In der Hölle des roten Bullen

Bullenstall-Party intellektuell auf- hellen. Das jedenfalls glauben ... party nur als Pausenfüller auftre- ten sollen. .... Road“ und Ridley Scott für „Der. Marsianer“.
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8 KULTUR

M ONTAG, 8. F EBRUAR 2016

In der Hölle des roten Bullen Robert Palfrader und Florian Scheuba spüren im Programm „Flügel“ dem Geist von Red Bull nach und entdecken die Gespenster des Kapitalismus. BERNHARD FLIEHER

Dietrich Mateschitz feiert Geburtstag. Und weil zwischen Cirque du Soleil und Robbie Williams schon auch ein bisserl etwas Unterhaltsam-Kritisches passieren soll, ruft der Oberbulle bei Robert Palfrader und Florian Scheuba an. Die beiden Kabarettisten sollen die Bullenstall-Party intellektuell aufhellen. Das jedenfalls glauben sie. Oder besser: Das wollen sie glauben, auch wenn es sowieso nicht infrage kommt, dass sie je in der Hölle des Bullen spielen würden. Sicher nicht, sagen sie. Auch wenn jeder 100.000 Euro für den Auftritt bekäme und künstlerische Freiheit garantiert wäre? Aber wo fängt die an? Und wo stolpert sie über einen Geldkoffer oder ertrinkt in Zuckerlwasser? Und überhaupt: Was ist frei und unabhängig? Was ist kritisch? Und wie viel Macht und Geld muss man haben, dass man selbst bestimmt, wo die Kritik anfängt? Aus dieser Annahme eines Engagements im Bullenreich – für gesellschafts- und also kapitalismuskritische Geister ein unmoralisches Angebot – starteten Palfrader und Scheuba ihren Auftritt am Samstagabend zum Abschluss der heurigen Motzart-Woche. Und danach steigen sie in ihrem zweiten Duoprogramm „Flügel“ in der ARGEkultur in Salzburg in die Untiefen einer SALZBURG.

Robert Palfrader und Florian Scheuba in „Flügel“.

Welt, die den (Geld-)Schein zum Sein erklären konnte. Es ist ein zweifacher Abend. Einerseits erfolgt die Untersuchung der Frage, wie das funktioniert, dass sich auf Basis von Zuckerlwasser, raffiniertem Marketing und ein paar Extremsportlern so ein Geschäft machen lässt. Anderseits zeigt sich, wie leicht in einer Welt, die Kapitalismus als Religionsersatz zulässt, ein massenhaftes Publikum zu einer Art Glaubensgemeinschaft wird, dessen Religion „Red Bull“, „Apple“ oder „Nike“ heißt.

BILD: SN/FLORIANSCHEUBA.AT

Palfrader und Scheuba haben es auch gar nicht schwer. Es muss, was Marketingstrategie genannt wird, nur als das entlarvt werden, was es ist: eine aufgeblasene, zurechtzensurierte Vermittlung eines Firmengeistes. Palfrader und Scheuba beschimpfen dabei aber nicht die anonymen Jünger, die mit Dosenkauf ihre Kirche finanzieren. Sie nehmen sich vor allem selbst auf die Schippe. Sie machen sich selbstironisch zum Anschauungsmaterial. Und dann muss für den noch so unabhängigsten Kritiker ja

Houellebecq erobert die Bühnen Die Utopie „Unterwerfung“ wird in Hamburg, Wien und Berlin gespielt. Michel Houellebecqs Roman-Utopie „Unterwerfung“ über eine schleichende Islamisierung Europas setzt zur Eroberung der Theaterbühnen an. Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg sorgte der Schauspieler Edgar Selge in einer Inszenierung von Intendantin Karin Beier am Samstag mit einem grandiosen Solo für die deutschsprachige Erstaufführung der satirischen Geschichte. Das Kreuz erscheint hier keineswegs als traditionelles Kruzifix, ruhig und fest an der Wand. Vielmehr zeigt sich das Symbol des Christentums und des christlichen Europas als Hohlkörper, ausgeschnitten aus einer dicken metallischen Mauer. Fast immer rotiert es in einer Scheibe – liegt quer oder steht auf dem Kopf. Dieser windige kubische Raum, geschaffen von Bühnenbildner Olaf Altmann, wird aussagestarke, wenngleich auch plakative Plattform für Houellebecqs Text. In einem grandiosen, fast dreistündigen Monolog verkörpert Selge die bitter-ironische sozialkritische Geschichte über die schleichende Islamisierung eines kulturell ausgehöhlten Frankreichs im Jahr 2022. Zunächst im schlecht sitzenden Anzug, am Ende in einem orientalischen Gewand, gibt er einen orientierungs- und bindungslosen Intellektuellen auf der Suche nach so etwas wie Glauben. Dafür erhielt Edgar Selge im ausverkauften Haus stehende Ovationen. Kurz nachdem das Buch Anfang Jänner 2015 erschienen war, hatte es in Paris den Terroranschlag

HAMBURG.

auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ gegeben. Auf dessen Titel war eine Karikatur Houellebecqs abgedruckt. Edgar Selge ähnelt dem hageren, zerstreut wirkenden Pariser Autor, der seinen Roman mit einem IchErzähler angelegt hat. Noch recht munter und naiv, dank seiner Stellung als Uni-Literaturprofessor scheinbar fest im Sattel sitzend, gibt der 67-jährige Schauspieler als Francois zu Anfang Einblicke in sein prekäres Liebesleben. An Familiengründung ist für den über Vierzigjährigen dabei nicht zu denken, denn allein Sex ist für ihn

Abgerechnet wird mit einem saturierten Europa. Thema. Beziehungen zu Studentinnen laufen regelmäßig ins Leere. Sachlich und witzig gestaltet Edgar Selge solche Aussagen. Gern doziert er, eine Hand in der Hosentasche, mit dem rechten Zeigefinger in der Luft kreisend. Und oft kommt er auf Größen der Geistesgeschichte wie den religiös gewordenen Romancier Huysmans (1848–1907) zurück. Schwer trifft es Francois in dem Stück, als eine Angebetete mit ihrer Familie nach Israel gehen will. Als Juden fühlen sie sich in Frankreich nicht mehr sicher. Dort wandeln sich dem utopischen Roman zufolge die Machtverhältnisse: Um nach sozialen Unruhen den Wahlsieg der Rechten zu verhindern, schmieden Mitte-links-Parteien eine Koalition

mit einer Muslim-Bruderschaft. Deren Chef Ben Abbes gibt sich gemäßigt, sorgt aber über Schulen und Universitäten für eine Veränderung im Sinne der Islamisten – Lehrer werden entlassen, das Patriarchat wieder eingeführt. Vielweiberei ist erwünscht. Frauen heiraten früh, um viele Kinder zu bekommen. Als drei Burka-Trägerinnen am Ende über die Bühne huschen, ist das Kreuz längst gekippt. Der rückgratlose Francois, der seinen Job verliert, verwandelt sich bei Edgar Selge in einen tragischen Clown, der über Hautausschlag klagt. Immer dürftiger und fahriger erscheint er, verschmiert sein Gesicht mit Blut und weißer Salbe. Wenn er für etwas steht, dann für den Niedergang einer Gesellschaft, die ihre Werte kaum mehr kennt und nicht für sie einzutreten wagt. Im Buch ist das stärker als auf der Bühne den linken Babyboomern anzulasten. Hier wie dort ist die Geschichte weniger als IslamKritik zu verstehen, sondern als Abrechnung mit einer saturierten, saft- und kraftlosen europäischen Alt-Gesellschaft. Der Siegeszug von Houellebecqs Geschichte geht weiter. Am 18. Februar steht im Werk X in Wien die österreichische Erstaufführung auf dem Programm. Auch das Staatsschauspiel Dresden (ab 5. März) und das Deutsche Theater Berlin (22. April) haben die düstere Satire auf ihre SN, APA, dpa Spielpläne gesetzt.

doch nur die Summe stimmen und schnell ist kein Unterschied mehr zwischen Extremsport und Extremspaß. Dafür packen die beiden Kabarettisten im ersten Teil viele aufgelegte Wuchteln aus, entlarven Red Bulls schmale Produktpalette von Mondwasser bis zum Heile-Welt-Magazin als inhaltsarm, aber strategisch genial platziert und treffsicher. Das sind auch Palfrader und Scheuba mit Sätzen wie jenem, dass Red Bull – vor allem mit dem Stratosphärensprung – immerhin den Beweis liefert, dass „die Schwerkraft auch für Deppen gilt“. Tiefer geht es dann nach der Pause. Da wird – weit über die Red-Bull-Welt hinaus – die religiöse Qualität des Kapitalismus offensichtlich. Und da gelingt es den beiden, eine schrecklich reale Situation aus Kaufen und Gekauftwerden zu offenbaren, in der Markenkult zu einem Grundwert werden konnte. Am Ende stellt sich heraus, dass die beiden bei der Bullenparty nur als Pausenfüller auftreten sollen. Ihre Spielzeit: eine Minute. Und in dieser einen Minute schlüpft Scheuba in die Paradeparodie als Frank Stronach, und Palfrader macht kurz den Kaiser. Das Bekannte verkauft sich auf so einer Party halt leichter als jede Nachdenklichkeit.

Linz überzeugt mit einer Western-Oper Das Musiktheater wagt sich an eine Rarität aus den USA. LINZ. Eine Opernrarität aus den USA

hat 24 Jahre nach ihrer Uraufführung in Chicago nun am Linzer Musiktheater ihre europäische Erstaufführung erlebt. Das als „Zahnarzt-“ und „Western-Oper“ beworbene Werk „McTeague – Gier nach Gold“ des US-amerikanischen Komponisten William Bolcom überzeugte in seiner musikalischen und szenischen Interpretation. „McTeague“ hat nach der Uraufführung 1992 nur eine Inszenierung in den USA erlebt – ein internationaler Durchbruch sieht anders aus. Dabei gibt die Geschichte durchaus etwas her, auch musikalisch. Die Oper spielt in San Francisco, um 1900, nach dem Goldrausch. Doch die Gier der Menschen nach dem Edelmetall ist ungebrochen. Der Titelheld Mac, ein etwas grobschlächtiger, einfältiger Mann, betreibt eine florierende Zahnarztpraxis – bloß: Er hat keinen Befähigungsnachweis, weil er den Job einst von einem Kurpfuscher gelernt hat. Als seine Frau einen Lottogewinn in Goldstücken erhält, geht es mit ihm abwärts – nach dem Motto: Reichtum macht nicht immer glücklich. Der am Samstag bei der Premiere anwesende 78-jährige Komponist freute sich sichtlich über die Zustimmung des Publikums, das sich applausfreudig gegenüber den Ausführenden auf der Bühne und im SN, APA Orchestergraben zeigte.

Luxuskonzern darf auf dem Kolosseum werben ROM. Nach drei Jahren ist das Kolos-

seum von Gerüsten befreit. Das Wahrzeichen der Hauptstadt Italiens erstrahlt wieder in ursprünglichen Farben. Die im Frühjahr 2013 begonnene Renovierung um 25 Mill. Euro hat Diego Della Valle finanziert. Der Inhaber des Luxuskonzern Tod’s darf dafür 15 Jahre mit dem Logo am Amphitheater werben. Die Arbeiten würden jetzt im unterirdischen Teil des Kolos-

seums fortgesetzt, berichtete die Tageszeitung „La Repubblica“. Zugleich werde ein neues Empfangszentrum für Touristen – mit Café, Toiletten und Buchhandlung – fertiggebaut. Im Vorjahr besuchten 6,6 Millionen Personen das Meisterwerk antiker römischer Baukunst. Das Kolosseum wurde zwischen 70 und 80 nach Christus erbaut und war Schauplatz von Hinrichtungen oder Gladiatorenkämpfen. SN, APA

Gradmesser für die Oscars weist auf „Der Rückkehrer“ Der mexikanische Filmemacher Alejandro Gonzalez Inarritu hat für den Rache-Thriller „The Revenant – Der Rückkehrer“ zum zweiten Mal in Folge den Preis der US-Regisseursvereinigung DGA für den besten Film des Jahres bekommen. Im vergangenen Jahr war der 52-Jährige bereits für „Birdman“ ausgezeichnet worden. Die am Samstagabend in einer vierstündigen Zeremonie in elf Kategorien verliehenen Preise der Directors Guild of America (DGA) gelten als wichtiger Gradmesser für die Oscars, die in drei Wochen vergeben werden. Der Preis fühle sich an „wie eine Umarmung meiner Kollegen“, sagte Inarritu bei der Gala in einem Hotel in Los Angeles. Neben Alejandro Gonzalez Inarritu und seinem Team waren vier

LOS ANGELES.

weitere Regisseure nominiert: Adam McKay für „The Big Short“, Tom McCarthy für „Spotlight“, George Miller für „Mad Max – Fury Road“ und Ridley Scott für „Der Marsianer“. Bis auf Scott sind alle auch für einen Oscar nominiert. Heuer ist das Rennen in den wichtigen Oscar-Kategorien offen: Die Finanzkomödie „The Big Short“ gewann den Preis der ProduzentenGewerkschaft PGA. Bei den Auszeichnungen der Schauspieler-Vereinigung SGA siegte dann aber das Ensemble des Journalismus-Dramas „Spotlight“. Mit dem Sieg von „Der Rückkehrer“ gibt es nun also drei aussichtsreiche Kandidaten bei den Oscars. In den vergangenen 30 Jahren hat der von der DGA ausgezeichnete Regisseur in 25 Fällen auch den Oscar erhalten. SN, dpa, AFP