Kolossia - Der Sinn des Seins

Trijidon stand nahe der Spitze der Toba Zitadelle am Sims und ließ den Blick über sein Werk schweifen. Vor ihm standen hunderte Kolosse in. Reih und Glied ...
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Kai Seuthe

KOLOSSIA Der Sinn im Sein Band 2 Fantasy

© 2013 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Stephanie Ubert Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0813-7 AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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2. Buch Der Sinn im Sein

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1. Erinnerung Trijidon stand nahe der Spitze der Toba Zitadelle am Sims und ließ den Blick über sein Werk schweifen. Vor ihm standen hunderte Kolosse in Reih und Glied bis an den Horizont. Wie eine steinerne Armee schauten sie leblos in die Richtung ihres Schöpfers. Nach Jahrhunderten der Arbeit war es nun fast beendet. Er musste ihnen nur noch das Leben geben. Ein schneidender Wind ließ ihn frösteln. Er zog seinen abgetragenen Ledermantel enger und blickte noch einige Minuten gedankenversunken in die Ferne. Die Sonne beendete den Tag, der Himmel glühte verheißungsvoll und die Schatten der Kolosse lagen langgestreckt auf den Wiesen. Trijidon kehrte um und betrat den Raum, in dem er einen Großteil seines Lebens verbracht hatte. Zahllose Schriften und Bücher stapelten sich die Wände hoch. Neben einem vollgerümpelten Holztisch wartete eine Wache auf ihn. 5

„Was habt ihr, Herr? Ihr seht traurig aus“, fragte sie. Trijidon nahm einen Stapel Blätter, der zwischen zwei ledernen Büchern gelegen hatte, und klemmte ihn sich unter den Arm. „Weißt du, Garm, nach all den Jahren der Arbeit, wovon du nur einen winzigen Teil mitbekommen hast, fällt es mir schwer, mich nun bald von meinen Kolossen trennen zu müssen. In jedem der 625 Wesen wird in Kürze ein Teil von mir stecken.“ Garm nickte bedächtig, als habe er verstanden. Aber er konnte das nicht nachvollziehen, niemand konnte das. Er folgte Trijidon, der eilig in Richtung Tür ging. „Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob Ornim wahrlich Gutes mit den Kolossen vorhat.“ „Ornim hat Gutes damit vor, wie könnt ihr von etwas anderem ausgehen? Stellt ihr etwa die Entscheidungen eines Gottes in Frage?“, raunte die Wache. „Es ist lediglich eine vage Vermutung, nichts weiter. Es drangen mit derlei Gerüchte ans Ohr.“

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Trijidon öffnete die steinerne Tür und betrat die enge Wendeltreppe. Garm hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Der Abstieg bis zum Fuße des Turmes dauerte eine halbe Ewigkeit. Trijidon hatte sich nie an diese Mühsal gewöhnen können. Einst war dieser Turm erbaut worden, damit er die Arbeiten an den Kolossen besser überblicken konnte und seine Stimme letztendlich auch noch den entferntesten Giganten erreichte. Die beiden Männer traten in die große Eingangshalle. Trijidon murmelte ein paar Worte in fremder Sprache und versiegelte die Tür, aus der sie gekommen waren. Sie verschmolz mit der Wand und niemand hätte ahnen können, dass sich dort ein Eingang befand. Die Unterlagen in Trijidons Raum waren von äußerster Wichtigkeit und es wäre eine Katastrophe gewesen, hätte diese jemand mit schlechten Absichten an sich gerissen. Sein Blick schweifte über die reich verzierten Wände der Eingangshalle. Die Arbeiter, die seine Anweisungen ausgeführt und einen Großteil der Arbeiten an den Kolossen durchgeführt hatten, 7

hatten im Laufe der Jahre die Strapazen in Stein gehauen. Neben den abstrakten Figuren der Kolosse befanden sich winzige Menschen, die auf ihnen kletterten, Gerüste bauten, schufteten oder zu Tode stürzten. Viele hatten in den schwindelerregenden Höhen ihr Leben gelassen. Trijidon und seine Leibwache verließen das Gebäude. Noch ein letztes Mal wollte er seine Kolosse aus der Nähe betrachten. Besonders sein Meisterwerk. Es war der größte von allen. Er überragte die anderen Kolosse zum Teil um das Zehnfache, obgleich die anderen bereits so gigantisch waren, dass es einem den Atem verschlug. Der große Koloss war der einzige, der von Trijidon im Vorfeld einen Namen bekommen hatte: Anthos. Der Name seines vor langer Zeit verstorbenen Sohnes. Ornim hatte Trijidon die Macht gegeben, diese gewaltige Aufgabe zu bewältigen. Dazu gehörte auch das ewige Leben. Seine Frau und seine Kinder waren bereits vor Jahrhunderten von ihm gegangen. Zwar gab es mittlerweile unzählige Nachkommen, doch durch die intensive Arbeit an den Kolossen gab es niemanden, zu dem er eine Beziehung pflegte. Trijidon war al8

leine. Schon seit hunderten von Jahren. Zu Anthos hatte er jedoch eine seltsame Verbindung aufgebaut. Obwohl der Gigant noch von keinem Leben erfüllt war. Anthos, der Namensträger seines Sohnes, war so groß, dass man ihn sogar vom Meer aus sehen konnte, welches viele Meilen entfernt lag. Trijidon hatte sich damit ein besonderes Denkmal errichtet. Er schritt durch die Reihen der Kolosse, wie ein Feldherr durch seine Armee, die darauf wartete, losgelassen zu werden, um in den Kampf zu ziehen. Doch war Kampf nicht ihre Existenzberechtigung. Ornim hatte einst gesagt, er werde sie für den Frieden des Memlekahrin einsetzen und jedem Volk einen von ihnen Schenken. Sie sollten dann als Abschreckung gegen feindlich gesinnte Rassen dienen. So sollte auch das Aussehen der Wesen abschreckend sein. Eine Mischung aus Mensch, Tier und abstrakten Formen. Bei Anthos hatte Trijidon sich von diesen Vorgaben etwas entfernt und dem Koloss mehr menschliche Züge gegeben, als den anderen. Doch in der Erwartung, dass er weniger furcht9

einflößend wirkte, geschah das genaue Gegenteil. Die Arbeiter begannen, sich vor dem Koloss zu fürchten. Zwar waren sie maßgeblich an seiner Erbauung beteiligt, doch vieles geschah durch Trijidon und seine ihm durch Ornim gegebene göttliche Kraft. Trijidon streifte im Vorbeigehen mit der Hand über die glatte, kalte Haut der Wesen. Sie war geschmeidig, ohne Unebenheiten oder Makel. Die Kolosse im Rohzustand. Geschaffen aus Stein, Lehm, Holz, organischen und seltenen Materialien. Geschliffen von Wind, geformt durch Feuer und göttliche Kraft. Die Arbeiter wunderten sich bald nicht mehr darüber, dass der Koloss, an dem sie noch einen Tag zuvor gearbeitet hatten, am nächsten Morgen völlig anders aussah. Nun war keiner der Arbeiter mehr anwesend, als Trijidon in Anthos‘ Richtung ging. Sie waren nach vielen Jahren endlich heimgekehrt mit einem beachtlichen Sold in der Tasche. Als Trijidon vor Anthos stand und nach oben in den Himmel starrte, lief es ihm kalt den Rücken herunter. Was für ein mächtiges Wesen. Was für 10

eine gefährliche Waffe. Er hoffte, dass die Gerüchte sich nicht bestätigten. Ornim würde sie für den Frieden einsetzen – es konnte nicht anders sein. Trijidon schloss die Augen und machte sich auf den Weg in die Feste Memles zu Ornim dem Mehdi.

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2. Fluchtpläne Drei Wochen waren vergangen seit der Katastrophe in Adoritäa. Drei Wochen, in denen Bakka kaum an etwas anderes hatte denken können. Die Vorwürfe, selber einen großen Teil der Schuld an diesem Unglück zu haben, hatten sich in ihn hineingefressen. Wenn sie tagsüber auf ihren Nuks ritten, die Soldaten sich die Zeit mit albernen Witzeleien und geschmacklosen Sprüchen vertrieben, dann nahm Bakka dies nur am Rande wahr. Wie in Trance hatte er sich der Situation ergeben, als Gefangener nach Kolossia geführt zu werden. Um die Fußknöchel hatte ihm Zugriel eine Kette gelegt, die gerade so lang war, dass er eine halbe Schrittlänge hinbekam. Die Hände waren ebenfalls gefesselt. Vielleicht hätte er etwas dagegen tun können, aber in lähmte das, was geschehen war. Er wollte diesen Menschen nichts mehr zuleide tun, wollte kein Delude sein. Also spielte er dieses Spiel mit, solange ihm keine ernste Gefahr drohte. 12

Nachts fand er kaum Ruhe. Stundenlang kreisten seine Gedanken um die Zerstörung der Kolosse, um seine Freunde und alles, was noch kommen würde. Einzig Gembur vermochte Bakkas Stimmung zu heben. Wie ein treuer Freund folgte er ihnen, unbeirrt der Umstände, in sicherer Entfernung. Die Soldaten hassten Bakka. Sie stichelten ihn mit der Aussicht, in Kolossia zum Tode verurteilt zu werden, redeten hinter seinem Rücken über sein Aussehen und spuckten ihm mehr als einmal ins Essen. Alles voran der Soldat Timibaran, ein besonders unangenehmer Geselle. Meist war er es, der die anderen anstachelte. Auch war er es, der es sich besonders zu Herzen genommen hatte, Bakka niemals aus den Augen zu lassen. Selbst als Bakka bei einer Rast in einem Wäldchen seine Notdurft verrichtete, stand Timibaran in einigen Metern Entfernung hinter einem Brombeerstrauch und beäugte ihn misstrauisch. Bakka hatte sich darüber mit wohlüberlegten Argumenten bei Zugriel beschwert. Sie war hart und unnahbar, nicht aber gemein und hinterhältig wie die Soldaten. Schließlich ließ sie sich 13

überzeugen, Bakka nicht ständig auf Schritt und Tritt zu folgen. Sie drohte ihm, im Falle eines Fluchtversuchs, die Kehle durchzuschneiden, wenn sie ihn erwischten. Also bekam Timibaran den Befehl, sich zurückzuhalten, was er unter Protest tat. Seine Giftpfeile schoss er dennoch weiter. In den letzten Tagen waren die Temperaturen gesunken. Der Winter hatte seine Krallen ausgestreckt und drohte, in den kommenden Tagen zuzudrücken. Remsin hatte mit seiner Aussage, dass die Erinnerungen an das alte Leben auf sich warten ließen, recht behalten. Immernoch herrschte ein unüberschaubares Chaos in Bakkas Welt der Erinnerung, und so begann er, sich chronologisch zu erinnern. Denn die Bruchstücke, an die er sich aus der Zeit kurz vor Erwachen in der Toba Zitadelle erinnerte, ergaben keinen Sinn, ohne zu wissen, wie die Hintergründe waren. Trijidon, der Erbauer der Kolosse, war die erste Person, an die sich Bakka erinnerte. So bestand kein Zweifel daran, dass die Kolosse künstlich

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geschaffene Wesen waren. Eigentlich waren sie nicht mehr als lebende Puppen. Doch Gembur verhielt sich zusehends anders. Mehr als einmal kam es vor, dass der Koloss seinen Kopf in Richtung seines Elavis drehte, ihn anschaute, und sich dann nach einigen Minuten wieder seinem Weg widmete. Auch war sein Gang nicht mehr so steif und ungelenk, sondern seine Arme schlenkerten – wenn auch nicht besonders ausgeprägt – versetzt zu seinen Beinbewegungen, ganz wie bei einem Menschen. Das Erschreckenste war aber, dass Gembur seinem Elavi antwortete. Nicht in Worten oder Gesten, sondern in Grollen und Brummen. Für Bakka ergaben diese Laute keinen Sinn. Es war nicht so, dass Bakka während der Reise Grund gehabt hatte, Gembur um etwas zu bitten, aber er sprach oft zu ihm. Meist in der Nacht, wenn alle anderen schliefen und er wach lag. Dann erzählte er seinem Koloss von seinen Sorgen und Gedanken. Eigentlich mehr für sich selbst, als Monolog im Dunkeln, doch dann und wann erklangen die dumpfen Laute aus Gemburs Brustkorb und Bakka hatte das Gefühl, verstanden zu werden. 15