Kopernikus - Buch.de

Mir ist da nämlich etwas Denkwürdiges passiert. Als ich kürzlich mit meinem Freund Emil Ei- che darüber sprach, kamen wir zu dem. Schluss, dass ich mich ...
221KB Größe 2 Downloads 182 Ansichten
Wolfgang Wiemann

Kopernikus Roman

2

© 2017 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2017 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Wolfgang Wiemann Printed in Germany Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck

ISBN 978-3-8459-2076-4 ISBN 978-3-8459-2077-1 ISBN 978-3-8459-2078-8 ISBN 978-3-8459-2079-5 Mini-Buch ohne ISBN

AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. 3

PROLOG

Es gehört zu unseren tierischen Gewohnheiten, den Tag so zu nehmen, wie er kommt. Was gestern war und morgen sein wird, interessiert uns nicht. Sie mögen es für eine Schande halten, dass auch die vielen schönen Erinnerungen verblassen, aber wir fahren gut damit, nicht mit der Vergangenheit zu liebäugeln, und so halten wir es auch mit der Zukunft. Dass Sie im Begriff sind, eine Abweichung von diesem Verhalten mitzuerleben, hat offengestanden auch damit zu tun, dass ich mich für die Menschen verantwortlich fühle. Mir ist da nämlich etwas Denkwürdiges passiert. Als ich kürzlich mit meinem Freund Emil Eiche darüber sprach, kamen wir zu dem Schluss, dass ich mich damals trotz meines 4

tierischen Gewandes in vielerlei Hinsicht wie ein Mensch verhalten hatte. Emil, der schon mehr als 700 Jahre auf dem Buckel hat, riet mir, meine unglaubliche Geschichte an Sie zu überliefern, denn nirgendwo besser als bei den Menschen könne sie von Nutzen sein. Aber dazu gleich mehr. Wenn Sie gestatten, möchte ich mich zunächst vorstellen. Mein Name ist Kopernikus. Ich bin ein Rabe und lebe im Westen Irlands, genauer gesagt in Dooros, einem paradiesischen Fleckchen wild-romantischer Natur in der Grafschaft Clare. Wie es uns Vögeln zu eigen ist, sehen wir die Welt aus der Vogelperspektive. Anders als die Menschen betrachte ich das Leben aus einer dreidimensionalen Sicht, was mir im Verlauf der Ereignisse so manches Mal einen Vorteil verschaffte. Wie bereits angedeutet, bewegten sich damals die Verhältnisse bei uns Tieren in eine Richtung, die zunehmend an menschliche Le5

bensweisen erinnerte. Wenn ich Ihnen nun von dieser Entwicklung erzähle, erhalten Sie unweigerlich auch eine dreidimensionale Perspektive und zwar auf Ihre eigene, menschliche Welt. Ich werde Sie jetzt in eine tierische Geschichte entführen, die etwas klüger ist, als Sie auf den ersten Blick glauben mögen, was daran liegen kann, dass Sie sich an den neuen Blickwinkel noch nicht gewöhnt haben. Ich sitze übrigens gerade bei Emil Eiche oben in der Krone und sammle meine Gedanken. Wie fange ich am besten an? Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Ein Königreich der Tiere aus dem Boden zu stampfen, war ebenfalls kein Pappenstiel. Das können Sie mir glauben. Aber werfen wir zunächst einen Blick auf die Anfänge: Eines schönen Tages geriet unsere kleine Tiergemeinde in Aufregung. Eigentlich handelte es sich um eine belanglose Angelegenheit, eine etwas schräge Freundschaft. Aber 6

wie es mit allem so ist, das sich jenseits der Normalität abspielt, ging bald das Tratschen und Lästern los. Damit fing es im Grunde an und ohne es zu ahnen, schlitterte ich in eine Sache hinein, die sich zum größten Spektakel in der Geschichte der Tierwelt entwickelte. Aber lassen Sie mich ganz von vorne beginnen. Der Frühling hatte Einzug gehalten und ich persönlich erlebte gerade die erste, berauschende Blüte als junger Rabenmann.

7

GERÜCHTEKÜCHE

Saftiges Gras, vom Regen blitzblank gewaschen, bettete dicke, fette Löwenzahnblumen in sein sattes, schmeichelhaftes Grün. Ein Flug über die wilden Wiesen, den von Lilien gesäumten Bachlauf und entlang der schilfbedeckten Ufer des majestätischen Shannon, weckte solch sprühende Lebensfunken in mir, dass ich vor lauter Begeisterung allen Nachbarn meinen aufdringlichen Gruß entgegen rief. Der Fuchs, der Dachs und die krähenden Kollegen, ein paar vagabundierende Schwäne, die ungehobelten Stare und der ungesellige Eisvogel, sie alle hörten meinen Jubelschrei. Die meisten hatten mit der Brutpflege begonnen. Das ging mit einem gewissen Ernst und einer Emsigkeit einher, die ich als Junggeselle nicht ganz verstehen konnte, der ich 8

aber mit Vergnügen zusah. Während ich ausgelassen meine Runden drehte und mit schwelgender Brust auf einem alten Fluchtturm zu einer Genießerpause landete, wurden anderswo Nester gesäubert und ausgebessert, das Frühstück herbeigeschafft und erste Meinungen zum Wetter ausgetauscht. Ob es so schön bliebe, war nicht Kern des Gesprächs, auch nicht, ob es schon mal so schön war. Es ging mehr darum, ob etwas Interessantes aus dem Nachbarn herauszukitzeln war. Seit Tagen hielt der Sonnenschein an und das Fliegen wollte vor lauter Wonne kein Ende nehmen. Mein verträumter Blick fiel auf eine Schar schwarzer Blesshühner, die in der Dooros Bay auffällig zusammenhockten und nicht, wie üblich, sich lauthals um Futterplätze stritten oder offen ihre Familienstreitigkeiten austrugen. Ich schenkte meiner Beobachtung zunächst keine Bedeutung, bis mich kurze Zeit später mein Freund Baltasar fragte, ob 9

mir schon zu Ohren gekommen sei, über was die Blesshühner so aufgeregt schnatterten. Ich traute Baltasar keine wirklich aufregende Neuigkeit zu. Schon mal gar nicht, weil es um eine Bande prügelnder Hühner mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen ging, denen ich im Allgemeinen wenig Wertschätzung entgegen brachte. Ich schenkte Baltasar trotzdem meine Aufmerksamkeit, weil er schlichte Tatsachen faszinierend dramatisieren konnte. Seine impulsive, bisweilen hektische Art, amüsierte mich, besonders wenn es so gar keinen Sinn machte, sich aufzuregen. Als Jungtier war er von Menschen groß gezogen und später ausgewildert worden. Durch seine frühe Konditionierung von Menschenhand zeigte er für Raben untypische Verhaltensweisen, wie zum Beispiel: sich bedienen lassen, hysterische Anfälle bekommen oder jammern. Baltasars Version der jüngsten Vorkommnisse in der Dooros Bay klang jedenfalls 10

überhaupt nicht tierisch, was ein gutes oder schlechtes Omen sein konnte. Baltasar ereiferte sich mächtig, als er mir von einem Skandal berichtete, der sich angeblich mitten unter uns ereignete. Er sei höchstpersönlich Zeuge geworden, flüsterte er mir zu. Um nicht erkannt zu werden, hatte er einen Falken vorgetäuscht und war in großer Höhe über dem angeblich schrägen Paar aus Ente und Schwan gekreist, die sich in ihrer Abgeschiedenheit in Sicherheit gewiegt hatten. In aller Stille und Eintracht waren Eddie, der Erpel, und Lilo, die junge Schwänin, anmutig nebeneinander hergeschwommen. Soviel stand jedenfalls fest: Noch nie hatten ein Erpel und eine Schwänin ein Verhältnis miteinander gehabt. Wohin, so fragten sich die entsetzten Nachbarn, sollte das führen? Ich hielt das ganze Gerede für überzogen. Baltasar war da anderer Ansicht. 11

„Kopernikus, wenn es um Tatsachen geht, können wir die Augen nicht verschließen. Lass uns reden. Ich habe sie gesehen. Die beiden geben ein so verrücktes Bild ab, dass es schon beim bloßen Zuschauen wehtut.‚ „Du übertreibst‚, versuchte ich ihn zu beruhigen. „Ich kenne Eddie und Lilo, seit sie hier in der Bucht aufgetaucht sind. Was, wenn wir es lediglich mit einer Aneinanderreihung von Zufällen zu tun haben?‚ „Unmöglich! Sie sollen auch nachts zusammen gesehen worden sein. Lilo hat sich von den anderen Schwänen abgesondert und Eddie soll sich schon Tage nicht mehr bei seinen Freunden gemeldet haben. Die jungen Entendamen sprechen von Schande und Schmach, die männlichen Kollegen bezichtigen Eddie der Blutschändung.‚ „Du glaubst also allen Ernstes, ein Erpel und eine Schwänin könnten ein Verhältnis miteinander haben, bei dem auch sexuelle Kontak12

te nicht ausgeschlossen sind? Stell dir nur eine Sekunde vor: du und eine Uhufrau.‚ „Hör auf! Mir wird übel‚, empörte sich Baltasar mit dem Ausdruck von Ekel im Gesicht. Andererseits ließ er sich dennoch zu allerlei absonderlichen Fantasien hinreißen. „Ein Elefant und eine Giraffe‚, schlug er vor. „Ein Schwein und ein Pferd‚, empfahl ich. „Eine Katze und ein Hund‚, schmunzelte Baltasar und änderte blitzartig seinen Gesichtsausdruck. „Ist das nicht grausam, Kopernikus?‚ Der letzte Hauch von Frivolität entwich seinen verschmitzten Augen. Ich musste lachen und war gespannt, was seine Fantasie sonst noch auf Lager hatte. „Lieber Baltasar, empfindest du nun Abscheu oder reizt dich das Spiel mit schrillen Vorstellungen?‚ „Du bist verrückt! Aber gewiss, die Lilo ist schon prächtig. Doch eine schnuckelige Rabenfrau könnte sie bei mir nicht ausstechen.‚ 13

„Und warum sollte Eddie anders denken? Wenn‘s nun doch nur eine Freundschaft ist‚, hielt ich ihm entgegen. „Eddie könnte verrückt geworden sein, einen Schock erlitten haben, Unfall, Trauma, Halluzination, was weiß ich? Ich will ja den Teufel nicht an die Wand malen, aber das Szenario, das mir im Kopf herumschwirrt, lässt mir das Blut in den Adern erstarren. Was, wenn es bereits unsere Gene erwischt hat?‚ Baltasar starrte mich an, als wollte er meine Zustimmung erzwingen und fuhr dann fort. „Das ist kein Scherz. Wieso machst du dir eigentlich nicht mehr Sorgen, Kopernikus? Ich versteh das nicht. Hier geht es doch schließlich um den Fortbestand der Evolution. Wehret den Anfängen, mein Lieber!‚ „Ach, was du nicht sagst. Komm mal runter, Baltasar. Du spinnst! Das Ganze ist doch nur eine Bagatelle!‚ 14

„Wenn der Eddie mit der Lilo, ach was sag ich, wenn Tiere plötzlich ihre überlieferten Verhaltensweisen ändern, steckt Teufelswerk dahinter. Stell dir nur mal theoretisch vor, dass sich eine solch genetische Manipulation wie eine Seuche auf die gesamte Tierwelt ausweitet.‚ „Du dramatisierst.‚ „Quatsch! Bleib bei der Sache!‚, schmetterte Baltasar mit dem Brustton der Überzeugung. „Du willst den Konsequenzen nicht ins Auge sehen. Nimm folgendes Beispiel: Lilo frisst Brot von genbehandeltem Weizen. Und schon ist die Katastrophe perfekt. Sie steht auf Entenmänner.‚ „Blödsinn! So einfach ist das nicht.‚ „Bin ich Biotechnologe? Reich mir mal das Wasser! Mir wird ganz trocken im Mund.‚ „Was gedenkst du zu tun?‚, fragte ich ihn mit überspitzter Neugier. 15