Handlungen und Handlungsgründe

Michael Smith – Ein Plädoyer für Hume. 24 ..... wird häufig auf David Humes kritische Diskussion der notwendigen Verknüpfungen zurückgeführt.)5 Da es aber ...
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04.09.2002

11:20 Uhr

Seite 1

(PANTONE 144 CV Bogen)

Ralf Stoecker Ralf Stoecker (Hr (Hrsg.) rsg.)

Handlunge Handlungen en und und d Handlungsgründe Handlungsgründe

ISBN 3-89785-401-5 3-89785-4 401-5

R. Stoecker (Hrsg.)

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Stoecker (Hrsg.) · Handlungen und Handlungsgründe

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Herausgegeben von Thomas Spitzley und Ralf Stoecker

In der Reihe map – mentis anthologien philosophie erscheinen in regelmäßigen Abständen Studienbücher zu systematischen philosophischen Themen. Getreu der mit dem Reihentitel map verknüpften Landkartenassoziation enthält jeder Band eine für das jeweilige Thema repräsentative Auswahl von (gegebenenfalls übersetzten) Texten. Um die Benutzung von Sekundärliteratur zu erleichtern, sind alle Übersetzungen um die Originalpaginierungen ergänzt. Außerdem umfasst jeder Band eine ausführliche Einleitung sowohl in das Thema als auch in die ausgewählten Texte, eine Auswahlbibliographie, sowie ein Sach- und ein Personenregister. Aufgrund ihres Aufbaus, Umfangs und Preises können die Bände gut als Textgrundlage für Anfänger- oder Fortgeschrittenenseminare dienen oder auch zur eigenständigen Einarbeitung in das Thema verwendet werden.

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Ralf Stoecker (Hrsg.)

Handlungen und Handlungsgründe Übersetzungen von Joachim Schulte

PA D E R B O R N 3

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier ● ∞ ISO 9706 © 2002 mentis Verlag GmbH Schulze-Delitzsch-Str. 19, D-33100 Paderborn www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: typ[e]isch Frauke Walter, Bünde; Blickwinkel Anne Homann, Münster Satz: Typographen GmbH, Paderborn Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 3-89785-401-5

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Inhalt

Einleitung

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Donald Davidson Handlungen, Gründe und Ursachen

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Georg Henrik von Wright Erklären und Verstehen von Handlungen

49

Harry G. Frankfurt Das Problem des Handelns

65

Fred I. Dretske Maschinen, Pflanzen und Tiere: Ursprünge des Handlungsvermögens

76

Kent Bach Handlungen sind keine Ereignisse

89

Rosalind Hursthouse Arationale Handlungen

98

Don Locke Überzeugungen, Wünsche und Handlungsgründe

111

Michael Smith Die humeanische Theorie der Motivation

125

Frederick Stoutland Reaktives Handeln und das Überzeugung/Wunsch-Modell

157

Amelie O. Rorty Drei Mythen der Moralphilosophie

180

Quellenangaben

211

Auswahlbibliographie

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Einleitung Drei handlungstheoretische Grundfragen Donald Davidson – Die Standardkonzeption Georg Henrik von Wright – Verstehen statt Verursachen Harry Frankfurt – Handlungslenkung Fred Dretske – Gründe als strukturierende Ursachen Kent Bach – Das Problem der Handlungsindividuation Rosalind Hursthouse – Arationale Handlungen Don Locke – Motivierende Überzeugungen Michael Smith – Ein Plädoyer für Hume Fred Stoutland – Weltliche Gründe Amelie O. Rorty – und die offenen Grenzen dieses Buches Was fehlt? Wo soll das alles enden?

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Es gibt Fragen, die einen geradezu zwangsläufig ins philosophische Grübeln bringen: Was ist Wahrheit, Schönheit, Gerechtigkeit, Bewusstsein usw.? Die Frage, was Handlungen und Handlungsgründe sind, gehört sicher nicht dazu. Dass sie trotzdem eines der zentralen Themen der modernen Philosophie markiert, liegt daran, dass jede Antwort Auswirkungen auf eine Vielfalt verschiedener philosophischer Teildisziplinen hat. Schließlich ist es ein Kennzeichen menschlichen Handelns, an zwei brisanten Schnittstellen unseres Daseins angesiedelt zu sein, den Übergängen zwischen Sein und Sollen und zwischen Geist und Welt. Wer also wissen will, wie alles mit allem zusammenhängt, kommt schon deshalb nicht um die Handlungstheorie herum. Außerdem besteht die Gefahr, dass Fehler und Missverständnisse an diesen Nahtstellen besonders weit reichende Irrtümer in den angrenzenden Themenbereichen nach sich ziehen.

Drei handlungstheoretische Grundfragen Was also sind Handlungen? Darauf gibt es eine Antwort, die sich schon bei Aristoteles findet und die auch heute niemand bezweifelt. Handlungen sind ein Verhalten, das seinen Ursprung in einem Akteur hat.1 Es liegt an dem Handelnden, was geschieht, und zwar auf eine Weise, die für Handlungen ganz spezifisch ist. Das Problem ist nur,

1 Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1110 a 15 ff.

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EINLEITUNG

zu erläutern, worin diese ganz spezifische Weise besteht. Das ist der Punkt, an dem sich in der Handlungstheorie die Geister scheiden. Um eine Antwort zu finden, ist es naheliegend und sinnvoll, sich zunächst alltägliche Handlungen vor Augen zu führen und sie mit anderen Phänomenen zu vergleichen, die keine Handlungen sind. Die Treppe hinunterzuspringen ist eine Handlung, sie hinunterzufallen nicht. Pfeifen ist eine Handlung, Schnarchen ist keine. Worin liegt der Unterschied? – Eine gute erste Antwort lautet: Das eine tue ich, weil ich es will, das andere geschieht bloß mit mir. Allerdings fragt es sich gleich erstens, was es hier heißt, etwas zu wollen, und zweitens, wie das „weil“ zu verstehen ist, d. h. in welcher Beziehung unser Wollen zu unserem Handeln steht. Zum Glück sind uns Handlungen so vertraut und allgegenwärtig, dass es leicht fällt, sich beim willentlichen Handeln sozusagen selbst zu beobachten. Dabei stellen wir fest, dass wir uns häufig zum Handeln entschließen. Es geht in uns etwas vor, wir überlegen, denken nach, fassen schließlich einen Entschluss und handeln dementsprechend. Dieser vertraute Umstand hat zu der Vermutung geführt, dass das Wollen selbst ein Akt ist, ein Willensakt, den wir vollziehen, um daraufhin zu handeln. Sind also Handlungen Dinge, die wir tun, weil wir uns dazu in einem Willensakt entschlossen haben? Wäre es so, dann ließe dies immer noch die beiden Fragen offen: Erstens, was das Kennzeichen von Willensakten ist, und zweitens, wie es von dem Entschluss zur Handlung kommt. Aber die ursprüngliche Vermutung kann ohnehin nicht stimmen. Zum einen geht längst nicht allen Handlungen ein Entschluss voraus. Wer sein kleines Kind auf einer belebten Straße an die Hand nimmt, eine verlorene Münze aufhebt oder Milch in seinen Kaffee schüttet, hat vorher normalerweise keine Entscheidung getroffen, dies zu tun. Das ist in solchen Fällen auch gar nicht nötig, weil man ohnehin weiß, was zu tun ist. Zum anderen entscheiden wir uns häufig, Dinge zu tun, die wir dann doch nicht tun. Wir schieben sie auf, revidieren unsere Entscheidung oder ‚werden schwach’ und tun etwas anderes statt dessen. Willensakte sind also weder notwendig noch hinreichend für Handlungen. Etwas zu wollen muss aber nicht darin bestehen, einen Willensakt zu vollziehen. Der Handelnde, der die Münze aufhebt, will sie zweifellos haben, und er hebt sie auf, weil er sie haben will, auch wenn er sich zuvor nicht eigens zum Handeln entschlossen hat. Sein Wollen ist kein Akt, es ist eine Einstellung, die er zum Besitz der Münze hat, ein Wunsch. Das legt die nächste Antwort nahe, dass es charakteristisch für Handlungen ist, dass sie aus einem Wunsch heraus geschehen. Auch dieser Vorschlag scheint allerdings schon auf den ersten Blick ungenügend. Zum einen tun wir häufig Dinge, weil wir sie tun müssen, nicht weil wir den Wunsch haben, sie zu tun. Zum anderen haben wir viele Wünsche, die wir nie in die Tat umsetzen. Trotzdem ist vermutlich etwas Wahres an diesem Vorschlag: Wenn man handelt, muss man irgendetwas an dieser Handlung finden; man muss einen Grund haben für das, was man tut. Handlungen geschehen aus (Handlungs-)Gründen. Wenn jemand handelt, dann kann man immer fragen: Warum, aus welchem Grund, hat er es getan? Obwohl auch dieser Vorschlag letztlich das Problem aufwirft, dass wir manchmal ganz grundlos zu handeln scheinen und andererseits keineswegs immer das tun, wozu wir einen Grund 8

EINLEITUNG

hätten, markiert er doch einen gemeinsamen Nenner in der modernen Handlungstheorie, wie sie durch die Beiträge dieses Buches repräsentiert bzw. kritisch diskutiert wird. Handlungen sind dadurch charakterisiert, dass sie aus Handlungsgründen geschehen. Wenn man diese erste Antwort auf die Frage, was Handlungen sind, akzeptiert, schließen sich unmittelbar drei neue Fragen an, die ich im Folgenden als die handlungstheoretischen Grundfragen bezeichnen werde: 1. Was sind Handlungsgründe? 2. Was heißt es, dass eine Handlung aus Gründen geschieht? 3. Was ist es, das da aus Gründen geschieht, d. h. was für eine Sorte von Entitäten sind Handlungen? Es ist kennzeichnend für die moderne Handlungstheorie und auch die Philosophie des Geistes, dass es kanonische Antworten auf diese drei Grundfragen gibt, die häufig als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Sie sind maßgeblich von Donald Davidson in seinem 1963 erschienenen Artikel „Handlungen, Gründe und Ursachen“ formuliert worden. Das ist auch der erste Text dieser Anthologie. Da Davidsons Artikel eine immense Bedeutung für die weitere handlungstheoretische Diskussion gehabt hat, werde ich im folgenden Abschnitt etwas ausführlicher auf Davidsons Position eingehen (auch über den Inhalt speziell dieses Aufsatzes hinaus)2 , um damit zugleich das Terrain zu skizzieren, auf dem sich dann die weiteren Texte bewegen.

Donald Davidson – Die Standardkonzeption Am leichtesten lässt sich Davidsons Antwort auf Frage 3 referieren: Wenn wir handeln, geschieht etwas; Handlungen sind also Ereignisse, die aus Handlungsgründen geschehen. Seine Antwort auf Frage 1, was Handlungsgründe sind, ist komplizierter. Auf den ersten Blick scheint diese Frage gar nicht richtig gestellt zu sein. Eigentlich müsste man fragen, was alles Handlungsgründe sein können, denn offenkundig kann man auf ganz unterschiedliche Arten von Phänomenen verweisen, um zu erklären, aus welchen Gründen jemand gehandelt hat: Er hat es getan, weil er verärgert war, ... weil der Hund auf ihn zu rannte, ... weil er dachte, niemand liebe ihn, ... weil er es so gewohnt war, ... weil er den Film sehen wollte, ... weil er durstig war, ... weil er sich dazu verpflichtet hatte usw. Gründe scheinen also beispielsweise Stimmungen, Meinungen, Wünsche, Bedürfnisse, Gewohnheiten oder Sachverhalte in der Welt sein zu können. Keine Erläuterung der Handlungsgründe kann diese Vielfalt möglicher Handlungsgründe unberücksichtigt lassen. Davidson bestreitet diese Vielfalt nicht, weist aber auf die schon genannte Gemeinsamkeit aller Gründe hin: Dem Handelnden muss etwas an der Handlung liegen. Es

2 Die meisten Aufsätze Davidsons zur Handlungstheorie sind in seinen Essays on Actions and Events abgedruckt (2. Aufl., Oxford 2001, deutsche Übersetzung der schmaleren ersten Auflage: Handlung und Ereignis, Frankfurt/M. 1990). Ein wichtiger, dort nicht aufgenommener Aufsatz ist „Problems in the Explanation of Action“, in: Ph. Pettit et al. (Hg.), Metaphysics and Morality, Oxford 1987, S. 35-49.

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EINLEITUNG

muss irgendeine Eigenschaft geben, die aus seiner Sicht für die Handlung spricht. Das bedeutet, der Handelnde muss zum einen glauben, dass die Handlung diese Eigenschaft tatsächlich besitzt, und zum anderen muss er eine positive Haltung (eine ‚ProEinstellung‘) zu der Eigenschaft haben. Ein Ereignis ist Davidson zufolge nur dann eine Handlung, wenn der Akteur es aus einem solchen Einstellungspaar heraus tut. Ein derartiges Einstellungspaar nennt Davidson einen Primären Grund. Weil sich Davidsons Neuschöpfung „Pro-Einstellung“ in der Literatur nicht durchgesetzt hat, sondern statt dessen in einem sehr weiten Sinn von ‚Wünschen’ die Rede ist, wird die These, dass allen Handlungen ein solches Einstellungspaar zugrunde liegt, häufig als die WunschMeinungs(resp.: Überzeugungs)-Konzeption der Handlungsgründe bezeichnet.3 Kennzeichnend für Handlungen ist also, Davidson zufolge, dass sie aus einem Primären Grund vollzogen werden (auch wenn es normalerweise noch viele weitere Handlungsgründe gibt), wobei sich Primäre Gründe aus psychischen Einstellungen (Überzeugungen und Wünschen des Handelnden) zusammensetzen. Dieses Verständnis der Handlungsgründe ist psychologistisch, da es das Charakteristische der Handlungen in der Psyche des Akteurs lokalisiert. Damit stellt sich nun unmittelbar Grundfrage (2), was es heißt, aus Handlungsgründen zu handeln. Gründe beantworten die Frage, warum jemand etwas getan hat. Das bedeutet zweierlei: Erstens machen sie die Handlung verständlich, und zweitens sagen sie, dass die Handlung stattgefunden hat, weil es verständlich ist, dass sie stattfand. Dass ich aus dem Grund Milch in meinen Kaffee geschüttet habe, dass ich meinen Magen schonen wollte, impliziert erstens, dass man die Handlung besser versteht, wenn man erfährt, dass ich meinen Magen schonen wollte, und zweitens dass die Handlung auch deshalb geschehen ist. Kurz, Handlungsgründe müssen die Handlung rationalisieren und zugleich ihr Eintreten erklären.4 Eines der meistdiskutierten Probleme der Handlungstheorie liegt darin, wie diese beiden Anforderungen an Handlungsgründe zu vereinbaren sind. Die Schwierigkeit besteht darin, dass Verständlichkeit auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt zu sein scheint als gewöhnliche Ereigniserklärungen. Das zeigt sich, wenn man etwas genauer betrachtet, was hier mit ‚verständlich’ gemeint ist. Anstatt zu sagen, dass eine Handlung verständlich ist, kann man z. B. auch sagen, sie sei nachvollziehbar. Dass etwas nachvollziehbar ist, bedeutet nicht, dass es etwas ist, das einem auch hätte passieren können, es bedeutet, dass man selbst es unter diesen Umständen auch hätte tun oder zumindest in Erwägung ziehen können. Man versteht, wie der Handelnde darauf gekommen ist, so etwas zu tun. Diese Redeweisen streichen die spezielle Rolle heraus, die das Nachdenken für unser Handeln hat. Wie

3 Die Ausdrücke „Meinung“ und „Überzeugung“ werden in der Handlungstheorie normalerweise synonym (als Übersetzungen von „belief“) verwendet, also ohne die damit in der Alltagssprache verbundene Konnotation, dass man sich einer Überzeugung besonders sicher sein müsse. 4 Das ist eine terminologischer Verwendung von „rationalisieren“, die weder mit dem Gebrauch in „Rationalisierungsmaßnahmen“, noch mit der rückwirkenden ‚Rationalisierung’ einer Handlung durch vorgeschobene Gründe verwechselt werden darf.

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EINLEITUNG

schon gesagt: Nicht jeder Handlung liegt eine Handlungsentscheidung bzw. ein Willensakt zugrunde, aber Handlungen sind etwas, dem eine solche Entscheidung hätte zugrunde liegen können, auf das man in dieser Situation durch Abwägungen hätte kommen können. Ich hatte mir keine Gedanken gemacht, bevor ich Milch in den Kaffee schüttete, aber es war nur deshalb eine Handlung, weil ich mir hätte Gedanken machen und dann von der Einsicht in die Magenfreundlichkeit der Milch zu dem Entschluss kommen können, Milch in den Kaffee zu geben. Handlungsgründe stellen nun genau diejenigen Aspekte dar, die in solche Erwägungen hätten eingehen können. Deshalb liegt es so nahe, dass psychische Einstellungen wie Überzeugungen, Wünsche etc. Handlungsgründe sind, denn schließlich bilden sie häufig die Ausgangsbasis unserer Überlegungen. Ich gehe davon aus, dass ich meinen Magen schonen möchte, ich glaube, dass Milchkaffee schonender ist als schwarzer Kaffee, und wenn ich nun entscheiden soll, was zu tun ist, dann komme ich schnell zu dem Entschluss, Milch in den Kaffee zu geben. Gründe sind damit sozusagen Startpunkte impliziter, nicht ausdrücklicher Handlungsüberlegungen. Diese begrifflichen Reflexionen legen es nahe, die Verständlichkeitsforderung an Handlungsgründe folgendermaßen zu präzisieren: Handlungsgründe müssen auf die Handlung schließen lassen. Auch das ist eine alte, auf Aristoteles zurückgehende Einsicht. Handlungen sind Aristoteles zufolge das Ergebnis einer speziellen Schlussweise, eines praktischen Syllogismus, der eine allgemeine Prämisse darüber beinhaltet, welche Handlungsweisen gut sind, und eine spezielle Prämisse, der zufolge eine bestimmte Handlungsweise zu diesen Handlungsweisen gehört. Im Kaffeebeispiel könnte der praktische Syllogismus so aussehen: Etwas Magenschonendes zu tun ist stets gut, Milch in den Kaffee zu geben ist magenschonend, also gebe ich Milch in den Kaffee. Entsprechend spezifiziert Davidson die Bedingungen für seinen Primären Grund so, dass sie einen Schluss auf die Handlung zu erlauben scheinen: Der Handelnde hat eine ProEinstellung gegenüber Handlungen mit einer bestimmten Eigenschaft, nämlich z. B. magenschonend zu sein, und glaubt, dass die betreffende Handlung diese Eigenschaft hat, nämlich z. B. dass es den Magen schont, Milch zum Kaffee zu geben; also scheint er unmittelbar den Schluss ziehen zu können, Milch in den Kaffee zu geben. Diese quasi-logische Anforderung an Handlungsgründe wirft beim näheren Hinsehen allerdings mehrere Probleme auf. Erstens ist nicht klar, wie die Prämissen und vor allem die Konklusion eines solchen Schlusses genau aussehen. Weder Meinungen und Wünsche noch Handlungen sind geeignet, in einem logischen Schluss vorzukommen, das können eigentlich nur Sätze. Also fragt es sich, ob man z. B. fordern soll, dass es die Beschreibungen der Gründe und der Handlung sind, die einen solchen Schluss bilden müssten („RS möchte seinen Magen schonen“, „RS glaubt, dass Milch im Kaffee den Magen schont“, „RS gibt Milch in den Kaffee“), oder ob es die Bewertungen sein müssen („Den Magen zu schonen, ist gut“, „Milch in den Kaffee zu geben, ist magenschonend“, „Milch in den Kaffee zu geben, ist gut“). Außerdem steht die Vorstellung, man könnte aus einem Primären Grund unmittelbar auf die Handlung schließen, im Widerspruch dazu, dass wir normalerweise angesichts einer Vielfalt konkurrierender Gründe handeln, und es beileibe nicht logisch 11

EINLEITUNG

zwingend ist, wie wir handeln. Wenn ich beispielsweise überzeugt bin, dass Milch die aufputschende Wirkung des Kaffees neutralisiert, und zugleich gerne wach bleiben möchte, ist es keineswegs eine Sache logischen Schließens, ob ich trotzdem Milch in den Kaffee gebe oder nicht. Wenn ich es tue, dann aus dem Grund, um meinen Magen zu schonen (plus der Überzeugung, dass Milchkaffee den Magen schont), und wenn ich es nicht tue, dann aus dem Grund, mich wach zu halten (wiederum plus die Überzeugung, dass nur schwarzer Kaffee wach macht). Beides sind Gründe, die mein Verhalten verständlich machen, aber keiner ist zwingend in dem Sinn, dass es irrational wäre, ihm zuwider zu handeln. Wenn man Verständlichkeit im Rückgriff auf den praktischen Syllogismus erläutern möchte, dann kann dieser Syllogismus also jedenfalls nicht deduktiv gültig sein. Unabhängig von diesen Problemen bleibt aber die Aufgabe, die Verständlichkeitsforderung an die Handlungsgründe mit der zweiten Forderung in Einklang zu bringen, dass Gründe das Eintreten der Handlung erklären. Wir handeln nicht nur und haben zugleich Gründe, die für die Handlung sprechen, wir handeln aus diesen Gründen. Es muss an den Gründen liegen, dass etwas in der Welt geschieht. Die paradigmatische Erklärung dafür, dass etwas in der Welt geschieht, ist kausal: Es liegt an Ursachen, dass Wirkungen eintreten. Davidson zufolge gilt dies auch für Handlungserklärungen: Wir handeln nur dann aus bestimmten Gründen, wenn diese Gründe auch kausal für die Handlungen verantwortlich sind. Der Slogan, der sich für dieses kausale Verständnis der Handlungsgründe eingebürgert hat, lautet: Reasons are causes. Handlungen sind also nach Davidsons Überzeugung Ereignisse, die durch ein Wunsch-Meinungs-Paar (den Primären Grund) verständlich gemacht und durch diese Einstellungen zugleich kausal erklärt werden. Diese Position bildet, wie schon gesagt, einen Grundkonsens für viele Debatten in der modernen Handlungstheorie und in der Philosophie des Geistes. Dabei war sie zu dem Zeitpunkt, als Davidson sie veröffentlichte, alles andere als selbstverständlich und ist auch im Folgenden immer wieder kritisch hinterfragt worden. Die entscheidende Differenzen zu der bis dahin herrschenden Auffassung lag im kausalen Verständnis des Verhältnisses zwischen Gründen und Handlungen. Lange Zeit hindurch war man überzeugt gewesen, dass es ein durchschlagendes Argument gegen diese These gebe, das so genannte „Logische-Verknüpfungs-Argument“ (logicalconnection argument). Ursachen und Wirkungen, so die Grundprämisse, sind individuelle Ereignisse in der Welt; es ist aber unmöglich vom Auftreten eines Ereignisses auf das Auftreten eines anderen Ereignisses zu schließen; also kann man nicht von Ursachen auf Wirkungen oder von Wirkungen auf Ursachen schließen. (Diese Prämisse wird häufig auf David Humes kritische Diskussion der notwendigen Verknüpfungen zurückgeführt.)5 Da es aber möglich sei, aus den Handlungsgründen logisch auf die

5 Z. B. von Georg Henrik von Wright in Explanation and Understanding (Ithaca, New York 1971; dtsch.: Erklären und Verstehen, Königstein/Ts. 1974), Kap. III, Abschnitt 3, der sich ausdrücklich auf David Hume, A Treatise of Human Nature (2. Aufl., Oxford 1978, dtsch.: Ein Traktat über die menschliche Natur, Hamburg 1978), I.III.iv, bezieht.

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EINLEITUNG

Handlung zu schließen (mit Hilfe des praktischen Syllogismus), könnten Gründe keine Ursachen sein. Davidson diskutiert dieses Argument neben anderen möglichen Einwänden gegen seine Kausaltheorie im vierten Abschnitt von „Handlungen, Gründe und Ursachen“. Sein entscheidender Gegeneinwand ist nicht, dass (wie oben angedeutet) der praktische Syllogismus gar keinen deduktiven Schluss auf die Handlung erlaubt (obwohl das auch eine gute Replik wäre), sondern besteht viel basaler in dem Hinweis, dass Kausalbeziehungen zwischen Ereignissen bestehen, während es logische Beziehungen nur zwischen deren Beschreibungen geben könne. Die These, dass Ereignisse unabhängig voneinander auftreten, kann dann aber nur besagen, dass jedes Ereignis so beschrieben werden kann, dass es nicht die Existenz eines anderen Ereignisses voraussetzt, und das ist durchaus damit vereinbar, dass das Ereignis auch anders beschrieben werden kann und diese Beschreibung die Existenz eines anderen Ereignisses impliziert. So beziehen sich z. B. die beiden Ausdrücke „der Untergang der Titanic“ und „die Kollision der Titanic mit einem Eisberg“ auf verschiedene Ereignisse. Weil aber die Kollision mit dem Eisberg den Untergang der Titanic verursacht hat, kann man die Kollision auch als „die Ursache des Untergangs der Titanic“ beschreiben, d. h. so, dass aus der Beschreibung logisch folgt, dass die Titanic untergegangen ist. Also ist das Logische-Verknüpfungs-Argument nicht stichhaltig und spricht folglich auch nicht dagegen, dass Gründe Ursachen sind. In der handlungstheoretischen Debatte der letzten Jahrzehnte hat dieses Argument deshalb trotz seiner ursprünglichen Prominenz auch keine große Rolle mehr gespielt. Dafür sind andere, hartnäckigere Schwierigkeiten der davidsonschen Standardkonzeption des Handelns ans Licht gekommen (auf die teilweise auch Davidson selbst in späteren Aufsätzen hingewiesen hat). Die Artikel des vorliegenden Buches lassen sich alle als mehr oder weniger radikale Auseinandersetzungen mit diesem orthodoxen Bild lesen. Sie zeigen, an welchen Stellen es sich als ergänzungsbedürftig erwiesen hat, und in meinen Augen auch, weshalb es am Ende deutlich revidiert werden muss.

Georg Henrik von Wright – Verstehen statt Verursachen Die damals vorherrschende handlungstheoretische Konzeption, gegen die sich Davidsons Artikel richtete, wurde vor allem durch Ludwig Wittgenstein und Gilbert Ryle geprägt, deren Überlegungen später besonders prominent von Georg Henrik von Wright weitergeführt wurden.6 In seinem Anfang der achtziger Jahre erschienen Aufsatz „Erklären und Verstehen von Handlungen“ (Text 2) zeichnet von Wright noch einmal das Gegenmodell zum mittlerweile etablierten Standard. Von Wright beginnt an einem Punkt, den Davidson zwar erwähnt, aber wenig beachtet, nämlich bei der Vielfalt der Gründe. Er macht darauf aufmerksam, dass es einen 6 Z.B. in seinen Büchern Norm and Action, London 1963 (dtsch.: Norm und Handlung, Königstein/Ts. 1979), und Explanation and Understanding, Ithaca, New York 1971 (dtsch.: Erklären und Verstehen, 2. Aufl., Königstein/Ts., 1984).

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EINLEITUNG

wichtigen Unterschied gibt zwischen Gründen, die im psychischen Bereich des Handelnden angesiedelt sind, z. B. in seinen Meinungen und Wünschen, und Gründen, die sich in seiner Umgebung, in Herausforderungen, Befehlen, Regeln, Gesetzen o.ä. finden. Erstere bezeichnet von Wright als innere Gründe. Ihnen ist eigentümlich, dass man unmittelbar versteht, inwiefern solche Phänomene Gründe sind; sie sind, wie von Wright es formuliert, „notwendig Gründe fürs Handeln“ (S. 50). Letztere nennt er dagegen äußere Gründe.7 Weil man sie erkennen kann, ohne zugestehen zu müssen, dass sie Gründe sind, etwas zu tun, sind sie keine notwendigen Gründe.8 Davidson behauptet in „Handlungen, Gründe und Ursachen“, dass sich die explanatorische Kraft aller Gründe-Erklärungen maßgeblich auf die entsprechende Rolle der Primären Gründe stützt, aber er sagt wenig darüber, wie er sich dieses Verhältnis denkt. Von Wright geht explizit darauf ein, dass äußere Gründe häufig internalisiert werden, sei es dadurch, dass es einem einleuchtet, dass man ihnen entsprechend handeln sollte, oder weil man der mit ihrer Missachtung verbundenen Strafe entgehen will.9 Damit ist schon die zweite Grundfrage angesprochen, was es heißt, aus Gründen zu handeln. Davidsons Auskunft bestand darin, dass Gründe die Handlungen kausal erklären müssen. Von Wright hält diese Auskunft erstens für vermutlich falsch, zweitens für unbefriedigend. Seine Grundvoraussetzung besteht darin, dass Ursachen und Wirkungen durch allgemeine Gesetze verbunden sein müssen, doch weder auf der psychologischen noch auf der physiologischen Ebene kennen wir derartige Gesetze, die Gründe und Handlungen verbinden könnten. Vor allem würden sie aber für unsere Praxis der Handlungserklärung durch Gründe ohnehin keine Rolle spielen. Das liegt daran, dass Gründeerklärungen ganz anders funktionieren als Kausalerklärungen. Wir wollen nicht zwei singuläre Ereignisse so verbinden, dass wir den Ablauf als Instanz einer im Prinzip experimentell zu bestätigenden Regelmäßigkeit ansehen können. Handlungen wollen wir als Ausdruck eines Selbstverständnisses des Handelnden verstehen. Wir möchten sie in die Biografie des Akteurs einpassen. Wenn jemand seinen Magen schonen möchte und glaubt, dass Milch im Kaffee magenschonend ist, dann ist die Beziehung zwischen diesen Einstellungen und der Handlung, Milch in den Kaffee zu gießen, unspektakulär,

7 Es ist hier zu beachten, dass sich von Wrights Unterscheidung zwischen „inneren“ und „äußeren“ Gründen nicht mit der bekannten Unterscheidung interner von externen Gründen bei Bernard Williams deckt („Internal and External Reasons“, in: Williams, Moral Luck, Cambridge 1981, S. 101-113, dtsch.: „Interne und externe Gründe“, in: Williams, Moralischer Zufall, Frankfurt/M. 1984, S. 112-124; Wiederabdruck in S. Gosepath (Hg.), Motive, Gründe, Zwecke, Frankfurt/M. 1999, S. 105-120). Das Verhältnis kann man grob so charakterisieren: Intern sind für Williams alle Gründe, die nur deshalb Gründe sind, weil der Akteur entsprechende innere Gründe im Sinne von Wrights hat. 8 Von Wright nennt noch eine dritte Gruppe, die der indirekten (oblique) Gründe. Sie können ihre begründende Rolle entweder inneren oder äußeren Gründen verdanken. 9 Verblüffend ist allerdings von Wrights kommentarlose Feststellung am Ende von Abschnitt 4, dass nichts dagegen spricht, dass jemand nur aus äußeren Gründen, ohne korrespondiere Internalisierungen handelt. Irgendeinen Weg durch die Psyche des Menschen, möchte man meinen, muss der Grund doch nehmen. Aber vielleicht kennzeichnet ja von Wrights Begriff der ‚Präferenz’ in Sektion 7 dieses psychische Einfallstor.

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