Fürsten ohne Land

Email: Georg Friedrich Dinglinger, Dresden, 1712–20, Gold, Email, ... Lusthäusern oder Witwensitzen (Joachim Säckl, Katja Heitmann, Peter Ramm).
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Fürsten ohne Land

Schriften zur Residenzkultur • 5 Herausgegeben vom Rudolstädter Arbeitskreis zur Residenzkultur

Fürsten ohne Land Höfische Pracht in den sächsischen Sekundogenituren Weißenfels, Merseburg und Zeitz hg. von Vinzenz Czech im Auftrag des Rudolstädter Arbeitskreises zur Residenzkultur und des Kulturhistorischen Museums Schloss Merseburg

Lukas Verlag

Abbildung auf dem Umschlag: Pokal, Entwurf und Goldschmiedearbeit: Johann Melchior Dinglinger, Email: Georg ­Friedrich Dinglinger, Dresden, 1712–20, Gold, Email, Grünes Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. IV 72

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung.

© by Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstraße 57 D–10405 Berlin www.lukasverlag.com Satz: Susanne Werner Umschlag: Lukas Verlag Druck: Elbe Druckerei Wittenberg Printed in Germany ISBN 978–3–86732–059–7

Inhalt

Vorwort Vincenz Czech

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Einführung: Fürsten ohne Land an Saale, Unstrut und Elster Ein Rückblick auf das Vergessen-Werden Peter-Michael Hahn

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Herrschaftsbildung und dynastische Zeichensetzung Die Sekundogeniturfürstentümer Sachsen-Weißenfels, Sachsen-Merseburg und Sachsen-Zeitz in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Joachim Säckl

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»Der baut nicht Städte bloß, Er baut sein gantzes Land« Landesausbau in Weißenfels, Merseburg und Zeitz als Akt der herrschaftlichen Selbstbehauptung Stephanie Hahn

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Repräsentative Ausstattungselemente der Residenzschlösser Weißenfels, Merseburg und Zeitz Katja Heitmann Kunstschätze der Sekundogenituren Zeitz, Merseburg und Weißenfels im Grünen Gewölbe zu Dresden Jutta Kappel Conservatio et Reformatio Die künstlerisch-visuelle Gedächtnispflege im Merseburger Stift unter den besonderen politischen Bedingungen der Sekundogeniturherrschaft Matthias Müller

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Die Funeralkultur der albertinischen Sekundogenituren im 17. und 18. Jahrhundert Elinor Brandtner

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Die Sammlungen barocker Totenbildnisse der Residenzen Merseburg und Zeitz Claudia Kunde

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Die Feste am Dresdner Hofe Johann Georgs II. von Sachsen als Medium herrscherlicher Selbstdarstellung Uta Deppe Die Leipziger Alceste von 1693 Zur Konstruktion kulturellen Wissens im Barocktheater Roswitha Jacobsen

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Quellen zur Geschichte der wettinischen Sekundogenitur Sachsen-Merseburg (1657–1738) in Domstiftsarchiv und -bibliothek Merseburg 273 Markus Cottin Zum Thema »Barock in Merseburg« Peter Ramm

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Hofmusik in Sachsen-Merseburg Maria Richter

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Merseburger Prinzenreisen Rolf Walker

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Inhalt

Vorwort

Am 1. Mai 2007 jährte sich nach 350 Jahren die Einrichtung der sächsischen Sekundogeniturfürstentümer Weißenfels, Merseburg und Zeitz. Aus diesem Anlass veranstaltete der Rudolstädter Arbeitskreis zur Residenzkultur e.V. gemeinsam mit dem Kulturhistorischen Museum Schloss Merseburg die wissenschaftliche Tagung »Fürsten ohne Land – Höfische Pracht in den Sekundogenituren Weißenfels, Merseburg und Zeitz« (10.–12. Mai 2007). Die Tagung war Teil einer breit angelegten Veranstaltungsreihe verschiedener Museen und Vereine vor Ort. Unter dem Motto »Barocke Fürstenresidenzen an Saale, Unstrut und Elster« wurde dabei die kulturelle Blütezeit dieser barocken Residenzen in neuen Ausstellungen, Vorträgen und zahlreichen weiteren Veranstaltungen anschaulich vorgestellt. Die Ergebnisse unserer Tagung finden sich nun in diesem Band wieder. Darüber hinaus sind von den Herausgebern weitere Beiträge einer Vortragsreihe mit aufgenommen worden, die sich an die Tagung anschloss. Wie es der Titel bereits anklingen lässt, liegt der Schwerpunkt der inhaltlichen Ausrichtung erkennbar auf der Entwicklung der drei sächsischen Sekundogenituren aus höfischer Perspektive. Die unterschiedliche wissenschaftliche Herkunft der einzelnen Autoren garantiert dabei einen in der aktuellen Forschungsdiskussion immer wieder geforderten fächerübergreifenden Blick auf das Thema. In enger Zusammenarbeit nähern sich die Autoren dem Thema mit verschiedenen Blickwinkeln. Ziel der einzelnen Beiträge ist es, die Mittel und Wege, derer sich die drei Sekundogenituren beim Ausbau ihrer eingeschränkten Herrschaft bedienten, näher zu beleuchten, nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu fragen, mögliche Vorbilder aufzuzeigen und eventuelle regionale und überregionale Auswirkungen herauszustellen. Zugleich wird dabei die regierende sächsische Kurlinie mit in den Blick genommen. Wie reagierte man etwa in Dresden auf die sich nun etablierende Verwandtschaft? (Joachim Säckl, Uta Deppe). Die Aufwertung fürstlicher Territorialherrschaft nach dem Westfälischen Frieden, welche lange Zeit vornehmlich als ein stetiges Wachsen administrativer Zuständigkeiten der Zentralgewalt, eine Ausdehnung bürokratischer Strukturen in Stadt und Land, eine Vergrößerung des Hofstaates oder als ein Erschließen immer neuer finanzieller Ressourcen begriffen wurde, lässt sich auch als ein Vorgang betrachten, der darauf gerichtet war, mit gezielten Maßnahmen symbolisches Kapital in einer politisch besetzten Landschaft anzuhäufen. Hierzu rechnet neben dem Schlossbau im engeren Sinne etwa die Anlage von Gärten, Sommerresidenzen, Jagd- und Lusthäusern oder Witwensitzen (Joachim Säckl, Katja Heitmann, Peter Ramm). Zum Gesamtbild des Hofes als fürstlichem Macht- und Herrschaftszentrum gehört weiterhin dessen räumliches Ausgreifen in die benachbarte Stadt, etwa in Form von Kavaliershäusern oder Prinzenpalais. Dies schließt die Errichtung von Regierungs- und lokalen Verwaltungsgebäuden, Alleen, Brücken, Stadttoren usw. Vorwort

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ein (Stephanie Hahn), aber auch den Unterhalt von Wachsoldaten oder Kanonen als Zeichen des jus armorum. Abseits architektonischer Zeichen wird man zum symbolischen Kapital fürstlicher Herrschaft auch Hoffeste, Theater- und Musikaufführungen sowie Kunstsammlungen, Bibliotheken und Archive rechnen müssen (Maria Richter, Roswitha Jacobsen, Marcus Cottin). Sie galten einer Gesellschaft, in der Rituale und Symbole von herausragender Bedeutung waren, als besonders wirkungsvolle Medien, um den Hof als eine Stätte der Verherrlichung von Ordnung und Tugenden zu inszenieren. Neben den steinernen Kundgebungen fürstlicher Macht wird man den symbolischen Kapitalwert solcher Investitionen nicht zu gering einschätzen dürfen, um das Ansehen und den Rang der verschiedenen Hofhaltungen gewichten zu können. Gebildet aus dem Wunsch Kurfürst Johann Georgs I. heraus, allen seinen vier Söhnen die räumlichen und finanziellen Mittel für eine fürstliche Hofhaltung zur Verfügung zu stellen, musste den drei nachgeborenen sächsischen Prinzen ob der rechtlichen Fragilität ihrer Herrschaft die Frage, wie sie in den Besitz veritabler, ihrem hohen Rang angemessener Hofhaltungen und Residenzen gelangten, als eine Aufgabe von großer Dringlichkeit erscheinen. Denn das dort ohne jede staatsrechtliche Beschränkung anzuhäufende symbolische Kapital konnte entscheidend dazu beitragen, das Defizit an Hoheitsrechten zumindest im Verkehr mit Standesgenossen, aber auch gegenüber Lokalgewalten zu verdecken. In diesem Zusammenhang kam der Stiftung einer eigenen dynastischen Tradition bzw. das Anknüpfen an bereits bestehende ältere Traditionslinien eine zentrale Bedeutung zu (Matthias Müller, Joachim Säckl). Der Umgang mit den eigenen Ahnen verweist hier auf ein zentrales Moment dynastischer Gedächtnispflege (Elinor Brandtner, Claudia Kunde). In der historischen und kunsthistorischen Forschung der letzten Jahrzehnte sind die Vielzahl kleiner und mittlerer Residenzen zwischen Harz, Thüringer Wald und Erzgebirge trotz ihrer bis in die Gegenwart identitätsstiftenden Bedeutung lange Zeit wenig beachtet worden. Dies trifft in besonderer Weise auf die drei Sekundogenituren Weißenfels, Merseburg und Zeitz zu. Ihr Aussterben nach nur neunzig Jahren sowie die territoriale Randlage nach den politischen Veränderungen in Folge des Wiener Kongresses ließen sie auch in der Forschung in Vergessenheit geraten (Peter-Michael Hahn). Die Ausstattung der Schlösser und Residenzen wurde nach Dresden geschafft (Jutta Kappel), die Gebäude dienten in der Regel Verwaltungszwecken oder wurden als Gefängnis und Kaserne genutzt. Das Wissen um die kulturelle Ausstrahlung der Residenzen verblasste. Erst in jüngerer Zeit sind verstärkt Bemühungen zu beobachten, die diesen Misstand langsam überwinden. Die zahlreichen Veranstaltungen des Jahres 2007 mitsamt der vom Rudolstädter Arbeitskreis und dem Museum Schloss Merseburg organisierten Tagung haben in dieser Hinsicht sicher einiges bewegt und eine Vielzahl von Anregungen gegeben. Mit den in diesem Band vorgestellten Ergebnissen möchten die Autoren und Herausgeber einen weiteren Beitrag gegen das »Vergessen« dieser so facettenreichen Epoche liefern. Die Ergebnisse zeigen, zu welcher hohen künstlerisch-kulturellen Blüte die drei Hofhaltungen in Weißenfels, Merseburg und Zeitz in ihrer Zeit gelangten 8

Vorwort

und wie sie noch heute das Erscheinungsbild der Region zwischen Saale, Unstrut und Elster entscheidend mitbestimmen. Sowohl Tagung als auch Drucklegung des vorliegenden Bandes sind von der FritzThyssen-Stiftung für Wissenschaftsförderung großzügig unterstützt worden. Dafür sei ihr nachdrücklich gedankt. Dank gilt ebenso Frau Karin Heise vom Kulturhistorischen Museum Schloss Merseburg für die Vorbereitung der Tagung vor Ort und die Hilfe bei der Drucklegung. Dass diese so problemlos und erfolgreich zustande gekommen ist, verdanken wir der unkomplizierten Zusammenarbeit mit dem Lukas Verlag. Dafür möchten sich die Herausgeber herzlich bedanken. Vinzenz Czech

Vorwort

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Einführung »Fürsten ohne Land« an Saale, Unstrut und Elster Ein Rückblick auf das Vergessen-Werden Peter-Michael Hahn

Niemandem, der heute mit offenen Augen die südlichen Teile von Sachsen-Anhalt um Saale und Unstrut bereist, werden die zahlreichen barocken oder auch barock überformten Bauwerke längs des Weges entgehen. Stattliche Schlösser und prächtige Kirchbauten, aber auch eindrucksvolle Bürgerhäuser zu Merseburg, Naumburg, Querfurt, Weißenfels oder Zeitz prägen bis heute diese Region. Als wertvolle Elemente einer vielfältigen, über Jahrhunderte gewachsenen Kulturlandschaft werden sie dem historischen Erbe dieses Bundeslandes zugeordnet und ohne Zögern als wichtige Träger regionaler Identität vereinnahmt. Bei näherem Hinsehen erweist sich jedoch, dass die politisch und künstlerisch verantwortlichen Auftraggeber dieser Monumente und ihr kultureller Hintergrund im öffentlichen Bewusstsein weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Während die anhaltinischen Fürstentümer und die preußische Provinz Sachsen als staatliche Vorgänger und kulturelle Wurzeln dieses Bundeslandes bis in das Internet oft genannt sind, fehlt nicht selten der Hinweis auf das wettinische Erbe dieses Raumes. Gewiss ist ein Vergessen nur die andere Seite des Erinnerns. Es gibt nämlich keine totale Erinnerung. Stets ist mit diesem komplizierten Akt auch ein Prozess der Selektion, der bewussten Aussonderung von Begebenheiten, Orten und Personen verbunden. Hier zeigt sich besonders nachdrücklich der Konstruktcharakter von Erinnerung. Jeder einzelne von uns hat seine Erinnerungen auf diese Weise gebaut. Vergleichbares geschieht auch innerhalb einer sozialen Gruppe, einer politischen Gemeinschaft, wenn historische und kulturelle Traditionen gestiftet werden sollen. Zum Nachdenken dürften ein solcher Vorgang und seine näheren Umstände jedoch immer dann anregen, wenn er mit erheblichem intellektuellem Aufwand betrieben wurde und die dabei absichtsvoll vorgenommene Nicht-Wahrnehmung historischer Kontexte auf die inhaltliche Steuerung kollektiver Erinnerungen abzielte. Dies können wir für das geschichtsgläubige 19. und frühe 20. Jahrhundert vielfach beobachten. Und es hat den Anschein, dass auch im 21. Jahrhundert die Deutschen im Spannungsfeld von nationaler Einheit und föderaler Ordnung ihre liebe Not haben, sich auf gemeinsame historische Fundamente und kulturelle Leuchttürme zu verständigen, weshalb eine Geschichts- und Kulturpolitik, die immer wieder den rückschauenden Blick in eine von ihr gewünschte Richtung lenken möchte, nach wie vor Hochkonjunktur hat. Doch richten wir nach dieser eher allgemeinen historischen Ortsbestimmung zuerst unsere Aufmerksamkeit auf die weiter zurückliegenden Epochen, um die verschlungene »Fürsten ohne Land« an Saale, Unstrut und Elster

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Nachgeschichte unseres Gegenstandes, die sächsischen Sekundogenituren und ihre materiellen Hinterlassenschaften, ein wenig zu beleuchten. Als deren Schlösser ihre politisch-herrschaftliche Funktion im Laufe des 18. Jahrhunderts verloren, weil die dort residierenden Dynastien ausstarben, ging ihr symbolischer Wert, ihre Rolle als in Stein gehauene hoheitliche und familiäre Verweise massiv zurück. Bisher hatten sie als mächtige dynastische Zeichen und herrschaftliche Bezugspunkte für die Untertanen ein obrigkeitliches Band um diese Region gelegt. Ihr teilweise wertvolles Inventar wurde alsbald nach Dresden, den Wohnort des alleinigen Erben, verbracht. Aus fürstlichen Residenzen und Jagdhäusern wurden nunmehr lokale Verwaltungssitze einer entfernt regierenden Dynastie. Die Herrschaftsbezirke der Sekundogenituren wurden mehr oder minder wieder in die sächsische Kreisverfassung eingefügt. Gebäude und die sie schmückenden Wappen wurden zwanglos in die Tradition des neuen und alten Herrn gestellt, schließlich hatte es sich um wettinische Nebenlinien gehandelt. Völlig anders zeigte sich dagegen die Situation zwischen Saale, Unstrut, Elster und Harz seit 1815. Preußen okkupierte im Zuge der Befreiungskriege gegen Napoleon und seine deutschen Verbündeten unter Einsatz seiner Truppen diese Gebiete. Um die einst von Friedrich II. angeregten Expansionsziele zu erreichen, war Preußen – vom russischen Zaren unterstützt – sogar bereit gewesen, nach der Niederwerfung Napoleons 1814 in einen weiteren Krieg gegen Österreich und die Westmächte einzutreten, weil diese gewillt gewesen waren, die territoriale Integrität des Königreichs Sachsen zu verteidigen. Eine weitere Zuspitzung verhinderte jedoch die überraschende Rückkehr des großen Korsen auf den europäischen Kontinent. Preußen erhielt 1815 nach erneuten Verhandlungen einen erheblichen Teil der zuvor eingeforderten wettinischen Kriegsbeute. In Gestalt der Niederlausitz, Teilen des Kurkreises und des Meißnischen Kreises wurden ausgedehnte, aber dünn besiedelte Landstriche der preußischen Provinz Brandenburg zugeschlagen. Weitere kursächsische und thüringische Gebiete, die von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung waren, wurden hingegen in einer preußischen Provinz Sachsen zwangsvereinigt. Dieser unfriedliche Akt wird bis heute in den meisten Druckmedien, aber selbst im noch jungen Internet oft sprachlich verharmlosend als ein rein verwaltungstechnisches Geschehen beschrieben. Um den möglichen Widerstand der alt eingesessenen Eliten gering zu halten, wurden diese ehemaligen Amtsbezirke und Territorien, die aber durch die anhaltinischen Fürstentümer zerschnitten wurden, in drei Regierungsbezirken, bei deren Grenzziehungen sämtliche historischen Bezüge missachtet wurden, mit den Hauptstädten Magdeburg, Merseburg und Erfurt zusammengefasst. Seit 1825 traten in Merseburg als politische Vertretung die Provinzialstände zusammen. Mit den einst politisch einflussreichen kursächsischen Landständen hatten sie natürlich nichts mehr gemein. Mit den neuen administrativen Strukturen sollten das personale Gefüge der alten Eliten und ihre traditionelle politische Orientierung allmählich getilgt werden. In diesen Kontext gehörte auch die Neuwahl der regionalen Verwaltungszentren, die nach und nach mit den baulichen Zeichen des preußischen Staates in Form von 12

Peter-Michael Hahn

Behördensitzen und Gerichtsgebäuden ausgeschmückt und damit symbolisch und politisch aufgewertet wurden. Umgekehrt, und hier näheren wir uns wieder dem eingangs vermerkten Erinnerungsverlust, wurden die Herrschaftssitze des alten Staates der Wettiner systematisch in ihrer Bedeutung für das politische Leben der Provinz abgewertet und damit dem öffentlichen Blick entzogen. Insbesondere herausgehobene Schlossbauten der sächsischen Kurfürsten und Könige, also auch ihrer Nebenlinien, eigneten sich fortan bestens als Gefängnisse oder Kasernen des preußischen Militärs. Allein den Merseburger Schloss- und Dombezirk traf es besser, er wurde zum Wohnsitz des Regierungspräsidenten bestimmt. Diesem Umstand verdanken wir eine Beschreibung der Örtlichkeiten aus der Feder des bekannten Malers Wilhelm v. Kügelgen, dessen Mutter mit dem ersten Amtsinhaber, einem Herrn v. Schönberg, bekannt war. In ihrer Funktion als dynastische Zeichen und als leuchtende Stätten einer Raum und Bewohnern gemeinsamen Vergangenheit sollten die Herrschaftsbauten der Wettiner aus dem Bildgedächtnis der Landeskinder verdrängt werden. Als historische Stätten und scheinbar dauerhafte Zeugnisse einstiger staatlicher Ordnung gerieten sie ins Abseits. Jetzt konnte durch deren andersartige funktionale Bestimmung die Erinnerung daran konsequent gelöscht werden. Im Bewusstsein der sich formierenden bürgerlichen Gesellschaft dieser Region sollten diese Bauwerke als Orte von kultureller und einstiger politischer Bedeutsamkeit in einer nicht fernen Zukunft nicht mehr präsent sein. Eine solche Umwidmung herrschaftlicher Zeichen bzw. deren symbolische Zerstörung, um die Bevölkerung mit einer neuen Ordnung vertraut zu machen, stellte damals kein Novum dar. Ganz Europa hatte einige Jahre zuvor mit Aufmerksamkeit verfolgt, wie das revolutionäre Frankreich in Auseinandersetzung mit der politischen Kultur der absoluten Monarchie einen völlig neuen Kanon an politischen Zeichen aller Art kreierte und zur Geltung verhalf. Soweit reichten die preußischen Aktivitäten selbstverständlich nicht, aber in der Provinz Sachsen wurde die Sichtbarkeit einer bis dato bestehenden wettinischen Identität des Landes, soweit sie im öffentlichen Leben durch materielle Zeichen hätte zum Ausdruck kommen können, beseitigt. Dieser primär politischen Intention kam auch ein Wandel des allgemeinen historischen Interesses im 19. Jahrhundert entgegen. Die bis dato verbreitete dynastisch orientierte Territorialgeschichtsschreibung, wie sie für das Ancien Régime typisch war, kam nämlich aus der Mode. Unter dem Einfluss der Romantik richtete sich der historische Blick vermehrt auf die ferne Welt der mittelalterlichen Könige und Kaiser. Mit ihrer Epoche verbanden sich im allgemeinen Empfinden sowohl eine Idee von freien Bürgergemeinden als auch eine von staatlicher Einheit und Macht der Deutschen: Politische Erwartungen, die man in der eigenen Gegenwart schmerzlich vermisste. In diesem geistigen Klima musste sich das Interesse der Zeitgenossen unweigerlich auch auf die baulichen Relikte dieser nunmehr als höchst verehrenswürdig erscheinenden Epoche richten. Deren Kirchbauten und die vielfach von Verfall bedrohten Burgen standen daher im Mittelpunkt der sich seit den 1820er Jahren entwickelnden staatlichen Denkmalpflege, während man aus dieser Perspektive »Fürsten ohne Land« an Saale, Unstrut und Elster

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den nachmittelalterlichen Bauten als kulturellen Monumenten keine sonderliche Beachtung schenkte. Diese damals allenthalben vorherrschende Tendenz zeigt sich schon bei einem kurzen Blick in die seit der zweiten Jahrhunderthälfte verlegten Verzeichnisse der vaterländischen Kunstdenkmäler, die für die einzelnen Provinzen erarbeitet wurden, etwa unter Einträgen zu Merseburg und Zeitz. Auch die seit den 1870er Jahren anlaufende Tätigkeit einer Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt ignorierte die frühneuzeitliche Vergangenheit des Raumes weitgehend. Ihre für die weitere landesgeschichtliche Forschung wesentlichen Vorhaben kreisten um die Publikation von mittelalterlichen Quellen. Themenschwerpunkte waren selbstverständlich kirchliche Einrichtungen und stadtbürgerliche Zeugnisse, während der Fürstenstaat seit dem 16. Jahrhundert nicht vorkam. Eine derartige Ausrichtung prägte auch die regionalen Geschichtsvereine, die seit den 1830er Jahren, vor allem aber nach der Jahrhundertmitte gegründet wurden. Der Harzraum, das Magdeburger oder Mansfelder Land, die Stadt Halle und das alte Thüringen bildeten räumliche Kristallisationspunkte für ein sich belebendes historisches Interesse an der engeren Heimat. So konnte es geschehen, dass 1883 ein in der Wissenschaft weitgehend Unbekannter, Eduard Jacobs, eine knappe, aber kaum beachtete Gesamtgeschichte der Provinz Sachsen vorlegte. Zu den sächsischen Sekundogenituren fand man bestenfalls in chronikalisch angelegten Stadtgeschichten einige nähere Hinweise. Die ausführlichsten Angaben zu den Weißenfelser Herzögen und ihrer Herrschaftsbildung enthält beispielsweise eine kleine Geschichte ihrer dortigen Schlosskirche durch Friedrich Gerhardt. Diese Situation wurde noch dadurch verschärft, dass die sich in dieser Zeit ebenfalls formierende sächsische Geschichtsschreibung ihr Augenmerk fast ausschließlich auf die Gebiete richtete, die nach 1815 zum Königreich gehörten. Man wollte scheinbar selbst unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten in einer breiteren Öffentlichkeit jeden Eindruck vermeiden, auf die einst kursächsischen Territorien noch einen wie auch immer gearteten Anspruch erheben zu wollen. Dies sollte sich in der »Sächsischen Geschichte« von Rudolf Kötzschke und Hellmut Kretzschmar, die 1935 erschien, noch fortsetzen. Allerdings hatte letzterer in einem größeren Beitrag für den ersten, 1925 erscheinenden Band eines neuen Jahrbuchs »Sachsen und Anhalt« die herrschaftliche und territoriale Situation dieser Sekundogenituren erstmalig grundlegend beleuchtet. Mit der Niederlage im Weltkrieg hatte sich nämlich auch ein deutlicher Wandel in der neuzeitlichen Geschichtsschreibung auf deutschem Boden vollzogen. Ihre starke Orientierung auf Preußen und dessen staatstragende Rolle ging allmählich zurück. Bislang hatte sich diese Prägung auch auf die landesgeschichtliche Forschung belastend ausgewirkt. Dies war vor allem dort zur Geltung gekommen, wo dem preußischen Staatsgebiet im Laufe des 19. Jahrhunderts ältere Territorialstaaten mit eigener Tradition einverleibt worden waren. Was für die Geschichtswissenschaft beschrieben wurde, gilt unter veränderten Vorzeichen auch für die Kunstgeschichte. Erst gegen Ende des 19.  Jahrhunderts 14

Peter-Michael Hahn