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Law Reporter

I n h alt sverzeich nis

Board of Editors PROF. DR. DR. CARL BAUDENBACHER LUXEMBURG/ ST. GALLEN (PRÄSIDENT) PROF. DR. DR. GENERALDIREKTOR A.D. WALTER BARFUSS WIEN

I. IM FOKUS Bankenkrise, Bail-in, Zwangskapitalisierung: Wenn der Dachstuhl brennt, darf die Feuerwehr die Haustür eintreten 

II. STEUERRECHT VAT Treatment of Bitcoin – A Proxy for Other Cryptocurrencies

III. REGIONALE INTEGRATION The Eurasian Economic Union (I) – Risks and Opportunities of an Emerging Bipolar Europe

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IV. DAS BESONDERE URTEIL Exhausted by Exhaustion? ECJ Says Back Up Copies of Computer Programs Cannot Be Sold, even if the Original Disk is Lost, Damaged or Stolen 2 41

V. WORDSMITHERY  

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FÜRSTLICHER RAT ALT REGIERUNGSCHEF HANS BRUNHART VADUZ PROF. DOTT. ALDO FRIGNANI AVVOCATO TORINO PROF. DR. CHRISTIAN KOHLER SAARBRÜCKEN RECHTSANWALT DR. FRANK MONTAG BRÜSSEL DR. SVEN NORBERG BRÜSSEL

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I.

Stefan Lars-Thoren Heun-Rehn, Düsseldorf*

Bankenkrise, Bail-in, Zwangskapitalisierung: Wenn der Dachstuhl brennt, darf die Feuerwehr die Haustür eintreten (Gerard Dowling u.a. K Minister for Finance, EuGH (Grosse Kammer), Urteil vom 08. November 2016, C-41/15)

Im Fokus

Die Verwerfungen auf den Finanzmärkten seit 2007 haben gezeigt, dass der bis dahin bestehende rechtliche Rahmen durch die in ihrer Intensität und in ihrem Umfang unvorhergesehenen Herausforderungen an seine Grenzen gestossen war und teilweise darüber hinaus belastet wurde. Für Marktteilnehmer, Marktaufsicht und Politik haben sich in schneller Folge tatsächliche und rechtliche Fragen gestellt, von denen man bis kurz zuvor hoffen durfte, sie nie beantworten zu müssen. In einer Situation, in der durch eine gravierende Störung der Wirtschaft und des Finanzsystems die ­finanzielle Situation der Union gefährdet war, wurden durch die «Kapital-Richtlinie» gewährte gesellschaftsrechtliche Schutzbestimmungen von Aktionären eines Finanzdienstleistungsunternehmens möglicherweise enteignungsgleich unter­ miniert. Mit der Entscheidung «Dowling» hat sich der Gerichtshof konsequent und richtigerweise für den vorrangigen Schutz des Gesamtfinanz­ systems entschieden.

I

(1) Sachverhalt Die Kläger sind Gesellschafter der Irish Life & Permanent Group Holdings plc («ILPGH»). Diese wiederum hielt als Holding alle Gesellschaftsanteile an der Irish Life & Permanent plc («ILP»), einem irischen Kreditinstitut. Die Finanz- und Wirtschaftskrise setzte dem streit­ gegenständlichen Institut ab 2007 in existenz­ bedrohender Form zu. Irische Finanzinstitute waren aufgrund ihrer Geschäftsmodelle spätestens ab 2008 besonders von der Kapitalmarktkrise betroffen. Die Krise, die weltweit zu Verwerfungen führte und den gesamten EU-Finanzmarkt im Kern erschütterte, wirkte sich aufgrund des vergleichsweise hohen Anteils an bedrohten Finanzinstituten im Verhältnis zur Grösse der Wirtschaftsleistung in Irland dramatisch aus. Die Zahlungs- und Handlungsfähigkeit des irischen Staates wurde bezweifelt und schnell an ihre Grenzen gebracht. Der Finanzmarkt lebt im Kern von Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Systems und seiner bestimmenden Akteure. Die liberale Marktwirtschaft, der sich die EU verpflichtet sieht, kennt den

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Ausfall einzelner Institute und setzt ihn wie natürlich als wirtschaftliche Grundbedingung voraus. Wer schlecht wirtschaftet (aus welchem ökono­ mischen oder faktischen Grund auch immer), wird auf dem Markt durch leistungsfähigere Marktteilnehmer verdrängt. Die Ausmasse der Krise waren jedoch dergestalt, dass begründete Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Gesamtbanksystems Irlands und der EU nicht von der Hand zu weisen waren. Ohne auf die näheren Umstände der Krise einzugehen und ohne die Handlungs­ optionen der Beklagten in der Rückschau einer Bewertung zu unterziehen, kann prima facie festgestellt werden, dass die Finanzkrise bis heute, fast 10 Jahre nach ihren ersten Schockwellen, nicht vollständig ausgestanden ist. Auch aus der Rückschau ist somit unwiderlegbar evident, dass die Entscheidungsträger im Jahr 2007 zumindest zu Recht von einem epochalen disruptiven Ereignis ausgehen durften, dass ausserordentliche staatliche Gegenmassnahmen erforderte. Vor diesem scherenschnittartig dargestellten ökonomischen Hintergrund hat der irische Staat unilateral verschiedene Rettungs- und Stützungsmaßßnahmen initiiert; allesamt ohne durchschlagenden Erfolg. Auf der Basis von Richtlinie 2001/24/EG1 ersuchte Irland um dringend notwendige finanzielle Hilfsmittel der EU. Der Durchführungsbeschluss 2011/326/EU des Rates vom 30. Mai 2011 zur Änderung des Durchführungsbeschlusses 2011/77/EU über einen finanziellen Beistand der Union für Irland gewährte Irland unter der Aufsicht von Kommission, EZB und IWF finanziellen Beistand, «um das rigorose [irische] Wirtschaftsund Finanzreformprogramm zu stützen, das das Vertrauen wiederherstellen, die Rückkehr der Wirtschaft zu einem nachhaltigen Wachstum ermöglichen und die Finanzstabilität in Irland, dem Euro-Währungsgebiet und der Union erhalten soll[te]». Grundlage der Mittelvergabe waren unter anderem harte (Bilanz-) Kennzahlen und entsprechende Zeitvorgaben für das streitgegenständliche Institut.

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Die konkrete nationale Umsetzung der Zielvorgaben erfolgte durch den Credit Institutions (Stabilisation) Act 2010 («CIA 2010»).2 Danach durfte der Beklagte eine Anordnung vorschlagen, die durch den irischen High Court erlassen wurde und eine Zwangskapitalisierung durch eine staatliche Einlage und die Ausgabe neuer Aktien unter Ausgabepreis zugunsten des Finanzministeriums ermöglichte. Die Rekapitalisierung erfolgt nach CIA 2010 plangemäss auch ohne positive Votierung der Hauptversammlung. Der ökonomische Wirkmechanismus ist simpel. Durch die Einlage wird der Gesellschaft neues Eigenkapital zugeführt. Gleichzeitig wird durch die Ausgabe neuer Aktien die bisherige Eigentumsbasis erodiert und entsprechend zugunsten des Einlegenden marginalisiert. Die Hauptversammlung der ILPGH stimmte den entsprechenden Beschlussvorschlägen nicht zu. Der Beklagte setzte die Rekapitalisierung durch. Die Kläger gingen hiergegen vor dem High Court vor. Dieser hielt die Rekapitalisierung angesichts der akuten Insolvenzgefahr und der damit verbundenen Risiken für die Finanzsysteme Irlands sowie der EU für erforderlich. Der Gerichtshof wurde im Wege des Vorab­ent­ scheidungsverfahrens mit der Fragestellung befasst, ob die Kapital-Richtlinie3 der Anordnung in ihrer konkreten Form und Abfolge entgegenstand und ob durch die Anordnung gegen EU-Recht verstossen wurde. (2) Urteil (a) Verfahrensfragen Das Verfahren hält keine Besonderheiten bis auf den durch den Gerichtshof abgelehnten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bereit. Hinter diesem Antrag verbirgt sich kein prozessuales Problem, sondern im Ergebnis vielmehr eine nennenswerte materiell-rechtliche Wertung des Gerichtshofs. Klägerseits wurde vorgebracht – im Zusammenhang mit dem Beihilfeverfahren gegen Irland in Sachen Apple – dass Irland eine Summe von 13 Mrd. Euro im Wege einer unzulässigen Steuervergünstigung im Zeitraum 2003 bis 2014 zu wenig von Apple eingefordert habe.4 Diese «neu bekanntgewordenen» Mittel müssten hinsichtlich der materiell-rechtlichen Frage der «gravierenden Störung der Wirtschaft» Irlands Berücksichtigung finden, da sie der Leistungskraft des irischen Staates retrospektiv zuzurechnen seien. Der Gerichtshof sieht sich gleichwohl umfassend

informiert und eröffnet dementsprechend nicht neu. Er begründet dies wie zu erwarten nicht weiter, sondern hält das mögliche weitere Vorbringen nicht für entscheidungserheblich. Aus dieser Bewertung des Gerichtshofs lässt sich schliessen, dass ein paar Milliarden hier oder dort in Anbetracht des Ausmasses der Krise für die Entscheidung jedenfalls nicht ausschlaggebend waren. Die interessante Frage, ab wann ein paar Milliarden Euro mehr oder weniger für den Gerichtshof von materiell-rechtlichem Interesse wären, muss also offen bleiben. (b) Urteilgründe Der Gerichtshof deduziert aus der Vorlagefrage folgendes überschaubares Prüfprogramm: Stehen drei zentrale Bestimmungen der Kapital-Richtlinie (Artikel 8 (1), 25 und 29) den streitgegenständlichen Massnahmen entgegen? Dürfen also Aktien nicht unter dem Nennbetrag ausgegeben, darf eine Kapitalerhöhung, wie vorliegend, nur von der Hauptversammlung beschlossen und müssen die neu ausgegebenen Aktien im Grundsatz vorrangig Altaktionären angedient werden? Es wird festgestellt, dass durch die Handlungen des irischen Staates gegen alle drei Maßßgaben der Kapital-Richtlinie eindeutig verstossen wurde. Als tragendes Ergebnis der Entscheidung formuliert der Gerichtshof: «Der den Aktionären und Gläubigern einer Ak­ tiengesellschaft durch die Zweite Richtlinie ver­ liehene Schutz in Bezug auf das Gesellschafts­ kapital der Aktiengesellschaft erstreckt sich nicht auf eine derartige, in der Situation einer gravierenden Störung der Wirtschaft und des Finanzsystems eines Mitgliedstaates getroffene Massnahme, die eine aus der unzureichenden Eigenkapitalausstattung der betreffenden Aktiengesellschaft resultierende systematische Bedrohung der finanziellen Stabilität der Union beseitigen soll».5 Er kommt zu dieser Bewertung, indem er zum einen den tatsächlichen Feststellungen des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der finanziellen Leistungsfähigkeit Irlands und der Union auf der einen Seite sowie der ILP, respektive der Tochter ILPGH, auf der anderen Seite ohne Abstriche folgt. Zum anderen stellt der Gerichtshof ohne Beanstandung heraus, dass das vorlegende Gericht die Belange der Kläger gegen die Verpflichtungen Irlands zur Rekapitalisierung der ILP «aufgrund einer wertenden Betrachtung der auf dem Spiel stehenden Interessen» abgewogen habe und das 219

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danach beanstandungslos «die Anordnung das einzige Mittel gewesen sei, um innerhalb der [...] Frist die Rekapitalisierung der ILP herbeizuführen, die erforderlich gewesen sei, um eine Insolvenz [...] zu verhindern und damit eine ernsthafte Bedrohung der finanziellen Stabilität der Union abzuwenden».6 Irland habe sich, auch zeitlich, verpflichtet, die ILP zu rekapitalisieren. Im Zeitpunkt der Entscheidung, so die durch den Gerichtshof übernommene Wertung des vorlegenden Gerichts, hätte jede andere Handlung die Insolvenz der ILP und ILPGH bedeutet. Deshalb sei das Handeln vor dem Hintergrund der besonderen Bedrohung der Finanzmärkte Irlands und der Union, auch in der konkreten Ausgestaltung als Verwaltungshandeln und nicht auf der Basis einer richterlichen Entscheidung, rechtmässig gewesen. Der Gerichtshof sieht sich nicht im Widerspruch zu früheren Entscheidungen zur Kapital-Richtlinie, da in Pafitis 7 lediglich die Ge­ sellschaft selbst und jedenfalls nicht das Finanzsystem in toto von den gesellschaftsrechtlichen Massnahmen betroffen gewesen sei. Gleichsam ergänzend führt der Gerichtshof aus, dass seit Pafitis die Finanzmärkte der Eurostaaten durch die Wirtschafts- und Währungsunion verstärkt integriert wurden und die individualinteressen-schützenden Grundsätze der Kapital-Richt­ linie jedenfalls keinen Vorrang vor den öffentlichen Interessen an stabilen Kapitalmärkten haben. Der Generalanwalt hatte in seinem Schlussantrag noch folgenden weiteren Antwortvorschlag unterbreitet: «Der Mitgliedstaat muss jedoch Mittel einsetzen, die es zwar erlauben, die mit den vorgenannten Rechtsvorschriften verfolgten Ziele wirksam zu erreichen, die aber die Ziele und Grundsätze der Richtlinie 77/91 möglichst wenig beeinträchtigen. Dies zu prüfen, ist Sache der na­ tionalen Gerichte».8 Der Gerichtshof ist diesem Entscheidungsvorschlag nicht gefolgt. (3) Kommentar Fast 10 Jahre nach der unmittelbaren Krise des Finanzsystems hat sich der Staub für Equity- und Nachranginvestoren gerade erst gesetzt. Was für viele Investoren schwer zu ertragen zu sein scheint, ist, dass die ideosynkratischen Risiken ihres In­ vestments durch die systematischen Risiken entscheidend überlagert wurden. Soweit ersichtlich, spielen sich in allen EU-Mitgliedstaaten die gleichen Dispute zwischen ehemaligen Investoren in Equity- und Nachrangpapieren auf der einen und 220

der öffentlichen Hand (Finanzmarktaufsicht etc.), respektive den vielfach neuen Eigentümern der rekapitalisierten Nachfolgeinstitute auf der anderen Seite ab. Das Urteil ist eindeutig. Staatliche Massnahmen zur Rettung des Gesamtmarktes dürfen den aktienrechtlichen Schutzbestimmungen vorgehen, da sie mindestens gleichrangig neben diesen stehen und im Fall der Fälle für den Aktionär kein anders Ergebnis bringen, als er in einem hypothetischen Alternativ­ szenario ohne Rekapitalisierung erlitten hätte. Der Gerichtshof gibt sich erkennbar keine sonderliche Mühe nachzuweisen, weshalb das eine aus dem anderen hervorgeht: weshalb die Logik des vorlegenden Gerichtes sowohl zu den Fakten wie auch zu dessen juristischer Herleitung unwidersprochen bleiben kann. Ob es andere Mittel für den Minister gab, wird im Urteil nicht weiter hinterfragt. Es handelt sich vielmehr um Setzungen, die der Analyse konkreter Probleme vorausgehen. Normativ verobjektivierte Wertung nennt beispielsweise der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Diktion einen solchen Begründungsausfall und verklausuliert damit mehr oder weniger gekonnt, dass das Ergebnis in der richterlichen Vorstellungswelt ohne weitere Erklärung seine Rechtfertigung hat. Auch wenn die vorstehende Urteilskritik angesichts des unumwunden richtigen Ergebnisses des Urteils wenig originell klingt, würde man sich doch an entsprechender Stelle wünschen, der ­Gerichtshof fände zu den wesentlichen Fragen aussagekräftigere Begründungen. Geduldiges Differenzieren hätte den Vorteil, dass die Rechts­ unterworfenen die Grenzen der Herleitung besser erkennen könnten, mit den entsprechenden Folgen für die Rechtssicherheit zukünftigen Handelns. (a) Ausfall der Zweck/Mittel-Relation So entfällt im Urteil des Gerichtshofs beispiels­ weise der noch in den Schussanträgen formulierte Teil zum möglichst schonenden Ausgleich zwischen den Aktionärsrechten und den marktschützenden Eingriffen. Hier sind nun mehrere Rückschlüsse möglich, mit weitreichenden Folgen. Wohlmeinend liesse sich zum einen argumentieren, dass der Gerichtshof dies nicht thematisieren

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musste, da Dowling nach seinem Verständnis neben die Kapital-Richtlinie tritt und hierfür denk­ logisch nur dann Raum ist, wenn der Beklagte in der pflichtgemässen Abwägung seiner Handlungsoptionen nicht an der «Eingriffsbefugnis» der «gravierenden Störung der Wirtschaft und des Finanzsystems» vorbeikommt, er also die Belange der Aktionäre vorher eingehend und möglichst schonend geprüft hat. Andererseits gibt es im Nachgang zur Finanzkrise umfassende europarechtlich induzierte (Banking Recovery and Resolution Directive – BRRD9) und national umgesetzte (für Deutschland: Sanierungs- und Abwicklungsgesetz von Instituten und Finanzgruppen – SAG) Normen, die dem Wechselspiel von Eigentumsschutz und öffentlichem Interesse für die Zukunft umfassend gerecht zu werden versuchen. BRRD und hiernach SAG und FMStG (Gesetz zur Errichtung eines Finanzmarktstabilisierungsfonds) versuchen, einen Ausgleich von Eigentumsschutz, gebotener Lastenverteilung und Beihilferecht zu finden.10 Hieran orientiert sich der gesamte Markt und hierauf baut der Finanzsektor in seiner Risikobetrachtung und in den Mitteln, die zur Erreichung bestimmter Kennziffern benötigt werden, auf. Wenn der Gerichtshof nun dem Beklagten ohne erkennbare Einschränkung carte blanche für den Fall gibt, dass er eine «gravierende Störung der Wirtschaft und des Finanzsystems» feststellt, fragt sich, welchem Handlungsrahmen die öffentliche Hand eigentlich zukünftig unterworfen ist. Mit der Begründung des Gerichtshofs in der streitgegenständlichen Sache liesse sich zukünftig nahezu jede Abweichung von der BRRD rechtfertigen. In der Krise nach dem Sommer 2007 waren unheilvolle wechselseitige Verstrickungen und eine Verstärkung der Resonanzebenen, also der verschiedenen Finanzmärkte, der Meinungsmacher und der öffentlichen Hand, zu beobachten. BRRD/ SAG und alle begleitenden Rechtsakte sollen auch durch ein vorgegebenes Korsett im Vorhinein in zukünftigen Krisen für Handlungssicherheit sorgen. Berechenbarkeit von Abläufen der Marktaufsicht stellt in einer Krisensituation einen grossen Wert an sich dar. Der Gerichtshof hat durch den Ausfall aller Einschränkungen in Dowling hieran möglicherweise unabsichtlich Zweifel begründet. (b) Schonendere Rekapitalisierung? Dass Irland, auf der Basis der eingegangenen Verpflichtungen, eine Wahl hinsichtlich der Form der Kapitalisierung zukam und Irland sich nicht für eine andere, möglicherweise für die Aktionäre

schonendere Form der Kapitalisierung (Nachrangdarlehen, Bareinlagen/Darlehen gegen Besserungsabreden o. Ä.) entschieden habe, ficht den Gerichtshof berechtigterweise nicht an. Im Gegenteil, neben die rein gesellschaftsrecht­ liche Folgenbetrachtung tritt eine Überlegung, die zwar im Urteil nicht angesprochen wird, aber gleichwohl eine Rolle gespielt haben mag, da sie zumindest durch den Generalanwalt in den Schlussanträgen breit besprochen wurde. Irland war mitnichten frei in der Wahl der gesellschaftsrechtlichen Mittel im Entscheidungszeitpunkt. Viele der weiter oben grob benannten schonenderen Mittel wären beihilferechtlich untauglich und scheiden damit als Rettungsinstrumente gesellschaftsrechtlich und ordnungspolitisch aus. Ob der Gerichtshof diese Argumente in seine Erwägungen eingestellt hat, lässt sich aus dem Urteil nicht ersehen; es ist zu vermuten. (c) Das Verhältnis von Dowling und Kotnik zu Pafitis Dowling kann als Ergänzung, nicht als Ausnahme, von Pafitis beschrieben werden. Dowling betrifft nicht den normalen Geschäftsbetrieb, sondern nur aussergewöhnliche «marktkrisenhafte» Sanierungssituationen, und bildet deshalb das zwingende Gegenstück zu Kotnik.11 Mitunter bietet es sich an, das gefundene Ergebnis in sein Gegenteil zu verkehren und die tragende Logik durch den erneuten Vergleich auf Stichhaltigkeit zu überprüfen. Tut man dies hier, dann fällt auf, dass die Handlungsspielräume staatlicher Stützungsmassnahmen sehr eingeschränkt wären, wenn man zuerst darauf bestünde, dass alle Hauptversammlungsformalia (auch die temporären) eingehalten würden. Aktionäre würden im Mindestmass zeitliche Verzögerungen bewirken können. Das Prognoserisiko würde für die Exekutive oder die Aufsicht jedenfalls erheblich vergrössert, da staatliches Handeln weiten Einschränkungen unterliegen würde und beispielsweise allfällige Hauptversammlungsspielchen (Beschlussmängelrügen, Anfechtungen etc.) den Fortgang unpräzise werden lassen. Unter dem Gesichtspunkt der Verant­ wortung staatlichen Handelns für den Bestand und den Rahmen des Gesamtmarktes scheidet dieses Ergebnis denklogisch aus. Aber auch eine andere Betrachtungsweise sollte nicht aus dem Blick rücken. Was Dowling (Equity) und ceteris paribus Kotnik (Nachrang) von Pafitis unterscheidet, ist die Bedrohung für die Stabilität 221

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des Finanzsystems des Mitgliedstaates und der EU. Jede Stützungsmassnahme aus Steuermitteln muss sich sehr kritisch dem Vorwurf der Subven­ tionierung von eigentlich haftendem Eigen- und ggf. Fremdkapital der strauchelnden Gesellschaft stellen. Wenn, wie hier gerichtlich festgestellt (und deshalb zur Grundlage der nachfolgenden Überlegungen erhoben), ohne Stützung die Insolvenz unvermeidlich gewesen wäre, ist im Rückschluss die Beschränkung staatlichen Handelns auf möglichst schonende Eingriffe in das Haft­ kapital nachgerade absurd. Alle weltweiten ordnungspolitischen gesetzgeberischen Bestrebungen laufen auf eine Stärkung der Verantwortlichkeit der haftenden Kapitale hinaus, um dem Dilemma des Moral Hazard12 möglichst effektiv zu begegnen. Diese im Zuge der Finanzkrise neuerlich entbrannte Zuneigung zur öffentlichen Betonung der Risikoverantwortlichkeit von Investorenhandeln galt sicherlich auch schon zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Kapital-Richtlinie. Insoweit ist das Argument der Kläger, die unter anderem in Kotnik einen Eingriff durch eine nachfolgende gesetzgeberische Handlung beklagen, entscheidend geschwächt. (d) English Summary The ECJ decision in Dowling is very much in line with the Court’s ruling in Kotnik. Both touch upon a question raised in the aftermath of the financial crisis. Does state intervention that seeks to forcefully re-capitalise a failing financial institution without adhering to the principles en­ shrined in the Second Directive (Directive 77/91/ EEC) breach EU law, or does the fact that the credit institute’s central role in the financial system of the Member State in question, coupled with the likely risk of severe danger to the financial market stability of all Member States, alter that con­ clusion? Whereas the ruling in Dowling concerns the rights of shareholders, Kotnik deals with subordinated debt instruments. It can be said that now both can stand alongside Pafitis, the ECJ’s prior ruling on the interpretation of rights of investors under the Second Directive. The Court wasted no time in justifying the clearcut result: with that much at stake, a Member State can opt for any means necessary to stop the real threat to the very structure of its financial markets and with that of the European Union as a whole. Sensible as that may sound at first, the broad brush with which the ECJ paints its picture might 222

potentially do some harm to the current set-up of the EU’s response to future severe financial crises. As the Court has ruled without much ado, the safeguards that the current EU banking-restructuring set-up provides for investors could be overturned by future state actions, simply citing this case as a reference for leeway. From an investor’s perspective, this judgment might be a step too far. The implications and limitations of the ruling will be fully appreciated only when there is another seemingly disastrous financial Armageddon ahead. If all goes to plan, that will not be the case any time soon. However, when does anything, ever, fully go to plan?

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Mag. jur., LL.M. Der Autor ist Rechtsanwalt, Syndikusrechtsanwalt und Mediator in Essen und Düsseldorf. Zu seinen Spezialisierungen gehört das Bank- & Kapitalmarktrecht, verbunden mit allen forensischen Ausprägungen des Fachgebietes. 1 Richtlinie 2001/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten und der VO (EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11. Mail 2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus. 2 Number 36 of 2010; Abrufbar unter http://www.irishstatut ebook.ie/eli/2010/act/36/enacted/en/html. 3 Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten. Unterdessen aufgehoben und neu gefasst: Richtlinie 2012/ 30/EU, des Europäischen Parlaments und des Rates, vom 25. Oktober 2012, zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten. 4 Kommission, Entscheidung v. 30.8.2016 – SA.38373; siehe auch, Kommission, Pressemitteilung v. 30.8.2016, IP/16/2923. 5 Urteil, Rn. 50. 6 Urteil, Rn. 48. 7 EuGH, Urteil vom 12.03.1996, C-441/93. 8 Schlussantrag des Generalanwalts Wahl in Dowling u. a. K Minister for Finance, C-41/15, EU:C:2016:473, Rn. 101 a. e. 9 Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/ EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU,

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2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (Text von Bedeutung für den EWR). 10 Siehe ausführlich von Bonin K Olthoff, EuZW, 2016, S. 778 f. 11 Urteil in Kotnik u. a. K Državni zbor Republike Slovenije, C-526/14, EU:C:2016:570; kritisch differenzierend u.a. Stiegler, EuZW, 2016, 921 f. 12 Financial Stability Forum, Report of the Financial Stability Forum on Enhancing Market and Institutional Resilience,

2008, http://www.fsb.org/wp-content/uploads/r_0804.pdf?page_moved=1 (zuletzt aufgerufen 20.11.2016). Siehe auch, EFTA-GH, E-16/11, Icesave, Rn. 167: «In economic literature the lesson of moral hazard has been described with the words that «less is more». Professor Joseph E. Stiglitz has formulated in this respect: «[T]he more and better insurance that is provided against some contingency, the less incentive individuals have to avoid the insured event, because the less they bear the full consequences of their actions»; vgl auch Dowling, Schlussantrag vom 22.06.2016, GA Wahl, Rn. 35.

«Depending on one‘s point of view, the situation at issue in the main proceedings [ ... ] is reminiscent either of the law-inspired works of Franz Kafka, in particular the parable ‚Vor dem Gesetz‘ (Before the Law), or of Don Quixote. In Kafka, the man seeking justice is for no discernible reason denied access to the court and eventually dies of exhaustion. Don Quixote, on the other hand, insists on tilting at windmills instead of devoting himself to more sensible pursuits». Advocate General Kokott in her opinion of 30 June 2016 in Case C-243/15, Lesoochranàrske zoskupenie VLK, point 1 and 2

James Sankey, Düsseldorf*

VAT Treatment of Bitcoin – A Proxy for Other Cryptocurrencies (Skatteverket K David Hedqvist, ECJ (Fifth Chamber), Judgment of 22 October 2015, C-264/14) The Court decided that for the purposes of VAT, Bitcoin is a currency and as such its exchange is an exempt supply for the purposes of Article 135 of Directive 2006/112/EC. Based on this ruling most cryptocurrencies would also satisfy the requirements, opening the doors wider to the further ­adoption, legitimatisation and use of stateless ­digital currencies in the general economy. (1) Facts The ECJ’s judgment concerned the correct treatment for VAT purposes of the exchange of bitcoin.1 The case arose from Mr. Hedqvist’s request for a preliminary decision from the Swedish Revenue Law Commission (Skatterӓttsnӓnmd) as to

the VAT treatment of his intended new business venture – the purchase and sale of bitcoin for Swedish crowns. Mr. Hedqvist intended to open a currency exchange business for bitcoin and would exchange bitcoin based on the prevailing rate plus or minus a certain additional percentage as the businesses consideration for the exchange. The Swedish tax administration had appealed a first instance decision which had found this supply to qualify as exempt, because the use of bitcoin here corresponded to a legal means of payment. It was then left with the Swedish Supreme Administrative Court (Hӧgsta fȯrvaltningsdomstol) to decide. They in turn, referred two questions to the European Court of Justice:

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GESCHÄFTSLEITUNG Dr. rer. pol. Doris Baudenbacher-Tandler, Luxemburg REDAKTION Michael-James Clifton, LL.B.(EU), LL.M.(Adv), Barrister (Chefredakteur) Ref. iur. Moritz Am Ende (Staatliche Beihilfen) Prof. Dr. Jochen Glöckner, LL.M. (Immaterialgüterrecht) RA Ferdinand Ochs / Univ.-Prof. Mag. Dr. Tina Ehrke-Rabel (Steuerrecht) Mag. Theresa Haas, LL.M (Redakteurin) RA Stefan Lars-Thoren Heun-Rehn, Mag. jur., LL.M. (Bank- und Kapitalmarktrecht) Dr. Henning Kahlert, LL.M. (IT- und Datenschutzrecht) Dr. Vincent Kronenberger (Wettbewerbsrecht) Ref. iur. Romen Link (Markenrecht) Dr. Luísa Lourenço, LL.M., LL.M (Redakteurin) Mag. Dr. Klaus Mayr, LL.M. (Arbeits- und Sozialrecht) RA Markus Rübenstahl, Mag. iur. (Justiz und Inneres) Dr. Magnus Schmauch, LL.M. (Finanzmarktrecht) PD. Dr. Myriam Senn, LL.M. (Finanzdienstleistungsrecht) Dr. Gabriel N. Toggenburg, LL.M. (Institutionen und Grundfreiheiten) RA Dr. Alexander Wittwer, LL.M. (Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht) MMMag. Pascal Hartmann (Redakteur) Maria Krausenboeck, LL.B. (Hons), LL.M. (Redakteurin) Joseph Tomlinson, LL.B. (Hons) (Redakteur) Dr. Christine Würfel

Impressum in Zusammenarbeit mit dem

AUTOREN (INNEN) DIESER AUSGABE RA Stefan Lars-Thoren Heun-Rehn, Mag. jur., LL.M. Dr. Werner Miguel Kühn, Dipl. iur. Dr. Emma Linklater, LL.M., LL.B. James Sankey, BS MA(econ) PgdL, Solicitor ABONNEMENTS: Verlag radical brain S.A. L-1024 Luxemburg Postfach 2455 [email protected] www.elr.lu ERSCHEINUNGSWEISE: Zweimonatlich BEZUGSBEDINGUNGEN: Der Jahresbezugspreis beträgt Euro 380,- plus MwSt. und anteilige Versandspesen. Das Abonnement kann jederzeit ohne Angabe von Gründen gekündigt werden. Allfällige Guthaben werden in diesem Fall zurückerstattet.

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