Kulturtransfer am Fürstenhof AWS

Lukas Verlag. Matthias Müller, Karl-Heinz Spieß, Udo Friedrich (Hg.) Kulturtransfer am Fürstenhof. Höfische ... für Kurfürst Friedrich den Weisen. 271. Kulturtransfer in höfischen Bildkonzepten des .... zehnten um 1500 durch Künstler wie Albrecht Altdorfer, Bartel Beham, Lucas. Cranach, Albrecht Dürer, Hans Baldung, gen.
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Kulturtransfer am Fürstenhof

Schriften zur Residenzkultur • 9 Herausgegeben vom Rudolstädter Arbeitskreis zur Residenzkultur

von Vinzenz Czech Martin Eberle Peter-Michael Hahn Stephan Hoppe Matthias Müller

Matthias Müller, Karl-Heinz Spieß, Udo Friedrich (Hg.)

Kulturtransfer am Fürstenhof Höfische Austauschprozesse und ihre Medien im Zeitalter Kaiser Maximilians I.

Lukas Verlag

Abbildung auf dem Umschlag: Lucas Cranach d.Ä.: Liegende Quellnymphe, 1518, Öl auf Holz, Leipzig, Museum der Bildenden Künste (Postkarte, Deutscher Kunstverlag, Berlin/München) Alle nicht einzeln nachgewiesenen Abbildungen stammen aus den Bildarchiven der Autoren bzw. dem Bildarchiv des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Mainz.

© by Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 2013 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstraße 57 D–10405 Berlin www.lukasverlag.com Korrektorat und Satz: Jana Pippel (Lukas Verlag) Reprographie und Umschlag: Lukas Verlag Druck: Elbe Druckerei Wittenberg Printed in Germany ISBN 978–3–86732–155–6

Inhalt

Einleitung Matthias Müller, Karl-Heinz Spieß und Udo Friedrich

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Morisken für den Kaiser: Kulturtransfer? Birgit Franke und Barbara Welzel

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Formen des Kulturtransfers am Hof Kaiser Maximilians I. Muster genealogischer Herrschaftslegitimation Beate Kellner

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Heirat, Reise, Beute Kulturtransferprozesse anhand von spätmittelalterlichen Fürstenschätzen Ute Kümmel

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Fürstliche Kultinnovationen im Spiegel sakraler Schätze Beispiele von wittelsbachischen Höfen des späten Mittelalters Carola Fey

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Die Wittelsbacher Residenzen in Landshut und Neuburg an der Donau in den Netzwerken des Kulturtransfers Strategien der kunsthistorischen Kategorienbildung Stephan Hoppe

139

Traurige Musen Jacopo de’ Barbari zu Malerei, Dichtung und Kulturtransfer im Norden Ulrich Pfisterer

189

»Contrafeter und Illuminist« Jacopo de’ Barbari im Dienst Maximilians I. Beate Böckem

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Kulturtransfer bei Lucas Cranach d.Ä. Medien, Formen und Semantik am kursächsischen Hof in Wittenberg Elke Anna Werner »Schilderey von dem gutten maister andrea von mantua« für Kurfürst Friedrich den Weisen Kulturtransfer in höfischen Bildkonzepten des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit im Alten Reich Ruth Hansmann

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271

Die Herausgeber 306 Die Autorinnen und Autoren 307

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Inhalt

Einleitung

Die Beiträge des vorliegenden Bandes sind das Ergebnis einer interdisziplinären Tagung, deren Teilnehmer am 14. und 15. März 2008 im restaurierten barocken Haupt­gebäude der Universität Greifswald die Bedeutung des spätmittelalterlichen Fürstenhofes im Alten Reich für Prozesse des Kulturtransfers diskutierten. Der fächer­­übergreifende Diskurs sollte dabei in besonderer Weise als Impulsgeber und kri­tisches Forum für ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes und von den Unterzeichnenden geleitetes Verbundprojekt dienen, das aus germanistischer, historischer und kunsthistorischer Perspektive das Phänomen des Kulturtransfers an deutschen Fürstenhöfen an der Epochenschwelle von Mittelalter und Früher Neuzeit zu analysieren versuchte. Dabei wurden wesentliche Forschungsleistungen durch die beteiligten Projektmitarbeiterinnen Dörte Buchhester (Germanistik), Ruth Hansmann (Kunstgeschichte) und Ute Kümmel (Geschichte) erbracht, die auch maßgeblich an der Vorbereitung der Tagung beteiligt waren. Wegen der kulturellen Differenzierungsprozesse und der komparatistischen Möglichkeiten erschien die Umbruchszeit an der Epochenschwelle vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit als Untersuchungszeitraum besonders lohnend. Während in den Jahrzehnten vor 1500 viele deutsche Höfe wegen der zunehmenden internationalen Vernetzung immer stärker die in Italien, den burgundischen Niederlanden oder Frankreich entwickelten kulturellen Standards rezipierten, bedeuteten die Jahrzehnte nach 1500 durch die Auswirkungen der Reformation für die deutschen Höfe sowohl eine Beschleunigung als auch eine nachhaltige Veränderung der kulturellen T ­ ransfer- und Transformationsprozesse. Die Analyse der Jahrzehnte vor und nach 1500 ermöglichte dem Verbundforschungsprojekt somit gleichmermaßen eine Würdigung des prozesshaften Verlaufs des Kulturtransfers und seiner Abhängigkeit von den konkreten historischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich das kulturelle Niveau der Fürstenhöfe im Alten Reich entwickelte. Obwohl die drei beteiligten Einzelprojekte prinzipiell unterschiedliche Gegenstände (Normen und Objekte der Schrift-, Bild- und Sammlungskultur) untersuchten, bestanden doch sowohl durch die übergreifende Leitfrage nach den kulturellen Normen höfischer Repräsentation im Alten Reich als auch durch die politischen wie dynastischen Verflechtungen der Höfe innerhalb der drei Teilprojekte vielfältige Kooperationsmöglichkeiten. Diese enge Kooperation innerhalb des Verbundprojekts bilden die Beiträge des vorliegenden Bandes allerdings nur unvollkommen ab, da sich aufgrund von persönlichen oder beruflichen Umständen nicht alle Referenten der Greifswalder Tagung in der Lage sahen, ihre Beiträge zu einer druckfähigen Form auszuarbeiten. Von daher ergab sich für die Druckfassung der Tagung schließlich ein deutlicher Schwerpunkt auf den kunsthistorischen Themen. Dass dies nicht unbedingt ein Nachteil sein muss, zeigt die Bandbreite der in den kunsthistorischen Beiträgen behandelten Frage­stellungen. Sie belegen zugleich die Bedeutung, die das Fach Kunstgeschichte Einleitung

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im Zusammenwirken der historisch arbeitenden Disziplinen für die differenzierte kulturwissenschaftliche Analyse der spätmittelalterlichen deutschen Fürstenhöfe als Austragungs- und Aushandlungsorte kultureller Austauschprozesse erhalten hat. Von daher sei im Folgenden ein kurzer Blick auf die Rezeption des Begriffs »Kulturtransfer« durch die kunsthistorische Forschung und seine Relevanz für eine neuerliche kunsthistorische Auseinandersetzung mit der an deutschen Fürstenhöfen um 1500 entstandenen Kunstproduktion und ihren kulturhistorischen Kontexten erlaubt. Kulturtransfer als Gegenstand kunsthistorischer Forschung

Fragen des Kulturtransfers werden in der kunsthistorischen Forschung erst seit relativ kurzer Zeit systematisch analysiert. Der entscheidende Impuls ging dabei von den modernen Kulturwissenschaften aus. So wurden ab 1985 unter dem Stichwort transferts culturels in deutsch-französischer Zusammenarbeit erste Ansätze einer neuen kulturwissenschaftlichen Perspektive entwickelt. Protagonisten wie Michel Espagne, Matthias Middell und Michael Werner untersuchten zunächst die neuzeitlichen Austauschprozesse zwischen Deutschland und Frankreich, wobei die Wissenschaftler zugleich die kulturellen Bedingtheiten der eigenen Herkunft und die sich daraus ergebenden Formen der Zusammenarbeit reflektierten. Die neue Fragestellung stieß schnell auch außerhalb ihres ursprünglichen fachlichen Entstehungskontextes auf großes Interesse. Im Bewusstsein der neu gewonnenen Freiheit im gerade wiedervereinigten Berlin fand 1992 unter Leitung von Thomas Gaehtgens der XXVIII. Internationale Kongress für Kunstgeschichte mit dem Thema »Künstlerischer Austausch« statt. Diesen Rahmen nutzte Gaehtgens für die Forderung, die internationale Kunstwissenschaft müsse eine fachspezifische Definition des kulturwissenschaftlichen Untersuchungsansatzes von Prozessen des Kulturtransfers und eine dementsprechende Methodologie entwickeln. Die Forderung nach einem spezifischen kunstwissenschaftlichen Instrumentarium wurde inzwischen durch die Ergebnisse einer Reihe von Einzeluntersuchungen, Sonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs eingelöst. In besonderer Weise konnten so neue Perspektiven zu Themen des Kulturtransfers in der kunsthistorischen Mediävistik und Frühneuzeitforschung aufgezeigt werden. Das kunstgeschichtliche Konzept Kulturtransfer grenzt sich bewusst von einer Kunstgeschichtsschreibung ab, die recht unspezifisch nur nach »Einflüssen« fragt und dabei deutlich von der Vorstellung einer gebenden Leitkultur und einer nehmenden Sekundärkultur bestimmt ist. Rezeptionsvorgänge, die das Vorbild abwandeln, werden hierbei letztlich als Ausdruck eines mehr oder minder stark ausgeprägten Kulturgefälles verstanden und damit zugleich das Konstrukt eines einseitigen Abhängigkeitsverhältnisses verschiedener Kulturen propagiert. Im Gegensatz dazu verlagert sich das Forschungsinteresse der kulturwissenschaftlich ausgerichteten Kunstgeschichte einerseits auf die Relation von Ausgangs- und Rezeptionskultur, sodass nicht nur der Export, sondern auch der Wille und die Bereitschaft zum Import von künstlerischen Elementen, die einer fremden kulturellen Praxis entstammen, im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. In den Blickpunkt geraten andererseits gerade der Prozess des 8

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Transfers und die Fragen nach den Anlässen und äußeren Bedingungen, den Trägern, Mitteln und künstlerischen Medien und nach den beabsichtigten und erreichten Zwecken und Funktionen des Austauschs. Auch Form und Grad des Transfers und die Position der rezipierten Bestandteile im alten und neuen Bezugssystem werden im Rahmen dieses Ansatzes differenziert betrachtet. Kunstwerke lassen sich in diesem Kontext als Medien, als kostbare Objekte und auch als spezifische Produkte des Kulturtransfers betrachten. Für die den Kulturtransfer thematisierende Kunstgeschichtsforschung verkörpern sie Quellen, die mit ihrer künstlerischen Bildsprache einen auf der ästhetischen Ebene verlaufenden Diskurs über die Gültigkeit und Wertigkeit unterschiedlicher Kulturmodelle zur Anschauung bringen. Der Quellenwert von Bildwerken für die Rekonstruktion höfischer Kulturtransferprozesse

Dieser besondere Quellenwert von Kunstwerken für die Rekonstruktion normativ wirkender Kulturmodelle gilt in besonderer Weise auch für die im Kontext spätmittelalterlich-frühneuzeitlicher fürstlicher Repräsentations- und Memorialkultur entstandenen Bildwerke. Wie die Ergebnisse der jüngeren Residenzforschung zeigen, ist der jeweilige Fürstenhof als ein hochkomplexes personales und familiär geprägtes Gebilde zu verstehen, dessen internationale Vernetzung sowie Verortung in einer vielschichtig begründeten ethisch-religiösen und historischen Tradition die meisten Höfe zu bedeutenden Zentren kultureller Austausch- und Verständigungsprozesse im Alten Reich werden ließen. Aus der kunsthistorischen Perspektive erscheint es daher lohnend, die Wechselbeziehungen zwischen den kulturellen Normen höfischer Repräsentation und den hierfür eingesetzten Bildmedien der Tafelmalerei und der Druckgraphik sowie ihre Veränderung im Prozess des Kulturtransfers in den Blick zu nehmen. Aus einem solchen Blickwinkel werden nicht vorrangig die kulturellen Wechselbeziehungen zwischen den höfischen Institutionen eines Territoriums, sondern die Höfe in ihrer übergeordneten Funktion als Katalysatoren und Multiplikatoren für kulturelle Transferprozesse und die den künstlerischen Medien hierbei zugewiesenen Formen und Funktionen analysiert. Zentrale Themen einer solchen Untersuchung sind zum einen die bildkünstlerische Umsetzung der historiographischen, eine eigenständige, »nordische Antike« propagierende Konzepte der deutschen Fürstenhöfe und zum anderen die Auswirkungen der Reformation und der von ihr geprägten Fürstenhöfe auf Rezeption und Transformation der italienischen oder niederländischen Bildkonzepte des 15.  und 16.  Jahrhunderts. Mit diesen Themen verbunden sind Fragen nach dem Status der Künstler an deutschen Höfen und der Herausbildung von Künstlerkonkurrenzen als Bestandteil von Hofkonkurrenzen im Alten Reich. Ein solcher Forschungsansatz geht somit weit über die bisherigen Versuche einer überwiegend stil-, motiv- oder künstlergeschichtlich argumentierenden vergleichenden Analyse hinaus, da die Phänomene einer stilistischen bzw. formengeschichtlichen Rezeption stets auf ihren Zusammenhang mit der Funktion und Konzeption der Bildwerke innerhalb ihres höfischen Umfeldes hin befragt werden. Einleitung

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Zu den Formen und Aufgabenstellungen höfischer Bildmedien im Alten Reich gehörten im angesprochenen Zeitraum das vielfältig kontextualisierte Porträt, das Andachts- bzw. Altarbild in regentenethischer wie dynastisch-memorialer Perspektive, Bildzyklen zu Themen der damals aktuellen normativen Regentenethik, Bilder im Konflikt um die neuen, protestantischen Landesfürstentümer sowie mythologische Bildserien. Diese Bildgenres wurden an den deutschen Fürstenhöfen in den Jahrzehnten um 1500 durch Künstler wie Albrecht Altdorfer, Bartel Beham, Lucas Cranach, Albrecht Dürer, Hans Baldung, gen. Grien, oder Bernhard Strigel auf ein mit Italien oder den Niederlanden konkurrenzfähiges Niveau gehoben, ohne dabei jedoch auf eigene, mit der kulturgeschichtlichen Differenz begründete Akzente zu ver­zichten. Beim höfischen Porträt zeigt sich dies in der Entwicklung einer besonderen, auf genealogische Merkmale ausgerichteten Typisierung, womit der Vorrang genealogischen Denkens im Alten Reich für die Abwandlung des aus der italienischen bzw. niederländischen Malerei rezipierten ästhetischen Konzeptes verantwortlich zeichnet. In der religiösen Malerei verzichteten die deutschen Künstler auf die direkte Übernahme antikisierender Figurentypen, wie sie durch italienische Bild­konzepte vermittelt wurden. Stattdessen tradierten sie die figuralen Katego­rien der älteren nordeuropäischen Malerei und suchten sie mit dem vor allem in Italien entwickelten Standard einer ästhetischen Illusionserzeugung zu verbinden. Insbesondere anhand der mythologischen, historisch argumentierenden Bilder lässt sich das intensive Wechselverhältnis zwischen höfischer Malerei oder Graphik und dem von deutschen Humanisten entworfenen Geschichtsbild einer eigenständigen »germanischen« Antike, welche an den Fürstenhöfen entwickelt oder über­nom­men wurde, aufzeigen. Hier lassen sich die in der jüngeren literatur- und kunstwissenschaftlichen Forschung nachgewiesenen Konzepte eines deutschen Gegenentwurfs zur italienischen Renaissance um eine präzise bildwissenschaftliche und rezeptionsästhetische Perspektive erweitern. Neben den bildkünstlerisch umgesetzten historiographischen Konzepten sind die Auswirkungen der Reformation und die Einwirkungen der von ihr geprägten Fürstenhöfe auf die Rezeption und Transformation der italienischen oder niederländischen Bildkonzepte des 15. und 16. Jahrhunderts von wesentlicher Bedeutung. Die im protestantischen Bereich neue Aufgabenstellung des religiösen Bildes, das nun dezidiert der evangelischen Lehre zu dienen hatte, erforderte eine erneute Auseinandersetzung mit den illusionserzeugenden Standards der »katholischen« Renaissancemalerei Italiens, die zunächst als ästhetisches Leitbild für einen sowohl historisch als auch konfessionell divergierenden Kulturentwurf gelten musste. Für die spezifische künstlerisch-mediale Repräsentation der protestantischen Fürstenhöfe im Alten Reich lassen sich auf diese Weise wichtige Erkenntnisse gewinnen und in eine vergleichende Perspektive zu den katholisch gebliebenen Höfen des Alten Reichs und der angrenzenden Territorien und Reiche stellen. Der Vergleich zwischen der Kunstproduktion der protestantischen und der katholischen Höfe belegt zugleich die Wandlungsfähigkeit von Künstlern bzw. Werk­statt­betrieben wie der Cranach-Werkstatt und vermag durch die Beachtung 10

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der funktionalen Aspekte das Oszillieren dieser Künstler zwischen katholischer und protestantischer Auftraggebersphäre genauer zu bestimmen. Letztlich gilt es, Status und Selbstverständnis der in den Diensten deutscher Fürstenhöfe stehenden Maler als »Hofkünstler« zu beleuchten und einer systematischen Klärung näherzubringen. Die von Humanisten wie Pirckheimer oder Peutinger verschiedentlich vorgenommenen Bezeichnungen von Malern wie Dürer oder Cranach als »deutscher« Apelles und die damit einhergehenden Vergleiche mit dem berühmtesten Hofmaler der griechischen Antike sind ungeachtet der topischen Stilisierung auch als Teil der Abgrenzungsversuche deutscher Humanisten gegenüber ihren italienischen Kollegen zu betrachten. Welche Auswirkungen diese Abgrenzungsversuche für den Status und das Prestige der deutschen Hofkünstler hatten und inwieweit deutsche Künstler dadurch an der Konkurrenz deutscher Fürstenhöfe sowohl untereinander als auch mit ausländischen Höfen beteiligt waren, ist bislang nur rudimentär in den Blick der Forschung geraten. Für das Verständnis der in diesem Rahmen entstandenen Bildwerke als Medien des Kulturtransfers ist daher zum einen die kulturelle Selbsteinschätzung der deutschen Fürstenhöfe gegenüber ihren italienischen, burgundisch-niederländischen und fran­zösischen Nachbarn von Bedeutung. Zum anderen aber sind die zwischen den ver­schiedenen deutschen Höfen gepflegten Konkurrenzen zu beachten. Die nicht nur auf politisch-militärischem, sondern auch auf kulturellem Terrain miteinander konkurrierenden Fürstenhöfe vermochten sich durch die gezielte Förderung einer an italienischen oder französischen Normen ausgerichteten Malerei oder gar der Beschäftigung ausländischer Künstler wirksame Mittel der kulturellen Abgrenzung zu verschaffen, genauso wie die bewusste Außerachtlassung fremder künstlerischer bzw. ästhetischer Standards als Mittel der Unterscheidung eingesetzt werden konnte. Aufschlussreich vermag hier beispielsweise der Vergleich zwischen der Kunstproduktion des mächtigen kursächsischen und derjenigen des eher nachgeordneten kur­brandenburgischen Hofes zu sein, wie auch eine Gegenüberstellung des Wiener Kaiserhofes mit dem sächsischen Kurfürstenhof zu aussagekräftigen Ergebnissen führt. Bedauerlicherweise sind die für solche Fragestellungen und Analysen maßgeblichen Bildwerke fast alle ihrem zugehörigen historischen Kontext entrissen. Ehemals waren sie Bestandteile fürstlicher Sammlungen, gehörten zum Inventar der fürstlichen Wohn- und Repräsentationsräume oder wurden, insbesondere die Druckgraphik, als öffentlich wirksame »Propaganda«-Medien konzipiert bzw. dienten als Entwurfsvorlagen für Künstler und ihre Werkstätten. Immerhin lässt sich ein Großteil der Objekte über bildimmanente Merkmale (Ikonographie, Wappen, Inschriften) oder auch dank der teilweise guten Überlieferungslage für einzelne Höfe durch Inventartexte, Rechnungsbücher oder Nachlassverzeichnisse wieder seinem ursprünglichen Kontext zuordnen. Denn nur unter Beachtung dieses einstigen räumlichen wie funktionalen Kontextes und mit Hilfe unterschiedlicher Quellen- bzw. Textgattungen (hierzu gehören auch Fürstenspiegel, humanistische Geschichtswerke, Objektbeschreibungen, Künstlerpanegyriken, Kunsttraktate sowie Inschriften bzw. Epigramme auf den Einleitung

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Bildern selbst) lassen sich die höfische Malerei und Graphik der Zeit Lucas Cranachs und Albrecht Dürers als anspruchsvolle Medien eines spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Kulturtransfers erschließen und die programmatischen Leitbilder und Auf­gabenstellungen der höfischen Bildwerke im Alten Reich differenzierter als bisher analysieren. Fürstenschätze und Kulturtransfer

Während sich die höfische Malerei und Graphik als hervorragende Anschauungsobjekte für den spätmittelalterlichen Kulturtransfer erwiesen haben, kann dies nicht in gleicher Weise für die Fürstenschätze gelten. Zwar lassen sich aus den Inventaren und Testamenten die Zusammensetzung des Tafelgeschirrs, das neben den liturgischen Gerätschaften den wichtigsten Bestandteil des Fürstenschatzes bildete, das Edelmetallgewicht und die bevorzugten Materialien erschließen. Zu letzteren gehören nicht nur Gold, Silber und Edelsteine, sondern auch Glas und Holz. Hinzu treten magische Gegenstände wie Natternzungen oder das Einhorn und exotische Objekte wie Kokosnüsse, Korallen oder Straußeneier. Weiterhin liefern die Inventare und weitere Quellen Informationen über die Art und Weise, wie die Objekte in den Schatz gelangt sind, z. B. durch Heirat, Kauf oder Erbschaft. Auch die Funktion der Schätze ist in den Quellen deutlich erkennbar, denn diese sollten nicht nur der Repräsentation des Fürstenhauses dienen, sondern auch als politische Aussage über die Geldmittel des Besitzers eingesetzt werden, da das Goldund Silbergeschirr dank der jederzeitigen Möglichkeit des Einschmelzens zugleich eine Bargeldreserve darstellte. Können somit mit der Zusammensetzung, der Herkunft und der Funktion des Tafelgeschirrs und der Kleinodien wichtige Fragen geklärt werden, bereitet der Nachweis des Kulturtransfers auf diesem Gebiet unerwartet große methodische Schwierigkeiten. Da rund 99 Prozent der Schätze nicht mehr erhalten sind, lassen sich kaum künstlerische Beeinflussungen belegen. So wäre es vorstellbar, dass die in ihrer Zusammensetzung und Gestaltung italienischen »Brautschätze« von Antonia Vis­conti und Barbara Gonzaga, die 1380 und 1474 in das Haus Württemberg ein­ geheiratet haben, das Goldschmiedehandwerk in Südwestdeutschland zu neu­en For­men angeregt haben könnten, doch fehlen die Objekte, um dies zu bele­gen. So wertvoll die Beschreibungen der Stücke in den Inventaren für ein Bild von den Fürstenschätzen sind, so sind sie doch nicht detailliert genug, um einen For­ men­wandel erkennen zu können. Deshalb lassen sich, wie im Beitrag von Ute Küm­mel ausführlich dargelegt wird, meist nur einzelne Glieder eines möglichen Kul­tur­transfers aufzeigen, aber der konkrete Nachweis lässt sich anders als bei der Malerei leider nicht führen. Die Andersartigkeit von Objekten aus einem anderen Kulturraum wurde zwar erkannt, aber die Wirkung dieser Wahrnehmung bleibt weitestgehend verborgen.

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Matthias Müller, Karl-Heinz Spieß, Udo Friedrich

Das Konzept des Kulturtransfers in den Literaturwissenschaften

Innerhalb der Literaturwissenschaften hat das Konzept des Kulturtransfers vor allem als Weiterentwicklung des sozialgeschichtlichen Ansatzes Konjunktur erfahren. Der frühneuzeitliche Hof konstituiert sich im Reich zugleich als politische und kulturelle Institution, indem er sich am Vorbild führender europäischer Fürstenhöfe orientiert. Sozialgeschichtliche Studien etwa zum Innsbrucker, Heidelberger und Braunschweiger Hof haben die vielfältigen Umgangsformen mit Schrift und Literatur aufgearbeitet, durch die der frühneuzeitliche Hof auf neue Weise seine Kommunikation, sein Gedächtnis und sein Wissen sowie seine soziale Ordnung regelt. Unter dem Stichwort »pragmatische Schriftlichkeit« wurden Verschriftungs- und Verschriftlichungsprozesse in den Blick genommen, die sich von der Fixierung auf die schöne Literatur lösten und auch den alltagspraktischen Gebrauch von Schrift berücksichtigten. Die Verschriftung der Verwaltung, der Transfer habitualisierten und gelehrten Wissens in die Schriftform der Volkssprache, die Bemühungen um eine lokale Geschichtsschreibung und der Aufbau von Bibliotheken, all diese Prozesse reagieren auf zunehmende Erfordernisse der Schrift in einer komplexer werdenden Welt und markieren eine kulturelle Umbruchsituation. Am Beispiel der genealogischen Herrschaftslegitimation und der Gedächtnispolitik führt der Beitrag von Beate Kellner komplexe mediale Formen des Kulturtransfers am Hof Maximilians vor. Transferprozesse der beschriebenen Art vollziehen sich zwar zunächst an den politischen Zentren des Reichs, wirken aber auch bis in dessen Peripherie hinein. Der Pommersche Fürstenhof kann als exemplarischer Fall angesehen werden, über vielfältige Techniken des Kulturtransfers Anschluss an etablierte Standards im Reich zu suchen. Er ist im 16. Jahrhundert nicht nur den Auswirkungen von Renaissance und Reformation ausgesetzt, sondern tritt auch zunehmend als Verwaltungsinstanz hervor, an der neue Strategien der Verschriftung, der politischen Ordnung und der Kommunikation verfolgt werden. Durch dynastische Verbindung mit repräsentativen Höfen im In- und Ausland, durch die Anwerbung von Gelehrten unterschied­lichster Disziplinen, die auf dem Feld der Geschichte, der Medizin, des Rechts, der Technik und der Diplomatie neue Standards setzen, durch den Aufbau von Bibliotheken und die Entwicklung eines kommunikativen Netzwerkes passt sich der Pommersche Hof den Erfordernissen der Zeit an. Im Einzelfall mögen diese Adaptationen als Rezeptionsprozesse gelesen werden, in ihrer Gesamtheit zeugen sie von einem kom­ plexen kulturellen Transferprozess. Einen kleinen Beitrag zu dem weitgesteckten Ziel der Erforschung des Kulturtransfers, das sich letztlich nur im Zusammenwirken aller kulturwissenschaftlichen Disziplinen erreichen lässt, möchten auch die Aufsätze des vorliegenden Bandes leisten. Sie ermöglichen zugleich einen Einblick in eine anregende und diskussionsfreudige Tagung, die dem gemeinsamen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Verbundprojekt zum »Kulturtransfer an deutschen Fürstenhöfen in der Umbruchszeit vom späten Mittelalters zur frühen Neuzeit« Einleitung

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in der Abschlussphase nochmals wichtige Impulse lieferte. Der DFG ist sowohl für die Projektförderung als auch für die Grundfinanzierung der Druckkosten des vorliegenden Bandes zu danken, genauso wie allen Referentinnen und Referenten, die durch die Überarbeitung ihrer in Greifswald zunächst mündlich präsentierten Beiträge für die Publikation auch die Ergebnisse der weiterführenden Tagungsdiskussionen mitberücksichtigt haben. Matthias Müller (Mainz) Karl-Heinz Spieß (Greifswald) Udo Friedrich (Köln)

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Einleitung