Jean Paul Reisetagebücher und Briefe

Frontispiz: Carl August Schwerdgeburth: Porträt Jean Paul, Stahlstich nach der Zeichnung von ... Reise nach Frankfurt und Heidelberg 1818. 69. Reise nach ...
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Jean Paul

Reisetagebücher und Briefe

Ripperger & Kremers

Auf Reisen glaubt man leichter an Sonntag als an Sonnabend

Jean Paul Auf Reisen glaubt man leichter an Sonntag als an Sonnabend

Reisetagebücher und Briefe

Mit einer Einleitung von Markus Bernauer

Ripperger & Kremers VERLAG

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1. Auflage E-Book © Ripperger & Kremers Verlag, Berlin 2013 Informationen über Bücher aus dem Verlag unter www.ripperger-kremers.de Alle Rechte vorbehalten

Einbandgestaltung Vera Eizenhöfer unter Verwendung von Johann Adam Klein: Bayerische Postkutsche vor Nürnberg. 1823 © Museen der Stadt Nürnberg, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. Nor. 43 Frontispiz: Carl August Schwerdgeburth: Porträt Jean Paul, Stahlstich nach der Zeichnung von Karl Christian Vogel von Vogelstein Schrift: Adobe Caslon Pro PDF E-Book ISBN: 978-3-943999-21-1 ISBN 978-3-943999-21-1

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Inhalt

Einleitung7 Reise nach Regensburg 181629 Reise nach Heidelberg 181737 Reise nach Frankfurt und Heidelberg 181869 Reise nach Stuttgart 181987 Reise nach Löbichau und Altenburg 1819103 Reise nach München 1820117 Reise nach Dresden 1822139 Reise nach Nürnberg 1823169 Siglen und Abkürzungen179 Kommentar181 Register201 5

Einleitung Jean Paul sich als Reisenden vorzustellen und gar als Reiseschriftsteller fällt schwer. Die von ihm erkundete Welt ist – selbst für Verhältnisse des 18. Jahrhunderts – klein: Im Norden kam er nicht über Berlin hinaus, im Süden nicht über München; im Westen erreichte er in Mainz gerade die Rheinlande, im Osten die sächsische Hauptstadt Dresden. Das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland verließ er nur einmal knapp, als er 1797 Emilie von Berlepsch im böhmischen Franzensbad besuchte. Die äußere Welt interessierte ihn nur wenig und eine Reise konnte schnell verdorben sein, wenn die Unterkunft oder die Verpflegung nicht waren wie zu Hause. In Nürnberg 1823 – es sollte eine seiner letzten Reisen sein – notierte er: »Wie immer hab ich eine besondere Wollust, am fremden Orte – zu Hause zu bleiben und so recht die fremde Stadt im eignen Zimmer zu genießen und in Häuslichkeit.«1 Das Bedürfnis auch unterwegs zuhause zu sein, äußerte sich schon 1803, als er eine mit dem Herzog von Meiningen unternommene Reise nach zehn Tagen abbrach und nach Hause zurückkehrte; an seinen Bayreuther Freund Emanuel, der Jean Paul in Meiningen regelmäßig mit Bayreuther Bier versorgte, schrieb er, er sei nicht nach Rudolstadt mitgefahren »aus Furcht der Schlos-Feste und aus Sehnsucht nach Frau und Bayreuther Bier, dessen Mangel mich schon in Weimar krank gemacht – sondern 8 Tage früher hieher gekommen war. […] In Weimar besonders in der Kälte fühlt’ ich was ich Ihrem Bier verdankte. Dieser harte Winter hätte aus 7

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den Narben, die mir sein harter 99 ger, 80 ger Bruder gegeben, die tiefsten Wunden gemacht […], wäre nicht Ihr Bier gewesen, meine Lethe, mein Paktolusflus (wie wohl er mir Gold mehr weg- als zuführt), mein Nil, meine vorlezte Ölung, mein Weihwasser u. dergl.«2 Gastgeber und Gastgeberinnen, die Jean Paul kannten, legten großen Wert darauf, ihm in der Fremde sein Zuhause zu bereiten; die Tochter des Theologen Sophie Paulus in Heidelberg, die mit Jean Paul ein schwärmerisches Verhältnis verband, schrieb ihm Ende 1817 in Erwartung seines zweiten Besuchs im Frühsommer: »Ich wünsche dass Sie dann so gerne in unser Hauss und in mein Stübchen einziehen möchten, als Vater und Mutter und soll ich auch noch dazu sezen, ich, Sie darin aufnehmen würden. Es soll gewiss alles nach Ihrem Sinn eingerichtet, Sie sollen durch nichts gestört werden.  […] Dass Sie gerne des Abends gebrannte Mehlsuppe essen weiss ich schon, was ich noch nicht weiss werde ich vorher erfahren. Für weissen französischen Wein sorgt die Mutter; für Ihre Nachmittags Lectüre der Vater.«3 Eine Häuslichkeit anzubieten, die diesen Gast vergessen macht, dass er sich auf Reisen befindet, war sichtlich auch das Bestreben anderer Bekannter und Freunde in Heidelberg, Stuttgart oder Dresden. In Dresden war es einige Jahre später Luise Förster, die ihm mitteilen musste, dass bei dem erhofften neuen Besuch sein Quartier von 1822 vor dem ›Weißen Tore‹ bei einem gewissen Aderhold nicht mehr zu haben sein werde, dass er aber in einer der besten Herbergen der Stadt nicht nur billiger, sondern genauso häuslich mit Blick auf die Elbe wohnen und – besonders wichtig – einen Garten nutzen könne.4 Jean Paul sollte freilich Dresden nicht mehr betreten. Aber seine beiden Besuche dort, die durch Briefe und wie im zweiten Fall auch durch ein Tagebuch dokumentiert 8

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sind, bieten interessante Einblicke in seine Reisegewohnheiten. Erstmals war er 1798 in Dresden; von diesem Besuch schrieb er an Christian Otto: »Von Dresden wil ich noch nichts ausheben als den Abgussaal, der sich gestern wie eine neue Welt in mich drängte und die alte halb erdrükte.  […] Du findest da den Unterschied zwischen der Schönheit eines Menschen und der Schönheit eines Gottes; jene bewegt, obwohl sanft, noch der Wunsch und die Scheu; aber diese ruhet fest und einfach wie der blaue Aether vor der Welt und der Zeit und die Ruhe der Volendung, nicht der Ermüdung blikt im Auge und öfnet die Lippen. […] So oft ich künftig über grosse oder schöne Gegenstände schreibe, werden diese Götter vor mich treten und mir die Geseze der Schönheit geben. Leider hat so gar der gemilderte Faun Aehnlichkeit mit der Wirklichkeit, gegen die einen die affektlosen schönen Formen einnehmen. Jetzt kenn ich die Griechen und vergesse sie wieder. Über die neuen Weltkugeln und Weltsonnen in der Bildergallerie solst du noch astronomische Ephemeriden haben.«5 Jean Paul hatte die Mengs’sche Abgusssammlung sowie die Gemäldegalerie besucht (erstere seit 1794 im Erdgeschoss des Galeriegebäudes, des ehemaligen Stallbaus, untergebracht); die Abgüsse nach berühmten antiken Statuen sind ihm Anlass für ein Bekenntnis zu einem Klassizismus Winckelmann’scher Prägung, zur Evokation einer Schönheit aus ›edler Einfalt und stiller Größe‹, die nun freilich für sein eigenes Schreiben nicht maßgeblich sein sollte; so ist denn die Versicherung, diese Idee von Schönheit sei für ihn maßgeblich, auch mit dem Wörtchen ›künftig‹ zum Vorsatz eingeschränkt und zuletzt durch den Satz von Kenntnis und Vergessen der Griechen konterkariert. Zur Bildergalerie, an deren Berühmtheit in der Zeit nicht der mindeste Zweifel bestehen konnte, aber findet er keine Worte, die angekündig9

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ten Emphemeriden (!) hat er Otto, soweit wir wissen, nie zukommen lassen. Fehlten ihm Sprache und Kenntnisse, um die Eindrücke hier in Schrift zu bringen? Sollte umgekehrt seine Begeisterung für die Abgüsse sich etwa gar nicht der Anschauung, sondern der Lektüre Winckelmanns (die in den Exzerpten mehrfach bezeugt ist) verdanken? Den Faun jedenfalls hatte bereits Winckelmann als unterste Stufe der Schönheit und der menschlichen Wirklichkeit am nächsten stehend begriffen.6 Dass Jean Paul auf seinen verschiedenen Reisen für ›Sehenswürdigkeiten‹, für Bildergalerien zumal, nur wenig Interesse aufbrachte, selbst wenn sie so berühmt waren wie die Dresdens, ist auch andernorts zu beobachten. Im September 1801 unternahmen er und seine Frau eine Reise nach Kassel, um dort wegen Carolines angeschlagener Gesundheit einen Arzt zu konsultieren. Dabei absolvierte das Ehepaar ein kleines touristisches Programm, das den Park von Schloss Wilhelmshöhe und das einstmals recht bekannte Marmorbad (das Wilhelm Heinse bei seinem Besuch in Kassel wegen seiner sinnentleerten Pracht abstieß)7 ebenso einschloss wie die berühmte Gemäldegalerie. Von den Einzelheiten dieses Programms wissen wir einzig aus einem Brief, den Caroline Richter eine Woche später schon wieder aus Meiningen an ihren Vater schrieb, durchaus detailliert bis zu einzelnen Gemälden das Gesehene würdigend. Umso schärfer heben sich Jean Pauls Briefe davon ab, die sich der Weitergabe jeglicher Anschauung verweigern und reale Orte allenfalls als Metaphern für Seelenzustände während und nach der Reise gelten lassen. An Emanuel schreibt er am 1. Oktober 1801: »Wir waren in Cassel und beinah so seelig als in unserer Stube. Meine C[aroline] hat wieder den Panzer der festesten Gesundheit am Leib, den der Teufel gerade in Bayreuth durchlöchert hatte. — Die Freuden liegen 10

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wie Gärten um uns und wir sind die seeligen ersten Eltern in diesem Eden.«8 Und an Christian Otto einige Tage darauf, jeden Bericht ausdrücklich verweigernd: »Über den durchaus reinen und grossen Sonnenglanz der Wilhelmshöhe spreche der Teufel, der mehr Zeit hat, zu malen als Leute, die er holt.«9 Die napoleonischen Kriege erlaubten Jean Paul über Jahre nicht, längere Reisen zu unternehmen; 1810, 1811 und 1812 war er in der fränkischen Umgebung seines Wohnsitzes Bayreuth unterwegs: Bamberg, wo er E. T. A.  Hoffmann begegnete, Erlangen und Nürnberg, wo er das einzige Mal seinen langjährigen Briefpartner Friedrich Heinrich Jacobi in persona traf. Erst 1816, nach dem Friedensschluss, nahm Jean Paul seine Reisen wieder auf. Die Gewohnheiten änderten sich dabei gegenüber früher kaum – es änderte sich jedoch die Art sie zu erzählen. Das betrifft einmal die Briefe. Von den verschiedenen Reisezielen schickte Jean Paul lange Erzählbriefe nach Hause, beginnend oft schon am Tage nach der Abreise. Adressaten waren seine Frau Caroline sowie seine beiden Bayreuther Freunde, der jüdische Kaufmann Emanuel Osmund und der privatisierende Jurist Christian Otto. Emanuel und Otto erhielten oft einen gemeinsamen Brief, wobei Jean Paul durchaus erwartete, dass die Briefe zwischen der Familie und den Freunden hin- und hergereicht werden. War einmal etwas nicht für andere Ohren als für die Carolines bestimmt (beispielsweise weil es den häufigen Streit zwischen ihnen betraf ), so schrieb Jean Paul das auf ein gesondertes Blatt mit dem Vermerk »Für dich allein.«10 Die Briefe gingen oft über mehrere Tage, sie waren in Carolines Fall Teil eines Dialogs (auch zur Organisation der Reise), und sie hatten neben eigenem (etwa gesundheitlichen) Befinden vor allem die Begebenheiten und die Begegnungen unterwegs, die Menschen 11

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selber, zum Gegenstand. Jean Paul blieb seinem früheren Reisen treu; er besichtigte wenig, verbrachte viel Zeit lesend, schreibend und in Gesellschaften, nicht selten mehrmals am Tag und zu verschiedenen Mahlzeiten. Aus seinen Briefen sowie aus Band 7 und aus Band 8 (für 2014 geplant) der Briefe an ihn lassen sich diese späten Reisen (und ihre Nachwirkungen) recht genau verfolgen. Vor allem aber geben die späten Reisetagebücher, die sich in seinem Nachlass erhalten haben, für einige Wochen und Monate der Jahre 1817 bis 1820, sowie 1822 und 1823 einen Jean Paul von ›Tag zu Tag‹. Interessant sind insbesondere die Blätter aus Stuttgart, München und Dresden, weil sie eine literatur- und kulturgeschichtliche Momentaufnahme aus dem ersten Friedensdezennium seit 1789 geben; nebeneinander stehen hier erstrangige Figuren aus der Literatur- und Kunstwelt neben heute vergessenen Gelehrten. Aus diesen Tagebüchern und Briefen nach 1816 wird aber noch etwas anderes deutlich, nämlich wie sehr Jean Paul ein Star geworden (oder wieder geworden) war: Ein moderner Starkult um einen Künstler ist zu Anfang des 19. Jahrhundert in Deutschland vielleicht nie intensiver zelebriert worden wie um diesen Dichter. Kreischende Mädchen mögen ihm erspart geblieben sein, aber die vielen Besucherinnen, die ihn um eine Locke anflehten, können nicht viel weniger hysterisch gewesen sein (die Locken musste dann übrigens meist sein Pudel opfern). Schließlich zeigen diese späten Briefe und die Tagebücher der Reisen einen anderen Autor Jean Paul als den, der er auf dem Höhepunkt seines Ruhmes um 1800 gewesen war; damals war die Wirklichkeit eine zu erschreibende gewesen und alles, was nicht Schrift war, unwirklich – so hatten es seine Leserinnen gesehen, die sich den Klotilden und Rosinetten seiner Bücher anzuverwandeln 12

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bemühten, so hatte es aber auch Jean Paul gesehen, dem noch jede Satire sich im Furor ihrer rhetorischen Bildketten und Flügelschläge auflöste. In den späteren Jahren aber, ausgelöst vermutlich ebenso durch die übermächtigen historischen Kriegskatastrophen wie durch die tägliche Realität des Familienlebens, denen er in der Rollwenzelei nur stundenweise entkommen konnte, gewann er offenkundig einen neuen Blick auf das Leben, der nicht nur rhetorisch bestimmt war. Das wird im komischen Roman »Der Komet« fassbar, schon in der etwas antiquierten Gattungsbezeichnung, die im 18. Jahrhundert einen realistischen Anteil im Buch ankündigte und auch von Jean Paul für einen Desillusionierungsroman in der Tradition des »Don Quijote« aufgenommen wurde. Vielleicht ist »Der Komet« auch als Selbstsatire gegenüber dem allzu ichhaltigen, allzu sehr in seine ätherischen Sprachschlösser verliebten jüngeren Autor zu lesen (der ja als Kandidat Richter Teil der kleinen Reisegruppe ist). Die Reisetagebücher jedenfalls und die Reiseerzählbriefe sind ein wesentlicher Teil jenes welthaltigeren Spätstils, der in »Der Komet« gipfelt; ohne sie bleibt das Bild des alten Dichters lückenhaft.

Regensburg 1816 Im Jahre 1816 reiste Jean Paul nach Regensburg; der Besuch galt seinem alten Gönner Carl Theodor von Dalberg. Der ältere Bruder des als Intendant am Mannheimer Nationaltheater berühmt gewordenen Wolfgang Heribert von Dalberg und des Musiktheoretikers und Komponisten Johann Friedrich Hugo von Dalberg hatte noch im Ancien Régime eine bemerkenswerte geistliche und weltliche Karriere begonnen; seit 1765 in kurmainzisischen Diensten, war er 1771 mit der Neuordnung der 13

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Universität Erfurt beauftragt worden (wohin er Wieland berufen ließ) und stieg 1787 zum Koadjutor des Mainzer Fürstbischofs Friedrich Carl Joseph Freiherr von Erthal auf. Als er 1802 dessen Nachfolger wurde, waren die Strukturen des alten Reichs unter dem Druck Napoleons schon weitgehend zusammengebrochen und das alte Kurmainz in Auflösung begriffen. Die Stadt Mainz selber fiel an Frankreich, die herausgehobene Stellung des Mainzer Bischofs im deutschen Klerus und das Amt des Reichserzkanzlers gingen an Regensburg. Als Napoleon 1806 den Rheinbund ins Leben rief, machte er Dalberg als Fürstprimas zu dessen nominellem Vorsitzenden; damit wurde Dalberg einer der wichtigsten Verbündeten des französischen Kaisers in Deutschland. Einige Jahre später nahm ihm Napoleon sein weltliches Fürstentum Regensburg weg (das an Bayern fiel) und entschädigte ihn mit dem neuen Großherzogtum Frankfurt. Als Großherzog von Frankfurt trug Dalberg 1809 Jean Paul (und dem damals hochgeschätzten Dramatiker Zacharias Werner) die Mitgliedschaft im Frankfurter Museum an, eine Ehre, die mit wenigen Verpflichtungen (vor allem dem gelegentlichen Abfassen von Aufsätzen) und einer Pension von 1.000 Gulden verbunden war. Als Dalberg 1813 die weltliche Macht verlor und sein Großherzogtum aufgelöst wurde, drohte Jean Paul in den Strudel mitgerissen zu werden und sein Auskommen zu verlieren (die Pension wurde schließlich vom bayerischen König Maximilian übernommen). Dalberg beschränkte sich auf sein kirchliches Amt in Regensburg, aber auch innerhalb der Kirche hatte er gegen den Ruf zu kämpfen, er sei ein Verräter an der römischen Kirche gewesen, der die Gründung einer deutschen Nationalkirche angestrebt habe. Jean Pauls Reise galt also einem Verlierer, dem er einst viel verdankt hatte, ohne ihn je gesehen zu haben, und er 14

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galt einem schwer angeschlagenen alten Mann, an dessen geistiger Gegenwart, die Jean Paul gegenüber Caroline beschwört, angesichts seiner Briefe zuweilen Zweifel aufkommen. Die drei Sommerwochen (14. August – 6. September) waren weitgehend von Gesprächen über Philosophie, Physik und Mathematik (!) bestimmt, aber nicht ausschließlich. Besuche bei Ludwig von Oertel, dem Bruder seines früh verstorbenen Jugendfreundes Friedrich Benedikt, der Fürstin von Thurn und Taxis, einer Schwester der Königin Luise und einer der Widmungsträgerinnen des »Titan«, begleiteten sein Programm. Ein Tagebuch von dieser Reise begann Jean Paul kurz vor oder bei der Abreise anzulegen; das Titelblatt des heute gehefteten Konvoluts vermerkt: »Regensburg / August vom 15ten bis / 1816«, das Abreisedatum bleibt offen, die folgenden Notizen sind unspezifisch mit Ausnahme einiger Seiten zum Geburtstag Dalbergs.11 Während er das geplante Tagebuch nicht führte, geben die Briefe nach Bayreuth ausführlich Bericht von dieser ersten Friedensreise.

Heidelberg 1817 Jean Pauls Reise nach Heidelberg im Sommer 1817 (2. Juli – 26. August) ist vielleicht die wichtigste Unternehmung dieser Art in den letzten Jahren. Angelockt wurde Jean Paul durch einige am Neckar wohnende neue Bekannte. Heinrich Voß, der Sohn des Dichters und Homer-Übersetzers Johann Heinrich Voß, war zunächst als Gymnasiallehrer in Weimar angestellt gewesen und hatte mit Schiller an dessen Bühneneinrichtung des »Othello« gearbeitet. Nach einer schweren Erkrankung zog er zu den Eltern nach Heidelberg, wo er eine Professur für Philologie ausfüllte; außerdem arbeitete er zusammen mit 15