Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?1 - muenster.de

den, dass sie sich an einem bestimmten Tage vor Sonnenaufgang zu versammeln pflegten, um Christus als ..... Vgl. M. Hengel, „Setze dich zu meiner Rechten!
453KB Größe 9 Downloads 53 Ansichten
M

T

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?1

In seinem 2000 erschienenen Werk „Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums“ hat Gerd Theißen sich ausführlich mit dem historischen Jesus und der Entstehung der nachösterlichen Christologie befasst2. Die Frage, die er stellt, lautet nicht, ob die Christen den jüdischen Propheten und Charismatiker Jesus nach Ostern „vergöttlichten“, sondern wie sie dazu kamen. Das „Faktum“ selbst setzt er voraus, wobei er eine „kontinuierliche[…] Steigerung der Hoheit Jesu in der Zeit nach Ostern“ meint feststellen zu können3, die mit dem Johannesevangelium und seiner „Vergöttlichung des irdischen Jesus ihren Höhepunkt“ erreicht habe4. Angesichts der gravierenden theologischen Konsequenzen, die eine solche Diagnose besäße, träfe sie uneingeschränkt zu, gehen die folgenden Ausführungen einen Schritt zurück und erörtern die Frage, ob die frühen Christen den Menschen Jesus nach Ostern tatsächlich „vergöttlicht“ haben bzw. ob die Rede von seiner „Vergöttlichung“ mit den neutestamentlichen Zeugnissen kompatibel ist. Gebräuchlich ist sie seit den Zeiten der Aufklärung, als sich die kritische Jesus-Forschung anschickte, den wahren Jesus hinter dem kirchlichen Dogma ausfindig zu machen. Heute kommt das tief sitzende Vorurteil derer, die dem Islam anhängen oder sich von ihm angezogen fühlen, erschwerend hinzu: Die Christen hätten mit ihrem Glauben an den „Gottessohn“ etwas aus Jesus gemacht, was er vorher nicht war: aus einem Propheten ein göttliches Wesen, das die Einzigkeit Gottes in Frage stellt. Bei Theißen bezieht sich das Stichwort „Vergöttlichung“ nicht nur auf die von den Christen behauptete himmlische „Erhöhung“ Jesu

| |

| |

Überarbeitete und mit Anmerkungen versehene Fassung eines Vortrags im Kathedral-Forum Dresden am . Dezember . ( ). Nach einer G. Theißen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh Erörterung des „Programm[s] einer Theorie der urchristlichen Religion“ in § reflektiert der Autor in § die „Bedeutung des historischen Jesus für die Entstehung der urchristlichen Religion (Die Revitalisierung der jüdischen Religion durch Jesus“) ( – ) und stellt in § die Frage: „Wie kam es zur Vergöttlichung Jesu?“. Dort benennt er die Gründe, die zur „Transformation der jüdischen Religion durch den nachösterlichen Christusglauben“ geführt haben. Ebd. . Ebd. . Vgl. auch D. Zeller, Christus unter den Göttern. Zum antiken Umfeld des Christusglaubens (Sachbücher zur Bibel), Stuttgart , : „In diesen Spätschriften des Neuen Testaments wird eben Christus immer mehr Gott gleichgestellt; so erbt er auch die Gottesbezeichnungen des hellenistischen Judentums, wie wir das schon bei den Pastoralbriefen feststellen konnten“; vgl. auch Jud : Jesus Christus, „einziger Machthaber (δεσποτής) und Herr (κύριος)“; W. Stegemann, Jesus und seine Zeit (BE ), Stuttgart , : „Die biblischen Bilder von Jesus weisen […] eine beeindruckende Tendenz der zunehmenden Betonung seiner Göttlichkeit auf […]“.

Theologische Quartalschrift

ThQ2013_04_umbr.indd 294

(

),



27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

295

nach seinem Tod5, sondern auch auf sein irdisches Leben. Dieses sei durch Rückprojektion der mit Ostern gegebenen „unendliche(n) Wertsteigerung der Person Jesu“ „zu göttlichem Rang“ oder „göttlichem Status“6 nachträglich in göttliches Licht getaucht worden. Theißen verortet seine Darstellung in einem „interdisziplinären Diskurs“ auf der Basis „allgemeine(r) religionswissenschaftliche(r) Kategorien“7, die eine Außenperspektive erfordern. Zu ihnen gehört auch die hellenistische Kategorie der „Vergöttlichung“ oder „Divinisierung“ von Menschen. Diese konnte vor oder nach ihrem Tod erfolgen, betraf Heroen der Vorzeit, wohltätige Ausnahmemenschen wie wundertätige Charismatiker, aber auch Kaiser und Könige8. In Ciceros Dialog „Vom Wesen der Götter“ findet sich eine Beschreibung des Phänomens, die veranschaulicht, wie sich die Kategorie der „Vergöttlichung“ aus zeitgenössischer Sicht darstellt: „Es ist aber im Leben und im Brauchtum der Menschen zur Gewohnheit geworden, Männer, die sich durch Wohltaten hervortaten (beneficiis excellentes viros), in den Himmel zu erheben, aufgrund ihres Ruhmes, aber auch durch willentliche Setzung (in caelum fama ac voluntate tollerent). Von daher wurden Hercules, Castor und Pollux, Aesculap, auch Liber (= Dionysos) […] (zu Göttern). Da ihre Geister bleiben und Ewigkeit genießen (quorum cum remanerent animi atque aeternitate fruerentur), wurden sie mit Recht für Götter gehalten (rite di sunt habiti); sie waren ja auch (in ihrem sittlichen Verhalten) die besten und ewig (cum et optimi essent et aeterni)“ (II 62).

|

| | |

Die alte religionsgeschichtliche Schule meinte noch, dass die „Judenchristen“ Palästinas Jesus ganz im jüdischen Sinne als „Messias“, d. h. als Mensch, verstanden hätten und erst, als die Christusbotschaft in hellenistisches Milieu eintauchte, Jesus „vergöttlicht“ worden sei (vgl. W. Bousset, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von [Nachdruck]); dieses Paradigma ist mit seiner Trenden Anfängen des Christentums bis Irenaeus, Göttingen nung zwischen „Judentum“ und „Hellenismus“ längst obsolet: vgl. M. Hengel, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des . Jh.s v. Chr. (WUNT ), Tübin; ein schönes Beispiel bietet Phil , – (s. unten . ). gen Theißen, Religion (s. Anm. ) . . Ebd. : „Eine Theorie der urchristlichen Religion will den urchristlichen Glauben in seiner das ganze Leben bestimmenden Dynamik mit allgemeinen religionswissenschaftlichen Kategorien beschreiben und erklären“. Beim römischen Kaiserkult spricht man von der „Apotheose“ eines Herrschers nach seinem Tod – seiner Erhebung unter die Staatsgötter, die feierlich vollzogen werden konnte. Weit verbreitet war die Kategorie des „Gottessohns“: Alexander der Große wurde als „Sohn des Zeus“ verehrt, aber auch den römischen Kaisern wurde im Osten, der von seiner orientalischen Prägung her empfänglich dafür war, eine entsprechende Verehrung zuteil. Julius Cäsar etwa erhielt in Ephesus einen Tempel, in dem er als „von Ares und Aphrodite stammender offenbar gewordener Gott und Heiland“ verehrt wurde (vgl. A. Deißmann, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten , ); vgl. auch S. Lösch, Deitas Jesu und Antike Apotheose. Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen Ein Beitrag zur Exegese und Religionsgeschichte, Rottenburg , – (u. a. zu Apg , – : „Eine HerrscherApotheose im Neuen Testament“); umfassende Informationen bei H.-J. Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis (Kohlhammer Studienbücher Theologie , ), Stuttgart , – („Vergöttlichte Menschen: Der Herrscher- und Kaiserkult“).

ThQ2013_04_umbr.indd 295

27.11.13 15:44

296

Michael Theobald

Wählt man statt der religionswissenschaftlichen Außenperspektive auf das neue Testament eine Innenperspektive, ergibt sich ein anderes Bild. So würde etwa der vierte Evangelist niemals zugestehen, die Christen hätten Jesus „vergöttlicht“, erst recht nicht, er selbst habe sich „Gott gleich gemacht“ (vgl. Joh 5,18; 10,33–38; 19,7). Gott war es, der Jesus seine Würde verhiehen hat. Bleiben wir aber bei der Außenperspektive. Dann ist als erstes festzuhalten, dass sich die frühesten Artikulationen der österlichen Status-Veränderung Jesu biblisch-frühjüdischer Sprachmuster bedienen, sich also fraglos im Horizont des biblischen Monotheismus bewegen. Demgegenüber setzt die religionswissenschaftliche Kategorie der „Vergöttlichung“ prinzipiell einen polytheistischen Götterhimmel als Referenzrahmen voraus, auch wenn es in hellenistischer Zeit starke durch Philosophie und Religionskritik geförderte Tendenzen der Vereinheitlichung des Göttlichen bzw. seiner Aufgipfelung in einem Einheitsprinzip gab, wie es in Gestalt des Zeus bzw. Jupiters anschaulich wird. Mit dem Glauben an den einen Gott Israels, der eifersüchtig auf seine Alleinverehrung pocht, hat eine solche Annahme der göttlichen Einheit des Kosmos nichts gemein. Fundamental für den jüdischen Glauben, aus dem der christliche hervorging, war und ist die Überzeugung von der ontologischen Differenz zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen, zwischen Gott und Welt9. Diese einleitenden Bemerkungen zeichnen den Weg vor, der bei der Bearbeitung der Frage einzuschlagen ist: Am Anfang sollen sprachliche Beobachtungen zur neutestamentlichen Terminologie stehen (1.). Es folgen zwei Textbeispiele zur Veranschaulichung der biblisch-frühjüdischen Matrix neutestamentlicher Erhöhungschristologie (2.). Dass Jesu Bild als Wundertäter in den Evangelien tatsächlich Tendenzen seiner „Divinisierung“ verrät, führt zur Frage, wie der Glaube an seine österliche „Erhöhung“ sich auf die Darstellung seines irdischen Lebens auswirkte (3.). Die Legitimität des österlichen Glaubens theologisch zu erörtern, erfordert es zuletzt, die Frage nach dem historischen Jesus zu stellen (4.). Dies wird uns zur Eingangsfrage zurückführen, ob es sachgemäß ist, von Jesu „Vergöttlichung“ zu sprechen, oder ob diese Redeweise angesichts des gewiss vielschichtigen neutestamentlichen Befundes nicht doch in die Irre führt.

1. Erste sprachliche Erkundungen „Brüder, über Jesus Christus müssen wir so denken wie über Gott (ὡς θεοῦ), wie über den Richter der Lebenden und Toten“. Damit beginnt der 2. Clemensbrief (um 130–150 |

R. Feldmeier–H. Spiekermann, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TPT ), Tübingen , f.; vgl. auch M. Seckler, Was heißt eigentlich Schöpfung? Zugleich ein Beitrag zum Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft [ ], in: ders., Glaubenswissenschaft und Glaube. Beiträge zur Fundamentaltheologie und zur Katholischen Tübinger Schule, Bd. , Tübingen , – , – .

ThQ2013_04_umbr.indd 296

27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

297

n. Chr.), und bei Ignatius von Antiochien ist vielleicht schon zur gleichen Zeit die Rede von „Jesus Christus, unserem Gott“ beinahe formelhaft geworden10. Bis es zu solch unbefangener Rede von Jesus als „Gott“ kam, dauerte es allerdings. Die ntl. Schriftsteller hielten sich noch zurück damit, was mit ihrer jüdischen Herkunft, aber auch mit dem freigebigen Gebrauch von θεός in der paganen Umwelt zusammenhing11. Als Juden scheuten sie sich, ihren messianischen Jesus-Glauben in das Zwielicht heidnischen Götter-Glaubens geraten zu lassen. So sind die ntl. Belege für eine christologische Verwendung von θεός spät12, textlich unsicher13 oder inhaltlich ambivalent14. Bemerkenswert ist aber die folgende Beobachtung: Der gottesdienstliche Lobpreis war der erste Ort, an dem die Christen von Jesu Gottheit sprachen. Das „Christuslied“ Kol 1,15–20 sagt vom irdischen Jesus: „denn es gefiel der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen“ (V.19), was der Autor des Schreibens so kommentiert: „denn in ihm wohnt wirklich (κατοικεῖ … σωματικῶς) die ganze Fülle der Gottheit (πλήρωμα τῆς θειότητος)“ (2,9)15. Der Johannesprolog schreibt das Attribut θεός nicht | Ignatius, Eph insc.; vgl. noch Eph , ; , (ἐν σαρκὶ γενόμενος θεός); , ; , ; , (θεοῦ ἀνθρωπίνως φανερουμένου); Trall , ; Röm, inscr.; , ; , ; Sm , („Ich preise Jesus Christus, den Gott, der euch so weise gemacht hat“); , („Diakone des Gottes Christus“); Pol , . – H. Paulsen, Die Briefe des Ignatius von Antiochia und der Polykarpbrief (HNT : Die Apostolischen Väter II), Tübingen , f. („Exkurs: Die Gottheit Christi“): „Ziel ign Christologie ist vor allem das soteriologische Moment (vgl. dazu besonders Eph ), die Offenbarung Christi als des θεός gilt der Eröffnung des Heils und der Vernichtung des falschen Lebens“. „Hat Christus so jederzeit als θεός bestanden, so ist er damit noch nicht dem Schöpfergott und dem Vater gleichgestellt“. „[N]ur der Vater heißt der Höchste, während Jesus Christus sich mit dem Titel des einzigen Sohnes begnügen muss (Rm inscr.)“. – Vgl. auch Plinius, ep. X , , über Christen, die beteuert hätten, „ihre ganze Schuld oder ihr ganzer Irrtum habe darin bestanden, dass sie sich an einem bestimmten Tage vor Sonnenaufgang zu versammeln pflegten, um Christus als ihrem Gott einen Wechselgesang zu singen (carmenque Christo quasi deo dicere secum invicem) […]“. , – ; ebd. | Die wenigen Belege erörtert O. Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments, Tübingen : „Die klarsten und unzweideutigsten Bezeugungen des θεός-Prädikats für Jesus finden sich im Johannesevangelium und im Hebräerbrief“. – Es gibt vereinzelt auch jüdische Belege für ’lhym bzw. θεός jenseits der Rede vom einzigen Gott: Philo, Leg All II ; Somn I – (der Logos als „zweiter Gott“) oder QMelch Z. (Melchisedek als ’lhym); vgl. M. Theobald, Gott, Logos und Pneuma. „Trinitarische“ Rede von Gott im Johannesevangelium, in: ders., Studien zum Corpus Iohanneum (WUNT ), Tübingen , – , f.; W. Schrage, Unterwegs zur Einheit und Einzigkeit Gottes. Zum „Monotheismus“ des Paulus und seiner alttestamentlich-frühjüdischen Tradition (BThSt ), Neukirchen-Vluyn , f,, macht zudem darauf aufmerksam, dass „vereinzelt“ „auch frühjüdische Texte trotz aller sonstigen Polemik (gerade sie könnte auch einen konkreten Anlass haben) eine begrenzte kultische Verehrung z. B. von Engeln kennen oder Gebete an Engel wie in der AscJes und ihrer jüdischen Tradition. Jedenfalls wird klar und eindeutig sogar eine Anbetung des Menschensohns bezeugt [äthHen , ], was offenbar nicht als Widerspruch zur Anbetung des einen Gottes aufgefasst worden ist, auch wenn zu berücksichtigen bleibt, dass es sich dabei um himmlische Wesen handelt“. – Aufschlussreich ist Thess , , wo es als Zeichen des Antichrists gilt, dass er sich als Gott proklamiert. | Θεός auf Jesus bezogen nie bei den Synoptikern, nirgends bei Paulus, dafür aber bei Joh, Hebr und Petr ( , ). | Joh , und Röm , (siehe Kommentare und Übersetzungen). | Kol , ; Thess , ; Tit , , Joh , . | Diese schwierige Aussage zu verstehen hilft Somn. I , wo Philo zu Gen , LXX („Und er [sc. Jakob] kam an einen Ort und legte sich dort schlafen […]“ ausführt: „Der Begriff ‚Ort‘ ist dreifach zu verstehen: einmal als vom Körper erfüllter Raum, auf die zweite Art als der göttliche Logos, den Gott selbst ganz und gar mit unkörperlichen Kräften ausgefüllt hat (ὁ λόγος θεῖος, ὃν ἐκπεπλήρωκεν ὅλον δι ὅλων ἀσωμάτοις δυνάμεσιν αὐτὸς ὁ θεός). Denn ‚sie sahen‘, heißt es, ‚den Ort, wo der Gott Israels stand‘ (Ex , ), an dem allein er auch den Gottesdienst zu verrichten

ThQ2013_04_umbr.indd 297

27.11.13 15:44

298

Michael Theobald

nur dem ewigen Logos, sondern auch dem irdischen Jesus zu (vgl. Joh 1,1.18)16. Thomas fällt vor dem Auferweckten nieder und bekennt: „Mein Herr und mein Gott (ὁ θεός μου)“ (Joh 20,28)17. Und der Hebräerbriefautor überträgt Ps 45,7f.LXX auf den „Erhöhten“: „Dein Thron, o Gott, steht für immer und ewig und das Zepter der Gerechtigkeit ist das Zepter deines Reiches […] (1,8f.)18. Kurzum: Die doxologische Rede ging der theologischen Reflexion voraus. Was die Gemeinde zuerst in Lobpreis und Akklamation zu sagen wagte, suchte die theologische Reflexion im Nachhinein gedanklich einzuholen19. Bereits dieser Befund deutet an, dass die Zurückhaltung der frühen Christen, das θεός-Prädikat auf Jesus anzuwenden, nicht heißt, dass sie von seiner „Gottheit“ (O. Cullmann) bzw. exzeptionellen „Gottnähe“ (F. Hahn) nicht überzeugt gewesen

| |

|

|

erlaubt hat, nachdem er es an allen anderen Stellen verboten hatte; er hatte nämlich bestimmt, man solle zu dem Orte hinaufsteigen, den Gott der Herr ausgewählt hätte, und dort die Ganzopfer darbringen und die Dankopfer, dorthin die übrigen makellosen Opfertiere hinaufführen (Dtn , ff.)“. Auch Christus ist ein „Ort“ (vgl. das κατοικεῖ: Kol , ; , ), genauerhin der Logos, der ganz vom Gott-Sein erfüllt ist. – Der Terminus θεότης (Gottheit, Göttlichkeit) begegnet bei Plutarch, Lukian etc., aber im NT nur hier (ebenso wie θειότης nur in Röm , ); D. Zeller, The ΘΕΙΑ ΦΥΣΙΣ of Hippocrates and of other „Divine Men“, in: J. T. Fitzgerald u. a. (Hg.), Early Christianity and Classical Culture (FS A. J. Malherbe) (NT.S ), Leiden – Boston , – , , nennt Belege aus der Profan-Gräzität der Kaiserzeit, wo „θειότης (‚divinity‘), instead of ‚divine nature‘, is said to fill the poet-prophet“. – Zu Kol , vgl. Ps , LXX: „Warum beargwöhnt ihr, ihr geronnenen Berge, den Berg, auf dem es Gott gefallen hat, zu wohnen (ὃ εὐδόκησεν ὁ θεὸς κατοικεῖν ἐν αὐτῷ), (auf dem) ja auch der Herr Wohnung nehmen wird [ὁ κύριος κατασκηνώσει] für immer?“ Anders Phil , – (siehe unten). , : R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium, III. Teil: Kommentar zu Kap. – (HThK.NT IV/ ), Freiburg „Die Verbindung ‚Herr und Gott‘ lässt an die Sprechweise im AT denken; aber sie entspringt hier eher der Reflexion des Evangelisten. Möglich ist auch eine Erinnerung an die urchristliche Liturgie“; vgl. Ps , LXX: ὁ θεός μου καὶ ὁ κύριός μου; Vgl. auch Ps , ; , ; , . Die Verbindung von κύριος und θεός als Gottesbezeichnung z. B. in Sam , ; Kön , ; Jer , ; Sach , und Offb , . Zu Psalm vgl. E. Zenger: „Wie in der ägyptischen Königstheologie erhält auch der König von Jerusalem den Amtstitel ‚Gott‘. Zwar hat gerade die atl. Überlieferung den Abstand zwischen Gott und König nicht verwischt, und seine biographische Menschlichkeit wird oft geradezu drastisch betont, doch hat die Hoftheologie den Gedanken immer wieder variiert, dass der König seine Aufgabe, Gottes Ordnung der Welt zu verteidigen und Segensmittler für sein ganzes Königreich bis hin zur Fruchtbarkeit der Felder zu sein, nur erfüllen kann, wenn er in einzigartiger Weise mit Gott verbunden ist: als sein Sohn, den er gezeugt hat (Ps , ; , ), als sein Erstgeborener (Ps , ), als der, der auf dem Königsthron JHWHS sitzt ( Chr , ; , ) – oder eben ‚Gott‘ genannt wird […]“ (in: F.-L. Hossfeld – E. Zenger, Die Psalmen. Ps – [NEB], Würzburg , ). Dazu L. W. Hurtado, Lord Jesus Christ. Devotion to Jesus in Earliest Christianity, Grand Rapids , der hier, aber auch in weiteren Studien (z. B. How on Earth Did Jesus Become a God? Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus, Grand Rapids ) mit Hinweis vor allem auf die Akklamationen (Maranatha; κύριος Ἰησοῦς) herausarbeitet, dass die gottesdienstliche Verehrung Jesu schon sehr früh in der Jerusalemer Gemeinde einsetzte; dazu vgl. Theobald, Gott (s. Anm. ) – , H.-U. Weidemann, Jesus ist der Herr. Vorbemerkungen zur Christologie der „Urgemeinde“, in: G. Augustin u. a. (Hg.), Mein Herr und mein Gott. Christus bekennen und verkünden (FS W. Kardinal Kasper), Freiburg , – , f.; vgl. auch G. Lohfink, Gab es im Gottesdienst der neutestamentlichen Gemeinden eine Anbetung Christi?, in: ders., Studien zum Neuen Testament (SBAB ), Stuttgart , – . – Schrage, Einheit (s. Anm. ) – („Die gottesdienstliche Praxis“) meldet gegenüber einer einseitigen Herleitung der christologischen Transformation des biblischen Monotheismus aus gottesdienstlichem Enthusiasmus Bedenken an (vgl. auch unten Anm. f.).

ThQ2013_04_umbr.indd 298

27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

299

wären20, nur wie verstanden sie diese? Ein Blick auf die frühjüdisch-biblischen Sprachmuster, derer sie sich bedienten – dass sie Juden waren, ist in keinem Augenblick zu vernachlässigen!21 –, verspricht weiteren Aufschluss.

2. Die biblisch-frühjüdische Matrix neutestamentlicher Erhöhungschristologien Zwei paulinische Texte, die auf alter Überlieferung fußen, bieten sich an, die biblischfrühjüdische Matrix der Versprachlichung des Osterglaubens zu veranschaulichen: Phil 2,6–11 und Röm 8,31–35a. Dabei beschränken wir uns auf das Sprachspiel der „Erhöhung“22.

2.1 Die „Gottnähe“ des erhöhten Christus nach Phil 2,6–11 Paulus hat das „Christuslied“ vom Weg des Gottessohns Phil 2,6–11 wahrscheinlich „von anderen Christen übernommen“ und „sich angeeignet“23, um mit ihm seine Mahnung zur „Demut (ταπεινοφροσύνη)“ christologisch zu begründen (Phil 2,3–5): Den Weg nach unten ging auch der Gottessohn: Der mit göttlichem Wesen Ausgestattete verließ den Himmel, erfuhr das menschliche Sein-zum-Tod „von innen heraus“24, wurde „deshalb“ von Gott auch in den Himmel „erhöht“ und erhielt eine Machtstellung, die seine ursprüngliche Beheimatung bei Gott weit übertrifft. So deutlich die dritte „Strophe“ biblische Sprachmuster aktiviert, so wahrscheinlich assoziieren die beiden ersten die hellenistische Vorstellung, dass ein Gott gelegentlich die ihm eigene Gestalt mit einer menschlichen vertauschen kann25. Diese Vorstellung unterlaufen sie | Cullmann, Christologie (s. Anm. ) : „Da feststeht, dass das Neue Testament von einer Reihe grundlegender christologischer Begriffe aus bereits zur Auffassung der Gottheit Christi […] gelangt, hat die Frage, ob Jesus auch tatsächlich als ‚Gott‘ bezeichnet wird, nur mehr untergeordnete Bedeutung“. : „[D]ie Tatsache, dass Paulus zu Christus betet ( Kor , )“, beweise, „dass er gegebenenfalls wirklich θεός von Jesus sagen konnte“; zu F. Hahn siehe unten Anm. . . | Dies betont nachdrücklich zu Recht Weidemann, Jesus (s. Anm. ), etwa . | Zum benachbarten, aber eigenständigen Sprachmodell der „Auferweckung“ vgl. M. Theobald, Angefochtener Osterglaube – im Neuen Testament und heute, in: ThQ ( ) – . | N. Walter, Der Brief an die Philipper, in: NTD / , Göttingen , – , – : „Der entscheidende Einwand dagegen, dass Paulus selbst das Lied verfasst hat, ist m. E. der, dass Paulus nirgends sonst ein Interesse an einem isolierten christologischen ‚Gesamtbild‘ zeigt, ohne dabei sofort auf die Heilsbedeutung der christologischen Aussagen ‚für uns‘ zu sprechen zu kommen“; vgl. auch M. Theobald, Der Philipperbrief, in: M. Ebner – S. Schreiber (Hg.), Ein, – , – . leitung in das Neue Testament, Stuttgart | Ebd. . | U. B. Müller, Die Menschwerdung des Gottessohnes. Frühchristliche Inkarnationsvorstellungen und die Anfänge des Doketismus (UTB ), Stuttgart , – ; D. Zeller, Die Menschwerdung des Sohnes Gottes im Neuen Testament und die antike Religionsgeschichte, in: ders., Menschwerdung Gottes – Vergöttlichung von Menschen

ThQ2013_04_umbr.indd 299

27.11.13 15:44

300

Michael Theobald

aber, wenn sie „die Annahme einer anderen Gestalt“ nicht als „bloße Vertauschung“ artikulieren, „die die Identität des Präexistenten unberührt“ lassen würde, sondern als reale Menschwerdung bzw. radikale „Aufgabe der Göttlichkeit“26: 6

a b

hielt das Gottgleichsein (τὸ εἶναι ἴσα θεῷ) nicht wie einen Raub fest,

7

a

sondern entäußerte sich selbst (ἑαυτὸν ἐκένωσεν),

b

indem er die Gestalt eines Knechts (μορφὴν δούλου) annahm.

c

8

9

11

II.

Der in der Gestalt Gottes (ἐν μορφῇ θεοῦ) war,

Den Menschen ähnlich geworden (ἐν ὁμοιώματι ἀνθρώπων γενόμενος)

d

und der Erscheinung nach wie ein Mensch erfunden (σχήματι εὑρεθεὶς ὡς ἄνθρωπος),

a

erniedrigte er sich selbst (ἐταπείνωσεν ἑαυτόν),

b

indem er gehorsam wurde bis zum Tod

c

– ja bis zum Tod am Kreuz.

a

10

I.

III.

Deshalb erhöhte Gott ihn auch über die Maßen

b

und schenkte ihm den Namen,

c

der über alle Namen (ist),

a

damit sich im Namen Jesu jedes Knie beuge

b

– aller himmlischen, irdischen und unterirdischen (Mächte) –

a

und jede Zunge bekenne:

b

„Herr ist Jesus Christus!“

v

– zur Ehre Gottes, des Vaters.

Proklamiert die dritte „Strophe“ – so könnten wir nun fragen – auf dem Hintergrund der beiden ersten nicht doch Jesu „Vergöttlichung“ als Kompensation für das, was der (NTOA ), Freiburg/Schweiz – Göttingen , – . – Für Walter, Phil (s. Anm. ) , ist „eine wichtige gedankliche Voraussetzung“ der Präexistenzaussage „die vom hellenistischen Judentum (Ägyptens?) entwickelte Vorstellung von einer Schöpfungsmittler-Wesenheit abstrakter Art (dem „Logos“/Wort oder der „Sophia“/Weisheit)“, die hier aber hier nicht alles erklärt; S. Vollenweider, Die Metamorphose des Gottessohns. Zum epiphanialen Motivfeld in Phil , – , in: Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte (FS J. Becker) (BZNW ), Berlin , – , : „Das Erdenleben Jesu wird als verborgene Epiphanie eines angelomorphen Himmelswesens gezeichnet“, wobei aber das hellenistisch gefärbte „epiphaniale“ Muster erheblich transformiert wird. | Müller, Menschwerdung (s. Anm. ) ͤͨ. ; die Radikalität des für die Antike ungewöhnlichen Gedankens erkläre, warum das Lied „die Menschwerdung des Präexistenten in immer neuen Wendungen zu umschreiben sucht, um sich der eigentlichen Aussageabsicht anzunähern“ ( ).

ThQ2013_04_umbr.indd 300

27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

301

Präexistente in seiner „Menschwerdung“ aufgab: sein „Gottgleichsein“? Ist dies die Aussageintention der dritten „Strophe“? Dagegen spricht, dass das „Lied“ die „Menschwerdung“ des Präexistenten gerade gegen ihre mythische Lesart (= Gotteserscheinung in menschlicher Gestalt) abschirmt, weshalb zu erwarten ist, dass seine letzte „Strophe“ dies nicht wieder rückgängig macht, indem sie Jesu „Erhöhung“ als seine „Vergöttlichung“ proklamiert, die seine Menschheit vergessen ließe. „Erhöhung“ bedeutet in den Koordinaten des „Liedes“ etwas anderes, wie zwei Beobachtungen belegen. Mit Jes 45,23f. wird ein ursprünglich Gott geltender biblischer Text auf den erhöhten Christus übertragen27: der kultisch konnotierte Vorgang des Sich-Beugens und Sich-Bekennens zu JHWH28. Damit ist der „Übertrag“ auch des Gottesnamens auf den Erhöhten verbunden, denn „der Name, der über alle Namen (ist)“, den „Gott“ ihm bei seiner Inthronisation „verliehen“ hat (ἐχαρίσατο), ist kein anderer als sein eigener Name: κύριος = der Herr. Doch steht die Akklamation: „Herr (ist) Jesus Christus“29, die alle himmlischen, irdischen und unterirdischen Mächte sprechen werden, nicht als eigener, mit dem Lobpreis des einzigen Gottes konkurrierender kultischer Vorgang in sich, sondern ist in diesen einbezogen: „Herr ist Jesus Christus – zur Ehre Gottes, des Vaters“30. Es ist diese Doxologie am Ende des „Lieds“, die es verbietet, die „Erhöhung“ des Gekreuzigten als „Apotheose“ im hellenistischen Sinne zu verselbständigen. Damit verbindet sich ein Zweites.

| D. B. Capes, Old Testament Yahweh Texts in Paul’s Christology (WUNT / ), Tübingen ; allerdings geht er mit seiner Annahme, die frühen Christen „not only worshiped Jesus alongside God, they worshiped as God“ ( ), zu weit; vgl. Schrage, Einheit (s. Anm. ) Anm. , sowie unten Anm. . | Neben Jes , f. (LXX: „… denn vor mir wird sich jedes Knie beugen, und jede Zuge wird bekennen vor Gott und sagen: ‚Gerechtigkeit und Herrlichkeit werden zu ihm kommen, und zuschanden werden alle, die sich absondern‘; vom Herrn her [κύριος] wird gerechtfertigt werden und in Gott zu Ehren kommen die ganze Nachkommenschaft der Söhne Israels“), wird auch Jes , eingewirkt haben. | Vgl. Röm , ; Kor , : κύριος Ἰησοῦς; außerdem Kor , ; Röm , (Joel , LXX). Phil , bietet bereits eine sehr reflektierte Rezeption der Akklamation, wie ihre Verbindung mit Jes , f. zeigt; zur Akklamation als solcher vgl. die erhellenden Ausführungen von Weidemann, Jesus (s. Anm. ) f., mit Verweis auf E. Rau, Der urchristliche Kyrioskult und die Bekehrung des Paulus, in: P. Stolt (Hg.), Kulte, Kulturen, Gottesdienste. Öffentliche Inszenierung des Lebens (FS P. Cornehl), Göttingen , – , (κύριος sei hier Subjekt, Ἰησοῦς Prädikatsnomen, „so dass auf die Frage geantwortet wird: wer ist der – als bekannt vorausgesetzte – Kyrios?“ – Die Theozentrik von Phil , – scheint für den frühesten gottesdienstlichen Jerusalemer Kontext selbstverständlich gewesen zu sein, weshalb man mit der Annahme eines „Binitarian Worship“ (so Hurtado, Earth [s. Anm. ] – ) vorsichtig sein ) – ; Feldmeier-Spiekermann, Gott (s. Anm. ) – . sollte; vgl. M. Theobald, Art. Kyrios, in: LThK VI ( | Schrage, Einheit (s. Anm. ) f., präzisiert: Von einer „inclusion of Jesus into the devotional pattern“ könne man im Blick auf Taufe und Herrenmahl durchaus sprechen (in Auseinandersetzung mit L. W. Hurtado); „doch inwiefern und inwieweit diese christologisch gefüllten Phänomene und Erfahrungen tatsächlich eine Modifizierung ‚monotheistischer‘ Anschauungen in Richtung auf einen ‚binitarischen‘ Gottesdienst bewirken, lässt sich nicht sagen“. Paulus denke eher „an ein Danken und Beten zu Gott ‚durch Jesus Christus‘ wie in Röm , ; , ; [ , ] und Kor , “. Vgl. bereits W. Thüsing, Per Christum in Deum. Studien zum Verhältnis von Christozentrik und Theozen, – ; er rechnet damit, dass εἰς δόξαν θεοῦ trik in den paulinischen Hauptbriefen (NTA.NF ), Münster πατρός auf Paulus zurückgeht.

ThQ2013_04_umbr.indd 301

27.11.13 15:44

302

Michael Theobald

Wie das διό (= deshalb) eingangs der dritten „Strophe“ zeigt, ist die „Erhöhung“ Jesu die Antwort Gottes auf seinen Gehorsam „bis zum Tod – ja bis zum Tod am Kreuz“, wie Paulus zum vorgegebenen „Lied“ wohl hinzusetzt, um die eigene Kreuzestheologie in Erinnerung zu rufen31. So erzählt das „Lied“ gerade keine Aufstiegsgeschichte32, sondern proklamiert das Paradox, dass Gott sich an einen Gekreuzigten als seinen „Repräsentanten“33 gebunden hat, an den zu glauben oder nicht über Heil oder Unheil entscheidet. Eine „Vergöttlichung“ Jesu, die seinen Tod verklären würde, ist das nicht.

2.2 „Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Röm 8,32c) Röm 8,31–35a gehört zum hymnischen Finale der ersten Hälfte des Römerbriefs, in dem Paulus unter Rekurs auf alte Glaubensformeln34 zusammenfassend seine Gewissheit begründet, dass nichts, aber auch gar nichts Gottes „Auserwählte“ (V.33a) von seiner „Liebe in Christus Jesus“ (V.39) scheidet: 31

32

a

Was wollen wir nun hierzu sagen?

b

Ist Gott für uns,

c

wer (ist) gegen uns?

a

Der seinen eigenen Sohn nicht verschont hat,

b

sondern ihn für uns alle dahingegeben hat

| Schon E. Käsemann, Kritische Analyse von Phil. , – , in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen , – , verwies im Anschluss an E. Lohmeyer darauf, dass das Modell von Menschwerdung und Erhöhung hier vom soteriologischen des Kreuzestodes überlagert wird; Walter, Phil [s. Anm. ] : „Dass es sich beim Tod Jesu speziell um den ‚Tod am Kreuz‘ [den entehrenden Sklaventod] handelt, ist für die Gedankenführung des Liedes selbst nicht bedeutsam“. | Weil die Erhöhung des Gekreuzigten, ja schon der Verzicht auf den Status der Gottgleichheit im Ursprung seiner Existenz gegen alles Aufstiegs- und Vergöttlichungs-Denken der Umwelt steht, dürfte eine politisch-gesellschaftliche Relevanz dem „Hymnus“ nicht abzusprechen sein: dazu S. Vollenweider, Politische Theologie im Philipperbrief?, in: D. Sänger – U. Mell (Hg.), Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur (WUNT ), Tübingen , – ; A. Standhartinger, Die paulinische Theologie im Spannngsfeld römisch-imperialer Machtpolitik. Eine neue Perspektive auf Paulus, kritisch geprüft anhand des Philipperbriefs, in: F. Schweitzer (Hg.), Religion, Politik und Gewalt. Kongressband des XII. Europäischen Kongresses für Theologie .- . September in Berlin (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie ), Gütersloh , – . Zu Recht betonen Feldmeier – Spiekermann, Gott (s. Anm. ), mit Anm. , gegen U. B. Müller, dass es in der dritten „Strophe“ „um sehr viel mehr als nur um ausgleichende Gerechtigkeit geht“, im Sinne nur einer „Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes einer Existenz in ‚Gestalt Gottes‘“; die Pointe sei vielmehr die Erhebung gerade des Gekreuzigten „zu einzigartiger Hoheit“. | F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments, Bd. II: Die Einheit des Neuen Testaments. Thematische Darstellung, Tübingen , : Der Erhöhte, der „in einer spezifischen Weise an Gottes Gottheit partizipiert“, ist „Stellvertreter und Repräsentant Gottes, insofern begegnet uns in seinem Wirken Gott selbst, ohne dass dies im modalistischen Sinn zu verstehen wäre“. | H. Paulsen, Überlieferung und Auslegung in Röm (WMANT ), Neukirchen-Vluyn , – .

ThQ2013_04_umbr.indd 302

27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

33

34

35

c

– wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?

a

Wer will denn Anklage erheben gegen die Auserwählten Gottes?

b

Gott ist es, der gerechtspricht –

a

wer will sie (dann) verurteilen?

b

Christus Jesus,

c

gestorben,

d

mehr noch: der auferweckt wurde,

e

der zur Rechten Gottes ist (ἐν δεξιᾷ τοῦ θεοῦ),

f

der auch für uns eintritt (ἐντυγχάνει ὑπὲρ ἡμῶν).

a

Wer kann uns scheiden von der Liebe Christi? […]

303

Was sich hier abzeichnet, führt direkt in das spätere Credo: gestorben, auferweckt, sitzend zur Rechten Gottes, der für uns eintritt. Die beiden letzten Sätze sagen mit einem anschaulichen Bild, warum Jesu Auferweckung ein heilvolles Geschehen ist: weil Jesus Fürsprecher oder Anwalt vor Gott ist, gegen den jeder Kläger machtlos ist. „Der zur Rechten Gottes ist“ – die Seditio ad dexteram patris Hintergrund von V.34e ist Ps 110, einer der am meisten zitierten Psalmen im Neuen Testament35, wobei der älteste Beleg unsere Stelle ist36. Der Psalm beginnt mit den Worten: 1a

Von David ein Psalm.

1b

Spruch JHWHs an meinen Herrn:

1c

„Setze dich zu meiner Rechten,

1d

während ich hinlege deine Feinde

1e

als Schemel für deine Füße.“

2a

Das Szepter deiner Macht

2b

streckt JHWH aus von Zion her,

2c

herrsche inmitten deiner Feinde […].

| Vgl. M. Hengel, „Setze dich zu meiner Rechten!“ Die Inthronisation Christi zur Rechten Gottes und Psalm , , in: ders., Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV (WUNT ), Tübingen , – . | Der Psalmvers selbst wird nicht zitiert, das alte Bekenntnis spielt nur auf ihn an. Die christologische Interpretation des Psalms ist auch deshalb so aufschlussreich, weil sie an Jesu eigene Botschaft von der „Königsherrschaft Gottes“ anknüpft, um sie aus österlicher Perspektive zu „transformieren“ (vgl. unten . ).

ThQ2013_04_umbr.indd 303

27.11.13 15:44

304

Michael Theobald

Die Wortfolge mit ihren unterschiedlichen Personen irritiert zunächst, wird aber transparent, wenn sie als „Skript“ gelesen wird, zu dem folgende Szene hinzugehört: Ein Prophet im Dienst des königlichen Hofs tritt auf und übermittelt seinem „Herrn“ einen Gottes-Spruch (= V.1b-e), den er ihm anschließend (in V.2–3) erläutert. In ihm weist JHWH den König an, auf seinem Thron zur Rechten Platz zu nehmen. „Das impliziert nicht nur eine besondere Ehrung bzw. Erwählung, sondern […] ein echtes MitThronen des Angesprochenen, d. h. eine Teilhabe an der Ausübung der Königsherrschaft JHWHs selbst“37. E. Zenger spricht zwar im Blick auf das ägyptische Verständnis königlicher Inthronisation von einer „Divinisierung“ des Königs bei Amtsantritt, meint aber, dass diese durch die gegenläufige Tendenz seiner „Depotenzierung“ zum Werkzeug Gottes im Psalm konterkariert würde38. Auf Jesus übertragen bedeutet das: Auch er „wird in den himmlischen (Thron-)Raum Gottes integriert und hat Anteil an dem Machtpotential Gottes, das sich in Gericht und Rettung erweist“39. Darüber hinaus ist er sein eschatologischer Repräsentant vor aller Welt, sein „Werkzeug“, weshalb von einer „Divinisierung“ nicht gesprochen werden sollte. „Der für uns eintritt“ Das Frühjudentum kennt eine Reihe von in den Himmel versetzten Fürsprechern bei Gott, Henoch und Jeremia etwa. Aber auch Engel leisten solchen Dienst – vor allem Israels Schutzpatron, der Erzengel Michael40, der in dieser Funktion z. B. in den sog. „Testamenten der zwölf Patriarchen“ begegnet. Als Levi den Engel, der ihm im Schlaf erschienen ist, bittet, ihm doch seinen Namen kundzutun, damit er ihn „am Tag der Bedrängnis anrufen“ könne, antwortet ihm dieser: „Ich bin der Engel, der für das Geschlecht Israels bittend eintritt, damit es nicht zertreten werde“ (TestLevi 5,6). Aufschlussreich ist auch TestDan 6,1–7, eine Weisung des Patriarchen Dans an seine Söhne: 1

Und jetzt, fürchtet den Herrn, meine Kinder, und nehmt euch in Acht vor dem Satan und seinen Geistern.

| E. Zenger, in: F.-L. Hossfeld – E. Zenger, Psalmen – (HThKAT), Freiburg , . | Der Psalm sei „konsequent theozentrisch“. Seine „Bilder (der König als Throngenosse Gottes, als Werkzeug Gottes im siegreichen Kampf gegen die Feinde zur Durchsetzung der Welt- und Lebensordnung Gottes) haben eine doppelte Dynamik: Einerseits wird der König hineingenommen in den Machtbereich Gottes selbst und so ‚divinisiert‘, andererseits wird er als eigenständige Figur depotenziert, insofern er in letzter Konsequenz eine Funktion Gottes ist“. | L. Bormann, Psalm im Dialog mit dem Neuen Testament, in: D. Sänger (Hg.), Heiligkeit und Herrschaft. Intertextuelle Studien zu Heiligkeitsvorstellungen und zu Psalm (BThSt ), Neukirchen-Vluyn , – , ; vgl. auch M. Tilly, Psalm zwischen hebräischer Bibel und Neuem Testament, ebd. – . ) – ; zu frühen Spu| Vgl. Dan , . ; , ; QS , ; QM , . – M. Theobald, Art. Michael, in: LThK VII ( ren einer Engelchristologie im Neuen Testament vgl. L. T. Struckenbruck, Angel Veneration and Christology (WUNT / ), Tübingen ; D. D. Hannah, Michael and Christ (WUNT / ), Tübingen .

ThQ2013_04_umbr.indd 304

27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

2

305

Naht euch vielmehr Gott und dem Engel, der für euch bittend eintritt (παραιτουμένῳ), denn dieser ist Mittler zwischen Gott und Menschen (μεσίτης θεοῦ καὶ ἀνθρώπων) für den Frieden Israels41, und er wird sich gegen das Reich des Feindes stellen.

3

Darum müht sich der Feind, alle zu Fall zu bringen, die den Herrn anrufen (τοὺς ἐπικαλουμένους τὸν κύριον).

4

Denn er weiß, dass am Tage, an dem Israel umkehren wird, das Reich des Feindes beendet sein wird.

5

Denn der Engel des Friedens selbst wird Israel stärken, damit es nicht in das äußerste Übel fällt.

6

[…] denn keiner der Engel ist ihm gleich.

7

Sein Name wird an jedem Ort Israels sein […]42.

In der christlichen Tradition geht die Rolle des Erzengels auf den erhöhten Christus über, der jetzt aber nicht mehr allein für Israel, sondern auch für die Völker beim Thron Gottes Fürbitte leistet43 – für „uns alle“, wie Paulus in Röm 8,32 sagt. Auch überragt Christus den Erzengel, ist „um so viel erhabener als die Engel, wie der Name, den er geerbt hat, ihren Namen überragt“ (Hebr 1,4; vgl. oben Phil 2,9–11)44. Worin gründet dieses „erhabener als sie“? – eine Frage, welche die frühe Kirche lange beschäftigte45. Röm 8 gibt folgende Antwort: Jesu „Eintreten“ für uns beim Vater ist nicht „ergebnisoffen“; es unterliegt nicht dem Zweifel, ob die „gegen uns“ auftretenden „Kläger“ nicht doch stärker sind. Vielmehr ist es von der Gewissheit seines Erfolgs getragen, worin es sich von aller sonstigen Anrufung Gottes durch die Engel unterscheidet. Woher stammt diese Gewissheit? Nach Paulus aus Jesu Heil schaffendem Sterben „für uns alle“, wobei er die Konsequenz aus seinem Sterben in das ausdrucksstarke Bild seines „Eintretens“ vor Gott übersetzt. Da aber Gott im Sterben Jesu selbst

| Vgl. Tim , . | Übersetzung nach J. Becker, Die Testamente der zwölf Patriarchen, in: JSHRZ III . | Die Vorstellung vom fürbittenden Eintreten am Thron Gottes könnte priesterlich konnotiert sein; vgl. Hebr , ; , ; Weidemann, Jesus (s. Anm. ) . | Vgl. auch Mk , : „und die Engel dienten ihm“; Joh , : „und ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn“; dazu Johannes Chrysostomus, Hom. zu Joh: „Du wirst noch Größeres als dieses sehen, und führte zum Beweis den Dienst der Engel an. […]. Dadurch fordert er den Nathanael auf, ihn auch als Herrn der Engel zu bekennen, denn diese königlichen Diener stiegen auf und ab über ihm als dem echten Sohn des Königs“ (F. Knors, Die Homilien des Heiligen Johannes Chrysostomus über das Evangelium des heiligen Johannes, Paderborn , ). | Vgl. Stuckenbruck, Angel Veneration (s. Anm. ).

ThQ2013_04_umbr.indd 305

27.11.13 15:44

306

Michael Theobald

schon engagiert ist (vgl. Röm 8,32b), ist die Annahme von dessen Fürbitte im himmlischen „Thronsaal“ „nur“ das Siegel auf das eigene vorgängige göttliche Engagement. Anders gesagt: Das Bild Jesu als des himmlischen Fürsprechers verstärkt die soteriologische Deutung seines Todes. Es geht um Jesu ursprüngliche „Gottnähe“46, nicht um seine „Divinisierung“.

2.3 Zwischenbilanz Die beiden Paulustexte veranschaulichen, dass die von ihnen benutzten biblisch-frühjüdischen Sprachmuster sich gegen die hellenistische Kategorie der „Vergöttlichung“ sperren, und zwar aus verschiedenen Gründen: Dass Jesus an Ostern zu etwas geworden wäre, was er vorher nicht war, ist nicht ihre Aussage. Auch stellen sie seine österliche „Inthronisation“ nicht so dar, dass sein Tod vom Glanz des Göttlichen überstrahlt oder vergessen gemacht würde. Vielmehr wird dieser Tod in seiner soteriologischen Relevanz pro nobis erst durch Jesu „Erhöhung“ in Kraft gesetzt. Der „Erhöhte“ ist und bleibt für Paulus der Gekreuzigte! Vor allem aber ist Gott nach Paulus nicht erst nachträglich in die Jesusgeschichte verwickelt, sondern ist ursprungshaft mit ihr verbunden. Der theo-zentrische Duktus des hymnischen Finale Röm 8 mit dem Auftakt V.32a.b: „Gott, der seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat“, zeigt das überdeutlich: Hat Gott den Menschen mit Jesus sozusagen sein Bestes „geschenkt“ – das gibt die SohnesMetapher zu denken auf!47 –, dann steht er auch am Ursprung seiner Geschichte, in der er sich endgültig und unüberbietbar engagiert hat48. Die theologische Metasprache nennt dieses „Unüberbietbar“ (samt seinen hier nicht zu erörternden theologischen Implikationen) eschatologisch. Jesu „Erhöhung“ oder „Inthronisation“ ist dann das Geschehen, durch das Gott seine ursprüngliche Identifikation mit ihm weltöffentlich macht. Fällt dem „Erhöhten“ damit die eschatologische Funktion der „Repräsentanz“ Gottes zu, dann ist es nur konsequent, wenn in der weiteren christologischen „Lehrent-

| Hahn, Theologie II (s. Anm. ) : „Dass himmlische Wesen nicht eo ipso gottgleich sind, zeigt die biblische Engelvorstellung. Auch wenn man nicht von einer ‚Engelchristologie‘ ausgehen kann, weil damit die Sonderstellung Jesu unberücksichtigt bliebe, impliziert die neutestamentliche Auffassung von Jesus als einer himmlischen Gestalt nicht von vornherein dessen Göttlichkeit, sondern dessen […] genauer zu bestimmende Gottnähe“. | Vgl. M. Theobald, „Sohn Gottes“ als christologische Grundmetapher bei Paulus, in: ders., Studien zum Römerbrief (WUNT ), Tübingen , – . | Das „Christuslied“ Phil , – bleibt in dieser Hinsicht sperrig: ὁ θεός wird Subjekt erst in III, in I und II ist der „Präexistente“ Subjekt seiner freien Entscheidung, sich zu „entäußern“. Dennoch dürfte hinter dieser quasi-mythischen Redeweise, die das „Lied“ selbst im Ringen um die Sache durchbricht (siehe oben), die Überzeugung stehen, dass dies alles „nicht ‚von ungefähr‘“ geschah, sondern „dem Willen Gottes“ entsprach, wie ja die biblischen Assoziationen in III zeigen (Walter, Phil [s. Anm. ] f.).

ThQ2013_04_umbr.indd 306

27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

307

wicklung“ auch Funktionen auf ihn übergehen, die aus biblisch-frühjüdischer Sicht Gott vorbehalten sind – zum Beispiel die des eschatologischen Richters49.

3. Der irdische Jesus aus österlicher Perspektive Wenden wir uns vom Osterbekenntnis dem irdischen Leben Jesu zu, wie es die Evangelisten im Licht von Ostern darstellen, stellt sich als nächstes die Frage, ob sich bei ihnen Tendenzen bemerkbar machen, Jesu Menschlichkeit ins Göttliche zu steigern. Es empfiehlt sich, bei der Beantwortung dieser Frage Synoptiker und Johannes gesondert zu behandeln.

3.1 Antagonismen der Evangelienschreibung: Christologie im Zeichen des einzigen Gottes Israels versus Vergöttlichungstendenzen der Überlieferung? Jesus war Exorzist und hat Kranke geheilt, daran lässt sich nicht zweifeln. Doch wurde sein Bild als Wundertäter später mit immer kräftigeren Strichen gemalt und seine Wunderkraft vielfach gesteigert50. Verantwortlich dafür waren vor allem missionarisch-werbende Gründe. Auf dem hellenistischen Markt der Heilsangebote musste man sich eben gegenüber manchen Konkurrenten behaupten. Tendenzen, ihn als be-

| Vgl. Kor , ; Mt , – ; Apg , ; Petr , ; Tim , ; Barn , ; Clem , ; Polykarp, Phil , . – E. Lohse, Christus als Weltenrichter, in: G. Strecker (Hg.), Jesus Christus in Historie und Theologie (FS H. Conzelmann), Tübingen , – ; K. Wengst, Schriften des Urchristentums. Zweiter Teil: Didache (Apostellehre), Barnabasbrief, Zweiter Klemensbrief, Schrift an Diognet, Darmstadt , Anm. , zu Clem , : die Bezeichnung „Richter der Lebenden und Toten“ „reicht zurück bis in die Erwartung der frühen palästinischen Gemeinde, die im auferweckten Jesus vor allem den zum Gericht kommenden Menschensohn sah“. | „Wie man aus einem Menschen ein Gott werden könne (πῶς ἄν τις ἐξ ἀνθρώπου γένοιτο θεός)“ – diese Frage gehört Gefangenen nach Plutarch zu den „schwierigen Fragen“, die Alexander – so erzählt er in seiner Biographie – „vorlegte mit der Ankündigung, er werde denjenigen, der keine richtige Antwort gebe, zuerst und nach ihm der Reihe nach die anderen töten lassen“ ( , ). Eine Antwort, die er erhält, lautet: „wenn man etwas leiste, was einem Menschen zu leisten nicht möglich sei (εἴ τι πράξειεν, εἶπεν, ὃ πρᾶξαι δυνατὸν ἀνθρώπῳ μή ἐστιν)“ ( , f.). Sind die „Taten“ Jesu nach dem Verständnis der Evangelisten menschenunmögliche Taten? Eine derartige Frage, die eine philosophische Reflexion über die Grenzen des Menschenmöglichen anstoßen müsste, scheint nicht im Blickfeld unserer Quellen zu liegen. Mitunter heißt es zwar in den sog. „Chorschlüssen“ von Wundererzählungen: „So etwas haben wir noch nie gesehen!“ (Mk , ), oder: „Niemals ist solches in Israel vorgekommen!“ (Mt , ). Auch Lukas unterstreicht das „Außergewöhnliche“ an Jesu Wirken (Lk , : „Wir haben heute seltsame Dinge [παράδοξα] gesehen“) (vgl. auch die „Chorschlüsse“ Lk , ; , ), das er an Gott zurückbindet (Lk , : „Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und Gott hat sein Volk besucht!“). Aber Lukas lässt keine seiner Erzählfiguren behaupten, dass Jesus weit und breit der einzige Wundertäter gewesen sei. Im Gegenteil: Selbst nach Jesu eigenen Worten gab es Exorzisten auch neben ihm (vgl. Lk , par.).

ThQ2013_04_umbr.indd 307

27.11.13 15:44

308

Michael Theobald

sonders begabten „göttlichen Menschen“ zu porträtieren51, sind deshalb in verschiedenen Überlieferungszweigen zu beobachten. In der markinischen Überlieferung sind vor allem die Stillung des Sturms durch Jesus (Mk 4,35–41) und sein Seewandel (Mk 6,45–52) zu nennen. In beiden Erzählungen werden göttliche Prärogative auf Jesus übertragen52. Die Sturmstillungserzählung steigert sein bekanntes Bild als Exorzist, wenn sie Jesus gegen Wind und Meer mit seinem Schweigegebot vorgehen lässt, was eigentlich nur Gott vermag: „Du stillst das Brausen der Meere, das Brausen ihrer Wogen …“, preist Ps 65,8 den Herrn, und in Ps 106,9LXX heißt es von ihm: „Er bedrohte das Schilfmeer, da wurde es trocken […]“53. Wenn Ps 77,20 in einer Theophanieschilderung erklärt: „Es ging dein Weg durch das Meer, es gingen deine Pfade durch große Fluten […]“, und Ijob 9,8b von JHWHs Wandeln „auf den Höhen des Meeres“ spricht, dann wird der motivische Hintergrund für Jesu Seewandel sichtbar. Beide Erzählungen sind biblisch generiert. Doch besteht auch starke Affinität zu analogen hellenistischen Geschichten, die Gleiches von Heroen und Göttern erzählen. So rühmt Aelius Aristides die Hilfe des ägyptischen Heilgottes Sarapis im Seesturm mit den Worten: „Er ist der Herr (οὗτος κύριος), ‚der zum Schweigen zu bringen und aufzuschrecken weiß den Wind, den er will‘“54. Und Dio Chryostomus meint im Blick auf Xerxes, „dass von den Menschen unter der Sonne jener der stärkste ist und nicht einmal den Göttern an Macht nachsteht, der das unmöglich Scheinende möglich machen kann, der – wenn er will – zu Fuß über das Meer schreitet“55. Über Wasser zu gehen, galt als Fähigkeit göttlicher Menschen und Magier. Selbst bei Lukas, dem Historiker unter den Evangelisten, lassen sich Spuren der Darstellung Jesu als eines göttlichen Menschen beobachten. Der erste Synagogenauftritt Jesu in Nazareth mündet bei ihm in folgende Szene: „Und sie standen auf und stießen ihn zur Stadt hinaus und führten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt gebaut war, um ihn hinabzustürzen. Aber er ging mitten durch sie hinweg“ (Lk 4,29f.). Das grenzt an ein Wunder und erinnert an ähnliche Szenen im Leben „göttlicher Menschen“, zum Beispiel dem des Apollonius von Thyana, von dem sein Biograph Philostrat erzählt: Angeklagt von Kaiser Domitian, hätte er diesem nach langer Verhandlung zugerufen: | D. Dormeyer, in: R. Zimmermann (Hg.), Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen, Bd. : Die Wunder Jesu, Gütersloh , f.: „Göttlicher Mensch oder göttliche Vollmacht?“ , | R. Pesch, Das Markusevangelium, I. Teil. Einleitung und Kommentar zu Kap. , – . (HThK II/ ), Freiburg – . – . | Außerdem vgl. Ps , ; , – . | Aelius Aristides, Or. , . (er bezieht sich auf Homer, Odyssee , ) (bei Pesch, Mk I [s. Anm. ] ). | Dio Chrysostomus, Or. III, f. (bei Pesch, ebd. ); M. Reichardt, „Ich bin es“ … „das Brot des Lebens“ (Mk , ; Joh , . ). Von den absoluten synoptischen zu den prädikativen johanneischen Ich-bin-Worten, in: W. Eisele – C. Schaefer – H.-U. Weidemann (Hg.), Aneignung durch Transformation. Beiträge zur Analyse von Überlieferungsprozessen im frühen Christentum (FS M. Theobald) (HBSt ), Freiburg , – , – , bietet hellenistische Belege zu weiteren Motiven, erklärt dann aber zum Kontrapunkt ἐγώ εἰμι Mk , : „Wenn Jesus diese Worte in den Mund nimmt, stellt er nicht nur klar, dass er kein Gespenst ist, sondern offenbart sich den Jüngern als jemand, in dem Gott als Retter epiphan wird“ ( ).

ThQ2013_04_umbr.indd 308

27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

309

„Gib auch mir Raum, wenn du willst! Wenn aber nicht, so schicke einen, der meinen Leib gefangen nimmt; denn über meine Seele bist du nicht Herr. Eigentlich wirst du auch meinen Leib nicht fassen können. ‚Denn nicht wirst du mich töten, da dies nicht mir bestimmt ist‘ (Homer).“ Und Philostrat setzt hinzu: „Mit diesen Worten entschwand er (ἠφανίσθη) aus dem Gerichtssaal“56. Aus dem Johannesevangelium lässt sich die Erzählung vom Weinwunder zu Kana nennen, die in der Jesus-Überlieferung ihresgleichen sucht, wohl eine missionarische Überbietungsgeschichte nach dem Motto: Hier ist mehr als Dionysos!57 Was dieser kann – Wasser in Wein verwandeln und den Menschen angesichts des Todes den schäumenden Becher der Lebensfreude reichen –, das kann Jesus erst recht. Wenn die Geschichte mit dem Satz endet: „er offenbarte seine Herrlichkeit“, dann kann das auch so verstanden werden: „er offenbarte seine Göttlichkeit“58. Dieserart Erzählungen59 sind die eine Seite der Medaille, die andere ist der Referenzrahmen des jeweiligen Evangeliums, der ihre Lektüre christologisch steuert. Lassen die erwähnten Erzählungen das Verhältnis ihres mit übermenschlicher Wunderkraft ausgestatteten Jesus zu Gott im Dunkeln, so klären die Autoren der Evangelien genau dies vor allem in ihren jeweiligen Bucheröffnungen. Markus zeichnet mit seiner Erzählung von der Taufe Jesu (Mk 1,10f.) diesen seitdem nicht nur passiv als mit Gottes Geist begabt, sondern aktiv als den „Täufer mit heiligem Geist“ (Mk 1,8): Er bannt in seiner Kraft sogleich die bösen Geister und zeigt damit, dass die Königsherrschaft | Philostratos, Das Leben des Apollonios von Thyana. Griechisch-Deutsch (hg. von Vroni Mumprecht), München – Zürich , (das Zitat – Worte des Apollo an den ihn verfolgenden Achill – stammt aus der Ilias, , ). Gleiches – ein Entschwinden vor dem Tyrannen – erzählt auch Iamblichos von Pythagoras: Vit Pyth. . – M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT ), Tübingen , , sucht die religionsgeschichtlichen Parallelen von Lukas fernzuhalten: „Wie Jesus es geschafft hat, ohne Schaden durch die feindliche Menge zu kommen, die ihm ans Leben will, bleibt unerzählt. Ein plötzliches, wunderbares Verschwinden […] erzählt Lukas mit Bedacht nicht. Er überlässt es vielmehr einmal mehr der Imagination der Leser, sich den Grund für Jesu Rettung vorzustellen, und es wird ihm sicher nicht unlieb gewesen sein, wenn sie dabei vor allem an ein bewahrendes Eingreifen Gottes denken“. | Zum Nachweis vgl. zuletzt W. Eisele, Jesus und Dionysos. Göttliche Konkurrenz bei der Hochzeit zu Kana (Joh , – ), in: ZNW ( ) – ; M. Theobald, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel – (RNT), Regensburg , – ; anders: C. Clausen, Turning Water into Wine: Re-reading the Miracle at the Wedding in Cana, in: J. H. Charlesworth – P. Pokorny (Hg.), Jesus research: an international perspective: the first Princeton-Prague symposium on Jesus Research, Grand Rapids , – . , , zum Jesus-Bild der vom | J. Becker, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel – (ÖTK / ), Gütersloh Evangelisten rezipierten Zeichenquelle: „Jesus ist als ein Wundertäter gezeichnet, der in eigener Vollmacht zur Selbstdarstellung und zum Aufweis seiner Herrlichkeit die Wunder vollbringt. Darum sind nicht nur die Wunder in ihrer Wunderhaftigkeit so massiv […], sondern es geschieht kein Wunder aus Erbarmen und zur Linderung von Not, und darum bleibt Jesu Gottesverhältnis bewusst ohne Darstellung. Das Wunder wird zur Epiphanie der göttlichen Macht des Wundertäters“. Wenn allerdings die Zeichenquelle ursprünglich mit der Erzählung von der Taufe Jesu und der Herabkunft des Geistes auf ihn begann, wofür vieles spricht, hätte sie das Verhältnis Gottes zu Jesus doch vorweg klar definiert; vgl. Theobald, Joh I (s. Anm. ) f. | Die „Verklärungserzählung“ Mk , – möchte man nicht zu ihnen rechnen, weil es sich um eine Art Überbietungserzählung nach dem Motto: Hier ist mehr als Mose und Elija handelt. Nach Ausweis der Himmelsstimme wie des passivum divinum , („er wurde verklärt [μετεμορφώθη]“) ist die Verklärung (in Analogie zur Tauferzählung) an Gottes Handeln selbst zurückgebunden.

ThQ2013_04_umbr.indd 309

27.11.13 15:44

310

Michael Theobald

Gottes tatsächlich nahe gekommen ist (Mk 1,14f.)60. Matthäus und Lukas61, denen der Buchanfang des Markus nicht mehr genügte, verlagern die Geistbegabung Jesu anlässlich seiner Taufe nach vorne, indem sie mittels der Vorstellung von seiner geistgewirkten Geburt aus Maria ihn von Anfang an mit Gottes Geist verbinden: Nicht erst, seitdem er aus seiner Kraft handelt und redet, ist Jesus der Messias, Retter und Herr, sondern als Mensch schon von Geburt an (Mt 1,16; 2,4; Lk 2,11). Der vierte Evangelist geht in seinem Prolog noch einen entscheidenden Schritt darüber hinaus, wenn er Jesu Wirken weder mit der Taufe, noch mit seiner geistgewirkten Geburt beginnen lässt, sondern von ihm aussagt, dass er das in der Zeit Fleisch gewordene ewige Wort Gottes sei (vgl. Joh 1,1f.14). Was bedeutet dieses theologisch-christologische Vorzeichen für das Verständnis der Vita Jesu im Corpus des Evangeliums?

3.2 Der johanneische Jesus – „ein über die Erde wandelnder Gott“? Dass der johanneische Jesus wie ein „über die Erde wandelnder Gott“ erscheint62, hängt an verschiedenen Motiven, die sein Bild prägen. Vor allem eignet ihm übernatürliche Menschenkenntnis63 – „Jesus kannte sie alle und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen, denn er wusste, was im Menschen ist“, heißt es in Joh 2,24f. programmatisch64. Stets weiß er, was die Stunde geschlagen hat, und kennt die Zukunft65. Durch die Passion geht er, als stünde er über dem Leiden. Freilich „weint“ er am Grab seines Freundes Lazarus (Joh 17,35). Aber als es mit ihm selbst zu Ende geht, stößt er keinen Schrei aus (Mk 15,37), klagt auch nicht mit den Worten von Ps 22,2 (vgl. Mk 15,34), sondern erklärt in aller Hoheit: „Es ist vollendet“ (Joh 19,30; vgl. auch V.28). Auch wenn die Menschen ihn zum Objekt degradieren, sie können dies nur, weil er selbst es ihnen ermöglicht (Joh 18,8). In Wahrheit bleibt er Subjekt bis dahin, dass er selbstbestimmt stirbt66 bzw. „in den Himmel hinaufsteigt“ (Joh 3,12: vgl. 6,62) und „zum Vater geht“ (7,33; 13,33). Eingeflochten in dieses Bild ist ein Streit zwischen Jesus und „den Juden“, die ihm vorwerfen, „er – ein Mensch – mache sich selbst zu Gott“ (Joh 10,33)67. Diese Anklage | Leitend ist die Vorstellung, dass die Königsherrschaft Gottes in Opposition zum Reich Satans steht (vgl. AssMos , ; Mk , – ). | Für Lukas ist Jesus der mit dem Geist Gottes ausgerüstete Messias (vgl. Jes , ; , ; , ; alle drei Verse rezipiert er: Lk , ; , ; Lk , ; , ) und als solcher auch der Geisttäufer (Lk , ; Apg , ; christliche Ergänzungen frühjüdischer Schriften: TestJud , . : dazu Becker, TestXII [s. Anm. ] f.).Wenn man Lk , (Q) berücksichtigt, erstaunt, wie zeitig mit der Pneumachristologie Weichen für die spätere Christologie gestellt wurden. | E. Käsemann, Jesu letzter Wille nach Johannes , Tübingen , . | Zur Herkunft dieses Motivs vgl. Theobald, Joh I (s. Anm. ) . f. | Vgl. auch , . ; , ; , . . f.; , ; , ; , . | Vgl. u. a. , ; , ; , : „Jesus wusste, dass nun alles vollendet ist“. | Joh , : „er neigte sein Haupt“ ist so zu verstehen. | Vgl. auch Joh , ; , .

ThQ2013_04_umbr.indd 310

27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

311

– eigentlich die Anklage der zeitgenössischen Synagoge gegen die johanneischen Christen – lautet im Klartext: Sie machten Jesus „Gott gleich“ und verstießen damit „blasphemisch“ gegen das biblische Bekenntnis zum einen Gott Israels. Menschen zu Göttern zu erheben, sie zu „divinisieren“68, ist dem Judentum ein Gräuel, Ausgeburt menschlicher Hybris, unter der es oft genug selbst im hellenistischen Kulturkreis zu leiden hatte. Vielleicht gab es tatsächlich in den johanneischen Gemeinden Tendenzen, die den Vorwurf eines Di-theismus – einer Zwei-Götter-Lehre – rechtfertigten69. Enthält das Evangelium nicht Spitzensätze wie: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30), oder: „Mein Vater wirkt bis jetzt und ich wirke“ (Joh 5,17)70, die ohne die „Kautelen“ im Kontext so klingen, als stünden sie auf gleicher Ebene souverän nebeneinander? Dagegen erklärt aber der Evangelist: Nein! Wir haben Jesus nicht „divinisiert“, wir haben ihn nicht zu etwas „gemacht“, was er als Mensch nicht ist. Der Blick ist umzukehren und auf „den Einzigen“ (Joh 5,44) zu lenken, der sich in Jesus „ausgelegt“ (Joh 1,18) hat – so, dass nur „der Sohn“ zur Anschauung bringt, wer Gott ist (vgl. auch Joh 14,28). Abgesehen von ihm bleibt er unzugänglich und dunkel. Man ahnt, was die für den vierten Evangelisten und seine Gemeinde so wichtige Prädikation „der Sohn“ mit ihrem dichten Bildgehalt zum Ausdruck bringt: eine unerhörte Nähe Gottes zu Jesus, ihm ursprungshaft eingestiftet, nicht nachträglich zugewachsen. Vor allem in zwei miteinander komplementären Gedankenreihen sucht der vierte Evangelist in Joh 5,25f. den Vorwurf des Di-Theismus zu entkräften: 25

26

a

Amen, amen, ich sage euch:

b

Es kommt die Stunde

c

– und jetzt ist sie –,

d

dass die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden,

e

und die gehört haben, werden leben (ζήσουσιν).

a

Wie nämlich (ὥσπερ γάρ) der Vater Leben in sich (ζωὴν ἐν ἑαυτῷ) hat,

b

so (οὕτως) hat er auch dem Sohn gegeben (ἔδωκεν), Leben in sich zu haben.

| In diesem Sinne (und nicht als authentisch johanneischer Ausdruck für Jesu „Gott-Gleichheit“) ist das ἴσον ἑαυτὸν ποιῶν τῷ θεῷ zu lesen: vgl. Theobald, Joh I (s. Anm. ) f. B. Lataire, Jesus’ Equality with God. A Critical Reflection of John , , in: T. Merrigan – J. Haers (Hg.), The Myriad Christ. Plurality and the Quest for Unity in Contemporary Christology (BETL ), Leuven , – ; interessantes Material bei Lösch, Deitas (s. Anm. ) – . | Zum Thema Di-theismus im Frühjudentum vgl. Theobald, Gott (s. Anm. ) – . | Beachtlich ist auch die Übertragung des göttlichen Ego-Eimi auf Jesus, vgl. etwa: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird niemals mehr dürsten“ (Joh , ). Oder: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; keiner kommt zum Vater, es sei denn durch mich“ (Joh , ).

ThQ2013_04_umbr.indd 311

27.11.13 15:44

312

Michael Theobald

Axiomatisch ist die in V.25 voranstehende Aussage: Wer auf Jesus hört, vermag dem „Totenhaus“ dieser Welt (Dostojewski) zu entrinnen71. Zwar existiert der Mensch in absoluter Gottferne, ist „geistlich“ tot. Aber wenn er die (ihn „erweckende“) Stimme des Gottessohns „hört“, gelangt er ins Leben. Begründet wird diese kühne Feststellung mit einer Aussage über Jesus selbst (V.26): Er hat „Leben in sich“ und kann es deshalb auch denen vermitteln, die an ihn glauben. Von der Erde erhöht, wird er sie „zu sich ziehen“ (Joh 12,32), in die Mauer des Todes eine Breche schlagend. Dies ist die eine Seite: die Erfahrung von „Leben“ in der Glaubensbegegnung mit Jesus. Die andere ist die Überzeugung, dass das „Leben“, das Jesus in sich trägt und vermittelt, ein vom Vater ihm „gegebenes“ Leben ist. Mag die Redeform von V.26: „wie der Vater – so auch der Sohn“ vordergründig gleiches Niveau suggerieren (also DiTheismus), so biegt die Rede vom „Geben“, welche die Satzsymmetrie stört, genau dies ab: Der Vater, dem allein die ζωή unmittelbar zu eigen ist, ist der „Gebende“ (der SichVerschenkende), der Sohn der Empfangende (der Weiterschenkende). Wann hat der Vater ihm das Leben „gegeben“? Bei seiner Auferweckung, seiner Taufe, seiner Geburt oder nicht doch schon im ewigen Wort, das er in sich trug und in der Zeit aussprach (Joh 1,1–18)? Der Evangelist setzt mit Joh 5,26 eine Denkspirale in Bewegung, die wohl nie zur Ruhe kommen wird. Der hier artikulierte Vorsprung des Vater-Gottes (vgl. auch Joh 14,28) wird konkret in der Gesandtenvorstellung, dem wichtigsten Strukturmerkmal der johanneischen Reden Jesu: „Meine Lehre ist nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat“ (Joh 7,16), beteuert er immer wieder72. Gerade dadurch, dass er nichts anderes tut und sagt als das ihm vom Vater Aufgetragene, ist er sein vollkommenes „Sprachrohr“, kommt Gott durch ihn in letztgültiger Weise zu Wort – entsprechend dem Axiom des Prologs, dass Jesus das Wort Gottes in Person ist. Halten wir fest: Zwar könnten die eingangs erwähnten Motive „übernatürliche Menschenkenntnis“, „Wissen um die Zukunft“, „Erhabenheit im Leiden“ auf eine „Divinisierung“ des irdischen Jesus hinauslaufen, doch sind sie in die johanneische Christologie eingebunden und dürfen von ihr nicht isoliert werden; sie veranschaulichen die Überzeugung, dass Jesus ganz aus seinem Vater existierte – und das heißt auch: aus dem Wissen um ihn. Freilich wurde damit eine nachösterliche Überzeugung in seine Vita zurückprojiziert, doch der christologische Bezugsrahmen verbietet es, deswegen von einer „Vergöttlichung“ des irdischen Jesus zu sprechen: Nach Joh 1,14 („und das Wort ist Fleisch geworden“) ist Jesus Mensch und bleibt es auch nach seiner österlichen Erhöhung. Sein Mensch-Sein wird nicht zu einem Gott-Sein gesteigert, so dass es von ihm verschlungen oder ausgelöscht würde. Vielmehr gibt der Evangelist das Paradox

| Diese Metapher in ihrer Anwendung auf die johanneische Anthropologie verdanke ich J. Becker, Johanneisches Christentum. Seine Geschichte und Theologie im Überblick, Tübingen , u.ö. | Vgl. Joh , . f. ; , . ; , f. ; , ; , ; , f. ; , etc.

ThQ2013_04_umbr.indd 312

27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

313

zu denken auf, dass Jesus in seinem Mensch- und Person-Sein Gottes „Gabe“ ist (Joh 3,16; 6,32 u.ö.). Wie seine Paraklet-Theorie zeigt, weiß er um die Geschichtlichkeit der Erkenntnis, damit aber auch um die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen der Erkenntnis- und der Seinsebene. Das göttliche Geheimnis ist Jesus ursprungshaft eingestiftet – auch wenn dies erst nachträglich, wie das Evangelium insgesamt belegt, eine christologisch angemessene Sprachform findet73.

4. Die Frage nach der Legitimität der christologischen Transformation des biblischen Monotheismus als Anfrage an den historischen Jesus In den neutestamentlichen Christushymnen wird Jesus – so beobachteten wir exemplarisch an Phil 2 – in den Lobpreis des einzigen Gottes gleichsam miteinbezogen, was eine tiefgreifende Transformation des Betens in der christlichen Tradition zur Folge hatte. Per Christum in Deum – so lautet fortan die Formel, die Grund und Richtung dieses Betens bezeichnet74. Fragen wir nach den Gründen der sich hier vollziehenden Transformation, lässt sich im Rückblick auf die bisherigen Ausführungen vereinfacht sagen: Jesus wurde als der „Ort“ geglaubt, an dem Gott sich selbst unüberbietbar zu erfahren gibt und an dem er auch angebetet werden will (vgl. Joh 4,20–26)75. Wer nach der Legitimität dieses christlichen Bekenntnisses fragt, begibt sich auf ein schwieriges Feld. Woran sollte er sie messen? An der inneren Glaubwürdigkeit des Osterbekenntnisses? An allgemeinen Einsichten in die „Evolution“ des biblischen Gottesbildes, das in der Erhöhung Jesu zu Gott seine entscheidende „Mutation“ erfährt (G. Theißen)76? Oder an den Darstellungen der Vita des irdischen Jesus durch die Evangelisten, die aber selbst vom christlichen Bekenntnis geprägt sind? Genau hier kommt die Rückfrage nach dem historischen Jesus ins Spiel77, die zwar auch aus der Perspektive des Glaubens heraus betrieben wird, deren konkrete Durchführung aber den Postulaten und Kriterien der historischen Vernunft gehorcht, gegenüber denen sie rechen-

| Theißen, Religion (s. Anm. ) : „Mit den synoptischen Evangelien hatte sich das Urchristentum eine eigene Zeichenwelt mit einem eigenen Zentrum geschaffen. Im JohEv wurde es sich dessen bewusst“; vgl. ebd. : „Diese Reflexivität zeigt sich in der Selbstreferenz der zentralen Aussagen des Offenbarers, in der betonten Abgrenzung von der Umwelt als einer fremden Außenwelt und im Bewusstsein der Notwendigkeit, dass die neue Zeichenwelt für ihre Erhaltung aus ihrem eigenen Zentrum heraus sorgen muss“. | Schrage, Einheit (s. Anm. ) mit Anm. (Lit.). | Vgl. Theobald, Joh I (s. Anm. ) – . | G. Theißen, Biblischer Glaube in evolutionärer Sicht, München . | Zur terminologischen Differenzierung zwischen den Bezeichnungen „Irdischer“ und „historischer Jesus“ vgl. M. Wolter, Was macht die historische Frage nach Jesus von Nazareth zu einer theologischen Frage?, in: U. Busse – M. Reichardt – M. Theobald (Hg.), Erinnerung an Jesus. Kontinuität und Diskontinuität in der neutestamentlichen Überlieferung (FS R. Hoppe) (BBB ), Göttingen , – ; O. Hofius, Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem, in: H. Assel (Hg.), Leidenschaft für die Theologie, Leipzig , – , – .

ThQ2013_04_umbr.indd 313

27.11.13 15:44

314

Michael Theobald

schaftspflichtig ist78. Deshalb sind auch ihre Ergebnisse prinzipiell revidierbar und fragmentarisch und können nicht die Glaubensgewissheit erzeugen, die dem Glauben selbst als einem Akt absoluten Vertrauens eignet. Was der historisch-kritische Diskurs im besten Fall leistet – und darin besteht seine unersetzliche fundamentaltheologische Funktion –, ist der Aufweis, dass die rekonstruierbaren Züge der Verkündigung Jesu nicht im Widerspruch zum österlichen Glauben an ihn stehen, diesen also nicht vereiteln, sondern im Gegenteil für seine Deutung offen sind79. Aus einem historisch rekonstruierten Bild Jesu wird der nachösterliche Glaube an ihn also nie „abgeleitet“ oder durch ein solches Bild „abgesichert“; nichts kann ihm das Wagnis, das er selbst ist, abnehmen, auch nicht die historische Kritik. Dennoch ist diese als der zeitgemäße Versuch, sich vor der historischen Vernunft zu verantworten, für den Glauben unerlässlich – zumal, wenn deutlich werden sollte, dass zwischen ihm und Jesu eigenem Verständnis „Entsprechungen“ bestehen80.

4.1 Die anstehende Frage Lenken wir den Blick noch einmal auf Ps 110 und seine neutestamentliche Rezeption, die zum Urgestein der Überlieferung gehört. Sie zeigt, wie das Bekenntnis zur österlichen „Inthronisation“ Jesu zum messianischen „König“ und Repräsentanten Gottes ihn in dessen „Königsherrschaft“ unmittelbar einbezieht81. Vielleicht ist diese Interpretation des Psalms – historisch betrachtet – auch eines der ersten Echos auf Jesu ei| Trotz jüngster, sehr unterschiedlich begründeter Verdikte dürfte die Frage nach dem historischen Jesus unvermeidlich sein, was hier nicht weiter begründet werden kann; anders R. Zimmermann, Geschichtstheorien und Neues Testament. Gedächtnis, Diskurs, Kultur und Narration in der historiographischen Diskussion, in: EChr ( ) – , Anm. u.ö.; Hofius, Frage (s. Anm. ); D. Du Toit, Die methodischen Grundlagen der Jesusforschung. Entstehung, Struktur, Wandlungen, Perspektiven, in: MThZ ( ) – ; K. Wengst, Der wirkliche Jesus? Eine Streitschrift über historisch wenig ergiebige und theologisch sinnlose Suche nach dem „historischen“ Jesus, Stuttgart . | Die so bestimmte Fragestellung sehe ich als ein tertium über die von Hofius, Frage (s. Anm. ) eröffnete Alternative hinaus, dass eine Rekonstruktion des historischen Jesus entweder „unter dem Vorzeichen einer kritischen Distanzierung“ vom neutestamentlichen Christuszeugnis „geschehen“ kann oder „in der Absicht, einen inneren sachlichen Konnex zwischen ihm und Jesus selbst nachzuweisen“ ( ). | M. Theobald, Exegese als theologische Basiswissenschaft. Erwägungen zum interdisziplinären Selbstverständnis neutestamentlicher Exegese, in: JBTh ( ) – . Vgl. E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen. Erster Band, Göttingen , – , : „Worum es mir geht, ist der Aufweis, dass aus dem Dunkel der Historie Jesu charakteristische Züge seiner Verkündigung verhältnismäßig scharf erkennbar heraustreten […]. Die Frage nach dem historischen Jesus ist legitim die Frage nach der Kontinuität des Evangeliums in der Diskontinuität der Zeiten und in der Variation des Kerygmas“; zur jüngeren Geschichte der Frage: A. Lindemann, Zur Einführung: Die Frage nach dem historischen Jesus als historisches und theologisches Problem, in: U.H. J. Körtner (Hg.), Jesus im . Jahrhundert. Bultmanns Jesusbuch und die heutige Jesusforschung, Neukirchen-Vluyn , – . | Vgl. auch die neutestamentliche Rezeption der anderen Königspsalmen, insbesondere Ps , die wohl sehr zeitig erfolgte: vgl. Röm , f.

ThQ2013_04_umbr.indd 314

27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

315

gene Botschaft vom Anbruch der „Königsherrschaft“ Gottes. Die Frage der historischen Jesus-Forschung lautet deshalb: Lässt sich an authentischen Worten Jesu aufzeigen, dass er als der eschatologische Bote der „Königsherrschaft“ Gottes in diese Botschaft selbst hineingehört? Bestehen „Entsprechungen“ zwischen seiner Art der Kundgabe der „Königsherrschaft“ Gottes und der österlichen Interpretation von Ps 110?

4.2 Das „Zäsurbewusstsein“ Jesu und was es impliziert Die wenigen hier möglichen Hinweise seien unter das Stichwort „Zäsurbewusstsein“ Jesu82 gestellt, das sein Zeit-Verständnis auf den Punkt bringt: Jesus weiß vom Anbruch einer neuen Zeit, nicht lediglich einer weiteren Epoche in der Geschichte, sondern von deren Ende. Es geht um den Anbruch der eschatologischen „Königsherrschaft“ Gottes (vgl. Q 10,9 par. Mk 1,15), die er mit seiner Person verbindet, ohne dass er die eigene Rolle darin in Gestalt eines „Titels“ versprachlicht hätte83. Das Stichwort

| Vgl. F. Mußner, Jesus von Nazareth im Umfeld Israels und der Urkirche. Gesammelte Aufsätze (hg. von M. Theobald) (WUNT ), Tübingen . | Von den möglichen Titeln „Messias“, „Sohn Gottes“, „Herr“ kommt für ihn nur der des „Menschensohns“ in Frage, der auch als einziger in Jesus-Worten breit belegt ist; in welcher Bedeutung und in welcher Funktion er ihn benutzt haben könnte, ist bis heute umstritten. Q , f. (die Parallele Mk , bietet eine überlieferungsgeschichtlich jüngere Gestalt) spielt nach wie vor eine entscheidende Rolle. Dass hier Jesus eine von ihm verschiedene himmlische Gestalt im Blick hatte, bleibt eine plausible Möglichkeit; so meint etwa F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments, Bd. I.: Die Vielfalt des Neuen Testaments. Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen , : Hier „identifiziert sich Jesus nicht mit dem Menschensohn, sondern spricht die Überzeugung aus, dass der himmlische Menschensohn als Richter diejenigen anerkennen wird, die sich auf Erden zu seiner Person bekennen. Sein Wirken hat somit eine für das Endgericht relevante Funktion, und zwar in dem Sinn, dass seine Heilsvermittlung dort bestätigt wird. Hier liegt zwar keine explizite Aussage über Jesu Stellung und Funktion vor, aber zweifellos eine deutliche Aussage über die Gültigkeit seines Auftrags und seines Anspruchs“. Allerdings zielt die Rede vom „Sich-Bekennen des Menschensohns vor den Engeln“ nicht zwangsläufig auf eine Richterrolle, sondern kann auch im Sinne einer endgerichtlichen Zeugenfunktion verstanden werden, so U. B. Müller, Jesus als „der Menschensohn“, in: D. Sänger (Hg.), Gottessohn und Menschensohn. Exegetische Studien zu zwei Paradigmen biblischer Intertextualität [BThSt ], Neukirchen-Vluyn , – , f.; das ließe sich – bezogen auf Jesus selbst – „in die frühjüdische Tradition einer Beteiligung der Gerechten am Endgericht einstellen“, so M. Konradt, Stellt der Vollmachtsanspruch des historischen Jesus eine Gestalt „vorösterlicher Christologie“ dar?, in: ZThK ( ) – , (ebd. Anm. verweist er u. a. auf die Zeugenfunktion der Königin von Saba und der Niniviten in Q , f.). „Versteht man es so, spricht die begegnende eschatologische Vorstellung deutlich für Authentizität, denn in der nachösterlichen Christologie wurde Jesus, der Menschensohn, in der Funktion des Richters gesehen“ (ebd.). Zu berücksichtigen ist dabei auch die Frage, ob nicht schon der Täufer einen himmlischen „Menschensohn“ in der Funktion des Richters erwartete, ohne dass sich freilich die Bezeichnung „Menschensohn“ in seinen Worten belegen ließe; vgl. Q , b- : „Ich taufe euch in Wasser; der nach mir kommt, ist jedoch stärker als ich. Ich bin nicht würdig, ihm seine Sandalen zu tragen. Er selbst wird euch in heiligem Geist und Feuer taufen. Seine Schaufel ist in seiner Hand, und er wird seinen Dreschplatz säubern und den Weizen in seine Scheune einsammeln (συνάξει), die Spreu aber wird er in unauslöschlichem Feuer verbrennen“ (P. Hoffmann – C. Heil, Die Spruchquelle Q. Studienausgabe. Griechisch und Deutsch, , f.). Die nach wie vor schwierige Alternative wäre, die Bildrede vom „Nach mir KomDarmstadt – Leuven menden“ auf Gott selbst zu beziehen.

ThQ2013_04_umbr.indd 315

27.11.13 15:44

316

Michael Theobald

„Zäsurbewusstsein“ macht aber auf entsprechende Implikationen aufmerksam, die ahnen lassen, dass die Frage „Wer ist denn dieser“? (vgl. Mk 4,41) von Anfang an im Raum stand84. Biographische Bedeutung besitzt das Wort vom Satanssturz (Lk 10,18b.20c.d)85. Jesus spricht von einer ihm gewährten Vision als „Schlüsselerfahrung“86, die sein Gottesbild, das zunächst von der Gerichtsbotschaft des Johannes bestimmt war, radikal verändert haben muss: Ich habe den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel fallen sehen […]. Freut euch, dass eure Namen in den Himmeln verzeichnet sind. Gott hat Satan, der schon immer die Menschen verklagte, aus seinem Thronsaal geworfen. Er ist zum Heil seines Volkes definitiv entschlossen. Jesus „sah“ sozusagen die Außenseite dieser tiefgreifenden Veränderung auf Seiten Gottes: den Sturz des Satans aus dem Himmel (vgl. Joh 12,31; Offb 12,9). Die Menschen, denen er seine Einsicht anvertraut, sollen sich freuen, denn jetzt sind ihre Namen unauslöschlich in den Büchern des Himmels verzeichnet. Die Konsequenz aus dieser Vision sind seine Exorzismen. Sie zeigen, dass „der Starke“ gebunden ist und die von den Dämonen Geknechteten freigeben muss (Mk 3,27)87:

| G. Lohfink, Jesus von Nazaret – Was er wollte, wer er war, Freiburg , : „Jesu radikale Proklamation der Gottesherrschaft enthält eine implizite Christologie“; ähnlich Hahn, Theologie I (s. Anm. ) – ; anders – und angesichts notwendiger Selbstbeschränkung der historischen Rückfrage auch zutreffend - urteilt Konradt, Vollmachtsanspruch (s. Anm. ), wenn er einerseits daran festhält, dass die nachösterliche Christologie „nicht denkbar (ist) ohne den Hoheitsanspruch des historischen Jesus“, andererseits aber die „neue Qualität der Aussagen über Jesus“ nach Ostern herausarbeitet, woraus nach ihm folgt: „Den Vollmachtsanspruch Jesu als eine Gestalt vorösterlicher Christologie zu klassifizieren oder auch Jesu ‚eschatologisches Vollmachtsbewusstsein‘ als implizite Christologie zu titulieren, tendierte dahin, diese Differenz zwischen dem historischen Jesus und der Christusverkündigung zu nivellieren. Um begrifflicher und sachlicher Klarheit willen ist es vom neutestamentlichen Zeugnis her m. E. angeraten, auf die Rede von einer Gestalt vorösterlicher Christologie zu verzichten“ ( ); ähnlich L. Oberlinner, Jesu Anspruch in Botschaft und Wirken – Merkmale einer „impliziten Christologie“?, in: MThZ ( ) – . | M. Theobald, „Ich sah den Satan aus dem Himmel stürzen …“. Überlieferungskritische Beobachtungen zu Lk , – ( ), in: ders., Jesus, Kirche und das Heil der Anderen (SBAB.NT ), Stuttgart , – . | M. Ebner, Jesus von Nazaret in seiner Zeit. Sozialgeschichtliche Zugänge (SBS ), Stuttgart , – . | Vgl. auch das Wort vom Einbrecher Lk , : „Wenn der Herr des Hauses gewusst hätte, in welcher Stunde der Dieb kommt, hätte er verhindert, dass in sein Haus eingebrochen wird“. So Lohfink, Jesus (s. Anm. ) , im Anschluss an ältere Ausleger (Ch. H. Dodd etc): Im Unterschied zur Deutung dieses Wortes auf die Wiederkunft Christi bei Lukas (und Matthäus) blickt Jesus in diesem Wort „zurück auf einen Einbruch, der bereits stattgefunden hat“. Das Gleichnis berichtet „von einem Einbruch, der geglückt ist. Dieser geglückte Einbruch wäre dann das Kommen der Gottesherrschaft, und der Text würde sagen: Die Gottesherrschaft ist schon gekommen. Sie ist schon da. Es ist schon passiert“; ebd. f.: „Das Gleichnis vom Einbrecher, der in der Stille der Nacht kommt, ist ein Siegesruf. Jesus ist eingebrochen in die Leitbilder, in die Selbsttäuschungen und Zwänge der gottfernen Gesellschaft“.

ThQ2013_04_umbr.indd 316

27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

317

Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist die Königsherrschaft Gottes schon zu euch gekommen (Q 11,20)88. Der Anbruch der „Königsherrschaft“ Gottes war aus der Sicht Jesu also auch leiblich zu erfahren, vor allem in Exorzismen und Krankenheilungen, aber auch bei seinen Mählern mit „Sündern und Zöllnern“. Fasten war nicht angesagt, es galt „Hochzeit“ zu feiern, Bild für den Anbruch der „Königsherrschaft“ Gottes (vgl. Mk 2,19). So ließ das Neue sich „hören“, aber auch „sehen“, wie Jesus in Q 10,23f. zum Ausdruck bringt: Selig die Augen, die sehen, was ihr seht … Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wünschten zu sehen, was ihr seht und sahen es nicht, und zu hören, was ihr hört und hörten es nicht. Deutlicher als hier spricht sich Jesu „Zäsurbewusstsein“ nirgends aus89. Was jetzt zu hören und zu sehen ist, das lässt die Zeiten der Erwartung in Israel hinter sich. Jesus, der das Volk im Zeichen des Anbruchs der „Königsherrschaft“ Gottes sammeln will90, geht es dabei vor allem um die religiös Ausgegrenzten, die „Sünder“, mit denen er Mahl hält, aber auch die Armen, denen er das Heil vorbehaltlos zusagt, wie seine Seligpreisungen Q 6,20f. eindrucksvoll zeigen91: Selig ihr Armen, denn euch gehört die Königsherrschaft Gottes. Selig ihr Hungernden, | Hoffmann – Heil, Spruchquelle f. (s. Anm. ) (danach auch die folgenden Worte). Stegemann, Jesus (s. Anm. ), – , meint, dass die Authentizität des Logions nicht über alle Zweifel erhaben sei; allerdings hängt das präsentische Verständnis der Basileia durch Jesus keineswegs an ihm als proof text; wichtiger sind Worte wie Q , f. oder Lk , b. c.d. | Vgl. aber auch das dunkle Wort Q , : „Das Gesetz und die Propheten sind bis Johannes. Von da an leidet die Königsherrschaft Gottes Gewalt (setzt sich die Königsherrschaft Gottes gewaltsam durch), und Gewalttäter rauben sie“ (Hoffmann – Heil, Spruchquelle [s. Anm. ] f.) | Vgl. Mt , /Lk , : „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut“. – Vgl. Ez , (vgl. auch , ; , ): „So spricht Gott, der Herr: Ich führe euch aus allen Völkern zusammen, sammle euch aus den Ländern, in die ihr zerstreut seid, und gebe euch das Land Israel […]“. Vgl. auch PsSal , : „und er (sc. der kommende Sohn Davids) wird ein heiliges Volk versammeln (συνάξει), das er führen wird in Gerechtigkeit“. Nicht übersehen werden sollten auch Q , (vom Tun des zukünftigen Richters: vgl. oben Anm. ) sowie Mk , (vom „Menschensohn“: „er wird seine Auserwählten versammeln [ἐπισυνάξει]“). | Vgl. auch Mt , f.: „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote werden auferweckt, Armen wird die frohe Botschaft verkündet. Und selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt“. – Vgl. Jes , f.; , f.; , ; , .

ThQ2013_04_umbr.indd 317

27.11.13 15:44

318

Michael Theobald

denn ihr werdet gesättigt werden. Selig ihr Trauernden, denn ihr werdet getröstet werden. Dass er Heil proklamiert, schließt ein, dass er die Menschen zur Entscheidung92 für seine Botschaft ruft, um sie in die Dynamik der hereinbrechenden „Königsherrschaft“ hineinzunehmen, sie unter ihrem Vorzeichen zu „sammeln“. Entscheidung setzt Einsicht in den Ernst der Stunde voraus, weshalb Jesus auch vom Gericht spricht, das mit dem Vollanbruch der Königsherrschaft Gottes einhergehen wird. Wer sich jetzt verweigert, wird dereinst vom eschatologischen Mahl mit Abraham, Isaak und Jakob ausgeschlossen sein (Lk 13,28f. par. Mt 8,11f.). Schon diese wenigen Hinweise zeigen, dass die Botschaft nicht ohne den Boten zu verstehen ist. Aber dessen Rolle genauer zu bestimmen, bleibt schwierig. Vom „Phänotyp“ her war Jesus gewiss kein Schriftgelehrter, der um die Auslegung der Tora für seine Zeit rang93, viel eher ein Prophet, der vollmächtig die Zeit ansagte94, ein Exorzist und Krankenheiler95, ein Weisheitslehrer, der prägnante Sprüche formte, und – denken wir an seine Gleichnisse – ein sprachbegabter Dichter. Dies alles war er, aber er ging in keiner dieser Rollen auf – entsprechend dem Wort: „Hier ist mehr als Salomo – hier ist mehr als Jona“ (Lk 12,31f. par. Mt 12,41f.). Die Botenspruchformel der biblischen Propheten, die ihr Wort als Gottesspruch ausweist, war ihm fremd; er sprach in eigener Vollmacht: „Amen, ich sage euch“96. In die Dynamik der von ihm angesagten „Königsherrschaft“ Gottes nahm er seine Jünger mit hinein, indem er sie an seiner Vollmacht, Dämonen auszutreiben und Kranke zu heilen, teilhaben ließ (Mk 6,7.13; Mt 10,8; Lk 10,9). Halten wir fest: Jesus brachte in Wort und Tat seinen Gott, den er „Abba“ – Vater – nannte, in einer so definitiven und vollmächtigen Weise zur Sprache, dass dies unmit| Vgl. vor allem Lk , , par. Mt , . : „Meint ihr, dass ich gekommen bin, Frieden auf die Erde zu werfen? Ich bin nicht gekommen, Frieden zu werfen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen zu entzweien: den Sohn gegen den Vater und die Tochter gegen ihre Mutter und die Schwiegertochter gegen ihre Schwiegermutter“. | Vgl. allerdings die Anrede mit Rabbi: C. Hezser, The social Structure of Rabbinic Movement in Roman Palestine (TSAJ ), Tübingen , . | Matrix der drei Seligpreisungen Q , f. ist wahrscheinlich Jes , f., das heißt: eine prophetische Selbstaussage. | Im Unterschied zu jüdischen Heilern scheint Jesus seine Machttaten wohl weniger kraft Bittgebet an seinen Gott, sondern unter Heilgesten und Heilworten vollzogen zu haben (wobei die Bedeutung letzterer in der Überlieferungsgeschichte zweifellos verstärkt wurde, um Jesus vor dem Verdacht eines Magiers in Schutz zu nehmen); ein Gebet um Heilung ist vielleicht in Joh , f. aufbewahrt (vgl. Theobald, Joh I [s. Anm. ] f.) | Zu Mt , – : „Warum seid ihr hinausgezogen? Um einen Propheten zu sehen? Wahrhaftig, ich sage euch: Weit mehr als einen Propheten [habt ihr gesehen]!“ führt Lohfink, Jesus (s. Anm. ) , aus: „Wenn bereits der Täufer mit dem Begriff ‚Prophet‘ nicht zu fassen ist, dann gilt dies – dürfen wir schließen – erst recht für Jesus. Und so muss es auch Jesus selbst gesehen haben“. Ebd. zu Lk , – : „Ausgeschlossen, dass sich Jesus angesichts dieses Wortes in die Zeit der Propheten beziehungsweise in den Phänotyp des Propheten eingeordnet hätte! Dem entspricht dann auch auf das Genaueste das ‚Hier ist mehr als Jona … Hier ist mehr als Salomo!‘ von Matthäus , – “.

ThQ2013_04_umbr.indd 318

27.11.13 15:44

Haben die Christen Jesus nach Ostern „vergöttlicht“?

319

telbar vor das Geheimnis seiner Person führt. Wenn wir sagen, er beanspruchte eine ganz erstaunliche Nähe zu Gott, dann lädt dieses Urteil gerade in seiner Offenheit zu seiner nachösterlichen Explikation ein. So dürfte es nicht zu gewagt sein, von „Entsprechungen“ zwischen seiner Weise der Kundgabe der „Königsherrschaft“ Gottes und dem nachösterlichen Bekenntnis zu ihm als ihrem eschatologischen „Repräsentanten“ zu sprechen, ohne damit behaupten zu wollen oder zu können, dieses folge notwendigerweise aus jenem97.

5. Resümee Auf die eingangs gestellte Frage, ob die frühen Christen Jesus „vergöttlicht“ haben, sind zwei Antworten möglich. Die erste lautet: Die religionswissenschaftliche Kategorie der „Vergöttlichung“, die suggeriert, man habe aus Jesus etwas gemacht, was er ursprünglich nicht war, eignet sich weder zur Beschreibung des österlichen Bekenntnisses98 noch zur Charakterisierung der späteren Jesusbilder in den Evangelien. Jesu Mensch-Sein wurde diesem Bekenntnis zufolge nicht durch „Ostern“ von einem GottGleich-Werden verschlungen, auch führte dieses nicht dazu, das Mensch-Sein des irdischen Jesus nicht mehr ernst zu nehmen99. Jesu außerordentliche Nähe zu seinem Gott bzw. die Nähe Gottes zu ihm, die die neutestamentliche Christologie nicht aus Gottes nachträglicher Identifikation mit ihm herleitet, sondern als ursprungshaft behauptet, verlangt nach anderen Beschreibungskategorien, die sie vor allem mit der Prädikation „Sohn Gottes“ liefert. Diese Prädikation – das Herzstück jeglicher Christologie, das selbst eine Geschichte hinter sich hat – bedarf indessen stets neuer Auslegung, die zuletzt an der metaphorischen Tiefe des Sprachspiels „Vater und Sohn“ Maß zu nehmen hat. Wenn die historisch-kritische Jesusforschung die Nähe Jesu zu Gott aus seinen Worten und Taten selbst zu erheben weiß, ist das für die Legitimität der ausgebildeten Sohnes-Prädikation als Erschließungskategorie seines Person-Geheimnisses | Wenn Hofius, Frage (s. Anm. ) , urteilt: „[…] selbst wenn etwa konstatiert wird, dass Jesus beansprucht, in einzigartiger Vollmacht als Stellvertreter Gottes zu reden und zu handeln oder der eschatologische Heilsbringer zu sein, dann ist solches durchaus auch bei einem anderen Menschen vorstellbar, und hier über die Wahrheit entscheiden zu wollen, würde die Kompetenz des Historikers übersteigen“, dann ist dem unbedingt zuzustimmen. Gerade die unaufhebbare Ambivalenz und Strittigkeit des Historischen, die auch eine andere, nämlich rein menschliche Deutung Jesu, z. B. als eschatologischer Prophet, erlaubt, ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, z. B. jüdischen Deutungen der Gestalt Jesu Respekt zollen zu können. | Hahn, Theologie II (s. Anm. ) : es ist „abwegig, von einer ‚Vergöttlichung Jesu‘ zu sprechen, die sich in unmittelbar nachösterlicher Zeit vollzogen habe (gegen Theissen, Religion)“; ebenso Lohfink, Jesus (s. Anm. ) – . | Das bleibende Mensch-Sein Jesu artikuliert das NT desöfteren: vgl. Röm , („der eine Mensch Jesus Christus“); vgl. auch Röm , ; Kor , ; Tim , („der Mensch Jesus Christus“); außerdem Joh , („siehe der Mensch!“). Hahn, Theologie II (s. Anm. ) : „Für das vom Alten Testament geprägte urchristliche Denken war die klare Unterscheidung zwischen Gott und Welt, Gott und Mensch selbstverständlich. Unter dieser Voraussetzung geht es in der Urchristenheit um das uneingeschränkte Menschsein Jesu“.

ThQ2013_04_umbr.indd 319

27.11.13 15:44

320

Michael Theobald

nicht unwichtig. Sie verdankt sich zwar erst nachösterlicher Reflexion, ist deshalb dem historischen Jesus aber nicht „aufgesetzt“, sondern darf als angemessene Leitkategorie behauptet werden. Die zweite Antwort bezieht die „Erfolgsgeschichte“ des Christus-Bekenntnisses mit ein, auf die der religionswissenschaftliche Vergleich mit hellenistischen Ideen von Göttern, die zu den Menschen auf Erden herabsteigen und sie besuchen (vgl. Apg 14,11), oder von bedeutenden Menschen, die nach ihrem Tod in den Götterhimmel aufgenommen werden, Licht werfen kann. Auch wenn sich die neutestamentlichen Sprachspiele wie das Schema von Abstieg und Aufstieg des Retters oder der Inkarnation des Wortes Gottes in Jesus Christus vornehmlich frühjüdischen Weisheits- und Logos-Vorstellungen verdanken, bleibt doch die Frage, wie es dazu kam, dass das christologische Bekenntnis sich in der griechisch-römischen Welt so schnell verbreiten und Akzeptanz finden konnte. Möglicherweise hängt das mit der Affinität zu spezifisch hellenistischen Vorstellungen zusammen, die auf die Ausbildung der auf jüdischem Boden gewachsenen neutestamentlichen Christologie sekundär einwirkten. Christus und die antiken Wundertäter, Christus und Dionysos, Christus und die Cäsaren – es gab genügend Konkurrenten, die überboten und konterkariert werden mussten. Derartige Begegnungen lassen sich als Inkulturation des Glaubens nach dem Muster Anknüpfung und Widerspruch beschreiben, am Ursprung der neutestamentlichen Christologie standen sie aber nicht.

Summary The article treats the question of whether the religious-studies category of the “divinization” of exceptional people – heroes, miracle-working charismatics, emperors, and kings – before or after their deaths is compatible with the early Christian formation of faith. For this purpose the author examines the idea of the “exaltation” of Jesus at Easter (Phil 2:6–1; Rom 8,31–35) as well as images of the earthly miracle worker Jesus as a “divine person.” Biblical, early Jewish modes of thought are decisive here (as is to be expected when treating the “Jewish-Christian” origin of the formation of faith). Wherever they encountered pagan ideas, a distinct mission-historical dynamic developed along the lines of connection and contradiction. This dynamic helps to explain the success story of the early Christian movement in the Mediterranean area.

ThQ2013_04_umbr.indd 320

27.11.13 15:44