harz-zeitschrift

Mitarbeit: Hans-Jürgen Grönke, Dr. Christian Juranek, Dr. Friedhart Knolle und Dr. Dieter Pötschke .... Steffi Hoyer, Harzbücherei, Klint 10, 38855 Wernigerode.
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HARZ-ZEITSCHRIFT 2017

HARZ-ZEITSCHRIFT FÜR DEN HARZ-VEREIN FÜR GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE herausgegeben von Jörg Brückner

69. Jahrgang 2017 150. Jahrgang der Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde Berlin und Wernigerode 2017

Lukas Verlag

Herausgeber: Dr. Jörg Brückner im Auftrag des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde e. V. Redaktion: Dr. Jörg Brückner, Rosa-Luxemburg-Straße 23, 38855 Wernigerode, [email protected] Mitarbeit: Hans-Jürgen Grönke, Dr. Christian Juranek, Dr. Friedhart Knolle und Dr. Dieter Pötschke Für die einzelnen Beiträge sind die Verfasser verantwortlich. Die Zeitschrift ist die Fortführung der Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde, die bis zum 74./75. Jahrgang 1941/42 erschienen ist. Bezug: Mitglieder des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde e.V. erhalten die Zeitschrift für den Jahresbeitrag sowie Sonderveröffentlichungen zum Vorzugspreis. Nichtmitglieder zahlen den jeweiligen Ladenpreis. Der reguläre Verkauf erfolgt über den engagierten Buchhandel. Direkt­bestellungen sind auch möglich über den Lukas Verlag (Kollwitzstraße 57, 10405 Berlin, Tel. 030 / 44 04 92 20, Fax 030 / 442 81 77 bzw. online unter www.lukasverlag.com). Konto-Nr. des Harz-Vereins bei der Harzsparkasse Wernigerode: IBAN: DE87 8105 2000 0901 0147 37 BIC: NOLADE21HRZ

© by Harz-Verein für Geschichte und Altertumskunde e.V. sowie Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 2017 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstraße 57 D 10405 Berlin www.lukasverlag.com Umschlagabbildung: Zellerfeld, St. Salvatoris, Ansicht der Querkirche, farbig lavierte Federzeichnung, um 1673 (Foto: HAB Wolfenbüttel, Top 18b:18) Umschlag: Lukas Verlag Satz: Jörg Hopfgarten Druck: Elbe-Druckerei Wittenberg Printed in Germany ISSN 0073-0882 ISBN 978-3-86732-277-5

INHALT

Aufsätze und Miszellen zur Harzgeschichte Bauten des Harzraums als Vorbilder für den protestantischen Kirchenbau des Barock Ludwig Bamberg   Ein Sachsengott »Krodo«? Eine literarische, kunst- und religionsgeschichtliche Spurensuche Wolfram Janzen Die Wüstung Linzke im Blankenburger Stadtgebiet Christoph Georg Rohrbach   Neues zum Stadtrecht von Aschersleben Dieter Pötschke   Nach dem Riechenberger Vertrag: Fabian Luther in Goslar Otmar Hesse   Aus den Baurechnungen der Königshütte 1733–1737 bei dem damaligen Flecken Lauterberg/Harz Hans-Heinrich Hillegeist   Zur Gipsbrennerei und Gipsindustrie am Harz Fritz Reinboth   »In Blankenburg lebte ein Ehepaar namens Elster« Rudolf G. A. Fricke   Zur Erinnerung an Heinrich Spier (1910–1996) Karl Sanders, Friedhart Knolle, Fritz Reinboth, Heinfried Spier

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Literaturschau Zeitschriftenübersicht Harzraum für das Jahr 2016

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Rezensionen

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Mittelalter

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Christian Zschieschang: Das Hersfelder Zehntverzeichnis und die frühmittelalterliche Grenzsituation an der mittleren Saale. Eine namenkundliche Studie (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, Band 52), Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2017  (Paul Lauerwald) Elmar Arnhold: Aus Stein gebaut. Goslars mittelalterliche Wohnhäuser (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar. Goslarer Fundus, Band 56), hg. vom Geschichtsverein Goslar und vom Stadtarchiv Goslar, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2016  (Dieter Pötschke) Frühe Neuzeit

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Werner Arnold, Brage Bei der Wieden, Ulrike Gleixner (Hg.): Herzog Heinrich Julius zu Braunschweig und Lüneburg (1564–1613): Politiker und Gelehrter mit europäischem Profil (= Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte, Band 49), Braunschweig: Appelhans Verlag 2016  (Herbert Blume) Thomas Dorfner: Mittler zwischen Haupt und Gliedern. Die Reichshofratsagenten und ihre Rolle im Verfahren (1658–1740) (= Verhandeln, Verfahren, Entscheiden. Historische Perspektiven, Band 2), Münster: Aschendorff Verlag 2015  (Paul Lauerwald) Rieke Buning, Beate-Christine Fiedler, Bettina Roggmann (Hg.): Maria Aurora von Königsmarck. Ein adeliges Frauenleben im Europa der Barockzeit, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2015  (Paul Lauerwald) Neuere Geschichte und Zeitgeschichte

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Peter Bode unter Mitwirkung von Claudia Grahmann, Uwe Lagatz und Rainer Schulze: Der Harz – Faszinierende Landschaft in der Grafik von 1780 bis 1830. Herausgegeben von der Kulturstiftung Wernigerode, Wernigerode: Rainer Schulze, Jüttners Verlagsbuchhandlung 2016  (Rüdiger Articus) Markus Weber: »Das ist Deutschland … und es gehört uns allen«. Juden zwischen Akzeptanz und Verfolgung im Kurort Bad Harzburg (= Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte, Band 51, hg. vom Braunschweigischen Geschichtsverein und als Band 6 der Spuren Harzer Zeitgeschichte, hg. von Spurensuche Harzregion e. V.), Braunschweig: Appelhans Verlag 2016  (Wolfgang Schilling) Montanwesen

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Wolfgang Schilling (Hg.): Grube Einheit – Goldener Schatz im Harz, Blankenburg 2016  (HansJürgen Grönke) Numismatik und Geldgeschichte

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Harald Meller und Alfred Reichenberger (Hg.): Geldgeschichten aus Sachsen-Anhalt, Halle (Saale) 2015: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt  (Paul Lauerwald)

Inhalt

Berichte Tätigkeitsbericht des Arbeitskreises Archäologie des Harzes 2016 Hans-Jürgen Grönke

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Tätigkeitsbericht des Arbeitskreises Rechtsgeschichte 2016 Dieter Pötschke

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Tätigkeitsbericht des Arbeitskreises Montangeschichte 2016 Hans-Heinrich Hillegeist

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Tätigkeitsbericht des Arbeitskreises Landes- und Klostergeschichte 2016 Monika Lücke

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Tätigkeitsbericht des Arbeitskreises Zeitgeschichte 2016 Friedhart Knolle

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Neuerwerbungen der Harzbücherei Steffi Hoyer, Dieter Pötschke

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Protokoll der Jahresmitgliederversammlung 2017 Hans-Jürgen Grönke, Christian Juranek

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Satzung des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde e. V.

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Inhalt

Autoren Dr. Rüdiger Articus, Dahlenhöhe 11, 21077 Hamburg Dr. Ludwig Bamberg, Grauhöfer Straße 8A, 38640 Goslar Dr. Herbert Blume, Blücherstraße 1, 38102 Braunschweig Rudolf G. A. Fricke, Behringstraße 30, 38302 Wolfenbüttel Hans-Jürgen Grönke, Andersen-Nexö-Straße 2, 99734 Nordhausen Dr. Otmar Hesse, Bulkenstraße 4, 38640 Goslar Hans-Heinrich Hillegeist, Brauweg 9, 37073 Göttingen Steffi Hoyer, Harzbücherei, Klint 10, 38855 Wernigerode Dr. Wolfram Janzen, Berliner Platz 1, 38667 Bad Harzburg Dr. Christian Juranek, Am Schloss 1, 38855 Wernigerode Dr. Friedhart Knolle, Grummetwiese 16, 38640 Goslar Paul Lauerwald, Töpferstraße 16, 99734 Nordhausen Dr. Monika Lücke, Ahornweg 9, 06193 Wettin-Löbejün, OT Nauendorf Dr. Dieter Pötschke, An der Wublitz 25B, 14542 Leest Fritz Reinboth, Theodor-Francke-Weg 52, 38116 Braunschweig Christoph Georg Rohrbach, Marktstraße 6, 38889 Blankenburg (Harz) Dr. Karl Sanders, Ruppanerstraße 14D, 78464 Konstanz Wolfgang Schilling, Knorrenbergstraße 2, 38889 Blankenburg (Harz) Heinfried Spier, Meistersingerweg 12, 30890 Barsinghausen

Autoren

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AUFSÄTZE UND MISZELLEN ZUR HARZGESCHICHTE

Bauten des Harzraums als Vorbilder für den protestantischen Kirchenbau des Barock Ludwig Bamberg

Dass der Harz technisches Know-how exportierte, ist weit bekannt. Dass aber auch Bauten des Harzraums zu Vorbildern wurden, wird dieser Beitrag darstellen. Dabei soll der Harzraum so definiert sein: Wo man den Harz sieht, ist Harzraum, also auch in Kissenbrück. Uns beschäftigt der nachreformatorische Kirchenbau bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Mussten da überhaupt Kirchen gebaut werden? Man hatte doch welche! Und eher zu viele! Die Klosterkirchen und die vielen Kapellen entfielen doch! Ja, es war für die Lutheraner selbstverständlich, die vorhandenen Kirchen weiter zu nutzen. Es waren »ihre« Kirchen. Sie hatten als Bürger diese Bauten unter Opfern errichtet und werden stolz auf sie gewesen sein. Dabei waren die jüngsten Bauten, die spätgotischen Hallenkirchen – wie schon die Kirchen der Bettelorden – als auch der Predigt dienende Kirchen konzipiert worden. Sie hatten vollendete Form in Obersachsen gefunden. Ohne Unterbrechung durch Joch- und Scheidbögen war in ihnen das Gewölbe einem Netz gleich über den weiten Raum gespannt worden, von achteckigen Pfeilern unterstützt, denen mit ihrer Kehlung der Eindruck von Masse genommen war. Seitenschiffe und Mittelschiff, nahezu von gleicher Breite, waren hier zu einer durchgehenden Halle verbunden worden, der hohe Fenster Licht in Fülle schenkten. Der Reformation war die Frage des Kirchenbaus und seiner Formen nicht wichtig; hier handelte es sich um Adiaphora, um Zwischendinge. Man könnte auch »auff ein platz unter dem Himel.«1 predigen. Luther räumte aber ein, dass es praktisch sei für das Gotteslob einen Raum, einen Tag und eine Stunde fest zu machen.2 »[…] Das Gebet ist nirgendwo so kräftig und stark, als wenn der ganze Haufe einträchtiglich mit einander betet.« 3 Wichtig war – und das sollte von einem Kirchenraum erwartet werden – dass er das Hören des Gotteswortes unterstützt. Natürlich gab es mit der Reformation Veränderungen. Hatte vor der Reformation das gläubige Volk sich auf viele Messen zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Altären verteilt und auch in den Bettelordenskirchen Predigten gelauscht, konzentrierte Luther nun die Gesamtheit der Gemeinde auf den einen Predigtgottesdienst in der Gemeindekirche: »Des sontags aber soll solch versamlung fur die gantzen gemeyne geschehen.«4 1 2 3 4

WA 49, S. 588ff., Nr. 5. Vgl. WA 49, S. 588ff., Nr. 6. WA 49, S. 588ff., Nr. 7. WA 12, S. 36.

Bauten des Harzraums als Vorbilder für den protestantischen Kirchenbau

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Das warf die Raumfrage auf. Hinzu kam, dass aufmerksames Zuhören über lange Zeit nur im Sitzen möglich war, Sitzgelegenheiten aber noch mehr Fläche forderten. Auf diese neue Situation war zu reagieren und wurde mit der Einrichtung von Gestühl in fester Ordnung und dem Bau von Emporen und Priechen reagiert. Zugleich wurden die Seitenaltäre entfernt. Den Chorraum nutzte man, um im Angesicht der Gemeinde die Teilnehmer am Abendmahl zu versammeln. War es aber erforderlich, Kirchen zu bauen, baute man regelmäßig in der überkommenen Dreiteilung von Vorhalle, Schiff und Chor. Wenn auch Fürsten – wie vor ihnen schon die Fugger – ihre persönliche Bildung in Renaissanceformen an Kirchbauten durchklingen ließen, das Festhalten an der Gotik im Kirchenbau war allgemein.5 Und tatsächlich, die »protestantische« Nachgotik hatte gerade im Harzraum das früheste, bemerkenswerte Beispiel im Langhaus von St.  Stephani in Osterwieck (1552–57), dem Beatae Mariae Virginis in Hornburg (1614–16) in Formtreue folgte. Das Festhalten an den alten Formen (nicht dem Raumgefühl) entsprach nur dem Selbstverständnis der Reformation: sie hatte die alte Kirche reformiert, sie nahm für sich in Anspruch, die Geschichte der Kirche legitim weiterzuführen. Die Zahl der bemerkenswerten »neuzeitlichen« protestantischen Kirchen blieb – abgesehen von den Sonderfällen der Schlosskapellen – gering, und auch für diese Kirchen lag die Initiative fast ausschließlich in den Händen protestantischer Fürsten: In Eisenach, Sondershausen, Wolfenbüttel (BMV) und Bückeburg mussten Residenzkirchen errichtet werden. Vergleichbar war in Regensburg der Bau der Dreifaltigkeitskirche auch für die Gesandten des Corpus Evangelicorum. In Marienberg, Wolfenbüttel (Trinitatis), Hanau, Freudenstadt und Glückstadt waren Städtegründungen oder planmäßige Stadterweiterungen zu versorgen. Während bei weltlichen Bauten mit der Zeit gegangen, der Renaissance Ausdruck gegeben wurde, blieb die Renaissance im Kirchenbau im Wesentlichen auf die Dekoration beschränkt, die in ein selbstverständliches »Nebeneinander« mit dem vorhandenen gotischen Formenapparat gebracht wurde.6 Ihre Domäne wurden die Portale, Kanzeln – im lutherischen Bereich auch die Altäre und Taufen – vor allem aber die Epitaphe, die nun die Kirchen eroberten sowie Gestühl und Emporen. Kaum je aber erfasste die Renaissance das Ganze einer Kirche. Eine »Nachgotik« war es, die bis spät in das 18. Jahrhundert im Kirchenbau gepflegt wurde, und vor allem ihre Ausprägung an Fenstern und in Gewölben suchte.7 Damit konnte und wollte man »Kirche« deutlich machen. 5 Aber auch die fortschrittlichen Fugger hatten 1509/10 für ihre Grabkapelle in St. Anna nicht auf den durch ein abschließendes Rippengewölbe vermittelten Eindruck von Sakralität verzichtet. – 100 Jahre später traten dann die Fürsten mit ihrem Spagat zwischen Renaissance-Schmuck und gotischem Raumgefühl in den Kirchen von Wolfenbüttel (Beatae Mariae Virginis, 1608–60) und Bückeburg (1610–15) hervor. 6 Hammer-Schenk 1989, S. 474. – So umgeben ionische Pilaster, die von kleinen Obelisken gekrönt werden und ein verkröpftes Gebälk die Maßwerkfenster am Äußeren des Hohen Chors des Freiberger Doms, der ab 1541 eingerichteten Fürstengrablege.

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Ludwig Bamberg

Die Reformierten aber, die für sich in Anspruch nahmen, die Reformation Luthers in rechter Weise fortzuführen, verlagerten den funktionaleny Schwerpunkt noch konsequenter auf die Kanzel; gestalteten den Altar in Erinnerung des Abendmahls als Tisch und entfernten jede bildmäßige Ausstattung. Kennzeichnend mochte ihre Einrichtung der Großen Kirche in Emden erscheinen. Die drei Schiffe der Hallenkirche wurden als Predigtraum genutzt, der außerordentlich tiefe Chor aber abgeteilt und mit langen Tischreihen versehen, an denen die Teilnehmer des Abendmahls saßen und in Erinnerung an Christi Abendmahl das Brot brachen. Es waren dann auch die Reformierten, die aus ihrer Haltung zuerst zu neuen Formen im Kirchenbau finden sollten. Denn die eingeknickte Form der Freudenstädter Stadtpfarrkirche war in ihrer Position in der Planstadt eindeutig städtebaulich bedingt und änderte nichts an der Folge von Vorhalle, Schiff und Chor, denn es war ursprünglich nicht so, dass im Winkel hier die Frauen und dort die Männer saßen. Vielmehr saßen im jetzt abgewinkelten Chor, wie auch sonst, bevorzugt die Ratsherren. Wirklich neu waren die Tempel der Hugenotten, die unter Verwendung von Emporen auch zu den neuen Grundrissfiguren des gestreckten Oktogons bzw. Dodekagons und der Ellipse führten. Sie lösten sich auch aus der Formenwelt der Gotik und griffen auf die Antike zurück. So zeigte die anspruchsvolle Kolonnade, die den Binnenraum des zweiten Tempels von Charenton (1623–24) umzog, antikisierende Formen. Und sie gab ihm eine zentrierende Wirkung. Dabei war nicht eine (gerichtete) frühchristliche Basilika Vorbild, sondern die pagane Basilika fanestris Vitruvs, wie nicht zuletzt die Emporen beweisen.8 Vor allem aber ließen die bevorzugten Grundrissformen, das eher kurze, breite Rechteck – auch mit abgeschrägten Ecken – und das gleichseitige oder »gestreckte«, meist oktogonale Vieleck oder die Ellipse9, eine Nutzung in den zwei Symmetrieachsen zu, in der Längs- wie auch in der Querrichtung und beide Ausrichtungen auf die Prinzipalstücke (Kanzel und Abendmahlstisch) gab es auch. Die reformierten Kirchen Hollands, die von Emporen keinen Gebrauch machten, variierten, addierten und umschrieben nicht nur den Grundriss des griechischen Kreuzes oder schufen Zentralräume auf dem Grundriss des Oktogons. Sie fanden 7 Vgl. Kugler 1861, Bd.  2. – Wackernagel 1915 u. Hipp 1979. – Lübz (1570–74), Loburg (1580–82), Finsterwalde (1575–93), Tondern DK (1591–93), Lauenstein (1596–1602), Straßberg (1576/77), Oelsnitz (1612–16), Plauen (1693–1722), Hamm (1734–39). 8 Salomon de Brosse hatte als Architekt dieses besonderen Tempels vermutlich auf die zeichnerische Rekonstruktion zurückgegriffen, die Palladio von der bei Vitruv, De architectura libri decem, im 5. Buch, 1. Kapitel, Nr. 6–9 beschriebenen Basilika gefertigt hatte; vgl. Germann 1963, S. 39. – Vermutlich handelte es sich bei den Emporen insgesamt um eine Holzkonstruktion; vgl. auch Geymüller 1901, S. 608. – Der Tempel soll die enorme Zahl von 800 bis 1000 Personen gefasst haben; vgl. Germann 1963, S. 38. 9 Germann 1963 (S. 29ff.) nennt die Maße: Toulouse 43 × 28 m, Dieppe 30 × 24 m, Charenton II 34 × 21 m. – Auf diese Vorbilder führen sich letztlich im Harzraum das Langhaus von St. Blasii in Quedlinburg (1710–14) und die heute ruinöse Französisch-Reformierte Kirche in Halberstadt (1713–18) zurück.

Bauten des Harzraums als Vorbilder für den protestantischen Kirchenbau

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auch – und das ist das Besondere – für Grundrisse auf dem Rechteck oder dem gestreckten Oktogon durch die Anordnung der Prinzipalstücke auf der Querachse zu einer Zentrierung des Kirchenraums. Im geschichtlich bedeutsamen Dordrecht wurden der zweischiffigen St. Nicolaaskerk nach einem Brand um 1589 auf ihrer Westseite gleiche Abschlüsse wie auf der Gegenseite gegeben.10 Damit entfiel die Richtungsbetonung und erfolgte Zentralisierung. Von dieser Entscheidung waren auch die beiden großen Neubauten bestimmt, die in Amsterdam folgten. Das alte Bild eines Chors und eines Querschiffes, das bislang den Kirchen Richtung gegeben hatte, wurde aufgegeben, auf den Chor wie selbstverständlich verzichtet, das »Querschiff« aber, ohne das es über den rechteckigen Grundriss hinaustrat, auf der Gegenseite wiederholt, so dass der entstandene Raum, in das Gleichgewicht gebracht, in sich ruhte und eine Mitte bekam, wo man die Kanzel aufstellte. Die Niederländer hatten ihre noblen Kirchen, unbehelligt vom Dreißigjährigen Krieg, schwerpunktmäßig zwischen 1620 und 1670 gebaut. Das war (gedehnt bis zur Jahrhundertwende) der Zeitraum, in dem in Skandinavien, befördert durch die Kriegsgewinne, die großen lutherischen Staatskirchen entstanden. Diese aber bevorzugten den althergebrachten Grundriss des griechischen Kreuzes, eine Form, die die Hugenotten mieden, weil sie nicht einer verkehrten Symbolik Vorschub leisten wollten. Das also war die Situation: Innovative Grundrissformen im reformierten Westen, Belebung des Kreuzgrundrisses auch in den Niederlanden, vor allem aber in Skandinavien, im deutschen Raum aber: Nachgotik und – wenn man von den Schlosskapellen absieht – im protestantischen Kirchenbau über 150 Jahre keine eigene bauliche Ausprägung. Da überraschte das erste anspruchsvolle Auftreten einer quer gerichteten Gemeindekirche in Deutschland doch sehr. (Abb. 1, 2) Im lutherischen Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, in einem Land ohne eine nennenswerte reformierte Kolonie, im Montangebiet des Harzes, genauer im »Communionharz«, wurde 1674 bis 1683 St. Salvatoris in Zellerfeld – im Gegensatz zu den Kirchen der umgebenden Bergstädte – nicht als eine Kirche mit Turm, längs gerichtetem Schiff und polygonal abgeschlossenen Chorraum errichtet, sondern – auf herzoglichem Wunsch – auf einem gestreckten Rechteck (mit kurzen Anräumen auf der Querachse), einem Walmdach samt Dachreiter und Eingängen in der Mitte aller vier Fassaden.11 Da die Erweiterungen auf der Querachse nicht ein raumwirksames Querschiff bildeten, sondern allein einen Umgang um den Altar ermöglichten, die Sakristei, einen Versammlungsraum usw. aufnahmen sowie der Empore des Berghauptmanns als 10 Vgl. Schönfeld 1999, S. 23. Der dann in Nieuwe Kerk umbenannte Bau ist heute profaniert und umgebaut. 11 Herzog Rudolf August v. Braunschweig-Wolfenbüttel regierte 1666 bis 1685 allein (Bauzeit) und bis 1704 mit seinem Bruder Anton Ulrich. Der setzte die Regierung bis 1714 fort und konvertierte 1710 zur katholischen Konfession.

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Ludwig Bamberg