Leonhard Michael Seidl Die Hüter der Träume Thriller

zin, das Schweizer Militärmesser, ein geschärftes. Jagdmesser, Bindfaden und Pflaster verstaute er im Nachtkasten beim Bett. Die Kiste mit den Büchern rückte ...
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Leonhard Michael Seidl

Die Hüter der Träume Thriller © 2011 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin Alle Rechte vorbehalten www.aavaa-verlag.de 1. Auflage 2011 eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Umschlaggestaltung: AAVAA Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-86254-587-2

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Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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1 Vor der Eingangstür brachte er den Pickup zum Stehen. Er öffnete die Heckklappe und begann, die Lebensmittel ins Haus zu tragen. Das Haus bestand zur Gänze aus Holz und hatte vier Räume sowie ein geräumiges Erdloch, das als Keller diente. Auf dem Dach befand sich eine leistungsfähige Solaranlage. Neben dem schmalen Bett im Schlafraum kauerte ein kleines Fernsehgerät. Der vierte Raum der Hütte enthielt einen zweitürigen Schrank. Durch die Rückwand gelangte man in den Verschlag hinter der Hütte. An die rechte Tür des Schrankes hing er die Stirnlampe. An der linken Tür fand ein robustes Springmesser. Butter und Käse schleppte er zu der hinter der Hütte aufragenden Felswand, in deren Sockel sich ein alter Stollen befand. Er war durch eine schwere Holztür gesichert. An die Rückwand stand ein abschließbares Regal. Den Eingang des Stollens verdeckte eine dichte Strauchwand. 4

Nachdem er den Pickup entladen und hinter der Hütte geparkt hatte, spülte er die Wasserleitung durch. Er drehte den Wasserhahn zu. Er ging zu den Fenstern und öffnete sie. Dann schlug er die hölzernen Fensterläden zurück. Heiße Luft drang herein. Die Solaranlage arbeitete einwandfrei. Beleuchtungskörper und Fernsehgerät ließen sich in Betrieb nehmen. Als die Sterne heraufzogen, verriegelte er die Fenster. Den Wamslerherd fütterte er mit Holzscheiten. Streichhölzer, Sturmfeuerzeug, Feuerzeugbenzin, das Schweizer Militärmesser, ein geschärftes Jagdmesser, Bindfaden und Pflaster verstaute er im Nachtkasten beim Bett. Die Kiste mit den Büchern rückte er unter den Esstisch. Vorher nahm er ein Werk über Sternbilder am nächtlichen Himmel heraus und legte es, aufgeschlagen beim Sternbild des Schwans, auf den Tisch. Wieder trank er einen Schluck Wasser, wieder schwitzte er.

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Mit einer Zigarette und dem Buch trat er ins Freie. Er setzte sich auf die Hausbank, das Buch aufgeschlagen neben sich. Zunächst lokalisierte er Deneb, den Hauptstern am Schwanzende des Schwanes. Er ging zurück in die Küche, holte eine Kerze und setzte sich wieder auf die Bank. Im kargen Licht der Flamme studierte er das Sternbild des Schwanes. Nach einer Stunde trug er das Buch zurück in den Essraum. Hier würde er die nächsten Monate verbringen. Hier würde er die Erholung suchen, die er in der Stadt nicht fand. Hier würde er in dem Bergsee baden, der versteckt zwischen Bäumen hinter der Hütte lag. Tief atmete er die klare, kühle Nachtluft ein. Kein Laut war zu hören. Mit langsamen Schritten umrundete er die Hütte, prüfte den Riegel und den Verschluss am Holzverschlag. Im Spiegel neben dem Waschbecken betrachtete er am Morgen sein zerknittertes Gesicht. Die Augen waren umgeben von grauen Ringen. Das 6

Haar wich von Jahr zu Jahr weiter zurück. Er bleckte die von Nikotin und Kaffee braun gefärbten Zähne, fuhr mit der Zunge darüber und schnitt eine unsinnig furchterregende Maske. Immerhin hatte er noch kein Fett angesetzt, was bei seinem Job nicht selbstverständlich war. Er rannte hinüber zum See und tauchte kopfüber hinein. Die Kälte des Wassers ließ ihn erzittern. Tief tauchte er ein, schwamm bis zur Mitte und kehrte zurück. Er legte sich, nass, wie er war, ins noch feuchte Gras und starrte in den wolkenlosen Himmel. Tiefe Ruhe umgab ihn. So muss es im Paradies gewesen sein, dachte er, während er zurück zur Hütte ging, sich rasierte und anzog. Während er den Wamsler in Betrieb nahm und Wasser für den Kaffee aufsetzte, dachte er daran, wie sehr er diese einfachen Arbeiten liebte. Sie bildeten einen krassen Gegensatz zu seiner beruflichen Tätigkeit als Software-Programmierer. Die Hütte hatte er einem Bauern im Wirtshaus abgerungen. Pacht auf Lebenszeit, bezahlt mit einem unverschämten Batzen Geld.

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Dann war das Unglück über ihn hereingebrochen wie eine schmutzige Sturmflut. Sie hatte ihn mit sich fortgerissen; chancenlos war er darin versunken. Doch daran mochte er im Augenblick keinen Gedanken verschwenden. Er frühstückte mit gutem Appetit. Es gab zwei Becher brühheißen Bohnenkaffee, drei Scheiben Vollkornbrot mit Hüttenkäse und hinterher zwei Zigaretten auf der Hausbank im strahlenden Sonnenschein. Das T-Shirt hatte er abgestreift, um sich bräunen zu lassen. Stumm saß er da, ohne Gefühl für Raum und Zeit.

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2 Er zog den Sportdress über, schlüpfte in die Trainingsschuhe und warf einen prüfenden Blick auf den Pick-up. Dann verriegelte er die Hüttentür und startete. Zunächst umrundete er in den See, stieg langsam den Hang über der Wiese hinauf und verschnaufte. Unter ihm lag, halb verdeckt von Tannen und Fichten, seine Hütte. Daneben glänzte der See. Dahinter lag die Felswand wie ein Schutzwall gegen die Welt. Er lief in den Wald hinein, langsam zunächst, schneller werdend mit der Zeit, weglos, ziellos. Die Freiheit genießend, als das, was sie war, ein Geschenk der Natur. Eine Viertelstunde später machte er sich an den Abstieg. Es eilte nicht. Nichts erwartete ihn. Nichts hielt ihn auf. Am Bach trank er zu viel und hätte beinahe alles wieder von sich gegeben. Der Hunger rührte in seinen Eingeweiden, doch schlimmer war seine Gier nach Nikotin. Laut auf seine Trägheit, seine Dummheit und Hinfällig-

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keit schimpfend, erreichte er bald darauf wieder die Hütte. Nach einer Weile schürte er den Wamsler an und kochte sich eine stärkende Suppe. Die Nacht war hereingebrochen. Er legte sich schlafen. Am Morgen entdeckte ihn das Mädchen. Es hockte auf der gegenüberliegenden Seite des Sees und starrte zu ihm herüber. Es konnte nicht älter als zehn oder elf Jahre alt sein. Es trug ein geblümtes, ärmelloses Sommerkleidchen, das ihm kaum bis zu den Knien reichte. Die blonden Haare waren zu Zöpfen geflochten, die am Rücken hüftweit herabfielen. Obwohl der Anlass ernst war, lächelte das Kind. Es war ein scheues Lächeln, doch es rettete ihm das Leben. Für den Bruchteil einer Sekunde wusste er nicht, was er anfangen sollte. Er versuchte, zu lächeln. Das Mädchen verschwand zwischen den Bäumen. Es war das Einzige, was an diesem Tag noch passierte.

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Weit nach Mitternacht, er konnte nicht einschlafen, überdachte er das Bild, das er gesehen hatte. Das Mädchen erschien ihm wie eine Fata Morgana. Er trank zwei Gläser Wasser. Nackt ging er hinüber zum Strauchversteck und überprüfte die Schlösser an der Gittertür. Er schnarchte heftig in dieser Nacht. Beim Frühstück fiel ihm das Mädchen ein. Sollte sie wieder erscheinen, sollte sie keine Furcht haben. Er trank den letzten Schluck seines Kaffees. Zu Mittag hockte er auf der Hausbank. Er konnte nichts essen. Auch nicht, als der Tag vorbei ging und nichts geschah. Vielleicht hatte er sie erschreckt. Nach Einbruch der Dunkelheit zog er sich in seine Schlafkammer zurück. Er starrte auf die Fernsehnachrichten, ohne sie wahrzunehmen. Er sollte dem Mädchen einen Namen geben. Er entschied sich für Elfi. Das klang wie eine Elfe. Er würde sie Elfi nennen.

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3 Die Arbeit der nächsten Tage ließ ihn das Mädchen vergessen. Zunächst schaufelte er einen schmalen Graben zwischen Hütte und Stollen. Darin verlegte er ein Kabel, das vom Verteiler unterhalb der Solaranlage bis in den Stollen führte. Im Stollen führte er das Kabel an der Decke entlang bis in den hinteren Bereich, wo er eine Lampenfassung anbrachte. Als er am Abend eine Glühbirne eindrehte, hatte er endlich Licht in die Dunkelheit gebracht. Bei Einbruch der Nacht schwamm er zwei Runden in seinem Gebirgsweiher. In der Hütte verzehrte er ein üppiges Abendessen. Beim Einschlafen dachte er an Elfi. Am nächsten Morgen begann er mit der Verlegung eines Gartenschlauches. Am Nachmittag aß er zu Mittag und verschlief eine Stunde im Bett. Er erwachte von einem lauten Donnerhall. Ein Gewitter war heraufgezogen, es goss in Strömen. Er blieb liegen, verschränkte die Arme hinter

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dem Kopf und sah durchs Fenster den fallenden Tropfen zu. Später streifte er einen Trainingsanzug über und trat vor die Tür. Der Regen hatte nachgelassen. Tief sog er die gereinigte Luft in die Lungen.

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4 Den ganzen Monat September hindurch reinigte und renovierte er den Stollen. Konnte er nachts nicht schlafen, studierte er das Herbstviereck am Himmel, das fast das gesamte Firmament überspannte. Frühmorgens stählte er seinen Körper für den Winter, lief bergauf, stemmte Felsbrocken, tauchte in den Weiher, bis er auf Grund stieß. Dazwischen schlug er Holz, soviel er aus dem Bergwald herbeischaffen konnte. An besonders schönen Tagen suchte er nach Harz, das er in einem alten Tiegel kochte. Dann tauchte er einen handlichen Prügel in die kochend heiße Brühe. Diesen Vorgang wiederholte er, bis er eine brauchbare Fackel in Händen hielt. Der erste Schnee fiel Anfang Oktober. Er holte die Waffen in die Hütte. Zuerst nahm er sich die Glock vor, eine kompakte Pistole: Zerlegen, reinigen, zusammenbauen. Mit der Steyr Mannlicher, einem leichten Jagdgewehr mit Zielfernrohr, verfuhr er ebenso. Zuletzt war die Mossberg Mariner an der Reihe. 14

Fünfmal hintereinander baute er die Waffen auseinander und wieder zusammen. Zuletzt legte er ein Handtuch über seine Hände, um im Blindflug zu üben. Er war gewappnet für den Winter. Sollte ungebetener Besuch auftauchen, so war er auch dafür gerüstet. Niemand wusste, wo er war. Niemand hatte auch nur die geringste Ahnung davon. Er befand sich in einem perfekten Versteck. Sie würden dennoch kommen. Er wusste es. An Elfi dachte er nicht mehr.

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