nationalen Leitmedien ebenso geschätzt wie von glo- balen ...

2011 legte Blecker die Kamera beiseite und ein „Sabbatical“ ein –. Pause. „Ich hatte mich verausgabt, Ich war konstant gejetlagt, weil ich von Berlin nach ...
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NAH, NÄHER, BLECKER Olaf Bleckers hyperreale Portraits werden von internationalen Leitmedien ebenso geschätzt wie von globalen Werbekunden. Die Handschrift dafür hat der Fotograf jenseits aller Verwertungszwänge entwickelt. Eine Geschichte über fotografische Positionsfindungen und den Segen von Auszeiten. Text: Peter Schuffelen

Celebrities hautnah: Lily Cole, britisches Model und Schauspielerin.

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Kult pur: Links Samuel L. Jackson für Men‘s Health, rechts die „Mad Men“-Ladys.

„Plakative, intensive Bilder – das ist schon das, was die meisten Kunden mit mir verbinden“ Sich und den eigenen Blick auf die Welt ausprobieren, frei von jedem ökonomischen Zwang: Für die meisten Fotografen ist diese Experimentierphase, abgesehen von zeitlich eng begrenzten freien Projekten, spätestens mit dem Ende der Ausbildungszeit abgeschlossen. Bei Olaf Blecker lag und liegt der Fall anders. Der heute 45-Jährige, der über eine Foto-AG in der Schule zur Fotografie fand, ging ziemlich schnell in die Verwertungsphase über. Als 17-Jähriger gestaltete er für einen Freund, der Popstar werden wollte, die Cover für die selbstaufgenommenen Musikkassetten. Dann absolvierte eine Ausbildung am Berliner Lette Verein. Mit Anfang 20 war er fertig – und eben jener Freund war zum Popstar avanciert. Blecker fand, auch dank dieser Jugend-Connection, nahtlos Brot-&-Butter-Jobs in der Musikbranche: CD-Cover, Konzertplakate, Autogrammkarten; die Gestaltung der Artworks übernahm er gleich mit. Das machte er sieben Jahre lang, ziemlich erfolgreich, dann hatte er die Schnauze voll. „Ich habe damals ganz gut verdient, aber ich war unzufrieden, weil ich immer weiter weggerückt war von dem, was ich eigentlich machen wollte: gute Bilder. Ich hatte das Gefühl, da ist etwas in mir drin, was raus will.“

Knietief im Dispo, aber kreativ obenauf Der damals 29-Jährige machte einen harten Schnitt. Er hatte einige Tausend Mark angespart, nahm sich eine Auszeit und fotogra5-2016

fierte ein halbes Jahr lang, was er wollte. Ohne Auftraggeber, ohne Vorgaben von außen, nur für sich, jeden Tag. „Ich habe bestimmte Parameter, wie etwa das Licht-Set-up. als Prämisse gesetzt und andere wiederum gezielt verändert. Mal habe ich den Models detaillierteste Anweisungen gegeben, am nächsten Tag wieder überhaupt keine. Ich habe mit unterschiedlichen Filmmaterialien und Entwicklungsmethoden experimentiert und verschiedene Blendeneinstellungen bei identischen Motiven durchdekliniert. Mein Motto lautete: „Jeden Tag eine neue Challenge“, erinnert sich Blecker. „Am Ende dieser selbst verordneten Probezeit war ich knietief im Dispo, aber ich hatte meine Handschrift gefunden.“ Der typische Blecker-Stil, der daraus entstand, lässt sich mit folgenden Attributen umreißen: präzise, klar, intensiv, reduziert, durchgehend scharf, wie freigestellt, hyperreal, plakativ. Beispiele: Das Portrait von Samuel L. Jackson, das aus einer Bilderstrecke in der britischen Men‘s Health zum Thema Hodenkrebsprävention stammt. Oder das der beiden Darstellerinnen aus der Kultserie Mad Men, denen etwas Unwirkliches, Zweidimensionales anhaftet, so als habe sie jemand aus einem hochaufgelösten Fernsehbild herausgeschnitten. Selbst das Portrait eines Pantherbabys, das Blecker 5-2016

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Niedlich und sexy: Pantherbaby für den stern (links) und „Visual key“ zum Thema Masturbation für die Schweizer Weltwoche (rechts).

in der Folge des medialen Hypes um Eisbärbaby Knut im Auftrag des „Stern“ erstellte, spiegelt diese Nähe eindrücklich wider. „Plakative, intensive Bilder – das ist schon das, was die meisten Kunden mit mir verbinden“, sagt Blecker. „Gerade in der Werbung geht es ja darum, dass die Bilder leicht zu lesen sind. Gleichzeitig habe ich den Anspruch, Bildwelten zu schaffen, die ohne Rätselraten lesbar sind, ohne platt zu sein. Man sollte eben nicht das Gefühl haben, sie schon eine Millionen Mal gesehen zu haben.“ Das, so Blecker, sei auch im Sinne des Kunden. Denn so bleibe der Betrachter im Idealfall die entscheidende Zehntelsekunde länger bei der Stange.

Durchstarten nach der Auszeit Zurück zur selbst gewählten Experimentierphase. Am Ende seiner Auszeit brachte Blecker die Ergebnisse in Mappenform, richtete 5-2016

eine eigene Website ein, schrieb Agenten an. „Es war das erste Mal, dass ich stolz war auf meine Bilder und Lust hatte, sie zu zeigen“, sagt er. Ich habe schnell gemerkt, dass ich auf dem richtigen Weg war. Tatsächlich habe ich fast überall offene Türen eingerannt.“ Dann ging alles ziemlich schnell. Blecker war mit einem Motiv auf dem Cover der Artbuyer-Bibel Lürzer's Archive vertreten, fand mit Susanne Bransch „eine fantastische Agentin“, wie er sagt. Kurz darauf hatte er eine Buchung für ein Titel-Shooting für das SZ-Magazins mit dem damaligen Außenminister Joschka Fischer sowie ein Kampagnenshooting für die Telekom. Bald kamen Werbe- und Editorial-Kunden in Europa und den USA hinzu. „An Aufträgen hat es nicht mehr gemangelt. Ich habe alles angenommen, was reinkam und noch in den Kalender passte. Ich habe praktisch zehn Jahre lang durchfotografiert.“

„Ich hatte das Gefühl, da ist etwas in mir drin, was raus will.“ Dann war es Zeit für einen erneuten Cut 2011 legte Blecker die Kamera beiseite und ein „Sabbatical“ ein – Pause. „Ich hatte mich verausgabt, Ich war konstant gejetlagt, weil ich von Berlin nach Shanghai, dann nach London, New York, Berlin und wieder nach Los Angeles flog. Ich hatte die Perspektive verloren und überhaupt nicht auf meine Gesundheit geachtet. Zu viel fettes Essen, kein Sport – ich hatte mich runtergerockt.“ Blecker startete ein Fitnessprogramm, stellte die Ernährung um und ließ bewusst

offen, wann, ja ob er überhaupt in seinen Beruf zurückkehren wollte. Zwei Jahre später, 2013, war es soweit. Er habe das dringende Bedürfnis gehabt, wieder zu fotografieren. Der Wiedereinstieg sei – auch dank seiner Agentur – gut gelungen. „Mich macht es einfach glücklich, wenn ich umgeben bin von kreativen Leuten“, sagt der 45-Jährige. „Aber ich habe heute eine ganz andere Gelassenheit, setze andere Prioritäten, kann mein Pensum besser einschätzen. Es war, wieder einmal, die richtige Entscheidung.“ 5-2016

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„Ich bin so etwas wie ein Verstärker.“ Herr Blecker, wie erzielen Sie diese Schärfe und Klarheit, die den typischen Blecker-Look ausmachen? Olaf Blecker: Wenn ich das auf einen Satz verkürzen müsste, würde ich sagen: durch den Einsatz kleiner Blenden, so wenig Make-up wie möglich und ein starkes, gerichtetes Licht.

Insgesamt wirkt das Licht in Ihren Bildern meist ziemlich direkt. OB: Ich mag das gebündelte Licht, das harte Lichtformer geben, die das direkte Sonnenlicht nachempfinden. Der Magnumreflektor von Profoto macht das gut. Manchmal kommen Waben darin zum Einsatz. Aber einige Sujets wollen etwas anderes; für reife Frauenhaut könnte ein Beautydish die bessere Wahl sein.

OB: Ja, ich fühle da eine gewisse Verantwortung. Die Leute vertrauen sich mir ja an. Alle freuen sich über gute Bilder, aber praktisch niemand lässt sich gerne fotografieren – nicht einmal Schauspieler. Wie viel Regieanweisungen geben Sie am Set?

Verraten Sie uns Ihr Standard-Licht-Set-up? Warum ist das bei Frauen anders als bei Männern? OB: Nehmen wir das Samuel-L.-Jackson-Portrait. Da habe ich das Hauptlicht leicht von links oben gesetzt und dann mit dem FillLight so viel aufgehellt, bis ich den Kontrast da hatte, wo ich ihn haben wollte. Mit dem Highlight habe ich dann für ein gewisses Maß an Plastizität gesorgt. Die Lichtrichtung setze ich nach Sicht. Den Kontrast zwischen Hauptlicht, Aufhellung und Highlight beurteile ich mit dem Belichtungsmesser.

OB: Es ist doch so: Falten und Poren sind bei Männern eher positiv konnotiert und werden als charaktervoll gelesen – bei Frauen ist das anders. Das heißt, Sie möchten, dass sich die Menschen gefallen auf Ihren Bildern?

OB: Das kommt drauf an. In der Werbung geht es oft darum, eine ganz bestimmte Geschichte zu erzählen. Gesichtsausdruck oder Körperhaltung müssen dann wirklich auf den Punkt kommen. Da sind Regieanweisungen unabdingbar. Bei Editorials geben Sie keine Anweisungen?

Kampagnenbild für Fiat Ducato: Bleckers Bildsprache ist auch im werblichen Umfeld gefragt.

OB: Doch, manchmal schon. Ich bitte das Gegenüber dann, bestimmte Dinge zu tun, aber nicht, weil ich genau diese Haltung oder jenen Gesichtsausdruck brauche. Es geht mir eher darum, dass meine Modelle nicht konstant mit sich selbst beschäftigt sind. Zumindest bei den freien Arbeiten und Editorials bin ich eher so etwas wie ein Verstärker für das Vorhandene. Es geht darum, die eigenen Antennen auszufahren. Wie viel Zeit haben Sie bei Celebrity-Shootings? OB: Oft nur wenige Minuten – beispielsweise beim Shooting mit Joschka Fischer. Bei Samuel L. Jackson hatte ich hingegen eineinhalb Stunden Zeit – unglaublich viel für einen A-Celebrity. Das Shooting mit Jackson war überhaupt ziemlich komfortabel. Der Mann weiß einfach, dass man als Fotograf möglichst viele Varianten braucht, und hat sich auf geniale Weise eingebracht. Zur Kameratechnik. Welches System nutzen Sie? OB: Die meisten Portraits entstehen mit einer Mamiya RZ67 Pro ||D und einem Phase-One-P45+-Rückteil. Aber inzwischen fotogra-

fiere ich Editorials manchmal auch mit einer Nikon D810, aus Gründen des Handlings und wegen des schnellen Autofokus. Welche Rolle spielt die Postproduktion – und wer übernimmt diesen Part? OB: Seit alles digital geworden ist, lässt sich das Shooting von der Postproduktion nicht mehr trennen. Ein RAW sieht nun einmal nach gar nichts aus. Eigentlich mach ich die Post gerne selber, weil ich dann den kompletten Prozess im Griff habe. Größere Job gebe ich aber an professionelle Dienstleister raus, etwa wenn es darum geht, viele Motive auf einen Kampagnenlook zu bringen. Wie hat sich Ihre Arbeitsweise im Laufe der Jahre verändert? OB: Ich bin inzwischen ein viel besserer Teamplayer. Natürlich übernimmt man als Fotograf eine gewisse Führungsrolle. Gleichzeitig ist es mir wichtig, dass alle – vom Kunden über das Model bis zum Stylisten und dem Make-up-Artist – glücklich sind. Es geht darum, eine Win-Win-Win-Situation zu schaffen.

ÜBER DEN FOTOGRAFEN Olaf Blecker, Jahrgang 1971, wurde in in Wolfenbüttel geboren, studierte am Lette Verein in Berlin und arbeitet seit 1995 als freier Fotograf. Seine hyperrealen Portraits sind unter anderem in Medien wie dem SZ-Magazin, New York Times Magazine, Time, The New Yorker, Wired, GQ oder dem Zeit-Magazin erschienen. Darüber hinaus realisiert er Kampagnenmotive für Kunden wie Sony, Nokia, Deutsche Bank, Microsoft, Volkswagen und Mercedes Benz. Blecker lebt und arbeitet in Berlin. www.olafblecker.de Auge im Auge mit dem Motiv: Blecker ist einfach dichter dran.

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