Im schiefen Winkel

„Hier ist Nummer sieben“, rief Xenias Mutter nach hinten, „wir .... vom Grundbuch für dieses Haus: Nummer 31!“, erklärte er ... zehn, siebzehn, fünfzehn, elf …“.
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Christine Well

Der geheime Zauberbund Roman für Kinder ab 10 Jahre

© 2012 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2012 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag, Berlin Coverbild: IStockPhoto: 19542583 Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0351-4

AAVAA Verlag www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt .

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Für meine Großeltern

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Im schiefen Winkel „Fahr langsamer, Papa, da rechts ist ein Straßenschild: Im schiefen Winkel. Wir sind da!“ Xenias Vater bog ab und fuhr, gefolgt von einem schwer beladenen Kleinlaster, in die Reihenhaussiedlung. „Ist das unser Haus?“ Vor Aufregung drückte Xenia ihre Nase fest gegen die Fensterscheibe. Nach langen acht Stunden Autofahrt war sie sehr ungeduldig. Sie konnte es kaum erwarten, ihr neues Zuhause zu sehen. Ein richtiges Haus, mit Garten und einem eigenen Kinderzimmer! „Hier ist Nummer sieben“, rief Xenias Mutter nach hinten, „wir wohnen im schiefen Winkel 31. Das ist direkt da vorn.“ „Endlich!“ Xenia klatschte in die Hände. „Wir sind da!“ Aufgeregt zerrte sie an ihrem Bruder. „Lukas, komm raus! Wir sind da! Das ist unser neues Zuhause!“ Xenias älterer Bruder Lukas saß betont gelangweilt neben ihr auf der Rückbank und stellte die Musik an seinem Mp3-Player lauter. Er wollte 4

nicht in eine andere Stadt ziehen und redete aus Frust mit niemandem mehr. Da in der Einfahrt bereits ein Wagen stand, parkte Xenias Vater das Auto hinter dem Möbellaster auf dem Bürgersteig. Xenia hüpfte fröhlich ins Freie, aber ihr Vater runzelte die Stirn. „Wer parkt sein Auto einfach direkt vor unserem Haus? So eine Frechheit!“ Auch der Fahrer des Lasters war ausgestiegen und deutete auf das fremde Auto. „Das muss hier weg! Wir wollen die Möbel ausladen!“ „Ja, ja“, sagte Xenias Vater, „das gehört bestimmt dem Makler. Wir sind zur Schlüsselübergabe verabredet.“ „So, Kinder“, rief Xenias Mutter und klatschte freudig in ihre Hände, „kommt beide her!“ Sie öffnete den Kofferraum. Er war komplett gefüllt mit Putzeimern, Lappen, Besen, Wischmopp, Gummihandschuhen und mehreren Flaschen unterschiedlicher Putzmittel. „Jeder ist für sein Zimmer selbst verantwortlich. Ich möchte, dass ihr gründlich fegt, bevor die Möbel kommen und dass ihr die aufgebauten

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Möbel auswischt, bevor ihr die Kartons auspackt. Zum Schluss wischen wir einmal überall durch!“ Lukas verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen das Auto. Xenia aber lief, bewaffnet mit Eimer, Lappen und Gummihandschuhen, gehorsam zur Haustür, wo ihr Vater stand und mit einem fremden Mann diskutierte. „31! Das ist die 31!“ Xenias Vater hatte einen roten Kopf und wedelte hektisch mit den Armen. Xenia wurde plötzlich nervös. So aufgeregt hatte sie ihren Vater noch nie gesehen! Irgendetwas stimmte hier nicht! „Ich habe einen Kaufvertrag“, sagte der fremde Mann. „Den habe ich auch“, brüllte Xenias Vater und drehte sich schnaufend um. „Schatz!“, rief er Xenias Mutter zu, die sich die Gummihandschuhe bereits übergezogen hatte, „wo ist der Karton mit den wichtigen Unterlagen?“ „Äh,“ überlegte sie verdutzt, „wo soll der schon sein? Im Umzugslaster natürlich! Wie alles, was wir besitzen. Was ist denn los?“

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„Was los ist?“, schnaufte Xenias Vater, „was los ist?“ Seine Stimme wurde immer höher, und er musste nach Luft schnappen. „Da wohnen irgendwelche Leute in unserem Haus und behaupten, es gehöre ihnen. Das ist los!“ „Was?“ Xenias Mutter wurde blass. Sie ließ vor Schreck sogar den Putzeimer fallen. „Ich suche jetzt erstmal den Kaufvertrag, und ich rufe den Makler an. Wenn es sein muss, auch die Polizei. Das lasse ich mir nicht bieten!“ Xenias Vater stampfte zum Umzugslaster und ließ sich von den Möbelpackern die Kartons herausholen. Unglücklicherweise waren sie ganz hinten. Nach kurzer Zeit stapelten sich unzählige Möbel kreuz und quer auf dem Gehweg – auch Xenias auseinandergebautes Bett und ihr weißer Kleiderschrank mit den Ponystickern. „Seid vorsichtig! Das wird doch alles dreckig hier draußen“, meckerte Xenias Mutter. In ihrem Eifer, den Schaden so weit wie möglich zu begrenzen, merkte sie nicht, wie eine kleine,

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schlanke Frau in einem eleganten Kostüm plötzlich neben ihr und Xenia stand. „Guten Tag, ich bin Sara Knaubert! Sie scheinen ja weit gereist zu sein. Möchten sie vielleicht etwas trinken?“, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln. Xenias Mutter schaute sie überrascht an. „Sie wohnen hier? In unserem Haus?“ „Im schiefen Winkel 31“, bestätigte Frau Knaubert. „Wir sind letzte Woche eingezogen. Uns wurde gesagt, ein Kaufinteressent sei kurzfristig abgesprungen. Das lässt sich alles bestimmt schnell aufklären. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gleiche Haus zweimal verkauft wurde.“ „Nun ja.“ Mama kräuselte die Stirn. „Hoffentlich nicht.“ Frau Knaubert schaute Xenia an. „Wie alt bist du denn?“ „Zwölf“, antwortete Xenia. „Zwölf!“, rief Frau Knaubert erfreut. „Meine Tochter Franziska auch! In welche Klasse gehst du denn?“ „In der neuen Schule komme ich in die 7c.“ „Wirklich!“, flötete Frau Knaubert. 8

Xenia versuchte, Frau Knaubert nicht zu mögen, weil sie einfach in Xenias Haus wohnte, aber es gelang ihr nicht recht. Frau Knaubert schaute so nett! „7c! Wie meine Franziska!“ Frau Knaubert drehte sich zum Haus. „Franziska, Franziska! Komm mal runter, Liebes!“ Nein, auch das noch! Xenia spürte, wie ihr Herz raste. Sie war müde, verschwitzt und überhaupt nicht darauf vorbereitet, ein fremdes Mädchen aus ihrer neuen Klasse kennenzulernen. Sie trug blöde Leggings, und ihre braunen Haare waren zu einem langweiligen Pferdeschwanz gebunden. Bestimmt fand Franziska sie jetzt total doof. Sie wollte sich am liebsten im Auto verstecken, doch da kam schon ein recht großes Mädchen in kurzen Jeans, mit fleckigem T-Shirt und zerzausten, lockigen Haaren auf sie zu. Sie stellte sich direkt vor Xenia, sagte aber nicht ein Wort, sondern rieb sich mit aufgerissenen Augen hüstelnd den Hals. „Geht es dir gut?“, fragte Xenia verwundert. „Ja“, keuchte Franziska, „ich habe nur einen Frosch im Hals!“ Plötzlich öffnete sie weit ihren 9

Mund und streckte Xenia ihre Zunge entgegen. Auf Franziskas Zunge saß ein kleiner brauner Frosch! „IHHHHHHH, MAMA!“, kreischte Xenia. Der Frosch saß ganz ruhig da und machte einen recht unbeteiligten Eindruck. „Quaaaaak!“, machte Franziska, so gut es mit einem Frosch auf der Zunge ging. Xenia wollte noch mal quietschen, da hörte sie schallendes Gelächter über ihrem Kopf. Es kam aus der ersten Etage. Dort saß ein Junge auf der Fensterbank und hielt sich vor Lachen den Bauch. „Super, einfach spitze, Franzi! Quak! Ich schmeiß mich weg!“ Franzi nahm den Frosch in ihre Hand und grinste zufrieden übers ganze Gesicht. Xenia war den Tränen nahe. Diese gemeine, blöde Ziege und ihr widerlicher Frosch! Sogar Lukas lachte. Dieser Blödmann! Wofür hatte man eigentlich einen großen Bruder, wenn er einen nicht einmal vor Fröschen beschützte? „Felix, bist du völlig des Wahnsinns?“, kreischte Frau Knaubert in einer Lautstärke, die Xenia der zierlichen Frau nie zugetraut hätte. „Komm so10

fort von der Fensterbank runter! Oder willst du dir das Genick brechen?“ Der Junge verschwand vom Fenster. Xenia atmete auf. Sie hasste es, ausgelacht zu werden. Steif wie ein Dummchen stand sie jedes Mal da, sogar zum Wegrennen zu feige. Dabei hatte sie so sehr gehofft, in der neuen Klasse würde alles anders laufen! Frau Knaubert schaute immer noch ziemlich wütend. „Jetzt reicht es endgültig, Franziska! Der arme Frosch! Der denkt, du willst ihn verschlucken. Ihr hattet eure letzte Verwarnung bereits. Wenn du nicht verantwortungsvoll damit umgehst, darfst du ihn auch nicht behalten. Ihr bringt das Tier noch heute zurück zum Bach!“ Franziska beachtete ihre Mutter nicht. Sie gab dem Fröschlein einen zarten Kuss und streckte ihre Faust, aus der ein kleiner Froschkopf schaute, Xenia entgegen. „Willst du Quaki mal streicheln?“ „Nein“, antwortete Xenia patzig. „Ich hoffe, ihr hattet euren Spaß, du und dein Bruder.“ „Ich und wer?“ Franziska schaute sie verwundert an. „Ach, Felix! Nein, das ist nicht mein 11

Bruder. Jedenfalls nicht so richtig. Aber ich kenne ihn schon, seit er ein Baby war. Seine Mama ist meine Tagesmutter.“ „Tagesmutter?“, fragte Xenia verwirrt. „Ja,“ antworte Franzi, „sie passt auf mich auf, wenn meine Eltern arbeiten.“ Triumphierend kam jetzt Herr Knaubert aus dem Haus gelaufen. „Hier habe ich den Kaufvertrag und eine Kopie vom Grundbuch für dieses Haus: Nummer 31!“, erklärte er und wedelte mit den Papieren herum. „Haha!“, lachte Xenias Vater aus dem Laster heraus, „hier ist es!“ Er war umringt von gestapelten Umzugskartons und zog aus einem davon einen Aktenordner. Hektisch blätterte er darin, bis er fündig wurde. „Da! Da ist er! Der Kaufvertrag! Hier steht es: „Im schiefen Winkel … äh, dreizehn? „Oh nein, Schatz. Das ist jetzt nicht wahr“, stöhnte Mama. „Super! Den Zahlenraum zwischen eins und hundert üben wir dann noch mal“, lachte Lukas und stieg grinsend zurück ins Auto.

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„Aber ich verstehe das nicht! Ich bin mir sicher, dass da 31 stand! 31!“ Xenias Vater blätterte die Seite immer wieder auf und zu und schaute jedes Mal ungläubig aufs Papier. „Dreizehn? Hier steht dreizehn! Das verstehe ich nicht. Wir haben das Haus hier doch auch im Rohbau besichtigt!“ „Bist du dir sicher, dass es genau das Haus hier war?“, fragte Mama. „Also, ich weiß es gar nicht mehr so genau. Die ganze Straße war eine einzige Baustelle, und außerdem sehen alle Häuser hier gleich aus.“ Papa blickte auf. „Weißt du was, Schatz, du hast recht. Jetzt beruhigen wir uns mal alle wieder. Dann nehmen wir halt das Haus Nummer dreizehn. Die sehen doch eh alle gleich aus.“ Er schloss den Karton wieder, murmelte zu den verwunderten Knauberts „'Tschuldigung“ und wies die Packer an, alles wieder in den Laster zu laden. Xenia setzte sich, ohne sich von Franziska zu verabschieden, genervt in das Auto zurück. Sie wollte endlich ankommen, endlich ihr Zimmer mit der neuen Tapete sehen. Sie hatte sich eine

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hellblaue Tapete mit galoppierenden Pferden ausgesucht. Diesmal fuhr Xenias Vater vorneweg und der Laster hinterher. Er grummelte vor sich hin, während Xenias Mutter nervös plapperte. „Also, ich finde, das ganze Neubaugebiet sieht ganz gut aus, jetzt, wo es fertig ist. Die Farben der Häuser gefallen mir. Genau richtig für Reihenhäuser, und die weiße Haustür passt gut dazu. Ist dir aufgefallen, dass viele gar kein Dachfenster haben?“ „Einundzwanzig“, las Xenia laut vor, „neunzehn, siebzehn, fünfzehn, elf …“ Papa bremste. „Was? Elf?“ „Tatsächlich“, sagte Mama, „an dem Haus steht fünfzehn und an dem daneben elf. Dreizehn gibt es nicht!“ „Aber Papa!“ Xenia wurde weinerlich. „Heißt das, wir müssen für immer im Auto wohnen?“ „Nee, das heißt, wir fahren wieder zurück nach Hause“, sagte Lukas. „Hoffentlich ist die Dreizehn nicht auf der anderen Straßenseite“, meinte Mama besorgt.

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Gegenüber dem dichten Wall aus Reihenhäusern standen große Wohnhäuser mit Balkonen aus Stahlgeländer. „Was?“, schnaufte Xenia, „wir kriegen gar kein Haus mit Garten, wieder nur so eine blöde Wohnung? Wofür ziehen wir dann überhaupt um in diese doofe Stadt? Ich will auch zurück nach Hause!“ „Ruhe jetzt!“, rief Xenias Papa, „man kann keine klaren Gedanken fassen bei dem Gequengel!“ Er atmete einmal tief durch. „Susanne, da kommt gerade jemand aus dem Haus Nummer fünfzehn. Frag einfach die Frau, wo die Dreizehn ist!“ Xenias Mutter drückte den Fensterheber. „Entschuldigung? Wir suchen die Nummer dreizehn! Haus Nummer dreizehn!“ Die Frau schob einen Kinderwagen. Sie stellte ihn ab und kam näher. „Nummer dreizehn? Sind Sie sicher?“ Sie zwinkerte neugierig mit den Augen. „Möchten Sie es mieten oder kaufen?“ „Wir haben es bereits gekauft“, erklärte Xenias Mutter überrumpelt. „Die Dreizehn müsste doch

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