Fiktionen der Standardökonomie - Humane Wirtschaft

Falk ) schlägt bei- spielsweise .... Kapitel 2. 5) Falk, Armin, 2001: „Homo Oeconomicus vs. ... 9) Schumacher, Ernst Friedrich, 1977: „Small is beautiful“, Reinbek.
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HOMO OECONOMICUS

Homo Oeconomicus

Eine Fiktion der Standardökonomie

Wer Wirtschaft verstehen und steuern will muss eines klar wissen: Wie handeln die Menschen, für die Wirtschaft konstruiert wird? Das Menschenbild der Wirtschaftswissenschaften wandelt sich. Das ist dringend nötig. Denn neuere Erkenntnisse der experimentellen Ökonomik und der Neuroökonomie zeigen: Der Mensch ist nicht die Nutzenmaximierungsmaschine, für die er bislang gehalten wurde. Der Homo Oeconomicus stirbt aus – oder vielleicht löst sich auch nur das Bild über uns selbst auf. Von Norbert Rost

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er Mensch in der Wirtschaft, das war bislang ein eigeninteressiert und rational handelndes, seinen eigenen Nutzen maximierendes, auf Restriktionen reagierendes und über vollständige Informationen verfügendes Individuum. Dieses Modell menschlichen Handelns vereinfacht die ökonomische Welt und erlaubt die Übertragung mechanischer und mathematischer Methoden in die Wirtschaftswissenschaft. Studierende der Wirtschaftswissenschaften kennen die Zuneigung einzelner Teilbereiche zu Formeln und Kurven sehr genau, die mathematische Präzision und Vorhersagbarkeit suggieren. Wäre die Welt so simpel, wie es das klassische und neoklassische Menschenbild glaubt, gäbe es sicherlich keine Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrisen mehr, denn sie wären allesamt mathematisch korrekt vorhersagbar und entsprechend verhinderbar. Die Existenz großer ökonomischer Probleme läßt jedoch vermuten, daß das Menschenbild vom Homo Oeconomicus nicht dazu beiträgt, ökonomische Probleme angemessen zu erklären. Fritjof Capra übt in seinem Buch „Wendezeit“ grundsätzliche Kritik: „Die heutige Wirtschaftswissenschaft ist charakterisiert durch die für die meisten Sozialwissen-

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schaften typische zusammenhanglose und reduktionistische Methodik.“ Wirtschaft sei, so Capra, „nur ein Aspekt eines umfassenden ökologischen und gesellschaftlichen Gewebes [...] ein lebendiges System aus Menschen, die in ständiger Interaktion miteinander [...] sind.“1) Er fordert: „Auf der fundamentalsten Ebene muß die Neuformulierung ökonomischer Vorstellungen und Modelle sich mit dem zugrundeliegenden Wertsystem befassen und es im kulturellen Gesamtzusammenhang sehen.“2) Menschenbilder in der Ökonomie stellen einerseits der Versuch einer Beschreibung des menschlichen Handelns dar, andererseits fungieren sie als Leitbild. Denn wir Menschen neigen dazu, uns an anderen Menschen und den Bildern, die wir von ihnen haben, zu orientieren. In dieser Funktion wirkt ein Menschenbild also auf das Selbstverständnis des Individuums zurück und dadurch auf das Gesamtverhalten einer Gesellschaft. Es ist normativ, also verhaltenslenkend, teilweise selbsterfüllend. Bezogen auf den Homo Oeconomicus kann gerade dies fatal sein. Nehmen wir an, Menschen seien alles andere als eigennutzorientiert, aber das ökonomische Menschenwww.humane-wirtschaft.de – 01/2009

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bild suggiert, Eigennutz sei etwas Menscheneigenes. So orientiert sich menschliches Handeln an dem Abbild von sich selbst. Bernd Siebenhühner verweist auf mehrere Studien, nach denen Studierende der Wirtschaftswissenschaften nach ihrem Studium weitaus eigennütziger agierten, als Studierende anderer Fachbereiche3). Hier kann eine Rückkopplung des Menschenbildes auf den Menschen selbst vermutet werden. Andererseits liegt hier ein Werkzeug vor, mit dem die menschliche Gesellschaft auf sich selbst einwirken kann – indem sie Leitbilder gestaltet, an denen sie sich orientiert und sich damit selbst formt.

Evolution der Ökonomie am Beispiel der Experimentellen Ökonomie Die Wirtschaftswissenschaften unterliegen, wie andere Fachbereiche auch, einer ständigen Weiterentwicklung. In neueren Zweigen der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung werden beispielsweise ökonomische Sichtweisen mit Herangehensweisen aus der Psychologie und Medizin sowie der Spieltheorie kombiniert. Die Ergebnisse dieser Arbeit haben großen Einfluss auf das Menschenbild der Wirtschaftswissenschaften.

Ultimatumspiel & Reziprozität Ein Beispiel ist die Erforschung menschlichen Verhaltens in Experimenten. Das Ultimatumspiel ist eines der einfachsten und bekanntesten dieser Experimente. Die Regeln des Ultimatumsspiels sehen einen Geldgeber vor, der 100 Geldeinheiten einer Person A gibt. Person A kann von dieser Summe beliebig viele Geldeinheiten an eine Person B abgeben. Person B kann das Angebot des A entweder annehmen oder ablehnen. Nimmt Person B das Geld an, was A ihm überläßt, so dürfen beide ihre jeweiligen Anteile behalten. Lehnt Person B das Angebot des A jedoch ab (beispielsweise weil es ihm zu niedrig erscheint), so gehen die 100 Geldeinheiten wieder komplett zurück in die Hände des Geldgebers und weder A noch B erhalten etwas davon. www.humane-wirtschaft.de – 01/2009

Würden sich zwei Menschen in diesem Spiel treffen, die strikt nach dem Bild des Homo Oeconomicus handeln, stünde das Ergebnis des Spieles fest: Der Mensch in der Rolle des A würde genau eine einzelne Geldeinheit abgeben. Mehr abzugeben würde keinen Sinn machen, denn er darf fest davon ausgehen, dass der Mensch in der Rolle des B dieses Angebot annehmen würde: 1 Geldeinheit zu erhalten ist immer noch besser als nichts zu erhalten – was im Falle der Ablehnung dieses Angebots passieren würde. Im Ergebnis würde A 99 Geldeinheiten haben und B 1 Geldeinheit. Die Ergebnisse des Ultimatumspiels sehen jedoch regelmäßig anders aus. Gibt A weniger als 20% bis 30% der Summe ab, lehnen die meisten Menschen in der Rolle des B dieses Angebot als zu niedrig ab. Sie verzichten also auf wenig, um die Unfairness von A zu ahnden. Daraus wird geschlossen, dass Menschen eine Unfairness-Aversion haben (also unfairem Verhalten ablehnend gegenüber stehen) – ein Phänomen, welches im Weltbild des Homo Oeconomicus gar nicht vorkommt und aus seiner Sicht völlig irrational ist. (In den meisten Fällen geben die Probanden in der Rolle des A etwa 30% bis 50% der Geldsumme an Spieler B ab.)4) Diese und weitere Experimente bringen uns zu dem Schluss: Bei zwischenmenschlichen ökonomischen Aktivitäten gilt statt strengem Eigennutz eher das Prinzip der Reziprozität. Menschen agieren nach dem Schema: „Wie du mir, so ich dir.“

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Aus dem Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) leiten sich mögliche andere Menschenbilder ab. Falk5) schlägt beispielsweise das Menschenbild des homo reciprocans vor. Die strikte Anwendung des Prinzips der Reziprozität führt jedoch nicht immer zu Situationen, die für die teilnehmenden Menschen zufriedenstellend sein können. Reziprozität beinhaltet die Tendenz zur Eskalation. Im Fall, dass zwei sture, dickköpfige und sich gegenseitig bestrafende Menschen aufeinandertreffen, kann es zur Eskalation in Konflikten münden. Im Fall kooperativen Verhaltens beider Menschen ist jedoch auch eine Eskalation im positiven Sinne möglich, nämlich eine, die zur engen Kooperation beider Akteure führt.

Nach diesem Menschenbild steht beim menschlichen Fühlen und Handeln der kooperative Gedanke im Vordergrund. Es basiert auf der Erfahrung von Sympathie zwischen uns Menschen und der sich daraus ergebenden gegenseitigen Hilfe sowie der Ablehnung der Herrschaft des Menschen über den Menschen mittels autoritärer Systeme. Nicht zentralistische Strukturen und autoritäre Anordnungen erfüllen das menschliche und gesellschaftliche Leben, sondern vor allem die Aktivitäten des Individuums auf lokaler Ebene im eigenen Umfeld. Und für die Ergebnisse seines Handelns trägt das Individuum entsprechende Verantwortung. Auf Kropotkin hatten diese Gedanken grundlegenden Einfluss bei der Formulierung seiner Theorie des Anarchismus.

Die Evolution der Kooperation

Wo bleibt der Homo Oeconomicus? Die Erkenntnisse neuer Zweige der Wirtschaftswissenschaften zeigen: Menschen nehmen unfaires Verhalten persönlich. Es werden Belohnungszentren im Gehirn aktiv, wenn man Normverletzer bestraft. Und Menschen bestrafen sogar, wenn es sie selbst etwas kostet. Das Verhalten eines reinen Homo Oeconomicus gilt nach diesen Ergebnissen als Ausnahme. Dies stellt die Frage nach Menschenbildern in den Raum, die besser geeignet sind als der „homo oeconomicus“, menschliches Verhalten zu beschreiben und die unter Einbeziehung der normativen Wirkung von Leitbildern gestaltet sind. Schräder konzipiert aufbauend auf Kropotkins Ideen der gegenseitigen Hilfe und dem Prinzip der Selbstverantwortung das Bild des „Homo Cooperativus“.6)

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Kooperation spielt im gesellschaftlichen Leben, von dem die Wirtschaft ein bedeutender Teil ist, eine sehr viel größere Rolle, als dies durch die häufigen Verweise auf Wettbewerb und Konkurrenz oftmals wahrgenommen wird7). So funktioniert beispielsweise jedes Unternehmen nur deshalb, weil die Mitarbeiter miteinander kooperieren. Würden Mitarbeiter eines Unternehmens untereinander in purer Konkurrenz stehen, so wäre eine zielorientierte Zusammenarbeit unmöglich. Auch zwischen Unternehmen ist Kooperation ein mächtiger Faktor, sind doch beispielsweise weiterverarbeitende Betriebe auf zuverlässige Lieferanten angewiesen, genauso wie die Lieferanten auf einer zeitnahen Bezahlung ihrer Leistung durch ihren Geschäftspartner angewiesen sind. Man kann sogar soweit gehen, Wirtschaft als symbiotisches System aufzufassen: Alles, was wirtschaftlich entsteht, ist das Ergebnis einer teilweise bewußt, teilweise unbewußt betriebenen Zusammenarbeit. Eine besondere Untersuchung der Entwicklung von Kooperation hat in den 1970er Jahren der Mathematiker und Politikwissenschaftler Robert Axelrod durchgeführt8). Ihn interessierte die Frage, wie Kooperation entsteht und wie stabil/robust unterschiedliche Kooperationsstrategien in einem ökologischen System sind. Dazu konzipierte er aufbauend auf dem Gefangenendilemma eine spieltheoretische Situation. Er lud verschiedene Programmierer zu einem Programmierwettbewerb ein. Sie waren aufgefordert, Kooperationsstrategien zu entwickeln und in Form kleiner Softwareprogramme einzureichen. Jedes Softwareprogramm legte also ein bestimmtes Verhalten/eine bestimmte Strategie an den Tag, und ist deshalb vergleichbar mit einem Individuum, welches kooperativ oder nichtkooperativ handeln kann. Alle Programmierer setzten für ihr jeweils eigenes Softwareprogramm unterschiedliche Strategien ein, von denen die einfachsten die folgenden sind: www.humane-wirtschaft.de – 01/2009

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• immer kooperieren: egal mit welchem anderen Softwareprogramm eine Software konfrontiert ist, sie kooperiert immer. • immer defektieren (Defektion = Nicht-Kooperation): egal mit welchem anderen Softwareprogramm eine Software konfrontiert ist, sie kooperiert nie. Andere Strategien waren komplexer, indem sie z.B. manchmal kooperierten und manchmal eben nicht. Axelrod ließ diese in Softwareprogramme gegossene Strategien nun miteinander/gegeneinander im Computer antreten, indem immer zwei Programme gleichzeitig wie in einem Spiel interagierten. In jedem Zug hatte jede Strategie die Möglichkeit, mit ihrem Gegenüber zu kooperieren oder zu defektieren. Die Spielregeln sahen die Verteilung folgender Punkte vor:

Axelrod ließ die Strategien jeweils paarweise gegeneinander über mehrere Züge antreten und wertete die Punkte am Ende der Runde aus. Die Strategien, die in einer Runde die meisten Punkte erhielten, wurden in der darauffolgenden Runde mehrfach eingesetzt, während die Strategien mit der geringsten Punktezahl „ausgestorben“ sind, indem sie nicht weiter mitspielen durften. Durch diesen evolutionären Ansatz kristallisierte sich im Laufe des Spieles heraus, welche Strategien in der gegebenen Spielsituation sich am besten bewährten und es wurde deutlich: Strategien, die sich auf Kooperation konzentrierten, waren erfolgreicher! Von den 14 Strategien, die in Form von Softwareprogrammen eingereicht wurden, war eine ganz besonders erfolgreich: „Tit for Tat“, auf deutsch: „Wie du mir, so ich dir“. „Tit for Tat“ ist so einfach gebaut, dass sie auch im realen Leben leicht nachzuahmen ist. Sie kooperiert immer im ersten Zug und macht dann genau das, was der Mitspieler im vorhergehenden Zug getan hat. Stößt „Tit for Tat“ also auf einen „Homo Oeconomicus“, so lernt sie aufgrund dessen Defektion im ersten Zug, dass er ein unfreundlicher, unkooperativer Zeitgenosse ist und reagiert, indem der Rest der Runde ebenfalls defektiert wird. Somit läßt sich „Tit for Tat“ nicht ausbeuten. Trifft „Tit for Tat“ auf eine andere kooperierende Strategie oder gar auf ihresgleichen, so kassiert sie in jedem Zug 3 Punkte, da beide Strategien miteinander statt gegeneinander spielen. 8)

Ein Homo Oeconomicus würde in dieser Situation immer defektieren und nie kooperieren, da er sicher sein könnte, in jedem Zug garantiert einen Punkt zu bekommen oder gar 5 Punkte, falls er auf einen „Dummen“ trifft, der in dem Zug kooperiert. Würde ein Homo Oeconomicus in der konstruierten Spielsituation kooperieren, so liefe er Gefahr, 0 Punkte zu bekommen, wenn sein Mitspieler defektiert, und er würde seine Höchstpunktzahl auf 3 Punkte begrenzen, die er nur erhält, wenn auch sein Gegenüber kooperiert. Würden also zwei Homo Oeconomicusse aufeinandertreffen, so wäre der Ausgang des Spieles klar: In jeder Spielrunde würden beide defektieren, also beide jeweils einen Punkt erhalten. Bei Betrachtung der Spielregeln wird aber deutlich, dass 2 Spieler viel mehr Punkte bekommen können, wenn sie beide kooperieren. In diesem Fall würden sie zwar nicht den Maximalwert von 5 Punkten pro Zug bekommen, aber sie bekämen bei jedem Zug jeweils 3 Punkte gutgeschrieben. Das Problem der Programmierer ist dasselbe Problem, welches wir Menschen haben, wenn wir mit anderen Menschen interagieren: Wir wissen nicht, wie der andere sich entscheidet. Kooperiert er oder kooperiert er nicht? www.humane-wirtschaft.de – 01/2009

Das verblüffende Ergebnis: Nicht-kooperative Strategien starben zunehmend aus, während „Tit for Tat“ zwar nicht in jeder Runde das beste Ergebnis, aber dauerhaft so gute Ergebnisse erzielte, dass ihr Anteil an der Gesamtpopulation der größte war. Sobald ausbeutende Strategien >

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Sobald ausbeutende Strategien keine „dummen“ Opfer mehr finden, weil diese durch den Erfolg der Ausbeuter aussterben, sterben auch die Ausbeuter aus... Norbert Rost

keine „dummen“ Opfer mehr fanden, weil diese durch den Erfolg der Ausbeuter ausgestorben waren, starben auch die Ausbeuter aus (z.B. Kurve 5 und 8) und kooperative Strategien dominierten das Ökosystem. Auf Basis seiner Erkenntnisse skizzierte Robert Axelrod folgende Handlungsempfehlungen für Strategien: • Sei freundlich! (Kooperiere als Erster) • Sei provozierbar! (Laß dich nicht ausbeuten, reagiere auf Defektion mit Defektion) • Sei nicht nachtragend! (Schlag zurück, aber sei zur Versöhnung bereit, um nicht in eine Defektionsspirale zu geraten) • Sei nicht neidisch! (Versuche nicht zwingend, Erster zu werden) • Sei nicht zu raffiniert! (Deine Mitspieler müssen in der Lage sein, dein Verhalten zu verstehen um mit dir und nicht gegen dich zu spielen) • Sorge für Wiederkehr des Spieles! (dauerhafte Kooperation basiert auf Vertrauen, Vertrauen entsteht durch Wiederholung) Wir sind also einerseits auf Reziprozität und Kooperation eingestellt – leben aber andererseits noch in Strukturen des Verdrängungswettbewerbs, welche die Reziprozität aufspalten und Kooperation durch Ellbogenmentalität beeinträchtigen. Um Reziprozität und Kooperation voll zur Geltung zu bringen, bedarf es Strukturen eines fairen, von Privilegien befreiten Leistungswettbewerbs. Für Reformer, die eine kooperative Welt befördern wollen, formuliert Axelrod folgende Empfehlungen, die er in seiner Beratungstätigkeit für UNO, Weltbank und Pentagon eingesetzt hat: • Interaktionen häufiger machen (Wiederholung fördert Vertrauen) • Verhandlungsgegenstand in mehrere kleine Verhandlungsgegenstände aufspalten (das führt zu häufigeren Verhandlungen) • Unterweisungen in Sachen Reziprozität durchführen (was durch diesen Artikel geschehen sein dürfte und beispielsweise die Frage nach einem Schulfach Kooperation/ Kommunikation aufwirft)

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• Rahmenbedingungen ändern (der Nutzen bei einer langfristigen Kooperation muß größer sein, als bei einer kurzfristigen Defektion) Axelrod zeigt, dass bewußt betriebene Kooperation bei entsprechenden (gesellschaftlichen) Rahmenbedingungen erfolgversprechender ist, als egoistisches Handeln. Je nach Rahmenbedingungen reichen 5% der Interaktionen kooperierender Individuen untereinander, damit Kooperation in einer „bösen Welt“ in Gang gesetzt wird.

Menschenbild, Netzbewusstsein und Ansätze zu einer menschlicheren Wirtschaftswelt Die Wirtschaftswissenschaft entwickelt sich ebenso weiter wie die Gesellschaft. Das Modell des Homo Oeconomicus ist Kritik von verschiedener Seite ausgesetzt und zugleich treten Erkenntnisse zutage, die den Blickwinkel vom rein egoistischen Handeln hin zu kooperativen Modellen und der Vernetztheit unserer Welt lenken. Während E.F. Schumacher9), Leopold Kohr10) und Armin Falk11) unter anderem empfehlen, kleine politische Einheiten aufzuwerten, lehren Systemtheorie, Netzwerktheorie und Chaostheorie, dass alles in unserem Universum mit allem zusammenhängt und prinzipiell ein Schmetterling per Flügelschlag einen Wirbelsturm am anderen Ende der Welt auslösen kann. Diese Vernetztheit der Welt, deren Teil wir Menschen sind, kommt zwar in mancher technischer oder naturwissenschaftlicher Wortwahl zum Ausdruck (Verkehrsnetz, Telefonnetz, Internet, Straßen- und Schienennetz, Nahrungsnetz), aber oft macht die Vernetztheit noch vor dem individuellen Bewußtsein Halt. Ich plädiere deshalb dafür, dem Konzept des Selbst-Bewusstseins das Konzept des Netz-Bewusstseins zur Seite zu stellen: Nicht nur eine Abgrenzung zwischen Ich und Nicht-Ich vorzunehmen, sondern dem Nicht-Ich eine innere Struktur zuzugestehen – eine Netzwerkstruktur, die die Verbindungen zwischen den Individuen, die Verbindungen zu einzelnen Teilen der Natur und die Zusammengehörigkeit scheinbar unzusammenhängender Bereiche bewusst macht. Netzbewusstsein eben. Sich selbst bewusst zu machen, das absolute Unabhängigkeit in einer vernetzten Welt unmöglich ist, fördert das Verwww.humane-wirtschaft.de – 01/2009

Petition Neues Geld in Österreich Die aktuelle Finanzkrise zeigt den dringenden politischen Handlungsbedarf, Änderungen am Finanzsystem durchzuführen. antwortungsgefühl auch für jene Dinge und Entwicklungen, die sozial, räumlich und/oder zeitlich weit weg erscheinen. Sich seiner Bindungen bewusst zu werden fordert zu nachhaltigerem Handeln in dem Sinne auf, als dass alles, was ein Mensch tut, über das universale Gewebe auch auf ihn selbst zurückfallen kann. Laut dem Small-World-Phänomen12) ist jeder Mensch auf diesem Planeten mit jedem anderen Menschen über maximal 6 Zwischenschritte miteinander verbunden. „Jeder kennt jeden“ ist nicht nur eine Floskel, sondern wird durch die Netzwerkartigkeit der menschlichen Beziehungsgemeinschaft Tatsache. Axelrods Experimente betonen darüber hinaus, wie wichtig die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Netzwerken sind. Langfristiges Handeln gegenüber kurzfristigem Denken sollte unter anderem durch Geldsysteme befördert werden, die Geldhaltegebühren integrieren und die Entstehung lokaler Netze fördern. Hinweis: Der Artikel ist eine gekürzte und leicht veränderte Fassung eines auf Einladungvon Werner Onken zustandegekommenden Vortrages der 2008er CGW/INWO-Tagung in Birkenwerder sowie eines Aufsatzes in der Zeitschrift für Sozialökonomie 158/159 von Oktober 2008. Kontaktadresse des Autors: [email protected] Grafiken: Thomas Klemm Anmerkumgen: 1) Capra, Fritjof, 2004: „Wendezeit“, München, S. 203 f. 2) ebd., S. 209 3) Siebenhühner, Bernd, 2000: „Homo sustinens als Menschenbild für eine nachhaltige Ökonomie“. http://www.sowionline. de/journal/nachhaltigkeit/siebenhuener.htm, Kapitel 3 4) ebd. Kapitel 2 5) Falk, Armin, 2001: „Homo Oeconomicus vs. Homo Reciprocans: Ansätze für ein Neues Wirtschaftspolitisches Leitbild?“. http://www. iew.unizh.ch/wp/iewwp079.pdf, 2007, S. 3 6) Schräder, Olaf, 2008: „Wohin wollen wir gehen?“, München, S. 53 ff. 7) Rost, Norbert, 2008: „Wirtschaft zwischen Konkurrenz und Kooperation“, http://www.regionaleswirtschaften. de/20.61.0.0.1.0.phtml 8) Axelrod, Robert, 2005: „Die Evolution der Kooperation“. München. 9) Schumacher, Ernst Friedrich, 1977: „Small is beautiful“, Reinbek. 10) Kohr, Leopold, 2002: „Das Ende der Großen – Zurück zum menschlichen Maß“, Salzburg. 11) Falk, Armin, 2001: „Homo Oeconomicus vs. Homo Reciprocans: Ansätze für ein Neues Wirtschaftspolitisches Leitbild?“, http://www. iew.unizh.ch/wp/iewwp079.pdf , 2007, S. 20. 12) Buchanan, Mark, 2002: „Small Worlds“, Frankfurt/New York, S.15 f. www.humane-wirtschaft.de – 01/2009

Die Stadt Wörgl unterstützt die Petition Neues Geld Einen Tag vor der „ersten Runde“ der EU-Staaten zum Weltfinanzgipfel Mitte November unterstützte am Donnerstag, 6. November 2008 die Stadtgemeinde Wörgl die Petition Neues Geld mit einem einstimmigen Gemeinderatsbeschluss und den Unterschriften aller Gemeinderätinnen und Gemeinderäte. Die Initiative Neues Geld besteht aus österreichischen Komplementärwährungs-Initiativen und ersucht mit der Petition Neues Geld die politischen Entscheidungsträger in Bund, Land und Gemeinden, ergänzende Währungen zu unterstützen und bei der bevorstehenden internationalen Konferenz zur Neuordnung des weltweiten Finanzsystems neben den Vertretern der traditionellen Geldtheorie auch ExpertInnen für Komplementärwährungen sowie WissenschafterInnen anderer Geldtheorien einzubinden. Bürgermeister Arno Abler nahm die Petition der Initiative Neues Geld auf Vorschlag des Unterguggenberger Institutes kurzfristig auf die Tagesordnung. Die Stadt Wörgl gibt in der Tradition des Wörgler Freigeldes seit 2005 im Rahmen des LA21-Jugendprojektes I-MOTION eine Zeitwährung für Jugendliche als Komplementärwährung heraus. Das Wörgler Freigeld ermöglichte 1932/33 ein Investitionsprogramm der Gemeinde zur Abwehr der Wirtschaftskrise und sorgte damit für eine weltweit beachtete regionale Wirtschaftsbelebung.

Weitere Informationen zum Thema Neues Geld finden Sie auf www.neuesgeld.com

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