Gefährlicher Rausch

blickte mich an, als habe er ein UFO gesehen. Becker, ein durchtrainierter, etwas kleinerer Mann in teurem Zwirn, hatte sich leicht nach vorn gebeugt, die Fäuste ...
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Katrin Rodeit

Gefährlicher Rausch

T ö d l i c h e r R a u s c h Die Vergewaltigungsdroge GHB ist in Ulm aufgetaucht. Wer wollte ausgerechnet die Tochter des Bürgermeisteranwärters gefügig machen? Doch die Privatdetektivin Jule Flemming kämpft nicht nur mit einer verwöhnten Neureichentochter, sie stößt bei ihren Ermittlungen auch auf eine Mauer des Schweigens. Was hat der Besitzer des Jungle, Ralf Niederberger, zu verbergen? Welches Spiel treibt der Kellner Holger Brunker mit ihr? Auch Jules Bruder Sebastian scheint mehr zu wissen, als er zugibt. Und der Kriminalkommissar Mark Heilig möchte sie mit allen Finessen von ihren Ermittlungen abhalten. Dabei scheint ihm jedes Mittel recht. Was zunächst nach Routine aussieht, entwickelt sich plötzlich zu einem Mordfall. Dann wird auf Jule ein Anschlag verübt, und der Speditionssohn Fabian Weiner, Freund des GHB-Opfers und Hauptverdächtiger, löst sich scheinbar in Luft auf. Als auch Sebastian von der Bildfläche verschwindet, spitzt sich die Situation dramatisch zu. Katrin Rodeit wurde am Rande der Schwäbischen Alb in Ulm geboren und ist dort aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte sie Betriebswirtschaft an der Berufsakademie in Heidenheim und arbeitete im Vertrieb von Leasinggesellschaften, zunächst für alles, später als Spezialistin für Lkws. Mittlerweile lebt sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern in der Nähe von Ulm. Ihre freie Zeit widmet sie fast ausschließlich dem Schreiben. Besuchen Sie die Autorin auch unter: www.katrin-rodeit.de Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag: Mein wirst du sein (2013)

Katrin Rodeit

Gefährlicher Rausch

Original

Roman

Ausgewählt von Claudia Senghaas

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2014 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2014 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Herstellung: Mirjam Hecht Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung einer Vektorgrafik von: © lakalla – Fotolia.com ISBN 978-3-8392-4431-9

Vo r b e m e r k u n g Die Geschichte sowie die handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Übereinstimmung mit realen Personen ist zufällig und nicht gewollt. Die erwähnten Schauplätze in Ulm gibt es wirklich. Lediglich der Jazz-Keller sowie das Jungle sind meiner Fantasie entsprungen.

Prolog Er war dabei, ein Verbrechen zu begehen. Verdammt! Auf Zehenspitzen huschte er über den in nächtlicher Dunkelheit liegenden Parkplatz. Was passierte, wenn sie ihn erwischten? Ihm wurde kalt, als er an die Typen dachte, und er versuchte, den Gedanken beiseitezuschieben. Noch einmal wandte er den Kopf in alle Richtungen, ballte die Fäuste und kämpfte gegen die Gänsehaut und seinen flauen Magen an. Sosehr er sich bemühte, es gelang nicht. Mit zitternden Fingern löste er die Seile. Ihm war klar, dass es falsch war. Er hätte anders handeln müssen. Und er wusste, wie. Es wäre so einfach gewesen, das Richtige zu tun. Er kletterte auf den Lkw und zog die schwere Plane ein Stück zur Seite. Gerade so, dass er hindurchschlüpfen konnte. Erst jetzt wagte er es, die Taschenlampe aus der hinteren Hosentasche zu ziehen. Er deckte den Lichtschein mit der Hand ab und ließ nur einen winzigen Spalt. Er sah den Zurrgurt nicht und stolperte, fing sich aber im letzten Moment. Das Adrenalin rauschte durch seine Blutbahn, jede Faser seines Körpers drängte zur Umkehr. Noch einmal holte er Luft, dann richtete er sich auf und zwang den Strahl der Leuchte nach hinten auf den Boden. Dort musste das Versteck sein. Endlich am Ziel, hebelte er den Deckel mit einem Schraubenzieher auf. 7

Das Geräusch war nicht laut, trotzdem dröhnte es in seinen Ohren, und sein Herz setzte einen Schlag aus. Er wusste, dass er tot war, wenn sie ihn erwischten. Jetzt oder nie. Junge, reiß dich zusammen, verdammt! Seine Hände gehorchten ihm nicht, und er konnte den Deckel kaum zur Seite klappen. Einen Moment starrte er auf den Beutel, der in dem Hohlraum verborgen lag, und sein Atem beschleunigte sich. Das Plastik verhüllte den Inhalt nur unzureichend, die weißen Tabletten, wie viele mochten es sein?, waren deutlich zu erkennen. Langsam, fast ehrfürchtig nahm er die Tüte heraus und öffnete sie, um die gepresste Versuchung durch seine Finger gleiten zu lassen. Dann zuckte er zusammen. Was war das? Es hatte sich angehört wie ein Knacken. War dort draußen jemand? War er entdeckt worden? Hastig stopfte er zwei Handvoll von den Tabletten in seine Jackentaschen und löschte das Licht der Taschenlampe. Geschmeidig wie eine Katze versuchte er, zurückzugehen, und hatte doch das Gefühl, zu trampeln wie ein Elefant. Er zwang sich, die Plane zur Seite zu schieben. Die Angst fraß ihn beinahe auf. Niemand war zu sehen. Hatte ihm seine Fantasie einen Streich gespielt? Rasch schlüpfte er durch den entstandenen Spalt und ließ sich auf den Boden gleiten, zog die Kapuze seines Pullis tief ins Gesicht und verschwand im Gebüsch neben dem Parkplatz. Erst jetzt wagte er durchzuatmen. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, das sich in ein zufriedenes Grinsen 8

wandelte, als er den Inhalt seiner Jackentasche befühlte. Er hatte es geschafft! Er war in Sicherheit. Auch wenn er wusste, dass es abgrundtief falsch war.

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M o n ta g In dem unscheinbaren Mietshaus in Blaustein roch es nach Zwiebeln. Zweifellos kochte die türkische Mama in der ersten Etage für ihre vier Kinder und den Mann das Mittagessen. Ich schluckte und beschleunigte meinen Schritt in den dritten Stock. Der Geruch auf leeren Magen war kaum auszuhalten. Erleichtert atmete ich auf, als ich das Büro betrat. Am Empfang saß Anna Jost und tippte auf der Tastatur ihres Computers. Ohne den Kopf zu bewegen, hob sie die Augen über den Rand ihrer Brille, die sie an einer altmodischen Kette um den Hals trug. »Was machst du denn hier? Ich dachte, du hast Urlaub.« Sie hatte eine erotisch rauchige Stimme. Zigarren und alter Whiskey. Sie hätte perfekt in den Jazz-Keller gepasst. Gut gelaunt wie jeden Morgen thronte sie mit roter Löwenmähne hinter dem Schreibtisch und erinnerte an das mondäne Aussehen einer stilvoll alternden Sophia Loren. »Wo ist Bernd?«, fragte ich, eine Spur mürrischer, als ich beabsichtigt hatte, weil ich nicht einsehen wollte, dass mein Urlaub ein so jähes Ende gefunden hatte. »Schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Steckt mitten in einem Fall von Industriespionage.« Sie warf mir einen seltsamen Blick zu. Eine Mischung aus Mitleid und Dukannst-sowieso-nichts-ändern. Und etwas anderem, das ich nicht deuten konnte. Mir wurde flau im Magen. »Geh rein, Werner telefoniert. Der Kaffee ist auch gleich fertig.« 10

Ich seufzte, stiefelte in mein Büro und setzte mich an den leeren Schreibtisch. Die Situation hatte etwas Surreales. Der Bildschirm des Rechners hatte beleidigt die Augen geschlossen, und auch das Telefon gab keinen Ton der Begrüßung von sich. Vielleicht sollte ich nach Hause gehen. Ich starrte eine Weile auf die Schreibtischunterlage, in deren Mitte der gewellte Rand einer Kaffeetasse mit braunen Spuren prangte. Gerade als ich aufstehen wollte, polterte mein Chef zur Tür herein, in der Hand zwei dampfende Tassen, von denen er mir eine reichte. »Morgen, Jule. Hast ja doch hergefunden.« Ich schnaubte. Dass ich schon wach gewesen war, als er mich angerufen hatte, brauchte ich ihm nicht auf die Nase binden. »Geht es dir gut?« Für einen langen Moment sah er mich an, in den Augen väterliche Wärme. Ich schluckte und sah auf den Boden. »Passt schon.« Meine Stimme hörte sich rau an. »Ich hätte dich nicht angerufen, wenn es nicht wichtig gewesen wäre.« Als ich nicht antwortete, sprach er weiter. »Wir haben einen neuen Klienten: Harald Becker. Er wartet im Besprechungszimmer.« Ich zuckte mit den Schultern. Wenn er der Grund war, dass ich um die Uhrzeit hier sein musste, mochte ich ihn jetzt schon nicht. »Du kennst Harald Becker nicht?« In Werners Blick spiegelten sich Entsetzen und Fassungslosigkeit. »Komm mit, ich erkläre es dir später.« 11

Ich folgte ihm, die Kaffeetasse in der Hand, und gab mir gar nicht erst Mühe, ihn einzuholen. Eine beachtliche Leistung bei seiner Leibesfülle! »Die Sache ist ein wenig delikat«, sagte er und blickte zu mir zurück. Bevor er erklären konnte, was er meinte, hatten wir das Besprechungszimmer erreicht, und er betrat vor mir den kleinen, hellen Raum mit den bunten Drucken an der Wand und der Topfpflanze in der Ecke. Mit auf dem Rücken verschränkten Händen stand mitten im Zimmer ein Mann und sah nach draußen. Er musste uns längst gehört haben, drehte sich aber erst um, als Werner die Tür schloss. Die beiden schüttelten sich die Hand. »Jule Flemming«, stellte Werner mich mit breitem Lächeln vor. »Meine beste Privatdetektivin.« Er hatte nur eine. Ich ging auf Becker zu und streckte ihm die Hand entgegen, obwohl sich alles in mir sträubte. Er sah mich nicht einmal an. »Was soll sie hier?« Seine Stimme war leise und von unterdrückter Abneigung, die Stirn gerunzelt. Er sah an mir vorbei. »Sie wird Ihnen in Ihrem Fall behilflich sein.« Im Raum konnte man eine Stecknadel fallen hören. Und ich kam mir vor wie ein unsichtbares Gespenst. »Sind Sie verrückt? Ich arbeite nicht mit Frauen.« »Das passt mir ausgezeichnet«, schaltete ich mich ein und steckte die Hand in die Hosentasche, weil ich nicht wusste, wohin damit. »Ich arbeite auch nicht mit arroganten Schnöseln.« 12

Ich drehte mich um und ging zur Tür, würde mich nicht weiter beleidigen lassen. Nicht während meines Urlaubs. Werner stand mit offenem Mund und Augen so groß wie Untertassen im Raum, blickte von mir zu Becker und zurück. Werner streifte ein anklagender Blick. »Sehen Sie, das meine ich. Sie sind unzuverlässig, zickig und eingebildet. Und man kann sich nicht auf sie verlassen.« Sagte ein Typ, der sich die Brauen zupfte und dessen Kosmetikaverbrauch meinen weit überstieg. Im Türrahmen blieb ich stehen und drehte mich langsam um. »Was glauben Sie, wer Sie sind?« Ich erhielt keine Antwort. Weder von Werner noch von Becker. Dafür hatte ich jetzt die ungeteilte Aufmerksamkeit von beiden. Sie hätten unterschiedlicher nicht sein können. Mein Chef, groß an Statur und von beeindruckender Körperfülle, blickte mich an, als habe er ein UFO gesehen. Becker, ein durchtrainierter, etwas kleinerer Mann in teurem Zwirn, hatte sich leicht nach vorn gebeugt, die Fäuste in die Hüften gestemmt und betrachtete mich, mit zusammengekniffenen Augen. Er begann zu lachen. Immer lauter und mit einem Anflug von Hysterie. »Sie hat keine Ahnung, wer ich bin«, sagte er an Werner gewandt und schüttelte den Kopf. »Nicht wahr? Sie weiß es nicht!« »Ist mir ehrlich gesagt auch wurscht.« »Sie fragt niemand.« »Können wir uns bitte für einen Moment beruhigen?« Werner hatte seine Sprache wiedergefunden. 13

»Ich verlange Chefbehandlung. Das hat jetzt nichts mit Ihnen zu tun.« Er wedelte mit der Hand in meine Richtung, als wolle er ein lästiges Insekt verscheuchen. Umso besser, dann war ich raus aus der Nummer, und Werner durfte sich mit diesem fleischgewordenen Macho allein herumschlagen. Ich beneidete ihn nicht. Da mich niemand mehr brauchte, verließ ich den Raum und schloss die Tür hinter mir. Ich war schon fast im Büro, als Werner mich einholte und an der Schulter packte. »Komm sofort zurück!« Er sprach leise, und ich wusste, was das bedeutete. »Er wünscht Betreuung durch den Chef persönlich. Bestimmt ist sein Fall ungewöhnlich.« Ich biss die Zähne zusammen, hielt seinem Blick stand. »Außerdem möchte er nicht mit Frauen zusammenarbeiten. Was soll ich also hier? Ich habe Urlaub.« Er deutete mit dem ausgestreckten Daumen hinter sich, und ich maulte vor mich hin, als er sich umdrehte und zurückging. Das Gemecker war eher pro forma. Er wusste es, ich sowieso. »Das ist Jule Flemming«, wiederholte Werner die Vorstellung, und diesmal sah Becker mich wenigstens an. Die Hand reichte er mir nicht, und ich war versucht, ihm die Zunge herauszustrecken. »Sie wird sich um Ihren Fall kümmern.« Da war das letzte Wort noch nicht gesprochen. »Setzen wir uns«, verlangte Werner und schob uns wie zwei bockige Kinder in die Sitzecke. Noch immer hatte ich keinen Schimmer, wer Becker war. Mich interessierte, was Werner ihm gesagt hatte, dass 14