musik und erinnerung - Quer - Portfolio für MultiMediaArt und ...

Wissen und Gewissen eingehalten habe und die vorliegende Masterthe- ..... ihnen wieder ein Gewicht gegeben und sie sollten die Abweichung der jet-.
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MUSIK UND ERINNERUNG Masterthesis zur Erlangung des akademischen Grades “Master of Arts in Arts and Design”

Andreas J. Haselbeck

Vorgelegt am FH-Studiengang MultiMediaArt, Fachhochschule Salzburg

Begutachtet durch: Prof. Mag. Dr. Gerhard Blechinger (Inhaltliche GutachterIn 1) Dr. Hildegard Fraueneder (Inhaltliche GutachterIn 2)

Salzburg, den 21. November 2012

© Copyright 2012 Andreas J. Haselbeck Alle Rechte vorbehalten

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Erklärung

Hiermit versichere ich, Andreas Haselbeck, geboren am 07. März 1982 in Passau, dass ich die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens nach bestem Wissen und Gewissen eingehalten habe und die vorliegende Masterthesis von mir selbstständig verfasst wurde. Zur Erstellung wurden von mir keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet. Ich versichere, dass ich die Masterthesis weder im In- noch Ausland bisher in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe und dass diese Arbeit mit der den BegutachterInnen vorgelegten Arbeit übereinstimmt.

Salzburg, den 21. November 2012

________________________________ Vorname Familienname

______________________ Matrikelnummer

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Inhaltsverzeichnis Erklärung

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Kurzfassung

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Abstract

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Abkürzungsverzeichnis

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1 Einleitung

1

2 Erinnerung und Gedächtnis 2.1 Was ist Erinnerung . . . . 2.2 Was ist Gedächtnis . . . . 2.3 Individuelle Erinnerung . 2.4 Kollektive Erinnerung . .

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3 Wahrnehmung von Musik und deren Verarbeitungsprozesse 3.1 Die Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Neurologische Prozesse des Hörens . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Aktivität der beiden Gehirnhälften . . . . . . . . . . . 3.2.2 Das Limbische System . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Das Langzeitgedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Physiologische Prozesse des Hörens . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Ergotrope Wirkung von Musik . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Trophotrope Wirkung von Musik . . . . . . . . . . . . 3.4 Tiefenpsychologische Prozesse des Hörens . . . . . . . . . . . 3.5 Emotionale Prozesse des Hörens . . . . . . . . . . . . . . . . .

10 10 12 12 13 14 15 16 16 17 19

4 Musik als Erinnerungs-Therapie

21

5 Audio-Branding 24 5.1 Was ist Audio-Branding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 5.2 Die Wahrnehmung und Wirkung von Musik in Werbung . . . 25 5.3 Formen von Audio-Branding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

iv

Inhaltsverzeichnis

5.4 5.5

5.3.1 Audiologo . . . . . 5.3.2 Jingle . . . . . . . 5.3.3 Werbelied . . . . . 5.3.4 Hintergrundmusik 5.3.5 Sound-Icon . . . . 5.3.6 Bekannte Musik . . Funktionelle Musik . . . . Musik und Erinnerung bei

v . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Audio-Branding

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28 29 29 30 31 31 32 34

6 Musik und Erinnerung in der Kunst 36 6.1 Rome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 6.2 Chopin On 5 Continents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 7 Erinnerungsauslösung in der frühen Musikgeschichte 7.1 Giovanna d’Arco - Giuseppe Verdi . . . . . . . . . . . 7.1.1 Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Charakterisierende Leitmotivtechnik . . . . . . 7.2 Die Zauberflöte - Wolfgang Amadeus Mozart . . . . . 7.2.1 Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Charakterisierende Leitmotivtechnik . . . . . . 8 Musik und Erinnerung bei Film- und Fernsehen 8.1 Was ist Filmmusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Wirkung von Filmmusik . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Einsatz der Leitmotivtechnik in Film und Fernsehen 8.4 Kritik an der Wirkung der Leitmotivtechnik . . . . . 8.5 Untersuchung von Herr der Ringe auf Leitmotive . .

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39 40 40 42 45 45 47

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50 50 52 55 62 65

9 Schlussfolgerung

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A Literaturverzeichnis

72

B Abbildungsverzeichnis

77

Kurzfassung Angaben Vor- und Zuname: Andreas Haselbeck Institution: FH Salzburg Studiengang: Master MultiMediaArt Titel der Masterthesis: Musik und Erinnerung BegutachterIn I: Prof. Mag. Dr. Gerhard Blechinger BegutachterIn II: Dr. Hildegard Fraueneder Schlagwörter • Schlagwort 1: Musik und Erinnerung • Schlagwort 2: Musik in Werbung • Schlagwort 3: Leitmotivtechnik Kurzbeschreibung Jeder von uns kennt wahrscheinlich den Effekt: Eine bestimmte Musik, die man in einer emotionalen Lebenssituation hört, wird in der Wahrnehmung durch eben diese Situation emotional aufgeladen und im Gedächtnis abgespeichert. Solche Situationen können beispielsweise Verliebtheit, Freude aber auch negativ behaftete Emotionen wie Trennung und Verlust sein. Später im Leben, wenn man dieses Musikstück durch Zufall wieder hört, wird man an die damit verbundene damalige Situation erinnert und es kommen diese Gefühle wieder auf. Dieser Effekt wird in dieser Arbeit als Musik-ErinnerungsEffekt definiert. Dabei wird anfänglich erörtert, was genau Erinnerung ist und wie diese mit dem Gedächtnis zusammenhängt. Hierbei kann das Gedächtnis in verschiedene Bereiche unterteilt werden. Doch lässt sich auch der Begriff Er-

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Kurzfassung

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innerung noch weiter strukturieren. Erinnerung kann individuell sein, aber auch für eine ganze Gemeinschaft bzw. Kultur stehen. Für das Verständnis ist es wesentlich, die genauen neurologischen Zusammenhänge zu wissen, was im Inneren des Menschen geschieht, wenn der Musik-Erinnerungs-Effekt eintritt. Dabei wird in dieser Arbeit ein grober Einblick über die Funktionsweise unseres Gehirns gegeben, wenn wir uns durch ein bestimmtes Lied an eine bestimmte Situation erinnern. Auch wird auf die Frage eingegangen, woher dieser Effekt stammt bzw. welche Funktion dieser ursprünglich hatte. Schon die Ur-Menschen bedienten sich dem Erinnerungs-Effekt. Für sie war dieser von großer Wichtigkeit für ihr Überleben. Es steht fest, dass der Musik-Erinnerungs-Effekt existiert, obwohl einige Studien dagegensprechen. Nun ist es interessant, ob dieser auch für zielfördernde Zwecke eingesetzt werden kann. Bislang gibt es zwei große Bereiche, in denen der Musik-Erinnerungs-Effekt eingesetzt werden kann: in der gesundheitstherapeutischen Medizin und in den Medien. So ist dieser Effekt mittlerweile fest in der Musiktherapie verankert. Vorallem in der Therapie der Alzheimererkrankung konnten durch Einsatz des Musik-ErinnerungsEffekts bahnbrechende Ergebnisse erreicht werden. So können den AlzheimerErkrankten hierbei wieder ein Stück Lebensqualität und somit Normalität zurückgegeben werden. In Hinblick auf die Medien lassen sich gleich mehrere Anwendungsgebiete finden. So profitiert beispielsweise die Werbeindustrie maßgeblich von dem Musik-Erinnerungs-Effekt. Durch zahlreiche Studien konnte belegt werden, dass sich die Kaufmotivation der angesprochenen Zielgruppen durch den Einsatz dieses Effektes signifikant steigern lässt. Doch der Musik-ErinnerungsEffekt ist keine Erscheinung der Moderne. Schon Verdi, Wagner oder Mozart waren sich dieses Effektes bewusst und haben ihn in ihren Opern eingesetzt. So wurde die jeweilige Figur mit einer unverkennbaren Melodiefolge fest verwoben und dadurch ist es dem/der Zuschauer/in möglich, die Handlungszusammenhänge besser verstehen zu können. Dieser Methodik wurde der Begriff Leitmotivik zugeschrieben. Durch die Erfindung des Tonfilms wurde der Aspekt Filmmusik immer wichtiger. So wurde der Leitmotivik-Ansatz in die Filmmusik transformiert. Von Anfang an war die Verwendung der Leitmotivtechnik ein wesentlicher Bestandteil der Filmmusikgestaltung. Auch heutzutage werden noch immer unzählige Filme und Serien mit dieser Technik verknüpft.

Abstract Everybody knows the effect in some way or the other: A particular piece of music, which you hear in a specific moment in your life, is being pent up with emotion through perception and is being stored in your memory. These situations depend, of course, on the individual and can constitute, for example, infatuation, happiness, but also negatively afflicted feelings such as separation, grief and loss. Later in life, if you hear this piece of music again, you will remember this particular situation and the corresponding emotions start to come up again. Although, your stance in life could have changed dramatically, these emotions can be so powerful, that you are convinced of their reality. Only because you have connected this music with extraordinary emotions and thoughts, it has evoked a certain reaction within us. In this paper this effect is defined as music-recollection-effect. The paper starts with a discussion of recollection and how it is connected with your memory. The latter can be divided into different areas. Also, can the perception of memorization be structured into categories. Memorization can happen individually, or can represent similar meanings to a whole community or culture. For a thourough understanding of the topic, it is crucial to have a good knowledge of the neurological context, i.e. what happens inside a person when the music-recollection-effect sets in. A rough overview of functions of the brain is given, if we recollect a specific situation through hearing a certain song. In addition, the question of where the effect stems from and which functions it had in earlier times is discussed. Even prehistoric men made use of the music-recollection-effect. For them, it was vital for their survival. It is a fact that the music-recollection-effect exists, although, some studies say otherwise. It is of utter interest whether this effect can be used for valuable purposes. Up until now, there are two main areas, where the music-recollection-effect can be utilised: in therapeutic medicine and in media. Therefore, the effect is a major instrument in music therapy. Especially in the therapy of Alzheimer’s disease the effect brought groundbraking reviii

Abstract

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sults. Patients who suffer from Alzheimer can be given back quality of life and, in consequence, normality. Concerning media, one can find several areas of practice. For example, advertising industries profit from the music-recollection-effect. Numerous studies show that the motivation to buy products can be significantly increased, due to this effect. But the effect does not only occur in modern times. Verdi, Wagner or Mozart already knew of this effect and made use of it in their operas. So, they combined characters with unmistakable melodies and, therefore, it facilitated understanding of the storyline. This method was termed leitmotiv. Through the invention of sound film the aspect of film music grew in importance. So, the leitmotiv approach was used in film music as well. Since the beginning of film music, the leitmotiv approach has been an essential part of the composition of it. Even today, you can find it in countless series and movies.

Abkürzungsverzeichnis beziehungsweise: bzw. das heißt: d.h. Dezibel: dB Digitale Video-Disc: DVD Elektroenzephalografie: EEG Herausgeber: Hrsg. id est: i.e. Magnetresonanztomographie: MRT ohne Jahresangabe: o. J. Seite: S. unter andere: u.a. und folgende Seite: f und folgende Seiten: ff und so weiter: usw. vergleiche: vgl. versus: vs. Zitiert nach: zit. n. zum Beispiel: z.B.

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Kapitel 1

Einleitung Jeder von uns kennt wahrscheinlich den Effekt: Eine bestimmte Musik, die man in einer emotionalen Lebenssituation hört, wird in der Wahrnehmung durch eben diese Situation emotional aufgeladen und im Gedächtnis abgespeichert. Solche Lebenssituationen sind natürlich individuell abhängig und können beispielsweise Verliebtheit, Freude aber auch negativ behaftete Gefühle wie Trennung, Trauer und Verlust sein. Später im Leben, wenn man dieses Musikstück durch Zufall wieder hört, wird man an die damit verbundene damalige Situation erinnert und es kommen diese Gefühle wieder auf. Wiewohl sich die Lebenssituation vollkommen geändert hat, können einem diese Emotionen so überrollen, dass man kurzeitig das Gefühl bekommen kann, als seien sie real. Nur weil diese Musik früher mit außergewöhnlichen Emotionen und Gedanken verwoben wurde, hat sie im Jetzt einen bestimmten Reiz in uns ausgelöst. Dieser Effekt wird in dieser Arbeit als MusikErinnerungs-Effekt definiert. Interessierten Leser/innen soll mit dieser Arbeit ein Einblick in die Theorie und die Anwendung des Musik-Erinnerungs-Effekts gegeben werden und ihnen aufzeigen, welche Bereiche sich diesem Effekt bedienen und wie dieser optimal einsetzbar ist. Die Arbeit bietet eine praxisnahe Aufarbeitung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Musik-Erinnerungs-Effekt und erläutert des weiteren psychologische Ansätze zur Thematik. Um auf die einzelnen Bereiche näher eingehen zu können, werden vorab die Bedeutung und das Zusammenspiel von Erinnerung, Gedächtnis und Wahrnehmung beschrieben. Es wird hierbei erklärt, dass durch die Wahrnehmung Erinnerungen ausgelöst werden, die im Gedächtnis archiviert sind. Dadurch wird ersichtlich, wie eng diese drei Begriffe miteinander verknüpft sind. Um diese Zusammenhänge näher zu erläutern, wird aufgezeigt, wo genau Erinnerungen im Gehirn abgelegt werden und welche neurologischen Prozesse ablaufen, wenn

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1. Einleitung

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das Sinnesorgan Ohr mit Musikklängen stimuliert wird. Wie durch Musik die Wahrnehmung beeinflusst werden kann, wird in diversen Studien zur Wirkung von Film- und Werbemusik untersucht. Eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit Filmmusik und deren Wirkung setzte in den 1990er Jahren ein. So befasste sich beispielsweise KlausErnst Behne mit empirischen Studien zur Wahrnehmung von Filmmusik sowie Überlegungen zur Filmmusiktheorie, die den/die Rezipienten/Rezipientin involviert. Royal S. Brown untersuchte auf filmerzählerischen ausgerichteten Analysen die verschiedenen Techniken und Stilmerkmale von Musik anhand bekannter Filmbeispiele. Claudia Bullerjahn gibt einen holistischen Überblick zum heutigen Forschungsstand, in dem sie u.a. die bewusste und unbewusste Wahrnehmung, emotionale Anregungen sowie die Beeinflussung von Gedächtnisleistungen und die damit verbundene Urteilsbildung durch Filmmusik darlegt. Annabel Cohen zeigt Studien zum gehirngerechten Einsatz von Filmmusik auf (vgl. Kreuzer, 2009, 12). Aber es wurden auch Studien durchgeführt, die darauf resultieren, dass sich durch den Einsatz des Musik-Erinnerungs-Effekts keine signifikante Verbesserung des Verständnisses der Thematik des Films einstellt. Auch wird in weiteren Theorien der Verwendung der Leitmotivtechnik bei der Filmmusik kein Verknüpfungspotential einzelner zusammengehörender Handlungssequenzen zugeschrieben. Eine Studien von Irène Deliège baut beispielsweise darauf auf, dass es dem/der Rezipienten/Rezipientin erst gar nicht möglich ist, einzelne Leitmotive zu erkennen. Auch der Filmmusikkomponist Jerry Goldsmith äußert sich kritisch über die Wirksamkeit der Leitmotivtechnik im Film. Er war u.a. der Meinung, dass die Leitmotivtechnik für Filmkompositionen kein effizienter Ansatzpunkt sei, da sie Mängel hinsichtlich der Übermittlung von Handlungszusammenhänge aufweist. Anselm C. Kreuzer steht solchen Resultaten kritisch gegenüber und beschreibt, warum diese Studien nicht aussagekräftig genug sind um die Wirkungslosigkeit von Leitmotiven zu belegen. Beim Vergleich dieser Studien lässt sich also feststellen, dass die Resultate teilweise stark divergieren. Die vorliegende Arbeit stützt sich auf die Ergebnisse, die den Musik-Erinnerungs-Effekt als wirksam ansehen bzw. der Filmmusik eine positive filmerzählerische Wirkung zuschreiben. Es wird auch klar, dass dieser Effekt des Öfteren einer manipulierenden Wirkung zugeschrieben werden kann. Dies ist vor allem in der Funkund Fernsehwerbung der Fall, in dem die Werbetreibenden das Potential des Musik-Erinnerungs-Effekts erkannt haben und diesen zur Manipulation des Käufers einsetzen. Hierbei wird in diversen Werbungen Musik so gewählt

1. Einleitung

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und eingebaut, dass sie unbewusst die Lust des Käufers zum Kauf anregt. Auch hier wurden mannigfach Tests durchgeführt, die die manipulierende Wirkung von Musik belegen. Doch ist der Musik-Erinnerungs-Effekt keine Erscheinung der heutigen Zeit. Die Erinnerung und Abspeicherung von bestimmten Klängen war frühzeitlich überlebenswichtig. So konnte der Ur-Mensch nur überleben, weil er fähig war, sich an bestimmte Klänge1 und Geräusche von für ihn bedrohlichen Tieren zu erinnern und deshalb die Flucht ergreifen zu können, bevor das Tier zum Angriff überging. Es war aber auch von Wichtigkeit, dass der Mensch vertraute harmonische Klänge von fremden unterscheiden konnte. Mit dem Erinnern von Klängen konnte er also auch spezifische Laute seiner Gemeinschaft, in der er lebte, ausmachen und dadurch beispielsweise von weitem „erhören“, wo sich sein Volk aufhielt bzw. zwischen Freund und Feind differenzieren. Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit fokussiert sich auf die Forschungsfrage: In welchen Bereichen kann der Musik-Erinnerungs-Effekt konstruktiv eingesetzt und welche Nutzen können dadurch generiert werden?

1 Der Begriff Klang oder engl. Sound soll in dieser Thesis nicht nur als Bezeichnung für die Klangfarben verschiedener Musikinstrumente oder dem bestimmten Klang einer Musikrichtung dienen, sondern als übergeordneter Begriff für jegliche auditiv wahrnehmbare Reize einschließlich der Musik an sich gelten

Kapitel 2

Erinnerung und Gedächtnis 2.1

Was ist Erinnerung

Sich an etwas zu erinnern bedeutet grob gesagt nichts anderes, als das „Wieder-Hervorrufen“ von bereits gesehenen Bildern oder Gegenständen, schon erlebten Situationen - wobei es hierbei keinen Unterschied macht, ob man in diesen Situationen involviert war oder nur eine Beobachter-Funktion eingenommen hat. Persönlichkeiten, die sich darin versucht haben, das Wort bzw. die Sache „Erinnerung“ zu definieren und dadurch besser für den Menschen greifbar zu machen, lassen sich in vielen Sparten finden. So hat der Historiker Jacques Le Goff „Erinnerung und Gedächtnis“ wie folgt beschrieben (vgl. 1992, 83): Erinnerung ist das Weiterleben des im Gedächtnis Festgehaltenen sowohl in seiner individuellen als auch in seiner sozialen Dimension. Oft wird Erinnerung als die Fähigkeit definiert, bestimmte Informationen zu bewahren. Zu solchen bestimmten Informationen zählen beispielsweise individuelle vergangene Eindrücke, die man sich dank des Gedächtnisses wieder vergegenwärtigen kann. Die Erforschung betrifft aber nicht nur Historiker, sondern ist Teil der Psychologie, der Physiologie, der Neuroanatomie und der Biologie. Durch das Zeitalter der neuen Medien erweckt aber auch der Punkt Erinnerung und Gedächtnis immer mehr das Interesse der Werbetreibenden bzw. Filmgesellschaften. Grundlegend heißt Erinnern nichts anderes, als dass die Gedächtniszellen aktiviert werden und dadurch die neuronalen Netze nach zufälligen Gesichtspunkten in Gang gebracht werden. Heutzutage wird Erinnerung häufig als das Aufbewahren von Daten, Sachverhalten oder Ereignissen verstanden. Man stellt sich also das autobiographische Gedächtnis als eine Art „Archiv bzw. Gedächtnisspeicher“ des Menschen vor. Personen, bestimmte Orte und Ereignisse, aber auch Gefühle, die mit einer

4

2. Erinnerung und Gedächtnis

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Erinnerung festgehalten werden, stecken irgendwo im Gedächtnis. Demzufolge kann unser Gedächtnis mit einer Bibliothek verglichen werden: So wie man Bücher mit Hilfe eines Stichwortverzeichnisses finden kann, so können auch „Erinnerungs-Akten“ wieder zum Vorschein gebracht werden. Dieses metaphorische Beispiel zeigt ebenfalls, dass Erinnerung schwer zu beschreiben ist. Eine Erleichterung schafft hierbei die Beschreibung dieser Begriffe unter Verwendung von Metaphern. Das liegt wohl daran, dass die Begriffe Erinnerung und Gedächtnis zu komplex sind, um ohne eine Bildsprache auskommen zu können (vgl. Meier, 2002, 2ff).

2.2

Was ist Gedächtnis

Wesentlich sind hierbei die Fragen, was genau das Gedächtnis ist und wie es in der Wissenschaft unterteilt werden kann. Wie oben bereits erwähnt ist das Gedächtnis derjenige Ort, wo unsere Erinnerungen gespeichert sind. Neuropsychologische Studien über das Gedächtnis haben herausgefunden, dass Inhalte des Gedächtnisses wie eben beispielsweise Erinnerungen besonders gut archiviert werden, wenn ihre Wahrnehmung mit dem Auslösen von Emotionen verbunden ist. Dabei werden im Gehirn sowohl der Hippocampus1 , als auch die Amygdala (siehe Kapitel 3, Punkt 3.2.2) aktiviert. Aus diesen Forschungsstudien konnte etwas ganz grundlegendes erkannt werden: Die parallele Aktivierung von Hippocampus und Amygdala führt zu einer Verbesserung der Gedächtniserfolge (vgl. Mühlmann, 2005, 26). Der heutige Stand der Wissenschaft geht soweit, dass das Gedächtnis in zwei verschiedene Bereiche eingeteilt werden kann, die wiederum in Subbereiche unterteilt werden können2 : Deklaratives Gedächtnis Das deklarative Gedächtnis (auch Wissensgedächtnis oder explizites Gedächtnis genannt) speichert Tatsachen, Vorgänge, Situationen und Ereignisse, die bewusst wahrgenommen und wiedergegeben werden können. Das deklarative Gedächtnis kann wiederum in zwei Bereiche unterteilt werden 3 : • Episodisches Gedächtnis: Hier befinden sich Episoden, Ereignisse und Tatsachen aus dem eigenen Leben. Beim episodischen Gedächtnis erinnert sich die Person aber nicht nur an das Objekt an sich, sondern auch an die Rahmenbedingungen, in dem das Objekt steht. Um ein besseres Verständnis davon zu bekommen, kann als Beispiel das Ereignis des World-Trade-Center-Einsturzes vom 11. September angeführt werden. 1

in der Deutschen Sprache wird der Begriff Seepferdchen verwendet in diesem Kontext wird nur auf die unterschiedlichen Bereiche des Langzeitgedächtnisses eingegangen 3 http://de.wikipedia.org/wiki/Gedächtnis (01.11.2012) 2

2. Erinnerung und Gedächtnis

6

Alle erinnern sich an das tragische Geschehen, aber auch an den Ort, an dem sie sich befanden, als sie davon erfuhren (vgl. Mühlmann, 2005, 26). • Semantisches Gedächtnis: Im semantischen Gedächtnis ist alles Wissen, Fakten und Strukturen archiviert, das für alle Menschen gleichermaßen gilt. Beispielsweise gilt: Dublin ist die Hauptstadt von Irland oder jeder Mensch hat eine biologische Mutter und einen Vater. Prozedurales Gedächtnis Beim prozeduralen Gedächtnis (auch Körpergedächtnis oder Verhaltensgedächtnis genannt) wird davon ausgegangen, dass durch das Wiederholen von Aktivitäten, Handlungsabläufen oder Prozessen, diese sich regelrecht in das Gedächtnis eingebrannt haben und deshalb unbewusst ablaufen. Dies trifft beispielsweise zu, wenn man beim Geigenspielen nicht mehr an die Finger denkt, beim Autofahren nicht mehr daran denkt, welcher Fuß welches Pedal treten muss oder beim Schreiben eines Textes auf dem Computer nicht mehr die einzelnen Buchstaben auf der Tastatur gesucht werden müssen (vgl. Mühlmann, 2005, 24f).

Mittlerweile weiß man aber, dass das Gehirn mehr „interpretiert“, als dass es faktengetreu wiedergibt. Es funktioniert also nicht wie beispielsweise ein DVD-Player, mit dem man Aufgenommenes jederzeit abspulen kann. Eher schreibt unser Gedächtnis das Erlebte fortlaufend um. Der Grund hierbei ist, dass das menschliche Gehirn immer „vom Blickwinkel der Gegenwart“ heraus agiert und es somit vorkommen kann, dass Teile längst vergangener Ereignisse umgeschnitten, gestrichen oder umgeschrieben werden, so dass diese Ereignisse völlig neu interpretiert werden (vgl. Meier, 2002, 22). Der Psychologe John Kotre konnte in seiner Studie an der Universität Michigan veranschaulichen, dass sich diverse Testpersonen an jeweilige Kindheitserlebnisse im Alter von 20 Jahren völlig anders erinnern als im Alter von 40 Jahren (vgl. Kotre, 1996). Das Gedächtnis ist also, so Kotre, wesentlich anfälliger für Suggestionen als man bisher geglaubt hat. Diesem Effekt wurde der Begriff „Transformation“ zugeteilt (vgl. Reck, 1992, Vortragsskript): Erinnerung ist hinsichtlich der neuronalen Emergenzen eine Wahrnehmungskategorie, die Vorgänge der Repräsentation und Selektivität sichert, deren Gegenstände auf Gedächtniskörper und Leistungen gerichtet sind, welche differenzfähigen Adaptions- und Assimilations-Schematas hervorbringt.

2. Erinnerung und Gedächtnis

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Mit anderen Worten transformiert unser Gehirn das zu Erinnernde in die Gegenwart. Wichtig ist auch die Tatsache, dass man zwischen „Erinnerung“ und „Gedächtnis“ differenzieren sollte, da beide Wörter im deutschsprachigen Raum separat angesehen werden und somit gesondert definiert werden müssen4 . Wissenschaftlich betrachtet ist das Wort Gedächtnis, wie bereits erwähnt, mehr der technischen Seite zugeordnet; also das Festhalten von etwas Erlebtem und Erfahrenem im Sinne eines Speichermediums (vgl. Meier, 2002, 23). Aleida Assmann unterscheidet zwischen den Begriffen Erinnerung und Gedächtnis auf andere Art und Weise. Das Erinnern führt man als einzelner Mensch durch, wenn man beispielsweise Erfahrungen analysiert, sich über diese Gedanken macht, sich diese wieder vergegenwärtigt und mit anderen Menschen teilt. Größere Gruppen wie beispielsweise eine Nation bilden ein kollektives Gedächtnis, um den für sie unverzichtbaren Teil der Vergangenheit im Hier und Jetzt zu halten. Der Grund hierfür ist, dass diese Vergangenheit für die Gegenwart, aber auch für die Zukunft als außergewöhnlich wichtig angesehen wird (2006).

2.3

Individuelle Erinnerung

Die Erinnerungsfähigkeit macht Menschen zu Menschen, auch wenn manche Erinnerungen trügerisch und flüchtig sind. Aus den eigenen biografischen Erinnerungen ist das Bild der eigenen Identität gemacht. Der größte Teil unserer Erinnerungen kann nur durch äußere Anlässe wieder in das Bewusstsein gerufen werden (vgl. Assmann, 2008, 184) wie z.B. ein spezifischer Geruch, mit dem der Einzelne etwas verbindet, Bilder, Kunstwerke bzw. Videos oder eben auch durch das Hören bestimmter Musik. Jeder Mensch kennt den Effekt, dass ein bestimmter Musiktitel Erinnerungen auslöst, und man genau sagen kann, wo, wann und mit wem man diesen Titel schon einmal „erlebt“ hat. Dieser bestimmte Musiktitel löst auch immer ein bestimmtes Gefühl aus, so subtil es auch sein mag. Dabei kann relativ schnell differenziert werden, ob es sich um ein angenehmes (also positives) Gefühl handelt oder einem eher „ein Schauer über den Rücken läuft“ (eher ein negatives Gefühl ausgelöst wird). Das kann im schlimmsten Fall soweit gehen, dass schmerzliche und beschämende Erinnerungen unzugänglich gemacht werden, weil Traumaerlebnisse und Verdrängung sie unter Verschluss halten (vgl. Assmann, 2008, 207).

Ganz im Gegensatz zum Französischen, wo hierbei das Wort „Mémoire“ die Begriffe Erinnerung und Gedächtnis gleichermaßen umfasst 4

2. Erinnerung und Gedächtnis

8

Für individuelle Erinnerungen sind laut Assmann vier verallgemeinernde Merkmale gegeben5 : • Erinnerungen sind grundsätzlich perspektivisch. Sie lassen sich weder austauschen noch übertragen. Sie sind das Ergebnis einer ganz bestimmten individuellen Wahrnehmung und unterscheiden sich voneinander. • Erinnerungen existieren nicht isoliert, sondern sind mit den Erinnerungen anderer Menschen verwoben. Sie bestätigen einander; dadurch wirken sie verbindend und gemeinschaftsbildend. • Erinnerungen sind, für sich genommen, fragmentarisch. In der Regel handelt es sich um ausgeschnittene, unverbundene Momente. Erst durch Erzählung erhalten sie nachträglich Form und Struktur. • Erinnerungen sind flüchtig und labil. Manche ändern sich im Laufe der Zeit, andere verblassen oder gehen verloren. Vor allem ändern sich die Bewertungsmuster im Laufe eines Lebens. Am besten werden Erinnerungen konserviert, indem sie an Erzählungen gebunden und oft wiederholt werden. Individuelle Erinnerungen kommen nicht nur in einem speziellen sozialen Umfeld vor, sondern auch in einem spezifischen Zeithorizont. Dieser umfasst 80 bis 100 Jahre - den Zeitraum, in dem drei bis maximal fünf Generationen gleichzeitig existieren und durch persönlichen Austausch eine Erfahrungs-, Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft bilden. Der lebendige Erinnerungsbezug löst sich jedoch auch dann in der Abfolge der Generationen auf, wenn Erinnerungsgegenstände in Gestalt von Andenken vorhanden sind (vgl. Assmann, 2006).

2.4

Kollektive Erinnerung

Die kollektive Erinnerung schafft eine gemeinsame Identität. Aufgrund gemeinsamer Erlebnisse in der Vergangenheit und der kulturellen Überlieferung schaffen sich solche Kollektive zugleich eine gemeinsame Identität, die nicht nur von der Herkunft und Abstammung herrührt, sondern u.a. in Form von Lernen, Zugehörigkeitsgefühl entsteht. Erstmals wurde der Begriff „kollektive Erinnerung“ in den 1920er Jahren von dem französischen Soziologen Maurice Halbwachs gebraucht. Solche „Erinnerungskollektive“ können sehr unterschiedlich ausgerichtet sein. Das kann die Familie sein, eine soziale Bezugsgruppe, die Dorfgemeinschaft, die eigene Generation, eine kulturelle Gemeinschaft, eine Nation oder eine Gesellschaft. Es können aber auch Gruppen sein, die über gemeinsame Erlebnisse oder Erfahrungen verfügen 5

man könnte auch Formen bzw. Aspekte des Erinnerns dazu sagen

2. Erinnerung und Gedächtnis

9

wie Augenzeug/innen des Mauerfalls, Folteropfer, Überlebende des Holocaust, Kriegsflüchtlinge bzw. Vertriebene oder ehemalige AktivistInnen der Studentenbewegung (vgl. Halbwachs, 1985, 20ff). Wie Musik in der kollektiven Erinnerung verankert sein kann, lässt sich beispielsweise am Mauerfall in Berlin im November 1989 sowie am Terroranschlag auf das World Trade Center im September 2001 sehr gut zeigen. Aus diesen beiden Ereignissen entwickelte sich eine Art „Hymne“ heraus. Viele können zum Mauerfall das Lied Wind of Change 6 von den Scorpions assoziieren, das in den Medien als die „Hymne der Wende“ gilt. Der Titel Only Time 7 von Enya wurde wochenlang immer in Verbindung mit dem Anschlag auf das World Trade Center gespielt. Dieser Titel hat sich dermaßen in das kollektive Gedächtnis (wobei hier wohl von einem „Weltweit-Kollektiv-Gedächtnis“ gesprochen werden kann) eingebrannt, dass man beim Hören von Only Time automatisch das Bild der zwei rauchenden und brennenden Twin-Towers vor dem geistigen Auge hat. Heutzutage scheint es „immer mehr in Mode“ zu kommen, wichtigen Ereignisse mit Musik zu kombinieren - seien sie tragisch oder lösen sie Freude aus - diese mit Musik zu kombinieren. Es könnten hierbei noch viele weitere Beispiele angeführt werden8 .

6

Wind of Change - The Scorpions (Deutschland 1990, Plattenlabel: Poly Gram Records) 7 Only Time - Enya (Irland 2000, Plattenlabel: Warner Music Group) 8 z.B. war dies auch der Fall beim Hurrikan Katrina im Jahre 2005, New Orleans oder das Musikstück England’s Rose von Elton John, das anlässlich zu Lady Diana’s Tod geschrieben wurde.

Kapitel 3

Wahrnehmung von Musik und deren Verarbeitungsprozesse Schon während der Entwicklung eines Menschen nehmen wir viele Rhythmen und Klänge wahr. Diese laufen nicht einzeln ab, sondern dringen auf uns in vielschichtiger Art und Weise ein. Beispielsweise kann ein Fötus den Pulsschlag bzw. den Atem der Mutter wahrnehmen (vgl. Kapteina, o. J., 1 ). Für den Fötus ist auch die Blutzirkulation, sowohl die der Plazenta als auch des Blutkreislaufs der Mutter, eine nennenswerte Größe. Forschungen haben ergeben, dass die Geräuschkulisse in der Gebärmutter nie unter 28 dB liegt. Bei lautem Singen der Mutter kann sie sogar 84 dB betragen. Die Stimme der Mutter ist sowieso eine der wichtigsten Schallquellen eines ungeborenen Kindes. Diese dringen sowohl von außen als auch von innen über die Beckenknochen zum Kind ein. In Anbetracht der Beckenkonstellation fungiert das Becken der Mutter wie ein großer Lautsprecher, inmitten sich die Gebärmutter und schlussendlich das Kind befindet (vgl. Spitzer, 2001, 145). Hören ist also von Anfang an ein schöpferischer Akt der Kommunikation mit sich selbst, mit Menschen und der Umgebung. Was wir hören und wie wir hören, beeinflusst unseren körperlichen, emotionalen und sozialen Zustand. Wie wir Musik, Töne und Klänge wahrnehmen und diese verarbeiten, kann in mehrere Prozesse eingeteilt werden. Diese Prozessen laufen meist parallel ab und beeinflussen sich zum Teil gegenseitig (vgl. Kapteina, o. J., 1).

3.1

Die Wahrnehmung

Wahrnehmung kann als Prozess und Resultat der Reizverarbeitung von Organismen aufgefasst werden. Dabei entwickeln sich die zu verarbeitenden Informationen zum Teil aus dem Organismus selbst und zum anderen Teil aus seiner Umwelt (vgl. Dorsch, 1987, 743). Reize, die aus der Umwelt herrühren, handeln voneinander abhängig mit bestimmten Erfahrungen, Erinnerung, Vorkenntnissen bzw. Absichten. 10

3. Wahrnehmung von Musik und deren Verarbeitungsprozesse

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Dadurch wird Wahrnehmung zu einem einzigartigen und dynamischen Prozess (vgl. Zimbardo, 1995, 160f). Viele Wahrnehmungen des Menschen laufen gar nicht bewusst ab, wiewohl eben diese nichtbewussten Wahrnehmungen das Denken und Handeln des Menschen beeinflussen. Das wohl bekannteste Beispiel hierbei ist das Blindsehen: Bei einer geringen Prozentzahl der Blinden ist es diesen Menschen möglich, spezielle Arbeiten auf korrekte Art und Weise auszuführen (für die man eigentlich die Sehfähigkeit haben müsste). So können diese blinden Menschen einen Brief, ohne vorher lange mit der Hand den Briefschlitz zu ertasten, in den Briefschlitz schieben (vgl. Ramachandran, 2001, 138ff). Schon seit dem 19. Jahrhundert gibt es Studien zur impliziten Wahrnehmung. Diese Studien bauen darauf auf, dass die Testpersonen mit Reizen unbewusst angeregt wurden, die entweder nicht wahrgenommen werden konnten, weil sie so subtil waren, dass sie sich außerhalb der bewussten Wahrnehmungsgrenze befanden oder die Aufmerksamkeit der Testpersonen auf eine andere Sache gelenkt wurde. Eine Versuchsreihe von Peirce und Jastrow im Jahre 1884 zeigte folgendes: Den Testpersonen wurden Gewichte in die Hand gelegt. Sie sollten dabei das Gewicht schätzen. Im zweiten Durchlauf wurde ihnen wieder ein Gewicht gegeben und sie sollten die Abweichung der jetzigen und der vorherigen Gewichte schätzen. Das Ergebnis war verblüffend. Die Mehrheit der Testpersonen war in der Lage, das Abweichung richtig zu deuten, wiewohl sie angaben, dass sie nur geraten hatten. Peirce und Jastrow nannten dies das „unbewusste Unterscheidungsvermögen“ (vgl. Perrig, 1993, 57). Der Prozess der Wahrnehmung ist scheinbar anfänglich nichtbewusst. So kann der Vorgang, bei dem Informationen auf die Netzhaut treffen und letztendlich ein dreidimensionales Bild entsteht, nicht bewusst gesteuert werden. Das nichtbewusste Wahrnehmen kommt also vor dem bewussten Wahrnehmen. Als Beispiel kann hier das sogenannte „Cocktailpartyphänomen“ angeführt werden. Wenn man auf einer Cocktailparty eine interessante Konversation führt, blendet man die weiteren Gäste und deren Gespräche buchstäblich aus. Diese Gäste und Gespräche werden also nicht mehr wahrgenommen. Wenn man dann seinen eigenen Namen auditiv wahrnimmt, wird man plötzlich aus dem Gespräch gerissen und konzentriert sich auf das andere Gespräch, wo man den eigenen Namen gehört hat. Es muss also ein Instanz geben, die Masse der relevanten Wahrnehmungen vorsortiert und dem Einzelnen die Entscheidung vorwegnimmt, ob diese bewusstseinstauglich sind (Birbaumer/Schmidt, 1991, 482).

3. Wahrnehmung von Musik und deren Verarbeitungsprozesse

12

Unsere Wahrnehmungen werden im sogenannten „Sinnesgedächtnis“ gelagert. Uns fällt z.B. eine Brücke, eine Burgruine oder ein Gutshof wieder ein, wenn wir ihn sehen, aber eben nur, wenn wir diese Bauten erneut wieder sehen. Die früheren Erfahrungen haben sich bei uns eingebrannt und bewirken, dass bei der erneuten Wahrnehmung des Bereits-Gesehenen wir die Dinge rascher erkennen und uns somit auf Anhieb wieder viel besser zurechtfinden. Solche Erfahrungen, die durch frühere Erlebnisse Spuren bei uns hinterlassen haben, werden zu neuen Wahrnehmungserlebnissen. Diese Erlebnisse werden auch als „Priming“ bezeichnet (Spitzer, 2002, 118f). Aus diesen unzähligen Versuchen über die Wahrnehmung konnte folgende Erkenntisse geschlossen werden (vgl. Lemke, o.J., 73f): • Die nichtbewusste Warhnehmung hat größere Kapazität, ist schneller und sensibler als die bewusste Warhnehmung • die nichtbewusste Warhnehmung kommt vor der bewussten Wahrnehmung • die Wahrnehmung erkennt Muster und ist unabhängig von bewusster Aufmerksamkeit • die Wahrnehmung kann Informationen außerhalb der normalen Wahrnehmungsgrenze erfassen

3.2

Neurologische Prozesse des Hörens

Bis vor wenigen Jahren gab es wenig Interesse über die neurologischen Prozesse des Hörens. Mit der heutigen Technologie können die bisherigen Ansichten entscheidend ergänzt werden. Anfangs waren diese stark von Messungen der Gehirnströme bestimmt, die verstärkte Aktivität im rechten Kortex 1 aufwiesen (vgl. Carlson 2004, 93). Das Hören wurde demzufolge mit in diesen Arealen ansessigen Leistungen des sofortigen, gleichzeitigen Integrieren vieler Information, z.B. das Erkennen von Gesichtern, die Fähigkeiten wie Kreativität und Intuition sowie das Auslösen von bestimmten Gefühlen durch Erinnern spezifischer Musik, in Verbindung gebracht (vgl. Haselauer 1986, 29ff).

3.2.1

Aktivität der beiden Gehirnhälften

Voneinander unabhängige Untersuchungen zeigten, dass primäre Musikverarbeitungsvorgänge in beiden Hemisphären2 des Gehirns ablaufen. Die linke Gehirnhälfte übernimmt beispielsweise die Verarbeitung von Lautstärke, die 1

Hirnrinde des Großhirns pauschale Einteilung des Groß- und Kleinhirns in zwei Bereiche: die linke Seite und die rechte Seite 2

3. Wahrnehmung von Musik und deren Verarbeitungsprozesse

13

Wahrnehmung der Klangfarbe, musikalische Intervallbestimmung, Akkorde, Tondauer, Tonhöhe sowie Rhythmus und Takt. Rechtshemisphärische Leistungen sind dagegen die Wahrnehmung von Tempoänderungen und der Ausdrucksmodalität von Tonhöhen (vgl. Spintge und Droh 1992, 17, 243ff; vgl. Bruhn 1993, 622ff.). Was die Verarbeitung der Musik in den Hemisphären des Gehirns betrifft, kann der Stand der Forschung dahingehend zusammengefasst werden, dass für das Musikhören „beide Gehirnhälften von Bedeutung sein“ können. Denn die grundsätzlich verschiedene Arbeitsweisen der beiden Hemisphären - rechts findet eine mehr ganzheitliche Gestalterfassung und links ein mehr analytisches Denken in der Reihenfolge statt - umfasst wenigstens das Verständnis jener Musik, deren syntaktische Bedeutung den analytisch strukturierenden Verstand voraussetzt (vgl. de la Motte-Haber, 1985, 23). Je mehr also ein/e Hörer/in die Musik kennt, die er hört, je mehr er gelernt hat, sie zu analysieren, je mehr er über ihre kulturelle Herkunft weiß, desto stärker werden die linkshemisphärischen Regionen beansprucht. Also sind die musikalischen Vorerfahrungen in der linken Gehirnhälfte abgelegt. Daraus lässt sich ableiten, dass das Erinnern von bestimmter Musik die linke Gehirnhälfte betrifft, da Erfahrungen immer das Erinnern einer bestimmten Sache oder einer strukturelle Abfolge meherer Schritte voraussetzen (vgl. Kapteina, o.J., 4; 3 ).

3.2.2

Das Limbische System

Weit wichtiger als die Arbeitsweise der beiden Hemisphären scheint für das Verständnis des Musikhörens die Involviertheit tieferer Bereiche des Gehirns von Wichtigkeit zu sein. Diese Erkenntnis kann auf EEG-Untersuchungen4 zurückgeführt werden, wo festgestellt wurde, dass die Gehirnaktivität bei unterschiedlichen Titeln anders ausfällt (vgl. Behne, 1988, 95 ff). Daraus folgt, dass Differenzen zwischen den Musikstücken sich nicht im oberen, kortialen Bereich auswirken, sondern in „tieferen Schichten“ (vgl. Behne, 1988, 105). Diese tieferen Schichten umfassen das Limbische System. Das Limbische System lässt sich in verschiedene Regionen unterteilen, wobei hier nur näher auf das Amygdala, dem Teil des Limbischen Systems, der bei der Emotionsgenese beteiligt ist, eingegangen wird. Emotionsgenese steht als Überbegriff für Gefühle, den Ausdruck von Emotionen, Erkennen der Signale von Emotionen bei anderen Menschen sowie das Erinnern durch Hören bestimmter Musik und deren daraus folgenden Emotionen (vgl. Carlson, 2004, 99). 3

http://www.geistundgegenwart.de/2011/03/erfahrung-erinnerung-glucksbegriff.html (07.10.2012) 4 Elektroenzephalografie: Gerät zur Messung der eketrischen Aktivität des Gehirns

3. Wahrnehmung von Musik und deren Verarbeitungsprozesse

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Die Erfahrungen, die bis jetzt in der musikpsychologische Hirnforschung erlangt werden konnte, fasste Hartmut Kapteina folgendermaßen zusammen (vgl. Kapteina, o. J., 5): Bevor wir eine Musik bewusst wahrnehmen, sie mit den Hemisphären unseres Großhirns bearbeiten, über sie nachdenken, sie beurteilen, sie genießen oder abstellen, läuft ein total anderes Programm ab, dessen Wirkung wir, wenn überhaupt, nur sehr spät im Nachhinein feststellen können und das wir nicht zu steuern vermögen, weil es sich unwillkürlich, d.h. automatisch und ohne unsere willentliche Beeinflussung abspielt. Grundlegend wird Musik (Klänge, Töne, usw.) von den Organen Ohr und Haut in elektrische Signale umgewandelt. Diese Signale werden anfänglich in die Regionen des Limbischen Systems geleitet. Hier sitzen auch die direkten Schaltungen zum Langzeitgedächtnis. Wenn wir also Musik hören, wird unser Körper in einen veränderten Zustand versetzt und erst danach findet ein Denk-, Analyse- und Beurteilungsprozess statt. Das wird ersichtlicher, wenn man bedenkt, dass das Gehör das Frühwarnsystem des Menschen ist. Sollte ein bedrohlichen Ereignis passieren, wappnet es den Organismus des Menschen für eine entsprechende Reaktion, bevor letztendlich das Ereignis wirklich eintritt. Die Tatsache, dass Musik erst einmal vor dem Denken und bewussten Kontrollieren wirksam ist, wurde (und wird noch immer) genutzt, um den Mensch zu beeinflussen. Als Beispiel kann die Verwendung von Musik in der Werbung, bei der Leitmotivtechnik beim Film oder von Musik im Supermarkt genannt werden (vgl. Kapteina, o. J., 5ff).

3.2.3

Das Langzeitgedächtnis

Wie auch das Limbische System ist auch das Langzeitgedächtnis in verschiedene Regionen eingeteilt. Hierbei übernimmt das linksseitige Ammonshorn die Schaltstelle für Gedächntnis und Gefühl (siehe Abb. 3.1). Boris LubanPlozza äußerte sich zum Ammonshorn in Verbindung mit dem Langzeitgedächtnis folgendermaßen (1988, 56): Das Ammonshorn sei das „Tor zum Gedächtnisspeicher“, und beim Hören der Konsonanzen und Dissonanzen der Musik träten „verborgene, verschüttete und gefühlsbetonte Inhalte aus dem Unbewussten“ hervor. Das Ammonshorm ist sozusagen die Schaltfläche für Gedächtnis und Gefühl. Diese nicht beeinflussbare Vernetzung mit dem Langzeitgedächtnis lässt sich aus der Funktion des Gehörs als Frühwarnsystem erklären. Ohne zeitaufwendige Verarbeitung des vernommenen Klangs wird dieser im Gehirn mit früheren Klangerfahrungen verglichen und kann hierbei mit früheren

3. Wahrnehmung von Musik und deren Verarbeitungsprozesse

15

Abbildung 3.1: Hirnphysiologische Prozesse bei Musikhören

Erfahrungen verknüpft werden, wägt unser Gehirn ab, ob es Grund zur Beunruhigung gibt oder nicht. Beim Hören von Musik können auf diese Weise Bilder oder Szenen wieder zum Vorschein kommen, die mit angenehmen Gefühlen verbunden sind. Ebenso können aber auch unangenehme Situationen wieder ins Bewusstsein treten. Häufig aber kommen diese Vernetzungen mit Inhalten des Langzeitgedächtnisses gar nicht ins Bewusstsein. Sie bleiben vorbewusst und wirken bei der Entstehung des Musikerlebnisses am Rande mit (vgl. Luban-Plozza, 1988, 127ff).

3.3

Physiologische Prozesse des Hörens

Unmittelbar mit der Erinnerungsfunktion verbunden ist die Auslösung vegetativer Handlungen. Musik bringt das vegetative Nervensystem zum Mitschwingen - und interessanterweise auch dann, wenn unsere Konzentration nicht auf eben ein bestimmtes Musikstück gerichtet ist, so dass wir die dargebotene Musik nicht einmal bewusst wahrnehmen. Der Körper reagiert sofort auf die Musik. Und zwar mit Pulsbeschleunigung, Veränderung des Blutdrucks, Veränderung des Hautwiderstandes und sogar der Stoffwechsel und die Verdauung zeigen eine deutliche Veränderung des Verarbeitungsprozesses auf (siehe Abb. 3.1). Mitfließender Faktor für diese physiologischen Reaktionen ist natürlich die Haltung zur gehörten Musik, das momentane Wohlbefinden aber auch die musikalische Vorbildung (vgl. Kapteina, o. J., 6).

3. Wahrnehmung von Musik und deren Verarbeitungsprozesse

16

Um herauszufinden welche Wirkung Musik auf den Menschen hat, wurden einige Untersuchungen durchgeführt. Und dabei ist man auf zwei verschiedene Wirkungsweisen von Musik gestoßen - zwei verschiedene Musikpakete, auf die der menschlichen Körper genau gegensätzlich reagiert:

3.3.1

Ergotrope Wirkung von Musik

Unter ergotroper Musik versteht man an sich arbeiten, aktiv sein, stimulieren. Dieser Begriff bezieht sich aber nicht auf die Musik an sich, sondern auf die beobachteten Reaktionen der Menschen auf diese Art von Musik. Als ergotrop wird eine Musikwirkung bezeichnet, bei der die Körperfunktionen des/der Hörers/Höherin aktiviert werden und dadurch die Aufmerksamkeit gezielt auf eine bestimmte Sache gelenkt werden kann (vgl. Liedtke, 1985, 42). Die Eigenschaften dieser Musik sind: • Musik, die auf harten Rythmen aufbaut • Veränderung des Tempos im Verlauf des Stückes (wird meist schneller) • Sie steht vorwiegend in Dur-Tonarten • Sie weist Dissonanzen (= Unstimmigkeit, das heißt ein Zusammentreffen von einander widerstrebenden Tönen) auf • Sie wird mit höheren Dezibelstärken gehört Konsequenzen von ergotroper Musik sind beispielsweise Erhöhung des Blutdrucks, Pupillenerweiterung und Beschleunigung von Atemfrequenz und Puls. Das gefährliche kommt eigentlich nicht aus der Musik selbst, sondern vielmehr aus ihrer Handhabung durch den Menschen. In der Musiktherapie kann dieser, positiv stimulierende, ermutigende Baustein der Musik nicht nur konstruktiv eingesetzt werden, sondern kann sehr wohl auch das Gegenteil bewirken. Er kann schädigen, verletzen (im physischen Sinne) und sogar tödlich sein. Die vorher schon angeführten Wirkungen dieser Musik führen in Summe zu bewusstseinsveränderten Zuständen, wie sie sonst nur mit stärkeren Rauschmittel erreicht werden (deren Einnahme die selben Reaktionsmerkmale aufweisen) (Decker-Voigt, 2000, 63).

3.3.2

Trophotrope Wirkung von Musik

In der Musiktherapie spricht man bei beruhigender und entspannender Musik von trophotroper Musik. Der Begriff trophotrop bezeichnet den Zustand des

3. Wahrnehmung von Musik und deren Verarbeitungsprozesse

17

vegetativen Nervensystems, der der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit dient. Umgangssprachlich wird sie oft als Musik „zum Auftanken“ bezeichnet. Trophotrope Musik ist durch harmonische Klänge und ein sanftes Fließen der Melodie gekennzeichnet. Der Rhythmus ist gleichmäßig, oft wiegend und frei von harten Akzenten, die Melodiebögen sind weit. Bei einer Taktfrequenz von 60 - 80 Schlägen pro Minute wirkt die Musik besonders beruhigend auf Herzschlag und Atmung. Dadurch wird der entspannende Effekt auf Körper und Seele erzielt. Forscher der Universität von Taiwan konnten die beste Wirkung bei klassischer Musik, Jazz und Folkmusik feststellen. Ebenso können in den gängigen Schlafliedern die Merkmale entspannender, beruhigender Musik gefunden werden5 . Nach einer Untersuchungreihe wirkt klassische Musik mit dem Grundschlag 60 pro Min. beruhigend auf Körperrhythmen, löst TiefEntspannung bei gleichzeitiger geistiger Leistungssteigerung aus. „Der Herzschlag verlangsamte sich um durchschnittlich 5 Schläge pro Minute, der Blutdruck sank, wobei die Messung der Gehirnwellen ein ähnliches Bild zeigten wie bei meditierenden Personen“ (vgl. Haselauer, 1986).

3.4

Tiefenpsychologische Prozesse des Hörens

Viele Forscher implizieren frühste Klang- und Musikerlebnisse des Menschen mit der Erfahrung von Angst und den Versuch, diese Angst zu bewältigen. Der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Harm Willms weist auf die Besonderheit hin, in der Säuglinge Geräusche im Gegensatz zu anderen Reizen wie Druck- und Temperatureinflüsse erleben (1975, 25f): Bei optischen Reizen kann er die Augen schließen, bei taktilen Reizen ist es ihm nach wenigen Tagen bereits möglich, sich zu entziehen. Dem Geräusch gegenüber besteht jedoch eine gewisse Wehrlosigkeit, die als Ausgeliefertsein oder ausgesetzt Sein erlebt werden muss. So kommt es zu einer frühen Verbindung zwischen dieser präverbalen akustischen Erfahrung, dem Geräusch, und einer als bedrohlich erlebten Außenwelt. Etwas später macht der Säugling auch noch andere akustische Erfahrungen, die angenehmer sind: die beruhigende Stimme und das Singen der Mutter. Das Kind erkennt die Stimme der Mutter wieder und wirkt durch 5 http://suite101.de/article/einschlafen-mit-musik-schlaflieder-und-entspannungsmusika99648#ixzz26H89qxBg

3. Wahrnehmung von Musik und deren Verarbeitungsprozesse

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die konstante Zuwendung beruhigt. Das Wiedererkennen bedeutet außerdem ein Lusterlebnis da es möglicherweise entstandene Angst wegen des Nichtvorhandenseins der Mutter wieder löst. Umgekehrt schreit ein Neugeborenes bei Erfahrungen von Unlust und lernt bald, dass sein Schreien die Mutter herbeiruft und ihm dadurch Aufmerksamkeit schenkt, ihn füttert, usw.. Er lernt also hierbei, dass es mit Hilfe der eigenen akustischen Mitteilung die klangliche Außenwelt beeinflussen kann, es prägt, verändert und mit diesem auditiven Eingriff in die ihn umgebende Klangwelt die Lebensumstände verändert (die Mutter kommt herbei und wendet sich dem Baby zu) (vgl. Kapteina, o. J., 10). Insofern kann man auch sagen, dass der Schmerz die „ursprüngliche Quelle der Musik“ 6 ist, denn im Schmerz werde die Musik als wirksame Kraft erlebt, indem sie ihn in einem größeren Sinnzusammenhang einzuordnen versucht. So z.B. nimmt der Klagegesang „den erlebten Schmerz auf und bindet ihn ein in die im Gesang körperlich nah vergegenwärtigte Erfahrung des Geordneten, Guten und Sinnhaften, beruft sich auf sie und hält an ihr fest“ (Harz 1982, 73). Der nonverbale Wesenszug eröffnet der Musik den Zugriff auf menschliche Erfahrungsqualitäten, die vor der Zeit des Spracherwerbs liegen. Diese Erkenntnis veranlasste nach einem Erlebnis mit Musik zu dem euphorischen Bekenntnis. Boris Luban-Plozza (Luban-Plozza, 1988, 154) äußerte sich folgendermaßen dazu: Das eröffnet eine ganz neue Forschungsrichtung, von der ich mir nie hätte träumen lassen. Das, was Sie mir heute gezeigt haben [...] lässt mich fühlen, dass Musik von jetzt an ein wesentlicher Bestandteil einer jeden Analyse sein müsste. Sie gelangt zu tiefem archetypischem Material, zu dem wir in unserer analytischen Arbeit mit Patienten nur selten gelangen. Laut Claudia Schumann sind musikalische Erfahrungen „mit Erlebnissen oder Erinnerungen aus meist sehr frühen Stadien der individuellen Entwicklung“ verknüpft. Insofern hat die Musik „für jeden einzelnen, der sie hört oder ausübt, eine ganz individuelle Bedeutung“. Des Weiteren könne das Musikerleben „alte Emotionen mobilisieren, Erfahrungen intensivieren und vertiefen und psychische Abwehrmechanismen durchbrechen“ (1982, 31). Die Erinnerung und Abspeicherung von bestimmten Klängen war frühzeitlich überlebenswichtig. So konnte der Ur-Mensch nur überleben, weil er fähig war, sich an bestimmte Klänge und Geräusche von für ihn bedrohliche Tieren zu 6

vgl. Mosonyi, IMAGO - Zeitschrift für psychoanalytische Psychologie ihre Grenzgebiete und Anwendungen, 207

3. Wahrnehmung von Musik und deren Verarbeitungsprozesse

19

erinnern und deshalb die Flucht ergreifen konnte, bevor das Tier zum Angriff überging. Aber auch war es von Wichtigkeit, dass der Mensch vertraute harmonische Klänge von fremden unterscheiden zu können (siehe Säugling - Mutter). Mit dem Erinnern von Klängen konnte er also auch spezifische Laute seiner Gemeinschaft, in der er lebte, ausmachen und dadurch beispielsweise von weitem „erhören“, wo sich sein Volk aufhielt bzw. von Freund und Feind differenzieren.

3.5

Emotionale Prozesse des Hörens

Spintge und Droh (1992, 20) weisen darauf hin: Insbesondere im Limbischen System sind lokalisierbare Neuronen - Schaltkreise angelegt, durch die von allen Menschen anscheinend gleich verschiedene Emotionen wie Angst, Wut, Liebe, Freude, Neid, Trauer, Eifersucht, schlechtes Gewissen etc. erlebt werden - sogenannte neurophysiologische patterns. Impulse des nervus acusticus beeinflussen direkt die im Limbischen System lokalisierten emotional aktivierenden Strukturen. Das bedeutet, dass schon auf neurologischer Basis die emotionale Wirksamkeit des Musikhörens angelegt ist. Klaus-Ernst Behne stellte sich die Frage, in welchem Umfang Kinder im Alter von 11 bis 17 Jahren über „Strategien verfügen“, Musik als Ausgleich bzw. Rückführung zum geistigen und körperlichen Normalzustand, etwa zur Bewältigung unangenehmer Stimmungen und Gefühle einzusetzen. So wurden die Testpersonen gefragt, welche Art von Musik sie gerne hören, wenn sie von einem guten Freund bzw. einer guten Freundin enttäuscht worden sind und sich deshalb Aggressionen aufgebaut haben. Das Ergebnis zeigte, dass Kinder in einer solchen Situation entweder ruhige Musik einsetzen, um sich mit ihr zu trösten, oder laute und aggressive Musik nutzen, um in ihr Gefühle der Rache auszuleben. Zu ersterem tendieren eher die Mädchen, zu letzterem neigen eher die Jungen (vgl. Behne, 1993). In verschiedenen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Berufsmusiker/innen eigene Musikstücke so schreiben können, das der/die Rezipient/in die jeweils suggerierten Gefühle wie z.B. Freude, Trauer, Beklemmtheit, Ärger und Feierlichkeit weitgehend ausmachen können. Mergl, Piesbergen und Tunner (1998, 69-81) zeigten erstmals in einer Studie mit 20 Gymnasialschüler/innen im Alter von 17 bis 20 Jahren sowie mit 74 Studierenden und Bediensteten einer Behörde auf, dass auch musikalische Laien in spontanen Improvisationen auf Glockenspiel und diversen Xylophonarten die Basisemotionen Wut, Trauer, Angst und Freude ausdrücken und als Zuhörer

3. Wahrnehmung von Musik und deren Verarbeitungsprozesse

20

identifizierbar sind. Das allgemein menschliche Vermögen, mittels Musik Gefühle zu übermitteln, führt Klaus Ernst Behne auf das Phänomen der Geste zurück; spezielle Gefühle entsprechen bestimmte Körpergesten, z.B. Handbewegungen bzw. Körperbewegungen, die in den Bewegungen der Klänge wiedererkannt und eingeordnet werden können (vgl. Behne, 1982, 125-145).

Kapitel 4

Musik als Erinnerungs-Therapie Bei der Erforschung von Demenz stellte sich heraus, dass bei Alzheimerpatienten sowohl eine Störung des Kurzzeitgedächtnis, als auch des Langzeitgedächtnis vorliegt. Der Anknüpfungspunkt bei Alzheimerpatienten ist das Langzeitgedächtnis, da dieses länger erhalten bleibt als das Kurzzeitgedächtnis. Für die Stimulation des Langzeitgedächtnisses wird immer öfters die Musiktherapie eingesetzt. Professor Hans Förstl, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Alzheimer Forschung Initiative e. V. erklärt wie folgt, wie durch Musiktherapie die Erinnerung zurückkehren kann: Bei der typischen Alzheimer-Demenz wird das wortbezogene Gedächtnis als erstes gestört. Ein großer Teil des Gedächtnisses, das so genannte implizite Gedächtnis, sei hingegen noch intakt. Die Musik setze genau dort an. Ausgelöst durch Schlüsselreize seien alte Erinnerungen plötzlich wieder da. Alzheimer-Patienten können gesprochene Informationen besser im Gedächtnis behalten, wenn man diese in Zusammenhang mit für sie bekannte Musik präsentiert. Aber was genau kann man unter Musiktherapie verstehen? Kenneth E. Bruscia hat Musikttherapie wie folgt beschrieben (vgl. Brusica, 1998, 20; Übersetzung: Manfred Spitzer): Musiktherapie ist ein systematischer Prozess der Intervention, in dessen Rahmen der Therapeut dem Klienten hilft, seine Gesundheit durch den Einsatz musikbezogener Erfahrungen und der sich daraus entwickelnden Beziehungen zu fördern. Wissenschaftler der Universität in London zeigten in einer Studie die Aktivierung der Gedächtnisse einer Testgruppe dementer Patienten mit Antonio 21

4. Musik als Erinnerungs-Therapie

22

Lucio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. Während dieser Studie wurden Alzheimerpatienten verschiedene Fragen gestellt, bei dem im Hintergrund eben diese Musik abgespielt wurde. Bei einer wiederholten Durchführung des Tests wurden den Patienten nochmals die selben Fragen gestellt, diesmal aber mit einer weitaus weniger bekannten Musik. Der Versuch wurde schlussendlich noch mal durchgeführt, diesmal aber mit keiner musikalischen Untermalung. Das Resultat der Studie war, dass die Alzheimerpatienten die Fragen im ersten Durchlauf am korrektesten beantworten konnten. Die Forscher konnten also darauf schließen, dass mit bekannter und vertrauter Musik die Gedächtnisleistung und somit auch das Erinnerungsvermögen der Patienten signifikant optimiert werden kann. Man kann immer wieder beobachten, dass Alzheimerpatienten, die bettlägerig sind und überhaupt keine Motivation aufbringen können, diesen Zustand zu ändern, beim Abspielen einer für sie bekannten und vertrauten Musik aus ihrer Jugend plötzlich regelrecht aus dem Bett springen und singend zu tanzen beginnen. Es scheint, als hätten sie neuen Lebensmut gefasst. Sobald aber die Musik ausgeschaltet wird, fallen sie in die vorherige Starre und Motivationslosigkeit zurück. Bei solchen Patienten ist ersichtlich, dass die Musiktherapie die einzige Möglichkeit ist, ihre Lebensqualität zu verbessern (vgl. Spitzer, 2001, 432f). Bei demenzkranken Menschen kommt es oft vor, dass die Fähigkeit der Kommunikation immer mehr abnimmt. Das rührt durch den immer mehr zunehmenden Gedächtnisverlust und die dadurch entstehende Sprachstörung. Ein weiterer Faktor ist der Umstand, dass manche Patienten in eine Depression fallen. Diese Depression entsteht vor allem in der Anfangszeit der Alzheimererkrankung, da es den Patienten schwer fällt, sich den Mitmenschen ihres Umfelds passend mitzuteilen und sie darunter sehr leiden. Musik kann hierbei Kommunikation auf nonverbaler Ebene sein. In der Musiktherapie eröffnet sich dem Alzheimerkranken dadurch die Möglichkeit, mit anderen in Kontakt zu treten. Dabei kann in Verbindung mit Musiktherapie häufig ein positiver Effekt auf die Stimmung durch die beruhigende und anregende Wirkung von Musik bei Patienten beobachtet werden. Klänge, Rhythmus und Liedtexte sind Auslöser für das Erinnern von Vergessenem und Gefühlen. Rhythmus, Musiktempo, Dur- und Molltonart eines Stückes stehen in engem Verhältnis mit dem Gefühl von Zeit, die für Demenzkranke oft nicht mehr einschätzbar und dadurch erlebbar zu sein scheint. Als Teil einer musizierenden Gruppe beispielsweise erschließt sich dem Patienten ein Zeitgefühl und verhilft auf diese Weise zur Orientierung und Integration. Musik entspannt, tröstet, motiviert und verleiht Antrieb.

4. Musik als Erinnerungs-Therapie

23

Selbst die Entwicklungsfähigkeit, wie das Spielen auf einem bisher fremden Instrument, wird bei einem gegenläufigen Abbau von Körper und Geist beschrieben. Das Ziel der Musiktherapie ist u.a. die Optimierung der Lebensqualität, die in Altenheimen häufig von einer gewissen Eintönigkeit geprägt ist. Die Betreuung und Behandlung durch Fachpflegepersonal lässt Patienten passiver und unselbstständiger werden. Ein Stück Autonomie kann durch selbstpraktiziertes Musizieren im ansonsten eher fremdbestimmten Alltag zurück gewonnen werden. Auch wird dadurch die Sprechfähigkeit stimuliert und verbessert, wenn auch nur für den Moment. Die meisten alten Menschen musizieren gern, da dies eine Verbindung an ihre Jugend ist, wo singen fester Bestandteil des Lebens war und viele positive Erinnerungen wieder wachgerufen werden können. Daher spielt Gesang eine herausragende Rolle in der Musiktherapie mit alten und dementen Personen. Einige Institutionen beginnen jede Stunde mit einem Begrüßungslied, das für die Gruppe geschrieben wurde. Hierbei wird jeder mit dem Namen begrüßt und einzeln angesprochen. Durch das ständige Wiederholen wird dieses Lied zu Beginn zu einem kleinen Ritual, das den Patienten das „sichzurecht-finden“ ungemein erleichtert. Es hat sich hierbei herausgestellt, dass die einzelnen Patienten die Namen der anderen Teilnehmer besser in Erinnerung halten können und fühlen sich dadurch auch in die Gruppe integriert. Pflegenden wird empfohlen in der Biographie ihrer Patienten nach deren „Musik-Geschmack“ zu recherchieren, in dem man beispielsweise Angehörige dazu befragt. Denn eventuelle Abneigungen gegen bestimmte Musikstile können gegenteilige Wirkungen hervorrufen. Es ist also von großer Wichtigkeit, einen positiven persönlichen Bezug zum Patienten aufzubauen (vgl. Vanecek, Vortragungsskript WS 2003/20041 ).

1

diejenigen Absätze in diesem Kapitel, die nicht explizit gekennzeichnet sind, wurden als Vergleich aus Vaneceks Vortragsskript herangezogen

Kapitel 5

Audio-Branding 5.1

Was ist Audio-Branding

Versucht man beim Fernsehen mit geschlossenen Augen akustische Klänge oder Musik zuzuordnen, wird man mit großer Wahrscheinlichkeit schon nach wenigen Werbeblocks mindestens eine Marke auf Anhieb erkennen. Wiewohl die dramaturgische Konzeption der Fernsehwerbung im Allgemeinen vorsieht, dass der Name des beworbenen Produkts erst am Ende des Spots für den/die Zuschauer/in ersichtlich ist, ist es bei den meisten Werbespots trotzdem nicht schwer, sie vorher zu erkennen und dem Produkt zuzuordnen. Das setzt natürlich ein bewusstes „Anhören“ der Werbung voraus. Die auditiven Ereignisse, die unser Ohr aufnimmt sind in diesem Fall so präzise und nachhaltig, dass Markeninformationen, die wir bereits in anderen Zusammenhängen aufgenommen haben schnell mit der dazu etablierten Klangwelt verbunden und ins Gedächtnis gerufen werden. In der heutigen Zeit kann also kaum noch für eine vielversprechende Werbung auf Sound verzichtet werden (vgl. Winterhagen, 2006, 1). Frank Hartmann äußerte sich in diesen Zusammenhang folgendermaßen (vgl. Hartmann, 2008, 32): Die Welt ist entschieden lauter geworden. Ohne entsprechenden Sound geht gar nichts mehr: überall und immer wieder Jingles, Kennmelodien, Warnpiepser, Rhythmen, Basswummern und die immer gleichen Samples. Als Audio-Branding (entspricht akustische Markenführung) gelten Klangmarken, die ähnlich wie ein visuelles Logo wirken. Sie dienen durch Einsatz akustischer Elemente (wie Musik, Klang, Geräusche, usw.) dem Markenaufbau und der Markenpflege im Rahmen der Markenkommunikation. Werden Klang und speziell Musik dabei so eingesetzt, dass sie das gesamte Unternehmen in der Öffentlichkeit vertreten und dem Unternehmen so 24

5. Audio-Branding

25

eine wieder erkennbare bzw. klare Unterscheidbarkeit zu anderen Unternehmen verleihen, spricht man vom „Coperate Sound“. Man kann hier von der auditiven Form des „Coperate Design“ sprechen. Auditive Impulse können den Konsumenten darüber hinaus auf emotionale Art und Weise ansprechen. Angesichts dieses Faktors liegt es nahe, dass die Werbefirmen Musik für kommerzielle Zwecke verwendet. Dies ist aber keine neue Erscheinung. Musik in Werbung funktioniert ähnlich wie das „Eismann-Prinzip“. Sowie der Eismann mit Hilfe seiner Glocke die Kinder anlockt, bedienen sich schon seit jeher Händler/innen jeglicher Kulturen der Musik, um die Kaufbereitschaft der Kunden/Kundinnnen zu intensivieren (vgl. Winterhagen, 2006, 1f). Die Verwendung von Musik zu Zwecken der Werbung ist dennoch keine Erfindung der heutigen Zeit, sie geht nicht erst auf die Inbetriebnahme der ersten kommerziellen Rundfunksender Anfang der 1920er Jahre zurück und schon im Mittelalter warb „Mann“ beispielsweise mit Minnegesang um die Gunst einer Dame (vgl. Helms, 1981, 30). Musik scheint immer mehr Teil der Warenästhetik zu werden. Dieser Prozess, der sich über Jahrhunderte entwickelt hat, ist heutzutage eine Notwendigkeit geworden um wieder akustisch differenzierter wahrnehmen zu können. Das Sound-Design für den Einsatz von einer Form der Manipulation der Kunden/Kundinnen findet dabei bei einer Vielzahl an Medien Anwendung (vgl. Hartmann, 2008, 33). Feststeht, dass Musik Ausdruck der eigenen Persönlichkeit ist. Dies lässt sich auch daraus erkennen, dass sich mittlerweile viele Menschen ihren eigenen individuellen Handyklingelton komponieren. Analog dazu können auch Produkte durch Musik und Klang ihrer Identität Ausdruck verleihen. Der Begriff Audio-Branding steht hierfür auch für diese Identität und birgt auf gewisse Art und Weise jeglichen Klang, mit dem der/die Hörer/in eindeutig ein Produkt (oder eine Marke) in Verbindung bringt (vgl. Winterhagen, 2006, 2). Musik und Klang werden gewissermaßen zum auditiven Markenzeichen des Produkts und bei einer konsequenten Beibehaltung sogar zum unternehmerischen Markenzeichen (vgl. Schierl, 2001, 89).

5.2

Die Wahrnehmung und Wirkung von Musik in Werbung

Noch immer liegen sehr wenige empirische Studien zur Wirkung von Musik im Allgemeinen vor. Wenn man einzelne Studien miteinander vergleicht, lässt sich auch feststellen, dass diese in ihren Untersuchungsmethoden wie auch in ihren Resultaten signifikant voneinander abweichen (vgl. Reimann, 2008, 38). Forschungsarbeiten, die sich mit der Thematik Werbemusik, und inwieweit diese das dazugehörige Erinnerungsvermögen von Rezipienten/Rezipientinnen beeinflusst zeigt die Tabelle (siehe Abb. 5.1) im Überblick (vgl. Vinh, 1994, 60).

5. Audio-Branding

26

Abbildung 5.1: Forschungsergebnisse zur Thematik Einfluss der Musik auf das Erinnerungsvermögen. (TV) = Television, (R) = Radio

Eine neue Studie, die auf „Spot-Analyse-Radio (SARA)“ basiert, konnte hinsichtlich der Erinnerung von Werbekampagnen und Spoterinnerung keine aussagekräftige Verbesserung durch den Einsatz von Musik aufweisen (vgl. Gaßner, 2003). Die Studie legte Augenmerk auf verschiedene Gesichtspunkte von Werbemusik. Unter anderen konnte festgestellt werden, dass Werbespots, die spannende, energische Musik verwendet hat, deutlich besser in Erinnerung blieben. Der Einsatz von ruhiger, fließender Musik zeigte jedoch keine Verbesserung von Werbespot-Erinnerung. Es zeigte sich auch, dass „Spots mit bekannten Melodien“ wesentlich besser in Erinnerung blieben (55 Prozent vs. 44 Prozent) und auch als „für besser“ bewertet wurden (40 Prozent vs. 37 Prozent) als Spots mit unbekannter, fremder Musik (vgl. Gaßner, 2003). Das ergab einen Wandel in der Wahl von Werbemusik. Immer mehr Werbetreibende setzen deshalb auf populäre Musik (vor Allem in Hörfunkspots), da vertraute Strukturen bzw. bekannte Klangbilder besser aufgenommen werden. Die Frage, inwiefern und unter welchen Bedingungen Musik auf die Erinnerung der Rezipienten/Rezipientinnen hinsichtlich Werbespots, Kampagnen oder Marken wirkt, konnte von Seiten der Forschung bislang noch

5. Audio-Branding

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nicht abschließend beantwortet werden (vgl. Reimann, 38ff). Ein ähnliches Bild der Forschungslage stellt sich auch ein, wenn man den Einfluss der Musik auf die „Präferenz“ für beworbene Produkte und Marken betrachtet. So zeigte Gorn in einem Experiment folgendes auf: Es wurden Versuchspersonen Dias von beigen und blauen Kugelschreibern gezeigt, wobei beim Ablaufen der Dias bei einer Kugelschreiber-Farbe Musik eingespielt wurde. Nach dem Versuch durften sich die Versuchspersonen einen Kugelschreiber aussuchen. 79 Prozent der Versuchsteilnehmer/innen entschieden sich für den Kugelschreiber, bei dem im Versuch die Musik mit abgespielt wurde. Dieser Konditionierungseffekt stellte sich jedoch nicht ein, als man vorher den Versuchspersonen über die Vorzüge bzw. die Nachteile einer der beiden Kugelschreiber aufzeigte (Gorn, 1982, 94-101). Bei einem ähnlichen Experiment, wo diesmal die Musikpräferenz untersucht werden sollte, konnten Pitt und Abratt feststellen, dass Musikpräferenz keinen Einfluss auf die Produktpräferenz bzw. Produktwahl hatte (Pitt/Abratt, 1988, 130-137). Park und Young priesen zunächst den Versuchsteilnehmern/Versuchsteilnehmerinnen die Vorzüge eines bestimmten Shampoos an, während einer anderen Gruppe initiiert wurde, dass Shampoo keine Notwendigkeit hat. Diese beiden Gruppen wurden ein weiteres Mal aufgeteilt, und bei der anschließenden Präsentation des Shampoos spielte man zwei Teilgruppen davon präferierte Musik vor - den anderen zwei Gruppen wurde eine Präsentation ohne Musik gezeigt. Das Ergebnis des Versuches fiel folgendermaßen aus: Von den Teilgruppen, die sich anfangs nicht für das Shampoo interessierten, beurteilten das Produkt positiver, welche bei der Präsentation angenehme Musik hörten. In den Teilgruppen, die durch Pre-Informationen schon einen Bezug für das Shampoo aufgebaut hatten, hatte die Musik eher einen negativen Effekt. Es ließ sich also feststellen, dass hier die Musikuntermalung bei dieser Teilgruppe als tendenziell störend empfunden wurde. So kamen Forscher zu dem Ergebnis, dass Musik die Produktpräferenz nur dann beeinflusst, wenn im Vorfeld die Aufmerksamkeit der Rezipienten/Rezipientinnen gegenüber dem Produkt eher gering bis gar nicht vorhanden ist. Bei hoher Involviertheit bzw. beim Auslösen der Kaufmotivation mit Hilfe einer Präsentation (wo Vorzüge markant dargelegt werden) hat Musik keine Auswirkung auf Produktpräferenz und Auswahlverhalten (vgl. Park/Young 1986, 11-24; Reimann, 2008, 40).

5. Audio-Branding

5.3

28

Formen von Audio-Branding

Die Werbetreibenden1 bedienen sich verschiedener akustischer Markenelemente. Die als am wichtigsten geltenden werden hier aufgeführt.

5.3.1

Audiologo

Das akustische Logo eines Unternehmens oder einer Marke wird Audiologo bzw. Sound-Logo genannt. In der Literatur der 90er-Jahre findet man vor allem die Begriffe Kurz- oder Kennmotiv. Da es nicht richtig wäre, die auditive Untermalung eines visuellen Logos auch unter visuelles Logo fallen zu lassen, wurde der Begriff Audiologo oder im englischsprachigen Raum Sonic Logo eingeführt (vgl. Riehtmüller, 1973, 69-79). In Verbindung mit dem visuellen Logo kann man hierbei von einer „Symbiose“ sprechen. Das Audiologo sollte in der Regel nicht länger als ein paar Sekunden dauern, prägnant sein, einprägsam sein bzw. einen Erinnerungseffekt auslösen können, im weitesten Sinne geräuschartig bis melodisch sein und es kann instrumental auftreten, als auch gesprochen oder gesungen werden (vgl. Pysiewicz, 2009, 102). Das Audiologo übernimmt in Werbespots nur einen kleinen Teil. Es wird meist am Ende eines Werbespots in Zusammenhang mit dem visuellen Logo eingesetzt. Als Paradebeispiel kann hierbei das Audiologo von Telekom angeführt werden, dass (nur aus fünf Stakkato-Tönen bestehend) am Ende eines Spots hörbar ist. Das Audiologo kommt meist bei folgenden Bereichen zum Einsatz: • In Telefonwarteschleifen: Das Audiologo kann in ein längeres Musikstück involviert werden, dass in regelmäßigen Abständen wiederholt wird. • In Firmen-Präsentationen: Bei Firmen- bzw. Messepräsentationen kann das Einbetten des Audiologos den ganzheitlichen Unternehmensauftritt fördern. • In technischen Produkte: Das Audiologo wird bei technische Produkte wie beispielsweise beim Mobiltelefon eingesetzt. Es könnte hier beim Einschalten des Telefons erklingen2 . 1

Dabei wird in dieser Masterthesis nicht zwischen Werbetreibende für Hörfunkwerbung und Werbetreibende für Werbespots unterschieden 2 Dieser Trend geht aber mittlerweile immer mehr zurück, da ein individueller Klingelton Ausdruck der Persönlichkeit des/der Handybesitzers/Handybesitzerin ist (siehe Kapitel 5 Punkt 5.1)

5. Audio-Branding

5.3.2

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Jingle

Unter Jingle versteht man ein gesungenes Lied für einen Werbespot bzw. Hörfunkspot, welches meist auf humoristische Weise ein Produkt bewirbt. Es handelt sich hierbei um einen kurzen Vers oder um eine Melodie, die sich ins Gedächtnis des/der Rezipienten/Rezipientin einbrennen und parallel die verschiedenen Eigenschaften des Produkts aufzeigen sollen (vgl. Jackson, 2003, 9). Klauf Wüsthoff beschreibt die positiven Eigenschaften von Jingles folgendermaßen (1999, 22): In nur zwei bis drei Sekunden der Spotzeit kann der Produktname in plakativster Weise, sogar nebst seiner hervorstechendsten Eigenschaft so akustisch wahrnehmbar gemacht werden, dass die Wirkung von Musik und Wort aufeinander fällt. Musiksignal und Markt-Ausruf erfolgen gleichzeitig. Der Jingle hat Auftakt und Schluss in sich, ist Doppelpunkt und Ausrufezeichen in Einem, ist Ankündigung und Schluss-Apotheose. Werbespots, die sich eines Jingles bedienen, erscheinen heutzutage eher antiquiert. Eine Theorie sieht den Grund für die immer weniger werdende Verwendung des Jingles in der heutigen Werbung darin, dass ein Jingle viel zu augenscheinlich die Verkaufsaussage vermittelt und außerdem zu einfach von dem/der Konsumenten/Konsumentin als manipulierende Werbebotschaft aufgedeckt werden kann. Dadurch entsteht eine Art Abwehrhaltung gegenüber der Werbekommunikation (vgl. Jackson, 2003, 416). Diese Theorie wird im Fachjargon als „Reaktanz“ bezeichnet. Das heißt, dass sich der/die Konsument/in in seiner/ihrer Verhaltensfreiheit eingeschränkt fühlt und dadurch, meist unbewusst auf diese Kommunikation der Werbung mit Trotzreaktionen reagiert (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg, 2003, 207). Dadurch, dass Jingles oftmals einen lustigen und fröhlichen Charakter aufweisen, wird der „Reaktanz“ damit so gut wie möglich entgegengesteuert.

5.3.3

Werbelied

Das Werbelied fungiert funktional und formal wie ein Jingle. Der markanteste Unterschied dabei ist, dass das Werbelied über die gesamte Dauer des Werbespots gespielt wird. Ein wesentlicher Vorteil des Werbeliedes (ähnlich wie beim Jingle) kann hierbei die aufkommende Freude des/der Rezipienten/Rezipientin sein, wenn er/sie das Werbelied wieder hört. Eingängige Werbelieder können beispielsweise schnell erlernt und somit mitgesungen werden. Diese Involviertheit steigert die Lust am gesamten Werbespots und somit die Motivation am Kauf des beworbenen Produktes. Bertoni und Geiling sehen den Vorteil beim Werbelied darin, dass der Eigenwert der Musik stärker betont und die Musik an sich stärker an die Präferenzen der Zielgruppe sowie

5. Audio-Branding

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an das Produkt selbst angepasst ist (vgl. Bertoni/Geiling, 1997, 417). Es wird sozusagen mit dem Produkt „harmonisiert und favorisiert“. Das einige Werbelieder u.a. an schon bekannte Musik angelehnt sind, trägt sicherlich auch dazu bei, Lust auf die Werbung zu machen. Das impliziert auch, dass die Gedankenleistung des/der Rezipienten/Rezipientin minimiert wird (vgl. Steiner-Hall, 1990, 64). Ein Nachteil von Werbeliedern kann jedoch sein, dass durch die Anpassung des Textes, dieser eher gekünstelt, oder beinahe schon albern wirken kann (vgl. Behrens, 1996, 67). Doch immer wieder gut funktionieren Werbelieder bei Kinderwerbung, weil hierbei das Werbelied in unterhaltsamer und vor allem auf naiver Art und Weise Kinder anspricht und die Lust am Werbespot erhöhen kann.

5.3.4

Hintergrundmusik

Nach Bertoni und Geiling ist der Nutzen von Hintergrundmusik in erster Linie die Untermalung und Raumfüllung in einem Werbespot. Davon abgesehen, dass die Hintergrundmusik bei Werbung eingesetzt wird, wird sie außerdem noch bei folgenden Bereichen verwendet: • Einkaufszentren bzw. Supermärkten • Restaurants • in Warteräumen oder -orten wie beispielsweise beim Arzt oder Bahnhof • in Wellnessinstituten Der Zweck besteht darin, ein emotionales, atmosphärisches Umfeld zu schaffen und dem/der Kunden/Kundin entweder zu Mehrkäufen zu bewegen, dem/der Patienten/Patientin die Angst vor der bevorstehenden Untersuchung zu nehmen oder die Wartezeit für den Einzelnen so angenehm wie nur möglich zu machen. Im Prozess des Audiobrandings tritt die Hintergrundmusik hauptsächlich in der Sparte Fernseh- oder Radiowerbespots auf. Die Funktion im Werbespot soll bildunterstützend, emotional sein und dabei ein angenehmes Gefühl schaffen (vgl. Bertoni/Geiling, 1997, 417). Wüsthoff meint hinsichtlich des Einsatzes von Hintergrundmusik bei Werbespots, dass es von größter Wichtigkeit sei, die richtige Wahl des Genres zu finden, da man dadurch eine angedachte Zielgruppe mit dem beworbenen Produkt zusammenführen kann (1999, 22). Wüsthoff schrieb des Weiteren der Hintergrundmusik in Werbespots vier wesentliche dramaturgische Funktionen zu (1999, 23): • Synchronpunkte: Es werden nur wichtige Stellen des Werbespots musikalisch hervorgehoben. Dies weißt einen unterstützenden Charakter auf, was die optischen Bilder glaubhafter machen soll. Solche Synchronpunkte können beispielsweise Trickvorgänge, Zeitblenden oder bewegte Packungsbilder sein.

5. Audio-Branding

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• Bewegungsanlass: Auch hier spielt der Aspekt der Glaubwürdigkeit eine wichtige Rolle. Jegliche Art von Bewegung wirkt durch die Musikuntermalung glaubwürdiger und dadurch überzeugender. • Stimmungskulisse: Diese Funktion der Hintergrundmusik ist bekannt aus Spielfilmen und TV-Serien. Hierbei werden dem/der Rezipienten/Rezipientin für bestimmte Szenen mehr Atmosphäre oder ein spezifisches Gefühl, was der/die Regiesseur/in vermittelt will, suggeriert. • Bildersatz bei Funkspots: Musik ersetzt hierbei die visuellen Bilder, die in Radiospots nicht übertragen werden können. So nimmt Musik einen optischen Charakter an.

5.3.5

Sound-Icon

Das Sound-Icon ist ein Begriff, der bis jetzt noch nicht so Sprachgebrauch vorkommt. Es bildet das kleinste und kürzeste Klangelement des AudioBrandings. Das Sound-Icon versucht, eine Verbindung mit dem Gegenstand bzw. der Markenleistung herzustellen. Ein Sound-Icon kann überdies einen Bereich im Audio-Logo oder Brand Song einnehmen. Es stellt meist Alltagsgeräusche bzw. Abwandlungen davon dar und bekommt somit eine realistische Relevanz. Das Grundgerüst des Sound-Icons besteht meist aus flächigen, weichen Klängen und erfüllt im Grunde ähnliche bzw. die gleichen Aufgaben wie ein Brand Song, nämlich eine unverkennbare Stimmung oder Emotion zu schaffen (vgl. Bronner 2007, 84ff).

5.3.6

Bekannte Musik

Ziel der Werbemusik ist es, positive Gefühle und somit die Kaufbereitschaft des/der Rezipienten/Rezipientin auszulösen. Diese positiven Gefühle können bei Musik meist nur durch altbekannte Musik ausgelöst werden, weil man zum einem mit bekannter Musik schon Erfahrung gemacht hat und andererseits bei etwas „neuartigem“ erst die bestimmte Struktur analysieren muss, was heißt, dass der/die Rezipient/in sich außerdem noch auf die Analyse bzw. Einstufung der neuen Musik konzentrieren muss. Für die Werbetreibenden bedeutet das eine Verringerung der Aufmerksamkeit des/der Rezipienten/Rezipientin auf den Werbespot (vgl. Vinh, 1994, 31). Demzufolge sind bei Werbetreibenden bekannte Lieder wie Klassiker beliebt. Aber auch aktuelle Charthits können positive Gefühle auslösen, sofern sie schon eine gewisse Zeit lang bekannt sind. Das zeigt aktuell die Werbung von Microsoft für ihren neune Microsoft-Explorer. Hierbei verwendet Microsoft den aktuellen Charthit Too Close 3 von Alex Clare, der zu den größten Sommerhits 2012 zählt. Durch die leichte Wiedererkennbarkeit nimmt die Erinnerungsleistung der beworbenen Marke zu. 3

Too Close - Alex Clare (USA 2011, Plattenlabel: Island Records)

5. Audio-Branding

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Durch ihren unterhaltenden Charakter hat Musik vor allem motivierende Wirkung und kann so vor Allem bei zielgruppenorientierter Ansprache die Aufmerksamkeit auf den Spot lenken. Doch kann die Verwendung von bekannter Musik eine wesentliche Gefahr haben: Sie kann persönliche, mit dem Musikstück verbundene Erinnerungen hervorrufen und dadurch von dem eigentlichen Inhalt bzw. Aussage der Werbung ablenken (vgl. Tauchnitz, 1990, 78). Außerdem kann sich relativ schnell Langeweile bei dem/der Rezipienten/Rezipientin einstellen. Durch das ständige Hören des Charthits laufen die Werbetreibenden Gefahr, dass sich der/die Rezipient/in schnell „satthört“. Wegen dieser beiden Gefahren und dem Punkt, dass der Erwerb der Aufführungskosten relativ hohe Kosten verursacht, kann es von Vorteil sein, das Augenmerk auf Kompositionen zu legen, die extra für die jeweilige Werbung konzipiert wurden (vgl. Vinh, 1994, 31). Eine Alternative ist die Verwendung bekannter Lieder in instrumentaler Form. Der/Die Rezipient/in erwartet, dass wie gewohnt die sprachlichinstrumentelle Kombination des Liedes kommt. Fehlt dies, fühlt sich der/die Rezipient/in dazu motiviert, dies auszugleichen und singt meist selbst mit. Man kann hierbei von einem „interaktiven Werbespot“ reden. Durch das eigenständige Reproduzieren wird die Werbebotschaft viel besser in Erinnerung behalten, da auf diese Weise generative Prozesse hervorgerufen werden. Ist der/die Rezipientin hingegen mit dem Musikstück nicht vertraut, so sind aufgrund der fehlenden Auseinandersetzungen mit dem Vokalstück bessere Erinnerungswerte zu erzielen (vgl. Roehm, 2001, 49ff).

5.4

Funktionelle Musik

Als Funktionelle Musik wird jene Musik bezeichnet, die mit einer bestimmten Absicht verbunden ist. Wenn man den Gedanken weiter spinnt, kommt man zu dem Entschluss, dass es eigentlich keine funktionslose Musik gibt, da jede Musikkomposition mindestens den Gedanken der Befriedigung von musikalischen Bedürfnissen involviert hat (sowie die musikalischen Bedürfnisse der Hörer/innen als auch der Komponisten/Komponistinnen selbst). Unter diesen Bedürfnissen versteht man die psychisch-soziale Anregung zum wiederholten Hören des Musikstückes, zum Selbermachen von Musik bzw. eigene Kompositionen zu erschaffen. In der Werbung werden diese Bedürfnisse gezielt zum Erreichen musikfremder Zwecke genutzt (vgl. Heister, 1998, 208). Die Produzenten von Musikstücken bzw. Kompositionen (Musiker/innen bzw. Komponisten/Komponistinnen) wollen mit dem erstellten Lied einen bestimmten Zweck verfolgen. Daraus kann gefolgert werden, dass Musik in

5. Audio-Branding

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Werbung in erster Linie gewisse Bedürfnisse befriedigen oder geringstenfalls einen Mehrwert für den/die Hörer/innen darbieten soll. Soziologe Max Weber teilte Funktionelle Musik in vier verschiedene Funktions-Gruppen ein (vgl. Bruhn/Oerter/Rösing 2002, 77 zit. n. Weber 1921): • zweckrationale Funktion (d.h. politisch, wirtschaftlich oder erzieherisch ausgerichtet) • traditionelle Funktion (geschichtsbehaftete, rituelle Funktion) • wertbezogene Funktion (es wird in gut und schlecht eingeteilt) • emotionale Funktion (bezogen auf die psychische Resonanz, die Projektion bzw. die Abreaktion von Gefühlen) Welche der vier unterschiedlichen Funktionen von Musik dem jeweiligen Musikstück zugeschrieben werden kann, hängt nicht nur von der Musik an sich ab, sondern ist sehr stark mit dem kulturellen, sozioökonomischen und individuellen persönlichen Hintergrund abhängig. Es gibt also Musik, dessen Aufgabe es ist, bestimmte Funktionen zu übernehmen (vgl. Heister, 1998, 208ff). Funktionelle Musik wird überwiegend dort eingesetzt, wo mit Hilfe dieser Musik ein bestimmtes Verhalten bzw. Agieren ausgelöst werden soll (beispielsweise dem/der Kunden/Kundin zum Kauf eines bestimmten Produkts zu animieren). Dies ist in fast allen Orten der Fall, wo eben diese Funktion erforderlich ist wie z.B. in Einkaufszentren bzw. Supermärkten, Gaststätten und sogar am Arbeitsplatz oder ganzen Produktionshallen. Geht man vom Beispiel von Musik in Einkaufszentren aus, lässt sich feststellen, dass der/die Kunde/in mit Hilfe funktioneller Musik zum Einkauf der angebotenen Produkte animiert werden soll. Forscher der Universität von Sheffield in einer Studie mit dem Titel Music Listening Practices In Work Place Settings herausgefunden, dass das Musikhören bei der Arbeit u.a. die Produktivität und Arbeitsmoral von Büroangestellten steigert. Demnach trägt durch Musik induzierte gute Stimmung auf der Arbeit dazu bei, dass die Mitarbeiter/innen mit Stresssituationen besser zurechtkommen und eine positivere Einstellung gegenüber Kunden/Kundinnen und Kollegen/Kolleginnen an den Tag legen4 . Aber kann Musik, die für Werbespots eingesetzt wird, als funktionell angesehen werden? Dies kann mit einem klaren Ja beantwortet werden. Werbemusik verfolgt ebenfalls außermusikalische Funktionen, was letztendlich heißt, dass sie dem/der Zuhörer/in einen Anreiz zum Kauf des beworbenen Produkts geben will. Es gibt aber keine Garantie dafür, dass Musik eben diesen „Kauf-Lust-Effekt“ zugeschrieben werden kann. Dieser „Effekt“ wurde bislang noch nicht genügend wissenschaftlich erforscht. Sicher ist allerdings, dass im 4

http://press.plantronics.com/europe_ger/musik-horen-im-buro-steigert-motivationund-leistung/

5. Audio-Branding

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Prinzip jede Art von Musik bei Werbe- oder Radiospots eingesetzt werden kann. Umso einfacher die Komposition ist bzw. mehr vertraute Strukturen die verwendete Musik aufweisen kann, desto leichter speichert sich die Musik ins Gedächtnis ein, da keine spezielle Konzentration bzw. kognitive Leistung verlangt wird (vgl. Wüsthoff, 1999).

5.5

Musik und Erinnerung bei Audio-Branding

Einer der wichtigsten Wesenszüge von funktioneller Musik ist die Erinnerung (auch Recall genannt) an die beworbene Marke. Ergebnisse zu Wirkung der Musik auf die Markenerinnerung gehen auch hier wieder weit auseinander. Ein Teil der gemachten Studien sprechen der Musik eine Manipulationsfunktion bezüglich des Erinnerungsvermögens der Rezipienten zu, der andere Teil der Studien konnte wiederum keinen aussagefähigen Zusammenhang zwischen der Musik, die in der Werbung angewendet wird und Erinnerung feststellen. Alexander-Long Vinh gilt wohl als einer der bedeutsamsten Forscher auf diesem Gebiet, der sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt hat. In einer Studie will Vinh aufzeigen, dass Musik, bestimmte Klänge sowie Geräusche durchaus das Potential haben, die Leistung der Erinnerung des/der Rezipienten/Rezipientin an die beworbene Marke zu steigern und dadurch eine Marke „mehr bzw. besser“ im Gedächtnis zu manifestieren. Dabei unterscheidet Vinh zwischen Musik-Unterhaltungs- und Produkt-BeschreibungsWerbespots. Hierbei konnte festgestellt werden, dass Werbemusik mit einem außergewöhnlichen, fast schon fremdartigen Musikcharakter das Erinnerungsvermögen des/der Rezipienten/Rezipientin in der Kategorie ProduktBeschreibungs-Werbespots signifikant erhöht. Dabei ist es wesentlich, dass die eingesetzte Werbemusik bestimmte, für das Publikum klar „raushörende“ Klänge oder Geräusche beinhaltet. Wiewohl die Werbeindustrie bisher größtenteils Musik für ihr Produkt verwendet, die dem/der Hörer/in bekannt ist, empfiehlt Vinh, auch unbekannte Musikstücke zu verwenden. Wichtig dabei ist nur, dass diese Musik spezielle Merkmale für dessen Werbezwecke beinhalten muss (vgl. Vinh, 1994, 94ff). Der wohl größte und somit wichtigste Einflussfaktor auf die Memorierbarkeit eines akustischen Markenauftritts sind die Wiederholungen der Werbeanregung. Wird ein Fernseh- oder Radiowerbespot einer Marke nur gelegentlich mit Musik untermalt, stellt sich die Frage, ob der/die Rezipient/in die Musik im Gedächtnis behalten kann und sich somit beim nächsten Hören dieser Musik ein Erinnerungseffekt einstellt. Gleiches gilt für die konstante Ausstrahlung des Spots an sich. Wie erwähnt, ist bei der Verwendung von Melodien die Memorierbarkeit am größten. Dies impliziert natürlich die regelmäßige Ver-

5. Audio-Branding

35

wendung der Melodie, damit sie sich in das Gedächtnis einprägen kann. Dass eine Klangfolge leichter zu merken und wiederzuerkennen ist, hat mit dem Verhalten des Hörens zu tun, dass durch die Umwelt beeinflusst wird. Das ist auch der Grund, wieso der Mensch unbewusst bzw. automatisiert versucht, ein passendes Ende (oder eine passende Fortsetzung) zu finden, sobald er eine Melodiefolge hört und sie wahrnimmt. Hierbei werden alle existierenden Verknüpfungen im Gehirn (sowie visuell als auch auditiv) durchforstet und abgerufen. Da eine bestimmte Werbemusik oder das Audiologo am Anfang eines Spots mit dem visuellen Gegenpart (also das gesehene Produkt) miteinander abgespeichert wurde, wurde diese Musik automatisch auf die Marke übertragen (vgl. Winterhagen, 2006, 37). An dieser Stelle kann wieder das Audiologo der Deutschen Telekom als Beispiel für gute Memorierbarkeit genannt werden. Erkennt der Hörer diese Melodiefolge wieder, assoziiert er mit dieser den Markennamen oder die Marke als Ganzes (vgl. Wüsthoff, 1999, 28ff). In diesem Zusammenhang kann die „Schemata-Theorie“ erläutert werden. Diese besagt, dass der Mensch Schemata bildet, um es ihm zu erleichtern, die komplexe Umwelt zu ordnen, zu ergänzen und schlussendlich diese in vereinfachter Form darzustellen. Hierbei sind jene subjektiven Informationseinheiten gemeint, die dauerhaft im Gedächtnis abgespeichert und abrufbar sind. Das heißt, dass jede eintreffende Information, sei sie visuell, textlich oder auch auditiv vom Menschen sofort unbewusst mit den schon vorhandenen Schemata verglichen wird. Die jeweiligen Schemata werden abgewägt und das, das die größte Übereinstimmung aufweist, wird aktiviert und zur Einstufung bzw. Einordnung der soeben aufgenommenen Botschaft verwendet. Der Grund, wieso sich der Mensch Schematas bedient ist, dass eine Entlastung des Gehirns stattfindet. Aber es gibt auch offene Fragen: „Wodurch wird festgelegt, ob eine Information zu einem existierenden Schema passt oder unbrauchbar ist? Bis zu welchem Ausmaß lassen sich Schemata durch neue Informationen verändern?“ Unter näherer Betrachtung der Theorie bzw. des bisherigen Standes der Forschung wird klar, dass das Vorhandensein des Schemas zwar bewiesen ist, ihre Herkunft aber noch nicht genauer nachgeforscht wurde. Bewiesen ist aber, dass auch Marken, Produkte oder Unternehmen beim Menschen Schemata ausbilden. Auditive Bestandteile, die den Erwartungsschemata beispielsweise einer bestimmten Marke entsprechen, steigern die Kaufbereitschaft maßgeblich. Schon nach wenigen Sekunden können durch Musik, Klang und bestimmte vertraute Geräusche Erwartungsschemata in Bewegung gesetzt werden und dadurch sogar ganze Markenwelten abgerufen werden (vgl. Brosius, 1991, 290-297; Winterhagen, 2006, 37f).

Kapitel 6

Musik und Erinnerung in der Kunst 6.1

Rome

Der amerikanische Musikproduzent Brian Burton (auch bekannt unter dem Künstlernamen „Danger Mouse“) hat sich in Zusammenarbeit mit dem italienischen Filmmusikkomponisten Daniele Luppi des Effekts „Musik und Erinnerung“ auf völlig anderer Art und Weise bedient. In seinem Album Rome 1 verwenden die beiden Klänge und Rythmen der Musik von italienischen Filmen der 60er und 70er Jahre und kombinieren diese mit den typischen Sound der Musik von Westernfilmen. Dadurch kopieren sie nicht nur das italienische Genre, sondern schaffen ein völlig neues Klangbild. Burton und Luppi benutzten ein Verfahren aus der Zeit, die sich den Studien des Forum Music Village2 von der italienischen Hauptstadt widmete. Laut Burton war das Forum Music Village für die Aufnahme der einzelnen Lieder wie dafür geschaffen, da sich das Tonstudio in einer ehemaligen Kirche befindet und sich dadurch ein Gefühl der Zeitlosigkeit einstellte. Für das Album wurden die für die 60er und 70er Jahre typischen Instrumente verwendet. Um den italienschen Sound so gut wie möglich den Western-Flair überzuziehen, wurden altbekannte Orchesterensembles engagiert, die schon auf den Soundtracks von Spiel mir das Lied vom Tod 3 und Zwei glorreiche Halunken 4 ihr Können unter Beweis stellten. Aufgenommen wurde analog mit Live-Band. Für Burton und Luppi war es von oberster Wichtigkeit, dass die einzelnen Lieder am Stück eingespielt wurden, ohne das eine Post-Production notwendig war. Die stimmliche Untermalung über1

Rome - Danger Mouse/Daniele Luppi (USA 2011, Plattenlabel: Capitol Records) Forum Music Village ist eines der legendärsten Tonstudios in Rom, in dem neben Morricone unzählige italienische Filmkomponisten/Komponistinnen wie Alessandro Alessandroni und Bruno Nicolai arbeiteten 3 Spiel mir das Lied vom Tod (Italien, USA 1968, Regie: Sergio Leone) 4 Zwei glorreiche Halunken(Italien, Spanien, Deutschland 1966, Regie: Sergio Leone) 2

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6. Musik und Erinnerung in der Kunst

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nahmen Jack White von den White Stripes sowie die neunfache GrammyPreisträgerin Norah Jones. So entstand eines der eindrucksvollsten, erfrischendsten, verführerischsten und skurrilsten Alben der letzten Jahre. Besonders zu erwähnen ist die Tatsache, dass Luppi und, im geringen Maße auch Burton, ihre Kindheitserinnerungen in das Album einfliessen liesen. Luppi suggerierte dabei den einzelenen Musikern/Musikerinnen gewisse Tonmelodiefolgen, die er sich in Erinnerung rief und die Musiker/Musikerinnen betteten diese „Erinnerungs-Fetzen“ in die einzelnen Musikstücke ein. Somit lässt sich sagen, dass Lupin seine Musikerinnerungen in ein neues Gewand gesteckt hat. All dies macht eine Schallplatte mit der persönlichen Verbindungen zwischen Musik und Erinnerung und es ist schwierig ein künstlerisch, hochwertiges Musikalbum zu finden, das dies mehr veranschaulicht (vgl. Interview Danger Mouse und Daniele Luppi in The Culture Show5 , BBC-2 19. Mai 2011; 6 ).

6.2

Chopin On 5 Continents

Die polnische Multiinstrumentalistin, Komponistin, Sängerin und Dozentin an der Musikakademie in Krakau Maria Pomianowska hat die Musik von Frederic Chopin mit einer völlig neuen, schon fast fremdartigen Instrumentierung eingespielt und zu einem Album zusammengefasst, dass den Namen Chopin On 5 Continents 7 trägt. Pomianowska beschäftigt sich schon seit über 30 Jahren mit der Musik von Chopin, sowie mit den traditionellen Musikstilen Polens und der ganzen Welt. Für das Album-Projekt war Pomianowska in vierzehn verschiedenen Ländern, um vor Ort die landestypischen Instrumente aufzunehmen. Dabei wurde auch die kulturabhängige Musik in den Vordergrund gerückt und mit Hilfe dessen auf die Stücke von Chopin umgemünzt. Hierbei bleiben die Grundmelodien von Chopin gleich, sie verwendet aber teils indische/arabische/japanische/afrikanische Instrumente und gibt dadurch den Liedern einen völlig neuen Klang. Einzigartig an Promianowskas Album ist auch die Tatsache, dass sie Instrumente verwendet, die ehemals verlorengegangen sind und für dieses Projekt wieder nachgebaut wurden. Als Grundlage dafür dienten die Entdeckungen einer Ausgrabungsstätte in Plock, bei der beispielsweise eine vier-saitige bilgorajsche Suka (die nur mit der sogenannten Fingernageltechnik spielbar ist, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch die Standardspielweise von Saiteninstrumenten abgelöst wurde) wiederentdeckt wurde. Diese wurde http://www.youtube.com/watch?v=V4M0MZmtDJ4 (02.11.2012) http://www.whattoseeinrome.com/de/rom-musik-reisen-erinnerung (02.11.2012) 7 Chopin On 5 Continents - Maria Pomianowska (Polen 2010, Plattenlabel: CM Records) 5

6

6. Musik und Erinnerung in der Kunst

38

Abbildung 6.1: Album-Cover von Chopin On 5 Continents

auch von Promianowskas selber eingespielt. Ihr ist es also auch zu verdanken, dass altertümliche polnische Saiteninstrumente wiederbelebt wurden8 . Beim Hören der einzelnen Stücke wird einem relativ schnell ins Gedächtnis gerufen, dass man die Lieder kennt. Bei vielen aber kann man gleich auf Anhieb sagen, dass es sich hierbei um Chopin handelt. Pomianowskas Idee, die Musik ihres Landsmannes Frederic Chopin in fremde musikalische Sprachen zu übersetzen, ist, wenn man die Geschichte Chopins genauer betrachtet, gar nicht mal so weit her geholt. Der Komponist verwendete selbst gerne Melodien, die nicht unbedingt polnischen Ursprungs waren. Das kommt von der Zeit, als die Tataren und Türken in Polen herrschten und auch ihre landestypische Musik in Polen einführten. Auch der intensive Austausch mit den Nachbarländern in Nord, Ost, Süd und West wirkt in ihr und somit deshalb auch in Chopin On 5 Continents nach. So rufen bei Chopin On 5 Continents neue Klänge Altbekanntes hervor 9 .

8 http://www.gdansk4u.pl/de/jahrmarkt-des-hl-dominik-musik-des-bernsteins-mariapomianowska-und-freunde (02.11.2012) 9 https://sites.google.com/site/aktivissimo/sonstige-neuheiten/chopin-on-5-continents (03.11.2012)

Kapitel 7

Erinnerungsauslösung in der frühen Musikgeschichte Schon in den Anfängen der Musikkunstgeschichte hat man sich des Effektes „Musik und Erinnerung“ durchaus bedient. Dies veranschaulichen beispielsweise große Opern-Werke von Giuseppe Verdi, Wolfgang Amadeus Mozart oder Richard Wagner. Vor allem Wagner und Verdi haben sich darauf verstanden, ihren Figuren eine bestimmte Klangfolge zuzuschreiben und eben mit dieser Melodie die jeweilige Figur dadurch „geprägt“. Im weiteren Verlauf des Stücks wurden diese Melodien, sofern es vom Komponisten vorgesehen war, immer wieder wiederholt, um damit dem/der Zuschauer/in zu suggerieren, dass es sich in der Situation um diese Figur handelt bzw. diese einen Teil des Handlungsstranges einnimmt. Sozusagen kann man hierbei von der Urform der „Leitmotivtechnik“, wie sie heutzutage bei vielen Filmproduktionen verwendet wird sprechen. Wagner gilt irrtümlicherweise als Erfinder der Leitmotivik. Dies wurde aber mittlerweile widerlegt, denn vor Wagners ersten Werken gab es schon in einigen Opern solche Motive, und seit Hector Berlioz gibt es sie als „dée fixe“ sogar in der Symphonie 1 . In Verdis späteren Opern findet man eine reichhaltige Harmonik, eine charakteristische Instrumentation, die Idee der Durchkomposition und eine Art der Leitmotivtechnik, die mit bestimmten Personen und Handlungen fest verwoben ist (Abert, 1979, 2ff). Verdi benutzte für die Beschreibung der leitmotivischen Musikanwendung in seinen Opern nie den Begriff der Leitmotivik. Das rührt daher, dass er von Friedrich Wagner differenziert betrachtet werden wollte. Verdi sprach bei seinen leitmotivischen Opern immer von „wortbezogenes Opernthema“ (vgl. Czaika, 2006, 201). Bei Verdis Opern beschränkt sich die Leitmotivik nicht nur auf die musikalische Charakterisierung der jeweiligen Figuren. Vie1

http://www.kultiversum.de/Musik-Partituren/DUMM-GEFRAGT-Was-ist-eigentlichein-Leitmotiv.html (24.10.2012)

39

7. Erinnerungsauslösung in der frühen Musikgeschichte

40

le Opern von Verdi weisen auch die Anwendung der Leitmotivtechnik auf die Instrumentierung an. Mit Hilfe bestimmter Instrumente (dabei spielt bei Verdi die Flöte eine besondere Rolle) charakterisiert er für ihn bestimmte Szenen, Gefühle oder auch wichtige Textstellen. Verdi geht sogar soweit, dass er bestimmte Instrumentierungen als Grundbasis für mehrere seiner Opern verwendet. So setzt Verdi beispielsweise eine Flöte ein, die dem/der Zuschauer/in Ruhe und Einsamkeit suggeriert. Außerdem steht bei Verdi die Flöte für die Bestärkung von getroffenen Entscheidungen seiner Figuren, also Mutzuspruch bzw. Entschlossenheit. Diese Charakterzuschreibung thematisiert Verdi bei mehreren Opern und er verwendet dabei immer die Solo-Flöte (vgl. Czaika, 2006, 93). Am Beispiel von Giuseppe Verdis Oper Giovanna d’Arco 2 und Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte 3 wird aufgezeigt, wie sich diese Opern den Effekt der Leitmotivik bedient haben.

7.1

Giovanna d’Arco - Giuseppe Verdi

Giovanna d’Arco ist eine Oper in einem Prolog und drei Akten, die am 15. Februar 1845 in der Mailänder Scala uraufgeführt wurde. Das Libretto von Temistocle Solera beruht auf dem Trauerspiel Die Jungfrau von Orléans von Friedrich Schiller, das das Leben der Jeanne d’Arc behandelt (vgl. Hall, 1998, 8-10).

7.1.1

Handlung

Im Prolog ist die Halle in der Burg von Domrémy zu sehen. Die Dorfbewohner fragen die Offiziere der königlichen Armee nach den neuesten Nachrichten über die Kämpfe. Sie erfahren, dass ihr Land von rauen Schurken zerstört wird (das in Frankreich eingedrungene englische Heer) und dass die dem Thron loyalen Verteidiger von Orléans sich bald aus Hunger ergeben müssen. Die Ankunft des Königs wird bekanntgegeben - Carlo, der seit dem Tod seines Vaters Frankreich regiert hat, aber noch nicht gekrönt worden ist. In einem Traum erscheint Carlo die Heilige Jungfrau Maria in Form einer Statue. Von ihr erhält er den Auftrag, das Schwert und seinen Helm niederzulegen, was er als Sinnbild für den Nichtantritt seiner Krönung und somit die Verweigerung als König zu amtieren auffasst. Seine Entscheidung gibt er dem Volk bekannt und erklärt ihnen seine Beweggründe. Als er dadurch die Statue erwähnt, kann ihm das Volk den Ort der Statue nennen und fleht ihn an, nicht dort hinzugehen, da dieser Ort verflucht sei. Der König sucht dennoch die Statue der Heiligen Jungfrau auf, die sich in einem Wald befin2 3

Giovanna d’Arco (Uraufführung: Mailand 1845, Giuseppe Verdi) Die Zauberflöte (Uraufführung: Wien 1791, Wolfgang Amadeus Mozart)

7. Erinnerungsauslösung in der frühen Musikgeschichte

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det. Giacomo, Giovannas Vater, verfolgt heimlich seine Tochter, um sie zu belauschen. Da sie die Statue an dem verwunschenen Wald regelmäßig besucht, verdächtigt er sie der Hexerei. So kann er hören, wie Giovanna zu der Heiligen Jungfrau betet und sie bittet, dass ihr die Möglichkeit geboten wird, für ihr Land in den Krieg zu ziehen. Schließlich schläft sie vor der Statue ein. Währenddessen trifft Carlo an der Statue ein. Er legt Schwert und Helm ab und fängt an zu beten. Giovanna wird in einem Traum von einem Chor böser Dämonen versucht, sich dem jungen Mann (Carlo) anzunähern. Engelsstimmen erklingen aber parallel dazu und sprechen zu ihr, dass sie der Liebe des Fleisches entsagen soll, um im Namen Gottes Frankreich zu befreien. Sie erwacht und stimmt zu, dem Mann und seiner Liebe für das größere Wohl zu widersagen. Als Carlo sich Giovanna - durch die Stimme angelockt . nähert erkennt Giovanna ihn als den rechtmäßigen König. Durch den niedergelegten Helm und dem Schwert wird ihr klar, dass er durch diese Geste dem Amt des König entsagt hat. Sie gibt im das Schwert und den Helm wieder zurück und redet auf ihn ein, er solle den Kampf nicht aufgeben. Mit dem Versprechen, dass sie an seiner Seite als Befehlshaber gegen England kämpfen wird, findet er zu seiner Bestimmung zurück. Giacomo schleicht sich an die beiden heran, um ihr Gespräch mitlauschen zu können. Er ist mehr denn je davon überzeugt, dass die beiden ein von bösen Geistern manipuliertes Liebespaar sind. Das gibt im Anlass, Giovanna zu verfluchen und sie, koste es was es wolle, zu bestrafen. Im ersten Akt ist das englische Lager in der Nähe von Reims zu sehen. Die englische Soldaten und ihr Befehlshaber Talbot trauern nach ihrer Niederlage in der Schlacht um ihre Toten. Als seine Truppen die übernatürlichen Kräfte der Franzosen unter dem neuen Anführer für diese Niederlage verantwortlich machen, sagt ihnen Talbot, dies sei Furcht gegenüber den Franzosen. Giacomo kommt zu dem englischen Heer und bietet Talbot an, den weiblichen Befehlshaber an die Engländer auszuliefern. Allerdings ist dieser Dienst mit einem Gegengefallen verbunden: Sie müssen am Verführer seiner Tochter Rache nehmen. Giacomo ist der festen Überzeugung, dass Carlo Schande über sein Heimatland gebracht hat und muss deshalb bestraft werden. Talbot stimmt der Bedingung zu und Giacomo wechselt somit die Seiten und kämpft für die Engländer. Giovanna, noch mit Helm und mit einem über ihre Frauenkleider gegürteten Schwert freut sich, wieder an frischer Luft zu sein, entfernt von der Menge, die ihr als Heldin zujubelt. Ihre Aufgabe ist erfüllt, und sie kann nun in ihr einfaches Leben im kleinen Haus ihres Vaters zurückkehren. Gerade als sie sich entschließt, ihr altes Leben wieder aufzunehmen, bittet Carlo sie zu bleiben und gesteht ihr seine Liebe. In einem Augenblick der Schwäche gibt Giovanna zu, ihn auch zu lieben. Doch der Chor der Engel erinnert Giovanna an ihre Entsagung der weltlichen Begehren. Da er diese Stimmen nicht hören kann, versteht Carlo nicht, warum Giovanna plötzlich so verstört wirkt und sich aus seiner Umarmung zu befreien versucht. Delil, ein Offizier

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Carlos, tritt an die beiden heran und meldet ihnen, dass das Volk sich für die Krönung Carlos versammelt hat. Carlo sagt nur unter einer Bedingung zu: Nur Giovanna dürfe ihm die Krone aufsetzen. Die Stimmen der bösen Geister feiern ihren Sieg über Giovannas Unschuld. Der zweite Akt beginnt mit der Krönungszeremonie. Die Bevölkerung preist Giovanna als Siegerin für die Bekämpfung der Engländer. Giacomo, eine einsame Gestalt am Rande des Geschehens, kann einerseits die Ernennung von Carlo zum König und andererseits die Nichtbestrafung seiner Tochter nicht ertragen. Während die Menschen jubelnd feiern, bereitet Giacomo seine Anklage vor. Nach der Zeremonie ruft Carlo Giovanna zur Schutzheiligen von Frankreich aus. Darauf tritt Giacomo vor die Versammlung und klagt Carlo der Gotteslästerung an und Giovanna der Hexerei. Carlo will Giovanna beschützen und versichert, in ihrer Engelsgestalt könne nicht die Seele einer Sünderin wohnen. Giovanna sieht die Anschuldigung ihres eigenen Vaters als Bestrafung von Gott an, da sie der Verführung nicht widerstehen konnte. Als Carlo Giovanna auffordert, die Anklage der Hexerei zurückzuweisen, gibt sie keine Antwort. Ihr Schweigen wird als Schuldbekenntnis gewertet. Das Volk verlangt, dass sie verbannt wird, und Giacomo führt sie weg, um sie den Engländern auszuliefern, die sie als Hexe verbrennen wollen. Im dritten Akt wird Giovanna an die Engländer ausgeliefert. Dort kann sie hören, dass die Engländer noch mal die Franzosen angreifen wollen. Sie betet um Befreiung, damit sie an der Schlacht teilnehmen kann. Giacomo tritt auf und glaubt, Giovanna denke noch immer an Carlo. Doch als er ihr Flehen zu Gott hört wird ihm klar, dass Giovanna unschuldig ist - schon immer unschuldig war und er sie fälschlicherweise an die Franzosen ausgeliefert hat. So befreit er sie. In der Schlacht wird Giovanna tödlich verwundet. Carlo wird vom Schmerz überwältigt, als man Giovanna herein trägt. Das Volk ist über diese Tatsache völlig schockiert und sie trauen um sie. In Euphorie ruft sie den Himmel an, er möge sich für sie öffnen, um die Heilige Jungfrau wiedersehen, zu deren Statue sie im Wald von Domrémy gebetet hatte. Als sie letztendlich zu Boden fällt, wird sie von dem Chor der Engel begleitet (vgl. Czaika, 2006, 91ff; 4 (27.10.2012)).

7.1.2

Charakterisierende Leitmotivtechnik

Verdis „Tragödie“ involviert gleich mehrere romantische Elemente, in der die Grenzen von Traum und Realität zu verschwimmen scheinen. Einen großen Handlungsraum nehmen die Chöre der Engel und Dämonen ein, die Giovanna im Laufe der Oper immer wieder erscheinen, sie in Versuchung führen bzw. sie auf den rechten göttlichen Weg leiten wollen. Ein weiteres Element, das sich oftmals im romantischen deutschen Singspiel wiederfinden lässt, ist, neben dem Erscheinen übernatürlicher Gestalten, Wesenheiten, Geis4

http://de.wikipedia.org/wiki/Giovanna

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tern oder Feen die langsame aber stetig mehr werdende Entwicklung einer musikalischen Leitmotiv-Techik. Verdi geht aber mit Giovanna d’Arco noch einen Schritt weiter und widmet sich auch der Entwicklung einer charakterisierenden Motivtechnik. Neben den verschiedenen kleineren musikalischen Motiven, denen Verdi in den jeweiligen Szenen, Gefühle oder wichtige Textstellen einen „Charakter“ zuspricht, fällt auf, dass er den Chören der Dämonen und Engel durch oftmaliges Wiederholen eine besondere Wichtigkeit zu Teil werden lässt. Nach relativ kurzer Zeit wird dem/der Zuschauer/in bewusst (gemacht), dass eben diese Chöre für Versuchung und Widerstand stehen. Die Rolle der beiden Chöre wird von Anfang an klar und unmissverständlich suggeriert: Der Chor der Dämonen will Giovanna in Versuchung treiben, wohingegen der Chor der Engel die Wichtigkeit des Widerstehens aufzeigen will. Die Begegnung zwischen Giovanna und dem König Carlo löst bei Giovanna einen inneren Zwiespalt bzw. Kampf aus. Die für Giovanna nun wahrgewordene „Hin- und Her-Gerissenheit“ zwischen Liebe und Pflicht hat sich beim Wettstreit der beiden Chöre schon angekündigt. Während des weiteren Verlaufs setzt Verdi die beiden Chöre als Reflektierung der inneren Gedanken von Giovanna ein. Diese treten ab sofort immer dann auf, wenn sich Giovanna im Konflikt ihrer Gefühle befindet. Als Giovanna als eine Art „Heldin“ für die Befreiung von den englischen Truppen gefeiert wird, kann sie schlecht mit dieser Euphorie umgehen und zieht sich für einen kurzen Moment zurück. Hier setzt der Chor der Dämonen wieder ein. Diese kann als Sinnbild ihrer innerlichen Unruhe angesichts der erfüllten Aufgabe des jetzt beginnenden Lebens verstanden werden. Sie fühlt trotz des Erfolges, den ihr Land soeben verbuchen konnte eine unbestimmte Angst. Erstaunt stellt sie ihre Unsicherheit und Ängstlichkeit fest. Mit aller Macht bricht nochmals der Dämonen-Chor in die Handlung ein, wodurch dem/der Zuschauer/in einmal mehr Giovannas Zweifel und innere Zerrissenheit in Erinnerung gerufen wird. Als Giovanna und Carlo alleine sind, gesteht er ihr seine Liebe. Die beiden fallen sich in die Arme. Sofort ertönt der Engel-Chor und warnt dadurch Giovanna, dass sie Gott das Versprechen gegeben hat, der Liebe zu widersagen. Giovanna schreckt zurück; Carlo kann die Verstörtheit von Giovanna nicht einordnen (der Grund hierfür ist, dass nur Giovanna die beiden Chöre wahrnehmen kann). Verdi charakterisiert Giovanna eine Art Schizophrenie zu, deren Handlungen und Entscheidungen durch die innere Zerrissenheit in Form der beiden Chöre geprägt sind. Im Finale kommt es zum endgültigen Wettstreit der Chöre. Giovanna wurde tödlich verwundet und muss somit Abschied von der Welt nehmen. Als Zeichen ihrer Unschuld und Reinheit umgibt sie ein heller Schein. Dabei nehmen die Engel ihre Seele auf, während die Dämonen sich ihrer Niederlage eingestehen müssen. Auch musikalisch ist der Chor der Engel bei dieser Szene stärker angesetzt und für den/die Zuschauer/in erlebbar. Das Liebes-Duett, dass im ersten Akt zwischen Giovanna und Carlo gespielt wird, untermalt Verdi mit einer speziellen Melodie. Diese Melodie wird

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im zweiten Akt wiederholt und erinnert den/die Zuschauer/in, dass die nun gezeigte Handlung von Liebe geprägt ist. Carlo will Giovanna aufgrund der Tatsache, dass er sie über alles liebt, beruhigen, als sie völlig verstört vor Carlo zurückschreckt (da sie vom Chor der Engel gewarnt wird). Auch wird dem/der Zuschauer/in bewusst gemacht, dass Carlo die plötzliche Distanziertheit von Giovanna schmerzt. Er will sie vor dem Grund ihrer Erschrockenheit beschützen. Eine ruhig fließende Klangfolge kennzeichnet hierbei Carlos beschützende Stärke. Er vergleicht beispielweise die Reinheit der Luft oder die Klarheit des Sternenhimmels mit ihrer gemeinsamem tiefen Verbundenheit. Verdi zeigt also hierbei die beschützerische Liebe Carlos gegenüber Giovanna auf und verdeutlicht außerdem parallel ihre Unsicherheit. Die Erinnerung dieser Melodie wird ein Zeichen für Vertrauen und Schicksalsergebenheit. Im Finale des zweiten Aktes wird Giovanna der Hexerei bezichtigt. Während Carlo dieser Anklage mit aller Kraft entgegenwirken will und diese als Verleumdung deklariert, bleibt Giovanna stumm und ergibt sich ihrem Schicksal. Dabei wird wieder die Melodie von Carlo und Giovanna gespielt und es erinnert an die beruhigenden Worte von Carlo im ersten Akt. Dem /Der Zuschauer/in wird dadurch verdeutlicht, dass sich bei Giovanna eine innerliche Ruhe eingestellt hat. Im Finale des dritten Aktes greift Verdi nochmals die Melodie in abgewandelter Form auf. Der Unterschied zwischen der bisherigen und der abgewandelten Melodie besteht darin, dass die Phrasenbögen bislang über vier Takte gespannt worden sind und nun auf eine Zweitaktigkeit reduziert wurden. Es kristallisiert sich heraus, dass Verdi diese Erinnerung an das große Duett deshalb einsetzt, um auf der einen Seite die Verbindung zwischen der religiösen Ebene und der realen Liebe zu Carlo herzustellen und auf der anderen Seite Giovannas und Carlos innige Beziehung mit Hilfe der musikalischen Untermalung zu intensivieren. Es wird aber auch ersichtlich, dass Carlo nicht nur Giovannas werbender Liebender ist, sondern ihr auch als treuer Freund zur Seite steht. Auch wie oben erwähnt wird die Flöte als Erinnerungs-Effekt eingesetzt. Die Solo-Flöte bei Giovanna D’Arco kann hierbei eine charakterisierende Rolle zugeschrieben werden. Ähnlich wie die anderen Holzbläser tritt die Flöte normalerweise parallel mit der Gesangslinie auf. Darüber hinaus hat sie aber auch noch weitere kleine solistische Einspielungen, die durchaus als Kommentare angesehen werden können. Diese Einspielungen untermalen Giovannas Gedanken bzw. nicht ausgesprochene Gefühle, die dem/der Zuschauer/in den Anstoß geben, diese richtig zu deuten. Die Solo-Flöte leitet beispielsweise auch das Zurückziehen von Giovanna im ersten Akt ein. Giovanna wird bejubelt und gefeiert, was ihr aber in diesem Moment zu viel wird und sie sucht die Ruhe und Einsamkeit auf. Genau diese Charaktereigenschaften stellt die Solo-Flöte dar. Diese Tatsache wird noch mehr sichtbar, wenn die Flöte direkt nach den Chören der Dämonen und Engel einsetzt und somit für Beruhigung sorgt. Diese spezielle Charakter-Motivik der Solo-Flöte

7. Erinnerungsauslösung in der frühen Musikgeschichte

45

verwendet Verdi aber nicht nur bei Giovanna d’Arco, sondern sie lässt sich bei mehreren Opern wieder finden. So kann der/die Zuschauer/in, der/die bereits mehrere Opern von Verdi gesehen hat gleich wieder eine Verbindung zu den Charakterzügen der Flöte herleiten (vgl. Czaika, 2006, 93ff).

7.2 7.2.1

Die Zauberflöte - Wolfgang Amadeus Mozart Handlung

Als der Vater Paminas stirbt, geht die Macht seiner Gattin, der Königin der Nacht, zu Ende, denn der Vater hatte vor seinem Tode sein Herrschaftszeichen, den beiden ägyptischen Göttern Isis und Osiris übergeben. Der Priester Sarastro verwaltet ab nun das Erbe des Sonnenkönigs. Wiewohl es der letzte Wille des Königs war, dass die alleinige Macht an den siebenfachen Sonnenkreis geht, will sich die Königin der Nacht nicht mit diesem Entschluss abfinden und ordnet sich daher der neuen Führung nicht unter. So erstellt sie den Plan, die neue Führung zu stürzen, damit ihr wieder die Macht zuteil wird. Von diesem Plan erfahren die ägyptischen Götter und beschließen, ihren Priester Sarastro loszuschicken, um Pamina zu entführen. Sie sind außerdem der Ansicht, dass die Königin der Nacht einen schlechten Einfluss auf Pamina ausübt, die eigentlich die Erbin des Sonnenkönigs ist. Um ihre entführte Tochter wieder zurückzuholen, sendet sie den Prinzen Tamino aus. Auf seiner Suche nach Pamina trifft er auf eine Riesenschlange. Aus Angst und vor Erschöpfung gleichermaßen fällt der Prinz in Ohnmacht. Als Tamino wieder erwacht, findet er die Schlange tot vor sich liegen. Drei Dienerinnen, die von der Königin der Nacht aus dem einen Grund ausgeschickt worden sind, um Tamino zu retten, töten währenddessen die Schlange. Kurz nachdem Tamino wieder erwacht, erscheint der Vogelfänger Papageno. Tamino nimmt an, dass Papageno die Riesenschlange getötet hat und somit von ihm gerettet worden ist. Papageno genießt es sichtlich und stellt den Irrtum nicht klar - eher prahlt er mit seiner Heldentat. Für diese Dreistigkeit wird Papageno von den drei Dienerinnen bestraft. Tamino schenken sie ein Bild von Pamina. Als er das Bild sieht, verliebt er sich sofort in sie. Zum Schutz vor Gefahren erhalten Tamino und Papageno zwei Zauber-Instrumente: eine Flöte und ein Glockenspiel. Dabei werden sie von drei Schutzgeistern, die in Form von drei Knaben auftreten, zu der Festung von Sarastro geführt. Tamino und Papageno trennen sich, um bei der Suche nach Pamina effektiver zu sein. Auf ihrem Weg trifft Papageno schlussendlich auf Monostratos, dem Bewacher Paminas, den er auch überwältigen kann. Papageno überredet die Prinzessin zur Flucht. Beide besingen ihre Sehnsucht nach der wahren, vollkommenen Liebe. Pamina denkt dabei an ihren kommenden Retter Tamino, Papageno an eine fiktive Papagena. Währenddessen hat Tamino mit Hilfe der drei Knaben den Tempel von Sarastros erreicht. Von den Geistern des Temples erfährt Tamino, dass Pa-

7. Erinnerungsauslösung in der frühen Musikgeschichte

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mina noch am Leben ist. Dankbar spielt er auf der Flöte, deren Zauberkraft wilde Tiere zähmt. Diese wilden Tiere wollten soeben Tamino angreifen. Papageno und Pamina werden von Monostratos und seinen Sklaven eingeholt. Das Glockenspiel hilft ihnen, sich wieder zu befreien. Doch das Auftauchen von Sarastros hindert die beiden daran, erneut zu fliehen. Doch der Schein trügt. Sarastros erzählt Pamina und Papageno die wahre Geschichte und den darin beinhaltenden Plan, der Königin der Nacht. Monostratos trifft bei der Suche nach den beiden auf Tamino, den er nun gefangen nimmt. Nun treffen alle drei im Prüfungstempel zusammen. Zu Beginn des zweiten Aufzuges teilt Sarastro den ägyptischen Göttern mit, dass Tamino und Pamino als Königspaar die Nachfolge antreten könnten. Doch zuvor müssen sie sich den vorgeschriebenen Prüfungen unterziehen. So müssen Pamina und Tamino vorerst Abschied voneinander nehmen. Tamino und Papageno wird als erste Prüfung absolutes Schweigen auferlegt. Die drei Dienerinnen, die sich in den Tempel eingeschlichen haben, wollen Tamino in Versuchung bringen und damit erreichen, dass er an seiner ersten Prüfung scheitert. Tamino kann allerdings widerstehen und bleibt somit standhaft. Währenddessen begibt sich die Königin der Nacht selbst auf die Suche nach ihrer Tochter, die sie auch findet. Sie setzt Pamina den Gedanken in den Kopf, Sarastro zu töten. Bei dem Versuch scheitert Pamina käglich. In einem Gespräch mit Sarastro zeigt er Pamina auf, dass der Mensch nicht nach Rachegelüsten aus sein sollte, sondern Liebe, Verständnis und Rücksichtsnahme des Menschen größte Tugenden sein sollten. Kurze Zeit später treffen sich Tamino und Pamina wieder. Da Tamino immer noch an das Schweigegelübdnis gebunden ist, fühlt sich Pamina von ihm zurückgewiesen. Sie interpretiert daraus, dass Tamino sie nicht mehr liebt. Mit dieser Tatsache will sie nicht mehr leben und beschließt daher, sich umzubringen. Die drei Knaben können sie aber noch davon abhalten. So führen diese sie zu Tamino zurück, der auf seine letzte Prüfung wartet. Gemeinsam gehen sie den Weg durch Feuer und Wasser und überwinden dadurch Verzweiflung und Tod. Papageno ruft mit seinem Glockenspiel Papagena herbei. Beide fallen sich in die Arme und können nun gemeinsam ihr Leben miteinander teilen. Die Königin der Nacht wird nach dem vergeblichen Versuch, von den unterirdischen Gängen aus die Burg Sarastros zu stürmen, in die Vernichtung gestürzt. Tamino und Pamina werden in den Kreis der Eingeweihten aufgenommen. Volk und Priester, Natur und Kultur sind wieder vereint 5 6 .

5

http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Zauberflöte (25.10.2012) http://www.bayerische.staatsoper.de/885-ZG9tPWRvbTEmaWQ9MzE5Jmw9ZGUmdGVybWluPQ~spielplan~oper~veranstaltungen~inhalt.html (25.10.2012) 6

7. Erinnerungsauslösung in der frühen Musikgeschichte

7.2.2

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Charakterisierende Leitmotivtechnik

Auch bei Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte nimmt die Flöte eine gesonderte Rolle ein. Sie ersetzt bei Die Zauberflöte die Wortsprache in gesungener Form. Eher drückt sie die tiefen Empfindungen der Figuren aus und macht sie für die Zuschauer/innen sichtbar. Das ist auch an der Tatsache ersichtlich, dass der Spieler der Flöte nicht zugleich auch noch singen kann. Deshalb steht die Flöte umsomehr als besonders beispielhaftes Symbol für die Macht der Musik, die auch dann, wo Worte versagen, die Seele und ihre Emotionen Ausdruck zu verleihen hilft. Die Flöte kommt bei Die Zauberflöte genau dreimal zum Einsatz. Das erste Mal dadurch, dass Tamino seine Dankbarkeit mit einem Flötensolo offenlegen will und bezaubert dabei die wilen Tiere, die ihn angreifen wollen. Die Klangfolge (sowie auch die Flöte an sich) charakterisiert hierbei die Wesenszüge der Ruhe, der vollkommenen Gelassenheit und das zu sich kommen bzw. wirkt die Melodie im Stück manipulierend (die wilden Tiere verlieren hierbei das Animalische). Der zweite Einsatz der Flöte sorgt dafür, dass Tamino Pamina mit der Melodie der Flöte herbeiruft. Pamina soll Sarastro umbringen, was sie aber nicht kann. Als sie die Melodie, die Tamino auf der Flöte spielt hört, wird sie aus dieser Situation regelrecht weggerissen. Als sie der ruhigen Melodie lauscht und ihr zum Ursprung folgt, wird dem Zuschauer wieder die Kraft der Ruhe, die die Flötenmelodie ausstrahlt bewusst gemacht. Da Tamino nicht reden darf, hält Pamina das für ein Zeichen von Ablehnung und Gleichgültigkeit ihr gegenüber. Zu ihrem dritten und entscheidenden Einsatz kommt „die Zauberflöte“ in der Szene Gang durch Feuer und Wasser. Die Musik wird auch hier nicht als Zaubermittel, sondern als Artikulations - und Erinnerungsmittel eingesetzt. Genau so leitmotivisch wichtig ist das Glockenspiel in Die Zauberflöte. Diese tritt auch dreimal in Aktion. Allerdings übernimmt das Glockenspiel diesmal wirklich die „Zauberfunktion“, ganz im Gegensatz zu der Flöte des Prinzen Tamino. Bei seinem ersten Einsatz verzaubert das Glockenspiel Monostatos und die Sklaven, die dadurch alles um sich herum vergessen, ihre eigentliche Intetion, Pamina und Papageno gefangen zu halten vergessen lassen und genauso um das Glockenspiel herumtanzen wie vorher die wilden Tiere um Taminos Flöte. Es handelt sich um eine unverkennbare Widerholung der Szene, wo Tamino mit der Flöte gespielt hat, aber anders als dort die Flöte wird hier das Glockenspiel wirklich strategisch als Zaubermittel eingesetzt.

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Zum zweiten Mal setzt Papageno sein Glockenspiel ein, als er allein zurückbleibt und vom Priester mit einem Glas Wein bewirtschaftet wird. Er fängt zum Spielen an und singt dabei die Arie „Ein Mädchen oder Weibchen“. Dadurch lockt er Papagena an, genau wie vorher Tamino mit seinem Flötenspiel Pamina angelockt hat. Auch diese Szene „parodiert“ die vorherige Szene mit Tamino und Pamina. Eigentlich darf Papageno nicht mit Papagena sprechen, aber so lange sie noch in ihrer Verpuppung als Altes Weib auftritt, hat das offensichtlich keine Auswirkung. Für den dritten Einsatz des Glockenspiels muss Papageno erst von den drei Schutzgeistern, die in Gestalt von drei Knaben auftreten an das Glockenspiel erinnert werden. Das Spielen soll Papagena heranlocken und diesmal erscheint sie in ihrer wahren Gestalt. Auch ging der dritte Einsatz der Flöte unmittelbar voraus, aber diesmal ist die Situation anders. Tamino spielt beim Gang durch Feuer und Wasser, Papageno lockt mit den Glockenspiel seine Umworbene herbei. Papageno unterstreicht also auf seine parodistische Weise den inneren Zusammenhang der großen Thematiken Liebe, Tod, Unterwelt und Einweihung (vgl. Assmann, 2005). Außerdem fällt auf, dass spezifische Tonabfolgen im Verlauf der Oper immer wiederkehren. Sie scheinen Symbole ganz subtiler Stimmungen zu sein, die sich aus den Tiefen des Bewusstseins losgelöst haben. Mit der Zeit wird ersichtlich, zu welchen charakteristischen individuellen Gefühlsinhalten sie gehören und welche Gefühle sie dem/der Zuschauer/in suggerieren wollen. Ähnliches kann man bei Mozarts weiteren Opern Le nozze di Figero 7 und Don Giovanni 8 feststellen, doch baut Die Zauberflöte viel mehr auf die Wichtigkeit der charakterisierenden Leitmotivik auf. In denselben Zusammenhang gehört auch die häufige Wiederkehr bestimmter harmonischer und rhythmischer Züge und die Wahl der Tonarten, deren Symbolik Ludwig van Beethoven besonders bewunderte. Sie ist sicherlich auch in den älteren Opern von Mozart beabsichtigt, baut aber hierbei wiederum auf der grundlegenden Idee auf, so dass die Wiederkehr derselben Tonart stets ihre ganz besondere Bedeutung aufweist. Wichtig bei Mozarts Die Zauberflöte ist auch noch die Instrumentation zu nennen. Diese ist weich und anschmiegsam, in gewissem Sinne auch fortschrittlicher als bei früheren Opern von Mozart. Vorallem ist das an dem engen Zusammenspiel von Gesang und Orchester ersichtlich. In den beiden hohen Terzetten besitzt die Oper zudem Klangquellen wie kaum eine andere, und gerade sie hat Mozart in einer seitdem nie wieder erreichten Weise eingesetzt (vgl. Hermann, 1955/1956, 130ff).

7 8

Le nozze di Figero (Uraufführung: Wien 1786, Wolfgang Amadeus Mozart) Don Giovanni (Uraufführung: Prag 1787, Wolfgang Amadeus Mozart)

7. Erinnerungsauslösung in der frühen Musikgeschichte

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Vor allem aber schlägt auch die Instrumentation durch gleiche oder verwandte Klänge symbolische Brücken zu entfernten Szenen hinüber und lässt so dem/der Zuschauer/in die Intention erkennen, die Mozart für diese einzelenen Szenze herausarbeiten wollte (vgl. Hermann, 1955/1956, 130ff). Der deutsche Komponist Richard Wagner äußerte sich zu Mozarts Die Zauberflöte mit folgenden Worten (Wagner, zit. n. Hermann, 1955/1956, 691f): Der Deutsche kann die Erscheinung dieses Werkes gar nicht erschöpfend genug würdigen. Bis dahin hatte die deutsche Oper so gut wie gar nicht existiert: mit diesem Werke war sie erschaffen [...] Welcher göttliche Zauber weht vom populärsten Liede bis zum erhabensten Hymnus in diesem Werke! Welche Vielseitigkeit, welche Mannigfaltigkeit! [...] Welche ungezwungene und zugleich edle Popularität in jeder Melodie, von der einfachsten über die erinnerungseinleitende bis hin zur gewaltigsten! In der Tat, das Genie tat hier fast einen zu großen Riesenschritt, denn, indem es die deutsche Oper erschuf, stellte es zugleich das vollendetste Meisterstück derselben hin, das unmöglich übertroffen, ja dessen Genre nicht einmal mehr erweitert und fortgesetzt werden konnte.

Kapitel 8

Musik und Erinnerung bei Film- und Fernsehen 8.1

Was ist Filmmusik

Das Zitat des freischaffenden Komponisten für Fernsehen, Film und Werbung Anselm C. Kreuzer bringt die Frage, was Filmmusik eigentlich genau ist, sehr gut auf den Punkt (zit. nach Kreuzer, 2009, 18): Filmmusik ist Musik, die mit der Absicht im Film eingesetzt wird, die Gesamtintension des Films zu unterstützen und zum besseren Erleben des Films beizutragen. Sie ist auf dem Filmstreifen in kodierter Form manifest, erklingt bei der Filmvorführung und besteht in Form einer Vorstellung beim Produzenten. Unerheblich ist, ob die gespielte Musik ursprünglich für den Film komponiert wurde. Auch Musik, die vom Produzenten für den Film aus bestehendem Repertoire ausgewählt wurde, ist in diesem Sinne Filmmusik. Interessanterweise kann bei Filmmusik festgestellt werden, dass sie immer dann besonders auffällt, wenn keine Filmmusik in der momentan gesehenenen Sequenz gepielt wird. Filmmusik gab es auch schon in den Anfangszeiten des Films. Der erste Tonfilm Don Juan 1 (John Barrymore in der Hauptrolle) war der erste Versuch, den Tonfilm in den Kinos einzubürgern. Dieser Film enthält keine lippensynchronen Dialoge, sondern lediglich Musikeinlagen. Das sollte insbesondere dazu dienen, die Tonbegleitung in den Kinos zu ersetzen, die bis dahin in der Regel von Musikern/Musikerinnen realisiert worden ist. Dabei war der Stand der Technik noch nicht soweit, mit einem guten Klangbild den Film musikalisch zu unterstreichen. So war einseits der Einsatz eines großen Orchesters in kleinen Kinoräumen in akustischer Hinsicht 1

Don Juan (USA 1926, Regie: Alan Crosland)

50

8. Musik und Erinnerung bei Film- und Fernsehen

51

eher schlecht, andererseits wollten die Produzenten dadurch Geld einsparen, da der Einsatz von Orchestern bei jeder Vorstellung nicht gerade billig war. Der Grund für die Kinobesuche ist nicht etwa die Filmmusik, aber fehlt sie, fehlt am Film auch sehr viel. Diesen Fakt kann man durch die Entwicklung, die man die letzten Jahre beobachten kann immer deutlicher erkennen: Immer mehr Musikplattenfirmen bieten zum Film die dazugehörige Musik in Form eines Albums an. Und die Nachfrage danach ist nicht gerade unerheblich. So kann man den Eindruck erhalten, dass sich Film und Fernsehen immer mehr diverse Musikfernsehsender (wie beispielsweise MTV oder Viva) annähern. Hier verhält es sich genau umgekehrt. Die Musik unterstreicht nicht das Bild, sondern das Bild bei Musikvideos unterstreicht eher die Musik. Musik im Film wird nicht selten als Nebensache abgestempelt - so als würden Musiker/innen bzw. Komponisten/Komponistinnen nicht richtig an Musik arbeiten, sondern eher als schnelles Beiwerk ansehen. Dieser Tatsache kann aber durchaus entgegengewirkt werden, wenn man die punktuell und feinen Bild-Ton-Arrangements im Kino der letzten Jahre genauer betrachtet (vgl. Spitzer, 2002, 417). Der Filmkomponist Bernhard Hermann, der unzählige Filme des Regiesseurs Alfred Hitchcock musikalisch begleitet hat, äußerte sich folgendermaßen dazu (Hermann, zit. nach Keller, 1996, 19): Film und seine Entwicklung ist zweifelsohne die wichtigste künstlerische Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Und er ist die einzige Kunstform heute, die Musik als Teil ihres eigenen künstlerischen Zeitausdrucks nutzt. Ich glaube, dass [sic] Komponisten zu allen Zeiten sich den Bedürfnissen ihrer Gegenwart zu stellen hatten: Mozart und Haydn waren sich nicht zu schade, DinnerMusik zu schreiben [...] und sie waren sich auch nicht zu schade, Stücke für spezielle Sänger oder Instrumentalisten zu schreiben. [...] Es ist nur eine Frage der Zeit, in der man lebt. In unserem Zeitalter sind eben Kino und Fernsehen die wichtigsten Musikmedien. Feststeht, dass Musik schon immer zum Einsatz kam, um bestimmte Ereignisse zu unterstreichen. Filmmusik unterstreicht wichtige Handlungsabläufe, wirkt ankündigend, verknüpft die zusammengeschnittenen Sequenzen bzw. kann sie auch durchaus manipulierend wirken, da sie den Rezipienten/Rezipientinnen entweder bestimmte Emotionen vorzugeben versucht oder sie an etwas erinnern will (vgl. Spitzer, 2002, 418).

8. Musik und Erinnerung bei Film- und Fernsehen

8.2

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Wirkung von Filmmusik

Die Realität im Kino ist mit Sicherheit sehr eingeschränkt. Zwar wird die Realität sehr gut auf der Leinwand abgebildet, aber dennoch fühlt man nichts, kein Regen oder Schnee kann die Haut berühren, kein tropischer Regenwald lässt einem die Hitze spüren und man riecht auch keine Blumen einer bunten Almwiese. Der Einsatz von Musik kann hier einiges erlebbarer machen und allein über die akustische Wahrnehmung den Echtheitsgehalt der einzelnen Bilder bzw. Sequenzen steigern. Es hat sich herausgestellt im Gegensatz zu der allgemeinen Meinung - dass ein Film mit musikalischer Untermalung nicht so flach, langweilig und sureal wirkt. Wiewohl Musik im Film und Fernsehen eigentlich etwas Künstliches und Befremdliches ist, steigert sie dennoch das Realitätsempfinden des/der Rezipienten/Rezipientin ungemein (vgl. Spitzer, 2002, 418). Es ist signifikant, wie sehr Musik im Film und Fernsehen den Ausdrucksgehalt von Bildern und ganzen Sequenzen beeinflussen kann. So sagt beispielsweise ein disharmonischer Akkord aus, dass jeden Moment im Film etwas Schreckliches passieren wird. Oder ein hohes Geigentremolo steigert die Spannung, wobei reine Intervalle (wie ganze Oktaven oder reine Quinten) Ausdruck für endlos erscheinende Landschaften und Freiheit sind. Fröhliche, beschwingte Musik in der Dur-Tonart komponiert, kündigt Komödien an, in Moll geschriebene, langsame Lieder lassen eher eine Tragödie erwarten. Wenn man diese Tatsache genauer betrachtet, zeigt sich, dass es mehrere Gründe hierfür gibt, die sich historisch-kulturell und physiologisch-physikalisch eingliedern lassen. Aus historischer Sicht liegen die Gründe dafür wie folgt: Das Kino will immer etwas in den Mittelpunkt stellen bzw. was hervorheben. Das war schon immer so und wird wohl auch in Zukunft immer der Fall sein. Sensationen wurden und werden schon immer musikalisch untermalt. Posaunen erklangen, wenn der König erschien oder ein Schlachtruf im Krieg wurde auch immer musikalisch untermauert. Ein weiterer Grund kristallisierte sich aus der Stummfilmzeit heraus. Hier wurde anfänglich Klaviermusik eingesetzt, um die lauten Film-Projektoren zu übertonen und somit den Lärm zu kaschieren. Auch war es wichtig, den/der Rezipienten/Rezipientin mit Musik zu unterhalten, wenn das Filmband wegen eines Filmrisses repariert werden musste und dadurch eine Pause entstand. Psychologisch gesehen war es auch von Vorteil, dem/der Rezipienten/Rezipientin ein Wohlgefühl durch Musik zu vermitteln. Das Sitzen in einem dunklen Raum ruft immer noch Angst hervor. Deshalb wird auch heutzutage immer noch bei Untersuchungen mit einem MRT Musik zur Beruhigung der Patienten/Patientinnen eingesetzt. Die heutige Technologie, die bei modernen Filmen eingesetzt wird, kann durchaus auch manipulierend auf den/die Rezipienten/Rezipientin wirken. Eine Größe, die hier genannt werden kann, ist der Rythmus. Dieser kann im Film die Geschwindigkeit des Gesamtablaufs wesentlich beeinflussen. Die

8. Musik und Erinnerung bei Film- und Fernsehen

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Filmmusik kann so eingesetzt werden, dass sie entweder dem/der Rezipienten/Rezipientin keine Zeit zum Atmen lässt oder ihm/ihr aber auch Zeit zum Wieder-zur-Ruhe-kommen geben kann. Filmmusik kann beispielsweise auch Originalgeräusche der Szene in ihre Musik einfließen lassen. Auch kann die Musik so bearbeitet werden, dass sie dem/der Rezipienten/Rezipientin vorgibt, in welchem Raum bzw. Ort die Handlung abläuft. So wird, wenn der Film eine große Halle vorgesehen hat, der Ton mit einem Nachhall versehen, was die Wirkung von Größe und Weite hervorruft. Soll dagegen Enge auditiv dargestellt werden (z.B. das Bild will zeigen, dass eine Person in einem kleinen Raum eingesperrt ist), so kann dies durch Ausfilterung bestimmter Frequenzen umgesetzt werden, damit sich ein Gefühl der Enge und Beklemmtheit einstellt (vgl. Spitzer, 2002, 418ff). Es kann auch festgestellt werden, dass Ereignisse oder Situationen besser aufgenommen werden bzw. wirken, wenn diese in Verbindung mit Emotionen stehen. Ein Film wird beispielsweise von allem Menschen auf Wahrnehmungsund Beurteilungsebene analysiert. Zum einem verknüpft der/die Rezipient/in bewusst (oder auch unbewusst) die Informationen des Films miteinander, um dadurch die Handlung nachvollziehen zu können. Zum anderen lässt er/sie sich mit seinen/ihren Empfindungen, die er/sie gegenüber des Films hat auf die Handlung, auf die gezeigten Figuren und die Situationen ein. So äußert sich Wüsthoff recht passend über die emotionale Wirkung von Musik (Wüsthoff, zit. nach Kreuzer, 2009, 58): Sprachinformationen erhalten durch das Hinzutreten von Musik eine viel tiefgreifende Wirkung, da sich unser Gefühl beteiligen kann. [...] Um eine optimale Wirkung [...] zu erzielen zu können, muss daher ein sinnvoller und kontinuierlicher Zusammenhang hergestellt werden zwischen den optischen und den akustischen Ereignissen, wobei Musik für die Gefühlskomponente hauptverantwortlich ist. Studierende des Master-Studiengangs Multimediaart an der Fachhochschule Salzburg erstellten 2012 im Rahmen ihres Masterprojekts den Kurzfilm Gilbertis Curiositäten 2 , in dem der Autor dieser Arbeit sowohl an der Entstehung des Sounddesigns als auch an der Filmmusik beteiligt war. Bei der Entwicklung der einzelnen Soundbereiche wurde von Anfang an versucht, die Geräuschkulisse, die vielfach erst in der Postproduction reproduziert wurde und die Filmmusik so anzulegen, dass sie die Handlung optimal unterstützen.

2

Gilbertis Curiositäten (Österreich 2012, Regie: Emanuel Ebner, Lisa Anna Stolze)

8. Musik und Erinnerung bei Film- und Fernsehen

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Um die von den Regisseuren beabsichtigten Handlungs-Emotionen, die bei dem/der Rezipient/in ausgelöst werden sollten auch musikalisch darstellen bzw. mehr ersichtlicher zu machen, stützte man sich auf folgende Ausgangssituationen: 1. Mit dem Richtigen Einsatz von Filmmusik können die Emotionen des/der Rezipienten/Rezipientin beeinflusst werden. 2. Es werden mit Filmmusik die momentanen Gefühle der in der Handlung agierenden Personen mehr ersichtlich und nachvollziehbarer. 3. Die Auswahl und Verwendung von Instrumenten, denen eine bestimmte Bedeutung bzw. ein Gefühl zugeschrieben ist und für den Film zielfördernd eingesetzt werden können. Generell lässt sich der Film in zwei Teile aufgliedern: Dem Landteil und dem Stadtteil. Da sich der Kurzfilm dem französischem Genre bedient, kamen zum Großteil für die Instrumentierung das Klavier und das Akkordeon zum Einsatz. Doch spielt hierbei das Akkordeon eine Art Doppelrolle. Laut Wüsthoff ist dem Akkordeon u.a. die Bedeutung Paris, aber auch Volksmusik zugeschrieben. Das Akkordeon wurde überwiegend bei dem Landteil eingesetzt, da sich damit sehr gut die ländliche alte traditionsbehaftete Welt darstellen ließ. Um den/der Rezipienten/Rezipientin dramatische Handlungsabläufe besser zu verdeutlichen, wurden beispielsweise Geigen und Posaunen verwendet, die in der Tonhöhe etwas tiefer angelegt worden sind. Diese beiden Instrumente (sowie auch der Tonhöhe) sind dramatische bis depressive Gefühle zugeschrieben und konnten später im Film als durchaus gewinnbringend angesehen werden (vgl. Spitzer, 2002, 422f). Rückblickend konnte festgestellt werden, dass erst durch den richtigen Einsatz der Filmmusik gewisse Handlungssequenzen emotional so aufgeladen wurden, dass diese um einiges nachvollziehbarer bzw. verständlicher waren. Eine weitereFunktionsweise und Wirkung von Filmmusik zeigt Matthias Keller an dem Beispiel der Eröffnungssequenz des Films Casablanca 3 (1996, 11): Auf der Leinwand erscheint zunächst eine Karte von Afrika [...]. Hierzu vernimmt man aufgekratzte, pseudoorientalische Musik, die nach ungefähr 45 Sekunden in die erste Zeile der „Marseillaise“ übergeht. Diese wiederrum mündet nach wenigen Sekunden in einen so genannten Trugschluss, während auch im Bild eine erste 3

Casablanca (USA 1942, Regie: Michael Curtiz)

8. Musik und Erinnerung bei Film- und Fernsehen

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Blende erfolgt. Zur sich drehenden Weltkugel und der Stimme eines Kommentators tritt nun eine breit angelegte dritte Musik in Erscheinung, mit düsteren Paukenschlägen nach Art des Kopfsatzes der ersten Brahms-Sinfonie. Das musikalische Gesamttempo hat sich [...] um zwei Stufen verlangsamt, Kamera und Text des Erzählers erreichen in weniger als einer Minute das vorläufige Ziel der Eröffnung [...]. Schon erscheint aus der Vogelpersektive der Turm einer Moschee. [...] Beim nachfolgenden Schnitt in das Innere einer Amtsstube ertönt - es sind gerade zwei Minuten vergangen - ein erneutes Motiv: Der Anfang der deutschen Nationalhymne. Noch bevor der Darsteller zu sprechen beginnt, wissen wir, wo wir uns befinden: Nämlich in einem Quartier der deutschen Wehrmacht. Dieses Beispiel von Keller zeigt u.a. auf, wie Filmmusik auch psychologisch wirksam sein kann. Er erwähnt, dass die deutsche Nationalhymne hörbar ist und dadurch dem/der Rezipenten/Rezipientin suggeriert wird, dass der Ort des Geschehens ein Quartier der deutschen Wehrmacht ist. Diese Wirkung ist zwar kulturell vermittelt, dennoch setzen sie physiologische Gedächtnisprozesse voraus. Durch die Fähigkeit des Menschen, auf rasche Art und Weise solche assoziativen Verknüpfungen herzustellen, funktioniert ein solcher Einsatz von Musik. Solch ein spezieller Einsatz von Filmmusik wird „Leitmotivtechnik“ genannt. Die Leitmotivtechnik wurde aber nicht erst mit Erfindung des Films entwickelt, sondern machte sich auch schon Wagner, Verdi oder Mozart zu Nutze (siehe Kap. 7). Laut dem Hitchcock-Komponist Hermann liegt die Funktion (bzw. der Grund) der Leitmotivtechnik darin, dass sich daraus die einzigartige Möglichkeit ergibt, die vielen Versatzstücke eines Filmen logisch zusammenzuhalten (vgl. Keller, 1996, 68). Sie wirken somit unterstützend für die visuelle Wahrnehmung. Der Hollywood-Klassiker Vom Winde verweht 4 hat z.B. elf Hauptleitmotive (vgl. Spitzer, 2002, 420).

8.3

Einsatz der Leitmotivtechnik in Film und Fernsehen

Die Leitmotivtechnik bei Film und Fernsehen gilt als eines der umstrittensten Konzepten überhaupt. Sie wird zugleich als Maßstab und als größter Irrtum in der Filmmusikgeschichte angesehen. Aus diesem Grund wurde sie (und ist sie immer noch) zum Kern von vielen experimentellen Studien hinsichtlich ihrer Wirksamkeit. Wiewohl die Leitmotivik unterschiedlich ausgelegt wird, sind sich die Filmpraxis und auch die Wissenschaft in einem Punkt einig: Sie nehmen an, dass in einm Film oder einer Serie durch Einsatz und Wiederholung von musikalischen Strukturen möglich ist, verschiedene Aussagen 4

Vom Winde verweht (USA 1939, Regie: Victor Fleming)

8. Musik und Erinnerung bei Film- und Fernsehen

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bzw. Thematiken des Films zu gliedern und miteinander zu verknüpfen (vgl. Kreuzer, 2009, 139). Die Idee zur Leitmotivik entstand um etwa 1876, als sich Richard Wagner wie bereits erwähnt dieser Thematik bediente und in seinen Opern anwendete. So entwickelte Wagner musikalische Motive, die mit bestimmten Personen oder Handlungen eng verwoben waren (vgl. Blumröder, 1990). Aufgegriffen und verfeinert wurde die Leitmotivik in den 1930er Jahren, wo sie bei den frühen Stummfilmvertonungen eingesetzt wurde. Dies hat sich in der Filmgeschichte bis zum heutigen Tage durchgezogen, wo immer noch musikalische Themen mit Personen, Figuren, Orten und Situationen verknüpft werden. Dabei findet eine Etikettierung von den Bildern des Films und der Musik statt, die sich gegenseitig beeinflussen. In Serien, die im Fernsehen laufen ist es durchaus Standard, wenige aber dafür leicht voneinander unterscheidbare Musik-Themen einzusetzen (vgl. Kreuzer, 2009, 140). Der Musikwissenschaftler und Komponist Norbert Jürgen Schneider äußerte sich hinsichtlich Musikeinsatz in TV-Serien folgendermaßen (1992, 46): Bestimmte Personen und Handlungsmuster müssen so ausgeprägt und wieder erkennbar „etikettiert“ werden, dass der Fernsehzuschauer auch über Wochen hinweg die einzelnen Zusammenhänge in Erinnerung behalten kann und mit der Serienhandlung dadurch vertraut bleibt, auch wenn er einmal einige Folgen nicht sehen konnte. Dabei bezieht sich Schneider auf die Daily-Soap Marienhof 5 , die auf ARD ausgestrahlt worden ist. Hier war er für die Musik verantwortlich. Nach den Erwartungen der Produzenten/Produzentinnen beschränkt sich die Filmmusik nicht nur auf eine stimmungsvolle Wirkung, sondern besitzt auch die Kraft der Erinnerung, die die Handlung des Films wesentlich unterstützt. Die Musik verknüpft im Bewusstsein des/der Zuschauers/Zuschauerin einzelne Sequenzen miteinander (vgl. la Motte-Haber, 1985, 237). Erinnerungswerte führen also nicht zwingend zu Bewusstseinsinhalten, sie bilden eher Entwicklungsmöglichkeiten von kognitiver Aktivität und Auslösung von Emotionen, die die Filmhandlung vorsieht bzw. mitbestimmt (vgl. Kreuzer, 2009, 140). Die Abbildung 8.1 zeigt sehr gut, wie das Wirkprinzip filmischer Leitmotivik von der Produktion bis hin zum fertigen Film im Kino gestaltet ist (vgl. Kreuzer, 2009, 142). Wie schon erwähnt, bedient sich die Leitmotivtechnik mehrerer musikalischer Themen, die mit Personen, Gegenständen oder Handlungen eng verbunden werden. Doch benutzen nicht alle Filmproduzenten/Filmproduzentinnen den Begriff der Leitmotivtechnik in diesem Sinne. Es kommt vor, dass auch nur ein einziges Musikstück, dass sich durch den ganzen Film zieht, 5

Marienhof (Deutschland 1992 - 2011, Regie: diverse)

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Abbildung 8.1: Wirkprinzip filmischer Leitmotivik

als Leitmotiv bezeichnet wird. Dieses Musikstück wird im Film mehrmals wiederholt, variiert in ihrer Instrumentierung oder wechselt sich zwischen Dur- und Moll-Tonart ab. Laut Blumröder scheint dies legitim zu sein, denn der Begriff der Leitmotivtechnik gründet „auf einer Synonymität von Motiv und Thema“ (vgl. Blumröder, 1990, 1). Zofia Lissa beschreibt den Begriff der Leitmotivik mehr als „einheitliches Thema“ und nimmt dadurch Abstand von den Anschauungen Wagners und unzähligen Filmmusikspezialisten/Filmmusikspezialistinnen. So ist sie der Meinung, dass das Leitmotiv „als Grundlage für die Einheitlichkeit des musikalischen Stoffes im Film sowie die Integration der einzelnen Teile des gesamten Filmwerks steht, da der nichtkontinuierliche Charakter der Filmmusik eine große Vereinheitlichung in den klanglichen Strukturen erfordere“ (1965, 273-274). Jedoch würde hier eher der Begriff „Monothematik“

8. Musik und Erinnerung bei Film- und Fernsehen

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zutreffen, der aussagt, dass ein einziges musikalisches Motiv die klangliche Gesamtstruktur des Films darstellt (vgl. Kreuzer, 2003, 77ff). In dieser Arbeit wird Leitmotivtechnik so verstanden, wie es die meisten Filmmusikspezialisten/Filmmusikspezialistinnen beschreiben: Die Verwendung musikalisch leitender Motive, die verschiedenen Charakteren zugeschrieben werden um damit einerseits Handlungsstränge besser verknüpfen zu können und andererseits es dem/der Rezipienten/Rezipientin wesentlich zu erleichtern, die Gesamthandlung des Films besser zu begreifen. Ein wesentlicher Vorteil dabei ist, dass nicht immer jedes wichtige Detail filmisch gezeigt werden muss, da sich der/die Rezipient/in an die bereits gespielte und mit einer bestimmten Handlung bzw. Emotion verknüpfte Musik erinnern kann und dadurch automatisch versteht, welche Emotionauslösung der/die Regisseur/in mit der Handlung beabsichtigt. Historisch nennenswert für filmische Leitmotivik hinsichtlich mehrerer verwendeter Themen ist die von Joseph Carl Breil komponierte Filmmusik für den Film Birth of Nation 6 . Hier verwendete Breil zum Teil Neukompositionen, aber auch Ausschnitte existierender Musikwerke. Bei diesem Stummfilm wurden Personen und auch sich wiederholende Situationen bzw. Handlungen durch musikalische Motive besonders verdeutlicht (und charakterisiert). Die bereits existierenden Musikwerke hatten eine charakterisierende Rolle, um das gezeigte Zeitalter, die Orte und auch die Ereignisse besser darstellen zu können (vgl. Miller Marks, 1997; Kreuzer, 2003, 38-40). Es existieren einige empirische Studien zur musikalischen Leitmotivtechnik. Unter dem Gesichtspunkt der Filmpraxis können diese aber angezweifelt werden, da sie in erster Linie auf das bewusste Wiedererkennen von Themen bzw. Motiven ausgerichtet sind. Eine Studie von Irène Deliège befasst sich mit der Leitmotiverkennung bei Wagner-Opern. Bei dieser Studie wurden die Testpersonen aufgefordert, eine Taste zu betätigen, sobald sie ein bestimmtes zuvor gehörtes Leitmotiv (oder eine Abwandlung davon) wiedererkennen konnten. Sozusagen lag hier eine Art Gedächtnistest vor. Hierbei kann aber nicht behauptet werden, dass ein nicht-erkanntes Leitmotiv automatisch bedeutet, dass diese Leitmotive keine Wirkung zeigen. Denn wenn ein Leitmotiv nicht bewusst wahrgenommen werden kann, heißt das nicht, dass es nicht die kongnitive-unbewusste Reizverarbeitung anregt (vgl. Deliège, 1992, 34-36). Wegen dem Wettstreit, den Filmmusik und das Filmbild im großen Außmaß führen, ist es oftmals schwer, einzelne Leitmotive wiederzuerkennen bzw. sich daran zu erinnern. Aber bei Ausgewogenheit sind Leitmotive durchaus wirksam und für den/die Produzenten/Produzentinnen somit zielführend.

6

Birth of Nation (USA 1915, Regie: David Wark Griffith)

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Jürgen Flender interpretiert die Verwendung der einzelnen Leitmotive wie folgt (2002, 41f): Leitmotive sollten nicht nur hinsichtlich ihrer melodischen und rythmischen Struktur, sondern auch bezüglich basaler perzeptueller Merkmale wie Lautstärke oder Komplexität deutlich voneinander abgegrenzt werden. [...] Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Leitmotiv generell - quasi holzschnittartig - auf schlichte, unmittelbar eingängigen Kennmelodien reduziert werden muss. Vielmehr lässt sich subtil komponierte Leitmotive zumindest für eine häufig wiederholte Rezeption sogar besser eignen als triviale Kennmelodien, nicht nur, weil die Gefahr der ästhetischen Sättigung bei elaborierten Leitmotiven geringer ist als bei schlichten Kennmelodien, sondern auch, weil durch eine dauerhafte Kopplung mit diskriminierbaren Inhalten (Thematiken, Orten, Personen o.ä.) auch für die Leitmotive eine hohe Diskriminierbarkeit erreichbar ist [...]. Die meisten Studien erforschen die Tatsache, ob der/die Rezipient/in in der Lage ist, auf unbewusste Weise musikalische Leitmotive wiederzuerkennen. Dieser Blickpunkt wird eigentlich mehr im Bereich des Audio-Brandings gelegt. Die Leitmotivtechnik bedient sich zwar des Musik-Erinnerungs-Effektes, dieser ist aber, wenn man es genauer betrachtet eher sekundär. Genauer gesagt ist es unerheblich, ob jedes Leitmotiv im Detail wahrgenommen bzw. erinnert werden kann. Im narrativen Film spielt es eine wesentlichere Rolle, dass eine vorgegebene Geschichte schlüssig erzählt wird. So findet man in Drehbüchern eine Menge an kleinen unterschwelligen Handlungen, die in Summe zum Verstehen der Erzählung mitwirken ohne dabei bewusst wahrgenommen zu werden. Wohl wissend, dass einige Teile von Montage, Kameraführung, Schnitt und Sounddesign für den/die Rezipienten/Rezipientin nicht bewusst erkennbar sind, werden sie von den Filmproduzenten/Filmproduzentinnen nicht als nebensächlich abgetan. Der Erfolg eines Films (oder Serie) erschließt sich also nicht bloß dadurch, dass jedes Einzelelement als solches erkannt und verstanden wird, sondern das der ganze Film an sich als stimmig aufgenommen wird (vgl. Kreuzer, 2009, 144). So kann die Studie von Deliège über die Leitmotivik für die Filmpraxis als unerheblich angesehen werden, da die Forscherin vor Versuchsbeginn den Testpersonen die Ziele bis ins kleinste Detail erklärte und ihnen die zu erinnernden Motive gesondert vorgespielt hatte.

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Abbildung 8.2: Verhältnis von Reizverarbeitung zum Bewusstsein

Außerdem erklärte sie, dass eben diese Motive in abgewandelter Form und differenzierter Instrumentierung im Test vorkämen, die es schließlich durch Tastendruck wiederzuerkennen gelte. Auf einen Film umgemünzt würde dies bedeuten, dass die Testpersonen bei jedem Filmschnitt einen Knopf drücken müssen oder beim Hören eines Schlagwerks den Knopf zu betätigen. So wäre es für den/die Filmproduzenten/Filmproduzentin maßgeblicher, Tests zu machen, bei denen es ersichtlich wird, ob die Kernaussage des/der Regisseurs/Regisseurin durch die Verwendung von Leitmotiven verständlicher gemacht wird, also die Musik eine erklärende Funktion einnehmen kann. Da dies methodisch ziemlich schwierig umsetzbar ist, gibt es bislang noch keine derartigen Untersuchungen (vgl. Kreuzer, 2009, 145f). Es steht aber fest, dass das Ausbleiben einer bewussten Wiedererkennung von Reizen dennoch eine Bedeutung hat (siehe Abb. 8.2). Hier ist ersichtlich, dass ein Reiz bzw. ein sensorischer Input viele Verarbeitungsprozesse durchläuft, bis er zum Bewusstsein gelangt. Ob dieser Reiz eine Bewusstseinsbildung auslöst, hängt immer von mehreren anderen Reizen ab. Hier

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setzt die Filmproduktion an. Sie versucht, die Leitmotivik so gut wie möglich einzubauen, damit diese bestimmte Reize bei dem/der Rezipienten/Rezipientin auslöst, die wiederum das Bewusstsein stimulieren (bzw. manipulieren) um die Filmhandlung sinnvoll zu machen. Dabei wird davon ausgegangen, dass durch den wiederholten Einsatz musikalischer Motive im Film eine verhältnismäßige Nähe zu erzählerischen Konzepten entsteht, die erst durch zusätzliche Reize das Bewusstsein anspricht (vgl. Kreuzer, 2009, 146f). Das Augenmerk kann hier wieder auf das beabsichtigte Auslösen von Emotionen gelegt werden. Überaus wichtig ist die Tatsache, dass emotional ansprechende Reize besonders gut verarbeitet werden und dadurch besser ins Bewusstsein gelangen (vgl. LeDoux, 2001, 67). Erinnerungen, in denen Emotionen involviert sind, die nicht unbedingt durch einen sprachlichen Kontext ausgelöst wurden, scheinen stabiler zu sein als bestimmte Wissensinhalte. Hertha Sturm befasste sich ausgiebig mit den audiovisuellen emotionalen Erinnerungswerten und deren Reichweite. Sie konnte belegen, dass sich Testpersonen an auditive emotionale Eindrücke in Fernsehspielfilmen signifikant länger daran erinnern konnten. Interessant ist dabei, dass der konkrekte Wissensinhalt des Films mit zunehmender Dauer immer mehr vergessen wurde (1989, 34f). Dies zeigt einmal mehr, dass der Behauptung, Leitmotive haben keine Wirkung, entgegengesetzt werden kann. Es wäre aber nicht richtig, wenn man der Leitmotivtechnik ein bestimmtes Schema, dass es abzuarbeiten gilt, zuschreiben würde. Die Verwendung musikalischer Motive kann auf mehrere unterschiedliche Arten stattfinden. Grundlegend werden Figuren, Personen oder Handlungen mit einer bestimmten Melodiefolge versehen, um es dem/der Rezipienten/Rezipienten zu ermöglichen, den Film ganzheitlich hinsichtlich seiner intentionalen Handlung zu verknüpfen. So ist es ihm/ihr möglich, Musik, die im Vorhinein charakterisiert wurde, im späteren Verlauf wiederzuerkennen, da er sich an die Verknüpfung der Musik mit dem Ereignis erinnern kann. Wie bereits gesagt, funktioniert dieser Erinnerungseffekt wesentlich besser, wenn Emotionen, seien sie positiv oder negativ, involviert sind. Ein völlig neuer Ansatzpunkt der Leitmotivik wird in dem animierten Film Oben 7 , ein Film von Disney und Pixar Animation Studio, eingesetzt. Hierbei werden auch den Figuren und den Ereignissen charakterisierende musikalische Motive zugeschrieben, diese werden aber teilweise anders in die Handlung eingebaut. Um es besser zu verdeutlichen, wird hier kurz auf die Handlung von Oben eingegangen. Im ersten Viertel des Films lernt man die Figuren Ellie und Carl (Carl ist die Hauptfigur des Films) kennen. Hier sieht 7

Oben (USA 2009, Regie: Pete Docter)

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man, wie sich die beiden als Kindern zum ersten Mal treffen, sich anfreunden, gemeinsame (kindliche) Pläne schmieden, sich ineinander verlieben, heiraten und gemeinsam alt werden. Ihr gemeinsamer Traum ist es, ein Haus an den Paradiesfällen in Südamerika zu erbauen. Dieser erfüllt sich jedoch nie, da das Leben immer neue Aufgaben für sie bereitstellt. Von Anfang an wird den beiden Figuren eine gemeinsame leitmotivische Melodie zugeteilt. Ellie wird schwerkrank und stirbt letztendlich im Krankenhaus. Noch am Krankenbett beteuert Carl, dass die beiden nie ihre Pläne verwirklicht haben. Nach dem Tod von Ellie ist eine eindeutige Abwandlung des musikalischen Leitmotives wahrnehmbar. Carl erhält nun eine eigenständige Melodie. Um vor der Abschiebung ins Altenheim zu entkommen, beginnt er seine Reise zu den Paradiesfällen, indem er unzählige Heliumballons an sein Haus befestigt und damit davonfliegt. Während seiner Reise sieht man im Film, wie Carl bestimmte Dinge wie Landschaften oder einen Ansteck-Button, das als Abzeichen in seiner Kindheit gedient hat, gedankenverloren betrachtet. Dabei ist die Kennmelodie der beiden hörbar. So wird dem/der Rezipienten/Rezipientin gezeigt (demzufolge wird er daran erinnert), dass sich Carl im Film an Ellie erinnert. Hierbei kann sozusagen von einer ErinnerungsVerschachtelung gesprochen werden. Als Zuschauer wir einem ins Gedächtnis gerufen, dass sich der Hauptakteur erinnert. Interessant ich auch, wie bei Oben die Kampfszene leitmotivisch umgesetzt wurde. Im Film gibt es einen Bösewicht namens Charles, mit dem Carl im Finale einen Kampf austragen muss. Auch der Figur Charles wurde eine leitmotivische Melodie zugeschrieben. Während des Kampfes verweben sich diese beiden Melodien. Damit es dem/der Rezipienten/Rezipientin möglich ist zu erkennen, wer im Kampf gerade mehr im Vorteil ist, wurde die charakteristische Melodie der jeweiligen Figur mehr in den Vordergrund gerückt. Gelingt also Carl ein vorteilbringender Treffer im Kampfgeschehen, so ist seine Melodie mehr zu hören, auf der andren Seite kann man die Melodie von Charles merklich besser hören.

8.4

Kritik an der Wirkung der Leitmotivtechnik

Da es viele Stimmen in der Filmmusikwelt gibt, die sich gegen die Leitmotivtechnik aussprechen und somit die Zuschreibung von musikalischen Motiven als wirkungslos ansehen, wird in dieser Arbeit auf die Kritik von Jerry Goldsmith verwiesen. Der Komponist Jerry Goldsmith, der die Anfänge der Filmmusik entscheidend mitgeprägt hat, stand der charakterisierendbildenden Musik im Film eher skeptisch gegenüber. Goldsmith war u.a. der Meinung, dass die Leitmotivtechnik für Filmkompositionen kein effizienter Ansatzpunkt sei, da sie Mängel hinsichtlich der Übermittlung von Handlungszusammenhänge aufweist. In einem Interview von 1994 führte er gleich

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drei für ihn wesentliche Kritikpunkte an, die auf die Unwirksamkeit der Leitmotivtechnik verweisen8 : • In seinen Opern schrieb Wagner gerne ausgeprägte Melodien um verschiedene Charaktere, Orte, Dinge, Emotionen etc auszudrücken. Wagner nannte diese Melodien Leitmotivik. Max Steiner, der erste Hauptakteur in der Musikbranche Hollywoods, übernahm diesen Zugang in seinen Notenkompositionen, welche beispielsweise in den Filmen Vom Winde verweht, Casablanca und Solange ein Herz schlägt 9 verwendet wurden. Steiner war wohl der wichtigste Komponist der sogenannten „Golden Age“ 10 , und während der 30er und 40er Jahre wurde fast jedes Stück nach der Wagnertradition geschrieben. Doch es gibt mehrere signifikante kategorisch einzigartige Fehler im Ansatz der Leitmotivtechnik. Der erste ist von kontextabhängiger Natur. Wagner machte die Leitmotivik für die Oper berühmt, aber Opern unterscheiden sich stark von Filmen - wahrscheinlich am meisten durch die Musik. In Opern funktioniert Musik anders als in typischen Soundtracks von Filmen. Musik stellt den Mittelpunkt in der Oper da. Das Orchester und der Dirigent sind für das Publikum sichtbar. Die Personen auf der Bühne sind in dieser involviert und nehmen sie auch wahr - und singen sogar zur Melodie. Weiters wird die Musik in der Oper nicht unterbrochen. Musikstücke in Filmen auf der anderen Seite sind „non-diegetic“ (außerhalb der Handlung, also von den Protagonisten/Protagonistinnen nicht direkt wahrnehmbar). Die Musik, der/die Dirigent/in und das Orchester sind nicht auf der Leinwand sichtbar und auch nicht in den Köpfen der Charaktere im Film. Das Publikum erlebt diese drei Elemente eher im Hintergrund. Deswegen sollte die Rolle der Musik, wie sie in Opern eingesetzt wird, nicht in Spielfilmen simuliert werden. • Ein zweiter Mangel ist die dramatische Betonung. Der Leitmotiv-Ansatz verlangt zu viel von dem/der Zuhörer/in - und das was er verlangt, ist nicht einmal zielfördernd. Um die Musik der Leitmotivik gänzlich zu verstehen, muss man alle verschiedenen Musikassoziationen verstanden haben. Wenn man versucht, beispielsweise den Star Wars Soundtrack während des Films zu verstehen, dann lenkt man ohne Zweifel nahezu die ganze Aufmerksamkeit von der Storyline weg, die ja eigentlich von der Musik ergänzt werden soll. Der/Die Zuhörer/in muss sich zu stark 8

http://www.filmscoremonthly.com/daily/article.cfm?articleID=3636 (07.11.2012)(Übersetzung: Verena Rechberger) 9 Solange ein Herz schlägt (USA 1945, Regie: Michael Curtiz) 10 Der Begriff Golden Age umfasst die Wirtschaftsblüte der Amerikanischen Filmindustrie in den 30er/40er Jahre des 20. Jahrhunderts. Ab diesen Zeitpunkt war es technisch möglich, (Ton-)Filme für die breite Bevölkerung herzustellen und es entstand ein regelrechter Boom in der Beliebtheit von Filmen

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auf eine Komponente des Films konzentrieren, was den Versuch die Geschichte zu verstehen erschwert. Doch ist die Leitmotivtechnik, die in sich selbst sehr mannigfaltig und nicht greifbar ist, generell wiederholend und eine kommunikative Komponente des Films. Leitmotivische Musikstücke sind (oder sollten) an visuelle Bilder gebunden sein. Wenn eine Person, ein Ort oder ein Ding, das musikalisch repräsentiert wird, Aufmerksamkeit erfährt, dann sollte eben dieses Leitmotiv in der Musik auftauchen. Das schränkt den/die Komponisten/Komponistin erheblich ein, indem er/sie dazu gezwungen ist, Informationen die dem/der Zuschauer/in geboten werden, nachzuahmen und regelrecht wieder „hochzuwürgen“. Wegen dieses Zwangs, die die Leitmotivtechnik vorgibt, ist wenig Platz, um andere Assoziationen musikalisch in den Film einzubauen. Vielmehr macht die Leitmotivik überflüssige Andeutungen. Dramatisch gesprochen, sind leitmotivische Stücke einerseits zu kompliziert und andererseits einfach und wirken für den/die Filmmusikkomponisten/Filmmusikkomponistin sehr einschränkend. • Und schlussendlich ist der Leitmotiv-Ansatz fehlerhaft, weil er auf eine gewisse Art von Irrationalität aufbaut (wegen der Stimmung von Filmerzählungen). Wie auch Paul Andrew MacLean unterstellt, sind in einem Film, der sich der Leitmotivtechnik bedient, viele Elemente durch verschiedenartige, nicht zusammenhängende Themen repräsentiert; solch ein Werk hat normalerweise den Effekt der Trennung von solchen Elementen voneinander. Jedoch, und nicht wie ein leitmotivisches Stück, ist ein typischer Hollywood Film eine Aneinanderreihung von Zusammenhängen. Anstatt Isolation hervorzuheben, liebt er Interaktion; die Geschichte dient als Vermittler, indem sie alle Produktionsschritte zusammenführt. Leitmotive in musikalischer Form schaffen es nicht den Zusammenhang in erzählenden Filmen darzustellen und noch dazu reflektieren sie nicht über die gesamte Perspektive in den Filmen. So kann es in keinster Weise einen Vorteil hervorbringen, bei Spielfilme mit Hilfe der Leitmotivtechnik bestimmte Handlungsräume miteinander zu verknüpfen zu versuchen. Nun stellt sich aber die Frage, was Goldsmith genau unter dem Begriff Leitmotivtechnik verstanden hat, da er in Filmen, in denen Goldsmith für die Filmmusik verantwortlich war, häufig musikalische Leitmotive, die an Personen und Situationen verknüpft wurden zur Verwendung kamen (vgl. Kreuzer, 2003, 137 - 220).

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8.5

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Untersuchung von Herr der Ringe auf Leitmotive

Als besonders gutes Vorzeigebeispiel für die Anwendung der Leitmotivtechnik erwies sich die filmische Trilogie von John Ronald Reuel Tolkiens Herr der Ringe. Es ist anzumerken, dass sich diese Untersuchung nur auf den ersten (Herr der Ringe - Die Gefährten 11 ) der drei Teile beschränkt12 . Doch ist auch zu erwähnen, dass sich einige von Howard Shores entwickelten Leitmotive durch alle drei Teilen von Herr der Ringe ziehen. Wie oft Filmmusik in Filmen eingesetzt wird, wird bei Herr der Ringe besonders deutlich. Wenn man die Tatsache betrachtet, dass Herr der Ringe beinahe 3 Stunden beträgt und davon nur knapp eine halbe Stunde musikfrei ist, zeigt deutlich, wie wichtig Filmmusik eigentlich für den Film ist. Das Musikmaterial bei Herr der Ringe ist von der Melodie und dem Rhythmus so prägnant, dass sie sich bei einer Wiederholung eindeutig einstufen lässt. Dieses Musikmaterial ergibt ein Netzwerk von Leitmotiven, die sich durch den ganzen Film ziehen (so wie auch bei Teil II und Teil III). Man muss aber auch sagen, dass einige Leitmotive sehr schwierig einzustufen sind, weil sie mit mehreren Leitmotiven fest verwoben wurden. Das ist meist der Fall, wenn die einzelnen Kulturen (d.h. Rassen im tolkischen Sinne) zusammentreffen. Einige dieser angepassten Teil-Leitmotive ähneln sich so sehr, dass es fragwürdig bleibt, aus welchem Ursprungs-Leitmotiv sie überhaupt stammen (vgl. Retter, 2008, 29ff). Es kann auch festgestellt werden, dass es bei Herr der Ringe ein Hauptleitmotiv gibt. Im ersten Teil ist dies eindeutig das Leitmotiv der Gefährten. Aus Gründen der Übersicht werden für die einzelnen Leitmotive (bzw. Themen) eindeutige Name vergeben (siehe Auflistung unten). Nennenswert ist die Tatsache, dass Shores Leitmotive zwar eindeutig klar erkennbar sind, aber dennoch äußerst komplex in ihrer Struktur aufgebaut sind. In Herr der Ringe können 10 Leitmotive eindeutig festgestellt werden (vgl. Retter, 2008, 32-35):

11

Herr der Ringe - Die Gefährten (USA, Neuseeland 2001, Regie: Peter Jackson) Aus Gründen der Erleichterung wird in dieser Arbeit nur Herr der Ringe geschrieben, was aber nicht für alle drei Teile steht, sondern nur den ersten Teil Herr der Ringe - Die Gefährten meint 12

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1. Das Auenlandmotiv: umschließt das Auenland und seine Einwohner, die Hobbits. Dieses Motiv wird im Film am häufigsten wiederholt. (21Wiederholungen) 2. Das Gefährtenmotiv: ist das zweithäufigste Motiv im Film. Dieses Motiv kann keiner Kultur, keinem Land und keiner Rasse zugeschrieben werden. Es steht hierbei für die 9 Gefährten - den Hauptfiguren im ersten Teil. Es charakterisiert Entwicklung, Agieren und Auseinanderbrechen der Gruppe. (18 Wiederholungen) 3. Das Mordormotiv: Dieses Motiv widmet sich dem Land Mordor. Es splittet sich wiederum in einzelne Subthematiken auf. So werden die einzelnen Rassen von Mordor durch eigene spezifische Leitmotive charakterisiert (wie beispielsweise Orks, Urukai, Nazgül, etc.). Unter dieses Motiv fällt auch das Ringmotiv, wiewohl es genauer betrachtet, ein eigenständiges Motiv sein könnte. Doch spricht der musikalische Aufbau sehr für die Zuordnung zum Mordormotiv. 4. Elbenmotiv: Eine gesonderte Stellung nimmt die musikalische Untermalung der Elben ein. Hier gibt es zwei große Themen. Das erste Motiv charakterisiert die Unabhängikeit und Selbstständigkeit des Landes Bruchtal. Bruchtal liegt in einer verborgenen Schlucht, das vor Feinden geschützt ist, westlich des Nebelgebirges. Das zweite, dramaturgisch noch brisantere Motiv behandelt das Land um Lothlorien (Elbenland). Dies beschränkt sich aber nicht nur auf Lothlorien, sondern steht auch für das ganze Elbenvolk, also die Gemeinschaft der verschiedenen Elbenländer. 5. Isengardmotiv: Dieses Motiv spielt sehr viel mit dem/der Rezipienten/Rezipientin. Es ist dem Zauberer Saruman zugeteilt. Besonders daran ist, dass sich dieses Motiv im Laufe des Films ändert und so auf geniale Art und Weise das Doppelspiel Sarumans charakterisiert. Grundlegend ist es dem Land Isengard zugeschrieben, das gleich mehrere Geschöpfe aufweist. 6. Menschenmotiv: Dieses Motiv ist sehr schwierig einzustufen und es kann im ersten Teil von Herr der Ringe nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob es sich hierbei tatsächlich um ein Leitmotiv handelt oder eher als Hintergrundmusik einzustufen ist. Erst im dritten Teil kann eindeutig festgestellt werden, dass es sich um ein eigenständiges Leitmotiv handelt. Die Herkunft kann nicht genau festgelegt werden, da es musikalisch sehr brüchig ist und große Ähnlichkeit mit anderen, abgewandelten Motiven aufweist (wie beispielsweise mit dem Gefährtenthema).

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7. Bei Gandalf, dem Grauen, kann nicht von einem Leitmotiv gesprochen werden. Seine Handlungen werden immer unterschiedlich musikalisch untermalt. Wenn man sich festlegen müsste, kommt nur ein wahres Motiv für Gandalf in Frage: und zwar die Hintergrundmusik, die bei Gandalfs Tod gespielt wird. 8. Gollummotiv: Das Geschöpf Gollum ist die außergewöhnlichste Figur in Herr der Ringe. Die Figur Gollum hat von Anfang an eine tragende Rolle. Anfangs war es ein hobbitähnliches Wesen, bis es den Ring in einem See gefunden hat und von ihm Besitz ergriffen hat. Ab diesem Zeitpunkt verändert sich das Leben von Gollum, der nun als bösartige Kreatur mit gespaltener Persönlichkeit durch Mittelerde irrt, um den Ring wieder an sich reißen zu können. 9. Moriamotiv: Im Land (genauer in unterirdischen Höhlen) Moria leben mehrere Kulturen von Mittelerde (Zwerge, Orks und der Dämon Balrog). Diese Kulturen wurden jeweils mit einem eigenständigen Motiv charakterisiert, wobei festzustellen ist, dass jedes der Motive auf einem bestimmten Grundgerüst aufgebaut ist. Dieses Grundgerüst wird hier als Moriamotiv tituliert. 10. Cellomotiv: Wie der Name schon sagt, steht bei diesem Motiv in der Instrumentierung das Cello im Vordergrund. Es ist immer hörbar, wenn die Gefährtenhandlung (oder eine geringe Abwandlung dieser Thematik) im Film behandelt wird. Das Cellomotiv charakterisiert sozusagen die Wesenzüge Mut, Treue, Opferbereitschaft (wenn sich Boromir am Ende des Films am Hügel von Amon Hen dem aussichtslosen Kampf stellt, damit er den Ringträger Frodo mehr Zeit zum Fliehen gibt), Freundschaft und Rettung.

Diese Leitmotive wurden also für die einzelnen Kulturen bzw. Länder ausgearbeitet und zugeschrieben. Das Leitmotiv, dass sich am meisten dem MusikErinnerungs-Effekt bedient und somit mit dem/der Rezipienten/Rezipientin spielt, ist das Isengardmotiv. Am Anfang des Films hat dieses Motiv sehr viele Ähnlichkeiten mit dem Mordormotiv. Dem/Der Rezipienten/Rezipientin ist anfangs unklar, wieso es soviel Ähnlichkeit aufweist. Es wird einem jedenfalls die Erinnerung ins Gedächtnis gerufen, dass diese Melodiefolge Sauron und seine Geschöpfe rund um Modor zugeschrieben ist und es kommt der Verdacht auf, dass der Zauberer Saruman nicht unbedingt für Friede und Wohlgesonnenheit steht. Durch Sarumans immer offensichtlicheres böses Agieren wird dem/der Rezipienten/Rezipientin bewusst gemacht, dass Saruman die Seiten gewechselt hat. So kündigt Sarumans musikalische Untermalung im Vorhinein schon an, dass er als Verräter gilt und sich mit dem Land Mordor

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verbunden hat. Ab dem Zeitpunkt, wo diese Tatsache auch bildtechnisch im Film sichtbar wird, ändert sich Sarumans Leitmotivik. Diese ist völlig neu aufgebaut und kann als eigenständig stehend angesehen werden. Saruman herrscht unter Saurons Einfluss in seiner Festung in Isengard, wo er eine neue Rasse für das Böse züchtet. Dieses Leitmotiv charakterisiert das Dunkle, Bösartige und Beschwörerische. Sie taucht immer im Film auf, wenn die neue Rasse zum Kampf ausgesandt wird oder sich die Handlung rund um das Land Isengard dreht.

Kapitel 9

Schlussfolgerung Mit dem Wissen über den Musik-Erinnerungs-Effekt wird man sich erst der ständigen Konfrontation dessen in der heutigen Zeit bewusst. Dieser läuft teilweise so subtil ab, dass man ihn gar nicht erst als solchen bemerkt. Schon beim Einschalten des Radios oder des Fernsehers wird man mit Werbung überhäuft, die mit Einsatz verschiedenster auditiver Untermalungen die Lust am Kauf stimulieren zu versuchen. Dieser Effekt begleitet uns aber auch im Film und sogar im medizinischen Bereich. Dabei ist es unwesentlich, ob die Wirkung des Musik-Erinnerungs-Effekts nun manipulierend eingesetzt wird oder nicht. Tatsache ist, dass er existiert und auch verwendet wird. Schon seit Anfang der Menschheitsevolution war der Effekt grundlegend relevant für unser Überleben. Da der Mensch mittlerweile ganz oben in der Evolutionskette steht, kann dieser Effekt fürs Überleben aber als nebensächlich betrachtet werden. Aus diversen Studien konnte resultiert werden, dass sich der Musik-Erinnerungs-Effekt auf die Wahrnehmung, Erinnerung und das Gedächtnis stützt. So weiß man heute, dass Wahrnehmung Erinnerungen auslösen kann, die im Gedächtnis archiviert wurden. So kann dieser Effekt in der Medizin vorteilsbringend eingesetzt werden. Vor allem in der Musiktherapie bei Alzheimer-Patienten/AlzheimerPatientinnen können durchaus große Erfolge erzielt werden. Durch das Abspielen von ihnen vertrauter Musik wird das Gedächtnis stimuliert, was gleich mehrere Vorteile aufweist. Einerseits können sich diese Patienten/Patientinnen wieder mehr an vergessen geglaubte Situationen bzw. Ereignisse in ihrem frühen Leben erinnern und andererseits konnte festgestellt werden, dass durch Einsatz bekannter Musik Neues besser begreif- und erlernbarer ist.

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9. Schlussfolgerung

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So wird die kognitive Leistung angeregt, was den Krankheitsverlauf signifikant verlangsamt. Doch auch im Medienbereich wird der Musik-Erinnerungs-Effekt nutzbringend eingesetzt. So baut die Funk- und Fernsehwerbung größtenteils auf diesen Effekt auf. Für Werbetreibende ergibt sich der Nutzen, dass dadurch die Kaufmotivation angeregt wird. Aus Forschungsstudien konnte belegt werden, dass beispielsweise der Einsatz von Musik in der Werbung den Absatz des Produkts steigern kann. Eine besondere Form stellt der Einsatz bekannter Musik dar, wobei hier sehr mit der Erinnerung des/der Rezipienten/Rezipientin gespielt bzw. darauf aufgebaut wird. Der/Die Rezipient/in erwartet hierbei, dass wie gewohnt die sprachlich-instrumentelle Kombination des Liedes kommt. Fehlt diese, fühlt sich der/die Rezipient/in dazu motiviert, dies auszugleichen und singt meist selbst mit. Man kann sozusagen von einem „interaktiven Werbespot“ reden. Durch das eigenständige Reproduzieren wird die Werbebotschaft unbewusst viel besser in Erinnerung behalten, da auf diese Weise generative Prozesse hervorgerufen werden. Schon im 19ten Jahrhundert kam der Musik-Erinnerungs-Effekt in Form der Leitmotivik bei Opern zum Einsatz. Vor allem Wagner und Verdi bedienten sich dieser Technik. Wiewohl gesagt werden kann, dass Komponisten/Komponistinnen dieser Zeit über kein detailliertes Wissen über die neurologischen Prozesse, die beim Musik-Erinnerungs-Effekt ablaufen, verfügten, war ihnen durchaus bewusst, dass dieser Effekt existiert und dass er zielfördernd eingesetzt werden kann. So wurden einzelne Figuren bzw. Situationen mit einer Musikthematik charakterisiert, wodurch es dem/der Zuschauer/in bei späterer Wiederholung möglich war, diese mit den zugeschriebenen Charaktereigenschaften in Verbindung zu bringen. Dadurch wurden einzelne Handlungssequenzen miteinander verknüpft was den Nutzen hatte, dass die Gesamthandlung verständlicher wurde. Diese Technik konnte mit Aufkommen des Mediums Film- und Fernsehen gewinnbringend eingebettet werden. Sie verfolgt das selbe Ziel wie schon früher bei den Opern und kann die gleichen zielfördernden Resultate aufweisen. Der Nutzen ergibt sich sowohl auf Seiten des/der Rezipienten/Rezipientin als auch auf Produzentenseite. Dem/Der Regisseur/in ist es durch die Anwendung der Leitmotivtechnik möglich, seine beabsichtigte Grundaussage des Films deutlicher darzustellen, dem Publilkum wird demzufolge die Handlung klarer. Abschließend kann behauptet werden, dass der Musik-Erinnerungs-Effekt nicht zwangsweise dadurch verschwunden ist, weil der Mensch an oberster Stelle der Evolutionskette steht.

9. Schlussfolgerung

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Der Musik-Erinnerungs-Effekt ist noch immer allgegenwärtig, nur wurde er durch die medizinischen, kulturellen, sozialen und technischen Errungenschaften in eben diese Bereiche verlagert. Dort können zahlreiche Studien die Wirksamkeit des Musik-Erinnerungs-Effekts aufzeigen und belegen, dass er nutzbringend einsetzbar ist.

Anhang A

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Anhang B

Abbildungsverzeichnis Abbildung 3.1: Hirnphysiologische Prozesse beim Musikhören. Kapteina, Hartmut (o. J.): Was geschieht, wenn wir Musik hören. Fragmente zur Psychologie des Hörens. S. 5 Abbildung 5.1: Forschungsergebnisse zur Thematik Einfluss der Musik auf das Erinnerungsvermögen. Reimann, Sandra (2008): Werbung hören. S. 38 Abbildung 6.1: Album-Cover von „Chopin On 5 Continents“. http:// www.jpc.de/image/w600/front/0/5904259358217.jpg (10.10.2012) Abbildung 8.1: Wirkprinzip filmischer Leitmotivik. Kreuzer, Anselm C. (2009): Filmmusik in Theorie und Praxis. S. 142 Abbildung 8.2: Verhältnis von Reizverarbeitung zum Bewusstsein. Kreuzer, Anselm C. (2009): Filmmusik in Theorie und Praxis. S. 146

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