Eine Geschichte voller Löcher - MyCity

Marinade: Olivenöl in einer Schüssel mit Knoblauch, Salz, Pfeffer, Oregano,. Paprika und Zitronensaft mischen. Trutenschnitzel eine Stunde im Kühl- schrank ...
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Essen & Trinken.

| Freitag, 30. Dezember 2016 | Seite 23

Eine Geschichte voller Löcher Tradition und Qualität des Schweizer Käses haben viel mit der Romandie und dem Winter zu tun

Alte Rezepte, gute Qualität Im Greyerzerland gibt es noch viele solche kleinen Käsereien, in denen die Milch der Bauern aus dem Dorf verarbeitet wird. Dass Horner seit Jahren zu den besten und originellsten Fromagers der Schweiz zählt, hat mit einem alten

Foto zu tun, das er vor Jahren in seiner früheren Käserei entdeckte. Es zeigt einen Marktstand in Bulle um das Jahr 1950, mit Vacherins, die ganz anders aussehen, als Horner sie bis dahin kannte. Mit leicht angeschimmelter Decke und fliessend weichem Teig direkt unter der Rinde. Aus diesem Vacherin alter Art war ein unscheinbarer, wenig überzeugender Kühlthekenartikel geworden, der meistens in einem Fondue verschwand. Mithilfe alter Rezepte begann Horner, den eigentlichen Vacherin wiederzubeleben und verhalf der Sorte dadurch zu einem immensen Qualitätssprung. Heute sehen seine Laibe urchig wie aus der Form geratene Brote oder leicht stockfleckige Käsekuchen aus. Dafür, dass der Rand seiner Vacherins ebenfalls besonders weich wird, sorgt die von ihm bei einem Teil seiner Produktion angewandte «Thermisierung», bei der die Milch nicht pasteurisiert, aber auf 58 Grad erhitzt wird, um einen Teil der schlechten Bakterien abzutöten und die guten zu unterstützen. Die Rohmilch von heute sei nicht mit der vor fünfzig Jahren vergleichbar, sagt Horner. Auch deshalb versucht er, mithilfe der Thermisierung dem Vacherin à l’Ancienne so nahe wie möglich zu kommen. Heraus kommt dabei ein Käse mit fein säuerlichem Kern und cremigem Rand, der mit der Reifung insgesamt immer weicher und aromatischer wird. Der Fromager hat sich auch Gedanken darüber gemacht, ob der Winter-

Gefülltes Trutenfilet

Spaghetti-Lauch-Nester

Zutaten für 4 Personen Marinade 1 EL Olivenöl 1 Knoblauchzehe, gehackt 1 TL Oregano 1 TL Paprika 1 /2 Zitrone, Saft

Zutaten für 4 Personen 500 g Lauch 250 g Spaghetti Salz 200 g Karotten 300 g Champignons 2 EL Rapsöl Pfeffer 2 TL eingelegte grüne Pfefferkörner 3 dl Milch 1 Ei 125 g geriebener Gruyère AOP

Von Christoph Weymann Es trieft und dampft in der Käseküche von Marc-Henri Horner im Dörfchen Marsens, ein paar Kilometer von Gruyères im Freiburgerland. Der nasse Boden ist fast so glatt wie die Stiegen des Seiteneingangs an diesem Wintermorgen. Gerade sind zwei Angestellte dabei, den Vacherin aus dem grossen Kupferkessel zu heben. Davor haben die Käser immer wieder die Körnung der geronnenen Milch auf einer Art Kehrschaufel geprüft und die dickflüssige Masse mit einem riesigen Drahtgitter, der Käseharfe, in Schnörkelbewegungen von Hand geschnitten. Jetzt tauchen die jungen Männer immer wieder ein auf einen runden Rahmen gestecktes Tuch in den Kessel, um es anschliessend als klatschnasses Riesenbündel mit einer elektrischen Winde ein paar Meter durch den Raum in eine Zwischenform zu wuchten. Aus den sechzig, siebzig Zentimeter grossen Stoffkugeln voller weisser Käsekörner rauscht die gelbliche Molke schwallweise in den Kessel zurück und platscht quer über den Boden. Kein Zweifel, hier wird noch mit vollem Körpereinsatz gekäst.

4 Trutenschnitzel 4 Scheiben Parmaschinken 4 Scheiben Vacherin Fribourgeois AOP 2 dl Crème fraîche 1 TL Senf Salz, Pfeffer Zubereitung Marinade: Olivenöl in einer Schüssel mit Knoblauch, Salz, Pfeffer, Oregano, Paprika und Zitronensaft mischen. Trutenschnitzel eine Stunde im Kühlschrank marinieren lassen. Den Ofen auf 200 Grad vorheizen. Auf jedes Trutenschnitzel eine Scheibe Parmaschinken und eine Scheibe Vacherin geben. Zu einem Filet aufrollen. Mit Küchenschnur binden. Die Trutenfilets in einer erhitzten Bratpfanne von allen Seiten anbraten. Crème fraîche und Senf in einem Gefäss gut vermischen. Die Filets und die Rahm-Senf-Mischung in eine ofenfeste Form geben. Im Ofen 12 Minuten garen.

Zubereitung Lauch der Länge nach aufschneiden und in schmale Streifen schneiden. Spaghetti in Salzwasser al dente garen, Lauchstreifen in den letzten 3 Minuten mitkochen. Abtropfen lassen. Karotten schälen, in ca. 5 mm kleine Würfel schneiden. Champignons ebenfalls klein würfeln. Öl erhitzen, Champignons darin gut anbraten. Karotten zufügen, mit Salz und wenig Pfeffer würzen, ca. 5 Minuten weiterbraten. Pfefferkörner grob hacken, unter das Gemüse mischen. Spaghetti und Lauch mit einer Fleischgabel zu Nestern wickeln, in eine Gratinform setzen. Gemüsemischung in die Nester verteilen. Milch, Ei und Gruyère AOP mischen, mit Salz und Pfeffer würzen. Guss über Nester giessen. In der Mitte des 200 Grad heissen Ofens 25–30 Minuten überbacken.

käse mit dem Sommerkäse mithalten kann. Viele haben ein Problem mit dem weisslicheren Teig der im Winter hergestellten Laibe, der darauf hinweist, dass den Kühen kein frisches Gras zur Verfügung stand – und damit auch der Käse nicht das volle Aroma haben kann wie im Sommer. Am Ende ist Horner darauf gekommen, dass jede Saison ihre Berechtigung hat, es gebe sogar Leute, die Winterkäse bevorzugen. Wer Sommerkäse haben wolle, müsse auch Winterkäse essen, habe mal jemand gesagt, erzählt Horner. Sommerkäse, Winterkäse Früher, als bis ins 19. Jahrhundert ausschliesslich auf den Alpen produziert wurde, war die Sache klar: Im Sommer wurde Gruyère hergestellt, im Frühjahr und Herbst, wenn nicht genügend Milch für dessen grosse Formen zur Verfügung stand, dessen «kleiner Bruder» Vacherin für den Verbrauch vor Ort. Auch die traditionell im Sommer hergestellten, länger gereiften und lange haltbaren Hartkäse haben viel mit der kalten Jahreszeit zu tun, sind sie doch auch eine Art Milchersatz für den Winter. Die heute Tête de moine genannten, kompakten Käselaibe des Klosters Bellelay dienten früher den Mönchen als Eiweissration. Und der Gruyère, ein Ahne des Emmentalers, des Comté und anderer Sorten, wurde im 17. Jahrhundert zu einem beliebten Exportartikel, weil holländische Seefahrer und die französische Marine seine besondere Qualität als Schiffsproviant erkannten. Erst im 14., 15. Jahrhundert hatte sich die Käseherstellung auf dem Gebiet der Schweiz in Richtung der heutigen Hartkäse entwickelt. Bis dahin hatte man fast ausschliesslich Sauermilchkäse aus Ziegen- und Schafsmilch hergestellt. Zwar hatten schon die Römer die Kunst der Süsskäseherstellung mithilfe von Lab in der Region eingeführt. Nur war das anspruchsvollere Verfahren später von der primitiveren Sauermilchkäserei der Alemannen wieder verdrängt worden. Grosszügig verlängerte Tradition So sehr sich viele um die korrekte Hohlraumbildung beim Schweizer Käse Sorgen machen, so wenig können manche es ertragen, dass auch seine Geschichte voller Löcher ist. Die manchmal grosszügig vollzogene Verlängerung der Traditionslinie heutiger Sorten bis in die Römerzeit wird aber schon dadurch nicht realistischer, dass es damals kaum Kühe im Alpenraum gab, zumal die wenigen, bloss rehgrossen Tiere auch nur wenig Milch gaben. Apropos Tradition: Auch das Fondue ist, wie der Volkskundler Ueli Gyr untersucht hat, bei Weitem nicht so alt, wie dies oft behauptet wurde. So schön es auch wäre, ist das nationale Rührstück demnach keine uralte Älplermahlzeit, sondern wurde zuerst in den Städten gegessen. Zwar gibt es frühe Hinweise auf fondueähnliche Gerichte, sogar schon in Homers «Ilias» und viel später, im 1699 erschienenen Kochbuch der Zürcherin Anna Margaretha Gessner, die empfahl, «Weisswein mit Käse aufzukochen und dann mit Brot zu essen». Der Aufstieg von der Westschweizer Spezialität zum (inter)nationalen Kultgericht vollzog sich aber erst in der

Immenser Qualitätssprung. Der Reifungskeller für Vacherins von Marc-Henri Horner in der Nähe von Marsens bei Gruyères. Fotos Christoph Weymann

Einer der besten im Land. Fromager Horner und sein Vacherin.

Mitte des letzten Jahrhunderts, als die halbstaatliche Käseunion in der massiven Propagierung des Inlandkonsums ihrer Produkte ein Mittel sah, die eingebrochenen Exporte auszugleichen. Ausserdem verbreitete sich der Caquelon-Kult durch junge Männer, die das Essen beim Militärdienst kennengelernt hatten, im ganzen Land. Auch das vergleichsweise jugendliche Nationalgericht hat wie sein Pendant Raclette viel mit dem Winter zu tun – wobei die Wirtin des Restaurants Fleur de Lys in Gruyères von Landsleuten zu berichten weiss, die sich vor lauter Sehnsucht nach einem feinen Fondue unter die vielen weitgereisten

Touristen mischen, um wie diese selbst im Hochsommer vermeintlich inkognito die Käsespeise zu bestellen. Ein paar Kilometer weiter südlich, im Pays-d’Enhaut, wird nicht nur in kleinen Mengen ein exzellenter, traditioneller Alp-Gruyère produziert, der Etivaz heisst, weil die Region längst nicht mehr zum Greyerzerland gehört. Dort gibt es auch experimentierfreudige Fromagers, wie den ehemaligen Etivaz-Käser Jean-Robert Henchoz in Rossinière, der sich seit der Jahrtausendwende zu einem der besten Schweizer Schafskäseproduzenten entwickelt hat. Am Anfang stand der spontane Kauf einer kleinen Herde – nachdem er eigentlich nur ein paar Tiere für den Eigenbedarf gesucht hatte, weil eine seiner Töchter unter einer Kuhmilchallergie litt. Inzwischen stellt der freundliche Hüne in seinem Familienbetrieb mehr als ein Dutzend Produkte her – darunter einen Hartkäse und Joghurt aus Schafsmilch, aber auch Ziegen- und Kuhmilch spielen noch eine Rolle. Mehr gehe wirklich nicht, sagte er – obwohl: Er denke darüber nach, eine Art Roquefort zu kreieren. Den gibt es zwar noch nicht, weil die Schafsmilch nicht reicht – aber dafür schon mal einen neuen Blauschimmelkäse aus Kuhmilch. Käse-Infos und Ausflugstipps: www.fromagerie-de-marsens.ch (Marc-Henri Horner) www.sapalet.com (Jean-Robert Henchoz) www.lamaisondugruyere.ch (Gruyère-Schaukäserei in Pringy) www.fromagerie-alpage.ch (Alpkäserei Moleson, u.a. Vacherin) www.tpf.ch (Fondue-Zug ab Bulle, Oktober bis April) www.tetedemoine.ch (Bellelay)

Der Wein fürs Weekend

Gar nicht so einfach, die Kombination mit dem Käse Chandra Kurt Ein Glas Wein, ein Stück Brot, ein Stück Käse und ich bin glücklich – sei es in einer Hütte, in einem Restaurant oder bei mir am Küchentisch. Wein und Käse geniesst man gerne zusammen, obschon das gar nicht so einfach ist. Diese Verbindung gehört zu einer der schwersten überhaupt. Denn passen Wein und Käse nicht zusammen, werden beide Partien ungeniessbar. Nichtsdestotrotz gilt diese Paarung als Klassiker. Beide Produkte sind das Resultat einer Fermentation, beide brauchen Zeit, um ihre ideale Reife zu erreichen.

Gut gereifte Weissweine mit Substanz bringen durch ihre feingliedrige Säure die Aromen eines kräftigen Käsetyps (ein Sbrinz zum Beispiel) sehr schön zutage. Bei reiferen Käsen bereichern deren salzige Noten den Geschmackseindruck um eine weitere Nuance. Persönlich entkorke ich dazu einen alten Chasselas, zum Beispiel aus dem Dézaley. Im Falle von Rotwein bringen Käse und Wein die gleichen Vorzüge mit: Geschmeidigkeit, Finesse, Schmelz und Würze. Das Tannin – das der hier gefragte Rotweintyp durchaus haben darf – sollte unbedingt reif und gut integriert sein.

Eine meiner liebsten Kombinationen ist jedoch die mit einem trockenen Schaumwein, der auch aus der Champagne stammen darf. Ein kleiner Geheimtipp wäre hier der Blanc de Blanc (100 Prozent Chardonnay) des Hauses Delamotte. Geheimtipp, weil er vom selben Kellermeister vinifiziert wird, der auch den legendären Kultchampagner Salon vinifiziert. Seine feine Mousse und seine frische Aromatik passen perfekt in Kombination mit einem Schweizer Käseklassiker oder um aufs neue Jahr anzustossen.

www.chandrakurt.com

Champagne Delamotte Blanc de Blancs, Fr. 49.90, Globus Delicatessa. www.globus.ch