 2014: 13%). Große Länder der westlichen Welt (das Levada-Institut zählt beispielhaft auf: die USA, Deutschland, Großbritannien, Japan) erachten die Menschen in Russland zunehmend als Gegner ihres Staates und weniger als Partner. Hielten sich die Auffassungen in den letzten zehn Jahren bei etwa je 45% die Waage, ergibt sich neuerdings ein massiv verändertes Stimmungsbild: 8% sehen in den westlichen Ländern Partner, 79% Gegner. Das Verhältnis Moskau-Peking wird im Übrigen kaum mit negativen Attributen beschrieben. Hier dominieren Charakterisierungen wie „gut“ (25%) und „normal, ruhig“ (35%). Den Ergebnissen der Umfrage zufolge nimmt die Bevölkerung in Russland die wachsende Isolierung von der westlichen Welt mehrheitlich gelassen hin. Knapp 60% sind darüber unbesorgt, allerdings sehen auch 36% die Entwicklung mit Sorge. Größere Einigkeit herrscht bei der Frage, warum die USA und der Westen mit der Ukraine-Politik des Kremls so stark ins Gericht gehen. Fast 80% bewerten die Kritik als Druckausübung auf Russland mit dem Ziel, dessen Ein1

Die folgenden Angaben beruhen auf einer zwischen dem 26. und 29. September 2014 durchgeführten Umfrage, deren Ergebnisse auf der Internetseite des Levada-Instituts veröffentlicht wurden (www.levada.ru).

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fluss in der Welt zu schwächen. Gleichzeitig erachten trotzdem zwei Drittel die Verbesserung der Beziehungen zu den USA und anderen westlichen Ländern als notwendig. 2.

Die Lage in der Ostukraine aus der Sicht der Bevölkerungen in Russland und in der Ukraine

Eine weitere Umfrage befasste sich mit der Situation in der Ostukraine.2 Die Studie ermöglicht einen Vergleich der Stimmungen in der Russischen Föderation und der Ukraine, weil Menschen aus beiden Ländern befragt wurden.3 Und es ergeben sich in der Tat markante Unterschiede. So zeigen sich 65% der Befragten in Russland mit dem Kurs ihrer Regierung zufrieden und 22% lehnen ihn ab. In der Ukraine befürworten 26% die Haltung ihrer Staatsspitze, 44% sagen, die Politik habe eine falsche Richtung eingeschlagen. Die Demoskopen fragten ferner nach der Zustimmung zur Aussage, dass Moskau prorussische Kräfte in der Ostukraine aktiv unterstützen würde. Die Bevölkerung der Ukraine neigt deutlich zu einer zustimmenden Antwort: 49% sagten „eindeutig ja“, 25% „überwiegend ja“ und nur 15% „nein“. In Russland antworteten 12% mit „eindeutig ja“, 38% mit „überwiegend ja“ und 30% sehen keine Unterstützung für prorussische Kräfte im Osten der Ukraine. Zwei Drittel der Menschen in der Ukraine finden, dass der Kreml die Interessen der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine unberechtigterweise unterstützt. Stark auseinander gehen die Sichtweisen hinsichtlich der Verantwortung für das Blutvergießen in der Ostukraine. In der Russischen Föderation meinen lediglich 17%, dass ihr Land dafür Verantwortung trägt; 75% lehnen jegliche Verantwortung Moskaus ab. In der Ukraine sehen 44% „eindeutig“ die Verantwortung ihres Nachbarstaates und 19% immerhin noch „überwiegend“, 27% sehen keine Verantwortung Russlands. Auf die Frage, ob zwischen Moskau und Kiew Krieg herrsche, antworten in der Ukraine 70% mit „ja“ und 19% mit „nein“ – in Russland 26% mit „ja“ und 59% mit „nein“. Ein uneinheitliches Stimmungsbild unter den Menschen in der Ukraine ergibt sich im Hinblick auf die Überwindung des kriegerischen Konflikts in der Region Donbass im Osten des Landes. Frieden um nahezu jeden Preis befürworten 28%, für große Zugeständnisse an die Separatisten, allerdings nicht Frieden um jeden Preis, sprechen sich 23% aus; 24% erkennen einen Spielraum für gewisse Zugeständnisse ohne größeres Nachgeben und 16% fordern, Kiew dürfe keinesfalls Moskau und den selbsternannten Regierungen im Donbass entgegenkommen. Die Zukunft der Regionen Donezk und Luhansk wird sehr unterschiedlich gesehen. Für die Menschen in der Ukraine sollen die beiden östlichen Regionen auch weiterhin Bestandteil ihres Landes bleiben: 45% wollen gänzlich zur Situation vor der Krise zurück, 32% befürworten eine stärkere Autonomie vom Zentrum. 40% der Bevölkerung in der Russischen Föderation hingegen würden die Gründung zweier unabhängiger Staaten begrüßen, 21% sogar die Eingliederung in ihr Land. Für einen Verbleib der Regionen Luhansk und Donezk in der Ukraine, allerdings mit deutlich ausgeprägter Autonomie, plädieren 18% der befragten in Russland.

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Die folgenden Angaben beruhen auf zwei zwischen dem 22. und 25. August 2014 sowie dem 26. und 29. September 2014 durchgeführten Umfragen, deren Ergebnisse auf der Internetseite des Levada-Instituts veröffentlicht wurden (www.levada.ru).

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Die Umfrage in der Ukraine führte das Kiewer Internationale Institut für Soziologie durch.

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3.

Bewertung

Der Stv. Direktor des Levada-Instituts Alexej Graschdankin erklärt, dass der Konflikt im Osten ihres Landes die Menschen in der Ukraine stärker beunruhige als in Russland; viele finden sogar, dass Moskau die Ukraine angegriffen habe.4 Graschdankin erläutert, dass eine Regierung, wenn sie mit den negativen Folgen ihrer eigenen Politik kämpfe, sich auf die Suche nach äußeren Kräften mache, welche die Misserfolge erklären könnten. Und gegenwärtig diene Russland der politischen Führung in Kiew als universales Rechtsfertigungsmittel. Gerade der Gefahr von Sozialprotesten aufgrund des schlechten Zustands der Wirtschaft und des bevorstehenden Winters werde mit der Kultivierung des Feindbildes Russland entgegengetreten, so Graschdankin. Es sei daher nicht überraschend, dass nur 28% der Menschen in der Ukraine den Frieden um jeden Preis wollten. Der ukrainische Politologe Wladimir Fesenko sagt, dass in der Ukraine sogar Menschen mit grundsätzlichen Sympathien für Russland der Auffassung seien, Moskau agiere im militärischen Konflikt auf Seiten der Separatisten. Er höre oft von Gesprächspartnern, dass sie nie geglaubt hätten, einen Krieg mit Russland zu erleben. Die starke Entfremdung zwischen den Bevölkerungen Russlands und der Ukraine, die sich zudem bereits negativ auf viele persönliche Beziehungen auswirke, ergebe sich vor allem aus einem bedeutenden Umstand: Russland betrachte den Konflikt in der Ostukraine als sein innenpolitisches Problem. Besondere Brisanz gewinnt diese These, weil sie auf kolportierte Äußerungen von Präsident Wladimir Putin gestützt werden kann: Putin habe – so der polnische Außenminister Radoslav Sikorski – beim NATO-Gipfel in Bukarest 2008 geäußert, die Ukraine sei ein „Konglomerat“ aus Teilen anderer Länder und ihr den Verlust ihrer Staatlichkeit angedroht.5 Eine derartige Äußerung, die jedoch von keinem hochrangigen westlichen Politiker bestätigt wurde, fände wohl bei einem nicht unbedeutenden Teil der russischen Bevölkerung Zustimmung, denn die Annahme, dass es sich bei der Ukraine um „gar kein richtiges Land“ handle, hat in Russland viele Anhänger. Eine andere Einschätzung präsentiert der russische Politologe Alexej Makarkin. Er vertritt die Meinung, dass der Konflikt in der Ostukraine in Russland als eine fremde Angelegenheit aufgefasst werde; viele Menschen in Russland wüssten gar nicht, dass ihre Landsleute aktiv an den Kämpfen teilnehmen – schließlich charakterisiere das Fernsehen die Ereignisse als einen berechtigten Volksaufstand, bei dem sich eine freiwillige örtliche Volkswehr dem ukrainischen Militär entgegenstelle. Vor diesem Hintergrund erschienen den Menschen in Russland tatsächliche politische Probleme in der Gesundheits- und Bildungspolitik als Kleinigkeiten – die Kritik daran gelte mittlerweile als unpatriotisch, mit ihr falle man dem Staat in den Rücken. Interessant sind auch Makarkins weitere Bewertungen: In der Russischen Föderation charakterisiere man Russen und Ukrainer als Brudervölker. Wenn in der Ukraine faschistische Tendenzen triumphierten, dann müsse man zwar nicht direkt eingreifen, aber in irgendeiner Weise Hilfe leisten. Die ukrainische Bevölkerung jedoch interpretiere die Einmischung Moskaus als Aggression, imperiale Ambitionen und den Versuch, Kiew so weit wie möglich von Brüssel fernzuhalten. Unterschiedliche Interpretationen der Ereignisse in Russland und der Ukraine werden auch zukünftig für große Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ländern sorgen. Die schwierige, 4

Die nachfolgend zitierten Expertenmeinungen sind einem Artikel aus der Tageszeitung „Wedomosti“ vom 22.10.2014 entnommen (S. 2).

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Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23.10.2014, S. 5.

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über viele Jahrhungderte gehende gemeinsame Geschichte tut ihr Übriges. Moskau wird akzeptieren müssen, dass Kiew weiterhin seinen eigenen Weg gehen will. Und Kiew muss darauf achten, dass es diesen mit Augenmaß beschreitet unter Berücksichtigung der engen Beziehungen zwischen den Menschen in beiden Ländern. Vermittelnde Kräfte sind auf beiden Seiten gefragt. Moskau, 28. Oktober 2014 Dr. Markus Ehm Leiter der Verbindungsstelle Moskau der Hanns-Seidel-Stiftung

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