Lebenserwartung von Verunfallten mit Schädel-Hirn-Trauma oder ...

Dr. Stefan Scholz-Odermatt1,2, Michael. Gränz2, Dr. Oliver Ruf1,2, Dr. Olivier .... keit für einen Mann im Alter κbezeichnet man mit qκ. Die Hypothese dreht sich.
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Lebenserwartung von Verunfallten mit Schädel-Hirn-Trauma oder Querschnittlähmung Dr. Stefan Scholz-Odermatt1,2, Michael Gränz2, Dr. Oliver Ruf1,2, Dr. Olivier Steiger1,2 1

Sammelstelle für die Statistik der

Unfallversicherungen UVG (SSUV) 2

Suva, Abteilung Versicherungstechnik,

Luzern

Zusammenfassung Die Sterblichkeit von Verunfallten mit Schädel-Hirn-Trauma oder Querschnittlähmung ist im Vergleich zur übrigen Bevölkerung erhöht. Daraus leitet sich im Allgemeinen ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Tod ab. Dieser Zusammenhang äussert sich jedoch hier nicht notwendigerweise unmittelbar als Todesursache, sondern häufig nur mittelbar in Form einer erhöhten Sterblichkeit. Statistisch gesehen bedeutet die Übersterblichkeit von Querschnittgelähmten eine überwiegende Verursachung des Todes durch den Unfall. Aber selbstverständlich muss die kausale Verursachung bei jedem Todesfall individuell beurteilt werden.

Résumé Les personnes ayant été victimes d’un traumatisme craniocérébral ou d’une paraplégie présentent une mortalité plus élevée que le reste de la population. D’une manière générale, on peut donc en déduire un lien de causalité entre l’accident et le décès. Ce lien de causalité n’apparaît néanmoins pas nécessairement immédiatement comme cause du décès, mais bien souvent uniquement sous la forme d’une mortalité accrue. Du point de vue statistique, la surmortalité des personnes paraplégiques constitue une cause prépondérante du décès des suites de l’accident. Bien évidemment, la causalité effective entre l’accident et le décès doit être déterminée au cas par cas. Einleitung Ein Unfall kann lebenslange Folgen für das Unfallopfer nach sich ziehen. Für die Versicherer schlagen sich diese Folgen als Heilkosten oder Kosten von Arbeitsund Erwerbsunfähigkeit nieder. Bei dauerhafter Erwerbsunfähigkeit geschieht dies in Form einer Invalidenrente. Die Versicherer berechnen die Kapitalwerte, die nötig sind, um die Rentenleistungen

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bis ans Lebensende des Versicherten zu finanzieren und bilden eine entsprechende Rückstellung. In diese Berechnung fliesst zentral die Lebenserwartung ein. Zu deren Berechnung werden die gängigen Sterbetafeln verwendet. Aber entspricht die Lebenserwartung eines berenteten Unfallopfers der Lebenserwartung der Normalbevölkerung? Nach einem Unfall, der das Leben und den Alltag des Opfers radikal verändert hat, ist es plausibel, dass auch die Lebenserwartung davon nicht unbeeinflusst bleibt. Auch wenn die Fragestellung aus einem versicherungstechnischen Umfeld heraus entstanden ist, ist sie weit darüber hinaus relevant. Nicht zuletzt für die Unfallopfer selbst. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist daher, dies anhand ausreichend grosser und gut abgrenzbarer Gruppen von berenteten Unfallopfern zu überprüfen. Dafür eignen sich Schädel-Hirn-Traumata (SHT) und Fälle mit Querschnittlähmung (QSL).

Datenquellen Es wurden alle in den Jahren 2004 bis 2014 laufenden Rentenfälle aus der Datenbank der SSUV herangezogen. Um die unmittelbar aus dem Unfall resultierenden Todesfälle aus der Untersuchung zu eliminieren, wurden nur Schadenfälle berücksichtigt, deren Unfalldatum mindestens zwei Jahre vor einem allfälligen Todesdatum liegt. Die Selektion der Diagnosegruppen wurde anhand der ICD-10-Klassifizierungen vorgenommen, welche anhand der entsprechenden Arztberichte codiert waren (Paraplegie ICD-10 S24; Tetraplegie ICD-10 S14). Bei den SHT wurden alle Rentenfälle mit einem SHT verwendet, unabhängig vom Schweregrad. Die Sterblichkeiten der Schweizerischen Wohnbevölkerung stammen aus den Periodentafeln AHV8bis. Da die Tafeln AHV8bis jedoch extrapolierte Periodentafeln für das Jahr 2030 sind und eine künftige Abnahme der Sterblichkeit berücksichtigen, mussten die beobachteten Sterblichkeiten auf das Jahr 2030 umgerechnet werden. Durch dieses Vorgehen ist die Vergleichbarkeit sichergestellt zwischen der in diesem Bericht

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dargestellten Lebenserwartung und der Lebenserwartung der AHV8 bis Tafeln. Methode Die Nullhypothese der vorliegenden Untersuchung ist, dass die aktuell gültigen Sterbetafeln auch die Lebenserwartung der SHT- und QSL-Patienten beschreiben. Aus den oben beschriebenen Daten wurden die Sterblichkeit und die Lebenserwartung von Menschen mit SchädelHirn-Trauma oder Querschnittlähmung im Zeitraum von 2004 bis 2014 ermittelt. Diese beobachtete Sterblichkeit wurde mit der Sterblichkeit gemäss den Periodentafeln AHV8bis verglichen. Der Bestand unter Risiko bemisst sich in Personenjahren, d. h., dass ein Verunfallter, welcher während der ganzen Beobachtungszeit im Datensatz enthalten ist, elf Mal gezählt wird. Alle folgenden Berechnungen wurden jeweils mit entsprechend dem Bestand gewichteten Daten vorgenommen. Die gemäss AHV8bis erwartete Sterblichkeit für einen Mann im Alter κ bezeichnet man mit qκ . Die Hypothese dreht sich

also um die Frage, ob für bestimmte Teilkollektive eine signifikant höhere Sterbewahrscheinlichkeit qˆκ anzunehmen ist. Drei verschiedene mathematische Modelle wurden dann verwendet, um Unterschiede in den Beobachtungen und den Erwartungen zu bestimmen: a. Konstanter Faktor für Übersterblichkeit Das einfachste Modell ist ein konstanter, altersunabhängiger Faktor c zwischen den erwarteten Todesfällen qκ und den tatsächlich beobachteten qˆκ mit qˆ κ = c∙qκ b. Generalisiertes lineares Modell Ein generalisiertes lineares Modell (GLM) mit log (qˆκ)= α+log (qκβ) mit zwei Parametern α und β ist mittels logistischer Regression berechnet worden. c. Altersabhängige Übersterblichkeit Das vom Alter κ abhängige Modell qˆ κ =(a∙b κ')∙q κ wurde mit nichtlinearen Prozeduren berechnet. Für die Variable κ' verwendeten wir hierbei die Altersjahre bis 50. Für alle Berechnungen wurde die Statistik-Software SAS 9.2 verwendet.

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Tabelle 1: Mengengerüst der Untersuchung, berechnete Koeffizienten der Modelle mit ihren Standardfehlern und Lebenserwartung, Männer Invaliditätsrente mit SHT

Invaliditätsrente mit Paraplegie

Invaliditätsrente mit Tetraplegie

AHV8bis

72 960

4858

2701

-

Anzahl Fälle

8959

564

326

-

Todesfälle im Beobachtungszeitraum

1048

47

42

-

Bestand unter Risiko

Modellparameter a. Konstante Übersterblichkeit

c

1.69 ± 0.05

2.3 ± 0.4

3.8 ± 0.6

1.00

b. Generalisiertes lineares Modell

α β

0.04 ± 0.13 0.88 ± 0.03

0.1 ± 0.7 0.86 ± 0.13

1.8 ± 0.8 1.1 ± 0.16

0.00 1.00

c. Altersabhängige Übersterblichkeit

a b

2.16 ± 0.05 0.986 ± 0.001

2.7 ± 0.2 0.986 ± 0.005

3.5 ± 0.4 1.007 ± 0.006

1.00 1.00

Lebenserwartung eines 30-Jährigen

80

77

72

85

eines 40-Jährigen

80

77

73

85

eines 50-Jährigen

81

78

74

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Tabelle 2: Mengengerüst der Untersuchung, berechnete Koeffizienten der Modelle mit ihren Standardfehlern und Lebenserwartung, Frauen

Bestand unter Risiko Anzahl Fälle Todesfälle im Beobachtungszeitraum

Invaliditätsrente mit SHT

Invaliditätsrente mit Paraplegie

Invaliditätsrente mit Tetraplegie

AHV8bis

22 560

795

380

-

2620

96

52

148

9

7

-

Modellparameter a. Konstante Übersterblichkeit

c

1.47 ± 0.12

-

-

1.00

b. Generalisiertes lineares Modell

α β

-0.4 ± 0.4 0.83 ± 0.07

-

-

0.00 1.00

c. Altersabhängige Übersterblichkeit

a b

1.96 ± 0.09 0.983 ± 0.002

-

-

1.00 1.00

-

-

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Lebenserwartung einer 30-Jährigen

85

einer 40-Jährigen

85

-

-

89

einer 50-Jährigen

86

-

-

89

Ergebnisse und Diskussion Die drei Modelle führen zu praktisch identischen Resultaten hinsichtlich der erwarteten Restlebensdauer mit Prognosen stets innerhalb einer Spanne von weniger als einem Jahr. Mengengerüst

Ergebnisse der Analysen sind in den Tabellen 1 und 2 zu finden. Die Veränderung der Lebenserwartung anhand von Beispielrechnungen (eines 30-, 40- oder 50-jährigen Versicherten) gibt in diesem Zusammenhang das anschaulichste Bild.

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Die Sterblichkeit der Männer aller drei Risikogruppen weicht signifikant von der Sterblichkeit gemäss AHV8bis ab. Da im Beobachtungszeitraum weniger als zehn Paraplegikerinnen bzw. Tetraplegikerinnen gestorben sind, fehlte für diese Teilkollektive die Datengrundlage für eine zuverlässige Berechnung der Lebenserwartung. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Frauen mit Querschnittlähmung – analog zu den Männern – eine kürzere durchschnittliche Lebenserwartung haben. Frauen, die seit ihrem Unfall an einem Schädel-Hirn-Trauma leiden, haben eine signifikant höhere Sterbewahrscheinlichkeit als man gemäss der Periodentafel AHV8bis erwarten würde. Bei unseren Berechnungen haben wir den Trend zum Älterwerden miteinbezogen, indem wir die abnehmende Sterblichkeit, die man aufgrund des medizinischen Fortschritts und anderer Faktoren für die Gesamtbevölkerung erwartet, auf unsere Risikogruppen angewendet haben. Nicht in unsere Berechnungen eingeflossen sind jedoch künftige Verbesserungen, die sich speziell auf Menschen mit Schädel-HirnTrauma oder Querschnittlähmung auswir-

ken. Durch einen Fortschritt auf diesen Gebieten könnte sich die Lebenserwartung dieser Menschen der gemäss AHV8bis erwarteten noch weiter annähern. Fazit Die Untersuchung zeigt, dass die Sterblichkeit der Verunfallten mit Schädel-HirnTrauma oder Querschnittlähmung im Vergleich zur übrigen Bevölkerung erhöht ist. Daraus leitet sich im Allgemeinen ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Tod ab. Dieser Zusammenhang äussert sich jedoch hier nicht notwendigerweise unmittelbar (als Todesursache), sondern häufig nur mittelbar (in Form einer erhöhten Sterblichkeit). Statistisch gesehen bedeutet die Übersterblichkeit von Querschnittgelähmten eine überwiegende Verursachung des Todes durch den Unfall. Aber selbstverständlich muss die kausale Verursachung bei jedem Todesfall individuell beurteilt werden. Es greift jedenfalls zu kurz, wenn man die Übersterblichkeit nur bei der Kapitalisierung der Invaliditätsrenten berücksichtigt, denn der Unfall kann später durchaus als kausal für den Tod eingestuft werden.

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