Gambler-Circus

Knistern in den Wänden und das leise Knacken der Lüftung. Er erkannte die Unterschiede zur. Gambler-Circus sofort, obwohl er noch nicht richtig munter war ...
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Susanne Gavénis

GAMBLER-ZYKLUS Band 2 Countdown Science Fiction © 2012 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2012 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Uwe Schaaf, www.augensound.de/profil/mops Printed in Germany ISBN 978-3-86254-435-6 AAVAA Verlag www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Dieser Roman wurde bewusst so belassen, wie ihn die Autorin geschaffen hat, und spiegelt deren originale Ausdruckskraft und Fantasie wider

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1. Kapitel Müde von der Reise, dem Test und der Besprechung kehrte Danny in seine Kabine zurück, hielt sich aber noch so lange wach, bis er einen Blick auf alle frei zugänglichen Karten der Station geworfen hatte, schließlich konnte es nicht schaden, wenn er sich dort ohne Mühe orientieren konnte. Danach wies er den Computer an, ihn rechtzeitig am nächsten Morgen zu wecken, und ging schlafen. Ein tiefer, traumloser Schlaf umfing ihn, kaum dass er sich in seinem Bett ausgestreckt hatte. Er erwachte noch vor dem Weckruf des Computers, wenn auch sein Bewusstsein nur langsam aus dem schlaftrunkenen Zustand auftauchte. Trotzdem sickerten die Geräusche der Station in seine Wahrnehmung, noch bevor er die Augen geöffnet hatte - das unterschwellige Vibrieren, das auf der Erdorbitalstation allgegenwärtig war, das Knistern in den Wänden und das leise Knacken der Lüftung. Er erkannte die Unterschiede zur Gambler-Circus sofort, obwohl er noch nicht richtig munter war, und sie brachten die Erinnerung mit

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der Macht eines Blitzschlags in seine Aufmerksamkeit zurück. Von einer Sekunde zur anderen war er hellwach, fuhr mit klopfendem Herzen in seinem Bett auf und ließ in kurzen Sequenzen die Erlebnisse des gestrigen Tages Revue passieren. Bilder, Stimmungen, gesprochene Sätze und Worte, die zwischen den Zeilen verborgen geblieben waren, huschten durch seinen Kopf, vergegenwärtigten ihm von Neuem die Ankunft auf der Station, das Gespräch mit Captain Wilding, den Test, das Ankleiden und die Einsatzbesprechung. Einiges (wenn er ehrlich war, sogar vieles) war nicht so gut gelaufen, wie er es sich gewünscht hätte; lediglich Mady war ein echter Lichtblick gewesen. Sie war hübsch und nett, und sie versuchte wenigstens, ihre Handlungen nicht von ihren Vorbehalten bestimmen zu lassen. Natürlich war sie überrascht und verunsichert gewesen, aber sie war sicher auch noch keinem Gambler begegnet, also war ihre Reaktion nur verständlich, vor allem wenn man bedachte, wie groß die Unterschiede zu gewöhnlichen Menschen tatsächlich zu sein schienen. Er hoffte sehr, dass auch die 4

anderen, mit denen er im Laufe der nächsten Zeit zusammenarbeiten musste, Madys Einstellung zu ihm übernahmen. Er würde es zwar auch ertragen, falls sie es nicht täten, aber es wäre doch unschön, nur ablehnende Blicke zu erfahren. Andererseits war er das von der Gambler-Circus her gewöhnt; besonders die letzte Woche hatte ihn abgehärtet. Mit einem leisen Seufzer wies er den Computer an, Licht zu machen, zog sich aus dem Bett, tappte in das kleine Bad, das zu seiner Kabine gehörte, und wusch sich. Danach streifte er mit einem tiefen Schmunzeln die Unterwäsche über, die er gestern beim Einkleiden erhalten hatte. Offenbar nahm man es mit der Uniformität auf der Erdorbitalstation sehr genau. Anschließend ging er zum Schrank hinüber, öffnete ihn und fuhr mit einer Hand über den Stoff der Uniformen, die er sorgsam darin verstaut hatte. Man hatte ihm zwei hellgraue und zwei blaue Uniformen gegeben. Gestern Abend hatte er eine graue getragen, da es die Farbe war, die er am häufigsten auf der Station gesehen hatte, doch im Verlauf der Besprechung hatte er bemerkt, dass 5

alle Piloten, die Captain Wilding ansprach, blaue Uniformen trugen, deshalb wäre das im Grunde auch für ihn die angemessene Bekleidung. Trotzdem hatte er ein seltsames Gefühl dabei, als er eine der blauen Uniformen überstreifte und die Identifikationsplakette an einer Seite des Kragens, das Rangabzeichen an der anderen befestigte. Er war jetzt zwar offiziell ein Pilot der Erdflotte, aber er konnte nicht umhin, daran zu denken, wie unterschiedlich sein Weg von dem derjenigen gewesen war, die ebenfalls Blau trugen. Das war eine Kluft, die von der identischen Kleidung nicht überdeckt und schon gar nicht ausgeglichen werden konnte. Die anderen, allen voran Lieutenant Thornsburg, würden sich stets daran erinnern, und er selbst ebenfalls. Nachdem er sich vollständig angekleidet und sein Erscheinungsbild gewissenhaft überprüft hatte, verließ er sein Quartier. Zwar zeigte das Chronometer an, dass er bis zum Beginn des Trainings noch gute zwei Stunden Zeit hatte, aber er hatte nicht vor, sie in der Abgeschiedenheit seiner Kabine zu verbringen. Es war wichtig, dass er sich auf der Station umsah, die Soldaten beobachtete 6

und so viel wie möglich lernte, damit er jeden zusätzlichen Reibungspunkt vermeiden konnte. Auf der Gambler-Circus hatte er zuletzt wenig darauf gegeben, Streit aus dem Weg zu gehen, aber dort war ihm sein Platz im Grunde gleichgültig gewesen. Hier war das anders. Auf dem Korridor schlug er den Weg zur nächsten Messe ein, zögerte aber, als er an Madys Kabinentür vorbeikam. Er überlegte kurz, ob er sie fragen sollte, ob sie ihn begleiten mochte, denn von ihr könnte er bestimmt noch eine Menge über die Gepflogenheiten auf der Station erfahren, und es wäre sicher auch nett gewesen, beim Frühstück nicht allein zu bleiben, aber er sah davon ab. Er hatte Mady und den anderen ihres Teams gestern Abend die Anstrengung des Trainings deutlich angemerkt, deshalb war anzunehmen, dass sie noch schlief, und er wollte sie nicht stören. Seine Fragen konnten warten, außerdem würden sich die meisten ohnehin von selbst klären. In der Messe bestätigten sich seine Gedanken. Er fand kein einziges bekanntes Gesicht, da die einen noch im Simulator trainierten und die Mitglieder der drei übrigen Teams wohl noch schliefen. Ins7

gesamt war der Speisesaal nur mäßig besetzt. Danny suchte sich einen Platz in der hinteren Ecke des Raums, von wo aus er alles gut im Blick behalten konnte. Er achtete darauf, ob die Männer und Frauen in der Messe ihm ein besonderes Interesse entgegenbrachten, aber das war nicht der Fall. Vermutlich wussten sie nicht, wer er war, und im Grunde war ihm das auch ganz recht so. Während er sein Frühstück zu sich nahm, musste er plötzlich an die Gambler-Circus denken. Heute war der erste Morgen, an dem er nicht zusammen mit seinen Eltern frühstückte. Natürlich waren sie auch auf der Journey nicht bei ihm gewesen, aber auf der Reise war ihm das nicht aufgefallen. Nun wurde ihm jedoch schlagartig bewusst, dass er vielleicht nie wieder mit seinem Vater und seiner Mutter im Speisesaal der Gambler-Circus sitzen würde. Ein Anflug von Heimweh überkam ihn. Natürlich bereute er seine Entscheidung nicht, aber es war doch auch seltsam, nur fremde Gesichter ringsum zu sehen, nicht die vertrauten Gesprächsfetzen zu hören und keine stummen, verständigen Blicke mit seinem Vater tauschen zu können. Alle 8

üblichen Routinen waren fort, und erst jetzt fiel ihm auf, dass er sie überhaupt besessen hatte. Kopfschüttelnd setzte er sein Mahl fort. Er würde sich sicher schnell neue Routinen zulegen, und was die fremden Gesichter anging, erledigte sich das Problem auch sehr bald. Wenn morgen früh wieder die gleichen Männer und Frauen in der Messe erschienen, würde er sie wiedererkennen, und damit waren sie nicht mehr gänzlich fremd. Er schüttelte ein weiteres Mal den Kopf, verärgert über diesen dummen, wenig rationalen Gedanken, und wünschte, er wäre nicht so früh aufgewacht, hätte seine Kabine später verlassen und wäre in der Messe auf Mady getroffen. Auf der Gambler-Circus hatte es ihm nichts ausgemacht, die Mahlzeiten am Tisch seiner Eltern im Schweigen zu verbringen, doch er spürte genau, dass er das auf der Erdorbitalstation nicht fortsetzen wollte. Es blieb allerdings abzuwarten, ob er die Möglichkeit erhielt, daran etwas zu ändern. Danny zog sein Frühstück absichtlich in die Länge, doch als er schließlich aufstand, war bis zum Beginn des Trainings um 8.00 noch immer eine Stunde Zeit. Er beschloss, den Trainingsraum 9

trotzdem aufzusuchen. Da sich das vierte Team derzeit dort aufhielt, war der Raum auf jeden Fall besetzt, und er könnte die anderen beim Üben beobachten, noch bevor er selbst in den Simulator steigen musste. Das wäre sicherlich sinnvoll, wenn er seine eigenen Leistungen verbessern wollte. Er verließ den Speisesaal und fuhr in das Stockwerk 40D hinunter. Obwohl er den Weg zum Simulatorraum erst einmal gegangen war, fand er ihn sofort wieder. Er war ihm längst vertraut. Normalerweise hätte er sich nichts dabei gedacht, doch heute versuchte er, sich in die Möglichkeiten normaler Menschen hineinzudenken, und das hieß, sich vorzustellen, wie es wäre, nicht von dem einmaligen Anblick einer Karte ableiten zu können, welchen Weg man gehen konnte und sich nicht nach einem Mal genau daran erinnern zu können. Es gelang ihm nicht. Die Vorstellung war ihm einfach zu fremd. Mit einem Schulterzucken gab er es auf, nahm sich jedoch vor, es später noch einmal zu versuchen.

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Als er vor dem Schott zum Simulatorraum ankam, blinkte über der Tür ein rotes Licht, was bedeutete, dass der Simulator in Betrieb war. Er blieb stehen und wartete, bis es erlosch, erst danach betrat er den Raum. Der Geräuschorkan, der eben noch den Raum erfüllt haben musste, war noch nicht gänzlich verklungen. Sein Echo hallte von den glatten Wänden wider, bis es sich im Summen der Maschinen verlor, die langsam heruntergefahren wurden. Die fünf Kapseln kamen gerade erst in ihrer Ausgangsstellung zur Ruhe. Über ihnen waberte die heiße Luft, und ein Hauch davon strich auch über seine Wangen, bevor sie in den Sog der Ventilation geriet, verwirbelt und abgesogen wurde. Ein Blick zeigte ihm, dass sich die Hälfte des Teams in der gläsernen Kabine aufhielt. Drei von ihnen waren bereits auf ihn aufmerksam geworden und sahen zu ihm herüber, der Vierte blickte auf, als ihn einer der anderen anstieß, und die Frau in der blauen Uniform hob nur eine Sekunde später den Kopf. Zuvor hatten sich ihre Lippen bewegt, nun aber legten sie sich stumm aufeinander. Es dauerte fast drei Sekunden, bis sie ihre 11

Augen wieder von ihm nahm und sich wieder dem Gespräch über die Bordkommunikation zuwandte, das sie zuvor geführt hatte. Danny vermutete, dass sie den Männern und Frauen im Simulator neue Anweisungen erteilte, und beeilte sich, die gläserne Kabine aufzusuchen, damit er den Fortgang des Trainings nicht behinderte. Schweigen empfing ihn. Es mochte daher rühren, dass die Teamführerin noch immer mit den Soldaten im Simulator sprach, aber er sah die Blicke der anderen und wusste es besser. Tief in ihm regte sich eine Flamme des Zorns, aber er unterdrückte sie, bevor sie Raum in ihm gewann. Als die Teamführerin ihr Gespräch beendet hatte, richtete sie sich auf und sah ebenfalls zu ihm herüber. Danny nahm sofort das Namensschild auf ihrer Uniform wahr. Lieutenant Tannen stand vor ihm. Er salutierte. „Fähnrich Sims meldet sich zum Training zur Stelle“, erklärte er und hoffte inständig, dass seine Stimme in den Ohren der anderen nicht so heiser klang wie in seinen eigenen. Lieutenant Tannen winkte ab. „Lieutenant Thornsburg ist Ihr Teamführer, nicht ich. Wenn 12

Sie strammstehen und salutieren wollen, warten Sie auf ihn.“ Danny spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. „Aye, Lieutenant.“ Sie musterte ihn eindringlich. „Das war kein Befehl, Mr. Sims. Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, welche Stellung Sie im hierarchischen System der Erdflotte einnehmen, deshalb überlasse ich es denen, die Captain Wilding zu Ihren direkten Vorgesetzten erklärt hat, Ihnen Anweisungen zu erteilen.“ Danny strich unwillkürlich über den dreistrahligen Stern an seinem Kragen. „Ich bin ein Fähnrich.“ „So sagt es Ihr Abzeichen, aber ...“, Lieutenant Tannen unterbrach sich und zuckte mit den Schultern. Danny konnte sich denken, was sie hatte sagen wollen. „Wäre es Ihnen lieber, wenn ich wieder gehe?“ Die Stille wurde plötzlich noch tiefer, und die Blicke der vier Teammitglieder gingen zwischen ihm und Lieutenant Tannen hin und her. Auch sie sah

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es, wie ihre Augen verrieten, straffte ihre Gestalt und versuchte ein Lächeln. „Das ist nicht nötig, Fähnrich Sims. Bleiben Sie, wenn Sie möchten, und sehen Sie zu. Die Simulation, die gleich beginnen wird, ist die Letzte, die wir in dieser Schicht durchführen werden.“ „Danke, Lieutenant.“ Danny setzte sich und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Monitore, die das Pult vor der gläsernen Wand übersäten. Vor jedem der insgesamt zehn Sitzplätze war der gleiche Satz Bildschirme angebracht; fünf zeigten die Kanzeln in Innenansicht, ein Sechster stellte eine taktische Darstellung des Zielgebiets dar, ein Siebter das virtuelle Schiff in Nahaufnahme, sodass man einzelne Bewegungen der Geschütze sehr genau erkennen konnte, und ein Achter schließlich die Manöver, wie sie sich im All ausgenommen hätten. Lieutenant Tannen ließ die Männer und Frauen im Simulator mit der Mission beginnen. Während vor der Glasscheibe der ohrenbetäubende Lärm wieder losbrach, breitete sich in der Kabine erneut eine grabesähnliche Stille aus. Danny spürte das 14

Vibrieren des Simulators, das durch die schalldichten Wände nicht abgeschirmt werden konnte und einen Eindruck von den Energien vermittelte, die im Inneren der Maschinen tosten, aber er schob die Wahrnehmung beiseite und konzentrierte sich völlig auf die Simulation. Vor allem die taktische Darstellung und den Schirm, auf dem er die Flugmanöver verfolgen konnte, behielt er gespannt im Blick. Er beobachtete und analysierte die Fähigkeiten des Piloten und verglich sie mit seinen eigenen. Der Lieutenant in der Pilotenkapsel war deutlich langsamer, als er selbst es gewesen wäre, und schaffte es nur selten, die Freiheit, die ein Flug in allen drei Raumdimensionen gewährte, voll auszunutzen. Oftmals wirkte sein Vorgehen planlos und wenig vorausschauend; vermutlich sah er die Möglichkeiten, die sich ihm boten, nicht einmal. Danny prägte sich jedes Detail ein, begutachtete auch die Geschützmänner, merkte sich ihre Reaktionszeiten und nahm sich vor, besonders sorgsam auf die seiner eigenen Kanoniere zu achten. Sie waren es schließlich, auf die er sich einstellen musste. 15