Medizin ohne Hirn und ohne Herz, dafür Technik und Kommerz!?

Andreas Guttenberg wurde 1943 geboren, hat in Freiburg studiert und promoviert. Nach seiner internistischen Ausbildung in einem Kreiskran- kenhaus und ...
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Andreas Guttenberg

Medizin ohne Hirn und ohne Herz, dafür Technik und Kommerz!?

Zum Autor: Dr. med. Andreas Guttenberg wurde 1943 geboren, hat in Freiburg studiert und promoviert. Nach seiner internistischen Ausbildung in einem Kreiskrankenhaus und nachfolgend in einem großen städtischen Lehrkrankenhaus hat er sich 1978 in einer internistischen Dreiergemeinschaft in Bayern auf dem Land niedergelassen. Er war hausärztlich und fachärztlich tätig.

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Andreas Guttenberg

Medizin ohne Hirn und ohne Herz, dafür Technik und Kommerz!? Wie krank ist unser Gesundheitswesen?

Mit Illustrationen von Sibylle Guttenberg

Impressum Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen.

© Lehmanns Media GmbH, Berlin 2017 Helmholtzstr. 2-9 10587 Berlin Umschlag: Bernhard Bönisch Satz & Layout: LATEX(Zapf Palatino) Volker Thurner, Berlin Druck und Bindung: Docupoint, Magdeburg ISBN 978-3-86541-912-5 www.lehmanns.de

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Inhaltsverzeichnis Vorwort

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Moderne Diagnostik und ihre Fallstricke Klinische versus technische Befunde . . . . . . . . . . . . . Ungenügende Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mangelnde Verantwortung der Großkliniken . . . . . . . .

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Therapie im Spannungsfeld der Ökonomie Medikamentöse Therapie . . . . . . . . . . . Nichtmedikamentöse Behandlungen . . . . . Impfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alternative Medizin . . . . . . . . . . . . . . .

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31 31 40 43 48

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Anregung für Patienten Wie suche ich mir meinen Arzt? . . . . . . . . . . . . . . . . In welche Klinik soll ich gehen? . . . . . . . . . . . . . . . . Internet-Recherche zur Selbstdiagnose? . . . . . . . . . . .

56 56 67 69

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Kosten und Effektivität der Medizin in Deutschland Das Gesundheitswesen im Internationalen Vergleich . . Neue Aufgabenverteilung im Gesundheitssystem . . . Probleme des pharmakologischen Fortschritts . . . . . Probleme des technischen Fortschritts . . . . . . . . . . Kosten und Nutzen präventiver Maßnahmen . . . . . . Kosten der Pflegeeinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . Kosten des Rettungswesens . . . . . . . . . . . . . . . .

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73 . 73 . 77 . 82 . 93 . 97 . 99 . 102

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Medizinische Forschung 105 Nichtkommerzielle Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Pharmaforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

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Vergütung 118 Ambulante kassenärztliche Behandlung . . . . . . . . . . . 118 Ambulante privatärztliche Behandlung . . . . . . . . . . . 123 Stationäre Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 5

Pflegeeinrichtungen und Dienste . . . . . . . . . . . . . . . 138 Rettungswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 7

Verwaltungsaufwand im Gesundheitswesen Aufklärungswahnsinn . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentationsaufwand . . . . . . . . . . . . . Erleichterung durch EDV-Nutzung . . . . . . . Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen

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140 140 147 149 155

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Organisation des Gesundheitswesens 159 Krankenkassen und deren Finanzierung . . . . . . . . . . 159 Überschneidungen der Aufgaben verschiedener Kostenträger164 Aufgabe des Hausarztes als Verteiler . . . . . . . . . . . . 167 Medizinische Versorgungszentren . . . . . . . . . . . . . . 169 Praxisnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Vorausschau der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

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Aus- und Weiterbildung Studium und Approbation Promotion . . . . . . . . . . Weiterbildung zum Facharzt Fortbildung . . . . . . . . .

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10 Schlussfolgerung

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11 Anekdoten

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Abbildungsverzeichnis

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Verzeichnis der Gedichte

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Literaturverzeichnis

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Vorwort Den Titel „Medizin ohne Hirn und ohne Herz, dafür Technik und Kommerz!?“ habe ich bewusst ein wenig provokativ gewählt. Im Hirn sitzen bekanntlich die Zentren für Tasten, Riechen, Hören, Sehen und natürlich für logisches Denken. Das Herz ist wie üblich als Synonym für Gefühle, Zuwendung und Empathie (das Bestreben, sich auf die persönlichen Empfindungen, Gedanken und Belange eines Anderen einzulassen) zu verstehen. Eigenschaften, die dem Großteil heutiger Ärzte im Spannungsfeld zwischen Verstand und Humanität einerseits, sowie Technik und merkantilen Gesichtspunkten andererseits, verloren zu gehen drohen.[37] Hippokrates, der vor über zweitausend Jahren die Ärzteschule von Kos prägte, lehrte dort noch unbeeinflusst von den neuzeitlichen Möglichkeiten. Im Vordergrund stand für ihn die Exploration des Kranken, die auch dessen Beruf und Umgebung mit einschloss. Er beobachtete genau den Verlauf von Krankheiten, analysierte Hauterscheinungen, Temperaturverlauf, Körperflüssigkeiten und versuchte die Erkenntnisse in logische Zusammenhänge zu bringen. Er lehrte seinen Schülern, mit den Kranken respektvoll und umsichtig umzugehen und ihnen durch ärztliches Tun auf keinen Fall zu schaden. Dazu zählte auch der Verzicht auf das Gewinnstreben. Man solle sich als Behandelnder in seine Kranken hineindenken können. Sauberkeit verlangte er von sich und seinen Betreuten. Das gilt manchen als die Geburtsstunde der Hygiene.[36] Auch wenn wir als Mediziner heute keinen Eid mehr auf diese Werte ablegen, so sind es doch genau diese Forderungen, die uns in unserem Tun weiterhin beeinflussen sollten. Der zu beobachtende Verlust dieser Einsicht wurde schon früh von anderen zum Teil in diesem Buch zitierten Autoren angesprochen, das Problem scheint mir aber noch brisanter geworden zu sein. Der Titel ist aber auch als Frage gestellt, der Leser kann sich nach der Lektüre und nach seinen eigenen Beobachtungen und Erlebnissen im Gesundheitswesen darauf selbst eine Antwort geben. Spätestens nach dem Eintreten in den Ruhestand kann man mich von Interessenskonflikten freisprechen. Die Erlebnisse und Beobach7

tungen in meiner über 35-jährigen ärztlichen Tätigkeit, waren Anlass, mich mit der Entwicklung des Gesundheitswesens in den letzten Jahrzehnten kritisch auseinanderzusetzen. Nach achtjähriger Klinikund nachfolgender Praxistätigkeit (niedergelassen in einer kassenärztlichen internistischen Dreier-Gemeinschaftspraxis auf dem Land) habe ich klinische, fachärztliche wie auch hausärztliche Belange der medizinisch-internistischen Versorgung kennengelernt. Vor weiteren Ausführungen sei mir eine Erklärung erlaubt: Wenn ich in dieser Abhandlung bei allgemeinen Betrachtungen nicht jedes Mal die beiden Geschlechter z.B. Patientin und Patient oder Ärztin und Arzt getrennt nenne, hat das nichts mit männlichem Chauvinismus zu tun. Vielmehr dachte ich an die leichtere Lesbarkeit. Es werden die früher gebräuchlichen Begriffe – z.B. „Patient“, „Bürger“, „Arzt“ – benutzt und damit das weibliche Geschlecht natürlich gleichberechtigt angesprochen. In diesem Buch bemühe ich mich, den Boden der wissenschaftlich gesicherten Schulmedizin nicht zu verlassen, aber wo führt die technisierte und kommerzialisierte Medizin hin? In unserer Praxis hatten wir selbst die apparativen Möglichkeiten wie Röntgen, Magenund Darmspiegelung, Ultraschall der Organe einschließlich Herz und Gefäße, Lungenfunktionstest und Labor. Ich bin deshalb sicher nicht technikfeindlich eingestellt. Mit zunehmender Berufserfahrung ist mir aber die Gefahr der Überbewertung technischer Befunde bewusst geworden. Es ist keinesfalls eine eitle Nabelschau oder Besserwisserei beabsichtigt, auch ich war nicht frei von Fehlern. Zudem will ich ausdrücklich betonen, dass geäußerte Kritik am Verhalten einiger Kollegen wahrlich nicht auf den gesamten Berufsstand zu übertragen ist. Aus den Beobachtungen in meinem Alltag versuche ich, Antworten zu finden und Anregungen zu geben. Ich hoffe, dass einige Gedanken hilfreich sind für Entscheidungsträger im weiten Feld der Gesundheitspolitik und ich denke, dass es die im medizinischen Umfeld tätigen Personen, besonders die jungen Kollegen und das Assistenzpersonal, zur Diskussion anregen könnte. Das Buch ist ganz 8

bewusst auch an den interessierten Laien gerichtet und zudem für Patienten gedacht, die sich im Dschungel des Gesundheitsmarktes zurecht finden müssen. Aus diesem Personenkreis bekam ich im Vorfeld die meiste Resonanz. Zur Auflockerung dieser nicht selten trockenen Materie habe ich versucht, es mit Gedichten, kleinen Anekdoten (im Anhang) und mit Illustrationen meiner Frau Sibylle zu würzen. Ihr möchte ich an dieser Stelle dafür besonders danken und meinem Bruder Michael für die Durchsicht sowie allen Verwandten und Bekannten, die mich auf Fehler hingewiesen haben. Natürlich muss ich hier auch meine beiden Kollegen und den befreundeten Arzt aus der nächsten Generation, Carsten Gräbert, erwähnen, die mich mit „Stoff“, Kritik und Anregungen versorgt haben. Für zusätzliche Gedanken gebührt meinem Sohn Sebastian besonders Dank. Er hat sich mit wertvollen Änderungsvorschlägen hervorgetan, und bei den Gedichten sowohl Inhalt wie auch Rhythmus derselben belebt. Zudem hat er mir bei der Formatierung zur Veröffentlichung die Hand geführt.

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Moderne Diagnostik und ihre Fallstricke

Der klinische Alltag wird heute wesentlich durch den Fortschritt beeinflusst, der durch die Entdeckungen und Erfindungen des letzten Jahrhunderts möglich wurde. Diese Entwicklungen haben in jüngerer Zeit noch einmal einen immensen, für manchen beängstigenden Schub erfahren. Zur Erinnerung ein kurzer Abriss der Geschichte. Der technische Fortschritt in der Diagnostik ist seit dem 19. Jahrhundert gewaltig. Röntgenuntersuchungen (W. C. Röntgen, 1895) und die Weiterentwicklung mit Kontrastmitteln (Angiographie) oder radioaktiven Substanzen (Szintigrafie) und die später entwickelten Schichtaufnahmen (CT, ca. 1969) ermöglichen wie Ultraschall (medizinische Nutzung seit 1942) und Kernspintomographie (Lauterbur, Mansfield, 1971) phantastische Einblicke in den menschlichen Körper. Dazu kam die Endoskopie, die vor allem durch die flexiblen Geräte mit Lichtleiter und Instrumentenkanal (Hirschowitz 1958, technische Weiterentwicklung insbesondere durch Wolf GmbH) einen Schub erfuhr. Durch die Kapselendoskopie (Iddan, 2000) wurde endlich auch der Dünndarm subtiler atraumatischer Untersuchung zugänglich. All die neueren Entwicklungen waren erst durch den Fortschritt in der digitalen Welt möglich geworden. Auch elektrophysiologische Untersuchungen, die ihre Anfänge in der Erfindung des EKG (Waller 1882, Einthoven 1903) hatten, sind mit Langzeit-EKG, EEG, EMG etc. aus der Diagnostik nicht mehr wegzudenken. Die moderne Intensivmedizin wäre ohne diese Technik nicht in dieser Qualität denkbar. Telemedizinische Überwachung (Herzrhythmusstörungen) und Blutzuckerechtzeitmessungen seien hier stellvertretend genannt. Dazu kommen die immense Entwicklung der Laborchemie und damit auch der Pathophysiologie, der Histologie (Immunhistologie) und die zunehmende Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Die Erforschung der menschlichen Psyche 10

und Gehirnfunktionen lassen heute vieles in neuem Licht erscheinen. Eigentlich müsste man denken, dass alles zur Zufriedenheit läuft. Dass dem nicht so ist, versuche ich an Fallbeispielen darzustellen. Diese stammen aus Beobachtungen während meiner Tätigkeit in Klinik und Praxis. Sie stehen stellvertretend für bestimmte Fehlentwicklungen in der Medizin. Vorausschicken möchte ich, dass meine späteren Praxiskollegen und ich gemeinsam einen umsichtigen aber kritischen Lehrer hatten. Die Anforderung unseres Chefs war, dass wir jeden erweiterten diagnostischen Schritt durch die erhobene Anamnese und den körperlichen Befund begründen mussten. Wir wurden scharf kritisiert, wenn wir eine aufwendige technische oder laborchemische Untersuchung veranlasst haben, ohne dafür plausible Gründe vorlegen zu können. Auch wurden wir streng angehalten, sofort evtl. vorhandene Krankendaten aus dem Archiv zu besorgen und Vorbefunde von niedergelassenen Kollegen zu erfragen. Hilfe von unserem erfahrenen Chef bekamen wir aber zu jeder Zeit, nicht nur bei der Visite. Die Arztbriefe mussten den diagnostischen Gedankengang widerspiegeln und die durchgeführten Untersuchungen die aufgestellte Behauptung belegen. Eine solche Logik vermisst man heute oft im klinischen Vorgehen und dann folglich auch in den Arztbriefen. Stattdessen sieht man sich in der Regel einer seitenlangen Auflistung von technischen Untersuchungen ausgesetzt, ohne dass diese zur Erklärung der angeführten Diagnosen herangezogen werden. Dies hängt nach meiner Ansicht damit zusammen, dass die Anordnung und Durchführung der Leistungen unterschiedlichen Personen obliegen. Die Ergebnisse werden dann ohne Wertung in den Arztbrief übernommen. Zudem gewinnt man den Eindruck, dass nicht selten Vorgeschichte und körperlicher Befund überhaupt erst dann gründlich erhoben werden, wenn bereits Ergebnisse technischer Untersuchungen vorliegen.

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Diagnostik

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*** Fleischwolf Ein Mensch, dem irgendetwas fehlt, wird diagnostisch durchgedreht. Anstatt ihn sorgfältig zu fragen, wann und wo tat was ihn plagen, versucht man technisch gleich sein Glück, und zerlegt ihn Stück für Stück. Doch trotz der Suche im Gehackten, die Ärzte nicht das Übel packten. Der Mensch war darob schwer frustriert, hat man ihn doch umsonst faschiert. ***

Klinische versus technische Befunde Zunächst will ich einige Beispiele herausgreifen, bei denen eine sorgfältige Anamnese (Erhebung der Vorgeschichte) und klinische Untersuchung (einfache körperliche Untersuchung mit den eigenen Sinnen) eine teure und für den Patienten belastende Diagnostik reduziert oder gar erspart hätten. Beispiel 1: Ein ansprechbarer Patient kommt wegen einer Lungenentzündung zur Aufnahme. Ein junger Assistenzarzt untersucht ihn und legt ihm eine Infusion an. Die Laborantin nimmt in der Zwischenzeit Blut ab. Nachdem die Laborwerte einen exorbitant hohen Blutzucker- und Kaliumwert (ein Salz) ausweisen, ist der junge Kollege unsicher, ob er hohe Dosen Insulin verabreichen soll. Der Gedanke, dass die Laborwerte in keiner Weise mit dem sichtbar ordentlichen Allgemeinbefinden des Kranken in Einklang zu bringen sind, kommt ihm nicht. Er wird gottlob von übereiltem Aktionismus abgehalten. Was war da passiert? Während die Laborantin in der Ellenbeuge Blut abnahm, drehte der junge Mediziner die am Handrücken 13

desselben Armes angelegte Infusion auf. Diese enthielt Glukose (Zucker) und unter anderem auch Kalium und gelangte in hoher Konzentration in das abgenommene Blut, noch bevor diese Flüssigkeit sich ausreichend verteilt hatte! Fazit: Kein Laborbefund sollte kritiklos übernommen werden, wenn er zum klinischen Bild nicht passt. Beispiel 2: Ein Assistenzarzt ruft die Kollegen zur Reanimation einer bewusstlosen Patientin und zum Defibrillieren ihres Kammerflimmerns. Auf dem Überwachungsschirm zeigt sich ein undefinierbares Gezackel, das man mit etwas „Wohlwollen“ für Kammerflimmern halten könnte. Der Griff zum Handgelenk offenbart die fatale Fehldiagnose. Es lässt sich ein extrem harter regelmäßiger Puls von 48/min tasten. Der darauf gemessene Blutdruck beträgt systolisch über 280 mmHg, also eine Hochdruckkrise, die den Zustand der älteren Dame erklärt. Der „Defi“ durfte unverrichteter Dinge zurück an seinen Platz. Die einem Kammerflimmern ähnelnde Kurve war auf das Fehlen der Kontaktcreme unter den Elektroden zurückzuführen. Die Anwendung des Defibrillators (wegen mangelnden Erfolges gar mehrfach) hätte fatal – wenn nicht gar tödlich enden können. Fazit: Auch in der Aufregung muss man Puls und Atmung des Patienten beachten und sich Zweifel an der Technik erlauben, bevor man vorschnell handelt. Beispiel 3: Ein Mann klagt über Wadenschmerzen, leicht Richtung Gesäß ziehend. Der betreuende Allgemeinarzt überweist ihn zum arteriellen Doppler (Ultraschalluntersuchung der Gefäße). Die Frage, ob er z. B. beim langen Stehen oder eher beim schnellen Gehen seine Beschwerden verspüre, wurde ihm vom Überweisenden nicht gestellt. Eben so wenig musste er seine Schuhe und Strümpfe ausziehen, um nach seinen Fußpulsen tasten zu können. Eine Familienoder Risikoanamnese wurde ebenfalls nicht erhoben. Bei einer arteriellen Durchblutungsstörung eines Beins treten die Schmerzen bekanntlich bei muskulärer Anstrengung auf und vergehen in Ruhe wieder. In der Regel kann man auch keine Fußpulse tasten (Schaufensterkrankheit). Man hätte dem Betroffenen und sei14