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zu schützen (Art. 2 EMRK, Art. 12 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte). Wenn jemand wegen eines schweren ...
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Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte Ludwig Boltzmann Institute of Human Rights

Rechtsgutachten zur Frage der Zwangsernährung von Schubhäftlingen in Österreich

Bei der Zwangsernährung von Häftlingen geht es um einen Grundrechtskonflikt zwischen dem Recht auf Privatheit und Autonomie von Häftlingen (Art. 8 EMRK), die auch das Recht, Nahrung zu verweigern bis hin zum freiwilligen Selbstmord umfasst (soferne die betreffende Person voll geschäftsfähig ist, also die Tragweite ihres Tuns einsehen kann), und der positiven Gewährleistungspflicht des Staates, das Leben und die Gesundheit von Häftlingen zu schützen (Art. 2 EMRK, Art. 12 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte). Wenn jemand wegen eines schweren Verbrechens zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt ist und seine Freilassung eine ernste Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen würde, führt dieser Grundrechtskonflikt in der Tat zu sehr schwierigen rechtlichen und ethischen Abwägungsproblemen. Das österreichische Strafvollzugsgesetz (§ 69 Abs. 2) hat daher im Extremfall (d.h. wenn alle anderen Maßnahmen nichts nützen, die Person nicht freigelassen werden kann und in der Haft sterben würde) die Möglichkeit der Zwangsernährung für Strafhäftlinge zugelassen. In der Praxis müsste die Zwangsernährung natürlich in einer Krankenanstalt unter möglichster Schonung der Rechte und Würde der davon betroffenen Person durchgeführt werden. Laut Auskunft des BMJ wurde diese Bestimmung in der Praxis noch nie angewandt, da die Strafvollzugsbeamten, Ärzte oder PsychologInnen immer andere Wege gefunden haben, die Häftlinge schließlich wieder zur Nahrungsaufnahme zu bewegen. Für die Ärzte stellt sich zusätzlich ein schwieriges ethisches Problem, da eine zwangsweise medizinische Behandlung gegen den ausdrücklichen Wunsch der betroffenen Person dem Prinzip des "informed consent" widerspricht. Die World Medical Association hat schon in der Declaration of Tokyo 1975 und erneut in der Declaration of Malta 1992 bekräftigt, dass es Ärzten aus Gründen der medizinischen Ethik untersagt ist, an der Zwangsernährung von Häftlingen teilzunehmen, "wenn der Häftling fähig ist, die Konsequenzen seines freiwilligen Verzichts auf Nahrungsaufnahme zu verstehen". Es wird daher selbst bei Strafhäftlingen nicht leicht sein, Ärzte zu finden, die entgegen den Grundsätzen der medizinischen Ethik an der Zwangsernährung von Häftlingen gegen ihren erklärten Willen mitzuwirken. Für die Schubhaft stellt sich der Grundrechtskonflikt freilich in einm völlig anderen Licht. Es handelt sich bei Schubhäftlingen nämlich in der Regel nicht um Personen, die eine gerichtlich strafbare Tat begangen haben. Die Schubhaft ist keine Strafhaft, sondern eine blosse Sicherungsmassnahme zur Vorbereitung der Abschiebung von Personen, deren einziges Fehlverhalten meist darin besteht, dass sie illegal nach Österreich eingereist sind. Nach dem Inkrafttreten des Fremdenrechtspakets am 1. Jänner 2006 wird sich sogar die Zahl der AsylwerberInnen in Schubhaft wesentlich erhöhen. Wenn ein Schubhäftling in Hungerstreik A-1010 Wien, Heßgasse 1; Tel.: +43-(0)1-4277/27420, Fax: +43-(0)1-4277/27429 e-mail: [email protected], Internet: http: //www.univie.ac.at/bim

tritt, gibt es eine Reihe von gelinderen Massnahmen, um zu verhindern, dass er oder sie in der Schubhaft wirklich stirbt. Zum einen sollten die Bemühungen intensiviert werden, die Person in den Heimatstaat oder, falls dies nicht möglich ist, in einen sicheren Drittstaat abzuschieben. Zum zweiten sollten die Schubhaftbedingungen, die derzeit häufig nicht den relevanten internationalen Standards entsprechen, entscheidend verbessert werden (offener Vollzug, Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten vergleichbar mit jenen in einer JustizStrafvollzugsanstalt, bessere psychologische und medizinische Betreuung von Schubhäftlingen durch Personen, die deren Sprache sprechen etc.). Wenn alle diese Massnahmen nicht zum gewünschten Erfolg führen, dann kommt immer noch wie bisher die Entlassung haftuntauglicher Schubhäftlinge in Frage, da diese im Gegensatz zu gefährlichen Straftätern keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen, die einen so schweren Eingriff in die Rechte auf Privatheit und physische Integrität rechtfertigen würden. Da entsprechende gelindere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, stellt sich der oben beschrieben Extremfall eines Grundrechtskonflikts bei Schubhäftlingen niemals, so dass jede Zwangsernährung von Schubhäftlingen einen unverhältnismässigen Eingriff in das Recht auf Achtung der Privatheit in Art. 8 EMRK und möglicherweise auch eine erniedrigende Behandlung in Verletzung von Art. 3 EMRK darstellt. Ein "pressing social need", der in einer demokratischen Gesellschaft gemäß der ständigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Rechtfertigung eines staatlichen Eingriffs gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gegeben sein müsste, kann hier keinesfalls angenommen werden. Davon abgesehen haben alle relevanten Ärzte, mit denen ich über diese Frage gesprochen habe, eindeutig zu verstehen gegeben, dass sie an einer Zwangsernährung von Schubhäftlingen aus ethischen wie rechtlichen Gründen nicht mitwirken würden.

Wien, am 3. Februar 2006

Univ Prof Dr Manfred Nowak Leiter des Boltzmann Instituts für Menschenrechte UNO-Sonderberichterstatter über Folter