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Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag, Berlin. Coverbild: Willi Voss: .... der schon tattrig wird. Aber sein Sohn, auch wenn er noch grün hinter den Ohren ist, wird ...
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Sigrid Lenz

Infiziert Eine düstere Liebesgeschichte Gay Romance Empfohle n ab 18 Jahre

Band 2

© 2012 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2012 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag, Berlin Coverbild: Willi Voss: Korrektorat: Mondgesicht Lektorat und Korrektorat Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0465-8 AAVAA Verlag www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt .

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Gewidmet den Autoren von ‘A Monster by Any Other Name’. Meinen Dank und meine Verehrung. Ohne Euch wäre dieses Buch nicht das, was es heute ist.

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Kapitel 1

Alexanders Augen waren es, die Konrad aufhielten. Lange bevor er es geplant hatte. Durchaus war er mit der Absicht in den Raum getreten, Alexander zu töten, sollte der ihm auch nur den Ansatz eines Grundes liefern. Auch wenn er fürchten musste, dass Roland ihm nicht verzieh, so befahlen ihm allein sein Gewissen und sein Pflichtbewusstsein, die Welt von einer undefinierten Gefahr zu befreien, selbst wenn sie noch so absurd schien. Denn bereits als der Junge in den Raum gezerrt wurde, als jede Zelle dessen Körpers von Unterwerfung und Selbstaufgabe sprach, als Konrad die magere Gestalt durch den losen Kleiderstoff nur ahnte, blieb dem Verfolger bewusst, dass die Infektion in ihm wütete, dass sie jeden Augenblick erwachen und ihn in ein Monster verwandeln konnte. Konrad wusste sehr gut, dass selbst ausgemergelte, kraftlos erscheinende Körper täuschen und töten konnten. Er hatte so lange 4

überlebt, weil er dabei blieb, jede Vorsichtsmaßnahme zu treffen. Auch der gesenkte Blick, die zur Schau getragene Schwäche des Infizierten beruhigten ihn nicht. Im Gegenteil, seine Alarmglocken läuteten, dachte er an jedes Mal, wenn er Alexander herbeirufen musste, weil der sich mit dem Jungen in eine Ecke verzogen und ihn mit seinen Kindergeschichten zugetextet hatte. Die Angst, die in Alexanders Körperhaltung hervortrat, sobald der sich Konrads Anwesenheit bewusst wurde, hatte stets Bände gesprochen. Von Schuld auszugehen, lag nahe. Und nun, da er den Jungen für sich hatte, da er plante, der Sache auf den Grund zu gehen, reagierte der mit derselben unterdrückten Panik, die Konrad bereits vertraut war. Und dies noch bevor ihm überhaupt bewusst sein konnte, um wen es sich handelte, der ihn in den letzten, endgültigen Distrikt bestellt hatte. Der Junge musste wissen, dass die Überschreitung der letzten Grenze seinen Tod bedeutete, dass er nichts mehr zu verlieren hatte. Von einem erfahrenen Insassen des Lagers erwartete 5

Konrad, dass sich dessen Zunge löste, sobald er das Ende nahe wusste. Dass derjenige kämpfte, letzte Reserven mobilisierte, jeden verriet, der ihm in den Sinn kam, ob ein Grund dafür bestand oder nicht. Jedoch Alexander schwieg. Mit Ausnahme der offenkundigen Panik, die der Junge so mühsam unter Kontrolle hielt, offenbarte er nichts, antwortete nicht, schien ihn nicht einmal zu hören. Was für ein so junges Opfer nicht ungewöhnlich schien, doch Konrad zunehmend irritierte, als die üblichen Methoden keinen Effekt erzielten. Weder das Entkleiden noch die Schläge oder Wunden, von denen er genau wusste, wo er ansetzen musste, um größtmögliche Qualen zu erzielen, bewegten Alexander zu einer Antwort. Und Konrad begann den Körper des Jungen genauer zu studieren, zählte die Narben, bemerkte die Präzision, mit welcher der seit seiner Kindheit gefoltert worden war. Auch die Spuren der Vergewaltigung entgingen ihm nicht. Ebenso wenig wie die fehlende Reaktion auf seine Anwendung von Säuren in frischen Schnitten. Nichts davon schien Alexander neu zu sein, 6

nichts provozierte ein Betteln, Flehen oder auch nur eine Antwort. Es war, als seien dessen Zunge und Kiefer so gelähmt wie der Körper, der nur gelegentlich zuckte, nur instinktiv versuchte, den Schmerzen auszuweichen. Fast so, als sei bereits in Alexanders Unterbewusstsein vorgedrungen, dass sich zu wehren oder zu versuchen, zu flüchten, keinen Erfolg nach sich zog, im Gegenteil, vielleicht zu größeren Qualen führte. Und dann hatte Alexander die Augen geöffnet und ihn angesehen. Keine Drohung, kein gelbes Flackern, keine Verzweiflung. Nur Dunkelheit und ein Versprechen. Dämlich, es zu glauben. Bereits als Konrad sich erhob, wusste er, dass der Junge log. Doch für den Bruchteil einer Sekunde, als er dessen Blick fühlte, da war er in Versuchung, da ergab alles Sinn. Auch dass Roland so hartnäckig an dem Kind festhielt. Denn ein Kind war Alexander trotz allem. Der Augenblick, der sich in Konrads Erinnerung ausdehnte, zeigte den Jungen in seiner Wehrlosigkeit, zeigte den geschundenen, ausgemergelten Körper, die vorstehenden Wangenknochen, 7

die Schatten unter den Augen und die aufgerissenen Lippen. Zeigte die Landkarte aus Narben und frisch verheilten Wunden, gefärbt von frisch hervorquellendem Blut. Und für diesen winzigen Moment sah Konrad Alexander als ein Opfer, als unschuldig an. Natürlich irrte er. Das war ihm längst klar, als er den Raum verließ, in dem er es dennoch nicht mehr aushielt. Er konnte keine Folter ausführen, keine weiteren Fragen stellen, die doch keine Folgen, keine Erklärungen lieferten. Er irrte, aber dennoch war es genug, er hatte genug davon. Konrad wollte nichts mehr zu tun haben mit diesem Infizierten. Mochte der manipulieren, mochte er Kräfte besitzen, die noch nicht erforscht waren, Konrad dachte an nichts anderes, als daran, aus diesem Lager zu verschwinden, als dieses Kind, diesen stummen Vorwurf, nicht mehr sehen zu müssen. Wolfram tippte mit seinem Schlagstock ungeduldig gegen seinen Oberschenkel, während Alexander sich hochkämpfte. Der Schmerz in seiner Schulter verdrängte jegliche andere Emp8

findung, löschte Gedanken aus, noch bevor sie entstanden. Sogar sich wieder anzukleiden gelang ihm, auch wenn er sich nicht erinnern konnte, woher die neuen Risse und Löcher in der Kleidung stammten. „Ich verstehe das nicht“, brummte Wolfram. „Der Irre hätte alles mit dir anstellen können.“ Er schüttelte den Kopf, beäugte Alexander von der Seite. „Du ahnst nicht, was für ein Glück du hast. Man könnte glauben, dass deine Krankheit sich auf eine neue Abart ausdrückt. Eine Manipulation, für die noch keine Diagnose erstellt wurde.“ Alexander stand still. Er spürte wie der Stoff sich durch das Blut mit seiner Haut verband, wie er sich an den Stellen vollsaugte, an denen er seinen Körper berührte. Seine Füße schmerzten. Er konnte kaum stehen, biss sich auf die Zunge, um das Wimmern zu unterdrücken, und wusste doch, dass jede Bewegung, jede Verlagerung seines Gewichtes, den Schnitt in seinen Fußsohlen vergrößern würde. Lange musste er nicht warten, bis Wolfram mit seinen Überlegungen zu Ende gekommen war,

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bis der eine Idee entwickelt hatte, wie er die Situation in seinem Sinne auskosten konnte. Als er Alexander vorwärtszerrte, tiefer in den Gang des Distriktes, gelang es dem Jungen nicht mehr, die Laute zurückzuhalten. Jeder Schritt wurde zur Qual, und versuchte er innezuhalten, zerrte Wolfram an seinem Arm, bis seine Schulter sich schmerzhaft verdrehte. Nur am Rande begriff er, wohin Wolfram ihn führte, doch je mehr der Schmerz anwuchs, desto weniger Kraft brachte Alexander für die Angst auf. Dass er sie spüren sollte, wusste er, je tiefer sie in den Gang gelangten, je düsterer die Wände, je spärlicher die Beleuchtung erschien. Die Wände des C-Distriktes enthielten wenige und wenn, dann kleine Fenster. Geradeso als fürchte man den Einblick von außen. Mehr noch als die Flucht von innen. Das Schlimmste war der Geruch. Je weiter sie gingen, desto intensiver umschloss er Alexander, nahm ihm den Atem, verbot ihm über dessen Entstehung nachzudenken. Türen waren geschlossen und verriegelt. Manche standen offen und Infizierte mit Handschu10

hen und Atemmasken scheuerten und desinfizierten Wände und Böden. Alexander musste das Blut nicht sehen, er roch es, ebenso wie die Eingeweide und die unverkennbaren Anzeichen von Qual und Tod. Hunderte von Malen hatte Alexander diese in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen wahrgenommen, doch hier existierte nichts anderes. Wolfram führte ihn abwärts, hinunter in den Schlund einer Hölle, die kein Entrinnen kannte. Alexander spürte das Blut an seinen Fußsohlen, wie es die kaputten Schuhe warm durchnässte, und ihm wurde schwindelig. Da hielt Wolfram an, drehte sich grinsend zu ihm. „Ich wollte dir zeigen, wo du enden wirst. Sei dankbar, kein Infizierter bekommt die Chance, das hier vor seinem letzten Tag zu sehen.“ Er stieß Alexander in den Rücken, dass der vorwärtsstolperte. „Nur, damit du nicht übermütig wirst. Damit du nicht glaubst, du könntest jeden so leicht um den Finger wickeln wie den alten Vlassy. Mag sein, dass der schon tattrig wird. Aber sein Sohn, auch wenn er noch grün hinter den Ohren ist, wird 11

recht bald dahinterkommen, dass du hierhergehörst. Also mach dir nichts vor.“ Alexander blinzelte den Schleier fort und starrte auf eine Folterkammer wie die, welche er verlassen hatte. Nur dass sie größer war. Ein Infizierter hing von der Decke. Seine Augen quollen hervor, aus seinem Mund tropfte Blut, rann die langen Fangzähne hinab und landete auf den klauenartigen Füßen. Ein anderer war auf einen Tisch geschnallt. Seine Finger fehlten. Dort wo sie abgetrennt waren, blutete er. Niemand stillte die Blutung, niemand sah ihn an. Alexander schloss die Augen, hinderte seinen Blick daran, weiterzuwandern, seinen Verstand daran, mehr aufzunehmen, als er verkraften konnte. „Was treibst du, Ott? Das ist nicht deine Baustelle.“ Eine ärgerliche Stimme sorgte dafür, dass Alexander seine Lider noch fester zusammenpresste. „Ich wollte nur etwas klarstellen“, sagte Wolfram, ungewohnt zahm. „Der Junge hier braucht eine Lektion.“ 12

„Das ist nicht genehmigt“, sagte der andere. „Du weißt so gut wie ich, dass so ein Scheiß verboten ist. Und das aus verdammt gutem Grund.“ Wolfram grinste halbherzig. „Trifft hier nicht zu. Der Kleine macht den Mund nicht auf. Der dreht auch nicht durch und läuft Amok. Glaub mir, der ist ein heller Kopf. Was der noch nicht gesehen hat, weiß er. Und genauso weiß er auch, was gut für ihn ist und was nicht. Ist es nicht so?“ Alexander rechnete mit dem Schlag, ging in die Knie ohne die Augen zu öffnen. Darin lag Wolfram richtig. Er wusste, was von ihm erwartet wurde, so wie er gewusst hatte, was in Distrikt C geschah. Doch bedeutete das keineswegs, dass er dies auch aus der Nähe betrachten wollte. Der Stock traf ihn ein zweites Mal und Alexander zuckte zusammen. „Ja“, krächzte er heiser und spürte Wolframs Triumph körperlich. „Ach, das ist der Strichjunge aus A“, bemerkte die körperlose Stimme abfällig. „Ihr seid doch alle nicht ganz dicht. Machst du erst einmal eine Weile meinen Job, vergeht dir die Lust an Infizierten.“

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Wolfram schnaubte. „Bild dir nichts ein. Ihr seid auch nicht besser als wir.“ Der andere zuckte mit den Schultern. „Schon recht. Mach doch, was du willst. Aber wenn ich hier Ärger krieg, dann weiß ich, an wem es liegt.“ Wolfram nuschelte Unverständliches. Er zog Alexander auf die Füße und der presste die Lippen zusammen, um nicht zu wimmern. Der Geruch nach Blut umfing ihn mit betäubender Wucht und hinter sich hörte er einen markerschütternden Schrei, wünschte, die Ohren ebenso verschließen zu können wie Augen und Mund. Wolfram schob ihn vorwärts, riss ihn hoch, wenn er stolperte, stieß ihn gegen die Wand, als er trotz seines Befehls seine Augen nicht öffnen konnte. Die Wand war rau und klebrig. Alexander gelang es nicht mehr das Wimmern zu unterdrücken, als Wolfram ihn weitertrieb. Es wurde wärmer und die Luft stickig. Alexanders Augen tränten, und als Wolfram ihn erneut gegen die Schulter schlug, öffnete er sie instinktiv. 14

Um sich fühlte er Qualm. Dicke Ascheflocken tanzten durch den Raum. Stumme Männer mit Mund- und Augenschutz befeuerten die Öfen, öffneten Klappen und Türen, hinter denen Flammen aufloderten. Leichenteile warteten in Trögen auf ihre letzte Reise. Zerstörte Körper lagen bereit, um auf Schienen und Brettern in das Herz des Feuers geschoben zu werden. Aufgerissene, tote Augen starrten ihn an. Alexander kannte den Mann, war ihm eine Zeit lang täglich begegnet. Bis dessen Haut sich in Schuppen verwandelte und sein Speichel Löcher in alles Lebendige brannte, mit dem er in Berührung kam. Doch die Augen waren dieselben geblieben, das Gelb nur ein Stich, der die Farbe der Iris in Grün verwandelte. Alexander entsann sich nicht, den Mann auch nur ein einziges Mal aggressiv erlebt zu haben. Er hielt dessen Blick, obwohl der Tote nichts davon mehr mitbekam. Hielt ihn auch noch, als die gesichtslose Gestalt den leblosen Körper in das Feuer schob.

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