jkJelca Kollatsch Fotojournalismus - CNN Journalist Award

Sevilla ist mit Spitzenwerten um die 48°C die heißeste Stadt Spaniens. Nach dem Bezug der „Corrala de Vecinas la Utopía“ im Mai 2012 hat die Stadtverwaltung dem Gebäude das Wasser und den Strom abgestellt, als die. Bewohnerinnen dafür bezahlen wollten. 20.000 Euro hat laut Medienberichten die Trennung der ...
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Jelca Kollatsch Fotojournalismus [email protected] | +49 (0)177 89 80 138 | www.kollatsch.com

Sechs Millionen Wohnungen stehen in Spanien leer, das sind etwa 25 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes. Das Dorf Huévar del Aljarafe entstand im Rahmen der Baublase aus dem Nichts. Von 600 Wohneinheiten sind nur ca. 20 Prozent bewohnt.

In Nuevo Amate, einem Stadtteil Sevillas, sind neue Wohnblöcke mit Sozialwohnungen fast verwaist, während 12.000 Menschen auf der Warteliste stehen. Insgesamt sind in der Stadt Sevilla aktuell 528 Unterkünfte unbewohnt. Es wird gemunkelt, dass diese nicht vermietet werden, weil die Spekulation mit ihnen lukrativer sei.

Die Räumung des Wohnblockes Corrala de Vecinas la Utopía wird im Januar 2014 gerichtlich verfügt. Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist es unzulässig, Menschen ohne Ausweg zu räumen. Am 6. April 2014 wurde das Gebäude geräumt. Die Hälfte der Betroffenen hat bislang noch keine Alternative zum Leben auf der Straße gefunden.

Sevilla ist mit Spitzenwerten um die 48°C die heißeste Stadt Spaniens. Nach dem Bezug der „Corrala de Vecinas la Utopía“ im Mai 2012 hat die Stadtverwaltung dem Gebäude das Wasser und den Strom abgestellt, als die Bewohnerinnen dafür bezahlen wollten. 20.000 Euro hat laut Medienberichten die Trennung der Hauptleitung und der Bau eines Brunnens vor dem Gebäude gekostet

Zu den Verhandlungen über das Haus in Sevilla erscheint schon lange kein Banker mehr. Die Besetzerinnen des Wohnblockes „Corrala La Utopía“ besetzen regelmäßig den Platz vor der Filiale der Bank Ibercaja. Ihr Wunsch ist eine soziale Miete, mit der sie ihren Familien ein Dach über dem Kopf geben können.

Eine Woche campen sie vor der Bank, informieren die Bevölkerung und sammeln Unterschriften. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist sehr groß. Fast jeder Mensch hat wegen des Beginns der Krise ein Familienmitglied in einer schwierigen Situation - dadurch ist die Identifikation mit den Familien möglich.

„Das Leben verändert sich, wenn du alles verlierst. Es gab eine Zeit, da war ich glücklich, wenn ich gearbeitet habe und den Haushalt machte. Jetzt, mit 65 Jahren, bin ich plötzlich eine Aktivistin geworden“, sagt Manuela Cortés. Alle Besetzerinnen des „Corrala de Vecinas la Utopía“ genannten Gebäudes sind wegen Hausfriedensbruch vorgeladen.

Jedes Wochenende helfen die Kinder ihren Eltern, den Wochenvorrat an Wasser vom Brunnen in die Wohnung zu bringen. 150 Liter Wasser braucht die Familie in einer Woche. Der deutsche Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei 122 Liter täglich. „Es ist traurig, dass die Kinder so leben müssen. Aber sie lernen, sparsam mit Ressourcen zu sein.“ sagt ihre Mutter Inma.

Luxus ist, wenn der Strom noch für die E-Mails reicht. Für maximal drei Stunden am Tag hat die Familie von Fran Strom. Für mehr Benzin reicht das Geld nicht, dabei teilen sie sich den Generator schon mit den Nachbarn. In dem Licht werden die Hausaufgaben gemacht, der Kühlschrank heruntergekühlt, damit das Essen nicht so schnell schlecht wird und die Handys geladen.

„Fast alles, was wir jetzt haben, haben wir von Nachbarn und vom Roten Kreuz gespendet bekommen. Ich verdiene jetzt 500 Euro im Monat, darum muss ich für Essensspenden nicht mehr zur Kirche gehen, aber wenn die Kinder Schuhe oder Schulsachen brauchen, dann muss ich um Hilfe bitten.“

Fran hat durch die Besetzung das erste Mal die Möglichkeit, mit seiner Freundin und den Kindern zusammen zu leben. Er ist arbeitslos und versucht, die Familienkasse zu entlasten, indem er Gurken auf dem Balkon zieht. Erfolgreicher ist das Sparen von einer Kartusche Gas über den Sommer, indem die Wasserkanister den Tag über in der Sonne aufgewärmt werden.

Sie haben nach ihrer Räumung im Auto gelebt, wurden um ihre letzten Monatslöhne geprellt. Ihre Familien sollen nicht wissen, wie schwer sie es haben. Auf der Suche nach einem Ausweg für sich ist eine Familie an einem Wasserbrunnen auf Bewohner eines besetzten Hauses gestoßen und wurde dort aufgenommen.

Die Familie von Toñi lebt mit gepackten Kisten und Tüten, um in jedem Moment auf die Räumung vorbereitet zu sein. „Nochmal von vorne zu beginnen und nichts mehr zu haben, das halte ich nicht nochmal aus. So haben wir nur das ausgepackt, was wir wirklich nutzen. Kommt Besuch, müssen wir einen Teller mehr aus dem Karton holen.“

Wer die Möglichkeit hat, verlässt im Hochsommer Sevilla, um der unerträglichen Hitze zu entkommen. Die Kinder der Corrala de Vecinas la Utopía haben diese Möglichkeit nicht. Erst am späten Abend kann draußen gespielt werden - und im Haus sind fast 40°C.

Im Januar 2014 wird die Zwangsräumung der Corrala de Vecinas la Utopía gerichtlich angeordnet. Toñi geht acht Tage in den Hungerstreik, beendet ihn jedoch auf Druck der Nachbarinnen, um im Haus alles für die Räumung vorzubereiten. Wohin es nach der Räumung gehen soll, ist nicht klar. Nur dass die Kinder in Sicherheit gebracht werden und im Anschluss nicht auf der Straße bleiben, ist mit Freunden und Familien organisiert worden.

Der Mediator zwischen den Konfliktparteien hat schlechte Nachrichten von der Bank Ibercaja und der Stadt Sevilla für die Bewohnerinnen der Corrala la Utopía. Aguasanta, die mit ihren drei Söhnen als Alleinerziehende zu den Besetzerinnen der ersten Stunde gehört, kann den Druck nicht mehr aushalten. Sie beginnt mit ihrem Selbstmord zu drohen, wenn es die Eskalation sei, auf die die Politik warten würde, um zu handeln.

Die Kinder sollen die Räumung nicht erleben, darum ist Inma (31) mit ihrer fünfköpfigen Familie in ein elf Quadratmeter großes Zimmer bei ihren Eltern gezogen. „Es ist schwer, ins Elternhaus zurückzukehren. Aber wenn ich meine Eltern nicht hätte, würde ich eher ein anderes Haus besetzen, als meine Kinder an den Staat zu verlieren.“

Allein in Sevilla gibt es mehr als 150 Familien, die dank der politischen Bewegung ein Dach über dem Kopf haben. Die Situation in diesen Wohnungen ist allerdings sehr prekär, da die Mehrzahl weder über fließendes Wasser noch elektrisches Licht verfügt.

Drei Langzeitarbeitslose ohne Aussicht auf Beschäftigung haben am Rand Sevillas begonnen, 700 Quadratmeter Land zu bewirtschaften. „Biogarten“ nennen sie sich und versuchen, durch den Verkauf von Biokisten in der Stadt und auf Märkten, ihre Familien zu ernähren.

Der Karneval in Cádiz ist eine politische Instanz mit viel Tradition. Sogar während der Amtszeit von Diktator Franco hat er stattgefunden. Die „Chirrigotas“ performen politische und gesellschaftliche Lieder und Texte mit Schauspiel und beziehen sich auf das aktuelle Geschehen. Diese Gruppe aus Sevilla äußert sich gegen das geplante Abtreibungsverbot und zum Wohnungsnotstand in Andalusien.

Um ihre Solidarität mit den Hungerstreikenden im gesamten Land zu demonstrieren, blockieren Studierende der Fächer Schauspiel und Tanz vergangenen Herbst in Sevilla die Fußgängerzone. Die Hungerstreiks werden für würdige Arbeit, soziale Mieten und für den Rücktritt der Regierung geführt und dauern manchmal Monate.

Das Soziale Zentrum „Rey Herredia“ in Córdoba ist von Einzelpersonen besetzt worden und bietet alles an, was die Nachbarschaft braucht und geben kann. Das Konzept fußt auf Solidarität. Wer Essen erhält, revanchiert sich mit etwas, das er kann. Täglich werden 100 bis 150 Menschen bekocht, es gibt Nachhilfeunterricht und Sprachkurse, politische Debatten und vieles mehr. Ende April 2014 soll das Haus geräumt werden.

Eine Spezialität der Gewerkschaft SAT sind Protestmärsche über mehrere Tage mit mehreren Tausend Menschen. Das Bundesland Andalusien hat mit ihr eine starke politische Stimme, die besonders die Landbevölkerung, jedoch auch immer mehr die Betroffenen in den Städten vertritt. Weder An- noch Abreise dieser Gewerkschafter gestalten sich dabei leise.

Fünfzig Kilometer vor Córdoba wurde im März 2012 die Farm „Somonte“ von Gewerkschaftern der SAT besetzt. Das öffentliche Land sollte an einen Großbesitzer verkauft werden, was keine Arbeitsplätze generiert hätte. Die Farm bietet mit 400 Hektar Land nun Arbeit und Ernährung für viele Menschen.

„Das Besondere ist, dass wir hier in Freiheit leben und arbeiten und nicht mehr als Sklaven“, erklärt Raphael. „Wir sind hier keine Kommune, das Leben auf dem Land ist hart, aber jetzt ist es wieder ein würdiges Leben.“ Es gibt noch keinen Lohn auf der Farm Somonte, aber Arbeit, Essen, eine Perspektive und das Recht auf Mitgestaltung.

Die Landbevölkerung Andalusiens leidet mit einer Arbeitslosenquote von bis zu 47 Prozent besonders unter der Krisensituation Spaniens. Viele Kinder bekommen nur noch in der Schule zu essen. Laut Caritas sind 350.000 Menschen unterernährt. Die Arbeit auf der Farm ernährt jedoch nicht nur, sondern bietet auch eine Perspektive und die Möglichkeit anzupacken.

„Dieses Land gehört dem Volk, dass die Welt es wisse“ steht auf den Wänden der Finca Somonte. Das erste Jahr wurde duch gespendete Samen und solidarische Arbeitseinsätze die Basis erwirtschaftet. Weiterhin ist die Finca offen für alle, die sich beteiligen wollen.

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Jelca Kollatsch Fotojournalismus Ich wurde 1984 in Lübeck geboren, bestand 2010 meine Ausbildung zur Fotografin und studiere seit 2010 Fotojournalismus an der Hochschule Hannover bei Prof. Rolf Nobel. März bis August 2012 arbeitete ich im Rahmen meines Praxissemesters beim Bremer Weser Kurier. Meine aktuellen Arbeiten sind auf meiner Homepage zu sehen. Veröffentlichungen u.a in: GEO, ver.di Publik, Metall, Volkswagen Stiftung, Niedersächsische Sparkassenstiftung Weser Kurier

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