IN WÜRDE ALTERN…

IN WÜRDE ALTERN… Blitzlichter. Ein Pflegeheim wird eröffnet. Ausführlich berichten die Medien darüber und heben das Engagement des Trägers hervor, der ...
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IN WÜRDE ALTERN… Blitzlichter Ein Pflegeheim wird eröffnet. Ausführlich berichten die Medien darüber und heben das Engagement des Trägers hervor, der weder Kosten noch Mühen gescheut hat, um unseren „lieben Alten“ einen würdigen Lebensabend zu ermöglichen. Eine 78jährige Frau sorgt für Gesprächsstoff wegen ihrer ausgefallenen Kleidung. „Für eine Frau in diesem Alter ist es einfach würdelos, so herumzulaufen“. Die älteste Einwohnerin einer kleinen Stadt feiert ihren 100. Geburtstag. Der Bürgermeister gratuliert ihr und betont, wie „geistig und körperlich rege“ diese „trotz ihres hohen Alters“ sei, und bezeichnet sie als Vorbild, an dem deutlich werde, was es heißt: „In Würde zu altern“. Was heißt das „In Würde zu altern“? Ein Blick in die Geschichte. Der Begriff „Würde“ begegnet zum ersten Mal in der antiken römischen Republik. Würde kommt dem zu, der eine Stellung im öffentlichen Leben einnimmt. Zugleich ist damit auch gemeint, wie er diese Stellung ausübt: besonnen, überlegt, umsichtig, ruhig…- Eigenschaften, die mit dem „gereiften Menschen“ in Verbindung gebracht werden. „Würde im Alter“ wird erst viel später - mit der Einführung der Altersversicherung durch Bismarck 1889 - zu einem eigenen Begriff. Damals wurde das 70. Lebensjahr als Zeitpunkt, ab dem Anspruch auf eine Altersrente besteht, festgelegt. Mit diesem Zeitpunkt beginnt sozusagen offiziell das Alter. Damit aber beginnen die Probleme, denn dieser Zeitpunkt wurde immer wieder verändert. „Würde im Alter“ muss daher immer im Blick auf die jeweiligen Lebensumstände gesehen werden. Bis weit ins 20. Jh. war „alt“ gleich mit „arm“, „krank“, „unterversorgt“. Würde zu verschaffen bedeutet hier, dem Einzelnen „ein menschenwürdiges Leben“ im Sinne einer sozialen Absicherung zu ermöglichen, was z. B. durch die Einführung der Alterspension oder durch den Bau von „Versorgungsheimen“ auch geschah. Seitdem ist „Würde im Alter“ eng verbunden mit Pflege und Betreuung, aber auch mit der Einstellung, dass es Aufgabe anderer sei, dem alten Menschen ein „Leben in Würde“ zu ermöglichen. Inzwischen hat sich vieles verändert. Altern heute schaut anders aus als noch vor wenigen Jahrzehnten. Die Zahl der alten Menschen wird höher und damit verbunden ist auch deren Vielfalt. Das bedeutet, dass auch „Altern in Würde“ vielfältiger wird. Was bedeutet „in Würde altern“ Für Für Für

den Arbeitnehmer, der seinen Pensionsantrag stellt? den 50jährigen, der wegen einer „Umstrukturierung“ seinen Arbeitsplatz verliert? die seit kurzem verwitwete alte Dame, die neben dem Verlust eines Menschen auch materielle und gesellschaftliche Einschränkungen spürt? Für den Witwer, der in eine Seniorenresidenz zieht, weil er dort weitgehend sein gewohntes Leben führen kann, im Bedarfsfall aber versorgt ist? Zahlreiche Pensionisten sehen sich in ein Spannungsverhältnis gestellt: Nicht mehr auf der Lebenshöhe, aber noch lange nicht am Ende des Lebens, nicht mehr interessant für das Arbeitsleben, aber als ehrenamtliche Mitarbeiter heiß umworben, nicht mehr gebraucht werden, aber doch immer wieder für andere im Einsatz zu sein. Sie sind einem sich immer rascher verändernden Alltag ausgesetzt, aber auch der Erwartung, Altbewährtes zu pflegen. Hier wird es mehr und mehr zur Aufgabe des Einzelnen „in Würde zu altern“. Beispiele dafür sind: Sich selbst akzeptieren und über sich selbst positiv denken. Altersdiskriminierungen nicht hinnehmen, sondern etwas dagegen setzen. Die Verantwortung für sich selbst nicht auf andere schieben, sondern selbst übernehmen. Zu der Tatsache stehen, nicht mehr so zu sein, wie ein 30- oder 40jähriger und nicht auf eine falsch verstandene

Jugendlichkeit setzen. Klare Grenzen setzen zwischen eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen an das Leben und den Wünschen anderer. Die eigenen Grenzen erkennen und beachten. 1

Notwendige

Entscheidungen nicht auf die lange Bank schieben, sondern klar und eindeutig treffen.

„In Würde altern“ besteht nicht nur aus messbarer Leistung Über den Wert eines Menschen urteilt die Leistungsgesellschaft nach der Leistung, die er erbringt und die sich bemessen lässt. Wer sichtbare, bezahlte Arbeit verrichtet, ist angesehen, wer nicht, hat in diesem Wertesystem keinen Platz. Damit stellt sich die Frage, wer dem Menschen, der für die Allgemeinheit keine messbare Leistung erbringt und so gesehen für sie keinen Wert hat, Sinn und Würde zuspricht. Zudem möchte sich kaum ein Mensch damit abfinden, dass sein Leben zu Ende gehen soll, ohne Spuren zu hinterlassen. Zum Menschsein gehören Wachstum, Entwicklung, Veränderung, Einbußen, Verfall – wobei Einschränkungen in physischer Hinsicht nicht zwangsläufig solche in psychischer nach sich ziehen. Die Antwort der Bibel - und damit auch die des Christentums - lautet: Die Würde des Menschen liegt begründet in seiner Geschöpflichkeit und seiner Gottebenbildlichkeit. Gott hat den Menschen nach seinem Bild geschaffen. Daher kann kein Mensch dem anderen seine Geschöpflichkeit aberkennen. Sie bleibt ihm, unabhängig von seinem Lebensalter. Mit der Geschöpflichkeit des Menschen verbunden ist seine Gottebenbildlichkeit. Auch diese kann ein Mensch dem anderen nicht nehmen. Sie ist ihm auch nie verlorengegangen, selbst nicht durch seine Hinfälligkeit und seine Verflochtenheit mit dem Bösen. Wenn wir Gott aber als die Fülle des Lebens und als tiefsten Sinn verstehen, können seine Ebenbilder, gleich in welcher Verfasstheit sie sind, nicht sinn- wert- oder würdelos sein. Im Gegenteil. Die „Schwachen“ weisen durch ihr bloßes Dasein darauf hin, dass das Leben immer aus zwei Seiten besteht, und warnen davor, seine unangenehme Seite zu verdrängen. Sie zeigen den „Starken“, dass niemand davor bewahrt bleibt, selbst „schwach“ zu werden, und machen darauf aufmerksam, dass es menschliche Qualitäten gibt, die erst auf dem zweiten Blick als Stärken erkennbar sind: Das Aufbringen von Geduld, das Sich-Auseinandersetzen mit einer Lebenswirklichkeit, die durch Verluste und durch Grenzerfahrungen gekennzeichnet ist, das Annehmen-Können von Hilfe, das Einwilligen in Situationen, die nicht zu ändern sind… Solche und ähnliche Gegebenheiten sind aus der Sichtweise der Bibel sogar eine besondere Weise der Gottebenbildlichkeit. Gott verbindet sich immer wieder mit dem Kleinen, Geringen, Verachteten, Wertlosen und gibt diesem dadurch einen besonderen Wert. Darin bestehen seine „machtvollen Taten“ (Lk 1,51) Ein jeder ist eingeladen, ihm auf diesem Wege zu begegnen (vgl Mt 25, 31-46).

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