Platons Semantik

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Schwarz

Diehl ·

Platons Dialog Kratylos thematisiert eine der Grundfragen philosophischer Semantik: Wie erlangen die Ausdrücke unserer Sprache ihre spezifischen Bedeutungen? Platon diskutiert zwei mögliche Antworten: Entweder gewinnen sprachliche Ausdrücke ihre Bedeutung durch soziale Übereinkunft (Bedeutungskonventionalismus) oder durch eine »natürliche« Beziehung (Bedeutungsnaturalismus) zu ihren Trägergegenständen. Die vorliegende Studie unternimmt den Versuch, Platons Überlegungen zum Begriff der Bedeutung als eine kohärente Theorie zu deuten, die beide Positionen inkorporiert. Es werden die zeitgenössischen semantischen Ansätze Putnams und Grice‘ eingeführt und interpretatorisch auf den platonischen Dialog angewandt. Im Zuge der Untersuchung werden die epistemologischen Bezüge von Platons Semantik aufgezeigt und eine innovative Lesart der platonischen Position generell vorgeschlagen. So wird gezeigt, dass Platon in der Geschichte der Sprachphilosophie bisher zu Unrecht vernachlässigt worden ist.

Platons Semantik

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Christoph Diehl

Platons Semantik

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ISBN 978-3-89785-766-7

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Die Theorie sprachlicher Bedeutung im Kratylos

Diehl · Platons Semantik

Christoph Diehl

Platons Semantik Die Theorie sprachlicher Bedeutung im Kratylos

mentis MÜNSTER

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 2012

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier ∞ ISO 9706

© 2012 mentis Verlag GmbH Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Satz: Rhema – Tim Doherty, Münster [ChH] (www.rhema-verlag.de) Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-766-7

meinen Eltern Birgit Diehl Wolfgang Diehl

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1

Einleitung

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2 2.1 2.2

Semantischer Konventionalismus im Kratylos (I) . . . . . Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hermogenes’ konventionalistische Position . . . . . . . . . . . . . . .

21 21 21

3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2

Semantischer Naturalismus im Kratylos . . . . . . . . Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Semantischer Externalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Probleme individualistischer Semantik und die realistische Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Taufakte und die kausale Theorie sprachlicher Bezugnahme . 3.2.4 Natur der Gegenstände und sprachliche Bedeutungen . . . . . 3.2.5 Sprachliche Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Metaphysische und epistemologische Voraussetzungen des semantischen Externalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Platons semantischer Naturalismus und seine Bezüge zum semantischen Externalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Sokrates’ semantischer Naturalismus – Überblick . . . . . . . . 3.3.2 Physei I: Moderater semantischer Naturalismus . . . . . . . . . 3.3.3 Physei II: Strikter semantischer Naturalismus . . . . . . . . . . 3.3.4 Platons Begriff des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Wissensrahmen als kriteriale Rahmen für semantische Korrektheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 Die Etymologien in Platons Kratylos – Ein kurzer Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.7 Ermittlung der Natur des Namensträgers – Sprachliche Arbeitsteilung bei Platon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.7.1 Der Gesetzgeber (nomothetês) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.7.2 Der Dialektiker (dialektikos) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.7.3 Die Ontogenese sprachlicher Bedeutung bei Platon . . . . . .

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8 4

5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.3 5.4 5.4.1 5.4.2

Inhaltsverzeichnis

Semantischer Konventionalismus im Kratylos (II): Platons intentionalistische Bedeutungstheorie . . . . . Platon als interner Realist . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interner Realismus – Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epistemische Einschränkungen des externalistischen Standpunkts: Der Fall der natürlichen Artprädikate . . . . . Der intern-realistische Begriff der Wahrheit . . . . . . . . . . . Bedeutung und Referenz im internen Realismus . . . . . . . . Deskriptivismus in der Bedeutungstheorie . . . . . . . . . . . Der Kratylos im Licht der intern-realistischen Erkenntnisperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epistemische Prästrukturierung der Realität durch Ideen . . Erkenntnis der Gegenstände durch sprachliche Ausdrücke?

Literaturverzeichnis Personenregister

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105 115 115 119

. 123 . 127 . 131 . 134

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Vorwort Dieses Buch stellt die geringfügig überarbeitete Druckfassung meiner Dissertation dar, die im Wintersemester 2010/2011 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn angenommen wurde. Ohne die Unterstützung und hilfreiche Kritik zahlreicher Menschen wäre dieses Buch nicht zustande gekommen, und ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um sie zu erwähnen. Zunächst gilt mein Dank meinem Doktorvater Wolfram Hogrebe für die Betreuung dieser Arbeit sowie die großzügige Unterstützung und Förderung während meines Promotionsstudiums. Ebenso danke ich Joachim Bromand für sein Gutachten sowie für viele anregende Diskussionen und Denkanstöße. Auch Guido Kreis bin ich zu großem Dank verpflichtet für unzählige inspirierende und klärende Gespräche wie auch die kritische Durchsicht des Manuskripts. Für die angenehme Zusammenarbeit bedanke ich mich bei Elke Brendel, die mir stets unterstützend den nötigen Freiraum für mein Dissertationsprojekt gerade in seiner Schlussphase gegeben hat. Nicole Potenza danke ich sehr herzlich für ihr fachliches Urteil, ihre Geduld und stetige Ermutigung, die die Fertigstellung dieses Buches maßgeblich vorangetrieben haben. Für stets ertragreiche, teils nicht wenig hitzige Diskussionen über viele der hier behandelten Themen schulde ich Jochen Faseler, Jan Goerke, Jacob Rosenthal und Erik Stei Dank. In technischen Fragen stand mir Björn Janßen immer geduldig und kreativ zu Seite – danke dafür. Für die hilfreiche und konstruktive Diskussion zentraler Punkte meiner Arbeit in ihrer frühen Entstehungsphase danke ich David Sedley von der Universität Cambridge, der mir im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes im Frühjahr 2006 ein gewidmeter und interessierter Ansprechpartner war. Die Finanzierung dieses Aufenthaltes ermöglichte der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD). Michael Kienecker vom mentis Verlag möchte ich für seine freundliche Betreuung der Publikation des vorliegenden Buches danken, ebenso der VG Wort für die Bezuschussung der Drucklegung. Großer Dank gebührt darüber hinaus meiner Familie: meinen Eltern, meiner Schwester Julia, Brunhilde Sattler, Jutta und Steffen Hölper. Außerdem danke ich sehr herzlich Kai Beckmann, Tamara Blume, Ingo Büchler, Jan-Nicolas Herold, Maike Königs, Tim Lange, Gabriele Scheffler, Sylvia Schönherr, Elke Windrath und Sebastian Wolff. Bonn, im Februar 2012

Christoph Diehl

In general, science attempts, by investigating basic structural traits, to find the nature, and thus the essence (in the philosophical sense) of the kind. Saul A. Kripke, Naming and Necessity, p. 138

[Es] zeigt etwa der Prozeß der Sprachbildung, wie das Chaos der unmittelbaren Eindrücke sich für uns erst dadurch lichtet und gliedert, daß wir es ›benennen‹ […] Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil: Die Sprache, p. 18

Bezeichnungen sind Instrumente, mit deren Hilfe wie unsere Welt sachgemäß zu differenzieren suchen. Ernst Heitsch: Sprachtheoretische Überlegungen Platons, p. 50

1 Einleitung Diese Studie versteht sich als ein Beitrag zur Interpretation der Bedeutungslehre Platons. Um diese einer systematischen Deutung zu unterziehen, soll einer der schwerer zugänglichen platonischen Dialoge detaillierter betrachtet werden, nämlich Platons Kratylos. Während so zentrale Werkstücke wie die frühen Dialoge, welche vor allem die Untersuchung bestimmter Tugendbegriffe thematisieren, jedoch ebenso späte Dialoge wie die Politeia, die Platons idealisiertes Konzept eines auf Effizienz abzielenden Staatssystems beinhaltet, eine regelrechte Interpretationsorthodoxie genießen, so scheint der Kratylos, welcher Platons Gedanken zur Bedeutungstheorie von Namen enthält, auf ungewohnte Weise sperrig und teils sogar unverständlich. Dieser Umstand scheint mir grundsätzlich der Undurchsichtigkeit und Komplexität des Hauptthemas geschuldet zu sein, namentlich der natürlichen Sprache und ihrem Begriff der sprachlichen Bedeutung. Zahlreiche Intuitionen verbinden sich mit diesem Thema, und genauso viele divergierende Erklärungen sind für besagte Intuitionen gegeben worden. Gerade das Feld der Semantik, also der Lehre von der sprachlichen Bedeutung, versorgt uns als kompetente Sprecher einer Sprache mit einer Vielzahl von intuitiv selbstverständlichen Ansichten über etwa das, was die Bedeutung eines Ausdrucks ist, wie wir sie erlernen können, worin sie ihren Ursprung hat. So selbstverständlich uns auch zunächst die Antworten auf die mit den im Vorausgehenden aufgeführten Punkten verknüpften Fragestellungen scheinen, so ungleich viel schwieriger erscheint ihre Beantwortung, wenn man sich aus dem Rahmen bloßer Sprachtheorie und -beschreibung heraus begibt, also nicht etwa die Bedeutungszusammenhänge einer bestimmten Sprache in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, sondern die Frage nach der Beschaffenheit des Begriffs sprachlicher Bedeutung generell stellt. Diese letztgenannte Frage ist genuin philosophischer Art, und genau sie ist der Gegenstand des hier interpretierten platonischen Textes. In seinem Dialog Kratylos widmet sich Platon einem der Grundprobleme der Sprachphilosophie, spezieller noch der philosophischen Semantik: er erörtert die Frage, wie die Bedeutungen unserer sprachlichen Ausdrücke zu begründen sind. Die Alternativen, vor welche der Leser von Platons Diskussion gestellt wird, lauten wie folgt. Zum einen könnten Namen ihren Trägergegenstand aufgrund natürlicher Wirkung bezeichnen (was dies im Einzelnen heißt, werden wir noch klären müssen). 1 Die semantische Relation käme demnach also nicht durch menschliche 1

Vgl. Lyons (1968: 403).

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1. Einleitung

Einflussnahme zustande, sondern beruhte, so schlägt Sokrates’ Gesprächspartner, der Herakliteer Kratylos, vor, ausschließlich auf den Eigenschaften der Dinge selbst, die durch sprachliche Ausdrücke jeweils bezeichnet werden. 2 Diese auf den ersten Blick betrachtet eher kontraintuitive Auffassung zur Bedeutungslehre kann als physei-Auffassung 3 bezeichnet werden. Kontraintuitiv ist sie auf den ersten Blick sicherlich deshalb, weil es mittlerweile einen Gemeinplatz darstellt, von einer arbiträren Zuweisung sprachlicher Ausdrücke auszugehen, d. h. von der Möglichkeit, beliebige sprachliche Ausdrücke beliebigen Objekten zuzuordnen, um diese zu bezeichnen, ganz gleich, wie diese Objekte beschaffen sind. Diesem letztgenannten Gedanken, jenem der Arbitrarität von Namenszuweisungen nämlich, trägt die zweite der von Platon vorgestellten Positionen Rechnung. Die thesei-Auffassung 4 sprachlicher Bedeutung umfasst dementsprechend die Ansicht, dass semantische Relationen ausschließlich auf Gebrauchsweisen und auf der Setzung menschlicher Subjekte beruhen, dass also ein Gegenstand seinen Namen deshalb trägt, weil zu irgendeinem Zeitpunkt ein Sprecherkollektiv sich auf diese Namenszuweisung ›geeinigt‹ hat (wie voraussetzungsreich diese Annahme ist, wird ebenfalls noch zu klären sein). Beide Thesen werden nacheinander von Platon entwickelt und kritisiert; Letzteres aus der jeweils gegnerischen Perspektive. Dabei wird deutlich, in welchem Maße und an welchen Punkten die Reintypen beider semantischer Theorieansätze einer Ergänzung bedürfen und wie groß ihre Erklärungskraft letztendlich ist. Platon versucht, den Umfang und den Inhalt besagter Theorien möglichst genau zu bestimmen, also auch die möglichen Spielarten bzw. Ausformungen der jeweiligen Position zu berücksichtigen. Dabei ergibt sich, dass die naheliegende, vom jeweiligen Gesprächsteilnehmer in erster Instanz geäußerte Ansicht sich als kaum haltbar erweist und neue, revidierte Fassungen ihrer entwickelt werden müssen. Um es vorwegzunehmen: In genau diesem Punkt liegt nach meinem Dafürhalten die Quintessenz des Kratylos. Denn indem Platon Kritik an den gängigen semantischen Theorien seiner Zeit übt, stellt er gleichzeitig heraus, inwieweit (a) ein bestimmtes Grundmoment beider Alternativtheorien erhalten bleiben muss, und (b), wo die Konnexionsstellen beider Theorieanteile zu lokalisieren sind. Auf diese Weise werden die Desiderate und gleichzeitig die verschiedenen Ebenen einer jeden möglichen Bedeutungstheorie deutlich: Jede Explikation der semantischen Relation beinhaltet sowohl physei-Anteile (die ich im Weiteren als ›naturalistisch‹ bezeichne) als auch thesei-Anteile (die in meinen Ausführungen zunächst als ›konventionalistisch‹, später als ›intentionalistisch‹ bezeichnet werden). Es wird uns als Leser des platonischen Elenchos gezeigt, wo diese Alternativerklärungen ineinandergreifen – und wie wenig durch ihre Kombination über die tiefgreifenden 2

Vgl. ebd. Vgl. Prechtl (1999: 5). 4 Vgl. ebd. 3