Ich hatte immer einen inneren Abstand - Horizont.at

die selben Erträge auf die Bank tragen kann, dann wird man nicht in ein Medium ... ich mitbekomme, viele gute junge Journalisten in Österreich. Aber ich halte die ... zess war in Deutschland ein qualitativ ungleich härterer. Man muss sich nur ...
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„Ich hatte immer einen inneren Abstand“ Klaus Stimeder, Gründer der Monatszeitschrift Datum, lebt und arbeitet als JM Stim in New York. Bestseller traf ihn dort zu einem Gespräch über die Wiener Blase und Lebenskrisen. Interview von Philipp Wilhelmer Bestseller: Ist man als Autor derzeit besser aufgehoben als im ­Journalismus, der ja nicht so recht aus der Krise kommt? Klaus Stimeder Es gibt keine Krise des Journalismus. Was es gibt, ist eine Krise der verlegerischen Geschäftsmodelle des 20. Jahrhunderts.

Eben – es gibt noch kein Geschäftsmodell des 21. Jahrhunderts. Stimeder Was es noch nicht gibt, ist das Geschäftsmodell des 21. Jahrhunderts. In den großen Medienhäusern der USA passiert seit Langem, was in Zeiten der Veränderung immer passiert: Die klugen Leute dort schauen sich die vielen neuen Modelle, die ­gerade ­entwickelt und erprobt werden, genau an. Dann geht es nur mehr um die Frage des Zeitpunkts des Einstiegs und des langen Atems. Diese Strategie konterkariert, zumindest was meine Erfah­ rung ­angeht, so ziemlich alles, was die meisten europäischen ­Medienhäuser derzeit treiben. Ein klassisches Investorenproblem. Wenn man das Geld für ­die­selben Erträge auf die Bank tragen kann, dann wird man nicht in ein Medium investieren. Stimeder Diese Sichtweise ist so kleinkariert wie idiotisch. In Öster­ reich wie überall anderswo auf der Welt wurden und werden heute Medienprodukte geschaffen, die nicht nur nachhaltig Bestand ­haben, sondern auch kommerziell erfolgreich sind. Nur halt nicht in dem Ausmaß, wie es sich jene Verlagsmanager vorstellen, die noch in der Steinzeit leben wollen. Sie haben sich der Wiener Blase stets in der Außensicht genähert, sagen Sie. Wie manifestiert sich diese Blase denn? Stimeder Im bekannten Widerspruch zwischen Verfassung und ­Realverfassung, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn. ­Alles, was in Österreich formal festgeschrieben ist, hat kaum damit zu tun, was passiert. Was viele Journalisten meiner Beobachtung nach aus den Augen verloren haben, sind die rechtsstaatlichen Grundlagen der Demokratie, die im politischen wie im medialen Diskurs praktisch keine Rolle spielen. Es gibt keinerlei Spielregeln und Maßstäbe, nichts, worauf man sich berufen kann. Und wenn es diese Maßstäbe gibt, sind die auch wurscht, weil ihre Missach­ tung nicht so sanktioniert wird, dass es wehtut. Sind Sie eigentlich zufrieden mit der jungen Journalistengeneration? Stimeder Ich lebe seit gut vier Jahren im Ausland, dementsprechend kann ich diese Frage nur basierend auf jenen Erfahrungen beant­ worten, die ich bis 2009 gemacht habe. Es gibt, nach allem, was ich mitbekomme, viele gute junge Journalisten in Österreich. Aber ich halte die institutionalisierte Journalistenausbildung, die es dort seit knapp einem Jahrzehnt gibt, für restlos gescheitert.

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Warum? Ein hoher Grad an Ausbildung ist doch begrüßenswert. Stimeder Nachdem gerade das Datum von diesen Hochschulen in Sachen Nachwuchs enorm profitiert hat, mag das vordergründig einen Widerspruch darstellen. Aber eben nur vordergründig. Die Mehrheit der Absol­ venten dieser Hochschulen bildet reines Quotenvieh, das einzig dazu dient, den ­Status quo zu legitimieren und damit zu ­erhalten. Wer aber den Status quo der öster­ reichischen Medienlandschaft nicht bekla­ genswert findet, ist in meinen Augen ein ­ignoranter Idiot oder, noch schlimmer, ein Opportunist. Der einzige Sinn dieser Buden scheint mir heute in ihrer Funktion als ­Blasenmultiplikator zu bestehen, Motto: Dort lernt man die Leute kennen, die einem später Jobs geben. Ist das mit der viel zitierten Blase nicht auch ein intellektuelles Problem? Stimeder Es gibt dieses Zitat von Gerd ­Bacher, der in den Sechzigerjahren einmal sinngemäß gesagt hat: „Das Problem in ­Österreich ist nicht nur, dass sich unter je­ nen 300.000 Leuten, die von den Nazis ver­ trieben oder getötet wurden, alle befanden, die schreiben konnten; sondern dass darun­ ter auch alle die waren, die lesen konnten.“ Nach 1945 ist nahezu alles weg gewesen, was in diesem kleinen Land an intellektu­ eller Substanz nach dem Ersten Weltkrieg noch vorhanden war. Wir reden nicht nur über jüdische Journalisten, Schriftsteller und Künstler, sondern vom gesamten geisti­ gen Unter- und Überbau. Die Mehrheit der Figuren, die nach 1945 übrig blieben, und jene, die ihnen in den Jahrzehnten darauf nachfolgten, haben ihre eigenen Bezugs­ systeme institutionalisiert, und dementspre­ chend schaut es bis heute mit der geistigen Kapazität der Leute aus, die innerhalb ­dieser Medienkultur groß wurden.

Bestseller 9|10 2012

Klaus Stimeder:

„Institutionalisierte Journalistenausbildung restlos gescheitert.“ Fotografiert von Philipp Wilhelmer

Hier ist Berlin erschien im Verlag Rokko’s Adventures und ist ein Essay über eine der spannendsten Städte der Gegenwart, entstanden in der Tradition des Flaneurs: Stimeder stieg an den Endstationen der S-Bahnen aus, marschierte heim und schrieb auf. Entstanden ist eine spannende ­Abhandlung über das Wesen der ehemals gespaltenen Stadt. ISBN 978-3-200-02476-2

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Aber warum nicht auch in Deutschland? Dort leidet man ­offenkundig nicht an einem solchen Mangel. Stimeder Die Deutschen hatten das Glück, dass sie nach 1945 geschunden worden sind. Der Entnazifizierungspro­ zess war in Deutschland ein qualitativ ungleich härterer. Man muss sich nur die Gründungsdaten der deutschen Qualitätsmedien anschauen: Spiegel, Süddeutsche, FAZ, Zeit: ­alle unmittelbar in den Jahren nach 1945 gegründet ­beziehungsweise wieder gegründet. Österreich hat mit dem profil sein erstes unabhängiges Nachrichtenmagazin 1970 bekommen. Und eine liberale Tageszeitung? 1988!!! Und das gegründet vom gleichen Menschen? Es ist im Grunde genommen absurd. Welche Rolle spielt in der österreichischen Medienverfasstheit Ihrer Meinung nach der ORF? Stimeder Institutionen bestehen aus Individuen, und es ist offenbar Teil der österreichischen Mentalität, die Verant­ wortung auf die Institution abzuschieben, damit sich ja niemand der individuellen Verantwortung stellen muss. Es ist immer „der ORF“, „das News“, „der Fellner“. Aber der Punkt ist doch der: Jeder, der dort sitzt, egal in welcher Funktion, ist ein Systemerhalter. Dort einen Posten anzu­ nehmen mag im Einzelfall menschlich nachvollziehbar sein. Aber es hindert dich nicht daran, manche Sachen ­einfach nicht zu tun und manche Grenzen nicht zu ­überschreiten. Sich am Ende des Tages mit: „Ich kann ja nichts dafür, ich bin ja nur ein Rädchen im Getriebe“ rauszureden, heißt Verantwortung abzuwälzen.

„Nach sechs Jahren Aufbauarbeit war ich physisch und psychisch am Ende.“ Klaus Stimeder

War es schwierig, Ihre journalis­ tische Tätigkeit mit so einem ­rigorosen Mindset auch seelisch durchzustehen? Stimeder Für mich war es das defini­ tiv nicht. Wobei: Nein, das stimmt nicht. Ich habe mich selber ruiniert. Inwiefern? Stimeder Ich habe über einen langen Zeitraum meine Grenzen überschrit­ ten, ohne es zu merken. Die ganze Welt außer mir hatte schon gesehen, dass ich nach sechs Jahren Aufbau­ arbeit physisch wie psychisch am Ende war. Ein Zwischenfall in mei­ nem Privatleben hat mir dann den Rest gegeben. Die österreichischen Verhältnisse haben aber sicher nicht dazu beigetragen, mich zu entspan­ nen. Ich ertappe mich immer noch dabei, einen Gach’n zu kriegen, wenn ich ab und zu im Internet ­österreichische Medien lese. Bana­ nenrepublik ist echt noch ein Kom­ pliment, angesichts dessen, was sich dort teilweise abspielt. Hatten Sie jemals das Gefühl, zu ­arrogant zu sein für eine herkömm­ liche Karriere? Das Datum war ja nicht gerade ein Produkt, nach dem der Markt verlangt hatte. Stimeder Keinem einzigen unabhän­ gigen Medium, das in der Zweiten Republik gegründet wurde, wurde vorher eine existenzielle Notwendig­ keit ausgestellt. Und es ist deshalb vielleicht auch kein Zufall, dass ­Oscar Bronner und ich uns auch deshalb immer ganz gut verstanden haben. Obwohl das, womit das Datum zu tun hatte, ein Lercherlschas im Vergleich zu jenen Widerständen war, gegen die er im Laufe seines Berufslebens kämpfen musste. Was die Arroganz betrifft: Ich bin in ­österreichischen Redaktionen groß geworden. Ich war bei der Format-

Gründung dabei. Das Format hätte das Zeug gehabt zu einem Super­ medium, das die Notwendigkeit ­eines Datum vielleicht obsolet ­gemacht hätte. Nachdem ich das Format-Desaster als extrem junger Mensch live miterlebt habe, hat mich das wohl mehr geprägt, als ich mir lange eingestehen wollte. Aus diesen und späteren Erfahrungen ist dann der Entschluss entstanden, etwas Eigenes zu machen? Stimeder Ja. Und nachdem ich mit Hannes Weyringer einen Partner ­gefunden hatte, hatte ich auch noch meinen ewigen Mentor, der nicht in Österreich verhaftet war, Michael Frank (langjähriger Wien-Korrespon­ dent der Süddeutschen, Anm.). Der Michl war auch als Korrespondent ein Vorbild, immer extrem darauf bedacht, den Blick auf die österrei­ chischen Verhältnisse von außen nicht zu verlieren. Das hat er mir von Anfang an mitgegeben, dass ich zur Politik- und Medienblase immer einen gesunden inneren Abstand ­gehabt habe, so sehr ich auch Teil davon war. Was auch zu Extremen geführt hat: Gegen Ende Ihrer Datum-Zeit haben Sie bei der „Journalist des Jahres“Gala den Generaldirektor vom Hauptsponsor OMV beschimpft: ­Dieser habe bei Datum versucht, ­Anzeigenschaltungen mit Artikeln zu verknüpfen. Auch nicht gerade ­geschäftsfördernd, könnte man sich vorstellen. Stimeder Nein. Das Lustige war: Manche Leute haben das für einen PR-Gag gehalten. Die haben ernst­ haft geglaubt, dass ich das geplant hatte, um Aufmerksamkeit zu erre­ gen. Ich hatte weder PR im Sinn, noch war ich betrunken. Ich war einfach nur extrem wütend.

Bestseller 9|10 2012