Moral und Wirtschaftskrisen – Enron, Subprime & Co.

Aktienoptionen und Boni: ein hilfreiches Steuerungsinstrument ..... Über die Verfolgung des Eigennutzes soll die größtmögliche Motivation .... jetzt sehr gut liefen. .... Preise wieder gestiegen, erhöhte man sogar die Kredite der Schuldner, damit .... war, CDOs zu kaufen, weil er nicht kalkulierbare Subprimerisiken in ihnen ver-.
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Christian A. Conrad

Moral und Wirtschaftskrisen Enron, Subprime & Co.

disserta Verlag

Christian A. Conrad

Moral und Wirtschaftskrisen Enron, Subprime & Co.

Conrad, Christian A.: Moral und Wirtschaftskrisen – Enron, Subprime & Co., Hamburg, disserta Verlag, 2010 ISBN: 978-3-942109-19-2 Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2010

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. This eBook is also available in an English version: Morality and Economic Crisis – Enron, Subprime & Co., ISBN 978-3-942109-21-5, Hamburg, disserta Verlag

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Inhalt 0.

Einleitung ................................................................................................... 7

1.

Aktuelle Krisen der Weltwirtschaft......................................................... 9

1.1. Enron, Worldcom & Co. ............................................................................. 9 Folgen von Enron, Worldcom & Co....................................................... 12 1.2. Die Subprimekrise ..................................................................................... 13 2.

Schwächen der Unternehmenssteuerung und -kontrolle ................... 27

2.1. Vom Unternehmer zum Manager einer Kapitalgesellschaft ..................... 27 2.2. Trau schau wem: die Principals-Agent-Problematik ................................ 29 2.3. Aktienoptionen und Boni: ein hilfreiches Steuerungsinstrument oder ein Mittel zur Selbstbereicherung?.................................................... 32 2.4. Das Managergehalt: was ist angemessen?................................................. 37 2.5. Mangelhafte Kontrolle der Unternehmensführung ................................... 42 2.6. Ratingagenturen, Aktienanalysten und Wirtschaftsprüfer: die überschätzten Kapitalmarktwächter .................................................... 45 2.7. Das Shareholdervalue Konzept: so bestechend wie gefährlich................. 48 Die verhängnisvolle Klarheit .................................................................. 49 Die Bedeutung der Eigenkapitalkosten................................................... 51 Die kurzfristige Ausrichtung der Unternehmenspolitik.......................... 53 Die Einseitigkeit der Shareholdervaluemaximierung ............................. 56 2.8. Übertriebene Zahlengläubigkeit ................................................................ 58 2.9. Übertriebene Marktgläubigkeit ................................................................. 68 2.10. Das Ethikproblem ...................................................................................... 71 Fehlende Wertevermittlung..................................................................... 75 Gibt es einen moralischen Werteverfall in den Industrieländern?.......... 77 3.

Moral und Marktwirtschaft: Ist der Kapitalismus in der Krise? ..... 83

3.1. Russlands Transformation zu einer nicht ethischen Marktwirtschaft mit einer mangelhaften Wirtschaftsordnung ............................................. 83 3.2. Wie funktioniert das System Marktwirtschaft?......................................... 89 3.3. Markt und Moral – ein Widerspruch? ....................................................... 92 Moralische Ziele und Marktwirtschaft: die Wirtschaftsethik ................. 92 Moralisches Eigentum............................................................................. 94 5

Der falsch verstandene Egoismus ........................................................... 96 Gesellschaftliche Ziele und Marktwirtschaft .......................................... 99 Entscheidungen zu Lasten Dritter ......................................................... 102 3.4. Gewinnmaximierung und Shareholdervalue als gesellschaftliches Ziel? ...................................................................... 103 3.5. Moralische Werte und ihre Bedeutung für Marktwirtschaft und Gesellschaft ............................................................................................. 106 Vertrauen............................................................................................... 106 Moralisches Verhalten muss sich lohnen.............................................. 111 Haben Unternehmen eine soziale Verantwortung? .............................. 114 3.6. Wirtschaft und Freiheit............................................................................ 116 3.7. Fehlende Werttreiber: die unterschätzten Softfacts ................................ 121 3.8. Das Bild vom Menschen ......................................................................... 130 Die menschliche Intelligenz.................................................................. 131 Der Homo Oeconomicus....................................................................... 134 4.

Reformansätze ....................................................................................... 139

4.1. Kulturelle Einflussfaktoren in der Volkswirtschaftslehre....................... 139 4.2. Wie Mitarbeiter und Gesellschaft besser werden können: Economical und Society Culture Aproach .............................................. 141 Zuverlässigkeit ...................................................................................... 142 Loyalität ................................................................................................ 143 Teamfähigkeit ....................................................................................... 144 Leistungsbereitschaft............................................................................. 145 Integrität ................................................................................................ 146 Systemakzeptanz ................................................................................... 146 4.3. Der Managementansatz der qualitativen Führung ..................................... 149 Literaturverzeichnis........................................................................................ 162

6

0.

Einleitung

Im Rahmen der Enron-Krise im Jahr 2000 tauchten die ersten Zweifel auf, ob das kapitalistische Wirtschaftssystem einwandfrei funktioniert. Spätestens mit der Subprimekrise beginnend im Jahr 2007 wurde aber offensichtlich, dass sich die Weltwirtschaft in einer fundamentalen Krise befindet. Die Subprimekrise war die Krönung der ethischen Verfehlungen der Wirtschaft. Hier kam alles zusammen, und manche sahen in ihr das Finale des „Turbokapitalismus“, also die grenzenlose Bereicherung Einzelner auf Kosten der Gemeinschaft, was fast zum kompletten Systemzusammenbruch geführt hätte. Das Fehlen von Regeln und der Glaube an die Selbstheilungskräfte der Märkte wurde von einzelnen zu ihrem Vorteil ausgenutzt. Historisch betrachtet haben sich die Wirtschaftskrisen in den letzten Jahren gehäuft. Es handelt sich also nicht um zufällige Erscheinungen. Vielmehr weisen die Krisen auf massive Schwächen im derzeitigen Wirtschaftssystem hin. Das marktwirtschaftliche System stellt bei der wirtschaftlichen Wertschöpfung das Individuum in den Vordergrund und gewährt ihm einen großen Entfaltungsspielraum. Über die Verfolgung des Eigennutzes soll die größtmögliche Motivation des Einzelnen und damit ein maximales Ergebnis für die Allgemeinheit sichergestellt werden. Dies scheint immer weniger zu funktionieren. Das vorliegende Buch sucht nach Gründen für diese Entwicklung. Ausgangspunkt für dieses Buch sind die Unternehmenskrisen und Zusammenbrüche, die die Weltwirtschaft in den letzten Jahren erschütterten. Ausgehend vom Beispiel des Konkurses des Unternehmens Enron und der Subprimekrise wird nach Gründen für die Krisen gesucht. Es werden zahlreiche Krisenursachen untersucht und verschiedene Fragen der jüngsten Ethikdiskussionen, wie beispielsweise nach dem angemessenen Managergehalt beantwortet. Neben falschen wirtschaftlichen Verhaltensanreizen werden zwei Hauptursachen ausgemacht: eine Vernachlässigung nicht mess- und berechenbarer qualitativer Faktoren (auch Softfacts genannt) und eine extreme Bereicherungssucht der Manager auf Kosten ihrer Unternehmen. Mangelhafte Ethik oder fehlendes moralisches Verhalten führen uns zu der Frage nach der Bedeutung der Moral für die Wirtschaft und damit auch für die Gesellschaft. Diese Frage wird nicht nur aus Sicht der einzelnen Unternehmen, sondern auch am Beispiel Russlands im volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang untersucht. Hierbei wird eine große Bedeutung moralischer Werte und allgemein qualitativer Einflussfaktoren für die wirtschaftliche Entwicklung festgestellt, der bisher nicht Rechnung getragen wurde. Ausgehend von den gewonnenen Erkenntnissen wird ein Managementansatz der qualitativen Führung entwickelt, der der Bedeutung der bisher vernachlässigten qualitativen Faktoren gerecht wird, und der durch die aktive Einbeziehung der Mitarbeiter als Menschen in den Unternehmensprozess die menschlichen produktiven Kräfte zur Entfaltung bringt. 7

1.

Aktuelle Krisen der Weltwirtschaft

1.1.

Enron, Worldcom & Co.

Am Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts wurde die Weltwirtschaft in den USA durch eine Serie von Unternehmenskrisen erschüttert. Um ihren Aktienkurs zu steigern, hatten viele Unternehmen in den USA ihre Bilanzen manipuliert und ihre Zahlen geschönt. Allein in 2000 mussten 233 Unternehmen aufgrund des Drucks der SEC (Securities Exchange Commission) ihre Bilanzen korrigieren, was einen entsprechenden Kurseinbruch nach sich zog. Beispielsweise hatte der zweitgrößte amerikanische Telekommunikationskonzern Worldcom seine Bilanz um 7,15 Mrd. $ manipuliert und der bekannte Kopiergerätehersteller Xerox Scheinumsätze in Milliardenhöhe für die Jahre 1998 und 1999 ausgewiesen sowie in 2000 den Vorsteuergewinn um 845 Mio. $ zu hoch angegeben. Der eklatanteste Fall war allerdings das Vorzeigeunternehmen Enron. Das siebtgrößte amerikanische Unternehmen war jahrelang der Liebling der Aktienanalysten und der Wirtschaftspresse gewesen. Die Presse wählte Enron zum innovativsten und meist bewunderten amerikanischen Unternehmen und den Enron Aufsichtsrat (Board) in 2000 zu einem der fünf besten. Enron hatte fünf Jahre hintereinander jedes Quartal steigende Einnahmen gemeldet. Enrons Marktkapitalisierung stieg von 10 Mrd. $ in 1997 auf den Höchststand von 67 Mrd. $ im Herbst 2000. Enron verdiente sein Geld ursprünglich mit Gaspipelines, entwickelte sich jedoch zu einem innovativen Handelsunternehmen. Enron handelte mit allem rund um Energie, aber vor allem mit Derivaten wie beispielsweise Futures (Positionen) auf die Wetterentwicklung. Angefangen von dem CEO Jeff Skilling (ab 2001), der 1990 mit einem Harvard Abschluss von der berühmten Beratungsfirma Mc Kinsey kam, bis zur renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Athur Andersen hatte Enron den Ruf, das Beste zu repräsentieren, was Amerikas Wirtschaftselite zu bieten hatte. Direkt von Mc Kinsey kommend, prägte vor allem Skilling1 die strategische Ausrichtung und die Unternehmenskultur Enrons. Skilling wollte das Letzte aus seinen Mitarbeitern herausholen. Er verlangte höchsten Arbeitseinsatz und Qualität, um dem Unternehmensslogan „The worlds leading company“ gerecht zu werden. Hierzu implementierte er spezielle Anreizmechanismen. Die Händler wurden erfolgsabhängig nach ihrem Kontraktvolumen bezahlt. Doch damit nicht genug. Gemäß dem sprichwörtlichen Mc Kinsey Motto „Up or out“ organisierte er Mitarbeiterrankings, wobei die unteren 20% mit ihrer Entlassung rechnen mussten. Gemäß dem Grundsatz „survival of the fittest“ konnte er sich somit der Bestleistungen

1

Skillings galt und gilt als sehr intelligent, allerdings auch als arrogant. Er wurde ebenso wie Lay wegen Betrug, Geldwäsche und Verschwörung angeklagt. Jedoch fiel der Nachweis schwer, weil Skillings alle Anweisungen nur mündlich gegeben hatte. Vgl. Handelsblatt vom 27./28./29.01.06, S. 15.

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seiner Mitarbeiter sicher sein. Gepaart wurde dieses Incentive-System mit einer strengen hierarchischen Unterordnung: „If you didn´t act like a light bulb came on pretty quick, Skilling would dismiss you.“2 Der CEO von Lehman, Richard Fuld, soll einen ähnlichen Führungsstil gehabt haben. Auch hier trauten sich die Mitarbeiter nicht, Fuld die Verluste zu melden. Mitarbeiter, die wie Mike Gelband, Chef der Immobilienabteilung, 2006 vor den Immobilienrisiken warnten wurden entlassen.3 Wie reagierten die Mitarbeiter? Sie taten alles, um Skilling zufrieden zu stellen. Das Volumen der Handelskontrakte wurde künstlich erhöht. Fehler wurden den Vorgesetzten nicht gemeldet. Es durfte ja auch keine geben – bei Enron. Scheinbar arbeiteten alle Mitarbeiter ständig und perfekt. Insgesamt bildete sich eine Atmosphäre der Angst sowie des Misstrauens und des gegenseitigen Übervorteilens. Die Händler hatten Angst, nur für wenige Minuten ihren Arbeitsplatz zu verlassen, weil sie fürchteten, einer ihrer Kollegen könnte Informationen über die eingegangenen Positionen aus ihrem Computer holen, um gegen sie an den Märkten zu wetten und damit ihre Positionen zu entwerten. Letztlich machte Skilling seine Mitarbeiter weder glücklich noch bekam er die von ihnen gewünschte Produktivität. Er erreichte sie nicht. Sein System der Härte und Angst bewirkte das Gegenteil. Die produktiven Kräfte der Mitarbeiter wurden nicht für das Unternehmensziel nutzbar gemacht, weshalb Enron auch nicht die „worlds leadings company“ sein konnte. Zu guter letzt kam alles raus. Enron hatte Scheingewinne von rd. 1 Mrd. $ ausgewiesen und die renommierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen die manipulierten Bilanzen testiert, was nicht nur das Ende beider Gesellschaften bedeutete, sondern auch die gesamte Finanzbranche erschütterte. Wie konnte so etwas passieren? Wie konnten sich die renommierten Ratingagenturen, Banken, Investmentbanken und Aktienanalysten irren? Genauer gesagt, warum hat keiner etwas gemerkt? Mit dieser Frage werden wir uns später noch beschäftigen. Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Bilanzzahlen gefälscht waren, womit es die Finanzmarktinstitute schwer hatten, Enron auf die Schliche zu kommen. Die Ehre, den Betrug aufgedeckt zu haben, gebührt zwei Short-sellern namens Jim Chanos und Doug Millet4, die für das damals relativ unbekannte Unternehmen Kynikos Associates arbeiteten. Sie hatten zwar nicht mehr Informationen als die anderen Marktteilnehmer, waren aber anscheinend aufmerksamer, weil 2

Mclean, Bethany (2001). Der Spiegel 11/2009, S. 43f. 4 Dies ist ein Beispiel dafür, dass nicht alle Informationen in den Marktpreisen enthalten sind, sonst gäbe es langfristig keine Short-seller, also Spekulanten. Vielmehr kann sich auch die Mehrheit der Markteilnehmer irren – es sind ja auch nur Menschen. Durch bessere Informationen und Analysen lässt sich der Markt outperformen. 3

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sie bei Enron ein lukratives Short-selling-Geschäft vermuteten, also den Verkauf von geliehenen Enron-Aktien, wobei der Gewinn durch die Rückgabe von günstiger eingekauften Aktien entsteht. Sie wiesen daraufhin, dass Enrons operating margin (Umsatzrendite) von 5 % in 2000 auf unter 2 % Anfang 2001 gefallen war, und dass es sich nach wie vor nicht erklären ließe, wie Enron wirklich sein Geld verdiene. Ferner stünde der Cash-Flow in keinem Verhältnis zu den ausgewiesenen Gewinnen, sei also zu niedrig. Auch sei es doch erstaunlich, dass Skilling seine Aktien zu einem Kurs von 80 $ verkaufe, wo er doch in der Öffentlichkeit behaupte, sie seien eigentlich 126 $ wert. Aber auch der Vorgänger von Skillings als CEO, Kenneth Lay, verkaufte in 2001 Enron-Aktien im Wert von 70 Mio. $ während er gleichzeitig den Enron-Mitarbeitern den Kauf von Enron-Aktien als sichere Investition empfahl. Enron konnte die Vorwürfe in der Öffentlichkeit nicht entkräften. Als der Aktienkurs schließlich bei 40$ angelangt war, verließ Skillings das Unternehmen und Lay wurde wieder CEO. Auch Lay dementierte die Gerüchte über Enrons Probleme. Es gäbe weder „accounting“ noch „trading issues“ noch „reserve issues“. Schließlich meldete Enron am 16. Oktober 2001 einen Verlust von 618 Mio. $ und schrieb Assets in Höhe von 1,6 Mrd. $ ab. Lay bestand noch am 23. Oktober darauf, dass Enrons Geschäfte jetzt sehr gut liefen. Das Downgrade unter Investmentgrade von S & P löste dann die Insolvenz aus, da dies die sofortige Rückzahlungsverpflichtung der in den related party Unternehmen outgesourcten Schulden in Höhe von 4 Mrd. $ nach sich zog. Auch auf die related party Problematik hatte Chanos hingewiesen. Enron hatte seine Schulden nicht in der Bilanz konsolidiert, sondern auf von Enron Mitarbeitern geführten Unternehmen verschoben und hierüber auch noch Scheingewinne verbucht. Was nur wenige wussten, es gab eine Rückfallklausel für die Kredite falls Enrons Rating unter Investmentgrade fallen würde. Mit der Insolvenz wurde ein Vermögenswert von rd. 65 Mrd. $ (Kursmaximum) vernichtet, was in etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Libyen oder Syrien entspricht. Hinzu kam der Schaden des Ausfalls Enrons als Kontrahent bei den Derivaten, die auch als Absicherungsinstrumente der Risiken von anderen Unternehmen gedient hatten.5 Von 1989 bis 2001 hatte Lay Enron-Aktien für 300 Mio. $ verkauft und zwar überwiegend mit Aktienoptionen.6 Um den Vertrauensverlust zu begrenzen, schrieb das Business Round Table, ein Zusammenschluß der CEOs der fünfhundert größten amerikanischen Aktienunternehmen im Februar 2002: „The United States has the best corporate governance, financial reporting, and securities market systems in the world. These systems work because the adoption of the best practices by public companies with a framework of 5

Vgl. Mclean, Bethany (2001), S. 53-58; Collin, Denis (2006), Fox, Loren (2006) sowie Markham, Jerry W. (2006). 6 Vgl. „Enron“, http://en.wikipedia.org/wiki/Kenneth_Lay vom 8.10.06.

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laws and regulations. The collapse of the Enron Corporation is a profound and troubling exeption to the overall record of success.”7 Leider war jedoch Enron kein Einzelfall. Der nächst größere Ausfall war Worldcom wegen manipulierter Bilanzen. Und dann gab es viele andere ähnliche Fälle nicht nur in den USA. Folgen von Enron, Worldcom & Co. Die Enron-Chefs Jeff Skilling und Keneth Lay bekamen ebenso wie der Worldcom-Chef Bernie Ebbers mehrjährige Haftstrafen wegen Bilanzmanipulation. Aufgrund der zahlreichen Betrugsskandale verschärfte die US-Regierung mit dem Sarbane-Oxley-Gesetz die Berichtspflichten und die Gefängnisstrafen für Bilanzmanipulation. Allein die Citygroup und J P Morgan Chase zahlten den Enron- und Worldcomopfern rund 9 Mrd. $ Schadenersatz. Sie akzeptierten einen Vergleich und wendeten damit den Fortgang einer Klage ab, bei der ihnen die Kläger vorwarfen, bei den Bilanzfälschungen mitgewirkt zu haben. Darüber hinaus bekamen zwei Manager des US-Investmenthaus Merill Lynch mehrjährige Gefängnisstrafen für die Beihilfe bei Enrons Bilanzfälschung. Sie hatten mit Enron einen Vertrag abgeschlossen, der dazu diente, Enrons finanzielle Lage zu verschleiern.8 Dem Wirtschaftsprüfer Arthur Andersen wurde falsche Bilanzierung bei den Unternehmen Sunbeam Products, Waste Management, Asia Pulp and Paper, der Baptist Foundation of Arizona und Enron vorgeworfen. In 2002 wurde Arthur Andersen wegen Justizbehinderung verurteilt und verlor daraufhin die Lizenz als Wirtschaftsprüfer. Andersen Mitarbeiter hatten zahlreiche EnronBeweisakten vernichtet. Arthur Andersen wurde daraufhin aufgelöst und hinterließ über 100 Zivil- und Schadensersatzklagen.9 Im großen und ganzen wurde die Chance für eine Verbesserung der Wirtschaftordnung, die sich aus den Skandalen Enron, Worldcom & Co. ergab, aber verpasst. Da Politiker in der Regel reagieren und nicht agieren, wurden auf Druck der empörten Öffentlichkeit viele Reformen diskutiert, aber nur sehr wenige umgesetzt. Von einer unternehmerischen Haftung der Topmanager war beispielsweise relativ schnell keine Rede mehr. Vielmehr wollten sich die meisten Manager des Sarban-Oxley-Acts wieder entledigen.10 So konnte man auf den

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Vgl. Schwarz, Gunter Christian/Holland, Björn (2002), S. 1662. Vgl. Handelsblatt vom 11.07.05, S. 21. 9 Vgl. „Arthur Andersen“, http://en.wikipedia.org/wiki/Arthur_Andersen, vom 8.10.06. 10 Lt. 32. Annual Board of Directors Study, Korn/Ferry International vom 23.02.06, http://news.onvista.de/alle.html?ID_NEWS=20584380. 8

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nächsten Unternehmensskandal warten. Der kam dann in Form der Subprimekrise. 1.2.

Die Subprimekrise

Warren Buffet sah schon 2003 in den Kreditderivaten „financial weapons of mass destruction, carrying dangers that, while now latent are potentially lethal.” Auch andere warnten davor, dass Kreditderivate zu einer zu großen Konzentration von Kreditrisiken, verbunden mit einer zu geringen Transparenz führen. Leider sollten sie Recht bekommen. Als Derivate waren die sog. Collateral Debt Obligations (CDO) der Auslöser und die Hauptursache der Subprimekrise und damit der größten Finanzkrise seit dem Börsencrash 1929. CDOs sind strukturierte Portfolios von Krediten, Anleihen, Forderungen oder auch Kreditderivaten (sog. Credit Defaults Swaps). Strukturiert wurden die CDOs überwiegend von den US-Investmentbanken, die vor allem amerikanische Häuserkredite in die Portfolios packten. Sie strukturierten die CDOs nach Vorgabe der US-Ratingagenturen, die sich ihrerseits auf komplizierte ökonometrische Modelle und Statistiken stützen. Zwei scheinbar geniale Zusammenhänge erlaubten, dass bei diesen Finanzinnovationen das Risiko des gesamten Kreditportfolios kleiner sein konnte als die Summe der Einzelrisiken. Basis für die Einstufung der Kreditrisiken durch die Ratingagenturen waren die historischen Ausfallraten von amerikanischen Immobilienkrediten. Da diese nicht immer verfügbar waren, musste man auch auf Schätzungen zurückgreifen, damit man die Portfoliotheorie anwenden konnte, nach der sich die Risiken eines Portfolios gegenseitig verringern können. Hierzu werden die Beziehungen, die Korrelationen, zwischen den einzelnen Titeln ermittelt, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass beide oder mehrere Titel zusammen ausfallen. Es wurden also komplexe statistische Rechenmodelle angewendet, die auch nicht ohne weiteres nachvollziehbar und auch nicht allen Marktteilnehmern zugänglich waren. Nach den Geflogenheiten des Kapitalmarktes war dies auch gar nicht notwendig, da die Ratingagenturen die Prüfung übernahmen. Ihre Risikoeinschätzung bestimmte immerhin schon seit Jahrzehnten die Konditionen der am Kapitalmarkt gehandelten Kredite. Nach der Subprimekrise wurde jedoch die Objektivität der Ratingagenturen in Frage gestellt, da diese von den Investmentbanken als CDOVerkäufern bezahlt wurden. Der zweite Ansatz mit dem das Rating der Portfolios verbessert werden konnte war die Unterteilung in verschiedene Risikotranchen. Kam es zu Ausfällen, so wurden diese zuerst aus der sogenannten Junior Note bedient. Reichte dieses Kapital nicht aus, verloren auch die Investoren der sogenannten Mezzanine Note (Rating AA bis BB) ihr eingesetztes Kapital bis dann auch die Senior Notes 13

Gläubiger mit scheinbar sicherem AAA-Rating von den Ausfällen betroffen wurden. Über Jahrzehnte waren die amerikanischen Immobilien immer nur im Wert gestiegen. Die USA waren schließlich auch ein Land mit starkem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum. Dies erklärt auch die historisch niedrigen Ausfallraten bei den Immobilienkrediten. Die Verwertungserlöse der Immobilien reichten in der Regel aus, um den Kredit abzudecken. Und so ging man immer mehr dazu über, die Kredite auf die zukünftigen Preissteigerungen abzustellen. Waren die Preise wieder gestiegen, erhöhte man sogar die Kredite der Schuldner, damit diese mehr konsumieren konnten. Politisch war eine Kreditvergabe an sozial Schwache nicht nur gewünscht, sondern die Vergabe staatlich vergünstigter Refinanzierungen an die Hypothekenbanken Freddie Mac und Fannie Mae wurde in einem immer stärkeren Maß an die Kreditvergabe an sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten geknüpft. Schon Mitte der 90er Jahre wurden die Kreditvergabekriterien von der Clinton Administration gelockert.11 Die BushRegierung setzte diese Politik fort. Bereits 2003 warnte der Kongressabgeordnete Ron Paul davor, dass diese Politik dazu führt, dass sich Menschen Häuser kaufen, die sie sich nicht leisten können, was später einmal eine staatliche Rettungsaktion erforderlich machen würde. Die Subprimehypotheken stiegen von 35 Mrd. $ (5% der Hauskredite) in 1994 auf 600 Mrd. $ in 2006 (20% der Hauskredite). Mit dem gestiegenen Volumen wurde auch die Kreditvergabepraxis immer laxer. So bekamen auch Menschen Kredite, die weder Einkommen noch Job noch Vermögenswerte hatten (sog. NINJA-loans: No Income, No Job and no Assets). Begünstigt wurde die Kreditvergabe durch das in Folge der Zinssenkungen von Alan Greenspan sehr niedrige kurzfristige Zinsniveau von bis zu 1% in 2004. Auch Subprime Schuldnern wurden ARM (Adjustable Rate Mortgages) angeboten, bei denen nur die variablen Zinsen zu zahlen sind, oder sog. Teaser Loans, bei denen der Schuldendienst anfänglich unter dem Marktniveau liegt, dafür aber später stark ansteigt oder sog. Payment Options, bei denen der Schuldner nur das zahlen muss, was er möchte und alle Zahlungsverpflichtungen immer wieder in die Zukunft verscho-

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„… the Fannie Mae Corporation is easing the credit requirements on loans … The action … will encourage those banks to extend home mortgages to individuals whose credit is generally not good enough… Fannie Mae… has been under increasing pressure from the Clinton Administration to expand mortgage loans among low and moderate income people and felt pressure from stock holders to maintain its phenomenal growth in profits. In addition, banks, thrift institutions and mortgage companies have been pressing Fannie Mae to help them make more loans to so-called subprime borrowers whose incomes, credit ratings and savings are not good enough for conventional loans… Fannie Mae is taking on significantly more risk… the government subsidized corporation may run into trouble… prompting a government rescue… the move is intended in part to increase the number of… home owners who tend to have worse credit ratings…” September 30, 1999 New York Times.

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ben werden. Insgesamt stieg die Verschuldung der amerikanischen Haushalte von 680 Mrd. $ in 1974 auf 14.000 Mrd. $ in 2001. Von den insgesamt 8,8 Mio. Hausbesitzern hatten (nur) 10,8% kein oder negatives Eigenkapital. Verglichen mit anderen Ländern fielen allerdings die Preissteigerungen der Häuser moderat aus. Die durchschnittlichen Einfamilienhauspreise stiegen zwischen 1997 und 2006 um 126% und die Relation der durchschnittlichen Hauspreise zu den durchschnittlichen jährlichen Hauseinkommen vom 2,9fachen in 2001 auf das 4,6fache in 2006. Solange die Haushalte über die Mittel verfügten, um den Schuldendienst zu tragen, spielte jedoch die Entwicklung der Hauspreise nur eine untergeordnete Rolle. Die Krise wurde vor allem durch die Finanzierungsform ausgelöst. Die goldene Regel der Kreditvergabe, die jeder Banklehrling lernt, heißt fristenkongruente Refinanzierung. Banken können – aber nur sehr eingeschränkt – eine Fristentransformation vornehmen. Das Zinsänderung- und Refinanzierungsrisiko müssen sie dann mit ihrem Eigenkapital tragen. Diese grundlegende Finanzierungsregel wurde allerdings bei den CDOs mit einem Volumen von rd. 2.000 Mrd. $ verletzt. Die langfristigen Hausfinanzierungen wurden zu einem Großteil von den Banken in Objektgesellschaften (Conduits) gekauft, die sich mit geringem Eigenkapital ausgestattet über sogenannte Commercial Papers (CP) refinanzierten. Auf diese Weise konnten die CDOs zu Geldmarktzinssätzen refinanziert werden, was die Gewinnmarge der Banken erhöhte. Die CDOs dieser Objektgesellschaften tauchten in den Bankbilanzen nicht auf. Wie im Fall Enron war die Verschuldung also in nicht zu konsolidierende Drittgesellschaften ausgelagert und deshalb auf den ersten Blick hin nicht erkennbar. In den Bankbilanzen gab es nur den Hinweis auf sogenannten Eventualverbindlichkeiten. Für den als unwahrscheinlich angenommenen Fall, dass die Schuldverschreibungen am Markt nicht mehr platzierbar gewesen wären, mussten sich die Banken bereit erklären, Liquiditätslinien zur Verfügung zu stellen. Kreditfinanzierter Aktienerwerb, also Leveraging, war auch die Hauptursache für die Finanzkrise 1929. Begünstigt wurde die starke direkte und indirekte Verschuldung durch Deregulierungen. Beispielsweise erlaubte die SEC im Jahr 2004 den Investmentbanken ihre Verschuldung wesentlich zu erhöhen, indem sie die Mindesteigenkapitalquote von 8% auf 6% senkte. 2007 wiesen die fünf größten USInvestmentbanken eine Verschuldung von 4.100 Mrd. US $ aus, was ungefähr 30% des amerikanischen Bruttoinlandprodukts entsprach. Was trieb die Banken dazu, dieses hohe Risiko einzugehen? Es war die Zeit des Shareholder Values, der kurzfristigen Ziele und Bonuszahlungen. Der einfachste Weg, den Shareholder Value beziehungsweise den Aktienkurs zu steigern, war mit einer höheren Verschuldung die Eigenkapitalrendite zu erhöhen. Nicht zuletzt forderten die Ratingagenturen für ein ausgezeichnetes Bankenrating eine Eigenkapitalverzinsung von 25% und das Bankenrating bestimmte die Refinanzierungskosten der Banken. Das schöne an den CDOs war, dass sie nicht als Kredite, sondern als 15

Wertpapiere eingestuft wurden. Damit mussten sie nicht mit teurem Eigenkapital unterlegt werden und konnten darüber hinaus weiterverkauft werden, was neue Profite ermöglichte. Mit CDOs ließ sich somit die Eigenkapitalrendite steigern und die internen Zielvorgaben erreichen. Die Kredite wurden als CDOWertpapiere gehandelt und nicht in die Bücher genommen. Die CDOs waren damit scheinbar ohne Risiko. Nicht zuletzt bekamen sie ja auch von den Ratingagenturen ein AAA-Rating, also das Null-Risiko Testat. Als Wertpapiere unterlagen sie auch nicht den strengen Kreditregularien der Finanzaufsicht und auch nicht den Kreditprüfungen der eigens hierfür geschulten Fachabteilungen der Banken. So gesehen konnten die Investmentbanker, unbehelligt von externer Finanzaufsicht und interner Kreditprüfung ein Eigenleben entfalten, das ihnen immer höhere Boni sicherte. Im Jahr 2006 betrugen die Bonizahlungen allein aus den amerikanischen Hauskrediten 23,9 Mrd. US-$. Allein die UBS schüttete in 2007 10 Mrd. Schweizer Franken Boni aus. Die Handelbarkeit der Hauskredite erweckte nicht nur bei den Händlern ein Gefühl der Unbetroffenheit, sondern auch bei den Bankberatern, die die Kredite an immer ungeeignetere Personen vergaben. Schließlich verkauften sie die Kredite weiter und trugen damit nicht das Ausfallrisiko. Kreditvergabe und Kreditrisikoübernahme fielen auseinander, was ein fundamentaler Verstoß gegen die Ordnungsprinzipien Haftung und Transparenz war. Die Transparenz der Kredite war durch die komplexe Konstruktion der CDOs ebenso nicht gegeben. Später stellt man fest, dass Rückabwicklung der CDOs größtenteils nicht möglich war, weil die Kredite nicht bis zu den Kreditnehmern zurückverfolgt werden konnten. Auch die Bonisysteme der Unternehmen verstießen gegen das Prinzip Haftung, weil nur die kurzfristige Zielerreichung belohnt wurde. Langfristige Negativentwicklungen wurden nicht berücksichtigt. Die amerikanische Immobilienblase platzte in 2006. Die inzwischen stark gestiegenen kurzfristigen Zinsen machten es vielen Kreditnehmern unmöglich ihren Schuldendienst zu leisten. Immer mehr Häuser mussten zwangsverkauft werden. Die Häuserpreise fielen. Deutlich wurde die Problematik für den Finanzsektor zum ersten Mal als im Februar 2007 die HSBC die erste Abschreibung auf CDOs in Höhe von 10,5 Mrd. US$ vornehmen musste. Zunächst schien die Krise jedoch sehr begrenzt zu sein und sich nicht auf die Realwirtschaft auszuwirken. Im November 2007 wurde das Volumen fauler Subprimekredite noch auf 148 Mrd. US$ geschätzt. Jetzt rächte sich jedoch die Finanzierungsform der CDOs. Ihre Intransparenz führte dazu, dass niemand mehr bereit war, CDOs zu kaufen, weil er nicht kalkulierbare Subprimerisiken in ihnen vermutete. Der CDO-Markt brach vollkommen zusammen, weshalb die Objektgesellschaften die Liquiditätslinien ihrer Banken ziehen mussten. Dies führte bei den Banken zu einem unerwarteten Liquiditätsabfluss. Im Dezember wurde dann die Zahl der faulen Subprimekredite auf 200 bis 300 Mrd. $ nach oben korrigiert und schließlich im März 2008 nochmal auf 350 bis 600 Mrd. $. 16