Ganz unten - Nepal Fair Step Trekking

glaubt man fast Prince Charles zu hören, dem zeitgenössische Archi- tektur ja auch ein Dorn im Auge ist. Weil Byrne das aber offen zu- gibt, folgt man ihm gerne ...
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REISE V5

FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 17. JUNI 2012, NR. 24

Ganz unten

Ist eine Frage der Perspektive: Wie zwei Nepalesen auf dem „Taschachhaus“ im Pitztal die Alpen wahrnehmen

Krishna Gopal Shresta und sein jüngerer Bruder Keshar

sien, Afghanistan und der Mongolei: „Ich wollte genauso um die Welt reisen, wie die meisten Menschen es tun, die jedes Mal ihr Leben aufs Spiel setzten.“ Im Original heißt das Buch „The Lunatic Express“ – der Zug der Wahnsinnigen, benannt nach der tausend Kilometer langen Strecke zwischen Mombasa in Kenia und Kampala in Uganda, deren Bau vor mehr als 100 Jahren viele Menschen das Leben kostete. Der deutsche Titel lautet „Frauen und Kinder zuerst! Die gefährlichsten Reisen der Welt“. Hoffman nimmt den Nachfolgeflug der abgestürzten TAM 3058 von Porto Alegre nach São Paulo und zitiert die letzten Worte der Piloten, bevor das Flugzeug von der Landebahn schlitterte und fast 200 Menschen in den Tod riss. Von Dakar in Senegal reist er auf einem Schiff, das die untergegangene „Joola“ ersetzt: Die „Joola“ war für 580 Menschen zugelassen; mehr als

Oetz Wenns Jerzens

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Kaunerberg

ÖSTERREICH Tirol

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K A

St. Leonhard

L T A

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n. Innsbruck

Imst

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David Byrne: „Bicycle Diaries. Ein Fahrrad, neun Metropolen“. S. Fischer 2011, 363 Seiten, 19,95 Euro

Magische Momente bieten die Wasserlandschaften der Schweiz. Nicht nur in der Bergwelt, sondern gerade in den Schweizer Städten. Tagsüber entspannen in der See-Badi (Badeanstalt). Abends coole Drinks genießen in der hippen Freiluftbar am Wasser.

Anreise Mit dem Zug nach Imst, dann mit dem Postbus ins Pitztal bis St. Leonhard / Mandarfen / Mittelberg oder mit dem Auto bis Mittelberg (Parkplatz Gletscherbahn), dann etwa drei Stunden zu Fuß bis zur Hütte. Nach einem Bergsturz Ende Mai wurde der ursprüngliche Zustieg geändert, das Haus ist aber gut zu erreichen. Die Übernachtung auf dem „Taschachhaus“ kostet 26 Euro (für Alpenvereinsmitglieder die Hälfte). Die Hütte ist Ausgangspunkt für den Fuldaer und den Offenbacher Höhenweg sowie für Touren auf die Wildspitze. Mehr unter www.taschachhaus.com Die Nepalhilfe Tirol (www.nepalhilfe-tirol.at) widmet sich neben der Förderung der medizinischen Versorgung Nepals auch dem Sozialwesen. Informationen zur Trekkingagentur von Krishna Shresta unter www.fairsteptrekking.com

n. Nassereith

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Carl Hoffman: „Frauen und Kinder zuerst! Die gefährlichsten Reisen der Welt“. btb 2011, 350 Seiten, 14,99 Euro

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Der Weg auf die Hütte

Ö

über den Alltag: Millionen Menschen reisen nicht zur Entspannung und Suche nach Abenteuern; sie reisen, um Handel zu treiben und ihre Familie zu ernähren. Diese Menschen werden zu Hoffmans Begleitern, Beschützern, Freunden auf Zeit und hätten mehr Bonusmeilen als jeder Vielflieger verdient. Das traurigste Kapitel ist überraschenderweise jenes über Carl Hoffmans Wiederkehr, seiner Busfahrt von Los Angeles nach Washington D. C. Hier geschieht, was Hoffman in all den fernen Ländern nicht erlebt hat. Seine Mitreisenden entäußern ihre Privatsphäre durch laute Telefongespräche über finanzielle Potenz und Teilnahme an Sexchats über das Handy. Der Busfahrer schreit Hoffman an, er könne ihn nicht ausstehen. Letztlich ist die gefährlichste Reise die zu sich selbst. eve

Für die Tasche Schreibt ein PopVeteran der 80er ein Buch darüber, wie es sich so anfühlt, durch die Metropolen dieser Welt zu radeln, denkt man ja gleich: Da ist bestimmt ein Weltverbesserer am Werk, ein Jute-statt-Plastik-Kämpfer der ersten Stunde. Oder: Der schreibt sicher vor allem über sich selbst. Stimmt beides auch ein bisschen. David Byrnes „Bicycle Diaries“ ist kein Fahrtenbuch und schon gar kein Reiseführer für Radler, sondern tatsächlich eine Art Tagebuch. Seit Ende der 90er Jahre nimmt der frühere Frontmann der Talking Heads, der heute Musiker, Filmemacher und bildender Künstler ist, sein Zweirad mit, wohin er auch reist. Und macht sich vom Sattel aus Gedanken über Städtebau im allgemeinen, die Versehrung von Siedlungen durch Schnellstraßen im Besonderen und die Irrwege moderner Architektur. Wenn er ins Lamento abrutscht, glaubt man fast Prince Charles zu hören, dem zeitgenössische Architektur ja auch ein Dorn im Auge ist. Weil Byrne das aber offen zugibt, folgt man ihm gerne zu den Orten des industriellen Niedergangs in Detroit, durch Sydneys Park mit den Riesenfledermäusen oder strampelt als Exot auf zwei Rädern die endlosen Straßen Rios entlang – meistens ist man auf dem Weg zu seinen Künstlerfreunden, „meine Freundin C.“ soll Cindy Sherman sein. Dort angekommen steigt der Autor rasch ab und räsoniert, wozu Musik gut ist oder warum Menschen Dinge tun, die ihnen schaden. Zum Beispiel Autostatt Radfahren. Vielleicht sind Byrnes Fahrraderfahrungen derart persönlich, dass sie schon fiktiv sind. Wir haben da so einen Verdacht: Berlin, schreibt er, sei ein Traum für alle Radfahrer, so zivilisiert: „Auf den Fahrradwegen parken keine Autos, und die Radfahrer fahren weder auf der Straße noch auf den Gehsteigen. . . . Warum kann es nicht auch in New York so sein?“ Und warum nicht in Berlin? eer.

1860 waren an Bord, als sie kenterte. Bei dem Schiffsunglück 2002 starben mehr Menschen als beim Untergang der „Titanic“ – Hoffman trifft einen der sieben Überlebenden. In Indien fährt er Zug mit einem ehemaligen Drogendealer und besucht ein Leichenschauhaus, in dem die täglichen Opfer der Zugunglücke obduziert werden. Hoffmans Buch ist jedoch kein reißerischer Report über Gefahr, Angst und Tod. Es ist ein Buch

sagt: „Natürlich fragt uns auch die Gemeinde, wenn sie Geld braucht. Ob wir mal ein halbes Jahr das Gehalt einer Lehrerin für die Schule übernehmen können. Die sozialen Erwartungen sind hoch. Wir sind da einfach in der Pflicht.“ Heimweh haben die beiden selten. „Auf dem Gipfel der Wildspitze habe ich mich nach Hause gesehnt“, sagt Krishna. Aber für gewöhnlich vermisse er kaum etwas von Nepal, wenn er hier ist. Schon gar nicht das Essen, „dreimal täglich Linsen Dal Bat! Im Gegenteil, wenn ich zu Hause bin, dann vermisse ich das österreichische Essen. Das Fleisch! Die Mehlspeisen!“ Natürlich denke er viel an zu Hause. Aber es sind wenig romantische Gedanken. „Ich denke immer nur: Wie kann ich das, was ich hier lerne, nach Nepal bringen? Was können wir tun, damit die Lebensumstände in Nepal besser werden? Das dreht sich endlos in meinem Kopf.“ BARBARA SCHAEFER

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Für die Tasche Reisen ist qualvoll. Und damit ist nicht gemeint, dass die Deutsche Bahn zehn Minuten zu spät kommt, sondern dass die meisten Menschen in überfüllten Zügen, Schiffen, Flugzeugen und Bussen reisen – Todesrisiko inbegriffen. Der amerikanische Journalist Carl Hoffman reiste in 159 Tagen 2008 und 2009 um die Welt, mit den gefährlichsten Transportmitteln, unter anderem in Kolumbien, Peru, Mali, Indien, Indone-

sich keine Gedanken über so etwas, erzählt er. „Sie kommen aus kleinen Dörfern, haben keine Bildung, sie wissen das nicht.“ Deshalb rede er mit seinen Trägern und Führern und mit den Touristen, damit niemand auf seinen Trekkingtouren Müll liegen lasse. „Wir in Nepal müssen noch lernen, dass die Natur nicht nur für dich da ist, sondern für alle und für alle Nachkommen.“ Es müsse sich jeder verantwortlich fühlen. „Ich kann nicht die große Politik beeinflussen, aber mein Umfeld“, sagt Krishna. Krishna und Keshar werden im Herbst reich nach Nepal zurückkehren. An Erfahrungen, aber auch schlicht mit sehr viel Geld für nepalesische Verhältnisse. „18 Geschwister“, sagt Keshar da bloß. Sie ernährten eine ganze Großfamilie, es gebe keine Sozialversicherung. „Wer gut verdient, hilft der Familie.“ Das „Taschachhaus“ initiierte ein Schulprojekt in Najing, der Heimatgemeinde der Shrestas. Krishna

Fotos Schaefer

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NEUE REISEBÜCHER

Gebetsfahnen in Tirol: Auf dem „Taschachhaus“ im Pitztal arbeiten seit einigen Jahren Nepalesen.

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schrumpfenden Taschachgletscher, und Krishna beginnt, seine Sicht auf die westliche Welt zu erklären: „Mich beeindruckt das vorausschauende Arbeiten. Nepalesen denken nur ans Jetzt. Europäer überlegen, wie man etwas verbessern kann, deswegen haben sie viele Geräte erfunden.“ Und, nun ja, die Berge seien schön, aber dann doch nicht mit dem Himalaja zu vergleichen. „Am Mount Everest bin ich einmal bis auf 815o Meter hoch gestiegen“, erzählt er. In Tirol ging er an einem freien Tag auf die 3768 Meter hohe Wildspitze, immerhin der zweithöchste Gipfel Österreichs. „Auch ein schöner Berg“, sagt er diplomatisch. Schließlich bezeichnet man dort, wo er herkommt, 5500 Meter hohe Berge, dessen Gipfel Trekkingtouristen als Aussichtspunkt für den Mount Everest erklimmen, noch immer nur als „Hügel“. Das „Taschachhaus“ kommt mit acht Angestellten aus, die sich bei

voller Auslastung um 160 Übernachtungsgäste kümmern. Die Hütte ist modern renoviert und steht mitten im Hochgebirge, sie wird hauptsächlich von Bergsteigern besucht. Die stehen um vier Uhr auf und klettern dann auf die Wildspitze oder durch eine der Nordwände am Brochkogel und an der Petersenspitze. Krishna und Keshar reisten mit Taschen voll mit Mützen, Ketten, Armbändern an; Souvenirs, die sie in der Hütte verkaufen. Keshar erzählt, die Mützen kauften sie direkt bei alten Männern, die könnten keine andere Arbeit mehr machen. Auf die Frage, ob sie auch etwas daran verdienten, lachen beide los. „Ja natürlich, das ist ein Geschäft! Aber wenn jemand fragt, sagen wir einen Preis. Und wenn er nett fragt, wird es billiger.“ Tatsächlich ist es so, dass die beiden so charmant lächeln, dass es einem schwerfällt zu handeln. Also kauft man gern eine überteuerte Kette und sieht es als erweitertes Trinkgeld. Vor fünf Jahren hat Krishna zu Hause eine Trekkingagentur gegründet, in der auch sein Bruder arbeitet. Er nennt sie „Fair Step Trekking“. Auf dem „Taschachhaus“ wird Fairtrade-Schokolade verkauft, Krishna ließ sich erklären, was es damit auf sich hat. Und er erkannte: „Trekkingtourismus in Nepal ist nicht ,fair‘. Die Träger verdienen nur gerade so viel, dass sie davon leben können. Sie müssten aber sparen, um etwas aus ihrem Leben zu machen.“ Zudem arbeiteten viele weiter, wenn sie krank sind, aus Angst, den Job zu verlieren. Die Konkurrenz der Trekkingagenturen sei groß und der Träger das schwächste Glied in der Kette. „Wir bezahlen unsere Leute fair. Das macht unsere Reisen etwas teurer, anders geht es nicht. Die Gäste wollen einen billigen Urlaub, aber die Arbeit im Hochgebirge Nepals ist schwere körperliche Arbeit.“ Auch sein Umweltbewusstsein habe er in Österreich entwickelt. Die Menschen in Nepal machten

Feichten Rifflsee

Sölden

Mittelberg

Mittagskogel TaschachGepatsch- haus 2434 m 3159 m stausee Wildspitze 3497 m

3768 m

n. Meran

Eder, „sie wollte sich zum Kartoffelschälen in der Küche auf den Boden setzen – wie sie es eben von zu Hause kannte.“ Die Nepalesen bekommen Kost und Logis frei, ihre Flüge bezahlen die Hüttenwirte. Das habe sich in Nepal herumgesprochen, sagt Eder. Mittlerweile gebe es Wartelisten mit Hunderten von Bewerbern. Auf der Terrasse wehen bunte Gebetsfahnen, die die Brüder mitgebracht und „an einem guten Tag im Sinne des Buddhismus“ aufgehängt haben. Wir blicken auf den

U N E R T A L

„Passt scho“, sagt Krishna, nimmt das Geschirr und lässt den leicht irritierten Hüttengast, der gefragt hatte, wo er seinen gebrauchten Teller hinstellen soll, auf der Terrasse des „Taschachhauses“ zurück. Krishna Gopal Shresta spricht neben Nepali, Englisch und Deutsch mittlerweile auch ein wenig Tirolerisch. Das liegt daran, dass der 35-Jährige zusammen mit seinem Bruder Keshar bereits den fünften Sommer im Tiroler Pitztal verbringt, auf der Hütte in 2434 Meter Höhe. Sie schauen strahlend in die Landschaft, und Keshar sagt: „Nach Österreich zu kommen war ein Traum von mir.“ Nicht wegen der schönen Landschaft, sondern weil sie hier in einem Monat 1300 Euro verdienen, das entspricht einem guten Jahresverdienst in Nepal. „Die Nepalesen sind hochqualifizierte Arbeitskräfte“, sagt Hüttenwirt Christoph Eder. Am Anfang der Saison müssen Wege auf 3000 Meter Höhe instand gesetzt werden, eine mühsame Arbeit. „In der Höhe zu arbeiten kann niemand so gut wie sie“, sagt Eder. Schließlich liege das Dorf Najing, in dem die beiden geboren sind, auf 2200 Metern und damit fast so hoch wie das „Taschachhaus“. Zu verdanken haben Krishna und Keshar das, so wie rund fünfzig weitere Nepalesen, die auf österreichischen Berghütten arbeiten, der Nepalhilfe Tirol und im Pitztal dem Engagement einzelner Hüttenwirte. Eder und seine Frau Barbara Klingseis waren als Bergsteiger oft in Nepal. „Wir haben da unseren Spaß, aber die Nepalesen leben in nicht akzeptablen Zuständen“, sagt Eder. Fast die Hälfte der knapp 30 Millionen Nepalesen sind Analphabeten. Abseits der Touristenströme wohnten Familien in Häusern mit Plastikfolien vor den Fenstern „bei minus 20 Grad“. So entstand die Idee, Nepalesen im Sommer in die Alpen zu holen. „Am Anfang hatten wir für einen Sommer eine junge Nepalesin bei uns“, erinnert sich

Hochgurgl Obergurgl Schalfkogl

Vent HochvernagtRofen spitze

Weißkugel Weißkugel 3739m 10 km

Similaun

3537 m

3602m

ITALIEN

F.A.Z.-Karte sie.

Allgemeine Information zu Ferien und Aktivitäten in Tirol finden sich im Netz unter www.tirol.at.