Monografien der StadtarchÃologie Wien

Grave from the Battle of Towton AD 1461 (Oxford 2000); Sledzik/Sandberg 2002; A. Kjellstr˛m, A Sixteenth-Century Warrior. Grave from Uppsala, Sweden: the ...
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Monografien der Stadtarchologie Wien

Museen der Stadt Wien ^ Stadtarchologie

M. Binder, Der Soldatenfriedhof in der Marchettigasse in Wien. MSW 4 (2012). ^ Urheberrechtlich geschˇtzt, Vervielfltigung und Weitergabe an Dritte nicht gestattet.  Museen der Stadt Wien ^ Stadtarchologie

Monogra¢en der Stadtarchologie Wien Band 4

M. Binder, Der Soldatenfriedhof in der Marchettigasse in Wien. MSW 4 (2012). ^ Urheberrechtlich geschˇtzt, Vervielfltigung und Weitergabe an Dritte nicht gestattet.  Museen der Stadt Wien ^ Stadtarchologie

Michaela Binder

Der Soldatenfriedhof in der Marchettigasse in Wien Die Lebensbedingungen einfacher Soldaten in der theresianischjosephinischen Armee anhand anthropologischer Untersuchungen

Wien 2012

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ˇber http://dnb.ddb.de abrufbar. Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data is available in the Internet at http://dnb.ddb.de. Impressum Herausgeber: Museen der Stadt Wien ^ Stadtarchologie Umschlag: unter Verwendung eines Details aus der Bautzener Bilderhandschrift von 1762 ( Stadtmuseum Bautzen) Umschlaggestaltung: Christine Ranseder Redaktion: Lotte Dollhofer, Ursula Eisenmenger-Klug, Ute Stipanits Gestaltung: Christine Ranseder Satz: Roman Jacobek Druck: Robitschek & Co. Ges.m.b.H., 1050 Wien Auslieferung/Vertrieb: Phoibos Verlag Anzengrubergasse 16, A-1050 Wien, Austria Tel.: (+43) 1/544 03 191; Fax: (+43) 1/544 03 199 http://www.phoibos.at [email protected] Kurzzitat: MSW 4  Museen der Stadt Wien ^ Stadtarchologie Gedruckte Ausgabe: ISBN 978-3-85161-000-0 ^ Wien 2008 E-Book-Ausgabe: ISBN 978-3-85161-079-6 DOI http://dx.doi.org/10.7337/3851610796 Wien 2012

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Inhaltsverzeichnis

Aufgabenstellung Der Friedhof in der Marchettigasse Geschichte des Friedhofes Die archologische Ausgrabung Anlage der Grber Funde Positionierung der Grabungsflche innerhalb des gesamten Friedhofareals

Anthropologische Einfˇhrung Grundlagen der Skelettbiologie Zusammensetzung des Knochengewebes Aufbau des Knochens Arten von Knochengewebe Knochenformen Knochenwachstum Pathologische Vernderungen am Knochen Reaktionen des Knochens auf pathologische Einflˇsse Erkrankungen des Knochens Palopathologie Palopathologie als wissenschaftliche Disziplin Stress in archologischen Skelettserien Der Nachweis von Stress in archologischen Populationen Kurzbeschreibung der in die Untersuchung miteinbezogenen Indikatoren von Stress am Skelett Sterbealter Schmelzhypoplasien K˛rperh˛he Cribra orbitalia und porotische Hyperostose Infektionskrankheiten Trauma Erkrankungen der Zhne Zahnzementannulation Zahnzement Altersbestimmung mittels Zahnzementannulation Die Anwendung der Zahnzementannulation in der Palopathologie

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Inhaltsverzeichnis

sterreich unter Maria Theresia und Joseph II. Politik und territoriale Grundlagen des Habsburgerreiches Wien unter Maria Theresia und Joseph II. Stadtbild und Bev˛lkerung Lebensbedingungen der Bev˛lkerung Die ˛sterreichische Armee Die Offiziere Der gemeine ˛sterreichische Soldat Kriege unter Maria Theresia und Joseph II. Das Militrsanittswesen im 18. Jahrhundert Die Entwicklung des militrischen Sanittswesens bis 1740 Das Militrsanittswesen unter Maria Theresia Die Bedeutung des Siebenjhrigen Krieges fˇr die Entwicklung des Sanittswesens Die Realitt ^ Der Gesundheitszustand der ˛sterreichischen Armee Medizinische Literatur Das Gumpendorfer Militrspital ^ Eine erste Ausbildungssttte fˇr Militrrzte

Material und Methoden Material Skelettmaterial Die Sterbematriken Auswahl der Individuen fˇr die Zahnzementannulation Methoden Bestimmung von Alter und Geschlecht K˛rperh˛he Pathologien Zahnpathologien Statistische Auswertung Zahnzementannulation

Ergebnisse Demographische Parameter aus den Sterbematriken Geschlecht Alter Dienstgrade Sterblichkeit Osteologische Ergebnisse Geschlecht Alter Vergleich der historischen Daten und der Skelettdaten Alter Palopathologie Physiologischer Stress im Kindesalter Cribra orbitalia und porotische Hyperostose Infektionskrankheiten Periostitis Meningeale Reaktionen Erkrankungen der Atemwege Sinusitis Pleuritis

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Inhaltsverzeichnis

Trauma Dentition Zahnstatus Karies Abszesse Zahnstein Parodontitis Gebrauchsspuren Ergebnisse der Zahnzementannulation

Diskussion Reprsentativitt archologischer Skelettserien Demographisches Profil Mangel und Krankheit im Kindesalter Schmelzhypoplasien K˛rperh˛he Der Lebensstandard der Bev˛lkerung ^ K˛rperh˛he versus Schmelzdefekte Anmie Infektionskrankheiten Infektionen der Atemwege Unspezifische Infektionskrankheiten Trauma Kranium Postkranium Der Fall des Enthaupteten Altersgruppen-Vergleich der Krankheitshufigkeiten Der Gesundheitszustand der Zhne Zahnhygiene Ernhrung Vergleich mit anderen Gruppen der frˇhen Neuzeit Zahnzementannulation Quantitative Ergebnisse Qualitative Ergebnisse Diagenetische Vernderungen

Zusammenfassung Zur Bedeutung der anthropologischen Auswertung historischer Skelettserien fˇr die Palopathologie

Summary Danksagung

Literatur- und Abkˇrzungsverzeichnis Abgekˇrzt zitierte Literatur Abkˇrzungen

Katalog Vorbemerkungen Zeichenerklrung zum Zahnstatus

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Aufgabenstellung

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Aufgabenstellung Die anthropologische Auswertung von Skeletten aus historischen Friedh˛fen birgt auf mehreren Ebenen ein enormes Informationspotenzial. Im Gegensatz zu prhistorischen Grberfeldern k˛nnen nicht nur archologische Funde, sondern auch schriftliche Aufzeichnungen zur Interpretation der Skelette und zur Rekonstruktion der Lebensbedingungen zurate gezogen werden. Selbst in Zeiten, in denen bereits ausreichend schriftliche Quellen zur Verfˇgung stehen, bleiben zahlreiche Aspekte der Geschichte und der Lebensumstnde der Menschen nach wie vor ungeklrt. Dies zeigt beispielsweise die Textstelle von Ch. Duffy in seiner Arbeit ˇber die Armee Maria Theresias: ,,Nur durch eine archologische Untersuchung von Begrbnissttten (eine vom ethischen Standpunkt dubiose Aktivitt) wre man in der Lage, die Art der t˛dlichen Verwundungen im Siebenjhrigen Krieg zu bestimmen.‘‘1 Darˇber hinaus sind schriftliche Aufzeichnungen immer ein Spiegel der geistigen Str˛mungen ihrer Zeit und als solche stark beeinflusst vom sozialen und kulturellen Hintergrund des jeweiligen Autors. Aus diesem Grund mˇssen literarische Quellen nicht immer der Wahrheit entsprechen. Wenn beispielsweise Tacitus die Lnder der Kelten als kalt und unwirtlich bezeichnet, wird man sicher seine Herkunft nicht auer Acht lassen dˇrfen. Relativ gesehen zu seiner Heimat in Sˇditalien, traf die Beschreibung wohl zu, objektiv betrachtet war Mitteleuropa zur Zeit der Kelten sicher keineswegs klter und unwirtlicher als heute.2 Dementsprechend kann die Untersuchung der Skelettreste aus historischen Friedh˛fen auch dazu dienen, derartige Verzerrungen in den schriftlichen berlieferungen aufzudecken und zu korrigieren. Der wissenschaftliche Wert und die Informationskraft solcher Serien sind in den vergangenen Jahren durch mehrere gr˛ere Publikationen im angloamerikanischen Raum immer wieder unterstrichen worden.3 Dem im Mrz 2005 durch Mitarbeiter der Stadtarchologie Wien freigelegten Friedhof in der Marchettigasse im 6. Wiener Gemeindebezirk, der Gegenstand dieser Arbeit ist, kommt zustzlich besondere Bedeutung zu, da es sich um einen Soldatenfriedhof handelte. Es gibt zwar mehrere Untersuchungen von Skelettserien aus militrischen Zusammenhngen,4 doch geht es mit Ausnahme der von Palubeckaite' et al. 20065 untersuchten napoleonischen Soldaten und der Mnner, die mit dem Schlachtschiff Heinrichs VIII., der ,,Mary Rose‘‘, untergingen,6 um in der Schlacht Gefallene. Dementsprechend drehte sich die Auswertung der Skelette in erster Linie um die Untersuchung perimortaler Traumata. Der allgemeine Gesundheits- und Ernhrungszustand der Mnner wurde selten berˇcksichtigt. In den wenigen Ausnahmefllen handelte es sich ausschlielich um Mnner aus aktiven Heeren, daher wurden die harten Anforderungen des militrischen Lebens im Felde fˇr einen schlechten Gesundheitszustand verantwortlich gemacht.7 Die Skelette der Mnner aus dem Soldatenfriedhof Marchettigasse bieten daher die einzigartige M˛glichkeit, den Gesundheitszustand und die Lebensbedingungen von Soldaten einer Armee in Friedenszeiten zu untersuchen, denn sterreich befand sich zum Zeitpunkt der Grˇndung des Friedhofes bereits seit sechs Jahren nicht mehr im Krieg. Darˇber hinaus ist auch aufgrund der Position der Grabungsflche innerhalb des Friedhofareals,

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Duffy 2003, 367. Tac. Germ. 2,1; vgl. auch A. Kreuz, ,,tristem cultu aspectuque‘‘? ^ Archobotanische Ergebnisse zur frˇhen germanischen Landwirtschaft in Hessen und Mainfranken. In: A. Haffner/S. v. Schnurbein (Hrsg.), Kelten, Germanen, R˛mer im Mittelgebirgsraum zwischen Luxemburg und Thˇringen. Kolloquien zur Vor- und Frˇhgeschichte 5 (Bonn 2000) 221. Molleson/Cox 1993; A. L. Grauer (ed.), Bodies of Evidence. Reconstructing History through Skeletal Analysis (New York et al. 1995); Sh. R. Saunders/A. Herring (eds.), Grave Reflections: Portraying the Past through Cemetery Studies (Toronto 1995). Pfeiffer/Williamson 1991; D. D. Scott/P. Willey/M. A. Connor, They died with Custer. Soldiers’ Bones from the Battle of Little Bighorn (Norman/Oklahoma 1998); C. Fiorato/A. Boylston/Ch. Knˇsel (eds.), Blood Red Roses. The Archaeology of a Mass Grave from the Battle of Towton AD 1461 (Oxford 2000); Sledzik/Sandberg 2002; A. Kjellstr˛m, A Sixteenth-Century Warrior Grave from Uppsala, Sweden: the Battle of Good Friday. International Journal of Osteoarchaeology 15/1, 2005, 23^50; Stirland 2005; Palubeckaite' et al. 2006. Palubeckaite' et al. 2006. Stirland 2005. Pfeiffer/Williamson 1991; Sledzik/Sandberg 2002.

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Aufgabenstellung

dessen rumliche Entwicklung historisch belegbar ist (siehe unten), davon auszugehen, dass insbesondere die jˇngeren Mnner erst nach dem Siebenjhrigen Krieg (1756^1763) in den Dienst der Armee traten. Aus diesem Grund soll in der vorliegenden Untersuchung anhand verschiedener pathologischer Vernderungen und Anzeichen von Stress am Skelett sowie unter Einbeziehung schriftlicher Quellen der Versuch unternommen werden, die Lebensbedingungen der Soldaten der k. k. Armee aus dem spten 18. Jahrhundert zu rekonstruieren.

Abb. 1: Vogelschau von Wien (nach 1769) von Joseph Daniel Huber, Ausschnitt mit dem Militrspital und ,,Militrkirchhof‘‘ von Gumpendorf. (Wien Museum, Faksimile mit Ausschnitt aus Blatt B und C, Inv.-Nr. HMW 196.846)

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Der Friedhof in der Marchettigasse

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Der Friedhof in der Marchettigasse Geschichte des Friedhofes Die Grˇndung des Friedhofes in der Marchettigasse geht auf einen Vertrag vom 17. November 1769 zurˇck, in dem der Abt des Schottenstiftes, Abt Benno Pointner, dem Oberkriegskommissar Dier einen Seitenfriedhof der Gumpendorfer Pfarre zur Bestattung der Verstorbenen aus dem neu errichteten Militrspital in der Gumpendorfer Strae zusichert.8 Wie aus den zugeh˛rigen Sterbematriken hervorgeht, wurden die ersten Bestattungen dort noch im Dezember desselben Jahres vorgenommen.9 Aufgrund der groen Anzahl an Verstorbenen im Militrspital in der Gumpendorfer Strae scheint der Friedhof allerdings sehr bald erweitert worden zu sein. Whrend auf der Vogelschau von Joseph Daniel Huber, die etwa um 1770 angefertigt wurde, lediglich ein kleines Friedhofsareal mit der Bezeichnung ,,Militrkirchhof‘‘ im entsprechenden Bereich abgebildet ist (Abb. 1), verzeichnet Joseph Anton Nagel auf seinem ebenfalls 1770 angefertigten ,,Grundri der Kayserlich-K˛nigl.en Residenz-Stadt Wien, ihrer Vorstdte und der anstoenden Orte‘‘ bereits einen wesentlich nach Westen und Sˇdwesten erweiterten Bereich (Abb. 8). Geht man von den zugeh˛rigen Sterbematriken aus, wurden in den 15 Jahren seines Bestehens mindestens 4893 Tote auf dem Friedhof in der Marchettigasse bestattet. Seine Auflassung erfolgte im Jahre 1784, als Joseph II. aus Hygiene- und Platzgrˇnden smtliche Friedh˛fe innerhalb des Linienwalls aufl˛sen lie.10

Die archologische Ausgrabung 11 Bereits in den Jahren 1949 und 1961 wurden in der westlich der Marchettigasse verlaufenden Grabnergasse bei Bauarbeiten vereinzelt Skelettreste gefunden. Den Funden wurde allerdings keine weitere Beachtung geschenkt und Informationen darˇber belaufen sich auf kurze Fundnotizen.12 Im Mrz 2005 wurden bereits zu Beginn der Bauarbeiten im Innenhof des Gymnasiums Wien VI, Marchettigasse 3, im Zuge von Aushubarbeiten fˇr den Bau eines Turnsaales erste Grber angeschnitten. Bei den darauffolgenden Ausgrabungen, durchgefˇhrt in der Zeit vom 23. Mrz bis 29. April 2005 von Mitarbeitern der Stadtarchologie Wien (˛rtliche Grabungsleitung: M. Mosser), konnten auf der gesamten Flche des Innenhofes in engen Reihen angeordnete Grber freigelegt werden (Abb. 2). Das 850 m2 fassende Areal barg 141 Grabgruben mit insgesamt 393 Skeletten (Abb. 3). Aufgrund des enormen Zeitdruckes wurden die meisten Skelette lediglich durch Bauarbeiter notdˇrftig mit Grobwerkzeugen geborgen und kurze Zeit spter von Mitarbeitern der Bestattung Wien zur Wiederbestattung auf den Wiener Zentralfriedhof gebracht. Die Dokumentation beschrnkte sich bei den meisten Grabgruben auf die flchenmige Erfassung durch den Zivilgeometer sowie die Bestimmung der Anzahl der Toten. Allerdings konnte mit der Baufirma13 vereinbart werden, einige der Bestattungen von der Autorin einzeln bergen zu lassen, um somit eine weitere wissenschaftliche Bearbeitung der Skelette zu gewhrleisten. Die Auswahl der Skelette richtete sich in erster Linie nach dem Fortschreiten der Aushubarbeiten, so dass die Einzelbergungen nur in den Bereichen erfolgen konnten, in denen sie die Arbeiten noch nicht behinderten. Insgesamt

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StA Kriegsarchiv, Zentralstelle Hofkriegsrat Sonderreihen Kanzleiarchiv XIII, Nr. 130 B3 Z38 vom 30.11. 1769. StA Kriegsarchiv, Militrmatriken, Militrseelsorge in Wien Gumpendorf, Archivbd. 04244. J. Wimmer, Gesundheit, Krankheit und Tod im Zeitalter der Aufklrung. Fallstudien aus den habsburgischen Erblndern. Ver˛ffentlichungen der Kommission fˇr neuere Geschichte sterreichs 80 (Wien, K˛ln 1991) 171. GC: 2005___05; zur Geschichte von Gumpendorf und zu den Ausgrabungen siehe M. Binder/M. Mosser, Ein Militrfriedhof der Barockzeit und ein Beitrag zur Geschichte von Gumpendorf ^ Grabungen im Innenhof des Bundesrealgymnasiums Wien VI, Marchettigasse 3. Fundort Wien 9, 2006, 226^247. A. Neumann, Ausgrabungen und Funde im Wiener Stadtgebiet 1949/50. Ver˛ffentlichungen des Historischen Museums der Stadt Wien 2 (Wien 1953) 16; ders., Wien VI. ^ Grabnergasse. Fundberichte aus sterreich 5, 1946^1959 (1959) 135; FP 1949/ 11 ^ GC: 1949___07; FP 1961/5 ^ GC: 1961___03 (Grab mit Glasperlen und Mˇnzen des 18. Jh.). Allgemeine Baugesellschaft A. Porr AG.

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Der Friedhof in der Marchettigasse

Abb. 2: Grabung Wien 6, Marchettigasse 3. Grberplan des ausgegrabenen Bereiches des ehemaligen Gumpendorfer Militrfriedhofs von 1769 bis 1784. (Plan: N. Piperakis)

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Der Friedhof in der Marchettigasse

Abb. 3: Blick auf die Grabungsflche im Innenhof des Gymnasiums (April 2005), von Nordosten. (Foto: M. Mosser)

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Abb. 4: Grab Nr. 25. (Foto: M. Mosser)

Abb. 6: Kn˛cherne Kn˛pfe aus den Grbern Nr. 57, 61 und 98.

Abb. 5: Grab Nr. 53, erhaltener Holzsarg mit Zwischenlage. (Foto: M. Mosser).

Abb. 7: Wallfahrtsmedaille aus Mariazell. Vs: Gnadenbild, Rs: Hl. Nepomuk.

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Der Friedhof in der Marchettigasse

Abb. 8: Lage der alten und neuen Gumpendorfer Pfarrkirche, des ehem. Militrspitals sowie des Grabungsareals innerhalb des einstigen Friedhofsgelndes in Bezug zur heutigen Stadtkarte. (Plan: M. Mosser/N. Piperakis)

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Der Friedhof in der Marchettigasse

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konnten 60 Skelette einzeln geborgen und teilweise fotografisch sowie zeichnerisch dokumentiert werden. Unterstˇtzt wurden die Ausgrber dabei zeitweise auch durch Anthropologiestudenten der Universitt Wien.

Anlage der Grber Bei den Grbern handelte es sich um Mehrfachbestattungen zu je drei bis sechs Skeletten in gestreckter Rˇckenlage. Durch exzellente Erhaltungsbedingungen in einigen Bereichen des Friedhofes konnten auch berreste von h˛lzernen Srgen gefunden werden (Abb. 4 und 5). Es waren Mehrfachsrge, in denen die K˛rper lediglich durch eingelegte Bretter getrennt waren. Dies deutet darauf hin, dass die Verstorbenen zur gleichen Zeit oder relativ kurz nacheinander bestattet wurden. In Grbern mit bis zu drei Personen waren diese gleich orientiert, ab einer h˛heren Anzahl erfolgte die Niederlegung gegengleich.

Funde Allgemein konnten in den Grbern des Soldatenfriedhofes, abgesehen von einer Unzahl an eisernen Sargngeln, sehr wenige Funde verzeichnet werden. Hinweise auf eine Bekleidung der Toten fanden sich lediglich in Form von kn˛chernen Kn˛pfen, die allerdings auch nur vereinzelt in den Grbern vorkamen (Abb. 6). Uniformbestandteile lieen sich nicht nachweisen. Die Toten scheinen nackt oder in einer Art Krankenhaushemd bestattet worden zu sein. Bei den ˇbrigen Funden handelte es sich um pers˛nliche Gegenstnde, in erster Linie Anhnger mit Abbildungen christlicher Heiliger (Abb. 7) sowie einfache Fingerringe.

Positionierung der Grabungs£che innerhalb des gesamten Friedhofareals Aufgrund der guten Qualitt und Genauigkeit des historischen Kartenmaterials lsst sich die Lage des ausgegrabenen Bereichs relativ genau innerhalb des gesamten Friedhofgelndes ausmachen (Abb. 8). Die berlagerung der aktuellen Stadtkarte mit dem Flchennutzungsplan von Joseph Nagel, der den Friedhof in seiner Ausdehnung von 1770 abbildet, zeigt, dass sich das untersuchte Areal im nord˛stlichen Bereich der Erweiterung und damit direkt angrenzend an den ltesten Teil des Friedhofes befindet. Einen weiteren Hinweis darauf liefern die im Osten des Innenhofes aufgedeckten Mauerreste. Diese dˇrften von der kleinen Kapelle stammen, die auf Hubers Vogelschau an der westlichen Begrenzungsmauer des ltesten Teiles eingetragen ist (Abb. 1).

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