Intramedulläre Osteosynthese zur Versorgung der distalen Radiusfraktur

Deutschland, Österreich und der. Schweiz haben ihre Expertise in den. Dienst dieses umfassenden Werks gestellt. Über 2.700 Schemata, OP-. Zeichnungen ...
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Neuer Therapieansatz

Intramedulläre Osteosynthese zur Versorgung der distalen Radiusfraktur M. S tra SSMair

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Therapie der distalen Radiusfraktur sehr differenziert weiterentwickelt. Neben der einfachen Versorgung mit Kirschnerdrähten sowie der Stabilisation mittels Fixateur externe haben sich auch diverse Systeme zur winkelstabilen Osteosynthese etabliert. In jüngsten Zeit kam nun das gesamte Feld der intramedullären Osteosynthese, wie sie beispielsweise aus der Versorgung proximaler Humerusfrakturen gut bekannt ist, hinzu.

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ie einfachste Option zur Fixation von Frakturen ist die Osteosynthese mittels Kirschnerdrähten. Hierbei sind verschiedene Verfahren wie zum Beispiel die Spickung nach Kapandji oder nach de Palma weit verbreitet. Die Vorteile dieses Verfahrens sind der geringe Weichteilschaden, die allgemeine Verfügbarkeit sowie die niedrigen Kosten. Nachteilig wirkt sich die bisweilen insuffiziente Stabilisierung vor allem osteoporotischer Knochen aus. Die Drahtosteosynthese ist für komplexe intraartikuläre Brüche nicht geeignet. Weitere Nachteile

sind oft sehr störende Hautirritationen durch die Drahtenden sowie die obligate Drahtentfernung. Als weiteres geschlossenes Verfahren steht die Anlage eines Fixateur externe zur Verfügung. Dieser kann als gelenkübergreifender Fixateur oder zwischen der Radiusdiaphyse und dem subchondralen distalen Bereich angelegt als Non-bridging-Fixateur fungieren. Zusätzlich können Kirschnerdrähte zur weiteren Stabilisierung eingebracht werden. Die Domäne des Fixateur externe ist die Versorgung offener Frakturen

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oder von Knochenbrüchen mit begleitenden schweren Weichteilverletzungen. Zusätzlich eignet sich diese Technik für die Behandlung äußerst komplexer Multifragmentbrüche im Bereich des Gelenks, die keiner anderen Osteosynthesetechnik zugänglich sind. Als größte Nachteile der äußeren Fixation sind die Gefahr eines Pin-Infekts sowie der sehr reduzierte Patientenkomfort zu nennen. Zusätzlich ist oft trotz des Einbringens weiterer Kirschnerdrähte eine exakte Wiederherstellung der Gelenkfläche nicht sicher möglich. 1c

Orthopädie & Rheuma

2011; 14 (11–12)

Dank der Entwicklung winkelstabiler Platten hat sich die Versorgung distaler Radiusfrakturen über einen palmaren Zugang weitgehend als Standardverfahren etabliert. Zusätzlich sind Implantate für eine dorsale Versorgung verfügbar. Die Wahl des Operationswegs wird von der Geometrie der Fraktur bestimmt. Vorteilhaft ist bei diesem Verfahren die bestmögliche anatomische Rekonstruktion der Gelenkfläche bei gleichzeitig übungsstabiler Fixation. Dies ermöglicht eine frühfunktionelle Nachbehandlung. Ein weiterer Vorteil für die Patienten besteht darin, dass die heute üblichen Titanplatten die Materialentfernung nicht mehr zwingend erfordern. Dies kommt vor allem bei älteren Patienten zum Tragen. Nachteilig ist die bisweilen aufwendige Weichteildissektion durch den erforderlichen Zugangsweg. Eine postoperative Narbenbildung mit Ver1d

härtungen kann die Folge eines längeren Hautschnitts über der Gelenkebene, der Eröffnung der Strecksehnenfächer oder der Abpräparation der palmaren Muskulatur sein. Weitere mögliche Komplikationen sind Materiallockerungen oder Rupturen der Beuge- bzw. Strecksehne im Bereich des Implantats. Konzept der intramedullären Versorgung Die Grundidee der intramedullären Versorgung besteht darin, die Vorteile der weichteilschonenden Drahtfixation mit den Vorteilen der Stabilität einer Plattenosteosynthese zu kombinieren und deren Nachteile zu minimieren. Den größten Benefit haben daher Patienten, deren Radiusfraktur mit einer Drahtosteosynthese unter-, mit einer Plattenosteosynthese hingegen überversorgt wäre.

Abb. 1 (a-d): Distale Radiusfraktur AO-Typ A3 präoperativ (a, b) sowie nach Versorgung mittels Geflechtimplantat (c, d)

Eigene Erfahrungen Seit Dezember 2010 wurden 15 Patienten erstmalig mit einem komplett neuartigem Fixationssystem zur intramedullären Osteosynthese versorgt. Hierbei konnten Speichenbrüche der AO-Klassifikationsgruppen A sowie C1 eingeschlossen werden. Der Nachuntersuchungszeitraum betrug zwölf Wochen. Zur Dokumentation der Stabilität wurde neben den üblichen Röntgenaufnahmen der DASHScore zur Prüfung des funktionellen Ergebnisses erhoben. Implantat- und Operationstechnik Bei dem Implantat handelt es sich um einen selbst expandierenden Geflechtballon aus Nitinol (Legierung aus Nickel und Titan). Dieser wird nach Reposition der Fraktur und temporärer Fixation mittels Kirschnerdraht über einen radiopalmaren Zugang nach Aufweiten

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© alle Strassmair

Abb. 2: Ruptur der Sehne des Musculus extensor pollicis longus infolge einer herausstehenden Schraubenspitze nach palmarer Plattenosteosynthese (III, IV: drittes bzw. viertes Strecksehnenfach; CL: Christa Listeri; EPL: distaler Stumpf der rupturierten EPL-Sehne)

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© Grafiken: Rick Starkmann – StarkPhoto

Handchirurgie

Abb. 3: Intramedulläre Implantatlage am Modell

des Prothesenlagers eingebracht. Durch das Vorschieben des Implantatträgers kann intraoperativ zusätzlich eine Impaktation der Gelenkfläche angehoben werden. Nach Öffnen des Ballons wird diese mittels zwei Schrauben proximal am Radius befestigt. Auf diese Weise lässt sich eine Sinterung der Fraktur ebenso verhindern wie eine Rotation des distalen Fragments. Die distalen Fragmente können nun mittels kanülierter Schrauben gezielt gefasst und fixiert werden. Die Verschraubung erfolgt durch den Geflechtballon hindurch und die Schraubenlage ist in allen Ebenen frei wählbar. Da hierbei vier Fixationspunkte entstehen (zwei in der Corticalis, zwei beim Durchtritt durch das Gewebegeflecht) wird eine äußerst stabile Fixation erreicht. In biomechanischen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass eine derartige Versorgung mit zwei Schrauben eine identische Stabilität zur winkelstabilen Plattenosteosynthese erzielt. Klinische Resultate Infolge des sehr gewebeschonenden Zugangswegs sowie sehr kurzer Hautinzisionen fiel postoperativ eine geringe Schwellneigung sowie ein sehr geringes Schmerzniveau auf. Da die Hautwunden nicht im Bereich der mobilen Gelenkanteile liegen, ist eine sofortige Mobilisation möglich, ohne die Wundheilung zu gefährden. Die Auswertung der postoperativen radiologischen Verlaufskontrollen zeigte in keinem Fall Anzeichen für eine sekundäre Dislokation oder ein Materialversagen. Bei allen Patienten konnte sechs Wochen postoperativ ein sicherer Durchbau der Fraktur festgestellt werden. Der DASH-Score wurde mittels standardisiertem Fragebogen zwölf Wochen

postoperativ erhoben. Die mittleren Werte lagen bei 26 Punkten. Dies entspricht dem üblichen Bereich der funktionellen Ergebnisse nach winkelstabiler Plattenversorgung. Zusammenfassung Das vorliegende Implantat hat sich zur Versorgung distaler Radiusfrakturen der AO-Typen A1 bis A3 sowie C1 bisher bewährt. Vorteilhaft erscheint intraoperativ die technisch bedingte freie Wahlmöglichkeit der Positionierung der Schrauben. Diese kann an die Geometrie der Fraktur und ihrer Fragmente angepasst werden. Üblicherweise kommen zwei gekreuzte Schrauben zum Einsatz, es ist jedoch möglich bei Bedarf bis zu vier Schrauben zu implantieren. Die in biomechanischen Tests angegebene Stabilität der Versorgung war in der klinischen Erprobung uneingeschränkt nachvollziehbar. Bezüglich Operationstrauma, Schwellung, Materialirritation sowie Narbenbildung scheint dieses Verfahren Vorteile gegenüber der klassischen Versorgung mittels Platte aufzuweisen. Das vorgestellte neuartige Therapiekonzept passt sich gut in die Überlegungen der abgestuften Behandlung distaler Radiusfrakturen ein. Es schließt die Lücke zwischen Kirschnerdrahtversorgung und Plattenosteosynthese. Literatur beim Verfasser Dr. med. Michael Strassmair Facharzt für Chirurgie/Handchirurg/ Notfallmedizin Zentrum für Handchirurgie am Klinikum Starnberg Osswaldstraße 1 82319 Starnberg E-Mail: [email protected] www.handchirurgie-starnberg.de Orthopädie & Rheuma

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