Ideologie der Waffen-SS: Ideologische Mobilmachung der Waffen ...

SS-Panzer-Division Das Reich, sowie für. Ausbildungs- und Ersatzeinheiten an den Waffen-SS-Schulen im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, das der ...
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Florian Wolf-Roskosch

Ideologie der Waffen-SS Ideologische Mobilmachung der Waffen-SS 1942-45 disserta Verlag

Wolf-Roskosch, Florian: Ideologie der Waffen-SS: Ideologische Mobilmachung der Waffen-SS 1942-45, Hamburg, disserta Verlag, 2016 Buch-ISBN: 978-3-95425-692-1 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95425-693-8 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2016 Covermotiv: pixabay.com Covergestaltung: Rieke Heinze Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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,,Was die Beendigung und das Gewinnen des Krieges anlangt, so müssen wir insgesamt eine Erkenntnis in uns aufnehmen: Ein Krieg muss geistig, willensmäßig, seelisch gewonnen werden, dann ist die körperliche, leibliche, materielle Gewinnung nur eine Folgeerscheinung.“ (Reichsführer SS Heinrich Himmler in Posen, 04.10.1943)

Inhaltsverzeichnis I.

Einleitung

9

II.

Hauptteil

21

1.

Für ,,Rasse und Reich“: Weltanschauung als Waffe. 1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3. 1.1.4. 1.1.5. 1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.3. 1.3.1.

Wozu Weltanschauung? Über die ideologische Basis eines totalitären Projekts

2.1.1 1.3.2. 2.2 2.2.1 2.2.2

21

Hitlers Weltanschauung. Hitlers und Rosenbergs weltanschauliche Erziehungsgrundsätze Rosenbergs weltanschauliche Thesen Eine NS-Studie zur Wirkung der Weltanschauung Weltanschauliche Schulungsarbeit der NSDAP

21 27 29 32 34

Himmlers „germanischer Rassekrieger“. Reden im Schatten der Ostfront

37

Himmlers Weltbild Reichsführer SS an der Ostfront. Reden vor der Waffen-SS.

37 42

Schwarzer Orden und ,,Rote Weltgefahr“. Waffen-SS als Phalanx für Europa?

56

,,Ausrottung des Bolschewismus“ als Rettung Europas?

2. Weltanschauung für den politischen Soldaten. 1942-45. 2.1

21

56

Schulungsaktivitäten des SSHA

Lehrpläne und Richtlinien für Front und Führer I. SS-Schulung im Kriegsverlauf 1942/43 Winterkrise vor Moskau und ideologischer Gegenstoß 1942 Mobilisierung für den totalen Krieg 1943. Erziehungsarbeit nach Stalingrad Lehrpläne und Richtlinien für Front und Führer II. SS-Lektüre im Kriegsverlauf 1944/45 Militärische Defensive und weltanschauliche Offensive 1944 Zusammmenbruch 1945. Letzte Konzepte und Parolen

73 74 74 89 104 104 124

3.

Bilanz. Ideologische Schwerpunktbildungen und WE-Lehrpläne 1942-1945.

129

4.

Fallbeispiel: Esten in der Waffen-SS. Erziehung zu Treue und Fanatismus.

143

4.1

Estland im deutschen Machtbereich. Rekrutierungen für Himmlers ,,Ostkampf“.

143

4.2

Kampf bis zum Ende. Militärische Abwehr und ideologische Schulung 1944/45

161

III.

Synthese. Weltanschauliche Erziehung als ideologische Mobilmachung.

167

IV.

Abkürzungsverzeichnis

179

V.

Literaturverzeichnis

183

V.1

Einzeldarstellungen

183

V.2

Zeitschriften, Aufsätze

187

VI.

Lexika / Nachschlagewerke

189

VII.

Quellenverzeichnis

191

1.

Quelleneditionen

191

2.

Bundesarchiv

191

3.

Militärarchiv Prag / Kriegsarchiv der Waffen-SS (MHA Prag)

193

4.

Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz (SBB)

193

5.

Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin (UB)

196

6.

Sonstige Quellen / Internet

196

Dokumentenanhang mit Verzeichnis

197

IX.

I. Einleitung ,,Soldat sein, das ist eine Berufung. Wer sie hat, der kann sich ihr nicht entziehen, auch wenn er nur einen Arm, ein Auge oder ein Bein hat, dann kämpft er weiter. Und würde er selbst mit der Waffe nicht mehr weiterkämpfen können, so müßte er den Geist seine Waffe werden lassen und in geistiger Auseinandersetzung fechten, genau wie jeder von Euch verpflichtet ist, mit der Waffe und mit seinem Herzen zu kämpfen. (…) In beiden Fällen, mit der Waffe und dem Herzen, dürft ihr niemals klein werden, niemals verzagen, sondern immer kämpfen.“

1

Diese Worte sprach Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, anlässlich der Verleihung des Ärmelstreifens ,,Götz von Berlichingen“ an die 17. SS-Pz.Gren.-Div. am 10.04.1944 in Thouars. Die vorliegende Arbeit verfolgt als eines ihrer wesentlichen Ziele, die von Himmler viel beschworene geistige Auseinandersetzung, die der Nationalsozialismus zu führen habe, inhaltlich näher zu bestimmen und ihre Relevanz für die Gewaltpraxis einer ideologischen Elite aufzuzeigen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage, inwiefern die weltanschauliche Begründung einer Diktatur für Radikalisierungstendenzen innerhalb der Praxis ihrer Deutungs- und Machteliten in ursächlich-begründender Hinsicht (Sinnstiftung / Legitimation) bzw. als methodisch-operatives Machtmittel (Indoktrination / Fanatisierung) verantwortlich gemacht werden kann. Das Projekt der nationalsozialistischen ,,Volksgemeinschaft“, welches sich bei Himmler zur ,,Blutsgemeinschaft“ auswuchs, das ganze Organisationswesen der NSDAP mit seinen Vereinen und Blockwarten, darunter ,,SA“, ,,deutsche Arbeitsfront“, ,,NS-Lehrerbund“ und ,,Kraft-durch-Freude e.V.“, sowie das Programm eines Propagandaministers Dr. Joseph Goebbels für eine verbindliche Sprachregelung in Presse, Film und öffentlichem Leben erscheinen als der Versuch, ein ganzes Volk zu einer neuen weltanschaulichen Grundhaltung zu erziehen - als eine Form von ,,Erziehungsdiktatur“. Die Revision des ,,Schandfriedens“ von Versailles, die ,,Gleichschaltung“ sämtlicher Verbände und Vereine unter Führung der NSDAP, die Durchsetzung des ,,Führerprinzips“ in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen, der Primat der Gemeinschaft - sinnhaft verdichtet in der Parole ,,Du bist nichts, Dein Volk ist alles“ - eine Volksgemeinschaft, die sich durch ,,Arisierung“ jüdischen Vermögens bereicherte und nach den Nürnberger Rassegesetzen volle Bürgerrechte nur an Deutsche mit ,,Ariernachweis“ verlieh - eine solche Gemeinschaft produzierte zwangsläufig Ausgestoßene und belohnte Mitläufer- und Denunziantentum. Der Analyse vom nationalsozialistischen ,,Doppelstaat“ des Politologen Ernst Fraenkel folgend, galt für die deutsche 9

Mehrheit der grundsätzlich kapitalistisch eingerichtete ,,Normenstaat“, während gegen die verfolgten Minderheiten der durchideologisierte ,,Maßnahmenstaat“ zum Einsatz kam. Ein solches sozialrevolutionäres Projekt, dessen Rechtssystem eine Massenmanipulation durch angedrohten bzw. exekutierten Terror verfolgte, wie es bereits Franz Neumann in seiner Studie ,,Behemoth“ beschreibt, und das eine rassenpolitisch motivierte ,,Auslese“ der Bevölkerung vornahm, wobei es in seiner Ideologie moderne mit voraufgeklärten Elementen und einen jahrhundertelangen Diskurs um Volk und Reich mit antisemitischen und rassischbiologistischen Argumentationen verband, hielt ein großes Reservoir an Deutungen bereit, die sich ungehindert der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte eines 80-Millionen-Volkes bedienen

konnten.

Der

Krieg

sollte

dieses

Projekt

in

Form

eines

deutschen

,,Rasseimperialismus“ nach ganz Europa tragen. Untersucht wird anhand der weltanschaulichen Erziehung (WE) in der Waffen-SS, ob die ideologische Dimension des nationalsozialistischen Projekts unter den Bedingungen existentieller Krisen während der zweiten Kriegshälfte den SS-Eliten als ein probates Mittel erschien, als zentraler Motor von Fanatismus, Vernichtungs- und Durchhaltewillen zu fungieren, und falls ja, welche Semantiken und Feindbilder dabei vorherrschten. Hierfür bietet sich der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion an, in dessen Verlauf die meisten Opfer an Menschen auf dem europäischen Kriegsschauplatz während des Zweiten Weltkriegs zu beklagen waren, und der unter großen Verlusten auf beiden Seiten bis zuletzt ausgefochten wurde. Ungefähr dreieinhalb Millionen deutsche Soldaten sind an der Ostfront gefallen, erfroren oder verhungert, über zehn Millionen Rotarmisten gefallen bzw. vermisst, Millionen Zivilisten sind verhungert oder wurden ermordet. Hitlers Krieg im Osten brachte millionenfaches Leid über Juden, Polen, Russen, Ukrainer, Sinti und Roma (u.a.). Laut Wolfgang Benz (Enzyklopädie des Nat.Soz.; 1998) wurden zwei Millionen Juden aus der Sowjetunion vergast oder erschossen; die Shoah brachte insgesamt sechs Millionen Juden den Tod. Am Ende fiel die Aggression und Hybris eines kolonisatorischen Projekts auf das deutsche Volk zurück, dessen Eliten unter aktiver Mithilfe oder Duldung der eigenen Bevölkerung sowie anderer Nationen eine Diktatur der ,,deutschen Herrenrasse“ über Europa durch Umsiedlung bzw. Tötung ,,rassisch Minderwertiger“ umzusetzen getrachtet hatten. Himmlers schwarzer Orden, die nationalsozialistische Schutzstaffel (SS) und der Sicherheitsdienst der SS (SD), zeichnete sich dabei durch besondere Gewaltbereitschaft und Brutalität aus. Die Einsatzgruppen des SD und der Ordnungs- und Sicherheitspolizei haben bisher im Fokus der Forschungen zu Judenvernichtung und Völkermord im Rahmen der ,,Endlösung“ 10

gestanden. Die vorliegende Arbeit rückt nun die Verbände der Waffen-SS als ,,Himmlers Rassekrieger“ in den Fokus, die für ihren Führer Adolf Hitler, dem sie Treue bis in den Tod geschworen hatten, das ,,germanische Reich deutscher Nation“ erkämpfen sollten. Einen Schwerpunkt in der Quellenarbeit soll dabei der ,,jüdische Bolschewismus“ als vielbeschworener Todfeind bilden. Es soll hier nicht um die Auswertung von Vernichtungs- oder Kriegstagebüchern der SS-Divisionen bzw. Aktenverläufen zur Organisation der Massenmorde, sondern um die dahinter stehende weltanschauliche Begründung der tausendfach befohlenen Maßnahmen gehen, bei denen Wehrmacht, SS, Polizei und Soldaten der WaffenSS als Täter Schuld auf sich luden. Militärisch gesehen stand für zwei lange Jahre von 1941-43 allein das Riesenreich unter Joseph Stalin und der KPdSU Hitlers Ambitionen eines deutsch beherrschten Kontinentaleuropas entgegen und bewirkte durch sein großes Menschen- und Rüstungspotential eine zunehmende Verzettelung der deutschen Kräfte angesichts der neu hinzugekommenen Fronten. Der Fall ,,Barbarossa“, der am 22. Juni 1941 mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion begonnen hatte, leitete den vom Deutschen Reich angeführten ,,Kreuzzug gegen den jüdischen Bolschewismus“ ein, an dem sich auch Angehörige osteuropäischer Völker beteiligten, und der bis heute die Beziehungen dieser Staaten zu Russland belastet und – nicht zuletzt durch die Erfahrung der sowjetischen Besatzung während des Kalten Krieges - die bereits vorhandene antirussische Einstellung noch verschärfte. Eine zu überprüfende Hypothese besagt, dass der ,,jüdische Bolschewismus“ bis Kriegsende das Kernstück des nationalsozialistischen Feindbildes ausmachte und die ,,westlichen Plutokratien“ England und - ab 1942 - die Vereinigten Staaten von Amerika ein weiteres zentrales Feindbild darstellten. Das ,,Volksreich Adolf Hitlers“ bzw. ,,Großdeutsche Reich“ unter Einschluss Österreichs hätte nach Ausbruch des Krieges im Herbst 1939, der zunächst auf den Krieg mit Polen, England und Frankreich begrenzt blieb, durch einen deutschen Sieg im Sommer 1940 bzw. bei einem Einlenken Englands - unter Anerkennung des status quo - nicht zwangsläufig in einen Weltkrieg münden müssen. Gleichwohl stand Hitlers Plan eines gewaltsamen Hinaus-schiebens der deutschen Ostgrenze zur Sicherung von ,,Lebensraum im Osten“ fest, vorformuliert in seinem Buch Mein Kampf. Frankreich war im Juni 1940 geschlagen und als Gegner ausgefallen. England war geschwächt und konnte sich lediglich im Luftkrieg und in Nordafrika engagieren, indem es 1942 Rommels Vorstoß nach Ägypten und in den Nahen Osten unterband. Doch erst mit amerikanischer Hilfe (US-Kriegseintritt: 8.12.41) konnte es das Afrikakorps schlagen und im Juli 1943 die Südfront in Italien und im Juni 1944 die Front im Westen eröffnen. Die Hauptlast des Kampfes gegen Hitler11

Deutschland aber trug die Rote Armee. Sie brachte der Wehrmacht und der Waffen-SS im Winter 1941/42 vor Moskau, 1942/43 in Stalingrad, 1943 bei Kursk und im Sommer 1944 bei der Heeresgruppe Mitte vernichtende Niederlagen bei, die maßgeblich zur Zerstörung des ,,Nimbus der Unbesiegbarkeit“ und zur deutschen Kapitulation am 7. und 8. Mai 1945 führten. Der Zeitraum 1942-1945 bietet sich exemplarisch an, um die Wechselwirkung von militärischer Krise und weltanschaulicher Erziehung in der Waffen-SS näher zu untersuchen. Hierzu werden Divisionsakten einzelner SS-Einheiten sowie Unterrichtsmaterial und Lehrpläne des SS-Schulungsamtes, angesiedelt im SS-Hauptamt (SSHA) unter Obergruppenführer Gottlob Berger, einer Analyse unterzogen, wodurch die Möglichkeit eröffnet wird, anhand von Originalquellen fundierte Aussagen über die Bedeutung und Dimension der ideologischen Indoktrination hinsichtlich der Kampfmoral und weltanschaulichen Durchdringung der kämpfenden bzw. in Ausbildung befindlichen Truppe gewinnen zu können. Während im Untersuchungszeitraum für die Rekrutierung und Frontschulung der SS-Divisionen die Zuständigkeit beim SS-Hauptamt lag, zeichnete das SSFührungshauptamt (SSFHA) unter Obergruppenführer Hans Jüttner für die Ausbildung der Ersatzeinheiten sowie für militärische Ausbildung und Einsatz der Fronttruppe verantwortlich. Die Kontakte zwischen Bergers Schulungsamt und der SS-Truppe wurden über die ,,Dienststelle für weltanschauliche Erziehung“ (Abt.VI) im SSFHA abgewickelt, was immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten und Reibungen zwischen beiden Ämtern führte. Für die Quellenbasis der Arbeit wurden im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BA) v.a. die Bestände des Schulungsamtes im SS-Hauptamt (BA/NS 31 u. NSD 41) von Mikrofilm kopiert. Als Hypothese, die in diesem Zusammenhang hier aufgestellt und im weiteren überprüft wird, sei angeführt, dass Bergers Hauptamt im Verbund mit dem SSFHA eine weltanschauliche Mobilmachung betrieb, die besonders in Zeiten militärischer Krise den Soldaten der Waffen-SS in ideologisch vertiefender Weise zu einem fanatischen Kämpfer der nationalsozialistischen Idee erziehen sollte, der, von der Richtigkeit seines Einsatzes unerschütterlich überzeugt, seinen Eid ,,Meine Ehre heißt Treue“ über jede Entbehrung und jedes Opfer stellen würde. Die Überprüfung dieser These einer ,,zweiten Mobilmachung“ der Waffen-SS auf weltanschaulichem Gebiet, die ihr Analogon in der ,,wehrgeistigen Erziehung“ der Wehrmacht hat, stellt ein wesentliches Anliegen dieser Arbeit dar. Der methodische Ansatz sieht vor, neben den Lehrplänen und Richtlinien des SSHA 12

vor allem die als Unterrichtsmaterial dienenden amtlichen Druckschriften des Schulungsamtes im Hinblick auf wiederkehrende Topoi bzw. Selbst- und Feindbilder zu analysieren. Herausgeber der amtlichen Broschüren war der Reichsführer SS (RFSS) bzw. das ihm unterstellte SS-Hauptamt. Die Überlieferung der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) ist trotz einiger Kriegsverluste überraschend gut. Daneben sind im Bundesarchiv die SSLeithefte, das offizielle Schulungsorgan der SS, sowie das ,,Schwarze Korps“, das Organ der Reichsführung SS, überliefert. Anhand des Schulungsmaterials soll nachvollzogen werden, welche Elemente der Weltanschauung konstant blieben, und welche sich offen für Akzentuierungen, nachträgliche Bearbeitungen und Deutungsverschiebungen zeigten. Für den Inhalt und Stellenwert der weltanschaulichen Erziehung innerhalb des Ausbildungsplanes der Einheiten dürfte, so eine weitere Hypothese, die Erfahrung mit der Roten Armee und die zunehmend dramatische Lage an der Ostfront von maßgebender und prägender Bedeutung gewesen sein. Es soll untersucht werden, ob ein modifizierter weltanschaulicher Ansatz daraus resultierte, der grundsätzlich geeignet war, stabilisierend auf die Motivation der Kriegsakteure (SS-Männer) zurückzuwirken. Der konkrete Nachweis einer solchen Wirkung der WE müsste jedoch einer größeren Studie vorbehalten bleiben (u.a. einer Analyse von Feldpostbriefen der Waffen-SS). Sofern die SS-Führer mittels der WE systemgefährdende Handlungsspielräume der ihnen unterstellten Einheiten (z.B. Befehls-verweigerung, Desertieren, Selbstverstümmlung) tatsächlich auf systemstabilisierende Handlungs-weisen einengen konnten (hin zu Opferbereitschaft, Todesverachtung, Fanatismus etc.), wäre die Weltanschauung im Sinne einer ,,mentalen Waffe“ eine äußerst erfolgreiche, kriegs-verlängernde Maßnahme gewesen. Ähnliche Wirkungen hätten dann vermutlich auch für andere extreme Situationen wie angeordnete Massenerschießungen oder Partisanenjagden gegolten. Neben Befehlskette und Gruppendruck müsste dann ein weiterer maßgeblicher Faktor stärkere Beachtung finden: die persönliche Überzeugung. Folgende Fragen sind daher von Interesse: Wie organisiert man Gefolgschaft unter den Bedingungen existentieller Krisen und omnipräsenter Gewalt? Welche Formen ideologischer Indoktrination kommen zum Einsatz? Wie verhalten sich die Inhalte zur aktuellen militärischen und politischen Situation? Lässt sich Gewalt durch Rationalisierung dauerhaft etablieren? Wie erfolgt die Motivierung der Akteure? Welche Legitimierungen erfährt der Massenmord an den europäischen Juden in der WE-Arbeit? Mit der weltanschaulichen Schulung der Truppe waren seit 1940 die Kompaniechefs, und z.T. auch Bataillonskommandeure betraut, weshalb die Unterführer-Ausbildung bei der Schulung 13

der Waffen-SS eine zentrale Rolle spielte. Daneben gab es von Regimentsebene an aufwärts sog. ,,Weltanschauliche Erziehungsführer“ (WE-Führer), die den Kompaniechefs zuarbeiteten bzw. das Schulungsmaterial an die Mannschaften weitergaben; sie waren zugleich Führer der für weltanschauliche Fragen zuständigen Abteilung VI a. Ausbildungspläne, Schulungsmaterial, aber auch Maßnahmen zur Truppenbetreuung u.a. für die ,,germanischen Freiwilligen“, finden sich in den überlieferten Aktenbeständen der Abt. VI. Diesbezüglich wurden für die vorliegende Arbeit Bestände des Vojensý ústrední archiv / Militärhistorisches Archiv Prag (MHA) gesichtet, welches das ehemalige Kriegsarchiv der Waffen-SS beherbergt und erst seit 1991 zugänglich ist. Dort zeigte sich zwar eine durch Kriegsschäden und verluste beeinträchtigte, lückenhafte Überlieferungs-situation, die jedoch für einige SSEinheiten ungewöhnlich gut war, darunter für die 2. SS-Panzer-Division Das Reich, sowie für Ausbildungs- und Ersatzeinheiten an den Waffen-SS-Schulen im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, das der Waffen-SS als Truppenübungsplatz diente. Das Material selbst war äußerst fragil, die Papierqualität schlecht und die Typoskripte oft nur als Abschriften oder Durchschläge erhalten; dennoch konnte eine größere Anzahl aufschlussreicher, bisher von der Forschung nicht ausgewerteter Dokumente mithilfe der deutsch-tschechischen Findbücher ausfindig gemacht werden. Hier fanden sich auch Schriftgutreste zur 20. Waffen-GrenadierDivision der Waffen-SS (estn. Nr.1), die bisher nicht veröffentlicht sind. Einige Akten aus Prag sind in Kopie dem Dokumentenanhang beigegeben. Die vorliegende Arbeit ist primär als Quellenstudie angelegt und verfolgt unter Einbeziehung relevanter Sekundärliteratur einen ideengeschichtlich orientierten, hermeneutisch-interpretativen Ansatz. Wie die vorangehenden Ausführungen erkennen lassen, wird vom Verfasser dieser Arbeit der politischen Ideengeschichte, verstanden als Motivationshintergrund für soziale Bewegungen bzw. für Großprojekte gesellschaftlicher Eliten, im Falle des Nationalsozialismus hinsichtlich seiner weltanschaulichen Indoktrination - neben der allgemein gesellschaftlich wirkenden - eine ,,kriegsorganisatorische“ Rolle beigemessen, und zwar insbesondere bezüglich der zunehmend dringlicher werdenden Notwendigkeit weltanschaulicher Begründungen der maßgeblichen Akteure (bezogen auf die WaffenSS v.a. Himmler, Berger, Jüttner) im Hinblick auf Massenmord, Kriegsführung und Nachwuchsgewinnung. Ein solcher Ansatz erscheint gut geeignet, zur Erklärung ideologisch-politischer Radikalisierungstendenzen innerhalb der deutschen Führung im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges beizutragen. Andere Erklärungsansätze des mit unbarmherzigen Mitteln geführten Krieges gegen die Sowjetunion, der keine Haager Landkriegsordnung und kein internationales Völkerrecht gelten ließ, reflektieren stark die militär14

strategischen Zielsetzungen bzw. kriegsökonomischen Erwägungen bei der Schaffung neuen deutschen Lebensraumes im Osten, dem die Weite des Raumes und die 200-MillionenBevölkerung des Vielvölkerstaates im Wege waren. Weitere stellen bisweilen Hitlers Projekt der Juden-vernichtung als das eigentliche Kriegsziel heraus, dem nach Scheitern des Blitzkriegskonzepts vor Moskau und bei absehbarer Niederlage seit 1942/43 die Ostfront nunmehr, zugespitzt formuliert, als ,,Schutzschirm für Auschwitz“ dienen sollte. Hierbei kam es vor, dass der utopischen Dimension der nationalsozialistischen Idee von ,,Rasse und Reich“ als einem politisch-ideologischen Projekt für die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Jüngere Forschungen zur weltanschaulichen Truppe der SS, die sich deutlich von der früheren Memoirenliteratur ehemaliger Angehöriger abhoben, haben sich - ganz im Sinne des hiesigen Untersuchungsansatzes - der ideologischen Dimension des Krieges weiter geöffnet, v.a. Bernd Wegners Studie Hitlers Politische Soldaten. Die Waffen-SS 1933-1945. (4.Aufl., 1990) sowie Jürgen Matthäus` (u.a.) Publikation Ausbildungsziel Judenmord? (2003) zur Bedeutung der WE in SS und Polizei. Für das weite Feld ideengeschichtlicher Zugänge seien stellvertretend genannt: Josef Ackermanns Studie Heinrich Himmler als Ideologe (1970), ClausEkkegard Bärschs Die Politische Religion des Nationalsozialismus (1998), Richard Breitmans Der Architekt der Endlösung (1996), Christopher R. Brownings Ganz normale Männer (1993), Martin Cüppers Wegbereiter der Shoah (2005), Jürgen Elverts Mitteleuropa! Deutsche Pläne zur europäischen Neuordnung 1918-1945 (1999), Hans-Jochen Gamms Pädagogik des Nationalsozialismus (1964), Christian Gerlachs Durchschnittstäter. Handeln und Motivation. (2000), Erich Goldhagens Aufsatz Weltanschauung und Endlösung in der VfZG 24 (1976), Andreas Hillgrubers Aufsatz in der VfZG 20 (1972) zum rassenideologischen NSProgramm, Eberhard Jäckels Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft (1981), Frank-Lothar Krolls Utopie als Ideologie (1998), Peter Longerichs Biographie über Heinrich Himmler (2008), Rolf-Dieter Müllers Studien Hitlers Ostpolitik und die deutsche Siedlungspolitik (1991) u. Hitlers ausländische Helfer beim ,,Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ (2007), Hans Werner Neulens Eurofaschismus und der Zweite Weltkrieg (1980), Gerhard Pauls Die Täter der Shoah (2002), Ernst Pipers Studie zu Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe (2005), Michael Salewskis Aufsatz Geschichte als Waffe (1985), die Quellenedition Heinrich Himmler. Geheimreden 1933-45 von Smith/Peterson (1974) sowie Michael Wildts Studien Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes. (2002) u. Nachrichtendienst, politische Elite und Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS. (2003). 15

Diesem Ansatz folgend besagt eine weitere Hypothese, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersucht wird, dass der Nationalsozialismus als ,,weltanschauliches Großprojekt“ in seiner ultimativen Zielsetzung weit mehr als militärische Expansion und Vernichtung der europäischen Juden beinhaltete, nämlich die Schaffung einer ,,germanischen Elite“ für ganz Europa. Dies soll anhand von Himmlers Reden vor Einheiten der Waffen-SS und SS-Führern, die in den Akten Persönlicher Stab Reichsführer SS im Bundesarchiv Berlin dokumentiert sind, exemplarisch nachgewiesen werden. Auf diese Weise kann auch der hohe Legitimationsbedarf ,,radikaler Lösungen“ nachvollzogen werden. Himmler nannte die Judenvernichtung lapidar eine ,,Sache der Reinlichkeit“. Als RFSS forcierte er die Erneuerung des Reichsgedankens auf biologisch-rassischer Grundlage in Form eines ,,großgermanischen Reiches“, die Bindung ,,germanischer“ Völker an den ,,Blutkreislauf des Reiches“, das ,,Ausscheiden artfremden Bluts“, die Versklavung des ,,slawischen Untermenschen“ etc. Der Reichsgedanke, der seit dem Ende des Alten Reiches anno 1806 ein politisches Refugium konservativer Kreise gewesen war, spielte bei den rechtsgerichteten Parteien der Weimarer Republik eine gewichtige Rolle. Er wurde mit der Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 quasi zur neuen Staatsdoktrin erhoben und erhielt mit dem ,,Blutgedanken“ der Schutzstaffel jene rassepolitischen Zielsetzungen, die sich im ,,Generalplan Ost“ von 1942 widerspiegeln, der für die Politik von Partei und SS in den besetzten Ostgebieten zu einer Anleitung für bevölkerungspolitische Maßnahmen brutalster Art wurde. In diesem Zusammenhang muss der ,,Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ erwähnt werden, an dem sich namhafte Historiker, Politologen, Juristen und Ökonomen des Großdeutschen Reiches beteiligten, u.a. im ,,Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“ und im ,,Ahnenerbe e.V.“ der SS. Die Einbeziehung dieser Diskurse würde jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Die WE-Schulung der NSDAP soll nur insoweit ergänzend thematisiert werden, als sie für die WE der Waffen-SS als aufschlussreich erscheint; zu nennen wäre hier die Dienststelle Alfred Rosenberg (DBFU). Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS (RuSHA) sowie die vom SSHA mitherausgegebene Schriftenreihe der Ordnungspolizei stoßen als Schulungsinstanzen hinzu. Ferner empfiehlt sich ein Blick in Hitlers Mein Kampf und Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts. Die Tatsache, dass im Verlaufe des Krieges zunehmend ausländische Truppen (,,germanische“ und ,,fremdvölkische“ Einheiten) geworben und in den Verbänden von Wehrmacht und SS im Kampf gegen die Rote Armee sowie zur Partisanenbekämpfung und 16

Judenvernichtung eingesetzt wurden, ließ - kriegsbedingt – auch eine Modifikation ideologischer Argumentationen notwendig werden. Während zu Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion v.a. ,,Volksdeutsche“ vom Balkan und ,,germanische Freiwillige“ aus Nord- und Westeuropa geworben wurden, veranlassten die großen Verluste an Mannschaften und Unteroffizieren die verantwortlichen Akteure bei Heer und Waffen-SS dazu, verstärkt auch osteuropäische Völker zu werben, darunter Esten, Letten, Litauer, Ukrainer und Kosaken. Sogar Russen, denen als Kriegsgefangenen auf sowjetischer Seite der Gulag drohte, wurden als Teil der ,,Russischen Befreiungsarmee“ (ROA) ab Ende 1944 unter General Wlassow eingesetzt. In Einheiten der Waffen-SS dienten ferner Moslems vom Balkan und aus der Sowjetunion. Ein osttürkischer und ein kaukasischer Waffenverband der Waffen-SS wurden ebenfalls gegen Kriegsende auf Befehl Himmlers gebildet und teilweise eingesetzt. In einem Fallbeispiel soll anhand der estnischen 20. SS-Waffen-Grenadier-Division untersucht werden, inwieweit das Konzept einer ,,europäischen Abwehrfront“ unter ideologischer Führung der SS bei der weltanschaulichen Schulung nichtdeutscher Einheiten eine Rolle spielte, und ob es den Ideologen möglich war, ein baltisches Volk für den Kampf gegen die Rote Armee zu gewinnen, ohne das SS-eigene Rassekonzept vom ,,kämpfenden Blutsorden nordisch bestimmter Männer“ grundsätzlich in Frage stellen zu müssen. Die Akten aus Prag (MHA) dokumentieren, unter welchen SS-Parolen die Esten bis zuletzt einen aussichtslosen Kampf fochten. Dabei müssen Argumentationsmuster und Richtlinien seitens der SS-Führung, Propagandamaterialien für die Feldeinheiten sowie Semantiken bezüglich eines ,,europäischen Freiheitskampfes“ besondere Beachtung finden. An der Ernsthaftigkeit eines paneuropäischen Projekts, welches die deutsche Dominanz auf dem Kontinent relativiert und die Nationalismen der kleineren Völker gestärkt hätte, lassen sich nicht zuletzt durch Äußerungen Hitlers, Bergers und Himmlers berechtigt erscheinende Zweifel anbringen. In diesem Zusammenhang sollen auch pangermanische Konzepte der Waffen-SS analysiert werden. Als weitere Hypothese wird formuliert, dass die drohende Niederlage an der Ostfront zwar bei der deutschen Führung Anlass für neue Konzepte zur Behandlung von ,,germanischen“ bzw. ,,fremdvölkischen“ Angehörigen der Waffen-SS, wie auch der ,,Ostvölker“ im Allgemeinen gab, diese jedoch nur solche Rücksichtnahmen zuließen, die letztlich mit dem NS-Rassekonzept vereinbar waren. Taktische Volten in der Erziehungsarbeit durften, so wird hier postuliert, niemals die Grundlagen der nationalsozialistischen Weltanschauung in Frage stellen. Das von Hitler anlässlich der Errichtung des Protek17