Geld vom Staat fürs Menschsein. Echt jetzt? - bref

07.05.2016 - konnte mich ja nur für meinen neuen Job entscheiden ... der Sicht meiner Eltern «einfachen» Job. ..... bare Bindung an die Institution verloren,.
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Das Magazin der Reformierten N° 8 / 2016 – 29. April

Geld vom Staat fürs Menschsein. Echt jetzt?

Zwölf Ansichten zu einem bedingungslosen Grundeinkommen Wer über das bedingungslose Grundeinkommen spricht, kommt nicht um eine inflationäre Verwendung des Konjunktivs herum. Das liegt am Umstand, dass wir letztlich alle Ahnungslose sind: Kein Land kennt ein bedingungsloses Grundeinkommen, Erfahrungswerte fehlen. Trotzdem entscheidet das Schweizer Stimmvolk am 5. Juni darüber, ob künftig der Staat jedem Menschen in diesem Land bedingungslos Geld zahlt. Egal, wie man zu dieser Idee steht: Sie stellt Fragen, die ziemlich heftig an unseren Denkformatierungen rütteln. Nur so lassen sich die teils geharnischten Reaktionen von sonst besonnenen Menschen auf ein Grundeinkommen erklären. Das vorliegende Themenheft entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut Zukunft. Dieses steht den Grundeinkommensinitianten nahe. Trotzdem ist es kein Heft, das einseitig die Vorteile eines Grundeinkommens preist. Die Initianten zeichnen sich darin aus, dass sie am Diskurs wohl fast mehr interessiert sind als am Abstimmungsresultat. Allen in dieser Ausgabe befragten Frauen ist deshalb gemein, dass sie sich – egal, ob sie ein Grundeinkommen befürworten oder ablehnen – dem Thema mit nötiger Offenheit stellten. Entstanden sind erörternde, oft von der eigenen Lebenssituation ausgehende Gespräche. Dabei wird jenes Thema angesprochen, das auch die reformierten Kirchen umtreibt: was die Arbeit für Geld mit uns Menschen macht – und was dies letztlich fürs Menschsein bedeutet. 

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Katie Pietsch Bierbrauerin

S. 4

Antje Schrupp Autorin

S. 18

Ingrid Grave Ordensschwester

S. 35

Oliver Demont

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Gespräche Nadja Schnetzler Bilder Laurent Burst

Ruth Schweikert Autorin

S. 7

Jeannette Behringer Politologin

S. 11

Harryet Lang Modedesignerin

S. 15

Amira Hafner-Al Jabaji Islamwissenschaftlerin

S. 21

Ulrike Guérot Politikwissenschaftlerin

S. 27

Christine Egerszegi Politikerin

S. 31

Debbie Zedi Marketingleiterin

S. 38

Christine Bühler Bäuerin

S. 41

Sarah Schilliger Soziologin

S. 45 3

«Frauen wären mutiger, ihr eigenes Ding durchzuziehen»

Frau Pietsch, bis zur Gesprächsanfrage kannten Sie die Idee von einem Grund­ einkommen nicht. Ihr erster Gedanke dazu? Er galt meiner sehr konservativen republikanischen Grossmutter. Sie würde sich bestimmt aufregen, dass da Men­ schen wieder «Handouts», also Almosen, erhalten, anstatt sich selber um ihren Er­ folg zu bemühen. Und man stelle sich vor, dass nun plötzlich jeder Einwohner Almo­ sen bekommen soll – unvorstellbar! «Faul und unverantwortlich ist das», würde sie sagen. Und was halten Sie von der Idee? Ich sehe darin die Chance, dass ich wohl ra­ scher und freier den Entscheid gefällt hät­ te, mich dem Bierbrauen zuzuwenden. Ich konnte mich ja nur für meinen neuen Job entscheiden, weil eine Person aus meinem Umfeld mein finanzielles Risiko bis heute mitträgt. Mit einem Grundeinkommen wäre ich nicht abhängig von ihr. Und vermutlich hätte ich eine solche Ent­ ­ scheidung mit weniger Schuldgefühlen getroffen. Inwiefern verändert ein Grundeinkom­ men das Verhalten der Menschen? Wenn der Staat das Risiko des Scheiterns ein Stück weit mitträgt, dann würden Menschen wohl mehr wagen und auch eher das tun, was sie wirklich gerne tun

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und auch gut können. Heute treffen wir Entscheide oft aus finanziellen Gründen und lassen uns dabei von vermeintlich vernünftigen Gründen leiten. Das Herz und die Leidenschaft haben da wenig zu melden. Als Chemikerin würde ich sagen: Das Grundeinkommen senkt die Aktivie­ rungsbarriere für Lebensentscheidungen.

und prestigeträchtigen Positionen suchen. Mit dem Grundeinkommen könnten sie sich vielleicht aber eine Weiterbildung finanzieren, die sie sonst nicht machen würden. Oder ihren Job auf Teilzeit reduzieren, um sich um Kinder zu küm­ mern – oder generell etwas Gutes für die Gesellschaft tun.

Wie ist es, eine Arbeitsstelle aufzuge­ ben und selbständige Bierbrauerin zu werden? Ein unglaublicher Schritt. Ich bin die älteste Tochter. Die also, welche die Eltern stolz machen sollte – und auch die, welche die «guten Entscheide» treffen sollte. Und dann entscheide ich mich nach einer so langen Ausbildung für einen aus der Sicht meiner Eltern «einfachen» Job. Das hat ganz schön Mut gebraucht, ganz abgesehen von den finanziellen Folgen.

Wie viele würden abspringen, ihr eige­ nes Ding machen? Die Karriere zu wechseln, so wie ich es getan habe, wäre sicher immer noch ungewöhnlich. Es würde immer noch Mut erfordern. Hätte ich zum Beispiel Kinder oder eine Hypo­ thek, hätte ich diese Entscheidung wohl nicht getroffen, vermutlich auch nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkom­ men. Dann hätte ich vielleicht einmal im Jahr unbezahlten Urlaub genommen, um Bier zu brauen. Das wäre ja auch in Ordnung, aber natürlich nicht genau das gleiche.

Trotzdem haben Sie den Schritt ge­ wagt. Ja. Auch, weil ich über ein Backup verfüge, wenn es mit dem Bierbrauen nicht klappt: Ich kenne meinen Wert als Chemikerin. Ich könnte jederzeit wieder in die Pharmabranche zurückkehren. Kleines Gedankenexperiment: Das Grundeinkommen ist eingeführt. Was wäre anders in der Pharmabranche? Wohl gar nicht so viel. Es wird immer die Menschen geben, die diese gutbezahlten

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Wie hart ist Ihre Arbeit als Bierbraue­ rin? Körperlich ist sie schon sehr hart, Zwölfstundentage sind keine Seltenheit. Nur: Es fühlt sich für mich nicht wie Ar­ beit an, da es das ist, was ich machen möchte. Selbst das wenig spassige Fässer­ reinigen ist okay, weil es einfach ein Bei­ trag zu meinem Ziel ist: Alles über das Bierbrauen zu wissen. Solange ich immer

Bild: Laurent Burst

Katie Pietsch verdiente als Chemikerin gutes Geld in der ­Pharmabranche. Dann entdeckte sie ihre Liebe zum Bierbrauen. Der Wechsel zur selbständigen Brauerin und somit in eine ­finanziell unsichere Zukunft hat ihr viel Courage abverlangt. ­Zurzeit verdient sie zwei Franken – pro Stunde.

Katie Pietsch, 32, Zürich

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etwas dazulernen kann, nehme ich solche Arbeiten in Kauf. Und welche Arbeiten hast du in deinem früheren Job in Kauf genommen? Ich arbeitete in einer sehr grossen Firma, und da nimmt man einfach unglaublich viele Dinge in Kauf, die gar nichts mit der effek­ tiven Tätigkeit zu tun haben. Sie sind dann einfach nur Teil von Politik, administrati­ ver Arbeit oder unproduktiver Tätigkeit. Viele Mitarbeitende verlieren darin ganz rasch das höhere Ziel aus den Augen. Sie arbeiten dann halt, um das Geld zu be­ kommen, und suchen sich in der Freizeit einen Ausgleich. Auch lassen sich in einer Firma schlechte Prozesse oder Dinge, die einen stören, kaum verändern. Oder es geht extrem lange, bis sich etwas ändert. Eine Firma in der Industrie ist ein Flug­ zeugträger. Meine kleine Bierbrauerei ist aber ein Schnellboot. Das ist unglaublich befriedigend. Kritiker befürchten, ein Grundeinkom­ men führe dazu, dass niemand mehr arbeiten will. Es wird Menschen geben, die tatsächlich mit diesem Einkommen zufrieden sind und sehr bescheiden nur mit diesen Mitteln leben werden. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es weiterhin viele Menschen geben wird, die etwas bei­ tragen wollen. Sei es für Kunden, für die Gesellschaft oder für den Staat. Vielleicht verlangt ein bedingungsloses Grundein­ kommen auch eine andere Erziehung. Wenn Kinder und Jugendliche lernen, dass sie sich für das entscheiden können, was sie wirklich gut können und gerne tun, dann reift ein ganz neues Denken her­ an. Im Zentrum würde dann stehen, dass wir uns mehrmals im Leben neu erfinden können – und dies ganz ohne existenziel­ le Angst. Das würde das Leben sehr viel spannender machen. Wie viel verdienen Sie eigentlich als Bierbrauerin? Jetzt gerade verdiene ich ungefähr zwei Franken pro Stunde. Ich arbeite aber noch nebenher in einer Bar. Was bedeutet Ihnen Geld? Für mich ist Geld ein Werkzeug, das mir erlaubt, be­ stimmte Dinge zu tun. Hier zu leben zum Beispiel. Oder genügend Geld zu haben, um mir Lebensmittel zu kaufen und viel­ leicht einmal im Jahr meine Familie in den USA zu besuchen. Mir ist Geld nicht un­

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wichtig, aber der Betrag ist mir heute egal. Mein Berufswechsel hat meine Perspekti­ ve aufs Geld drastisch verändert. In mei­ nem alten Job dachte ich immer: Du musst für deine Pensionskasse sparen, Geld spa­ ren, um in die Ferien zu fahren, und Geld, um grössere Dinge zu kaufen. Heute tu ich das, was ich wirklich gerne mache, und alles andere ist wenig wichtig oder sogar unwichtig. Früher verglich ich mich auch mit anderen, die den gleichen Job hatten. Es war mir wichtig, gleich viel oder mehr zu verdienen. Hätte Ihre Mutter mit einem Grund­ einkommen eine andere Biografie ge­ habt? Meine Mutter ist Lehrerin und hat sich laufend weitergebildet. Sie musste viele Darlehen aufnehmen, um Schul­ leiterin zu werden. Das gab viel Stress. Dieser Stress wäre wohl kleiner gewesen, und sie hätte ihre Weiterbildungen even­ tuell schneller abgeschlossen, weil sie nicht immer berufsbegleitend hätte stu­ dieren müssen. Vermutlich hätte es ihr Leben etwas einfacher gemacht. Wird sich etwas für Frauen im speziel­ len ändern mit dem bedingungslosen Grundeinkommen? Frauen orientieren sich bei Entscheidungen im Leben noch immer sehr an ihren Müttern oder Gross­ müttern, selbst wenn sie dies nicht wollen. Irgendwie sind wir darauf programmiert, am Ende doch eher konservative Wege zu gehen. Zumindest erlebte ich das in den USA so. Mit einem Grundeinkommen wä­ ren Frauen sicherlich mutiger, ihr eigenes Ding zu machen. Ich halte mich da ganz an meine Grossmutter. Sie war zwar kon­ servativ und hatte eine sehr klare Vor­ stellung davon, was eine Frau in meinem Alter tun sollte. Aber zugleich sagte sie mir auch immer: «Mädel, du lebst nur ein­ mal! Mach etwas aus deinem Leben und warte nicht damit, bist du alt bist.»

Katie Pietsch wuchs in den USA auf, wo sie Chemie studierte. Danach kam sie in die Schweiz, um ihre Doktorarbeit in Toxikologie abzuschliessen. Pietsch arbeitete für eine grosse Pharmafirma in Basel, bevor sie ihr gesamtes Erspartes in eine Craft-Bierbrauerei investierte. Sie hat bereits mit anderen Brauerinnen ein eigenes Spezialbier kreiert.

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«An finanzieller Unsicherheit ist rein gar nichts romantisch» Die Autorin Ruth Schweikert räumt mit dem Klischee auf, dass existenziell problematische Phasen die Kunst besonders positiv ­beeinflussen: «Das ist eine sehr zynische Sicht.» Ein Grundein­ kommen würde es erlauben, den Menschen bei seinen Stärken ­abzuholen, und nicht bei seinen Defiziten und Problemen.

Frau Schweikert, wenn Sie einen Ro­ man über die Idee des bedingungs­ losen Grundeinkommens schreiben müssten, was würde darin stehen? Als Protagonistin würde ich eine Freundin von mir wählen, die eine äusserst schwie­ rige Kindheit und Jugend hatte. Dieser Einstieg ins Leben wirkt bis heute in ihr Erwachsenenleben nach. Ihre Mutter kam in den sechziger Jahren in die Schweiz, wurde von einem Schweizer schwanger, der sie dann im Stich liess. Das Vormundschaftsamt nahm der Frau ihr Kind weg und steckte es ins Heim, wo ihm alles nur erdenklich Schlimme widerfuhr. Das wird ein trauriges Buch. Allerdings. Meine Freundin musste sich richtig aus dieser Biografie herausarbeiten. Heute ist sie Autorin, befindet sich aber wieder in prekären Umständen: Sie lebt in einem Abbruchhaus und ist Sozialhilfeempfän­ gerin. Für alles, was sie zum Leben braucht, muss sie sich beim Sozialamt rechtfertigen und erklären. Die Frage nach der Existenzsicherung frisst ihre ­gesamte Energie. Dabei hätte sie viel zu bieten. Die Protagonistin hätten wir also. Was würde das Buch erörtern? Ich würde anhand dieser Biografie literarisch aufzei­ gen, was es bedeutet, wenn man in einem

solchen negativen Kreislauf gefangen ist, und was es bedeuten könnte, wenn solche Kreisläufe – zum Beispiel mit einem Grundeinkommen – durchbrochen wür­ den. Der Philosoph Peter Sloterdijk fragte: Wo kann man Menschen in ihrer Stärke abholen? Heute holen wir sie nicht bei ­ihren Stärken ab, sondern zeigen auf, was an einem Menschen nicht gut ist oder war­um ein Mensch in der Gesellschaft nicht funktioniert. Wir argumentieren de­ fizitär. Das Grundeinkommen würde es uns erlauben, den Menschen bei den ­Stärken abzuholen, nicht bei den Defizi­ ten und Problemen. Dieses Vorschuss­ vertrauen finde ich an der Idee richtig und wichtig. Welchen Beitrag kann die Literatur leis­ ten, solch neue Ideen wie das Grund­ einkommen zu entwickeln? Literatur und Kunst sind Räume, in denen Vorstel­ lungen durchgespielt und Szenarien ent­ wickelt werden können. Friedrich Schiller sagte: Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Darin liegt der Wert jedes literarischen oder künstlerischen Bei­ ­ trags. Bei der Literatur kommt dazu, dass wir uns als Menschen in andere Szenarien hineindenken können. Wir sind zwar die, die wir sind. Aber wir sind immer auch andere, wenn wir lesen. Und so liessen sich eben auch Ideen und Utopien mit

I­ nhalt füllen, um aufzuzeigen, wie eine solche Utopie praktisch funktionieren würde. Wie hätte ein Grundeinkommen Ihren Werdegang als Schriftstellerin beein­ flussen können? Ich hätte mich schneller und stärker auf meine Tätigkeit als Auto­ rin konzentrieren können. Das Grund­ einkommen hätte vielleicht auch dazu geführt, dass ich manchen Herausforde­ rungen aus dem Weg gegangen wäre. Ich bin Dozentin für Literarisches Schreiben an der Hochschule der Künste Bern. Hät­ te ich mich auch mit Grundeinkommen für diese Stelle beworben, mich also dieser Herausforderung gestellt? Wahrschein­ lich schon. Weil das Schreiben meine Lei­ denschaft ist und ich diese auch gerne an junge Autorinnen und Autoren weiter­ geben möchte. Hatten Sie als Autorin immer auch ­Nebenjobs? Ständig. In meiner Zeit als alleinerziehende Mutter hatte ich die un­ terschiedlichsten Jobs. Telefonsex und Kerzengiessen sind da nur zwei Beispiele. Mit einem Grundeinkommen hätte ich vielleicht als Autorin solche Tätigkeiten auch für eine gewisse Zeit ausgesucht, aber eher, um zu recherchieren. Es gab in meinem Leben wirkliche Momente exis­ tenzieller Not, in denen ich tatsächlich

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Ruth Schweikert, 50, Zürich

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nicht wusste, wie ich meine Kinder ernäh­ ren sollte. Auch konnten sie nicht an allen sozialen Erlebnissen teilnehmen. Das sind Erlebnisse, die man nicht ver­ gisst. Es ist ein Klischee zu glauben, dass diese existenziell problematischen Pha­ sen die Kunst besonders positiv beein­ flussen würden. Diese romantische Aussensicht auf die «Not, die erfinderisch macht»? Ja, das ist sogar eine sehr zynische Sicht. Es gibt rein gar nichts Romantisches an finan­ zieller Unsicherheit, am Prekariat. Im Ge­ gensatz dazu macht ein zu hohes finan­ zielles Polster unter Umständen denkfaul und träge. Aber gar kein Polster lähmt und nimmt die Energie aus jedem gestalteri­ schen Prozess. Es ist alles eine Frage der Balance.

Bild: Laurent Burst

Könnte ein Grundeinkommen eine sol­ che Lähmung verhindern? Wenn wir von einem Grundeinkommen reden, das eine bescheidene Existenz sichert, dann ist das der richtige Ansatz. Wer mit die­ sem Geld lebt, ohne einer beruflichen Tä­ tigkeit nachzugehen, der muss sich sehr gut überlegen, wie er mit diesem Betrag durchkommt. Diese Personen leisten viel­ leicht dennoch einen Beitrag an die Ge­ sellschaft. Sie erziehen zum Beispiel Kin­ der. Ein Grundeinkommen würde uns auch erlauben, dass wir uns zwischen­ durch aus dem Wirtschaftskreislauf her­ ausnehmen können. Nicht jeder muss diesen Irrsinn dann ständig mitmachen. Um mich herum verschwinden Menschen monatelang in Kliniken, um ihr Burnout zu kurieren. Das kostet die Allgemeinheit ja auch enorme Geldbeträge. Würde mit einem Grundeinkommen der Druck auf Arbeitgeber steigen? Ar­ beitgeber müssten sich gut überlegen, was sie einer Mitarbeiterin zu bieten hätten. Lineare Lebensläufe sind ja schon heute nicht mehr selbstverständlich. Mit einem Grundeinkommen dürfen und müssen wir uns plötzlich überlegen, was wir mit un­ serem Leben wirklich anfangen wollen. Die Automatismen, die wir heute kennen, würden wegfallen. Man macht dann nicht einfach eine Banklehre, nur weil man ­einigermassen gute Noten hat. Somit kann sich ein Arbeitgeber auch nicht mehr ­darauf verlassen, dass er einen Arbeit­ nehmer findet.

Kann der Mensch mit so viel Entschei­ dungsfreiheit überhaupt umgehen? Der Schweizer Dichter Adolf Muschg sag­ te: Frei ist nur, wer von seiner Freiheit auch Gebrauch macht. Diese Idee gefällt mir. Freiheit ist ja nie absolut, sondern im­ mer primär eine Freiheit zur Entschei­ dung. Das Grundeinkommen schafft die Freiheit, dass wir uns alle sehr gut überle­ gen dürfen, wo und wofür wir uns einset­ zen möchten. Was bedeutet das für die Gesellschaft? Wir müssen uns viel mehr damit anfreun­ den, dass es viele unterschiedliche Le­ benskonzepte gibt und dass wir mit diesen Lebenskonzepten selber gar nicht unbe­ dingt einverstanden sein müssen, um als Gesellschaft zu funktionieren. Wir wer­ den uns wieder viel mehr mit unserem Innenleben befassen müssen, in dem es nur uns selber gibt und das unser Kom­ pass ist. Nicht Kirche, nicht Staat, nicht das Sozialamt und nicht die Nachbarin nimmt uns diese Entscheidung ab. Viel­ leicht ist es die Basis für die Gesundung ganz vieler Dinge, die heute schieflaufen. Dafür wäre das Grundeinkommen eine Lösung? Sie ist zu einem Teil Utopie, hat aber auch einen Bezug zur Realität. «Ar­ beit erwirtschaftet das Geld» ist ja ein My­ thos. Das wissen wir eigentlich alle. Da laufen viel mehr virtuelle und undurch­ sichtige Mechanismen ab, die mit Börse, Rohstoffen und anderem zu tun haben. Geld ist ein Mittel, ein Medium, mensch­ gemacht, eine Sprache, die wir uns ange­ eignet haben und mit der wir heute auf bestimmte Weise kommunizieren. Die Regeln dazu können wir jederzeit ändern. Wir könnten als Schweiz auch Impulse in andere Länder senden und zeigen, dass Dinge nicht so laufen müssen, wie sie heute laufen.

Ruth Schweikert ist Autorin zahlreicher Romane, Trägerin des Ingeborg-Bachmann-Preises und weiterer namhafter Literaturpreise. Als Dozentin für Literarisches Schreiben unterrichtet sie an der Berner Hochschule der Künste. Schweikert ist Mutter von fünf Söhnen und lebt in Zürich.

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Die Kirchgemeinde Wangen-Brüttisellen ist mit ihren rund 2100 Mitgliedern eine attraktive Kirchgemeinde in der Agglomeration Zürich. Zur Ergänzung unserer ordentlichen 100%-Pfarrstelle suchen wir auf Sommer/ Herbst 2016 oder nach Vereinbarung

Zwei Pfarrstellen 150% Die reformierte Kirchgemeinde Lenzburg-Hend­ schiken mit über 3000 Mitgliedern organisiert ihre 250 Pfarrstellenprozente im Amtswochensystem. Infolge Pensionierung und beruflicher Neuorien­ tierung unserer beiden Pfarrpersonen suchen wir zur Ergänzung des Pfarrteams per 1. März 2017 oder nach Vereinbarung einen Pfarrer 80 –100% eine Pfarrerin oder einen Pfarrer 50 –70% Wir legen Wert auf • Teamfähigkeit und Sozialkompetenz • Freude und Offenheit für alle kirchlichen Dienste • theologische Kompetenz, das Evangelium ­zeitgemäss zu verkünden • eine lebensfrohe, initiative Persönlichkeit, die leicht Kontakte mit Menschen aller Alters­ stufen knüpft • Flair für Gottesdienste und liturgische Feiern • Bereitschaft, unsere Kirchgemeinde gemeinsam weiterzuentwickeln • Offenheit für Ökumene und Allianz Sie finden bei uns • eine Pfarrerin (100%) • zwei Katechetinnen und einen Katecheten • eine verantwortungsbewusste Kirchenpflege • ein kompetent geführtes Sekretariat • Möglichkeit von Arbeitsschwerpunkten nach Absprache • ein Team motivierter Mitarbeiterinnen und ­Freiwilliger

eine Pfarrerin oder einen Pfarrer

(30%-Ergänzungspfarrstelle)

Zu Ihren Aufgaben gehören: – Gottesdienste (Schwerpunkt Familien- und Jugendgottesdienste) und Kasualien – Konfirmandenunterricht, Konflager – Begleitung der Katechetinnen, des Kolibriteams und verschiedener Angebote des rpg – Kontakte zu Familien, jungen Menschen und Erwachsenen Was uns wichtig ist: – Sie haben Interesse an Familien-, Kinder- und Jugendarbeit – Sie sind liberal und weltoffen – Sie sind kommunikativ, team- und dialogfähig – Sie besitzen die Fähigkeit, mit Menschen verschiedener Generationen zusammen zu arbeiten Wir bieten Ihnen: – Eine engagierte Kirchenpflege – Einen teamorientierten Pfarrkollegen – Motivierte Mitarbeitende und ein Sekretariat, welches Sie administrativ unterstützt – Eigenes Büro im Gemeindeteil Brüttisellen – Mehr Informationen zu unserer Kirchgemeinde finden Sie auf www.ref-wangen-bruettisellen.ch Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung mit den üblichen Unterlagen bis 27. Mai 2016 an: Kirchgemeinde Wangen-Brüttisellen, Vermerk Pfarrstelle, Hegnaustrasse 36, 8602 Wangen, oder via E-Mail an [email protected]. Für weitere Auskünfte und zur Beantwortung von Fragen stehen Ihnen gerne zur Verfügung: Katharina Lamprecht Baltensperger, Präsidentin Pfarrwahlkommission, Tel. 044 833 15 22, oder Christina Beck, Präsidentin Kirchenpflege, Tel. 044 833 26 08.

Mehr über unsere Kirchgemeinde erfahren Sie ­unter: www.kirche-lenzburg.ch Wir freuen uns auf Ihre schriftliche Bewerbung bis 15. Juni 2016 an: Michael Brücker, Postfach 480, 5600 Lenzburg 1 Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gerne: Michael Brücker, Präsident der Pfarrwahl­ kommission, 078 647 21 17, [email protected]. Susanne Ziegler, Pfarrerin, 062 891 21 06, [email protected].

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Das Magazin der Reformierten

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«Es dreht sich alles um diese Frage: Was ist Gerechtigkeit?» Jeannette Behringer ist Politologin und Ethikerin bei der reformierten ­Kirche des Kantons Zürich. Der Idee des bedingungslosen Grundein­ kommens kann sie viel abgewinnen. Grosse Zweifel hegt sie allerdings an ­deren Umsetzung. Sie fordert eine Kirche, die sich als gesell­s­chaftliche ­Akteurin in die Debatte einmischt.

Frau Behringer, auffallend oft sind Kirchenvertreter unter den Befürwortern eines bedingungslosen Grundeinkommens zu finden. Es wird mit einem menschenwürdigen Leben argumentiert und dass jeder Menschen bedingungslos angenommen sei – so stehe es schliesslich auch in der Bibel. Lassen christliche Werte gar keinen anderen Schluss zu? Doch. Ich kenne einige Stim­ men in der reformierten Kirche, die das Grundeinkommen deutlich ablehnen. Und auch ich sehe es eher kritisch, gerade was die Umsetzung betrifft. Letztlich dreht sich aber alles um die Frage: Was verstehen wir unter Gerechtigkeit? Was ist für Sie Gerechtigkeit? Für mich als Ethikerin in der Kirche ist Gerechtig­ keit geknüpft an die Frage der Verteilung. Und gerade da scheitert für mich das Grundeinkommen. Es wird Menschen ge­ ben, die zusätzlich zum Grundeinkom­ men Unterstützung benötigen. Beispiels­ weise, wenn ein Mensch auf eine kostenintensive Pflege angewiesen ist. Diametral anders würde wohl wiederum der neoliberale Denker Thomas Straub­ haar, ehemaliger Direktor des Welt­ wirtschaftsinstituts in Hamburg, Gerech­ tigkeit definieren. Er befürwortet das Grundeinkommen, weil dann alle anderen Sozialleistungen konsequent abgeschafft

würden. Seiner Ansicht nach gewährt der Staat für alle die gleichen Chancen und schafft dadurch Startgerechtigkeit. Startgerechtigkeit versus Verteilungsgerechtigkeit: Was berücksichtigt die von Ihnen geforderte Verteilungsgerechtigkeit? Stellen Sie sich eine Schul­ klasse vor. Alle Schülerinnen und Schüler kommen im gleichen Alter in die Schule. Sie haben von aussen betrachtet die glei­ che Chance, was Bildung betrifft. Nun ist es aber nicht so, dass diese Kinder alle tat­ sächlich am gleichen Punkt stehen. Sie haben in den sieben Jahren bis zum Schul­ eintritt schon sehr viel Verschiedenes er­ lebt. Bildung, Zuwendung, Schicksals­ schläge – jede Biografie ist unterschied­ lich. Auch mit der gleichen Bildungschan­ ce sind die Startchancen also ungleich. Die Verteilungsgerechtigkeit setzt da ein: Wird das Grundeinkommen mit der Brille der Verteilgerechtigkeit betrachtet und so ausgearbeitet, dass bestehende Ungleich­ heiten vermindert werden, dann befür­ worte ich das Grundeinkommen. Wer aber wie Thomas Straubhaar nur mit Startgerechtigkeit für das Grundeinkom­ men argumentiert, trägt dazu bei, Un­ gleichheit zu stabilisieren. Die Umsetzung der Initiative ist die Knacknuss? So ist es. Das bedingungslose

Grundeinkommen ist eine der faszinie­ rendsten Ideen der letzten dreissig Jahre. Mir gefällt die Zielsetzung der Initiative sehr: Sie soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teil­ nahme am öffentlichen Leben ermögli­ chen. Nur: Das Durchdenken der Umset­ zung ist eminent wichtig, damit dieses Ziel überhaupt erreicht werden kann. Wo sehen Sie Schwierigkeiten? Proble­ matisch finde ich, dass die Schweiz auf diese Idee einzig mit einem Ja oder Nein antworten kann. Hinzu kommt, dass das Ja von den Initianten bewusst nicht ge­ nauer definiert wurde. Etwa wenn Zahlen, beispielsweise die Frage nach der Höhe des Grundeinkommens, in den Raum ge­ stellt werden. Angenommen, das Grund­ einkommen würde angenommen, dann geht es erst richtig los: Real existierende Machtverhältnisse werden nachher dar­ über bestimmen, wie die Verteilung ge­ schieht. Was heisst das konkret? Unter anderem, dass nicht alle Gruppen, die das Grund­ einkommen betrifft, in den Diskurs einbe­ zogen sein werden. Zum Beispiel müssten Themen wie Zuwanderung, regionale ­Lebenshaltungskosten, Einkommens- und Vermögensunterschiede und weitere Ele­ mente zwingend mitbedacht werden.

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Jeannette Behringer, 47, Zürich

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Aber es erfolgen ja bereits heute ­Vernehmlassungen von Gesetzesent­ würfen, an denen einzelne Verbände, Interessengruppen und Institutionen teilnehmen. Ja, und das ist auch eine tol­ le Sache. Aber es sind keine eigentlichen Debatten und Diskurse, in denen öffent­ lich und breit Lösungen entwickelt wer­ den. Es braucht Ergänzungen zu Ver­ nehmlassungen, sogenannte deliberative Verfahren. Das sind öffentliche Berat­ schlagungen mit allen Betroffenen dar­ über, wie etwas am besten umgesetzt ­werden kann. Heute ist es so, dass die Be­ völkerung abstimmt, und das Parlament entwickelt das Gesetz dazu. In der Vorbe­ reitung der Entscheidungsfindung, in der Meinungsbildung fehlt aber etwas sehr Wichtiges. Das «deliberative Verfahren» wäre eine demokratische Innovation, die der Schweiz guttun würde.

Bild: lAURENT bURST

Können Sie ein Beispiel von solch ­einem Verfahren nennen? Ein gutes ­Beispiel sind sogenannte Publi-Foren, die auch in der Schweiz durchgeführt wer­ den. Repräsentativ ausgewählte Bürgerin­ nen und Bürger beratschlagen über ­komplexe Themen und entwickeln Lö­ sungsvorschläge. Expertenkommissionen, die beispielsweise in Deutschland und Grossbritannien die Höhe des Mindest­ lohnes festlegen, entwickeln zusätzliche Lösungen. Diese Verfahren wären auch eine Möglichkeit, um die Höhe des Grund­ einkommens festzulegen. Wichtig ist al­ lerdings, dass die Gruppen durch Bundes­ rat und Parlament legitimiert sind und Empfehlungen und Entscheidungsgrund­ lagen liefern. Ist nicht die Initiative selbst Teil dieses Prozesses? Ja, aber in der Phase vor der Abstimmung. Und es ist phänomenal, dass sich Schweizerinnen und Schweizer über diese Initiative mit der Frage des Grund­ einkommens befassen. Die Initianten ha­ ben das sehr gut gemacht, dass sie schon bei der Unterschriftensammlung immer die Debatte und die Diskussion zum The­ ma angeregt haben. So kann ein Thema, selbst wenn es an der Urne Schiffbruch erleidet, am Leben gehalten werden. Mit der Zeit entsteht vielleicht ein Konsens in der Gesellschaft über eine soziale Inno­ vation.

Welche Frage ist für Sie die wichtigste im Zusammenhang mit dem Grundeinkommen? Zentral finde ich, die Zielset­ zung der Initiative im Auge zu behalten. Das bedeutet, sich zu fragen, ob ein Grundeinkommen dem Ziel dient, dass dadurch die ganze Bevölkerung ein men­ schenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben erhält. Für dieses grosse Ziel ist es meines Erachtens not­ wendig, nicht nur einen engen Begriff von Arbeit im Sinne bezahlter Erwerbsarbeit an­zuwenden, sondern im Sinne Hannah Arendts nach einer Auswirkung des ­ Grundeinkommens auf das gesamte Tätig­ keitsspektrum zu fragen. Was würde das bedeuten? Ich frage mich: Welche Auswirkung hätte das Grundeinkommen auf die bezahlte Er­ werbsarbeit, auf die unbezahlte Hausund Familienarbeit sowie das freiwillige Engagement? Wenn mit einem Grund­ einkommen erreicht werden soll, dass sich mehr Menschen freiwillig enga­ gieren, dann muss man sich konkret mit ­Erkenntnissen zu den Bedingungen des Zustandekommens von Engagement auseinan­dersetzen. Und auch damit, ob die geschlechterspezifische Arbeitstei­ lung durch ein Grundeinkommen verän­ dert wird. Diese wäre notwendig, wenn man allen eine Teilnahme am öffentlichen ­Leben ermöglichen möchte. Sie arbeiten als Ethikerin bei der reformierten Landeskirche Zürich. Warum äussern sich eigentlich Kirchen so gerne zum bedingungslosen Grundeinkommen? Für die christlichen Kirchen ist Gerechtigkeit einer ihrer zentralen Werte. Sie betonen, sich für andere einzu­ setzen, also «Dienst am Nächsten» zu tun. Aber auch, Eigenverantwortung zu leben. Letztlich geht es darum, Arbeit und Leis­ tung zu erbringen, aber auch auf den Schutz der unverhandelbaren Menschen­ würde zu pochen. Diesen Druck muss die Kirche als Akteurin der Gesellschaft stets aufrechterhalten.

Klar: Viele Menschen haben die unmittel­ bare Bindung an die Institution verloren, gehen zum Beispiel nicht mehr am Sonn­ tag in den Gottesdienst. Zugleich aber ist ihre Haltung stark geprägt von Werten wie Nächstenliebe und Gerechtigkeit – nur werden diese Formen sehr individuell gelebt. Das finden wir übrigens auch in anderen Religionen. – Diese Werte sind in einer zunehmend säkularisierten Gesell­ schaft nicht verschwunden. Sie sind nur in neue Formen über­gegangen und wer­ den sich weiter transformieren. Und was ist nun die Aufgabe der Kirche? Es geht darum, immer wieder auch auf die christlichen Wurzeln unserer Ge­ sellschaft zu verweisen. Beispielsweise bestreitet wohl kaum jemand mehr, dass der Leistungsdruck und die Unsicherheit am Arbeitsplatz zugenommen haben. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es heute salonfähig ist zu sagen: Nur wer sich bei der Arbeit etwas unsicher fühlt, ist wirklich dazu motiviert, gute Leistungen zu erbringen. Früher war der Zusammen­ hang in der Argumentation eher dieser: Wir schaffen sichere soziale Bedingungen, damit Menschen in ihrer Arbeit Leistung erbringen können. Für uns als Kirche ist klar: Der Mensch braucht eine sichere Existenz, und von dieser Sicherheit aus erbringen wir Leistung – nicht umge­ kehrt. Die Kirchen können den Diskurs zur Frage nach dem guten Leben ent­ scheidend mitgestalten. Zum Beispiel, indem sie auf den Schutz des Sonntags achten, entgegen dem Trend der Deregu­ lierung bei den Ladenöffnungszeiten. Denn Freiheit hat immer auch eine Kehr­ seite: die Verantwortung.

Jeannette Behringer ist Politologin und Ehtikerin mit den Schwerpunkten politische Ethik, Demo­kratie, Wirtschaft und Europa. Die Doktorin der Sozialwissenschaften arbeitet in der Abteilung Lebenswelten der reformierten Kirche des Kantons Zürich und verantwortet den Bereich Gesellschaft und Ethik.

Die Säkularisierung der Gesellschaft ist in vollem Gange. Wie will da die Kirche mit ihren Themen überhaupt noch in einer kirchenfernen Gesellschaft landen? Wir müssen unterscheiden, was die Bindung an die Institution Kirche anbe­ langt und was gelebte Religiosität betrifft.

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Wir suchen einen Pfarrer (100%)

www.evang-uznach.ch

(allenfalls 80%)

Die jetzige Stelleninhaberin verlässt aus familiären Gründen unsere Gemeinde. Aufgrund der Teamzusammensetzung suchen wir auf den 1. Januar 2017 oder nach Vereinbarung eine

Pfarrerin (60 %)

Jugendgottesdienste

mit Schwerpunkt Erwachsene und Familien

Kirchlicher Unterricht

Sie finden bei uns – eine lebendige, regionale Kirchgemeinde mit Diasporacharakter, die sich am Modell «Familien-Generationenkirche» orientiert – die Kirche mit dem Kirchgemeindehaus in Uznach und das «Generationenhaus» in Eschenbach als Begegnungszentrum – Spielraum für die Weiterentwicklung unserer Vision einer lebendigen Gemeinde und für eigene Ideen, gemäss dem Slogan der St. Galler Kantonalkirche «Nahe bei Gott – nahe bei den Menschen» – ein engagiertes Team mit drei Pfarrkollegen, einer Diakonin, einem Diakon und einer Jugendarbeiterin – eine Verwaltung mit einem Kirchgemeindeschreiber und einer Sekretärin

Könfis

Ihr Arbeitsgebiet – Allgemeine pfarramtliche Aufgaben im Pfarrkreis Uznach – Programmleitung im Kirchgemeindehaus Uznach – Erwachsenenbildung, Familienangebote, gerne neue Angebote für Frauen – bei Bedarf Erteilung von Konfirmanden- und Religions­unterricht Wir wünschen uns eine Persönlichkeit, die – Profil zeigt und ihren Glauben lebt – lustvoll Neues entwickelt, begeistern kann und sich selbst begeistern lässt – offen, teamfähig und kommunikativ ist – mobil ist und Wohnsitz im Kirchgemeindegebiet nimmt, vorzugsweise in Uznach Haben wir Ihr Interesse geweckt? Wir freuen uns auf Ihre Kontaktnahme. Nähere Auskünfte erteilen gerne – Pfarrerin Susanne Tschümperlin, jetzige Stelleninhaberin Telefon 055 285 15 12 Mail [email protected] – Ursula Schweizer, Präsidentin der Pfarrwahlkommission Telefon 055 283 21 53 Mail schweizer.rieden@swiss­online.ch Wir freuen uns über Ihre Bewerbung bis am 31. Mai 2016 Evang. Kirchgemeinde Uznach und Umgebung Pfarrwahlkommission Herr Thomas Moser, Kirchgemeindeschreiber Zürcherstrasse 18 8730 Uznach [email protected]

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Teamarbeit

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Jugendliche Freude am Entwickeln

Schulkinder ab Mittelstufe Lager

gelebter Glaube Oekumene

Soziale Medien

lebensnaher Predigtstil junge Erwachsene

Im Sinne der ausgewogenen Teamzusammen­ setzung bevorzugen wir einen Pfarrer, der Mundart spricht. Sind Sie der Pfarrer mit Herz, der diese vielfältige Herausforderung in unserer Gemeinde annehmen will? Dann erwarten wir Ihre vollständi­ gen Bewerbungsunterlagen bis 31. Mai 2016 an: Reformierte Kirchgemeinde Dübendorf, Pfarrwahlkommission, Bahnhofstrasse 37, 8600 Dübendorf. Dübendorf ist eine grosse Kirchgemeinde im rasant wachsenden Glattal. Obwohl der Agglo­meration Zürich nahe, haben wir unsere ­Eigenständigkeit und unsere Eigenheiten bewahrt. Wir sind eine Gemeinde mit einer starken sozialen Durchmischung, breitem Freizeitangebot und viel Grünraum zur Erholung. Für Fragen stehen Ihnen zur Verfügung: Christian Brütsch, Präsident Pfarrwahlkommission, unter 079 446 39 89 oder [email protected], und Karin Baumgartner, Pfarrerin, unter 076 459 29 31 oder [email protected]. Weitere Informationen finden Sie auf der Kirchenhomepage: www.rez.ch

«Ein Leben unter dem Existenzminimum führt zur Verzweiflung» Die Schweizerin Harryet Lang arbeitet in Berlin als Modedesigne­ rin. Davon leben kann sie allerdings nicht. Die 40jährige bezieht Sozialhilfe für Selbständige vom deutschen Staat. Ein Grund­ einkommen würde viel Druck aus ihrem Leben nehmen, sagt sie.

Frau Lang, Sie leben in Berlin und nehmen hier regelmässig an der Verlosung eines Grundeinkommens für ein Jahr teil. Angenommen, Sie gewinnen die tausend Euro im Monat, was würde sich ändern? Zunächst wäre es für mich eine grosse Entspannung. Ich beziehe aktuell «Hartz 4 Aufstocker», das ist die Sozial­ hilfe für Selbständige. Konkret muss ich dafür zweimal im Jahr alles offenlegen, was bei mir reinkommt. Also was mein Leben kostet und wofür ich Geld ausgebe. Da kommt man sich ganz nackt vor, es ist ein demütigender Prozess. Doch ohne ­dieses Geld könnte ich meiner Arbeit als Modedesignerin gar nicht nachgehen. Ein Grundeinkommen würde viel von die­ sem finanziellen Beschaffungsstress weg­ nehmen.

einmal Ferien mit der Familie machen möchten oder dass sie Zeit brauchen, um ein Buch zu schreiben.

Wer stellt bei der Verlosung das Geld zur Verfügung? Der Verein «Mein Grundeinkommen» sammelt per Crowd­ funding das Geld. Es sind viele Privatper­ sonen, die spenden, was ich grossartig finde. Immer wenn 12 000 Euro zusam­ men sind, werden sie an eine Person ver­ geben. Damit macht der Verein auf die Idee des Grundeinkommens in Deutsch­ land aufmerksam. Dabei muss jeder Teil­ nehmer angeben, was man mit dem Grundeinkommen anfangen würde. Ich las bei anderen Personen, dass sie wieder

Das Grundeinkommen würde Ihnen also erlauben zu investieren. Genau. Jetzt lebe ich von einem Tag zum nächsten, muss alles selber organisieren und prak­ tisch alles selber machen. Das raubt mir unglaublich viel Zeit. Das ist aber teilweise auch meiner Haltung geschuldet, dass, wenn ich etwas nähen lasse, ich die Arbeit hier in Berlin vergebe – mit entsprechen­ der Kostenfolge. Und mittelfristig möchte ich dann neben der fairen Produktion auch noch Biostoffe nutzen. Dafür fehlt mir aber im Moment einfach das Geld.

Angenommen, Sie hätten finanziell eine stabilere Basis, was würden Sie als nächstes tun? Ich würde ein Grundein­ kommen nutzen, um mein Geschäft vor­ anzutreiben, das seit 2010 im Aufbau ist. Im Moment kann ich es mir beispielswei­ se nur selten leisten, die Produktion mei­ ner Kollektion auszulagern. Hätte ich be­ dingungslos 1000 Euro im Monat zur Verfügung, ich würde dies tun. Zusätzlich würde ich eine Person anstellen, die mei­ ne Produkte bei Boutiquen vermarktet. Ich könnte mich dann wieder stärker auf das Entwerfen von neuen Kollektionen konzentrieren.

Was nennen Sie eigentlich Ihr Vermögen? Ein Zimmer voll von Schnittmus­ tern, die ich über die Jahre entwickelt habe. Es wäre aber schön, wenn ich ein kleines, richtiges Finanzpolster anlegen könnte. Das würde mir erlauben, relaxter an gewisse Themen heranzugehen. In Berlin gibt es viele Menschen, die mit wenig Geld auskommen. Studenten, aber auch Personen mit einem Projekt, das Zeit braucht, aber kein Geld einbringt. Wie organisiert man sich hier, damit es klappt? Wir tauschen viel mehr Dinge und Dienstleistungen – helfen uns gegenseitig aus. Fotografiert wer meine Modeschau, dann biete ich ihm als Gegen­ leistung ein oder zwei Stücke aus meiner Kollektion an. Wenn ich mehr Geld hätte, würde ich die Leute liebend gerne bezah­ len, das ist ja klar. Aber es geht vielen wie mir, und so sind wir gewohnt, in Natura­ lien oder Gegenleistungen zu denken und zu zahlen. Erleben Sie diesbezüglich Berlin anders als die Schweiz? In der Schweiz ist diese Haltung weniger verbreitet. In Ber­ lin kommen die Menschen oftmals gar nicht anders über die Runden. Ich glaube auch, dass Leute mit wenig Geld in der Schweiz stärker an den Rand der Gesell­ schaft gedrückt werden als in Berlin. Hier

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Harryet Lang, 40, Berlin

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kann ich auch mit sehr wenig Geld an fast allem teilhaben. So gibt es zum Beispiel viele kostenlose oder extrem günstige Kulturangebote, freie Eintritte in Museen, Festivals und vieles mehr, was eine Gross­ stadt wie Berlin zu bieten hat.

Bild: Laurent Burst

Was hat diese Berliner Lebensart mit Ihnen gemacht? Wenig Geld macht ­kreativ, und man fällt bewusstere Ent­ scheide. So habe ich zum Beispiel die Schneiderschere, die ich 1996 als Abschieds­geschenk bei einem Praktikum er­ halten habe, heute immer noch im Ein­ satz. Es braucht keine neue, ich behandle sie einfach mit Sorgfalt und schleife sie immer wieder nach. Ich will an dieser Stelle aber etwas klarstellen: Zwischen wenig Geld und zu wenig Geld gibt es ­einen grossen Unterschied. Ein beschei­ dener Lebensstil kann die Kreativität be­ flügeln. Ein Leben unter dem Existenz­ minimum führt aber zur Verzweiflung. Inwiefern würde ein Grundeinkommen eine Gesellschaft verändern? Den Men­ schen würde es besser gehen, und das meine ich insbesondere psychisch. Und die Menschen wären weniger gestresst. Dadurch würde das, was man tut, auch besser. Ich merke das auch bei der Mode: Wenn ich entspannt an die Sache heran­ gehen kann, ist das Resultat einfach bes­ ser. Weiter würden die Leute vermehrt das tun, was sie wirklich gut können – und nicht das, was am meisten Geld bringt. Gerade in der Schweiz sitzen viele in Jobs, die sie zwar nicht mögen, die aber gut ­bezahlt sind. Das verstehe ich nicht so richtig. Würden Sie in die Schweiz zurückkehren, wenn dort ein Grundeinkommen eingeführt würde? Eher nicht. Ich würde den Schweizern zwar ein Grundeinkom­

men gönnen, auch wenn andere Länder dieses wohl nötiger hätten. Warum ich aber nicht zurückkehren würde: Ich bin in Berlin zuhause. Dieses Jahr hatte ich nach sechzehn Jahren eine kurze Zeit wirklich Heimweh nach der Schweiz und fühlte mich für ein paar Monate hier in Berlin nicht mehr so wohl. Dann bin ich in einen neuen Kiez gezogen und hab mich wieder in diese Stadt verliebt. Was ich aber nicht weiss, mich jedoch noch interessieren ­würde: Sieht das Grundein­ kommen in der Schweiz vor, dass es wirk­ lich alle erhalten? Also auch jene, ein ­grosses Ver­mögen haben oder extrem viel verdienen?

Arbeitkraft darauf fokussieren möchte. Solange ich in prekären Verhältnissen lebe, werde ich deshalb auch an der Ver­ losung zum Grundeinkommen teilneh­ men. Drücken Sie mir die Daumen.

Harryet Lang zog nach ihrem Studium an der Modedesignschule in Zürich nach Berlin. Dort entwirft sie seit sechzehn Jahren Männer­ kollektionen und entwickelt Berufskleidung.

Ja, das ist die Idee. Hmm, das ist irgend­ wie unfair. Zugleich: Es kann ja auch jede Person, der es finanziell sehr gut geht, aus irgendwelchen Gründen in Not geraten. Und dann bekommt man heute Sozial­ hilfe. Das Grundeinkommen dreht das um, und man bekommt in jedem Fall, egal ob es einem gutgeht oder nicht, einen de­ finierten Betrag. Wer es nicht braucht, kann es zum Beispiel auf die Seite legen für schlechtere Zeiten, oder es anlegen oder den Betrag für einen guten Zweck spenden. Doch, das macht schon Sinn. Sie leben seit vielen Jahren in finanziell prekären Verhältnissen. Haben Sie ­eigentlich ein Motto, das Sie durchs Leben trägt? Mein Motto ist: Klar kann ich das – ich hab’s nur noch nie gemacht. Ich habe bereits einige Male im Leben wirklich krasse Entscheide getroffen. Mit 13 bin ich von zuhause ausgezogen und mit 23 nach Berlin ausgewandert, ohne zu wissen, was mich hier erwartet. Meine Pläne haben sich immer wieder geändert. Zuerst wollte ich Journalistin werden. Dann merkte ich, dass mich Modedesign so sehr interessiert, dass ich meine ganze

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«Mit dem Grundeinkommen wird nicht automatisch alles gut» Die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp setzt sich für das ­bedingungslose Grundeinkommen ein. Sie warnt aber davor, dass die 2500 Franken als Quasi-Lohn für häusliche Betreuung ­angesehen werden und damit feministische Errungenschaften aufs Spiel setzen könnten.

Das ist ja eigentlich positiv, oder? Auf jeden Fall, ja. Leider entwickelte sich der Diskurs um das Grundeinkommen dann immer mehr in die Richtung, dass das Grundeinkommen die Zukunftslösung für alle Probleme sein soll, mit denen wir konfrontiert sind. Doch das glaube ich nicht. Ich denke, das Grundeinkommen ist ein wichtiger Baustein, ein Element dafür, wie wir die vielen «Baustellen» in unserer Gesellschaft angehen könnten. Vielleicht kann es so etwas wie der Leim werden, der alles zusammenhält. Das Grundeinkommen fordert uns heraus, die Themen

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Arbeit, Erwerb und Zusammenleben einmal genauer zu beleuchten. Es ist wichtig, aber es gibt andere, ebenso wichtige Dinge für die Zukunft. Was braucht es um das Grundeinkommen herum? Wir müssen das Grundeinkommen in einen grösseren Zusammenhang stellen: Speziell aus einer feministischen Perspektive ist das Thema der sogenannten Care-Arbeit, der Arbeit, bei der sich Menschen um Menschen kümmern, ein essenzieller Bestandteil dieser Gesamtschau. Viele Leute, die zum ersten Mal vom Grundeinkommen hören, sagen: Das Grundeinkommen krempelt alles um. Stimmt das? Ich sehe das nicht so. Das Konzept einer bedingungslosen Versorgung von Menschen ist schon lange da. Wir haben einen weitgehenden Konsens in der Gesellschaft darüber, dass für die Menschen, die nicht für sich selbst sorgen können, gesorgt werden muss. Aber die damit verbundene Arbeit wurde und wird grösstenteils von Frauen auf informeller und unbezahlter Basis geleistet, weshalb sie sogar manchen Grundeinkommensbefürwortern nicht einfällt, wenn sie nach Beispielen gefragt werden. Das Grundeinkommen krempelt unser Gesellschaftssystem also nicht völlig um, aber es macht

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Aspekte davon sichtbar, die bisher weitgehend unsichtbar sind. Dass Menschen nicht allein für sich selbst sorgen können, sondern auf Hilfe und Unterstützung der Gesellschaft angewiesen sind, gehört schlicht zur Conditio humana. In einem Grundeinkommen würde das lediglich monetarisiert: Alle bekommen Geld, weil alle Geld zum Leben brauchen. Das ist eine sehr positive Sache. Nur ist sie leider nicht zu Ende gedacht. Inwiefern nicht zu Ende gedacht? Die Sorge vieler Feministinnen ist, dass ein Grundeinkommen auch ein Rückschritt sein könnte, weil die Gefahr besteht, dass es als Quasi-Lohn für häusliche Care-Arbeit angesehen wird. Frauen haben sich Gleichberechtigung, Unabhängigkeit und Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hart erkämpft. Trotzdem – das belegen auch Umfragen – legen bis heute Männer im Beruf einen viel grösseren Wert auf Status und Einkommen, während es Frauen vor allem wichtig ist, dass sie etwas tun, was für sie und andere sinnvoll ist. Und wozu führt das? Männer entscheiden sich wesentlich seltener als Frauen dafür, ihre Erwerbsarbeit aufzugeben oder zu reduzieren, wenn es zum Beispiel notwendig wird, für Kinder, für die alten

Bild: lAURENT bURST

Frau Schrupp, Sie sind laut Ihrem Blog eine Verfechterin der Idee des Grundeinkommens, aber trotzdem sehen Sie auch ein grosses Problem darin. Können Sie diesen Widerspruch erklären? Mit der Idee des Grundeinkommens selbst habe ich gar kein Problem. Ich habe ja schon 2004 zusammen mit anderen ­einen Text geschrieben, der für ein Grundeinkommen plädiert. Ab 2005 wurde dann die Idee des Grundeinkommens in Deutschland immer stärker diskutiert. Wichtig war dafür auch Götz Werner, der Besitzer der DM-Drogeriemärkte, der sich bis heute stark für ein Grundein­ kommen einsetzt. Dadurch kam die Idee in den Mainstream und aus der «linken Ecke» heraus.

Antje Schrupp, 52, Frankfurt am Main

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Eltern oder Schwiegereltern zu sorgen. Das ist natürlich in beiden Fällen auch ­sozialisationsbedingt und damit veränderbar, aber derzeit eine Realität, die wir einkalkulieren müssen. Ein Grundein­ kommen, das eingeführt wird, ohne über Geschlechterbilder und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung vertieft nachzudenken, würde deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass Frauen weiterhin mehrheitlich das tun, was zu tun ist, und sich mit dem Grundeinkommen zufriedengeben, während Männer weiterhin mehrheitlich Status und Verdienst verfolgen. Ein isoliertes Grundeinkommen, ohne dass gleichzeitig auch die Care-Arbeit neu organisiert wird, könnte zu einer Zweiklassengesellschaft führen, weil es das Dilemma nicht aufhebt, dass Menschen sich entscheiden müssen zwischen Geld, Karriere, öffentlichem Einfluss auf der einen und Sorgearbeit auf der anderen Seite. Was also müssen wir tun? Wir müssen Care-Arbeit anders ermöglichen, als diejenigen Menschen, die sie erledigen, mit dem Existenzminimum abzuspeisen. Und genau das ist der Fall, wenn das Grundeinkommen als Ermöglichung von häuslicher Care-Arbeit betrachtet wird. Ich sehe die Gefahr, dass die Diskussion über CareArbeit, die derzeit an Fahrt gewinnt, mit der Einführung eines Grundeinkommens an Dringlichkeit verlieren könnte. Wer muss sich an dieser Diskussion beteiligen? Diese Diskussion müssten alle, aber vor allem auch die Männer führen. Bei den Frauen hat sich schon einiges verändert in den letzten vierzig Jahren. Bei den Männern noch nicht so viel. Sie machen immer noch nur einen Bruchteil der Care-Arbeit in Familien und wählen nur selten Pflegeberufe. Ich halte das für einen Konflikt, der offensiv und explizit zum Thema gemacht werden muss. Könnte es nicht sein, dass das Grundeinkommen der Katalysator wäre, um genau solche Denkprozesse in Gang zu setzen? Auf jeden Fall ist das Grundeinkommen ein Katalysator für vieles. Aber es wird damit nicht automatisch «alles gut». Der Marxismus hat auch gesagt: Mit unserem System werden sich die Geschlechterdifferenzen automatisch auflösen, denn unser System sorgt für Gleich-

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heit. Doch das war falsch. Soziale Rollenmuster sind tief verankert und gehen nicht «automatisch» weg, und dasselbe gilt für den Wert von Berufen und Tätigkeiten. Ein Grundeinkommen kann bestehende Stereotype unter Umständen sogar zementieren helfen. Solche Diskussionen und Anpassungsprozesse brauchen viel Zeit, Jahrzehnte, wenn nicht noch länger. Braucht es eine Reihenfolge? Erst dieser Diskurs, dann die Einführung eines Grundeinkommens? Wir können durchaus beides gleichzeitig tun. Ich mache das immer je nach Kontext: Wenn ich unter Grundeinkommensbefürwortern bin, die darin die Lösung aller Probleme sehen, dann bringe ich die gerade genannten feministischen Argumente ein, und wenn ich unter Feministinnen bin, die alles mit einer Quote lösen wollen, dann bringe ich die Idee des Grundeinkommens ins Spiel. Wir müssen auf beiden Ebenen diskutieren, das ist elementar. Sehr wichtig wäre, dass man die feministischen Ökonominnen mit ins Boot holt, wenn über das Grundeinkommen diskutiert und auch wenn es umgesetzt wird. Sie haben über ganz viele Aspekte geforscht und geschrieben, die für das Grundeinkommen relevant wären. Wenn man nicht hört, was sie zu sagen haben, wenn man sie nicht als Partnerinnen in die Diskussion einbezieht, fehlt da ein wichtiges Element, das zum Gelingen bei­ tragen kann. Woran liegt das wohl, dass diese Stimmen nur so wenig gehört werden? Es gibt stapelweise Bücher von feministischen Ökonominnen, die sich mit diesem ganzen Themenkomplex aus den unterschiedlichsten Perspektiven befassen. Leider werden ihre Positionen in den männlich dominierten Bewegungen wenig bis gar nicht rezipiert. Ich weiss, ehrlich gesagt, auch nicht, woran es liegt, dass sich so wenige Männer für feministische Ökonomiekritik interessieren. Vielleicht ist ihnen die Relevanz jener eher «unsichtbaren» Seite der Ökonomie, die sich nicht im Bruttosozialprodukt oder in der Steuer­ politik niederschlägt, sondern im sogenannten Privaten stattfindet, nicht bewusst. Wie gesagt: Vor allem Männer müssten sich mit diesen Gedanken zu befassen beginnen.

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Was müsste man denn nun konkret tun, um das Problem an der Wurzel zu packen? Und wer müsste es tun? Das gesellschaftliche Umdenken in der Neuverteilung von Arbeit und Einkommen wird meiner Ansicht nach eher mit dem Nachdenken über Care-Arbeit kommen als über das Grundeinkommen. Das Ziel muss sein, eine gesellschaftliche Diskussion dar­über anzustossen, wie wir in Zukunft mit der Care-Arbeit umgehen wollen. Nur dann bleibt das Grundeinkommen keine abstrakte Idee. Das Grundeinkommen darf allerdings auf keinen Fall als «die Lösung» angepriesen werden. Es ist immer nur ein Teil der Lösung, ein Puzzleteil, das dann Sinn ergibt, wenn die anderen Puzzleteile drumherum auch da sind. Warum ist das Grundeinkommen Teil der Lösung? Weil es monetär sichtbar macht, dass alle Menschen bedürftig sind, dass wir sozusagen alle «Sozialhilfeempfänger» sind, dass niemand sich selbst ­versorgen kann, sondern dass wir nur in Gemeinschaft und mit gegenseitiger Fürsorge im Alltag gut leben. Damit hilft es uns, uns von dem Idealbild des autonomen Selbstversorgers zu verabschieden, das derzeit irgendwie über allen sozial­ politischen Projekten schwebt, aber eben nicht funktioniert.

Antje Schrupp studierte Politikwissenschaft, Philosophie und evangelische Theologie in Frankfurt am Main. Die Politikwissenschaftlerin und Journalistin beschäftigt sich mit der politischen Ideengeschichte von Frauen und ist Autorin einiger Bücher.

Dieser Text erschien in leicht abgeänderter Form erstmalig im Februar 2016 in der Zeitschrift Du.

«Das ‹Wer zahlt, befiehlt›, würde sich verändern» Dass Arbeit immer mehr Menschen krank macht, findet die ­­Islamwissenschaftlerin Amira Hafner-Al Jabaji alarmierend. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würde man in Zukunft nicht mehr fragen: Was ist dein Beruf? Sondern: Was ist deine Leidenschaft?

Frau Hafner-Al Jabaji, wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen mit dem Islam vereinbar? Ich sehe zumindest nicht, wo die Idee einem islamischen Prinzip widerspricht. Daher wäre es durchaus spannend, das bedingungslose Grundeinkommen unter islamischen Wirtschaftstheorien weiter zu entwickeln. Im islamischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem gilt, dass jedem Menschen das zukommen soll, was er braucht. Wie dieser Balanceakt durch staatliche Vorgaben zu erreichen ist, ist nicht vor­ gegeben. Gibt es gar keine Regeln? Doch. Wichtig ist, dass der Mensch nicht dauerhaft in Abhängigkeiten von anderen geraten soll. Abhängigkeiten widersprechen der Gleichheit der Menschen und machen sie unfrei. Jemand, der sich zum Beispiel so stark verschuldet, dass er sein ganzes Leben lang die Zinsen zurückzahlen muss, und aus der Schuldenspirale nicht herauskommt, lebt in Knechtschaft. Darum sind im islamischen Bankenwesen exorbitant hohe Zinsen verboten. Der Begriff von der Bedingungslosigkeit ist eher bei der Religion als beim Staat angesiedelt. Was verstehen Sie darunter? Religiös betrachtet ist Bedingungslosigkeit ein wichtiges Prinzip. Nach

dem Koran verpflichtet sich Gott gegenüber dem Menschen einseitig und damit bedingungslos zu Barmherzigkeit. Ich kann unabhängig von Lebensführung und meinen Qualitäten auf dieses Versprechen bauen. Trotzdem auferlegt uns Gott, unser Leben nach seinen Bestimmungen zu führen. Darin steckt, dass wir uns trotz und nicht wegen der Gewissheit der Barmherzigkeit in diesem Leben anstrengen sollen. In der Religion spielt auch die Familie eine wichtige Rolle. Sie sind selber Mutter von drei Söhnen. Welchen Einfluss hätte ein bedingungsloses Grundeinkommen auf solche Gemeinschaften? In der Gemeinschaft könnte das einzelne Grundeinkommen zusammen eingesetzt werden. Das fördert die Debattierkultur, den Gemeinschaftssinn und die Verantwortung. Es schafft sicher auch ­flachere Hierarchien in der Familie oder einer Gruppe. «Wer zahlt, befiehlt» verändert sich zu «Wer mitzahlt, befiehlt mit». Könnte ein Grundeinkommen helfen, dass wir wieder mehr aufeinander achtgeben? Ja. Denn bei uns ist Arbeit umso höher angesehen, je besser sie entschädigt ist oder je stärker sie in der Öffentlichkeit vollzogen wird. Hingegen haben Leistungen, die im Privaten und im sozialen Bereich erbracht werden, einen

vergleichsweise geringen Status. Ein weiteres Problem ist, dass wir Arbeit immer mit Erwerbsarbeit gleichsetzen. Der tatsächliche Nutzen, Sinn und Gewinn wie auch der Schaden, den eine Tätigkeit für eine Gesellschaft generiert, beides steht oft nicht in angemessenem Verhältnis zur Entlöhnung und zum Status. Was müsste auf diese Erkenntnis folgen? Wir sollten uns überlegen, was der Wert von Arbeit wirklich ist. Nicht bloss rein finanzökonomisch, sondern verknüpft mit Themen wie Nachhaltigkeit, Nutzen und Schaden für andere Menschen. Das wäre ein ganzheitlicher Ansatz. Tätigkeiten, die in der Gemeinschaft grossen Nutzen bringen, würden vielleicht auch mehr Ansehen geniessen, ­beispielsweise in der Pflege oder in der Kinderbetreuung. Nach welchen Kriterien sollte die Höhe des Grundeinkommens festgelegt werden? Ich würde das Grundeinkommen an einen klar definierten Index knüpfen, zum Beispiel an jenen von Nahrungsmittelpreisen oder Lebenshaltungskosten. So könnte man den Betrag am gegenwärtigen Preisniveau ausrichten. Interessant ist ­natürlich auch die Frage, wer das Grundeinkommen bekommen soll. Jede Bürgerin und jeder Bürger ab 18? Kinder auch?

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Wem würde ein Grundeinkommen am meisten nützen? Menschen, die in einer schwierigen Lebenssituation stecken. Zum Beispiel durch Scheidung, Tod eines Partners, Invalidität oder Verlust des Arbeitsplatzes. Sie hätten weniger Stress, wenn es ein Grundeinkommen gäbe. Trotz ihrer misslichen Lage hätten sie jederzeit ein Mindestauskommen, um das sie sonst in solchen Situationen noch zusätzlich als Bittsteller auf Sozialämtern kämpfen müssten. Das frisst viel Energie. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen könnte man diese Energie schneller wieder auf konstruktive Dinge lenken. Menschen reagieren gegenüber der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens oft ablehnend. Haben Sie eine Idee, warum das so ist? Weil wir in einer individualistischen Gesellschaft ­leben, die stark auf Wettbewerb und Konkurrenz ausgerichtet ist. Die Idee, dass der Einzelne sein Leben selber bestimmen kann, hat auch dazu geführt, dass viel an Gemeinsinn verloren gegangen ist. Gerade in der Schweiz vermisse ich manchmal die kollektive Erinnerung an schlechte Zeiten, wie andere Länder sie kennen. Wir haben eine lange Zeit sehr gut gelebt, während es anderen Ländern in Europa schlechtging. Unser Wohlstand gibt jenen recht, die unser jetziges System für richtig und gut halten. Er geht aber auf Kosten des Gemeinsinnes, dessen Notwendigkeit viele von uns nie selbst erfahren haben. Als ich Sie fragte, ob Sie sich zum Grundeinkommen äussern wollen, haben Sie sofort zugesagt. Warum? Für mich wäre ein Grundeinkommen ein ­Paradigmenwechsel zu unserem heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Kürzlich sah ich einen Tagesschau-Beitrag über arbeitsbedingte Krankheiten. In der Schweiz macht Arbeit offensichtlich immer mehr Menschen krank. Sogar junge Menschen sind davon betroffen. Das finde ich alarmierend.

eines Grundeinkommens hiesse aber, rechtzeitig die Rettungsboote hinunterzulassen, bevor wir den Eisberg rammen. Auch das ist nicht angenehm, aber die Chance, dass es gut herauskommt, ist grös­ser. Die Idee bedeutet auch, dass wir ein zentrales Element der Gesellschaft ganz anders gestalten, als wir es bisher gemacht haben, und damit einen Veränderungsprozess einleiten. Dieser könnte sich dann auch auf andere Ebenen von Wirtschaft und Gesellschaft auswirken. Das sichere Schiff verlassen wir aber meist nur, wenn wir dazu gezwungen werden. Wie würden Sie die Idee des Grundeinkommens bei den Menschen beliebt machen? In der Schweiz gibt es immer mehr Menschen mit kleinen Einkommen, die nicht lebenssichernd sind. Ich würde auf diese Menschen zugehen und ihnen klarmachen, was sich für sie als Individuen mit dem Grundeinkommen ändern würde. Ein Umdenken hat zum Glück ja bereits stattgefunden. Früher fragte man einander: Was würdest du ­machen, wenn du eine Million gewinnst? Heute fragt man: Was würdest du machen, wenn du ganz viel Zeit hättest? Sie haben zwei fast erwachsene Söhne und einen Sohn in der Primarschule. Würde ein Grundeinkommen ihren Start in ein selbständiges Leben erleichtern? Ja. Heute müssen sie sich ständig fragen, ob das, was sie lernen, später auch ihr finanzielles Auskommen sichern wird. Es gibt heute Löhne, mit denen man keine Familie durchbringen kann. Mit einem Grundeinkommen könnten meine Söhne sich sofort stärker auf ihre Träume, Ziele und Fähigkeiten konzentrieren. So würde man in Zukunft nicht mehr fragen: Was ist dein Beruf? Sondern: Was ist deine Leidenschaft?

Amira Hafner-Al Jabaji ist Mitbegründerin des «Interreligiösen Think-Tanks» und Moderatorin der Sendung Sternstunde Religion im Schweizer Fernsehen SRF. Für ihr langjähriges Engagement für den Dialog zwischen den Religionen wurde sie 2011 mit dem Anna-Göldi-Preis ausgezeichnet.

Bild: lAURENT bURST

Alle denselben Betrag oder abgestuft? Da gibt es viele Details zu bedenken.

Muss man also das ganze Wirtschaftssystem ändern? Das wäre wohl ein Kraftakt. Als würde man die Titanic kurz vor dem Eisberg noch umlenken wollen. Ein Crash ist programmiert. Die Einführung

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Amira Hafner-Al Jabaji, 44, Grenchen SO

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Ein Essay von Ina Praetorius Die gängige Wirtschaftswissenschaft sagt uns, Menschen arbeiteten nur gegen «finanzielle Anreize». Wenn dem so wäre, hätte zwar kaum jemand als Baby überlebt, und welchen Sinn sollte Wirtschaft ohne erwachsen gewordene Babys machen? Trotzdem sind die meisten Leute, die ohne Bezahlung dafür sorgen, dass das Zusammenleben gelingt und dass es auch in Zukunft noch Konsumenten und Produzentinnen geben wird, folgsam genug zu sagen, sie seien «nur zuhause» und würden erst später wieder «arbeiten gehen». Tatsächlich ist es noch nicht lange her, dass man das vielfältige Tun dieser Leute im Mythos «Mutterliebe» unterbrachte. Heute nennt man es zum Beispiel «Elternurlaub» oder «Life» oder «Arbeitslosigkeit». Wie unangemessen solche Begriffe für Daseinsmodelle und Lebensläufe unserer Zeit sind, zeigen gleich mehrere Gespräche in diesem Magazin. Im «Elternurlaub» zum Beispiel ist man meist stark erschöpft. Schliesslich ist man tagsüber mit Stillen, Wickeln, Kochen, Putzen, Waschen, Aufräumen, Wiegenliedersingen, mit Arztbesuchen, Organisationsentwicklung und Haushaltsmanagement voll ausgelastet und steht nachts des Öfteren auf, um der «Privatsache Kind» – also der Zukunft – materielle und immaterielle Gratisnahrung zu verabreichen. Nicht selten ist man hocherfreut, wenn man sich von solcherart Urlaub endlich im Büro – in der «Arbeitswelt» – ­erholen kann. Da aber das seltsam anstrengende Nichtstun zuhause – alltagssprachlich sind wir zuweilen so frech, es «Hausarbeit» zu nennen – im Bruttosozialprodukt nicht oder allenfalls unter «Konsum» figuriert, muss es sich bei alldem um eine Sinnestäuschung handeln. Denn Konsum und Musse machen schliesslich nicht müde, sondern stark und glücklich – und fit, die «Work-LifeBalance» im Alleingang zu stemmen. Zwar liesse sich in einer Erhebung des Bundesamtes für Statistik nachlesen, dass in der Schweiz im Jahr 2013 8,7 Milliarden Arbeitsstunden unbezahlt geleistet wurden, dass für unbezahlte Arbeit vierzehn Prozent mehr Zeit aufge­ wendet wurde als für bezahlte, dass die gesamte im Jahr 2013 geleistete unbezahlte Arbeit auf einen Geldwert von 401 Milliarden Franken geschätzt wird, dass Frauen 62 Prozent dieser unbezahlten Arbeit leisteten, dass Hausarbeiten mit 6,6 Milliarden Stunden drei Viertel und Betreuungsaufgaben im eigenen Haushalt mit 1,5 Milliarden Stunden siebzehn Prozent des Gesamtvolumens der unbezahlten Arbeit ausmachten, dass Frauen in der Schweiz, würde alle Arbeit mitgerechnet, im Jahr 2013 241 Milliarden Franken verdient hätten, Männer immerhin noch 159 Milliarden. Letzteres vermeldete die Neue Zürcher Zeitung. Aber wenn das Dogma vom Homo oeco­nomicus, der nur gegen finanzielle Anreize sich selbst und seine Familie ernährt, auf dem Spiel steht, scheint die Bundesstatistik, die solche Zahlen schon seit rund zwanzig Jahren zur Verfügung stellt, ebenso nebensächlich zu sein wie die Anstrengung des adäquaten Begriffs. Verglichen mit dem Mainstream der wissenschaftlichen Ökonomie ist der Vatikan mit seiner hochbetagten Dogmatik geradezu ein seriöser Wahrheitssucher. Auch die Initiantinnen und Initianten der «Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen» stellen das Dogma

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vom Menschen, den man mittels Geldentzugsdrohung zum Arbeiten anhalten muss, in Frage. Im Initiativtext steht, jedem Menschen sei von der Geburt bis zum Tod ein fixer Geldbetrag auszuzahlen, um «der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben» zu ermöglichen. «Der Mensch», so heisst es, sei nämlich von Natur aus ein tätiges Wesen, und deshalb müsse er endlich frei entscheiden können, wie er seine vielfältigen Gaben ins Zusammenleben einbringen wolle. Dass Menschen ohne finanzielle Anreize keineswegs nur faul auf dem Sofa lägen, könne man schliesslich an den Künstlern sehen, oder an den Rentnern, den Erbinnen und an der vielen freiwilligen Arbeit, ohne die schon heute keine Gesellschaft funktioniere. Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine ziemlich gute Idee, bloss: die klassische Freiwilligenarbeit in Vereinen, Gremien oder caritativen Organisationen macht laut Bundesstatistik gerade mal 7,6 Prozent der unbezahlten Arbeit aus. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass man sie jederzeit beenden kann, sobald einem der Sinn danach steht, weil dadurch niemand grösseren Schaden erleidet. – Hingegen würde ohne die restlichen 92,4 Prozent der unbezahlten Tätigkeiten das menschliche Zusammenleben geradewegs kollabieren. Die Bedeutung der unbezahlten oder massiv unterbezahlten Care-Arbeit für das Gelingen des menschlichen Zusammen­ lebens ist nicht mit Fussball- oder Schachklubs zu vergleichen, und übrigens auch nicht mit den hochdotierten Tätigkeiten von Schönheitschirurgen, Werbefachleuten oder Showmastern. Sie ist bei weitem wichtiger für das Zusammenleben als die meiste Lohnarbeit. Dennoch kommt dieser Teil der unbezahlten Arbeit in der bisherigen Debatte um das Grund­ einkommen ebenso wenig vor wie in der akademischen Wirtschaftswissenschaft. Nicht einmal am 23. September 2015, als der Nationalrat über die Volksinitiative debattierte, kam das riesige Volumen der Care-Arbeit angemessen zur Sprache. Die Gegnerinnen und Gegner des Grundeinkommens hatten deshalb leichtes Spiel, die Initiative als Spinnerei von Aussenseitern und als Hängematte für Faulenzer abzutun. Denn die wenigen befürwortenden Parlamentarier und Parlamentarierinnen konzentrierten sich, wie schon die Mehrheit des Initiativkomitees in der Zeit der Unterschriftensammlung, nahezu ausschliesslich auf Werte wie Selbstentfaltung, Kreativität und Autonomie. Das Parlament beschloss denn auch mit 146 gegen 14 Stimmen, bei 12 Enthaltungen, die Initiative dem Volk zur Ablehnung zu empfehlen. Woran liegt es, dass die von viel mehr Frauen als Männern unbezahlt geleistete Care-Arbeit, ohne die jegliches Wirtschaften seinen Sinn verlöre, in der Debatte um das Grund­ einkommen bis heute fast gänzlich verschwiegen wird? Ist man zu träge, sich mit den offensichtlichen Ungereimtheiten in den noch gängigen ökonomischen Begrifflichkeiten zu befassen? Will man, dass Frauen weiterhin die notwendige Basisarbeit leisten, jetzt nicht mehr ganz umsonst, sondern dankbar für ein zum Hausfrauenlohn pervertiertes, knapp existenzsicherndes Grundeinkommen? Oder gilt es noch immer als pietätlos, grob und vereinfachend, «Mutterliebe» mit «richtiger Arbeit» zu vergleichen? Liebt aber der Arzt, der Lehrer, der Professor seine Arbeit nicht auch und wird dennoch selbstverständlich

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dafür bezahlt? Sperren sich Männer womöglich grundsätzlich gegen Argumente, die aus Frauenbewegungen stammen? Entwickeln sie Widerstände vor allem dann, wenn diese Argumente nicht «schwach» sind, sondern sich in der Mitte ihres Projekts breitmachen könnten? Empfinden sie die Nähe zum Feminismus als Selbstentfremdung und Schwächung ihrer Männlichkeit? Halten Frauen ihrerseits Abstand vom Thema Care-Arbeit, weil sie sich mit ihrer peinlich unfreien traditionellen Rolle nicht mehr identifizieren, sich – aus verständlichen Gründen – von ihr emanzipieren wollen? Behaupten auch sie deshalb häufig – gegen die Statistik –, die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern sei längst überwunden und müsse in der Debatte um das Grundeinkommen keine Rolle mehr spielen? Oder erinnert die Tatsache, dass der Grossteil der Care-Arbeit keineswegs im Sinne von Freiwilligenarbeit geleistet wird, sondern lebensnotwendig ist, zu sehr an die eigene Kindheit und damit an die bleibende Abhängigkeit aller Menschen nicht nur von den Müttern, sondern auch von Gemeinwesen und von der Natur, deren Teil wir alle sind und auch im Zeitalter der Roboter bleiben werden? Wird die unabschaffbare Bedürftigkeit aller Menschen in einer Kultur, die seit Jahrhunderten das «autonome Subjekt» glorifiziert, als Kränkung empfunden? Spricht man deshalb geradezu obsessiv über «Unabhängigkeit» und «Selbst­ entfaltung», so als wolle man Geburtlichkeit, Krankheit, Behinderung, Körperlichkeit und Tod mit einem Bann belegen? Das bedingungslose Grundeinkommen lässt sich aber nur im Rahmen einer Ökonomie sinnvoll denken, die auf ihre Grundbedeutung zurückkommt. Diese Grundbedeutung lässt sich auf den ersten Seiten jedes beliebigen Lehrbuchs der Ökonomie nachlesen, etwa in Günter Ashauers «Grundwissen Wirtschaft»: «Es ist Aufgabe der Wirtschaftslehre zu unter­ suchen, wie die Mittel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse am sinnvollsten hergestellt, verteilt und ge- oder verbraucht werden.» Es ist offensichtlich, dass Care-Tätigkeiten in diese allgemein akzeptierte Definition des Ökonomischen nicht nur einzuschliessen sind, sondern ihr unmittelbarer zugeordnet werden können als Finanzprodukte, Castingshows oder Kampfflugzeuge. Tatsächlich geht der Begriff Ökonomie auf die altgriechischen Begriffe Oikos/Haushalt und Nomos/Gesetz zurück, stellt also nicht Geld und Markt, sondern den Haushalt und damit die Befriedigung tatsächlicher – nicht hergestellter – Bedürfnisse in die Mitte. Dass sich die ökonomische Theorie von ihrer selbstgesetzten Ausgangsdefinition weit entfernt hat, ist zwar historisch leicht zu erklären: Schon in der Antike ordneten Chefdenker den Haushalt und die in ihm verrichtete Sklaven- und Frauenarbeit einer «höheren Sphäre» unter, in der freie männliche Bürger sich, unsichtbar versorgt von Dienstpersonal, «Höherem» zuwenden konnten: dem Gelderwerb, der Politik und der Theoriebildung. An diese Fiktion vom vermeintlich unabhängigen Besitzbürger konnten die Begründer der modernen ökonomischen Theorien anknüpfen, indem sie unter «Wirtschaft» nur noch geldvermittelte Tauschakte verstanden und ihr Kerngeschäft, die Befriedigung elementarer Bedürfnisse in der «Familie», dem «Privathaushalt» und der scheinbar unbegrenzt schenkenden «Natur», verschwinden liessen. Solcherart Perversion des anfänglichen

Sinnes von Ökonomie hat aber keine Zukunft in einer Zeit der Banken-, Währungs-, Umwelt- und Sinnkrisen, und auch nicht in der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen. Im Kontext einer postpatriarchalen symbolischen Ordnung hingegen, in der das Ganze der Ökonomie und damit die Frage, wie wir als Menschheit überleben wollen, wieder in den Blick kommt, könnte die Idee eines bedingungslosen Grundein­ kommens zu einem entscheidenden Teil der Lösung werden. Die Religionen hätten im notwendigen Wandel hin zu einem realistischen Bild vom Menschsein, von Arbeit und Wirtschaft eine wichtige Rolle zu spielen. Denn sie haben nie bestritten, dass Menschen vom ersten bis zum letzten Tag ihres Lebens fürsorgeabhängig sind. Was sollte das Göttliche, an das fromme Menschen sich dankbar, klagend, wütend oder bittend wenden, anderes sein als eine Chiffre für das Unberechenbare, von dem wir alle gleichermassen abhängig sind? Egal, wie viele Dollars sich auf unseren Konten und wie viele Titel sich in unseren Biografien angehäuft haben? Allerdings fassen vor allem die «grossen» Monotheismen menschliche Abhängigkeit in eigenartige Bilder: Gemäss ihnen sind wir nicht abhängig von unserer Mitwelt, von Wasser, Luft, Erde, von Älteren und schützenden Gemeinwesen, sondern von einem «Herrn im Himmel», der alles vom Anfang bis zum Ende der Welt im Griff hat. Dass wir «Geschöpfe Gottes» oder «Kinder Gottes» sind, das scheint, wenn ich offizieller Kirchensprache glaube, dies zu bedeuten: Wir sollen einen allmächtigen Herrn im Himmel preisen. Denn dieser Herr, so heisst es, hat uns erschaffen, er liebt, straft, züchtigt, verdammt oder rettet uns, wie es ihm beliebt. – Tatsächlich spiegeln viele biblische Gottesbilder Herrschaftsformen, die wir heute als «Tyrannei» oder «Diktatur» bezeichnen würden, auch dann noch, wenn die Gläubigen versuchen, sich und das Göttliche aus solchen Kontexten zu lösen. Wenn wir das Unver­fügbare zu einem Vater im Himmel machen, dann ändert sich an der Grundkonstellation nämlich noch nichts: Der Inbegriff des Lebendigen bleibt eingezwängt ins Bild eines Mannes irgendwo oben, wir bleiben unten, wie die Sklavinnen, Sklaven, Ehefrauen und Kinder in den Grosshaushalten des antiken Oikos. Trotzdem gilt: Weil religiöse Menschen um ihre Ab­ hängigkeit wissen, haben sie sich bis heute der teilaufgeklärten Rede vom Menschen, der «sein eigener Herr» ist, nicht gänzlich ausgeliefert. Die Frommen, egal welcher Zugehörigkeit, erkennen im vermeintlich unabhängigen Hausherr-Menschen eine schädliche Illusion. Die Enzykliken von Papst Franziskus sprechen diesbezüglich eine deutliche Sprache, allerdings vorerst ohne das Patriarchat als Dreh- und Angelpunkt im überkommenen Konstrukt zu benennen und zu verabschieden. Die Frommen könnten deshalb anfangen, zusammen mit allen anderen neu darüber nachzudenken, wovon genau wir abhängig sind: von einem allmächtigen unsichtbaren Herrn oben im Himmel, der alles vom Anfang bis zum Ende der Welt kontrolliert? Oder von Luft, Wasser, Erde, von einander und von Liebe (1 Johannes 4,8)?

Ina Praetorius, 60, ist evangelische Theologin und Autorin mit Themen­ schwerpunkten in feministischer Ethik und postpatriarchaler Lebensgestaltung. Sie lebt und arbeitet in Wattwil SG. www.inapraetorius.ch

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Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle? Öffentliche Debatte im Chor des Grossmünsters

mit Adolf Muschg, Autor Klaus Heer, Paartherapeut Jacqueline Badran, Nationalrätin Frank Mathwig, Ethiker Daniel Straub, Mitinitiant

Samstag, 7. Mai 2016 Grossmünster Zürich

Im Juni stimmen wir über die Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» ab. Welches Menschenbild steht hinter dieser Idee? Was riskieren wir, wenn wir die Initiative annehmen? Was verhindern wir, wenn wir sie ablehnen? Am Samstag, 7. Mai 2016 (11.00–12.45 Uhr) wird im Chor des Grossmünsters an die offene, lustvolle und liberale Tradition des Austauschs von Argumenten angeknüpft, die Zwingli während der Reformation begonnen hat. Nach kurzen Inputs prominenter Gegnerinnen und Befürworter des Grundeinkommens ist das Publikum eingeladen, an der Diskussion teilzunehmen.

Moderation: Christoph Sigrist, Pfarrer Grossmünster Zürich Res Peter, Pfarrer Neumünster Zürich

zukunft.ch

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«Demokratie kann und muss experimentieren» Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot hält die Ökonomi­ sierung der Gesellschaft für ein grosses Defizit. Sie macht sich um jene Menschen Sorgen, die wir politisch und kulturell von unserem Gemeinwesen ausgeschlossen haben.

Frau Guérot, könnte die Idee eines ­bedingungslosen Grundeinkommens Europa dabei helfen, den Menschen gleichen Zugang zu sozialen Rechten zu geben? Da bin ich zuerst einmal skep­ tisch, und zwar aus ethischen Gründen. Ich finde die Grenzziehung zwischen Ei­ genverantwortung und Verantwortung der Allgemeinheit eigentlich eine sehr vernünftige Idee. Das Problem bei egalitä­ ren Ideen ist, dass man die Trittbrettfah­ rer nicht richtig aussortieren kann. Ist es moralisch für jeden Menschen gut, wenn er einfach einen fixen Betrag zur Verfü­ gung hat? Gibt ihm das Antrieb? Ich finde, dass man eher denen helfen soll, die wirk­ lich Hilfe brauchen. Wer heute aber Sozialhilfe benötigt, muss in fast allen Ländern eine auf­ wendige und demütigende Recht­ fertigungsmaschine durchlaufen, um Hilfe zu bekommen. Ich bin auch der Meinung, dass die Ökonomisierung der Gesellschaft ein grosses Defizit ist, in der wichtige gesellschaftliche Arbeit nicht mehr finanziell wertgeschätzt wird. Und oft leisten bedürftige Personen wie alleinerziehende Mütter eine solche Ar­ beit. Vielleicht kann ein «Vorschussbe­ trag», den ich bekomme, noch bevor ich etwas leiste, auch kreative Gestaltungs­ kraft freisetzen. Daraus kann etwas ent­

stehen, das nachher für die Wertschöp­ fung gut ist. Wären Sie Ihrer beruflichen Leiden­ schaft gefolgt, wenn Sie einen fixen Betrag pro Monat erhalten hätten, als Sie sich für eine Laufbahn entscheiden durften? Ja, das hätte ich tatsächlich den­ noch gemacht. Das was ich tue, begeistert mich. Ich denke auch, dass sehr viele Menschen einen inneren Antrieb haben. Es gibt aber auch Menschen, denen dieser Antrieb fehlt. Die dritte Generation von Erben in Deutschland zum Beispiel, die haben oft keinen gesellschaftlichen Antrieb, keine Gemeinwohlorientierung mehr, sondern nur noch Geld. Mir macht aber vor allem das untere Fünftel der Menschen Sorgen, die wir politisch und kulturell de facto von unserem Gemein­ wesen ausgeschlossen haben und die sich konsequenterweise von der Gesellschaft verabschiedet haben, indem sie nicht ein­ mal mehr wählen. Was machen wir mit denen? Das hat aber nichts mit dem Grund­ einkommen als vielmehr mit dem Bil­ dungssystem zu tun. Richtig. Im Bil­ dungssystem haben wir ja so ziemlich alles zusammengestrichen, was Kinder zu kritischen und kreativen Bürgern machen könnte: Kunst, Musik oder Geisteswissen­

schaften mussten den Angeboten wei­ chen, die Kinder und Jugendliche zu ­tauglichen Arbeits­tieren in unserem Wirt­ schaftssystem m ­ achen. Wir setzen mehr auf «Ausbildung» als auf Bildung. Und die kreativen, intelligenten Kinder aus Unter­ schichten, die identifizieren wir heute gar nicht mehr. Obwohl wir wissen, dass wir gerade diese gezielt fördern müssten. Würde ein bedingungsloses Grund­ einkommen dies ändern? Man kann jedenfalls darüber debattieren, ob ein Grundeinkommen etwas dazu beitragen könnte, unsere heutige pervertierte Form der Ökonomisierung aller Bereiche des menschlichen Lebens zu ändern. Ausser­ dem hätte die Idee den Vorteil, dass man nicht mehr darüber debattieren müsste, wer denn jetzt unter welchen Vorausset­ zungen überhaupt Hilfe verdient hat, mit welcher Behinderung man noch arbeiten kann und muss, oder ob man von einer alleinerziehenden Mutter erwartet, dass sie einer Erwerbsarbeit nachgeht. Welche Demokratieform ist besser ge­ eignet, solch rasche und radikale Ent­ scheide zu fällen? Die repräsentative Demokratie oder die direkte Demokra­ tie, wie wir sie in der Schweiz kennen? Ich stehe klar auf dem Boden der reprä­ sentativen Demokratie. Unzählige Studien

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Ulrike Guérot, 50, Berlin

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zeigen, dass bei Initiativen nur motivierte Wähler zur Urne gehen, die ihr politisches Ziel punktuell durchsetzen wollen, und dann nur vermeintliche Mehrheiten dabei herauskommen. Wobei die Wahlbetei­ ligung insgesamt deutlich unter fünfzig Prozent lag. In komplexen politischen Sys­ temen sind immer Kompromisse­ erforderlich, die man in zugespitzten Referendums­ fragen schlecht abbilden kann. Und dann ist es immer auch leichter, einfach mit Nein zu stimmen und einfach gegen etwas zu sein, als die politische Ver­ antwortung für ein kompliziertes Ja zu übernehmen. Was sind die Voraussetzungen für ­eine funktionierende Demokratie? Der poli­ tische Diskurs, der zu neuen gesellschaft­ lichen Entscheidungen führt, muss in ­einer Demokratie auch wirklich funktio­ nieren. Wenn ein Fünftel der Bevölkerung de facto sozial ausgegrenzt ist und keine adäquate Bildung mehr bekommt, die die­ sen Namen verdient hat, dann kann ein Fünftel der Bevölkerung sich auch keine richtige Meinung mehr bilden und hat da­ mit auch keine politische Teilhabe mehr. Das ist eine gefährliche Tendenz, die wir in den USA und in vielen europäischen Demokratien sehen.

Bild: Laurent Burst

Was passiert dann? Wir haben dadurch immer mehr Bürger, die sich von unter­ komplexen, populistischen Antworten auf komplexe gesellschaftliche Sachverhalte verführen lassen oder, noch schlimmer, nur noch über Angst, Emotionen und Res­ sentiments funktionieren. Deshalb finde ich den oft gebrauchten Satz «Man muss die Bürger da abholen, wo sie sind» sehr problematisch. «Abholen» reicht nicht, weil wir die Bürger dann an einem Ort ab­ holen, der uninformiert, uninspiriert und oft brandgefährlich ist. Was müssen wir stattdessen tun? Wir sollten dafür sorgen, dass die Bürger wie­ der an Debatten teilhaben können, dass sie Sachargumente gewichten können und mit moralischen Kriterien konfrontiert werden, kurz, dass sie wieder denken ler­ nen. Das eigene Denken und Gewissen auszuschalten hat Menschen schon ein­ mal in der Geschichte zu willigen Vollstre­ ckern schrecklicher Dinge gemacht. Han­ nah Arendt sprach von der «Banalität des Bösen». Wir müssen dafür sorgen, dass

Menschen nachdenken können und wol­ len, bevor sie sich eine Meinung bilden. Könnte man also sagen: Die Demokra­ tie ist kaputt? Wenn Sie wollen, können Sie sagen: The system is broken. Ja. Wir haben eine Krise des demokratischen ­Kapitalismus, und das gilt ganz besonders für das Governance-System der Eurozone. Sie arbeiten im «Democracy Lab». Das klingt nach einem Ort, wo Experimente gemacht werden. Wie sehen die aus? Wir haben damit angefangen, über Euro­ pa nicht mehr als Bundesstaat oder Staa­ tenbund, sondern als Republik zu spre­ chen. «Am Anfang war das Wort», steht im Johannesevangelium, oder die Kinderärz­ tin und Forscherin Françoise Dolto sagte: «Alles ist Sprache.» Wie wir etwas benen­ nen, macht einen grossen Unterschied. Es bestimmt, wie wir dazu in Beziehung ste­ hen, ob es uns emotional anspricht oder ob es abstrakt bleibt. Ob wir über die «Ver­ einigten Staaten von Europa» oder über die «Republik Europa» sprechen, ist nicht gleichgültig. Das war das erste Experi­ ment: das Projekt Europa neu zu denken, indem wir neue Begriffe dafür verwenden. Denn aus Gedanken werden Worte, und aus Worten werden Taten. Wir möchten herausfinden, was passiert, wenn wir mit europäischen Bürgerinnen und Bürgern über Europa als Republik, als «res publica europea» als Allgemeingut oder Gemein­ wesen im Sinne von Aristoteles sprechen. Ist eine Demokratie dazu geeignet, solch grosse Paradigmenwechsel wie beispielsweise ein Grundeinkommen einzuläuten? Strukturelle Behäbigkeit ist ein Wesen der Demokratie. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier; ich merke es auch am eigenen Leib, wie schwierig es ist, ei­ gene Gewohnheiten zu ändern. Je älter man wird, desto schwieriger wird das. Auf Gesellschaften übertragen stimmt das auch. Oft ist die Veränderung erst dann möglich, wenn der Leidensdruck zu gross ist. Dennoch ist die Demokratie immer grundsätzlich stabiler als die Herrschaft Einzelner. Beim «wohlwollenden König» zum Beispiel weiss man ja nie, wie «wohl­ wollend» der auf Dauer bleibt. Eignet sich eine Demokratie überhaupt für Experimente? Und wie kann eine Demokratie mit Rückschlägen umge­

hen, die durch das Einschlagen eines falschen Wegs entstehen? Die Demo­ kratie ist sogar das einzige Gemeinwesen, die einzige Organisationsform, in der dies im Idealfall möglich ist. Denn sie erneuert sich selbst ständig und sagt: Lasst uns den Kurs, den wir eingeschlagen haben, korri­ gieren. Wir können immer wieder über Dinge abstimmen, die uns nicht gefallen. Wir können – in einer funktionierenden Demokratie – prinzipiell die Personen wählen, die unsere Bedürfnisse und Mei­ nungen tatsächlich vertreten. Ja, Demo­ kratie kann und muss experimentieren. Was sorgt in einer Demokratie dafür, dass neue Ideen umgesetzt werden? Eine Gesellschaft sollte immer nach der Utopie streben, auch wenn man dort nie wirklich ankommt. Wenn wir die Utopie aus den Augen verlieren, dann haben wir insgesamt verloren, dann verlieren wir den moralischen Anspruch auf Verbes­ serung der Welt, dann ist wirklich alles ­vermeintlich alternativlos. Was wäre ein Beispiel einer solchen Utopie? Gesellschaftliche Gerechtigkeit ist eine solche Utopie. Wir wissen, dass sie nie ganz erreicht wird, aber wir streben danach. Und dieses Ideal steuert dann auch unseren Diskurs, weil wir wissen, wonach wir streben.

Ulrike Guérot ist Gründerin und Direktorin des «European Democracy Lab» in Berlin. Die Politik­wissenschaftlerin beschäftigt sich mit der Zukunft der europäischen Demokratie und erhielt dafür 2003 den nationalen Verdienstorden Frankreichs. Guérot hat zwei erwachsene Söhne und lebt in Berlin.

Dieser Text erschien in leicht abgeänderter Form erstmalig im Februar 2016 in der Zeitschrift Du.

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Die Sozialwerke Pfarrer Sieber (SWS) bieten Menschen in Not – wie Suchtkranken, Obdachlosen, psychisch und physisch Leidenden, Mittellosen und Heimatlosen – seelsorgerliche, soziale, medizinische und materielle Hilfe an. Im Sinne unseres Stiftungsgründers werden wir dort aktiv, wo andere Netze fehlen. Als SWS aktualisieren wir die biblische Botschaft der Nächstenliebe im Blick auf die gesellschaftliche Not. Wir finanzieren unsere Tätigkeiten zu rund 45% aus Spendengeldern.

Per 1. Juni 2016 oder nach Vereinbarung suchen wir eine/n

Bereichsleiter/in Kommunikation und Fundraising 100% In dieser Funktion sind Sie verantwortlich für die Umsetzung und Weiterentwicklung unseres Kommunikationsund Fundraisingkonzepts. Dazu gehören schwerpunktmässig die Darstellung unserer Organisation in der Öffentlichkeit und in den Medien, die mediale Präsenz im kirchlichen Umfeld und im grossen Unterstützerkreis sowie die aktive Pflege der Kontakte zu Medien-schaffenden und Veranstaltern. Sie verantworten zudem die Kommunikation über Internet und Netzwerke.

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Die Vermittlung des Engagements der Stiftung in der Öffentlichkeit durch griffigen Journalismus. Die Vernetzung der Stiftung im gesellschaftlichen und kirchlichen Umfeld und mit politischen Entscheidungsträgern Die Koordination, Planung und Durchführung der jährlichen Kommunikations- und FundraisingAktivitäten gemeinsam mit Ihrem motivierten und kompetenten Team. Unterstützung des Gesamtleiters, der Geschäftsleitung und des Stiftungsrates in medialen und öffentlichkeitswirksamen Fragestellungen.

Ihr Profil: -

Sie sind eine initiative, vertrauenswürdige, team- und dienstleistungsorientierte Persönlichkeit Sie haben relevante Berufserfahrung in Journalismus und Kommunikation und verfügen über Fundraisingkenntnisse Sie haben praktische Projekterfahrung im Internetbereich Sie pflegen einen sorgfältigen Arbeitsstil Sie sind Menschen in schwierigen Lebenslagen ein vertrauenswürdiges und belastbares Gegenüber Sie identifizieren sich mit den christlichen Grundwerten in einem sozial-diakonischen Unternehmen, das der evangelisch-reformierten Kirche nahesteht und das Menschenwürde, Nächstenliebe und Verantwortung im Dienst für leidende Menschen konsequent umsetzen will.

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«Diese Idee ist ein Ladenhüter aus dem 19. Jahrhundert» Die ehemalige Ständerätin Christine Egerszegi ist eine vehemente Gegnerin des bedingungslosen Grundeinkommens: zu unflexibel, zu teuer, zu sehr Giesskannenprinzip. Die FDP-­ Politikerin befürchtet zudem, dass viele Menschen nur wegen der 2500 Franken in die Schweiz ziehen würden.

Frau Egerszegi, als Privatperson wie auch als bürgerliche Politikerin haben Sie sich immer wieder für Themen ein­ gesetzt, die sonst eher Anliegen von Linken sind: schulergänzende Kinder­ betreuung, die Altersvorsorge oder auch die Förderung des Musikunter­ richts. Was treibt Sie als Politikerin an? Gerechtigkeit. Ungerechtigkeit führt bei mir zu Engagement. Das war bereits bei meinem allerersten politischen Vorstoss so. Ich war erst seit sechs Wochen Leiterin einer Musikschule im Aargau, als eine vollamtliche Flötenlehrerin krank wurde und ins Spital musste. Ich erfuhr, dass sie ihre Vertretung selber suchen und auch bezahlen musste. Das konnte ich kaum glauben. Jeder Hilfspolizist erhält ja Erwerbsersatz ausbezahlt, wenn er krank wird – warum soll das nicht auch für eine Flötenlehrerin gelten? Ich reichte deshalb einen Erwerbsausfall-Antrag bei der Schulpflege ein, der allerdings abgelehnt wurde. Mit welcher Begründung? Die Antwort war sinngemäss: Weil das bisher so gut funktioniert hat, lassen wir es so, wie es immer war. – Dieser Satz hat mich politisiert. Wenn man etwas verbessern muss, kann ich nicht ruhen, bis eine Lösung da ist. Ich engagierte mich dann dafür, dass 153 000 Unterschriften für die Initiative «Jugend + Musik» gesammelt wurde. Sie

verlangte, dass die musikalische Bildung in der Schweiz gestärkt wird. Ich nahm stundenlange Autofahrten durch die Schweiz auf mich, um die Idee zu verbreiten. Nach einem Gegenentwurf des Parlaments zogen wir die Initiative zurück, da wir unsere Anliegen umgesetzt sahen. Heute sind wir am Ziel. Sieben Jahre, nachdem wir die Initiative 2008 eingereicht haben: In den Schulen geniesst der Musikunterricht den gleichen Stellenwert wie der Sport. Befürworter eines Grundeinkommens argumentieren, dass gerade solche En­ gagements in der Gesellschaft einfa­ cher wären, wenn alle einen fixen mo­ natlichen Betrag erhalten würden. Die Idee des Grundeinkommens ist ein Ladenhüter. Er wurde bereits im 19. Jahrhundert in Belgien von Joseph Charlier propagiert und ist dort erfolglos ausprobiert worden. Auch in der Mongolei und in Brasilien gab es Experimente. Das hat aber alles nicht funktioniert. Warum lehnen Sie das Grundeinkom­ men so kategorisch ab? Gegenfrage: Warum sollten wir ein System, das erwiesenermassen gut funktioniert, abschaffen? Das Grundeinkommen ist zu wenig flexibel und funktioniert nach dem Giesskannenprinzip. Ich lehne das ab.

Inwiefern ist es zu wenig flexibel? ­Unser System ist auf zwei obligatorischen Säulen aufgebaut. Einerseits die Altersvorsorge, die wie ein Sparstrumpf funk­ tioniert. Andererseits sorgen Versiche­ rungen bei Invalidität, Unfall und Arbeitslosigkeit dafür, dass mögliche Risiken im Leben gemindert werden. Menschen, die es irgendwie nicht schaffen, erhalten somit Hilfe, um später wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Unsere Sozialsysteme sind flexibel, ganz im Gegensatz zum Grundeinkommen. Dieses schüttet einfach starr jeder Person den gleichen Betrag aus – unabhängig davon, ob sie es braucht oder nicht. Und dieses Geld fehlt dann da, wo es nachher wirklich benötigt wird. Aber das wäre auch nicht mehr nötig, da ja das Grundeinkommen den Gang aufs Sozialamt erspart. Das ist zu kurz gedacht. Nehmen wir das Beispiel der Langzeitpflege: Ohne zusätzliches Geld zum Grundeinkommen ist eine aufwendige Pflege nicht erhältlich. Da braucht es dann zu den bereits ausgegebenen Grundeinkommensmilliarden noch sehr viel mehr Geld, um sich das leisten zu können. Am Ende bleibt aber die simple Frage: Woher soll dieses Geld überhaupt kommen? Ein weiteres Problem wäre zudem der finanzielle Anreiz für Menschen, die

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Christine Egerszegi, 68, Mellingen AG

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noch nicht in der Schweiz leben – aber aufgrund des Grundeinkommens hierher ziehen würden. Falls es in der Schweiz 2500 Franken bedingungslos gibt, ist das ja das Paradies. Da würde ich auch sofort hinziehen, wenn ich in meinem Heimatland als Ärztin 300 Franken verdiene. Was mich an dieser Initiative auch stört: Unsere Verfassung ist kein Ort für Experimente. Wie meinen Sie das? Würde das Grundeinkommen angenommen werden, bedingt das auch eine Verfassungsänderung. In die Verfassung gehören für mich aber nur solide, durchdachte Dinge, egal, ob sie jetzt von rechts oder links kommen. In eine Verfassung gehört kein Minarettverbot, aber auch kein Grundeinkommen. Das hat etwas mit dem Respekt gegenüber und dem Verständnis für eine Verfassung zu tun. Sie setzen sich sehr stark ein für die ­Musikförderung. Aber sind nicht Musi­ ker oder Künstlerinnen gerade jene, die auffallend oft in finanzieller Not landen? Zugegeben, für Menschen, die in der Kultur tätig sind, wäre es tatsächlich interessant, dass sie bedingungslos eine Basis erhielten. Aber das ist ein frommer Wunsch. Ich stehe voll und ganz hinter unseren Sozialwerken. Das sind die Säulen, die uns stützen. Auch die Musiker und Künstler.

Bild: Laurent Burst

Was ist Ihrer Ansicht nach die Motiva­ tion, einer Tätigkeit nachzugehen? Das kann die Faszination für etwas sein. Es kann aber auch sein, weil der Mensch einfach aus finanziellen Gründen arbeiten muss. Was aber klar ist: Alle brauchen eine Struktur in ihrem Alltag. Ich hoffe auch, dass jeder Mensch für irgendetwas ein Feuer entwickeln kann. Sei es im Beruf, in der Freizeit oder in einem Ehrenamt. Diese Haltung versuchte ich auch immer meinen Kindern weiterzugeben.

schon aufzeigen, dass er das Geld wirklich benötigt. Das Ziel muss auch immer sein, einen Sozialhilfebezüger wieder in die Selbständigkeit zu bringen. Das war auch mein Grundsatz, als ich in einer Gemeinde für die Sozialhilfevergabe zuständig war. Wie lebten Sie diesen Grundsatz kon­ kret? Wir bezahlten beispielsweise einer Frau, die von den Drogen loskommen wollte, eine kosmetische Behandlung, damit sie ihre hartnäckige Akne bekämpfen konnte. Das verhalf ihr zu mehr Selbstvertrauen bei Bewerbungsgesprächen. Oder einer Geschäftsfrau, die kurz vor der ­Geburt ihres Kindes von dessen Vater mit dem gesamten Vermögen verlassen worden war, zahlten wir einen Wohnsitz im Aargau und eine vorübergehende Zweitwohnung in Zürich, damit sie Arbeit und Kinderbetreuung in Einklang bringen konnte. Nach sechs Monaten stand sie wieder auf eigenen Beinen. Sie zahlte ­übrigens dem Sozialamt alles zurück. Gibt es eine soziale Idee oder Utopie, der Sie etwas abgewinnen können? Dass jede Frau und jeder Mann einen gemeinnützigen Beitrag für die Gemeinschaft leisten soll. Das kann politisch, kulturell oder sozial sein. Ich finde es sehr wichtig, dass wir alle nicht nur konsumieren, sondern auch etwas geben. Auf dem Formular, das ich bei meinem Eintritt in den Nationalrat ausfüllen musste, gab es eine Linie mit «Militärischer Grad». Da habe ich hingeschrieben: «Feldweibel zu Hause». Gleich darunter habe ich eine neue Linie gezogen, die ich mit «Gemeinnütziges Engagement» versah. Seither ist diese Frage Teil des Fragebogens.

Christine Egerszegi sass für die Freisinnig-Demo­ kratische Partei der Schweiz ingesamt zwölf Jahre im Nationalrat und acht Jahre im Ständerat. Als Nationalratspräsidentin war sie in den Jahren 2006 und 2007 die höchste Schweizerin. 2015 trat sie aus dem Ständerat zurück.

Versuchen wir einmal, dem Grundein­ kommen etwas Positives abzugewin­ nen. Menschen, die bedürftig sind, müssten in Zukunft vor dem Staat nichts mehr von sich preisgeben, um Unterstützung zu erhalten. Ist das erstrebenswert? Denn ein Mensch in einer solchen Situation möchte ja das Geld von anderen Menschen haben. Da muss er

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Die beiden evangelischen Kirch­ gemeinden Stettfurt und Lommis liegen am Sonnenhang des Lauchetals im Thurgau und zählen zusammen rund 1000 Mitglieder Wir suchen nach Vereinbarung

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Die Redaktion trifft nicht nur eine Auswahl, sie kürzt Zuschriften auch, und zwar ohne Rücksprache mit den Autoren. Über nicht veröffentlichte Briefe wird keine Korrespondenz geführt. Anonyme Zuschriften und Briefe mit beleidigendem oder anstössigem Inhalt wandern in den Papierkorb.

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Urdorf liegt am westlichen Stadtrand von Zürich und ist bestens durch Verkehrsverbund und Autobahnnetz erschlossen. Unsere aktive Kirchgemeinde zählt 2900 Mitglieder und verfügt über ein vielseitiges Gemeindeleben. Infolge eines Stellenwechsels möchten wir möglichst bald die vakante Ergänzungspfarrstelle mit einer / einem

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«Faule Menschen gibt es überall, auch ohne Grundeinkommen» Um ihren Lebensunterhalt muss sich Ingrid Grave keine Sorgen ­machen. Die Ordensschwester erhält schon heute eine Art Grundeinkommen. Auf die faule Haut legt sie sich deshalb nicht, sondern sprüht vor Ideen. Mit einem Grundeinkommen würden die Menschen überlegen, wie sie ihr Leben schöner gestalten können, glaubt sie.

Frau Grave, als Ordensschwester leben Sie eigentlich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen. Sie müssen sich um Finanzen keine Sorgen machen. Ja, das stimmt. Wenn zum Beispiel eine Schwester in der Klosterküche arbei­ tet, erhält sie dafür keinen Lohn. Aber sie verfügt über die Gewissheit, dass für sie bis an ihr Lebensende gesorgt wird. Das bedingungslose Grundeinkommen würde das Klosterprinzip in die Gesellschaft tragen. Nicht ganz. Es wür­ de aber dafür sorgen, dass ein Mensch so viel erhält, dass er sein Leben in Würde leben kann. Seine Grundbedürfnisse also abgedeckt sind, ohne dass er dafür schuf­ ten muss. Was er aber dazuverdient, sollte dann schon ganz ihm gehören. Das ist bei uns im Kloster anders: Was zusätzlich verdient wird, wandert in den Gemein­ schaftstopf. Und wie wird sein Inhalt gerecht unter den Schwestern verteilt? Es ist ja so, dass die eine zum Glücklichsein ein Paar Wan­ derschuhe braucht und die andere ein Klavier. Ist das Gerechtigkeit? Vielleicht nicht, aber wenn es passt und jede das be­ kommt, was sie wirklich braucht, dann ist das schon richtig. Es darf einfach kein Schnickschnack sein.

Läuft das ohne Konflikte ab? Natürlich kommt es da auch zu Streitereien. Damit diese aber möglichst nicht entstehen oder Spannungen abgebaut werden, treffen wir uns regelmässig und sprechen über solche Dinge. Es ist bei uns aber wie in jeder Be­ ziehung oder in jeder Familie: Alle tragen einen Rucksack mit ihrer Vergangenheit. Deshalb müssen auch wir uns bei Konflik­ ten aneinander angleichen oder auch mal etwas stehen lassen. Was mögen Sie an der Idee eines ­bedingungslosen Grundeinkommens? Dass man Menschen, die viel haben, sagen kann: Schau mal, du hast Glück gehabt. Du hast Begabungen mitbekommen und konntest etwas daraus machen. Andere haben diese Begabungen nicht bekom­ men, oder es wurden ihnen Steine in den Weg gelegt. Aber auch diese Menschen brauchen ein Leben in Würde. Was treibt die Ordensschwestern im Kloster eigentlich an, einer Arbeit nachzugehen? Das ist, wie sicher auch ausser­ halb des Klosters, ganz unterschiedlich. Es gibt Ordensfrauen, die sind zufrieden mit der Arbeit, die man ihnen zuteilt. Und es gibt welche, die die ganze Zeit vor Ide­ en sprühen und diese auch umsetzen wol­ len. Ich gehöre eher zu den letzteren.

Ist es nicht interessant, dass der Reiz zu arbeiten auch ohne Lohn existiert? Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Ich den­ ke, es ist eher eine Frage des Naturells. Manche Menschen haben Antrieb, andere nicht. Auch in meiner Familie gibt es ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Das Grundeinkommen macht Menschen faul, sagen Kritiker. Das kann im Einzelfall sein. Aber Faule gibt es überall, auch ohne Grundeinkommen. Menschen, die einfach nicht wollen. Sogar innerhalb derselben Familie mit den gleichen Idea­ len gibt es Menschen, die etwas aus ihrem Leben machen, und andere, die scheitern. Das ist einfach die menschliche Natur. Wenn aber jeder sein Grundeinkommen hat und darüber nachdenken kann, wie man es sich noch schöner machen kann, dann fängt der Mensch an zu überlegen und lässt sich etwas einfallen. Warum ist das so? Das weiss ich aus mei­ ner Erfahrung als Pädagogin. Kinder wol­ len immer von selber lernen, aber wir treiben es ihnen ja in der Schule oft aus. Man sollte wohl mehr darüber nachden­ ken, wie man diese Lernbegierde beibe­ halten will, dann werden die Kinder auch später dem nachgehen, was sie wirklich interessiert. Das bedeutet auch, dass man nicht mehr darüber nachdenken sollte,

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Ingrid Grave, 78, Zürich

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wie Kinder wertvolle Mitglieder der Wirt­ schaft werden, sondern vielmehr wertvol­ le Mitglieder der gesamten Gesellschaft. Das wäre mal etwas!

Bild: Laurent Burst

Sie glauben, der Mensch ist intrinsisch motiviert? Wenn ich an eine Grenze stos­ se im Leben, dann merke ich das ja, dass ich da eine Lücke habe, und dann kann mich darum kümmern, dieses Wissen zu erwerben. Die meisten Menschen wollen immer weiterlernen, sich immer weiter entwickeln. Das ist auch im Kloster so. Die wenigen faulen bleiben faul, und die­ jenigen, die sich weiter entwickeln ­wollen, entwickeln sich weiter, wenn das Umfeld einigermassen stimmt. Auch Menschen, die nichts beitragen können, weil sie krank oder eingeschränkt sind, wird es immer geben. Und für diese muss die ­Gesellschaft dann auch verstärkt sorgen. Nicht jeder hat die nötigen Ressourcen für ein gut geführtes Leben mitbe­ kommen. Und was passiert bei einem Grundeinkommen mit Berufen, die heute in der Gesellschaft nicht so angesehen sind? Es wird auch in Zukunft immer junge Menschen geben, die sich für einen Beruf begeistern lassen. Auch solche, die nicht so angesehen sind. Die besten Angestell­ ten sind jene, die spüren, dass sie ihre ­Tätigkeit interessiert und begeistert. Da ist das Geld dann auch nicht das einzig Ent­ scheidende. Man ist Bäuerin oder Hand­ werker, weil man die Tätigkeit gerne macht. Hier in unserem Haus in der Alt­ stadt von Zürich gibt es zum Beispiel ­einen selbständigen Restaurator. Er liebt dieses Haus richtiggehend. Und stellt er uns nach einer Reparatur eine Rechnung, sagt die Kirchenleitung: Das ist ja gar nicht mal so teuer! Er verlangt also wohl zu wenig. Dafür wohnt er bescheiden, hat

aber viel Zeit für seinen Sohn. Das gibt ihm Freiheiten in der Gestaltung seines Lebens. Was bedeutet Bedingungslosigkeit aus Ihrer Sicht? Im religiösen Sinne sicher zuerst einmal, dass ich bedingungslos ge­ liebt werde. Das ist etwas, was ich aber auch annehmen muss. Also etwas, woran ich glauben muss. Und diesen Glauben daran muss ich auch immer wieder erneu­ ern. Ich kann ja einem Menschen auch sagen: Ich stelle mich dir bedingungslos zur Verfügung. Verliebte zum Beispiel sind ganz bedingungslos. Klingt die erste Verliebtheit ab, dann fängt man aber oft an, Bedingungen zu stellen. Bedingungs­ losigkeit bedeutet für mich vor allem: Du genügst so, wie du bist. Du musst nichts tun, um geliebt zu werden. Mit den Men­ schen ist das nicht immer ganz einfach. In meinem Glauben kann ich das aber erfah­ ren, dass ich genau so geliebt werde und genüge, wie ich bin. Wie würden Sie das auf das bedingungslose Grundeinkommen übertragen? Der Mensch wäre frei, mit dem Grundeinkommen sein Leben gut zu ge­ stalten. Das Geld müsste sicherstellen, dass die wesentlichen Dinge möglich sind: Wohnung, Essen, Kleidung, aber auch et­ was Geld für Erholung und Erlebnisse sowie etwas für die Gesundheit. Wer dann merkt, dass das Geld nicht dafür reicht, die eigenen Träume zu verwirklichen, kann zusätzlich tätig werden. Das ist et­ was, was die meisten Menschen sowieso wollen.

re einsetzen würden, was ja auch für die gesamte Gesellschaft ein Gewinn wäre. Jeder Mensch ist anders, hat andere Bega­ bungen und Anlagen. Die kann man nut­ zen oder nicht. Wenn ich zwei Menschen in meiner Familie vergleiche, war einer von ihnen sehr intelligent und der andere hat nicht so viel Begabung für sein Leben mitbekommen. Er hat aber doch das aller­ beste aus seinem Leben gemacht. Der an­ dere war intelligent, hat sich aber wohl gesagt: Was soll ich mich anstrengen, ich finde das Leben, so wie es ist, angenehm. Ich könnte mir vorstellen, dass der weni­ ger begabte Mann sich mit einem Grund­ einkommen vermutlich positiver entwi­ ckelt hätte als der sehr begabte, der aber nichts aus seinem Leben machen will. Würde das Grundeinkommen noch andere Dinge ändern? Das Ansehen als Professor oder Ärztin würde sich wohl mit einem Grundeinkommen ändern. Mit einem Grundeinkommen wären plötzlich andere Berufe angesehen. Konkret: Ein Bauarbeiter, der trotz Grundeinkommen auf dem Bau arbeitet, würde vermutlich mehr Anerkennung für seinen Beruf erfahren als ein Arzt oder eine Bankdirek­ torin.

Ingrid Grave trat 1960 in die DominikanerinnenGemeinschaft in Ilanz GR ein. Dort arbeitete sie als Lehrerin, später wurde sie bekannt als Moderatorin der Fernsehsendungen Sternstunde und Wort zum Sonntag. Grave lebt in einer kleinen Wohnung inmitten der Altstadt von Zürich, wo sie sich in ökumenischen Seelsorgeprojekten engagiert. Zurzeit bereitet sie ihren Umzug zurück ins Kloster im Bündner Oberland vor.

Und wer das Grundeinkommen nicht braucht? Wer es nicht braucht, kann es für andere oder für die Allgemeinheit ein­ setzen. Im Kloster denke ich, dass die Schwestern wohl das Geld eher für ande­

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«Im ‹Biotop Schweiz› lässt sich das ausprobieren» Debbie Zedi ist Marketingleiterin der Zürcher Hochschule der Künste. Gerade für intrinsisch motivierte Menschen wie Künstler wäre ein be­ dingungsloses Grundeinkommen eine wichtige Absicherung, denn: «Wer einfach möglichst schnell viel Geld verdienen möchte, wählt kaum ein ­Studium in den Künsten.»

Und wenn Sie die Gegenkampagne leiten würden? Dann würde ich ganz stark mit Zahlen arbeiten. Funktioniert das wirklich? Ich würde Horrorszenarien zeigen, Angst davor machen, was mit dem Grundeinkommen alles schieflaufen könnte. Zu Ihnen: Mögen Sie eigentlich die Idee eines Grundeinkommens? Sagen wir es so: Ich freue mich, dass wir in der Schweiz überhaupt eine solche Vision entwickeln und diskutieren können. Es ist

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eine visionäre, fast utopisch anmutende und doch fassbare Idee. Schon allein dass man wagt, so etwas zu denken, finde ich toll. Im besonderen gefällt mir die Komplexitätsreduktion, die Vereinfachung. Was meinen Sie mit Komplexitätsreduktion? Dass wir mit einem Grundeinkommen weniger Energie für Administration und Bürokratie brauchen würden. Was ich auch spannend finde: Unsere Gesellschaft wäre wohl weniger von Ängsten und Zwängen geprägt. Wenn Existenzängste auf ein Minimum reduziert werden, kann sich der Einzelne freier entfalten. Vielleicht sehen sich Menschen dann auch weniger dazu gezwungen, das zu tun, was gesellschaftskonform ist. Ich sehe das auch bei unseren Studierenden: Es braucht nach wie vor oft Mut, sich an der Zürcher Hochschule der Künste für einen Beruf im Bereich Kunst oder Kultur zu entscheiden. Ein solcher Entscheid löst in vielen Familien Ängste und Gegenreflexe aus. Und es stimmt ja auch: Mit einem solchen Beruf müssen viele um ihre Existenz kämpfen und oft nebenher einen Brotjob machen, um das Nötigste zum ­Leben zu verdienen. Was würde sich für die Studierenden an der Zürcher Hochschule der Künste mit einem Grundeinkommen ändern? Studierende, die nicht auf die finanzielle

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Unterstützung ihrer Eltern zählen können, hätten es mit einem Grundeinkommen weniger schwer. Das Grundeinkommen würde allen Studierenden erlauben, sich voll und ganz aufs Studium zu konzentrieren. Niemand wäre gezwungen, einem Nebenjob nachzugehen, um sich während des Studiums über Wasser zu halten. So kämen die Studierenden vielleicht schneller ans Ziel. Es könnte aber auch genau das Gegenteil der Fall sein: Weil der Druck weniger gross ist, gäbe es vielleicht mehr «ewige Studenten», die im Studium ein bisschen vor sich hin dümpeln. Worin unterscheidet sich ein Kunststudent von einem anderen Studenten? Die Studierenden hier sind wirklich intrinsisch motiviert. Wer einfach möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen will, wählt kaum ein Studium in den Künsten. Jeder und jede hier brennt für seine oder ihre Kunst, sei es nun Design, Musik, Film oder Tanz. Es gibt aber sicher auch in den meisten anderen Berufsgattungen diejenigen Menschen, die für ihre Sache brennen: für den Bau, die Forschung, für Dienstleistungen. Wie wäre Ihre Biografie mit einem bedingungslosen Grundeinkommen verlaufen? Dann wäre ich nach der Matura nicht arbeiten gegangen, sondern hätte

BILD: lAURENT bURST

Frau Zedi, Sie verantworten das Marketing der Zürcher Hochschule der Künste. Unabhängig, was Sie vom Grundeinkommen halten: Wie würden Sie dieses bei den Menschen in der Schweiz beliebt machen? Gute Frage. Ich würde wohl Zukunftsszenarien visualisieren: Was wäre mit dem Grundeinkommen anders als heute? Was würde gleich bleiben? Dargestellt in Bildergeschichten oder kurzen Videoclips, die man auf Social Media teilen kann. Zum Beispiel ein Familiengespräch über die Ferien, zu denen die Kinder von ihrem Grundeinkommen auch ihren Beitrag leisten. Oder ein Mitarbeitergespräch mit dem Chef über unbezahlten Urlaub. Diese Szenen aus dem Alltag sollten mögliche neue Denkmuster und Verhaltensweisen zeigen, die mit dem Grundeinkommen entstehen.

Debbie Zedi, 38, Zürich

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mit einem Studium angefangen. So aber habe ich gleich angefangen zu arbeiten, weil meine Eltern mich finanziell nicht unterstützten. Allerdings: Was ich heute weiss, lernte ich «on the job» und in berufsbegleitenden Ausbildungen.

spiel ein Putzmann oder eine Kassiererin aus ihrer Tätigkeit? Diese Frage stellt sich ja insbesondere bei schlechtbezahlten ­Berufen. Würden diese Leute ihre Tätigkeit weiter ausüben, wenn es das Grundeinkommen gäbe?

Was ja auch toll ist. Ja, das sehe ich auch so. Ich habe von der Praxis gelernt und ging nicht von der Theorie aus. Dass ich arbeiten musste, hat mich natürlich auch angetrieben. Hätte es ein Grundeinkommen gegeben, als ich mein Sabbatical gemacht habe, hätte ich wahrscheinlich nicht noch Teilzeit gearbeitet, um mir das Nötigste zum Leben zu verdienen. Ich hätte ein «richtiges» Fulltime-Sabbatical eingelegt, also ein Lesejahr gemacht oder wäre eigenen Projekten nachgegangen – ganz unabhängig davon, ob sie Geld einbringen oder nicht.

Und? Wir wissen nicht, was genau passieren würde. Aber es gäbe eine Dynamik in das Ganze. Wenig beliebte Jobs müssten künftig besser bezahlt werden, ansonsten will sie keiner mehr machen. Es ist genau diese Dynamik, die mich am Grundeinkommen fasziniert: das Hinterfragen des jetzigen Systems und das Aufbrechen von Ungerechtigkeiten, die in der gegenwärtigen Ordnung wurzeln.

Heute zielt Bildung meist darauf ab, die Abgänger bestmöglich auf die ­Berufswelt vorzubereiten. Würde ein Grundeinkommen andere Schwerpunkte in der Bildung setzen? Möglicherweise. Bildungsinstitutionen bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Ausrichtung am Arbeitsmarkt und Ausrichtung an Gesellschaft und Wissenschaft. Da können unterschiedliche Wertvorstellungen und Prioritätensetzungen aufeinanderprallen. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen wäre der Druck vielleicht weniger hoch, die Bildung so stark am Arbeitsmarkt auszurichten. Mit welcher Konsequenz? Dass junge Menschen, die sich nach der obligatorischen Schulzeit für eine Ausbildung oder ein Studium entscheiden müssen, sich bei ihrem Entscheid mehr durch ihre Interessen und ihre Begabung leiten lassen als von wirtschaftlichen Überlegungen und damit verbundenen Ängsten wie: Werde ich in diesem Beruf meinen Lebensunterhalt sicherstellen können? Was geschieht, wenn ein Grundeinkommen eingeführt würde? Für sich selber und sein Umfeld kann man vermutlich einschätzen, was man mit einem Grundeinkommen machen würde. Für Berufe und Lebensumfelder, die einem fremd sind, ist das schwieriger zu beurteilen. Wie viel Freude schöpfen zum Bei-

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Kritiker sagen, dass beim Grundeinkommen zu viele Fragen ungeklärt sind. Ja, aber man muss auch gar nicht alle Fragen beantworten. Wir sollten einfach mal damit anfangen und herausfinden, was dann geschieht. Klar, das braucht Mut. Aber im «Biotop Schweiz» könnten wir es uns erlauben, so etwas auszuprobieren. Es kann nicht viel schiefgehen. Und falls doch, passen wir das System an. So wird es laufend besser. Warum soll ausgerechnet die Schweiz mit einem Grundeinkommen starten? Weil es den Ländern um uns herum weitestgehend schlechter geht als uns – wir leben hier in einer äusserst privilegierten Situation. Und weil wir dann wieder einmal Pioniere wären und unser Wissen weitergeben könnten. Gibt es keine Bedenken bezüglich ­einem Grundeinkommen? Doch. Ich frage mich, ob sich das bedingungslose Grundeinkommen für Teilzeit-Arbeitsmodelle eher nachteilig auswirken würde. Wenn ich mit einem Vierzigprozentjob das gleiche Einkommen erziele wie mit dem Grundeinkommen, ist die Motivation nicht besonders gross, arbeiten zu gehen. Das fände ich schade, da wir künftig stärker auf Teilzeitarbeit setzen müssen. Ein Grundeinkommen könnte aber auch zu flexibleren Arbeitsmodellen führen. Gut möglich. Ich bin mit einem Hausmann als Vater aufgewachsen, meine Mutter ging arbeiten. Ich hoffe, dass solche Konstellationen mit dem Grundeinkommen noch selbstverständlicher wür-

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den. Mehr Flexibilität hätte sicherlich zur Folge, dass viele Menschen motivierter und relaxter bei der Arbeit wären. Die Grundeinkommens-Initiative wird von vielen belächelt – und doch hat sie eine ungeheure Sprengkraft. Warum? Die Welt ist ja nicht aus Zufall so, wie sie ist. Sie ist so, weil es immer Menschen gegeben hat, die Dinge neu gedacht haben. Grosse Dinge, die für uns heute selbstverständlich sind, sind das Resultat einer ­grossen Idee aus der Vergangenheit. Das bedingungslose Grundeinkommen ist so eine grosse Idee.

Debbie Zedi ist Leiterin Marketing der Zürcher Hochschule der Künste. Nach der Matura arbeitete sie bei einem Telekommunikationsanbieter, danach für eine Ideenfabrik, für eine Fotoagentur und als Creative Director in einer Eventagentur. Zedi absolvierte ihre Ausbildung zur Kommunika­ tionsplanerin und den Master in Business Communications berufsbegleitend.

«Niemand teert bei 35 Grad freiwillig eine Strasse» Ohne staatliche Gelder müsste die Bäuerin Christine Bühler den Milchwirtschaftsbetrieb aufgeben. Einem Grundeinkommen steht sie dennoch skeptisch gegenüber. Sie sagt, dass diese Idee wohl nur bei akademischen Berufen ­funktionieren würde.

Frau Bühler, angenommen, die Bauern erhalten in Zukunft vom Staat keine Direktzahlungen mehr, dafür ein Grundeinkommen von 2500 Franken je Familienmitglied. Was hätte das für Ihren Betrieb für Auswirkungen? Die Pou­ letmast könnten wir wohl weiterführen, die Milchwirtschaft müssten wir sofort einstellen. Und wie stark wir dann das Land noch bewirtschaften könnten, kann ich auch nicht sagen, da die Milchwirt­ schaft an die Landbewirtschaftung ge­ knüpft ist. Selbst wenn wir die Poulets noch weiterproduzieren würden, bliebe die Frage, ob dann noch jemand in unserer Pouletmetzgerei arbeiten wollte. Nur Spe­ zialkulturen mit Gemüse, Aprikosen oder Kräutern sind selbsttragend. Einen Hof mit Milch, Fleisch und Getreide selbst­ finanziert zu betreiben ist heute aber praktisch unmöglich. Die Umstellung auf ein Grundeinkommen würde ja nicht von heute auf morgen stattfinden. Nun ja, das stimmt. Die Schweiz könnte es auch einfach auspro­ bieren, schliesslich sind wir ein kleines Land. Wenn es nicht funktioniert, lässt sich ja wieder Gegensteuer geben. Und ob die diskutierten 2500 Franken der richti­ ge Betrag sind, ist ja auch nicht unbedingt klar. Das müsste man alles testen. Ich fin­ de die Idee, ein neues System zu suchen,

um die Sozialleistungen auch in Zukunft erbringen zu können, sehr wichtig. Da sollte man alles prüfen, auch das Grund­ einkommen. Dennoch frage ich mich, ob sich nicht zu viele aus der Verantwortung ziehen, wenn es ein Grundeinkommen gäbe. Was ist dann mit der Pflegefachfrau, die vielleicht nur noch fünfzig Prozent arbeiten will? Fällt am Ende das gesamte Gesundheitssystem auseinander? Vielleicht würde die Pflegefachfrau mit der Hälfte ihres Pensums motivierter arbeiten? Und es gäbe Platz für eine weitere Person, die fünfzig Prozent arbeiten will? Ja, das kann sein. Und viel­ leicht würde die Gesellschaft solche Beru­ fe dann auch durch eine andere Brille sehen. Vielleicht würden diese Jobs auch einen besseren Ruf haben. Wer weiss. Heute wollen Jugendliche ja kaum mehr Berufe erlernen, in denen körperlich ge­ arbeitet wird. Kopfarbeit hat einen besse­ ren Status als die handwerkliche Arbeit. Das finde ich eine bedenkliche Entwick­ lung. Das heisst, ein Grundeinkommen könnte den Status gewisser Arbeiten verändern? Vielleicht. Ich würde das begrüs­ sen. Denn ohne den Gerüstbauer lässt sich kein Haus renovieren. Und wenn im­ mer weniger Personen solche Tätigkeiten

ausführen wollen, werden sie vielleicht sogar besser bezahlt. Ich glaube, dass das Grundeinkommen eher in akademischen Kreisen funktionieren würde, nicht aber bei handwerklichen Berufen. Es geht doch niemand bei 35 Grad nach draussen und teert eine Strasse, wenn er nicht muss. Wem würde ein Grundeinkommen am meisten nützen? Wohl Eltern mit Kin­ dern. Alleinerziehende Eltern vollbringen einen wichtigen Dienst an der Gesell­ schaft, der nicht honoriert wird. Ein be­ dingungsloser Betrag könnte diese Arbeit sichtbarer machen und sie dafür angemes­ sen entlöhnen. Dass ein Grundeinkom­ men alle Sozialwerke überflüssig macht, glaube ich allerdings nicht. Es wird immer Leute geben, für die man trotz Grundein­ kommen sorgen müsste. Und um diese müssen wir uns als Gesellschaft küm­ mern, gerade weil es die schwächsten sind. Geschieht dies nicht, zerfällt ein Land, eine Gemeinschaft. Was beschäftigt die Bäuerinnen in der Schweiz? Die schwierige Einkommenssi­ tuation vieler Betriebe ist ein Dauerbren­ ner. Dann die mangelnde Wertschätzung der Konsumenten gegenüber Nahrungs­ mitteln. Wir möchten als Verband aufzei­ gen, was es alles braucht, bis ein Liter Milch da ist oder ein Brot aus dem Ofen

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Christine Bühler, 57, Twann BE

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kommt. Dahinter steckt nämlich sehr viel Arbeit. Aber auch die Beziehung von uns Bauern und der Gesellschaft ist etwas, was uns sehr beschäftigt. Wie meinen Sie das? Ein Bereich der Gesellschaft zu sein, der Direktzahlungen, also praktisch Almosen von den anderen erhält, das ist für viele nicht einfach. Des­ halb kann man fast sagen, dass die Bauern und Bäuerinnen ein Grundeinkommen erhalten. Es ist aber nicht bedingungslos, sondern geknüpft an eine bestimmte Leis­ tung. Dem Selbstbewusstsein tun diese Direktzahlungen aber nicht besonders gut. Gerade die Männer auf den Betrieben leiden oft unter dieser Situation. Und das kriegen natürlich auch die Frauen mit.

Bild: Laurent Burst

Bauernbetriebe sind in der Regel Familienbetriebe. Ein Grundeinkommen könnte Bäuerinnen auch Unabhängigkeit und Sicherheit verschaffen. Das Thema der finanziellen Absicherung be­ schäftigt heute viele Bäuerinnen. Ob ein Grundeinkommen da eine Hilfe wäre, kann ich nicht sagen. Es ist aber bereits heute so, dass Bäuerinnen sich zum Bei­ spiel vom Betrieb einen Lohn auszahlen lassen und dann Arbeitslosengeld bezie­ hen, wenn sie diese Tätigkeit nicht mehr ausüben können. Die Arbeiten auf dem Hof können sie dann im Anstellungsver­ hältnis in Prozenten angeben und mit den Sozialversicherungen abrechnen. Warum ist das so wichtig? Tut die Frau das nicht, ist sie einfach als «nicht er­ werbstätig» erfasst und nicht abgesichert. Das ist heute einfach nicht mehr akzepta­ bel. Eine weitere Möglichkeit ist, die Frau zur Mitbewirtschafterin zu machen. Dazu muss sie aber über eine landwirtschaftli­ che Ausbildung mit Nachweis verfügen. Von den Bäuerinnen beanspruchen leider viel zu wenige diesen Status. Viele in mei­ nem Alter sind frustriert, wenn sie auf ihr berufliches Leben zurückblicken. Sie mer­ ken, dass sich ihre Leistung nirgends ­manifestiert hat.

Gibt es denn auch Frauen mit eigenem Hof? Ja, die gibt es immer mehr. Frauen übernehmen häufig Nischenbetriebe an schwierigen und nicht lukrativen Lagen. Dort punkten sie mit extremer Innova­ tion. Das ist eindrücklich zu sehen. Beispielsweise? Eine Bäuerin hat ange­ fangen, Apfelringe von ihren Hochstamm­ bäumen zu dörren – heute beschäftigt sie mehrere Angestellte und konnte auch den «Apfelringliturm» im Schweizer Pavillon an der Expo in Mailand beliefern. Aber gerade die Männer haben da im ersten Moment nicht immer Verständnis, wenn ihre Frauen die Selbständigkeit suchen. Sie wollen sich lieber auf die alther­ gebrachten Produkte und Methoden ­stützen. Was brauchen die Bäuerinnen in Zukunft, damit es ihnen gutgeht? Neben der festgeschriebenen und effektiven Gleichstellung und einer besseren finan­ ziellen Lage brauchen Bäuerinnen vor allem Raum. Man muss sie machen lassen, sie ihren eigenen Betriebszweig ent­ wickeln lassen. Was ist Ihre Selbständigkeit innerhalb vom Familienbetrieb? Wir haben neben unserer klassischen Milchwirtschaft eine Pouletmast aufgebaut, die zusätzlichen Ertrag zu unserem angestammten Ge­ schäft generiert. Unterdessen ist das ein eigenständiger Bereich, für den heute nur ich zuständig bin. Ich wollte das so.

Christine Bühler ist diplomierte Bäuerin, Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands und Vizepräsidentin des Schweizerischen Bauernverbands.

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Die Abteilung Spezialseelsorge der reformierten Landeskirche des Kantons Zürich betreut die Seelsorge in Institutionen sowie kantonalkirchliche Beratungsangebote inhaltlich und personell. Sie unterstützt die Landeskirche und Kirchgemeinden mit Fachwissen und Konzeptarbeit im Bereich Seelsorge. Wir suchen per 1. August 2016 oder nach Vereinbarung eine/ einen

Für die kürzlich fusionierte evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Oberer Necker im St.Galler Neckertal (Toggenburg) suchen wir per 1. August 2016 oder nach Vereinbarung eine Pfarrerin, einen Pfarrer oder ein Pfarrpaar mit einem Pensum von 80% für das Pfarramt St. Peterzell

Fachmitarbeiter/-in 50% In den ersten drei Jahren sind Sie zuständig für die Projektleitung im Schwerpunkt «Palliative Care» in der Zürcher Landeskirche. Später übernehmen Sie die Verantwortung für weitere Projekte und Aufträge der Abteilung, insbesondere in den Seel­ sorgebereichen im Gesundheitswesen.

Unsere lebendige Landgemeinde: • Umfasst die Dörfer St. Peterzell und Hemberg mit knapp 1500 Gemeindegliedern. • Wird durch ein gut eingespieltes Pfarrehepaar im Pfarramt Hemberg und das zu besetzende Pfarramt in St. Peterzell betreut. • Wird durch einen Sozialdiakon in Ausbildung, ein Sekretariat, eine engagierte Kirchenvorsteherschaft und Freiwillige gestaltet. • Stellt ein ansprechendes, geräumiges Pfarrhaus in der Nähe von Kirche und Schulzentrum Oberes Neckertal zur Verfügung. • Hat gute ÖV-Anbindung mit 30'-Takt.

Sie verfügen über ein abgeschlossenes Theologiestudium und haben mehrere Jahre Berufserfahrung in der Spezialseelsorge und/oder im Gemeindepfarramt gesammelt. Zusätzlich bringen Sie eine Aus- oder Weiterbildung im Bereich «Palliative Care» mit. Die Herausforderungen der Seelsorge im Gesundheitsbereich sind Ihnen bekannt. Sie sind es gewohnt, selbständig zu arbeiten, und haben Freude am konzeptionellen Arbeiten und Steuern von Prozessen. Das vernetzte Denken und Handeln fällt Ihnen leicht und Sie sind eine kontaktfreudige Persönlichkeit, die gerne im Team arbeitet.

Ihre Aufgaben: • S elbständige Betreuung des Seelsorgekreises St. Peterzell. • S chwerpunkte: Erwachsenenbildung, Diakonie, Geistliche Begleitung der Jugendlichen ab Oberstufe bis Konfirmation. • A  ndachten und Seelsorge in den Institutionen Landscheide und Aemisegg. • V  ielfältige Gottesdienste gemäss gemeinsamer Planung. • D  ie Stelle lässt in ihren Strukturen Freiraum für Gestaltungsmöglichkeiten.

Es erwartet Sie eine moderne Betriebskultur, die auf Qualität und Entwicklung Wert legt. Weitere Auskunft erteilt Ihnen gerne Pfrn. Rita Famos, Abteilungsleiterin Spezialseelsorge, Tel. 044 258 92 79, [email protected]. Besuchen Sie auch unsere Homepage: www.zh.ref.ch Interessiert? Dann senden Sie bitte Ihre Bewerbungsunterlagen bis am 13. Mai 2016 an: Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich, Stichwort «Fachmitarbeiter/-in Spezialseelsorge», Personaldienst, Hirschengraben 7, Postfach, 8024 Zürich, oder als pdf-Gesamtdokument per E-Mail an: [email protected]

Ihr Profil: • S ie sind (eine) offene, initiative Persönlichkeit(en). • S ie sind motiviert, sich in unserer vielfältigen Kirchgemeinde zu engagieren. • S ie pflegen eine offene, theologisch landeskirchliche Haltung. • S ie sind in der Schweiz wählbar. • S ie suchen den Kontakt zur Bevölkerung. • S ie schätzen die Zusammenarbeit im Team sowie selbständiges Arbeiten. • S ie engagieren sich in der ökumenischen und regionalen Zusammenarbeit. • S ie nehmen möglicherweise in der Gemeinde Wohnsitz. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte auch an das Präsidium und die Pfarrpersonen. Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung, gerne auch elektronisch, mit den üblichen Unterlagen an: Präsidium der Pfarrwahlkommission Sabina Nef, Scherbstrasse 47, 9633 Hemberg, 071 377 13 74 [email protected], www.ref-oberernecker.ch

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Das Magazin der Reformierten

Hinweis des Inserateservice: Anzeigenschluss für die nächste Ausgabe ist am Freitag, 6. Mai 2016, 12 Uhr. Den Inserateservice erreichen Sie telefonisch unter 044 299 33 20 und per E-Mail: [email protected]

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«Es ist ja nicht so, dass wir in der besten aller Gesellschaften leben» Die Soziologin Sarah Schilliger ist davon überzeugt, dass dank einem bedinungslosen Grundeinkommen Männer ihr Arbeitspensum reduzieren und sich mehr an der Haus- und Familienarbeit ­beteiligen würden. Gleichzeitig warnt sie davor, dass die Initiative zu einer neoliberalen Utopie pervertiert werden könnte. Frau Schilliger, Feministinnen befürch­ ten, dass sich durch ein Grundeinkom­ men Frauen noch stärker in der Fürsor­ ge engagieren. Könnten tatsächlich grosse feministische Errungenschaften der letzten dreissig Jahre verloren ge­ hen? Das ist ein Horrorszenario für jene, die noch geprägt sind von der Hausfrau­ ennorm von vor dreissig bis sechzig Jah­ ren. Damals war eine Forderung der Frau­ enbewegung, dass sich Frauen vermehrt in die Erwerbsarbeit integrieren und sich dadurch emanzipieren. Die Realität ist heute aber eine komplett andere. Für Frauen ist das Recht auf Erwerbsarbeit zunehmend zu einer Pflicht zur maxima­ len Erwerbsbeteiligung geworden. Wer fordert dies im politischen Pro­ zess? Heute wird insbesondere von der Wirtschaft propagiert, dass Frauen eine Erwerbsarbeit leisten müssen, um jeden Preis. Das geht sogar so weit, dass man sagt: Frauen, die studiert haben, sollen Strafgebühren bezahlen, wenn sie nach der Familiengründung keine Erwerbs­ arbeit leisten. Die US-Sozialphilosophin Nancy Fraser sieht vielmehr die Männer in der Pflicht. Ihr Verhalten werde dar­ über entscheiden, wie die Verteilung von Erwerbs- und Fürsorgearbeit in Zukunft aussehen wird. Inwiefern? Wenn sich Männer nicht weit­ aus mehr an der Haus- und Familienarbeit beteiligen, wird es keine geschlechterge­ rechte Gesellschaft geben. Ein Grundein­

kommen könnte die Bedingungen dafür verbessern: Väter würden ermutigt, ihre Erwerbstätigkeit zu reduzieren und auch vermehrt Teilzeit zu arbeiten. Zudem ­wären Frauen finanziell unabhängiger. Jede Person soll also den Dingen nach­ gehen, die sie erfüllt und mit denen sie einen Beitrag zur Gesellschaft leisten kann? Ja. Ich sehe das Grundeinkommen auch als eine Chance, über traditionelle Strategien hinauszugehen. Es hat das ­Potenzial, einige Gewissheiten zu hinter­ fragen. So zum Beispiel jene, dass wir am besten in abgeschlossenen, kleinfami­li­ären Einheiten leben. Vielleicht würden sich vermehrt Menschen fragen, wie wir uns gemeinschaftlich organisieren könn­ ten. Heute sehe ich viele Paare mit Kin­ dern, die komplett im Hamsterrad von Job und Kinderbetreuung gefangen sind.

siven Steuern auf Einkommen und Ver­ mögen. Letzteres hätte einen gerechten Umverteilungseffekt. Zudem befürchte ich, dass das Grundeinkommen auch für eine neoliberale Utopie missbraucht wer­ den könnte, indem die heutigen Sozial­ leistungen durch das Grundeinkommen vollkommen ersetzt würden.

Wo sehen Sie Schwierigkeiten beim Grundeinkommen? Die Finanzierung ist für mich ein zentraler Punkt. Wie soll sie bewerkstelligt werden? Im Initiativtext wird über die Art der Finanzierung leider gar nichts gesagt. Wohl auch, weil man noch nicht zu viel vorgeben möchte. Diese Diskussion muss aber sehr ernsthaft und genau geführt werden, da es viele offene Fragen bei der Finanzierung zu klären gilt.

Als Soziologin beobachten Sie, wie und warum sich Gesellschaften verändern. Die Einführung eines Grundeinkom­ mens wäre der Start einer länger dau­ ernden Veränderung. Gibt es vergleich­ bare andere Prozesse? Die gibt es. Beispielsweise die Veränderung bei den Rollenbildern und Geschlechterstereoty­ pen. Wir sehen, dass diese Veränderung viel Zeit benötigt. Insbesondere die Ein­ stellungen in unseren Köpfen verändern sich nicht von heute auf morgen. Die Emanzipation der Frauen zum Beispiel und der Aufbau einer geschlechtergerech­ teren Gesellschaft sind noch immer auf der Tagesordnung, und weiterhin kämpft die feministische Bewegung dafür. Die Einführung eines Grundeinkommens wäre der Startschuss für eine langwierige Veränderung, eine Art Transformation. Aber selbst jetzt, wo wir dieses Interview führen und sich eine Gesellschaft in einem Entscheidungsprozess befindet, sind wir alle bereits Teil davon.

Die da wären? Die Frage ist, ob wir das Grundeinkommen lediglich aus Mehr­ wertsteuern finanzieren oder aus progres­

Veränderungen, die rascher vonstatten gehen, erwachsen aus Migrationsströ­ men. Die Idee des Grundeinkommens

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Sarah Schilliger, 36, Bern

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ist, dass jeder, der in der Schweiz lebt, dieses erhält. Also auch Flüchtlinge. Wie finden Sie das? Das ist eine Knack­ nuss, die unbedingt diskutiert werden muss. Denn häufig wird in Diskussionen um das Grundeinkommen nicht näher darauf eingegangen, wer alles ein Grund­ einkommen erhalten würde. Also alle rechtmässig ansässigen Menschen? Alle Staats­bürger? Oder jene, die sich dauer­ haft in einem Land aufhalten? Und was heisst dauerhaft: nach fünf, nach zwei Jahren, nach einem Jahr? Wir müssen das dis­kutieren. Auch um dem Argument von ­rechter Seite entgegenzutreten, dass ein Grundeinkommen nur den Sozialschma­ rotzer-Tourismus fördert. Ein Teil der Gesellschaft erhält ein Grundeinkommen, ein anderer nicht. Würde das nicht neue Probleme schaf­ fen? Ja. Deshalb muss die Idee des Grund­ einkommens zwingend mit der Frage der globalen Bewegungsfreiheit verbunden geführt werden – und langfristig müsste die Idee transnationalisiert werden. Wird das Grundeinkommen nur in der Schweiz eingeführt, werden mit Sicherheit Regeln aufgestellt, die Zäune zur Folge haben. Und genau das läuft der Idee eines Grund­ einkommens zuwider.

Bild: lAURENT bURST

An welchen Themen sind Sie als Sozio­ login besonders stark interessiert? Ich will Ungleichheiten und Machtverhältnis­ se aufspüren. Ausgehend von konkreten Realitäten und gesellschaftlichen Ausein­ andersetzungen versuche ich, Gesell­ schaftsprozesse zu verstehen und anders zu denken. Es ist ja nicht so, dass wir be­ reits in der besten aller möglichen Gesell­ schaften leben. Gibt es da erfolgversprechende Ideen? Soziale Bewegungen von unten, die selbst organisiert sind, die neue Wege des Zu­ sammenlebens erproben, finde ich span­ nend. Hier werden konkrete Utopien ­entworfen. Antworten auf derzeitige ge­ sellschaftliche Herausforderungen kön­ nen wir nicht am Schreibtisch erfinden, sondern nur in konkreten und alltäglichen sozialen Kämpfen. Ich bin selbst in ver­ schiedenen Bewegungszusammenhängen engagiert. Politisches Engagement und wissenschaftliche Arbeit befruchten sich dabei gegenseitig. Ich will diese Bereiche auch nicht strikt voneinander trennen. Es

braucht eine engagierte Wissenschaft, die sich einmischt. Viele Menschen sind mit dem Status quo zufrieden und wollen sich nicht weiter in gesellschaftliche Diskurse ein­ bringen. Ich glaube aber nicht, dass es einfach am fehlenden Interesse liegt, dass Menschen sich nicht politisch engagieren. Damit soziale Bewegungen entstehen, braucht es mindestens drei Dinge: Res­ sourcen, ein Kollektiv von Menschen und gemeinsame Perspektiven, die man verfol­ gen will. Ressourcen zu haben ist eine wichtige Voraussetzung, um überhaupt befähigt zu werden, sich zu engagieren. Nicht alle haben diese Ressourcen, insbe­ sondere die nötigen zeitlichen Kapazi­ täten. Viele Menschen sind ganz einfach damit beschäftigt, ihr Leben einiger­ massen im Griff zu haben. Dann braucht es ein Kollektiv, in dem man sich bewegen kann. Für die Entstehung von gesell­ schaftlichen Bewegungen sind soziale Räume und Möglichkeiten zentral, um miteinander in einen Austausch zu kom­ men. Ein Grundeinkommen könnte helfen, Zeit zu schaffen für vermehrtes Enga­ gement. Absolut. Das Grundeinkommen schafft für alle Freiräume zum Denken, Ausprobieren und Handeln. Einige haben das heute schon, aber anderen wird das verwehrt, weil sie wegen langer Ar­ beitszeiten und sozialer Verpflichtungen ­wenig Autonomie in ihrer Alltagsgestal­ tung haben. Das Grundeinkommen bietet die Möglichkeit, sich stärker entlang von eigenen Fähigkeiten und Interessen zu entwickeln. Wenn ich Lust habe, mich weiterzubilden, kann ich das tun. Wenn ich ­ lieber in der Nachbarschaft einen Gemeinschaftsgarten anlegen möchte, ­ ebenfalls.

Sarah Schilliger studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie an der Universität Zürich. Ihre Doktorarbeit handelt von Frauen aus Osteuropa, die in der Schweiz als Wander­ arbeiterinnen in der Pflege arbeiten. Heute ist sie Oberassistentin und Lehrbeauftragte am Seminar für Soziologie der Universität Basel.

Das Magazin der Reformierten Erscheint alle zwei Wochen am Freitag. bref steht in der Folge von Kirchenblatt für die reformierte Schweiz (seit 1844), Der Protestant (seit 1897), Evangelischer Presse ­dienst EPD (seit 1927) und Reformiertes Forum/Reformierte Presse (1986–2015). Herausgeberin

Reformierte Medien, Pfingstweidstrasse 10, 8005 Zürich Geschäftsführung Thomas Gehrig Anschrift

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Oliver Demont (Leitung), Andreas Bättig, Susanne Leuenberger, Heimito Nollé E-Mail-Adressen

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Dieser Text erschien in leicht abgeänderter Form erstmalig im Februar 2016 in der Zeitschrift Du.

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«Ein Vergnügen.» Tages-Anzeiger

NZZ am Sonntag

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Eine Sünde, wer GELD noch nicht gesehen hat! ER SCHON ÜB 70'000 BESUCHER

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bref Nº 8 — 2016