Liebesinsel am Deich

und jetzt einen Schlussstrich ziehen.« »Nein, nicht so zwischen Tür und Angel. Lass uns ein. Glas Wein trinken.« Karl hat sich seinen Bademantel hinter der Tür ...
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Sigrid Hunold-Reime

Liebesinsel am Deich

F r e u n d s c h a f t s d i e n s t e September und Schietwetter an der Nordseeküste. Tomkes Gefühlslage gleicht dem tristen Regenwetter. In der Stimmung landet sie mit Karl, ihrer Sommerbekanntschaft, im Bett. Ein Fiasko. Nach der Bruchlandung flüchtet Tomke in ihre Pension. Aber der Tag hält weitere Überraschungen für sie bereit. Ihre Jugendfreundin Dörte steht mit gepacktem Koffer vor der Tür und braucht Hilfe. Die beiden Frauen sind vor acht Jahren im Streit auseinandergegangen. Tomke gewährt Dörte widerwillig Asyl. Am nächsten Morgen vervollständigt Dörtes jugendliche, lebenshungrige Mutter das Chaos. Sie hat durch einen harmlosen Freundschaftsdienst ein Karussell aus Missverständnissen, Betrug, viel Geld und Liebe in Bewegung gebracht. Tomke versucht wie immer mit Herz, Verstand und Mut das Schlimmste zu verhindern.

Sigrid Hunold-Reime, geboren 1954 in Hameln, lebt seit vielen Jahren in Hannover. 2000 schrieb sie ihren ersten Ostfriesland-Kurzkrimi. Ihre kriminelle Energie war geweckt. Sie konnte zwischenmenschliche Konflikte beschreiben und dabei Grenzen überschreiten. Es folgten Beiträge in diversen Anthologien. 2008 erschien Frühstückspension, ihr erster Kriminalroman im Gmeiner-Verlag. Die patente Protagonistin Tomke wuchs der Autorin so ans Herz, dass sie in den folgenden Kriminalromanen eine Gastrolle bekam und in dem Roman Die Pension am Deich schließlich wieder eine Hauptrolle. Nach dem Roman Hab keine Angst mein Mädchen zieht es die Autorin wieder an die Nordseeküste in ihr Wangerland und zu Tomke Heinrich. Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag: Hab keine Angst mein Mädchen (2013) Die Pension am Deich (2012) Janssenhaus (2011) Schattenmorellen (2009) Frühstückspension (2008)

Sigrid Hunold-Reime

Liebesinsel am Deich

Original

Roman

Ausgewählt von Claudia Senghaas

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2014 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2014 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Herstellung: Julia Franze Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von: © Fotolyse – Fotolia.com ISBN 978-3-8392-4425-8

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Prolog Sie hatte das kleine Boot bereits am Vormittag auf Höhe der Liebesinsel festgemacht. Nun war es dunkel. Dazu diesig und für Anfang September viel zu kalt. Diese unfreundliche Witterung war ein Geschenk des Himmels. Es verlockte kaum zu einem Abendspaziergang. Das war gut so. Zuschauer konnte sie bei ihrem Unternehmen nicht gebrauchen. Der Außenborder schnarrte leise. Sie setzte das Boot ohne Beleuchtung über. Selbst am Steg verzichtete sie darauf, ihre Taschenlampe einzuschalten. Sie kannte die winzige Naturschutzinsel gut. Wie oft war sie von der Surferbucht aus hier herübergeschwommen. Jung und übermütig und – nie allein. Die morschen Stegplanken waren glitschig und zwangen sie zur Langsamkeit. Sie durfte auf keinen Fall ausrutschen. Ihr Gepäck könnte dabei ins Wasser fallen und ein paar Tage später ans Ufer getrieben und gefunden werden. Das würde Hilla ihr nie verzeihen. Der Kater muss anständig begraben werden. Tief genug, um ihn vor den ewig gierigen Schnäbeln der Möwen zu schützen. Und – das war der Grund, aus dem sie diese nächtliche Exkursion unternahm, der Kater sollte einen ganz besonderen Platz für seine letzte Ruhestätte bekommen. Er sollte auf den Wasserskilift sehen können. Sie schüttelte den Kopf über Hillas ungewöhnliche Bitte. Verrückt. Sicher, der Kater war eine sehr spezielle 7

Ausgabe seiner Gattung. Das bunte Treiben der Wasserskifahrer hatte ihn mehr begeistert als tanzende Mäuse. Er hatte völlig fasziniert neben seinem Frauchen auf der Terrasse am Wasser gesessen und die mehr oder weniger geschickten Übungen der Wassersportler beobachtet. Jeden Sonntag, wenn sie sich mit Hilla dort zum Frühstück verabredet hatte, war der Kater dabei. Und nun sollte er mit Blick auf den Wasserskilift begraben werden. Als ob das noch wichtig wäre. Aber versprochen war versprochen. Um eine geeignete Stelle mit der gewünschten Aussicht zu finden, musste sie sich zur Spitze der kleinen Insel durchpirschen. Sie setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Den Spaten benutzte sie als Gehstock. Der Sack war zu schwer, um ihn die ganze Zeit über der Schulter zu tragen. Sie zog ihn über das Dickicht neben sich her. Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, sie sah die beiden windschiefen Birken. Der Platz war ideal für ihre Zwecke. Von hier aus konnte man bei Tage einen Zipfel vom Wasserskilift erblicken und die Stelle wurde selten überspült. Als sie den ersten Spatenstich setzte, freute sie sich, wie locker die Erde nachgab. Sie hatte befürchtet, wesentlich mehr Kraft aufbringen zu müssen. Beim nächsten beherzten Zustechen stieß sie mit dem Spaten auf einen Widerstand. Eine Baumwurzel, vermutete sie, und versuchte es ein wenig weiter rechts. Das gleiche Phänomen. Sie schaltete die Taschenlampe an, beleuchtete den Erdboden und erblickte – einen Koffer. Von einer Sekunde zur anderen brach ihr der Schweiß aus. Warum war hier ein Koffer vergraben? Vor ihrem geistigen Auge erschien 8

das Szenario eines grausamen Mordes. Zersägte Leichenteile! Sie sollte so schnell wie möglich von der Insel verschwinden. Aber sie war ein ungewöhnlich neugieriger Mensch und diese Eigenschaft siegte über ihre Angst. Sie buddelte den Koffer frei und zerrte ihn aus der Erde. Als sie den Inhalt im Scheinwerferlicht ihrer Taschenlampe betrachtete, fällte sie ohne zu zögern eine Entscheidung. Sie bettete den Kater in das vorbereitete Grab und schaufelte es sorgsam zu. Dann schnappte sie den Koffer, hastete zum Steg und setzte wieder auf die Hookser Landzunge über. Sie zog das Boot so weit wie möglich ins Schilf. Sie würde es irgendwann holen. Es war nicht mehr wichtig. Auf dem Weg zu ihrem Auto begegnete ihr keine Menschenseele. Sie lächelte zufrieden. Manchmal zahlten sich kleine Freundschaftsdienste wirklich aus.

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Kapitel 1 Horumersiel, Anfang September an einem Mittwochabend Tomke und der Mann mit Hund Die Tür zum Schlafraum ist einen Spalt breit geöffnet. Der durchfallende Lichtschein der Nachttischlampe beleuchtet den Wohnbereich nur notdürftig. Das muss reichen. Tomke ertastet auf der Kochzeile ihre Hose. Sie scheint ein Knäuel ohne Anfang und Ende zu sein. Ungeduldig heruntergezerrt und achtlos hingeworfen. Nicht nervös werden, befiehlt sich Tomke. Sonst bekommt sie Hose, Slip und Strümpfe niemals auseinandergetüddelt. Sie horcht nach nebenan. Kein Mucks von ihm zu hören. Sehr gut. Sie will verschwunden sein, bevor er aufwacht und Fragen stellt. Was er mit Sicherheit tun wird. Aber Tomke ist noch viel zu verwirrt, um ihm Rede und Antwort stehen zu können. Sie konzentriert sich und schafft das Kunststück, geräuschlos in Slip und Hose zu steigen. Als sie behutsam den Reißverschluss hochzieht, merkt sie, dass sie den Slip verkehrt herum anhat. Egal. Sie muss nur noch ihre Bluse finden und dann nichts wie raus hier. Vorsichtig tastet sie die Sitzfläche der Eckbank ab. Dabei streift ihre Hand etwas kühles Feuchtes. Instinktiv fährt sie zurück. Dabei weiß Tomke, was sie gerade berührt hat. Tinas Schnauze. Die Jack-Russell-Hündin springt von der Bank, stellt sich neben Tomke und presst sich gegen ihre Beine. 11

Tomke zuckt lakonisch mit den Schultern. Brauchst mich nicht so anzuschmusen, denkt sie. Ich fühle mich auch beschissen. Weglaufen ist nicht die feine Art. Aber glaub mir, das ist für alle Beteiligten besser so. Dabei hatte der Abend so wunderbar begonnen. Hier in der gemütlichen Sitzecke im Wohnwagen. Mit der Entwicklung hätte Tomke im Traum nicht gerechnet. Karl und sie. Eine Bettgeschichte. Niemals! Sie hatte sich freundschaftlich zu ihm hingezogen gefühlt. Rein freundschaftlich. Sie hatte seine Gegenwart genossen und war neben ihm zur Ruhe gekommen. Dieses entspannte Miteinander hatten sie sich nun gründlich verdorben. Durch einen Augenblick der Schwäche und Unachtsamkeit. Sie hatte plötzlich nur aus Sehnsucht bestanden, und dieses Gefühl hatte sie völlig enthemmt. Sie wollte Nähe, war begierig, Karls Haut an ihrer zu spüren. Ihre Erregung war auf ihn übergesprungen. Aber der Sinnesrausch reichte nur bis in die Schlafkabine. Die Ernüchterung war wie ein Schlag ins Gesicht. Tomke bückt sich und schiebt den Hund sanft zur Seite. Ihre Hand streift dabei den feinen Stoff ihrer Bluse. Der BH ist darin verschlungen. Tomke schnappt beides und richtet sich auf. In dem Augenblick geht die Deckenbeleuchtung an. Karl steht in der geöffneten Schiebetür. Er ist noch immer nackt. »Das glaube ich jetzt nicht«, stößt er hervor und greift nach einem Handtuch. Ohne Tomke aus den Augen zu lassen, knotet er es sich geschickt um die Hüften. »Du wolltest einfach so gehen?« Tomke streift sich hastig die Bluse über und tritt verlegen von einem Fuß zum anderen. 12

»Ertappt«, gibt sie kleinlaut zu. Karls Gesichtsmuskulatur bewegt sich in Richtung Lächeln. Es sieht künstlich aus. »Das machen in den Filmen doch immer nur die miesen Kerle. Hättest du mir wenigstens ein Kärtchen mit ›ich rufe dich an‹ dagelassen?« Tomke starrt auf das heruntergelassene Rollo am Heckfenster. Auf dem sandfarbenen Untergrund tummeln sich blaue Seesterne und ulkige Tintenfische. »Was ist los?«, hört sie Karl leise fragen. Tomke bläst ihre Wangen mit Luft auf und pustet sie heftig wieder aus, sodass ihre nachgewachsenen, rötlich gefärbten Ponyhaare nach oben fliegen. »Karl, hör zu. Weglaufen ist feige. Bestimmt kein feiner Zug. Aber ich muss erst einmal an die frische Luft. Wir reden, aber – aus uns wird kein Paar.« »Das weißt du so plötzlich? Wir kennen uns seit einem halben Jahr und haben uns immer besser verstanden. Ich dachte, wir hätten uns ineinander verliebt und nun haben wir – das erste Mal miteinander geschlafen.« Tomkes grüne Augen verdunkeln sich und sie nickt traurig. »Genau das ist der Punkt. Unsere Körper passen nicht zueinander.« Karl stößt ein trockenes Lachen hervor: »Ich glaube, ich habe mich jetzt verhört. Was redest du da für einen Unsinn? Wie willst du das nach dem ersten Mal beurteilen? Schon mal daran gedacht, auch Männer haben Lampenfieber. Wir sind doch keine Teenager mehr, die Punkte für das Liebesspiel vergeben.« »Richtig! Wir sind erwachsen. Deshalb kenne ich mei13

nen Körper mittlerweile gut – und den Mann, der dazu passt. Du kannst mir glauben, es ist besser, wenn wir hier und jetzt einen Schlussstrich ziehen.« »Nein, nicht so zwischen Tür und Angel. Lass uns ein Glas Wein trinken.« Karl hat sich seinen Bademantel hinter der Tür hervorgeholt und angezogen. »Nee, auf keinen Fall mehr Alkohol. Ich habe Badegäste und muss morgen früh raus.« »Gut, keinen Alkohol. Vielleicht besser so. Dann koche ich uns einen Tee. Komm, nun setz dich. Bitte. Nur für einen Moment. Lass uns miteinander reden.« Als Tomke nicht reagiert, dirigiert er sie wie eine Marionette zur Eckbank und zwingt sie mit sanfter Gewalt sich zu setzen. Sie lässt es widerwillig geschehen. Tina springt auf die Sitzbank und setzt sich neben sie. Als müsse sie Tomke bewachen, während Karl sich an der winzigen Küchenzeile zu schaffen macht. Er lässt Wasser in einen Topf laufen, zündet eine Gasflamme an und stellt den Topf darauf. Tomke unterdrückt einen Seufzer und lehnt ihren Kopf an die Wohnwagenwand. Genau deshalb wollte sie heimlich verschwinden. Miteinander reden. Klasse. In diesem verwirrten Gemütszustand macht man schneller Zugeständnisse, als man denken kann. Nur um ohne Streit mit einem Rest von Harmonie zu entkommen. Und schwups sitzt man in der Falle. Miteinander reden. Was soll sie mit Karl bereden? Okay, sie könnte ihm die Wahrheit sagen und ihre Lebensgeschichte erzählen. Damit er ihre Reaktion nachempfinden kann und sie nicht als exzentrische Zicke in Erinnerung behält. Tomke schüttelt kaum merk14