Eine Leiche für Helene

Die Worte des Personalreferenten werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen. Auch nicht die. Gefühle, die sie in mir auslösten: Schock, Verwirrung,. Enttäuschung und schließlich – Wut. Immerhin war ich über 15 Jahre mit Leib und Seele erfolgreich als Leiterin der Marktforschung für das Unternehmen tätig gewe-.
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I l o n a M ay e r - Z a c h

Eine Leiche für Helene

I l o n a M ay e r - Z a c h

Eine Leiche für Helene Kriminalroman

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag: Helene Kaiser ermittelt in Graz (2016)

Die Handlung dieses Romans ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen, Namen oder Vorkommnisse sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Es kann jedoch nie ausgeschlossen werden, dass die Realität die Fantasie überflügelt.

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2016 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2016 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Herstellung: Mirjam Hecht Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von: © Pierre Versluys – Fotolia.com und © Elaine Nadiv / Shutterstock.com Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-8392-4885-0

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Otto Julius Bierbaum

Für dich!

Prolog »Sie muss weg.« Der Glatzköpfige drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. Sein Gesprächspartner verzog den Mund, erhob sich und öffnete die Balkontür. Kühle Abendluft strömte ins Zimmer. »Ich versteh deine Aufregung nicht. Sie kann uns doch nichts anhaben. Wahrscheinlich hat sie nicht einmal bemerkt, was für explosive Unterlagen ihr in die Hände geraten sind.« Verärgert schüttelte der junge Mann den Kopf, nahm den Aschenbecher und stellte ihn draußen aufs Fenstersims. Vom Balkon aus blickte er in die sternenklare Nacht. Wenn er sich streckte, konnte er die beleuchtete Festung am Schloßberg sehen. Im nahe gelegenen Hotelpark machten einige Gäste ihren Verdauungsspaziergang. Vermutlich galten ihre akuten Sorgen den Blähungen, die das üppige Abendbuffet hervorgerufen hatte. Wenn die wüssten, was sich in ihrer unmittelbaren Umgebung abspielt, dachte er und hätte gern mit ihnen getauscht. Aus dem Speisesaal des Hotels drangen Musik, Stimmen und Gelächter an sein Ohr. Was hätte er dafür gegeben, dort unten zu sitzen, in netter Gesellschaft, anstatt sich die Verschwörungstheorien seines paranoiden Komplizen anzuhören. »Natürlich weiß sie, was sie da für Informationen in der Hand hält«, insistierte der Kahlkopf. Er war dem Jüngeren auf den Balkon gefolgt. »Abgesehen davon stellen die Unterlagen noch unser geringstes Problem 7

dar. Du schätzt sie noch immer falsch ein. Geht es nicht in deinen Schädel, dass die keinen Safe knacken muss, um uns ernsthafte Schwierigkeiten zu bereiten? Wenn es ihr in den Sinn kommt, genügen ein paar Telefonanrufe und wir können uns brausen. Sie ist wie eine Bombe, die jederzeit hochgehen kann. Wir müssen sie entschärfen.« »Hältst du mich für blöd? Das weiß ich doch selbst. Aber ich finde es klüger, keine schlafenden Hunde zu wecken. Ich bin überzeugt, dass sie noch keinen Verdacht hegt.« »Wir haben es mit keiner naiven Tussi zu tun. Während wir hier herumquatschen, recherchiert sie wahrscheinlich schon und sammelt Beweise gegen uns.« Du nervst, dachte der Jüngere. Aber noch brauchte er seinen Geschäftspartner. Zumindest, bis alles so abgewickelt war, wie er sich das vorstellte. »Also gut, was schlägst du vor?« »Heute Nacht machen wir kurzen Prozess.«

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1. Kapitel

Ein Donnerstag Anfang September

1 Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich fühlte mich wie eine Hundertjährige, die aus dem Bett kroch. Genau doppelt so alt, wie ich demnächst werden würde. Mir taten alle Knochen weh, meine Nase rann, und der Hals kratzte. Hätte ich mich bei der gestrigen Besprechung lieber nicht unter die Klimaanlage gesetzt. Bei dem warmen Wetter, das derzeit in Graz herrschte, war mir das kühlende Lüftchen gerade recht gekommen. »Früher hat’s Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter gegeben. Heut hamma alles an einem Tag. Kein Wunder, dass die Leut so deppert sind«, hatte es meine liebe Freundin Karin Dorfer kürzlich auf den Punkt gebracht. Apropos Karin. Ich zückte das Handy. »Na du hörst dich aber nicht gut an. Bist krank? Eine Absage lass ich aber nicht gelten, weil ich mir für unser Wellness-Wochenende schon einen tollen Bikini gekauft hab«, stellte die beste Freundin von allen klar. Ich ließ den Wortschwall über mich ergehen. Es würde nicht der letzte in den nächsten Tagen sein. »Keine Sorge, unser Wellness-Wochenende findet 9

statt. Schon allein deshalb, weil diese Wohnung demnächst zur unbewohnbaren Ruine wird. Ich wollte nur wissen, wann ich dich vom Zug abholen soll«, erkundigte ich mich, als ich endlich zu Wort kam. »Wieso? Was ist los mit der Wohnung?« »Bitte sprich mich im Moment nicht darauf an«, wiegelte ich ab. Der Gedanke an den Lärm und den Schmutz der letzten Tage, als die alten Fliesen abgeschlagen und der Holzboden herausgerissen worden waren, ließ mich jetzt noch schaudern. Die meiste Zeit war ich mit meinem Laptop in mein nahe gelegenes Stammkaffeehaus geflohen. Der Gipfel war jedoch, als mich gestern Nachmittag der Installateur anrief und den für heute vereinbarten Termin absagte. Er hatte einen Mopedunfall gehabt und würde die nächsten sechs Wochen einen Gips am Arm tragen. »Ich komm mit einem verlässlichen Kollegen vorbei«, sagte er. »Versprochen. Gleich Montagfrüh.« »Es ist Ihnen aber schon klar, dass ich nun alle angesetzten Handwerkertermine wegen Ihnen verschieben muss?«, fragte ich ihn. Aber da hatte er das Telefongespräch bereits beendet. So stand ich nun mitten im Chaos, das noch eine Weile andauern würde. Keiner von den Handwerkern, die ich um eine Terminverschiebung bitten musste, war begeistert. Es war manchmal leichter, einen freien Termin bei einem Generaldirektor eines börsennotierten Unternehmens zu bekommen als bei einem Fliesenleger. Aber schließlich schaffte ich es mit allen mir verfügbaren Überredungskünsten, den ganzen Trupp am kommenden Montagmorgen zu einer finalen Besprechung in der Wohnung zu vereinen. 10

»Hallo, Helenchen, bist du noch dran?«, unterbrach Karin meine Gedanken und holte mich in die Gegenwart zurück. »Ja klar. Entschuldige bitte. Ich hab mich hier grad umgeschaut. Dabei hat es mir kurz die Sprache verschlagen«, versuchte ich, den Zustand der Wohnung mit Galgenhumor hinzunehmen. »Ich steig gegen elf Uhr hier in Wien in den Zug, so gegen halb zwei bin ich dann in Graz. Sofern nicht wieder ein Baum über den Gleisen liegt oder ein technischer Defekt für Verspätung sorgt. Ich freu mich schon, dich wiederzusehen, und dann musst du mir alles haarklein berichten. Bis dann. Bussi, baba.« Karin und ich hatten uns das letzte Mal vor rund zwei Monaten gesehen. Genauso lange war es her, dass ich es mir in der steirischen Landeshauptstadt gemütlich gemacht hatte. Im Frühjahr dieses Jahres war meine liebe Tante Rosa gestorben und hatte mir ihre schön gelegene Wohnung in der Innenstadt vererbt. Also reiste ich nach Graz, als der Flieder blühte, um die Formalitäten mit dem Notar abzuwickeln. Ich hatte geplant, die Wohnung so rasch wie möglich zu verkaufen und nach Wien zurückzukehren. Schließlich lebte und arbeitete ich mittlerweile seit fast 30 Jahren dort: mit Thomas, meiner besseren Hälfte, und meinen zwei Kindern. Valerie, mittlerweile 22 Jahre jung, und Patrick, zwei Jahre älter, waren nach turbulenten Zeiten aus dem Gröbsten raus. Unser hübsches Haus im Grünen war fertig umgebaut, die Raten abbezahlt. Zum ersten Mal nach Jahrzehnten hatte ich das Gefühl, dass alles rund lief und ich wieder Zeit für mich hatte. Kurz bevor ich einen 11

Makler mit dem Wohnungsverkauf beauftragte, ereigneten sich jedoch drei einschneidende Veränderungen in meinem Leben. Zunächst lud mich Thomas zu einem stilvollen Abendessen über den Dächern Wiens ein, was mich einigermaßen stutzig machte. Thomas gehörte bei Gott nicht zu den Romantikern, bei denen solche Einladungen oder Rosensträuße auf der Tagesordnung standen. Mein Mann war Bauingenieur. Des Rätsels Lösung fiel, wie erwartet, ernüchternd aus. »Helene, ich habe die Möglichkeit, für einige Monate in den Senegal zu gehen. Ich soll dort an der Generalsanierung eines Wasserkraftwerks mitarbeiten.« Wo war gleich noch mal Senegal, überlegte ich fieberhaft. Ist das nicht irgendwo in Afrika? Ich musste endlich wieder einen Atlas studieren. Seit meinem Geografie-Unterricht im Gymnasium hatte sich so vieles auf der Welt verändert, und über die Jahre hatte ich auch das eine oder andere vergessen. »Wie lange genau?« Die Nachricht konnte mir das Lachsfilet in der Macadamianusskruste an SafranPerlgraupen nicht verderben. Ich hatte mich mit zwei Pubertierenden herumgeschlagen, während Thomas in Kasachstan oder sonst wo auf dieser Welt Kraftwerke gebaut beziehungsweise saniert hatte. Schlimmer konnte es jetzt, da unser Nachwuchs erwachsen war, nicht mehr werden. Dachte ich. »Drei, vier Monate höchstens«, antwortete er. »Aber wenn du nicht willst, dass ich so lange Zeit so weit weg bin, kann ich natürlich versuchen …«, druckste er herum. 12

Das war lieb von ihm, aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, wie wichtig es ihm war, solche Herausforderungen anzunehmen. Er war nun 54 Jahre alt, und mir war lieber, er tobte sich im Job aus, als dass er mit einer 30 Jahre jüngeren Sexbombe im knallgelben Ferrari die Gegend unsicher machte. So wie sein gleichaltriger Freund Georg alias Schurli, der nach rund 20 Jahren Ehe und Kinderaufzucht im wahrsten Sinn des Wortes noch einmal Gas gab. »Natürlich nimmst du diese Chance wahr«, bekräftigte ich Thomas. Auch wenn das bedeutete, dass wir uns für die Dauer des Projekts auf Kurzbesuche, Urlaube, gelegentliches Skypen und Telefonsex beschränken mussten und ich ihn zuweilen vermissen würde. Mitte Juni sollte es bereits losgehen. »Ich liebe dich«, sagte Thomas. Na immerhin. Als Nächstes wurde ich aus heiterem Himmel zu einem außerordentlichen Mitarbeitergespräch geladen. »Frau Magistra Kaiser, bitte verstehen Sie uns nicht falsch. Wir schätzen Sie sehr und danken Ihnen für die vielen Jahre, die Sie uns wertvolle Dienste geleistet haben. Aber wie Sie wissen, zwingt uns die Wirtschaftskrise …« Die Worte des Personalreferenten werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen. Auch nicht die Gefühle, die sie in mir auslösten: Schock, Verwirrung, Enttäuschung und schließlich – Wut. Immerhin war ich über 15 Jahre mit Leib und Seele erfolgreich als Leiterin der Marktforschung für das Unternehmen tätig gewesen und hatte mir Tag für Tag meinen Allerwertesten für die Bude aufgerissen. Nun erklärte mir dieser Schnösel von Personalchef, 13

der altersmäßig fast mein Sohn hätte sein können, dass es in nächster Zeit zu einigen Umstrukturierungen im Unternehmen kommen würde. »Im Zuge dessen werden wir auch den Marktforschungsbereich auflassen und künftig outsourcen. Unsere Kalkulationen ergeben, dass wir so deutlich kostensparender und flexibler auf aktuelle Anforderungen reagieren können …« Als ob ich nicht flexibel genug gewesen wäre. »Und was bedeutet das konkret für mich?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon ahnte. Dennoch wollte ich es dem Jungspund nicht allzu leicht machen, sich aus der Pflicht zu stehlen. Er faselte noch etwas vom Aufbau und der Leitung eines neuen Callcenters in einem Großraumbüro in Osteuropa. Aber da hörte ich ihm schon nicht mehr zu. Hellhörig wurde ich erst wieder, als er mir den ›Golden Handshake‹ anbot. Wenigstens etwas. Ich willigte also in die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses mit sofortiger Freistellung ein. Es war schon absurd, wie viel es ihnen wert war, dass ich künftig nicht mehr für sie arbeiten würde. So deprimierend meine plötzliche Arbeitslosigkeit war, wenigstens bescherte mir das Geld die Möglichkeit, ohne Zeitdruck eine neue berufliche Herausforderung zu finden. Auch wenn ich noch keine Ahnung hatte, welche das sein sollte. Zu guter Letzt stellte mich meine liebe Tochter Valerie, die Pferdenärrin, vor die vollendete Tatsache, dass sie ihr BWL-Studium für eine Weile auf Eis legen und stattdessen nach Island ziehen wollte. »Ich habe schon alles organisiert«, informierte sie mich eines schönen 14