Konrad oder Bei Anruf Schock - Buch.de

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Helga Lezius

Konrad oder Bei Anruf Schock

Jugendroman

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© 2017 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2017 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: fotolia: Sad Boy Looking At Mobile Phone Datei: 117493265 Urheber: Andrey Popov Printed in Germany Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck

ISBN 978-3-8459-2252-2 ISBN 978-3-8459-2253-9 ISBN 978-3-8459-2254-6 ISBN 978-3-8459-2255-3 Mini-Buch ohne ISBN

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Konrad oder Bei Anruf Schock

„Konni!“ „Ja, Mutter, gleich!“ „Seit wann sagst du Mutter zu mir?“ „Seit ich wieder Konrad heiße!“ „Was? Jetzt versteh ich gar nichts mehr. Du wolltest doch unbedingt Konni heißen! Warum jetzt auf einmal wieder Konrad ?“ „Weil es Konrad Lorenz gibt.“ „Und wer ist Konrad Lorenz?“ Und dann erklärte ich Mummi, ich meine Mutter, wer Konrad Lorenz ist. Und der heißt nicht Konni. Sondern Konrad. So wie ich. Du weißt, wer Konrad Lorenz ist? Ja, der große Tierforscher. Der hatte es vor allem mit den Gänsen. Lenni meint, das hätte ich auch. Mit den Gänsen aus der Realschule, die immer schnatternd an uns vorbeilaufen, wie Lenni 4

meint. Lenni ist mein Freund. Und Lenni hat ein Problem mit Mädchen. Er kann nicht so gut laufen wie du und ich. Er hat bei der Geburt nicht genug Sauerstoff bekommen, zu wenig Luft, und da ist im Gehirn etwas passiert, was du an seinen Beinen sehen kannst. Seine Knie stoßen beim Laufen aneinander, er kann die Beine nicht richtig strecken, so wie wir. Aber wie er mit dem Rollstuhl beim Musical getanzt hat, das war große Klasse – da hättest du ihn sehen sollen! Leider wird Lenni nicht mehr an unserer Schule bleiben. Warum? Wenn du wissen willst, warum – dann musst du die Geschichte bis zum Ende lesen. Und sie beginnt gleich auf der nächsten Seite. Ich geh inzwischen zum Essen – Dienstag ist Nudeltag!

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Blick in die Röhre

Konrad schaute in die Röhre. So sagt man wohl, wenn man allein übrig bleibt und alle anderen zufrieden abziehen. Wie jetzt, in die Pause. Die Küps sah zu ihm herüber und zuckte bedauernd die Achseln. Auch die Lehrerin wusste nicht, was mit Lenni los war. Keine Entschuldigung, kein Anruf. Und das am ersten Schultag nach den großen Ferien. Konrad zog die Folie von der Kakaotüte und piekste den Strohhalm in die Öffnung – noch eine Röhre, eine winzige – ein Röhrchen eben. Konrad versuchte, hindurchzuschauen. Er konnte gerade mal einen winzigen Punkt von Lennis leerem Platz sehen. Ach ja, dabei hatte er so viel Platz eingenommen, seit er im letzten Jahr an die Schule gekommen war! So viel hatte sich verändert, nicht nur für Konrad. 6

Sogar umgezogen waren sie mit der ganzen Klasse, hinunter ins Erdgeschoss, damit es Lenni leichter hatte, in sein Klassenzimmer zu kommen. Und Konrad hatte sich dafür eingesetzt, er, der sich nie mit Worten gegen die anderen hatte wehren können, der Kloßkugel genannt wurde und Konrad Klößchen und was nicht alles. Aber seit Lenni sein Freund geworden war, hatte sich, wie gesagt, viel verändert. Lenni hatte vor nichts Angst. Auch nicht vor den anderen. Er brachte sie zum Schweigen. Einfach, weil er so war, wie er war. Und weil er so gerne lachte. Er hatte Konrad versprochen, ihm viele neue Witze mitzubringen. Ganze vier Wochen hatten sie sich nicht mehr gesehen. Und nun das – ein winziger Fleck im Röhrchen von einem leeren Platz, von Lennis Platz. Konrad blubberte in die Kakaotüte und beobachtete grimmig die Schaumblasen, die sich um den Strohhalm aus der Tüte drängten. Die 7

Küps klappte das Klassenbuch zu und stand auf. „Gehen wir“, sagte sie, „Pausen sind notwendig. Und frische Luft auch.“ „Phh“, dachte Konrad, „Pausen ohne Lenni... von wegen notwendig.“ Und auf frische Luft konnte er sehr wohl verzichten. Wenn er „schlecht drauf“ war, wie Mutter es nannte, dann brauchte er keine frische Luft, dann wollte er nur seine Ruhe haben. Am besten waren dann der Platz in der Sofaecke, ein Abenteuer-Buch und ein Lolli, wie Lenni den Lutscher nannte. Weiter brauchte er nichts. Am allerwenigsten frische Luft. Aber hier gab es keine Ruhe und kein Abenteuer-Buch und schon gar kein Sofa. Nur einen Pausenhof und frische Luft. Konrad fühlte sich immer weniger „gut drauf“. Missmutig ließ er die leere Tüte in den Papierkorb fallen und trottete hinter der Küps aus dem Zimmer. 8

Vorsicht, Lawinengefahr!

Draußen wurde Konrad im Nu von Kindern aus der Grundschule umringt. Besonders von den Kindern, die im letzten Jahr mit seiner und mit Lennis Klasse, der damaligen 5b, das Zimmer getauscht hatten. Sie bedrängten Konrad mit unglaublich wichtigen Neuigkeiten. „Wir sind jetzt in der 3a, wir sind jetzt im ersten Stock.“ Stolz erzählten sie das. Weil sie sich größer fühlten, viel größer. Und sie waren auch größer geworden, wirklich, ganz schön gewachsen waren sie. „Und wir haben dich im Musical gesehen. Und du warst toll! Und der Lenni mit dem Rollstuhl! Wow! Das war Klasse!“ Ja, das war es. Und Klasse wäre es gewesen, wenn Lenni heute am ersten Schultag nach 9

den Ferien in der Klasse gewesen wäre. Aber was hatte die eine Klasse mit der anderen zu tun? Meine Klasse ist Klasse. Seltsam. Ein Wort mit zwei Bedeutungen. Total verschieden. Wirklich seltsam. Und keine Brücke, die Klasse und Klasse verband. Jedenfalls sah Konrad weit und breit keine. Konrad liebte es, den Wörtern hinterher zudenken. Jemand stupste ihn in die Seite. „Konni, wo ist der Lenni? Warum ist er nicht hier?“ Konrad zuckte die Achseln – wie die Küps. Auf diese Fragen wusste auch er keine Antwort. „Wieso – hast du ihn nicht angerufen?“, fragte Mira. Verblüfft schaute Konrad Mira an. Ja, warum hatte er Lenni noch nicht angerufen? „Nein, hab ich nicht. Aber ich wollte gerade – ihn anrufen.“

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Beim Umzug ins andere Klassenzimmer hatte sich Konrad Miras Namen gemerkt. Weil Mira fast so klang wie Miray – und Miray war ein Name, den er nie vergessen würde, so wie er Miray nie vergessen würde. Miray war seine Freundin. Seit damals, als sie ihm geholfen hatte, seinen Kater wieder zu finden. Den Bazi. Aber sie war auch Cathrines Freundin – seit dem letzten Schuljahr, seit Miray in die Realschule ging. Miray und Cathrine, Cathrine und Miray – die zwei. Eine ohne die andere ging nicht. Es war fast unmöglich, Miray einmal allein zu treffen. So wie früher. Konrad schnipste zornig einen Krümel vom T-Shirt – phhh – diese Klette von Cathrine …! Was für ein Glück, dass damals Lenni in seine Klasse kam, Lenni, der jetzt sein Freund war. Sein bester. So wie Willi sein bester Freund war. Ging das denn? Konnte man gleichzeitig zwei beste Freunde haben? Im Moment hatte er nicht mal einen. Jedenfalls 11

nicht hier, auf dem Schulhof. Wo steckte Lenni nur? Konrad zog das Handy aus der Hosentasche. Nach der Aufführung des Musicals hatte ihm seine total begeisterte Oma Kläre das Handy geschenkt. „Damit dein Agent dich zu jeder Zeit erreichen kann“, sagte sie und verdrehte verzückt die Augen, „du wirst schon sehen – so einen begnadeten Tänzer wie du einer bist!“ Konrad hatte verlegen gelacht. Er, die Kloßkugel, ein begnadeter Tänzer! Dass Oma Kläre immer gleich übertreiben musste. Zugegeben, er war schon lange nicht mehr so dick wie in der Grundschule, er hatte sich ganz schön gestreckt, und ein Tänzer war er auch – ja, das war er, und das wollte er auch bleiben. Aber er wollte mehr. Er wollte mehr lernen, mehr trainieren – am liebsten … ja, am liebsten wollte er Tänzer werden. Das hatte er noch zu niemandem gesagt. Er traute sich fast 12

nicht, es sich selber zu gestehen. Auch nicht Oma Kläre, die einen „begnadeten Tänzer“ in ihm sah. Omas sahen manches verklärt, besonders, wenn es um ihre Enkelkinder ging. Und seine hieß auch noch so … Oma Kläre. Aber das Geschenk war die Wucht. Einfach Klasse. Ziemlich sicher hat er vollkommen verklärt aus der Wäsche geschaut, als er sich bei Oma Kläre bedankte. Überglücklich hat er das Handy in seiner Hand von allen Seiten bewundert. Sein Handy! Jetzt konnte er jederzeit Willi anrufen, seinen besten Freund und LKW-Fahrer, der ihm damals geholfen hatte, damals, als er noch eine Kloßkugel war, damals, als die anderen ihn ständig gehänselt, ihn ständig verfolgt hatten, und er konnte Miray anrufen und Lenni – und das würde er jetzt tun, obwohl Handys in der Schule verboten waren.

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Konrad ging in die Hocke und wählte Lennis Nummer, die den ersten Platz hatte unter den eingespeicherten Telefonnummern. Zwischen all den Kindern aus der dritten Klasse, die den Kreis um ihn dicht geschlossen hielten, war er nicht mehr zu sehen. Oder doch? „Die Lawine kommt!“ Konrad drückte die Aus-Taste. „Gib her!“ Mira griff nach dem Handy, ließ es blitzschnell in ihrer Hosentasche verschwinden. Die Lawine, die eigentlich Herr Lawinzky hieß, donnerte über den Platz: „Was ist das hier für eine Versammlung? Probleme?“ Sie musterte Konrad von oben bis unten, konnte aber nichts Außergewöhnliches entdecken – nicht einmal eine ausgebeulte Hosentasche. Es läutete. Sofort rannten die Drittklässler zu ihrem Aufstellplatz. Konrad musste sich nicht 14

mehr anstellen. Er war kein Grundschüler mehr. Er war Mittelschüler. Was immer das bedeutete. Wenn es an der Schule Grundschüler und Mittelschüler gab – wer waren dann die Oberschüler? Oma Kläre hatte erzählt, dass früher, als sie in die Schule ging, die Mittelschüler die Realschüler waren und die Gymnasiasten die Oberschüler und die Grund- und Hauptschüler, wie die Mittelschüler noch vor kurzem hießen, die Volksschüler – was sollte das alles? Warum konnten nicht alle Schüler einfach nur Schüler heißen? Und in eine Schule gehen? Alle zusammen? Ach, ja, dann wäre Miray noch in seiner Klasse. Und Cathrine wäre in ihrer alten Schule geblieben. „Da wo der Pfeffer wächst …“ Konrad kickte grimmig eine Kakaotüte zur Seite. „Wirst du wohl die Tüte aufheben!“ donnerte es hinter ihm. Konrad zuckte zusammen. „ Aber die ist doch nicht von mir!“ 15