Mehrsprachiges Handeln im Fokus von Linguistik und Didaktik - Buch.de

Roll & Schilling (Hg.) Mehrsprachiges Handeln im Fokus von Linguistik und Didaktik ... Schule und Hochschule lehren und lernen. ANGELIKA REDDER. Wissen ...
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Mehrsprachiges Handeln im Fokus von Linguistik und Didaktik

Mehrsprachiges Handeln im Fokus von Linguistik und Didaktik

Roll & Schilling (Hg.)

Die Forderung, Mehrsprachigkeit – individuell und gesellschaftlich – als conditio humana anzuerkennen und zu entwickeln, wird in unterschiedlichen Publikationen einer interdisziplinär ausgerichteten Mehrsprachigkeitsforschung vertreten. Im vergangenen Jahrzehnt konnten Konzepte und Programme angestoßen und umgesetzt werden, die Sprach- und Mehrsprachigkeitsbildung in Bezug auf unterschiedliche Gruppen im Blick haben. Zugleich bleibt die institutionelle Verankerung von „Mehr sprachigkeit“ und „Diversity“ sowie die Ausstattung mit den notwendigen Ressourcen ein zähes Politikum. Umso mehr ist die Sprachwissenschaft – als eine der mit Empirie und Theorie der Mehrsprachigkeit befassten Disziplinen – herausgefordert, den gesellschaftlichen Diskurs hin zu einer Ablösung des nationalstaatlich begründeten Paradigmas der Einsprachigkeit zu lenken. Wilhelm Grießhaber hat Konstellationen des mehrsprachigen Handelns in den Mittelpunkt seiner Arbeit in Lehre und Forschung gestellt, die mit dieser Festschrift gewürdigt werden soll. Im vorliegenden Band sind Beiträge versammelt, die Themen aus dem Forschungsfeld Linguistik und Didaktik der Mehrsprachigkeit aus pragmatischer Perspektive behandeln.

Herausgegeben von Heike Roll  & Andrea Schilling

ISBN 978-3-942158-36-7

9 783942 158367

UVRR Universitätsverlag Rhein-Ruhr

Herausgegeben von

Heike Roll & Andrea Schilling

Mehrsprachiges Handeln im Fokus von Linguistik und Didaktik Wilhelm Grießhaber zum 65. Geburtstag

Universitätsverlag Rhein-Ruhr, Duisburg



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Mike Luthardt/UVRR

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Satz



Druck und Bindung



978-3-942158-37-4 UVRR Format Publishing, Jena Printed in Germany

Inhalt

Heike Roll & Andrea Schilling Vorwort................................................................................................................ 7 Konstellationen von Mehrsprachigkeit Konrad Ehlich Sprache(n) und Universität. Eine Skizze........................................................... 17 Roos Beerkens & Jan D. ten Thije Key words in Dutch – German receptive multilingualism................................ 33 Uta Quasthoff Globale und lokale Praktiken in unterschiedlichen diskursiven Genres: Wie lösen L2-Sprecher globale Anforderungen bei eingeschränkter sprachstruktureller Kompetenz im Deutschen?................................................... 47 Susanne Günthner & Katharina König Die sprachliche Rekonstruktion migrationsbedingter Mehrsprachigkeit: Aspekte der interaktiven Konstruktion von „Andersheit“................................... 67 Karen Luttermann Vielsprachigkeit in der Rechtskommunikation: Herausforderungen für Linguisten und Juristen................................................ 85 Manana Kutelia & Nino Abralava Sprachverwendung und Sprachunterricht in Georgien – ein Bericht über gegenwärtige Tendenzen und Perspektiven............................................... 101

(Fach-)sprachliches Handeln in Schule und Hochschule lehren und lernen Angelika Redder Wissen, Erklären und Verstehen im Sachunterricht......................................... 117 Bernt Ahrenholz & Diana Maak Sprachliche Anforderungen im Fachunterricht. Eine Skizze mit Beispielanalysen zum Passivgebrauch in Biologie .................................. 135 Dagmar Knorr Kinder schreiben instruktive Texte. Oder: Warum Papier reißen, aber nicht reisen kann.................................................. 153 Ludger Hoffmann Testverfahren für den Grammatikunterricht? Versuch einer Einschätzung............................................................................. 169 Lienhard Legenhausen Authentic interactions in the language classroom – a necessary and/or sufficient condition?.............................................................................. 189 Birgit Beile-Meister Zur Authentizität von Texten im tertiären Fachfremdsprachenunterricht „Englisch für Juristen“..................................... 199 Christina vom Brocke Agil kommunizieren – evolvierend kooperieren: Neue Herausforderungen und Lösungsansätze für den Fachfremdsprachunterricht.............................................................................. 215 Kleine Formen im Schnittpunkt der Sprachen Jochen Rehbein Aspekte koordinierender Konnektivität – Bemerkungen zu ‚aber‘, ‚also‘ sowie ‚und‘..................................................... 237

Kristin Bührig Höflichkeit, Routine, Lexikon.......................................................................... 263 Andreas Bittner & Klaus-Michael Köpcke Wohin steuert die Pluralbildung im Deutschen? – Eine Fallstudie zur Integration von Entlehnungen aus dem Englischen................................... 281 Larysa Tarasevich Lokale Präpositionen im sprachlichen Handeln. Eine funktional-distributionale vergleichende Untersuchung am Beispiel vom Deutschen und Russischen................................................... 297

Wilhelm Grießhaber – Curriculum Vitae......................................................... 317 Autorinnen und Autoren.................................................................................. 319 Tabula Gratulatoria.......................................................................................... 325

Heike Roll & Andrea Schilling

Vorwort Die Forderung, Mehrsprachigkeit – individuell und gesellschaftlich – als conditio humana anzuerkennen und zu entwickeln, wird in unterschiedlichen Publikationen einer interdisziplinär ausgerichteten Mehrsprachigkeitsforschung vertreten, die sich mit sprachlicher Handlungsvielfalt im Zuge von Migrationsund Globalisierungsprozessen befasst. Tatsächlich konnten im vergangenen Jahrzehnt Konzepte und Programme angestoßen und umgesetzt werden, die Sprach- und Mehrsprachigkeitsbildung in Bezug auf unterschiedliche Gruppen im Blick haben: Exemplarisch genannt seien bilinguale Schulmodelle, die Reform der Lehrerausbildung in NRW im Hinblick auf ein für alle Fächer verbindliches Modul „Deutsch als Zweitsprache“, das Programm FörMig und der Ausbau der universitären Fremdsprachausbildung in Orientierung am „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER)“. Zugleich bleibt die langfristige, flächendeckende institutionelle Verankerung von „Mehrsprachigkeit“ und „Diversity“ sowie die Ausstattung mit den notwendigen Ressourcen ein zähes Politikum. Umso mehr ist die Sprachwissenschaft – als eine der mit Empirie und Theorie der Mehrsprachigkeit befassten Disziplinen – herausgefordert, den gesellschaftlichen Diskurs hin zu einer Ablösung des nationalstaatlich begründeten Paradigmas der Einsprachigkeit zu lenken. Wilhelm Grießhaber hat Konstellationen des mehrsprachigen Handelns in den Mittelpunkt seiner Arbeit in Lehre und Forschung gestellt, die mit dieser Festschrift gewürdigt werden soll. „Frageleri beantworten yapalım!1“ – eine Schülerin fordert mit dieser Äußerung in der Gruppenarbeitsphase im Sachunterricht ihre Mitschülerinnen zur Zusammenarbeit auf. Diese Sprachmischung analysiert Grießhaber (2005) als pragmatisch bedingt, insoweit funktionale Äußerungselemente des Unterrichtsdiskurses in das Türkische integriert werden. Die Analyse mag exemplarisch für seine empirische, handlungstheoretisch basierte Herangehensweise an Mehrsprachigkeit stehen. Im Zusammenhang des in den 1980er Jahren neu konstituierten Forschungsfeldes „Interkulturelle Kommunikation“ steht seine Dissertation „Authentisches und zitierendes Handeln“ (1987). Die Analyse des sprachlichen Handelns deutscher und mehrsprachiger Jugendlicher türkischer Herkunft im institutionellen Setting des Be1

Grießhaber (2005, 96)

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werbungsgesprächs zeigt Auswirkungen von geringerer Sprachkompetenz in der Mehrheitssprache Deutsch sowie von Attribuierungen, die mit der Präsupposition kulturell differierender Hintergründe einhergehen. Wilhelm Grießhaber bereitet die Erkenntnisse für eine Umsetzung im Zweit- und Fremdsprachunterricht auf: Das Rollenspiel als eine klassische Form des kommunikativen Unterrichts wird auf den Prüfstand gestellt. Für seine Habilitationsschrift, in der er die lokalen Präpositionen des Deutschen als relationierende Prozeduren bestimmt, ist der Ansatz einer funktionalen Grammatikanalyse grundlegend; auch hier werden Lernertexte von Migrant/innen türkischer Herkunft systematisch in die Untersuchung miteinbezogen (Grießhaber 1999). So im Felde der linguistisch basierten Erforschung des Gegenstands Sprachlehrforschung/Applied Linguistics profiliert – verbunden mit seinen Erfahrungen aus der Spracharbeit eines Lektorats in Belgrad – ist es nur konsequent, dass W. Grießhaber 1995 eine Professur an einem neu aufzubauenden universitären Sprachenzentrum antritt. Als Leiter des Sprachenzentrums der WWU Münster steht er für neue Wege in der hochschulspezifischen Fremd- und Fachsprachvermittlung: Er führt eine bedarfsorientierte Struktur des hochschulischen Fremdsprachangebots ein und initiiert eine Vielzahl fachwissenschaftlich begründeter Fremdsprachprogramme, die wissenschaftlich begleitet werden. Der interdisziplinär mit der juristischen Fakultät aufgebaute Studiengang „Fachspezifische Fremdsprachausbildung für Juristen“, die Schreibwerkstatt oder die Studien zum Einsatz neuer Medien in der Fremdsprachvermittlung seien als prominente Beispiele genannt. Die Kooperation mit ausländischen Wissenschaftlern und Hochschulen, insbesondere auch die Einbindung ausländischer Studierender, prägen das Profil des Sprachenzentrums als Ort einer universitären Mehrsprachigkeit. Die Durchführung der Longitudinalstudie „Deutsch & PC“ (2002-2006) stellt die Untersuchung von Erwerb und Vermittlung des Deutschen als Zweitsprache auf eine breite Datenbasis. Die Auswertung der schriftlich und mündlich erhobenen Daten erlaubt eine Fundierung der Profilanalyse als ein für den DaZ-Bereich wichtiges Sprachstandsdiagnoseverfahren. Mit der Einführung in „Spracherwerbsprozesse in Erst- und Zweitsprache“ (Grießhaber 2010) liefert W. Grießhaber einen Baustein für die in den nächsten Jahren zu bewältigende hochschulische Herausforderung einer für Mehrsprachigkeit qualifizierenden Lehrerausbildung. Im vorliegenden Band sind, gruppiert in drei Themenbereiche, Beiträge versammelt, die die Bandbreite seiner Forschungsinteressen sowie seine Verbindungen zu anderen deutschen und ausländischen Hochschulen abbilden. Mögen sie dazu anregen, offene Fragen, die im Feld einer Linguistik und Didaktik der Mehrsprachigkeit zu bearbeiten sind, zu beantworten!

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Bevor die Beiträge kurz dargestellt werden, möchten wir Karin Jirsak-Biemann und Ilka Pescheck sehr herzlich für die redaktionelle Unterstützung bei der Erstellung der Festschrift danken.

Konstellationen von Mehrsprachigkeit Konrad Ehlich diskutiert das komplexe Verhältnis von Sprachen und Wissenschaft. Mit der Konsolidierung einer Vielfalt an voll ausgebauten Wissenschaftssprachen, spätestens im 19. Jahrhundert, konstatiert Ehlich das Erfordernis einer Didaktik von Wissenschaftssprachen an der Hochschule, da diese der Bedeutung von (Fremd)sprachkenntnissen in der Wissenschaft und ihren Anwendungsfeldern bislang nicht ausreichend Rechnung trägt. Erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts hat sich die Universität der Sprachenfrage gestellt und mit der Einrichtung universitärer Sprachenzentren reagiert. Ehlich fordert eine wissenschaftliche Fundierung gerade auch der hochschulischen Sprachenvermittlung. Der Beitrag von Roos Beerkens und Jan ten Thije widmet sich rezeptiver Mehrsprachigkeit in Institutionen. In einer empirisch angelegten Studie verfolgen die Autoren die Frage, inwiefern in Arbeitsbesprechungen zwischen deutschen und niederländischen Gesprächspartnern Verstehen hergestellt wird, wenn die Interaktanten in ihrer jeweiligen Erstsprache miteinander kommunizieren, in der jeweils fremden Sprache aber über rezeptive Sprachkenntnisse verfügen. Es wird herausgearbeitet, dass angesichts von institutionellen und kulturellen Unterschieden „Schlüsselwörter“ eine wichtige Rolle für das gegenseitige Verstehen spielen. Uta Quasthoff untersucht Gesprächsausschnitte aus narrativen biographischen Interviews mit ein- und mehrsprachigen, erwachsenen Personen mit türkischem Migrationshintergrund zu besonderen Erlebnissen in deutschen Behörden. Sie zeigt auf, dass der Versuch, eine nicht ausreichende sprachliche Kompetenz in diskursiven Gattungen durch die Wahl einer anderen (lexikalisch und sprachstrukturell weniger ausgebauten) Gattung zu kompensieren, nur begrenzt erfolgreich ist. Die für eine Erörterung oder Diskussion erforderlichen Mittel eines ‚integrierenden Genres‘ können nicht durch das ‚sequenzierende‘ Strukturprinzip des Erzählens konkreter Erlebnisse ersetzt werden. Susanne Günthner und Katharina König gelangen zu dem Schluss, dass junge Erwachsene ihre migrationsbedingte Mehrsprachigkeit in der deutschen Mehrheitsgesellschaft immer noch als „Normabweichung“ erfahren. In der Analyse narrativer Interviewausschnitte zeigen die Autorinnen im Detail auf, wie die Interaktantinnen diese Erfahrungen kommunizieren. In der sprachlichen Darstellung wird sowohl auf das Erzählen eines singulären Erlebnisses

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als auch auf das Schildern wiederholter, typisierter Situationsausschnitte rekurriert. Die Autorinnen arbeiten heraus, wie die jungen Erwachsenen ihre Mehrsprachigkeit reflektieren und bewerten. Die Praxis der mehrsprachigen Rechtskommunikation innerhalb der EU bildet den Ansatzpunkt für Karen Luttermanns Arbeit. Die europarechtsfördernde Auslegung der in alle Amtssprachen übertragenen, gleichrangigen und verbindlichen Rechtstexte erfolgt mittels eines zweiseitigen Interpretationsverfahrens aus Sprachen- und Rechtsvergleich. Luttermann argumentiert für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Juristen und Linguisten sowohl bei der Erstellung als auch bei der Auslegung von Rechtstexten. Manana Kutelia und Nino Abralava berichten über die Stellung des Georgischen als offizielle Landessprache sowie über die zunehmende Bedeutung von Englisch in öffentlichen Einrichtungen und multinationalen Organisationen in Georgien. Die Autorinnen plädieren für eine Politik der Mehrsprachigkeit, die auf die Vermittlung von Kenntnissen in mehreren Fremdsprachen abzielt. Ansatzpunkt für eine Stärkung des Deutschen als derzeit dritter Fremdsprache nach Englisch und Russisch sehen sie in einer Reformierung der Lehrerausbildung.

(Fach-)sprachliches Handeln in Schule und Hochschule lehren und lernen Angelika Redder setzt sich für eine handlungstheoretische Fundierung sprachdiagnostischer und sprachförderlicher Verfahren ein, die das Verhältnis von illokutiver und propositionaler Dimension beim Ausbau (bildungs-)sprachlichen Handelns systematisch berücksichtigen. Anhand von Videoaufnahmen rekonstruiert sie, welche Formen und Abstraktionsstufen des Wissens, sprachbiographisch übergreifend, in Äußerungen von Schülern der 4. Jahrgangsstufe einer Grundschule im Sachunterricht sprachlich realisiert werden und zeigt auf, wie diese in Relation zu den je vorhandenen sprachlichen Fähigkeiten zu verorten sind. Auch Bernt Ahrenholz & Diana Maak befassen sich mit der Sprachlichkeit der schulischen Wissensvermittlung und -aneignung im Fachunterricht. Im Fokus steht dabei die Ermittlung spezifisch fachsprachlicher Strukturen des schriftlichen und mündlichen Inputs, hier das Passiv. Exemplarische Analysen ergeben, dass passivische Formen in Biologielehrbüchern der Sekundarstufe je abhängig vom semantischen Feld häufiger als in der Gemeinsprache verwendet werden. Dagmar Knorr zeigt das sprachförderliche Potential einer handlungsorientierten schulischen Textartenvermittlung am Beispiel des Instruierens. Ein- und

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mehrsprachige Grundschüler lernen, wie man Papier schöpft, und versprachlichen dann die durchgeführten Handlungsschritte in schriftlichen Instruktionen. Dass den untersuchten Schülern sowohl die pragmatisch komplexe Ausrichtung am Adressatenwissen als auch die sachgemäße Rekonstruktion der Handlungsabfolge weitgehend gelingt, bekräftigt den Nutzen didaktischer Konzepte, die Sprach- und Handlungswissen verschränken. Kritisch nimmt Ludger Hoffmann die Frage in den Blick, welchen Stellenwert die mit unterschiedlichen sprachtheoretischen Konzeptionen verbundenen linguistischen Operationen und Testverfahren zur Ausbildung und Überprüfung sprachlichen Wissens von Schülern haben. Er plädiert für den Einsatz authentischer Sprachdaten bei der Erstellung von Testverfahren, die nicht nur auf eine mechanische Testbearbeitung abzielen, sondern vielmehr dadurch Sprachbewusstheit bei Schülern entwickeln, dass sie Fragen zur Funktionalität sprachlicher Formen in unterschiedlichen Kontexten anregen. Authentizität fordert Lienhard Legenhausen im Hinblick auf die Interaktion im „autonomen Klassenzimmer“; hier formulieren Schüler individuelle Lernziele in der Fremdsprache und sind an der Organisation und Gestaltung von Aktivitäten beteiligt. Bedingung für erfolgreiches Lernen ist aber die Verbindung von Kognition und Interaktion: Interaktionsformen sollen so organisiert sein, dass sie metakognitive und metalinguistische Prozesse anregen, ohne explizit zu instruieren. Den didaktischen Nutzen authentischer Texte in der berufs- und fachorientierten Fremdsprachvermittlung begründet Birgit Beile-Meister am Beispiel von „Englisch für Juristen“. Sie stellt exemplarisch für das angloamerikanische Recht zumeist aus Internetressourcen entnommene Textquellen, Textarten und (transkribierte) interaktive Videos vor, die das Spektrum klassischer juristischer Fachtextsorten erweitern und eine am Rezipienten orientierte Authentizität ermöglichen. Christina vom Brocke thematisiert neue Anforderungen an kooperatives Handeln in einer virtualisierten globalen Wirtschaftskommunikation. Sie adaptiert das Konzept der „Agilität“ im Sinne eines flexiblen Eingehens der Akteure auf neue situative Bedingungen aus den Management- und Ingenieurswissenschaften. Das dargestellte E-Learning Projekt zwischen der Universität Münster und der Universität Massey (Neuseeland) zeigt modellhaft auf, wie das virtuelle Lernarrangement einer eGroups-Konzeption für eine berufsvorbereitende Hochschulfremdsprachenausbildung genutzt werden kann.

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Kleine Formen im Schnittpunkt der Sprachen Jochen Rehbein untersucht Konnektivität als Verfahren, im Zuge dessen Dimensionen sprachlicher Handlungen in einer Sprecher-Hörer-Interaktion zu Diskursen und Texten verbunden werden. Der Sprecher richtet den Hörer mittels der koordinierenden Konnektive ‚aber‘, ‚also‘ sowie ‚und‘ auf die folgenden propositionalen Elemente und erreicht dadurch eine Wissensanhebung. Eine vergleichende funktional-etymologische Analyse ergibt, dass alle Formen eine ursprünglich deiktische Komponente aufweisen und daher auf das Kommende orientieren. Im Sprachkontakt können Konnektoren als Umschaltelemente beim Codeswitchen fungieren. Kristin Bührig beschäftigt sich mit Formen höflichen Handelns, wie sie in Formeln des Typs „Entschuldigung!“ und ihren Varianten zum Ausdruck kommen. In einer prozeduralen Analyse arbeitet sie heraus, dass der Einsatz der Formel in Abhängigkeit von ihrer sequentiellen Positionierung im Diskurs, ihrer Bezugsgröße sowie ihrer prosodischen Charakteristik in je spezifischer Weise der Sprecher-Hörer-Steuerung dient. Mit dem Ausdrucksmittel können je nach diskursiver Verwendung sowohl hörerseitige Aberrationen bearbeitet als auch Disziplinierungen realisiert werden. Andreas Bittner und Klaus-Michael Köpcke gehen der Frage nach, welchen gerichteten Veränderungen das System der Pluralbildung im Deutschen unterliegt. Unter Bezug auf die Merkmale ‚Genus‘ und ‚Wortauslaut‘ erarbeiten sie zunächst zwei Präferenzregeln für die Pluralbildung, die sie anhand eines Korpus von 300 nominalen Entlehnungen aus dem Englischen empirisch überprüfen. Für den Sprachwandel in der Pluralbildung ist die Tendenz zur Vereinfachung kennzeichnend, die Autoren prognostizieren eine Entwicklung hin zu drei Pluralmarkierungen. Eine sprachkontrastive, korpusbasierte Analyse von lokalen Präpositionen im Deutschen und Russischen unternimmt Larysa Tarasevich am Beispiel von „hinter“ und „za“. Dabei erweist sich der Ansatz, sowohl die Distribution als auch die funktionale Leistung der Präpositionen im wissensbearbeitenden, operativen Feld der Sprache zu untersuchen, als produktiv zur Bestimmung der sprachspezifisch teils differenten Konzeptualisierungsstrukturen von räumlichen Relationen.

Literatur Grießhaber, Wilhelm (1987) Authentisches und zitierendes Handeln. (Bd. I Einstellungsgespräche; Bd. II Rollenspiele im Sprachunterricht). Tübingen: Narr

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Grießhaber, Wilhelm (1995) Mehrsprachigkeit – eine Herausforderung für die sprachwissenschaftliche Theoriebildung. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie [OBST] 69, 77-99 Grießhaber, Wilhelm (1999) Die relationierende Prozedur. Zu Grammatik und Pragmatik lokaler Präpositionen und ihrer Verwendung durch türkische Deutschlerner. Münster/New York: Waxmann Grießhaber, Wilhelm (2010) Spracherwerbsprozesse in Erst- und Zweitsprache. Eine Einführung. Duisburg: Universitätsverlag Rhein-Ruhr