Ein Meilenstein in der Medizin. Die Geschichte des

The Cure of Childhood Leukemia – Into the Age of Miracles“. [84] die Heilung der Leukämie bei Kindern ein einzigartiges Ereignis in der. Medizingeschichte ...
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Ein Meilenstein in der Medizin Die Geschichte des Behandlungserfolges bei Leukämie und Lymphom im Kindesalter

von

Christian Müller

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Inhaltsverzeichnis Vorwort

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Einf¨ uhrung

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Der Tag an dem alles anders wurde

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I.

Grundlagen & Anf¨ ange

1. Was ist Leuk¨ amie? 1.1. DNA als Tr¨ ager der Erbinformation . . . . . . . . . . . . . . .

1 3 9

2. Ein Blick u ¨ber den großen Teich – Sidney Farbers Entdeckung

13

3. Chemotherapie

17

4. Die 1950er- und 1960er-Jahre

29

5. Zusammenarbeit ist wichtig: Fachgesellschaft und Therapieoptimierungsstudien

37

II. Eine Erfolgsgeschichte

41

6. Die DAL-Behandlungstudie von Fritz Lampert

43

i

7. Die West-Berliner Studie von Hansj¨ org Riehm

53

8. ALL-Studien der BFM-Gruppe

69

8.1. BFM 76/79 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

8.2. BFM 79/81 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

8.3. Kinderkrebsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

8.4. ALL-BFM 81 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

8.5. ALL-BFM 83 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 8.6. ALL-BFM 86 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 8.7. ALL-BFM 90 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 8.8. ALL-BFM 95 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 8.9. Sp¨ atfolgen der Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 9. BFM-Studien zur B-ALL

149

10.NHL-Studien der BFM-Gruppe

163

10.1. NHL-Studie BFM 1975/81 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 10.2. NHL-Studie BFM 1981/83 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 10.3. NHL-Studie NHL-BFM 86 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 10.4. NHL-Studie NHL-BFM 90 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 10.5. NHL-Studie NHL-BFM 95 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 11.Pers¨ onliche Aufzeichnungen – Ein Patientenbericht

191

12.ALL-Studien der CoALL-Gruppe

209

12.1. Hamburger ALL-Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 12.2. M¨ unchener ALL-Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 12.3. CoALL-Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 13.ALL-Rezidivstudien der REZ-BFM-Gruppe

231

13.1. ALL-REZ BFM 83 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 13.2. ALL-REZ BFM 85 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

ii

13.3. ALL-REZ BFM 87 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 13.4. ALL-REZ BFM 90 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 14.Unterst¨ utzer der p¨ adiatrischen Onkologie

261

14.1. Kind-Philipp-Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 14.2. Deutsche Krebshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 14.3. Deutsche Leuk¨ amie-Forschungshilfe (DLFH) . . . . . . . . . . . 264 14.4. Deutsche Jos´e Carreras Leuk¨ amie-Stiftung . . . . . . . . . . . . 264 14.5. Madeleine Schickedanz-KinderKrebs-Stiftung . . . . . . . . . . 265

III. Ausblick

267

15.Zusammenfassung & Ausblick

269

16.Dank

277

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Gegenw¨ artige Anschrift des Autors: Christian M¨ uller Universit¨ atsklinikum Schleswig-Holstein, Campus L¨ ubeck Klinik f¨ ur Kinder- und Jugendmedizin, P¨adiatrische Onkologie & H¨amatologie Ratzeburger Allee 160 23538 L¨ ubeck

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Der Anfang ist die H¨ alfte des Ganzen!“ ” Aristoteles (Griechischer Philosoph 384 v. Chr. - 322 v. Chr.)

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Vorwort Erkrankt ein Kind an Krebs, bricht f¨ ur das betroffene Kind und seine Eltern die Welt zusammen. Von einer Sekunde auf die andere ist nichts mehr so wie es vorher war. Einen klaren Gedanken kann man nicht fassen, weil man sich in einem R¨aderwerk aus schneller Diagnostik und einzuleitender Therapie wiederfindet. Oft bemerkt man erst Tage sp¨ater, was eigentlich mit einem selbst und nat¨ urlich dem Kind passiert ist. 1800 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren erkranken j¨ahrlich in Deutschland an Krebs, 600 davon erhalten die Diagnose Leuk¨ amie, die damit die h¨ aufigste b¨ osartige Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen ist. Das vorliegende Buch ist eine Chronik des Behandlungserfolges der (akuten) Leuk¨ amie, der Rudolf Virchow 1845 ihren Namen gab. Dies heißt u ¨bersetzt Weißes Blut“. ” Von Virchows Beschreibung bis heute spannt dieses Buch einen Bogen u ¨ber verschiedene Epochen. Von jahrzehntelanger Hoffnungslosigkeit u ¨ber kurzzeitige Verdr¨angung der Leuk¨amie bis zur M¨oglichkeit eine Heilung zu erzielen. Es ist ein Versuch den Themenkomplex Leuk¨amie“ so aufzubereiten, dass Interessier” te, Betroffene und deren Angeh¨ orige sich verst¨ andlich u unde, ¨ber die Hintergr¨ die Therapie und die Erfolgsaussichten informieren k¨ onnen. Es sollte prim¨ ar ¨ kein Fachbuch sein – aber es darf nat¨ urlich durchaus von Arzten gelesen werden. Vielmehr ist es ein Sachbuch, das die Geschichte der Leuk¨amiebehandlung bei Kindern als ein Teil der Medizingeschichte schildert. Dieses Thema ist vielleicht die Erfolgsgeschichte der Medizin, die es verdient monographisch dargestellt zu werden. Das Buch wirft aber nicht nur einen

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Blick zur¨ uck, sondern auch eine Perspektive in die Zukunft. N¨ amlich mit der Frage: Wird es irgendwann m¨ oglich sein, Leuk¨ amie bei jedem Patienten zu heilen? Der ein oder andere Leser mag sich vielleicht jetzt die Frage stellen, ob ein Buch u are. ¨ber das gesamte Thema Krebs“ nicht viel interessanter w¨ ” Die Antwort f¨allt zum jetzigen Zeitpunkt kurz aus: Weil gerade die Erfolge bei der Behandlung der Leuk¨ amie im Kindesalter eine Darstellung rechtfertigen, die diese Krankheit zum Mittelpunkt hat und die sie nicht am Rande streift. Am Ende des Buches angelangt wird der jetzt noch skeptische Leser sicherlich nichts mehr vom inhaltlichen Konzept hinterfragen, weil er dann die Historie kennt und verstehen wird, weshalb im Titel von einem Meilenstein“ die Rede ” ist. Der amerikanische Arzt John Laszlo hat in seinem 1996 erschienenen lesenswerten Werk The Cure of Childhood Leukemia – Into the Age of Miracles“ ” [84] die Heilung der Leuk¨ amie bei Kindern ein einzigartiges Ereignis in der Medizingeschichte genannt. Laszlo rekonstruiert die Geschichte anhand der wichtigsten Personen, denen er jeweils ein Kapitel widmet. Auch im Laufe meines Buches werden verschiedene Personen eine zentrale Rolle einnehmen, deren Namen untrennbar mit dem Erfolg der Leuk¨amiebehandlung bei Kindern verbunden sind. Ich m¨ ochte keine Personen besonders hervorheben, sondern ¨ eine sachliche Beschreibung des Inhalts liefern. Dass einige Arzte ¨ofter genannt werden als andere, bedeutet keine Aberkennung ihrer Leistungen, sondern ist vielmehr der Tatsache geschuldet, dass in einem solchen Werk nicht jeder einzelne ber¨ ucksichtigt werden kann. Das Buch basiert auf anderen B¨ uchern, Artikeln aus medizinischen Fachzeitschriften, Erinnerungen und Gespr¨achen. Nicht zuletzt st¨ utzt es sich auf Inhalte vom Archiv der Deutschen Gesellschaft f¨ ur Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in Berlin. Alle Quellen sind am Ende des Buches aufgef¨ uhrt. Ziffern in eckigen Klammern im Text verweisen auf den entsprechenden Eintrag im Literaturverzeichnis.

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Das Buch f¨ uhrt von der Vergangenheit in die Gegenwart und die Zukunft der Leuk¨ amiebehandlung bei Kindern. Es ist auch ein pers¨ onlicher Bericht, weil ich im Jahr 1989 im Alter von sieben Jahren selber an einem Non-HodgkinLymphom erkrankte. Meine Erlebnisse habe ich in einem gesonderten Kapitel niedergeschrieben. Der Text erh¨ alt so neben den fachlichen Inhalten auch eine pers¨ onliche Note. Die Non-Hodgkin-Lymphome sind in der Therapie der Leuk¨ amie sehr a ¨hnlich und werden deshalb auch thematisiert. Mein Bericht aus der Zeit als ich selber Krebspatient war, basiert auf Erinnerungen und auf Eintragungen in der Krankenakte. Daher m¨ ochte ich mich bei der Klinik f¨ ur Kinder-Onkologie, -H¨amatologie und Klinische Immunologie (Direktor: Prof. Dr. med. Arndt Borkhardt) am Universit¨atsklinikum D¨ usseldorf bedanken, dass ich nach mehr als zwei Jahrzehnten die Gelegenheit bekommen habe, ausf¨ uhrlich in meine Akte zu schauen. Nur sehr schlecht in Worte zu fassen ist der Dank ¨ f¨ ur die Arzte, die mich 1989/1990 in D¨ usseldorf behandelten. Herr Prof. G¨obel und Herr Prof. J¨ urgens haben mit ihrem Team immer eine besondere Leistung der a¨rztlichen Kunst vollbracht. Frau Dr. Janßen ist noch eine aus meiner Zeit ¨ verbliebene Arztin in der D¨ usseldorfer Kinderonkologie. Auch bei ihr m¨ ochte mich bedanken, denn niemand konnte besser eine Lumbalpunktion durchf¨ uhren als sie. Ich habe mich bem¨ uht, den Text im Buch so verst¨andlich wie m¨oglich zu schreiben. Leider sind medizinische Sachverhalte trotz aller Bem¨ uhungen nicht immer leicht zu vermitteln. Dennoch hoffe ich, dass mir der Versuch bestm¨oglich gelungen ist. Die Medizin sollte nicht eine Disziplin sein, die nur ihren Spezialisten verst¨andlich ist. Meine Bem¨ uhung war es, durch eine gute Textverst¨andlichkeit diesen Nicht-Fachleuten gerecht zu werden. Die Personen, denen ich zu danken habe, sind im letzten Kapitel aufgef¨ uhrt. An dieser Stelle folgt aber schon einmal der Dank beim Verlag Lehmanns Media f¨ ur die Publikation dieses Buches und beim Thieme Verlag f¨ ur die erteilten Abdruckgenehmigungen der Abbildungen.

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Einfu ¨hrung Wir befinden uns irgendwo in Deutschland in einer Kinderklinik, in der gerade eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter ankommt. Ihr Name ist Emma und sie ist vor kurzem f¨ unf Jahre geworden. Ihr Kinderarzt besteht auf eine umfassende Blutuntersuchung, weil Emma seit Wochen mit st¨andigen Infekten zu tun hat. ¨ Ihr Gesicht ist von einer auff¨ alligen Bl¨ asse gekennzeichnet. Uberhaupt sieht sie ersch¨opft aus, woraufhin ihre Mutter angibt, dass Emma st¨andig m¨ ude sei. Außerdem muss Emma h¨ aufig von ihrem Vater getragen werden, weil sie so starke Schmerzen in den Beinen hat, dass sie nicht mehr laufen mag. Dem untersuchenden Arzt fallen die vielen blauen Flecken an Emmas Beinen ebenso auf wie die starke Vergr¨ oßerung ihrer Milz als er den Bauch abtastet. Emmas Mutter ist unruhig. Sie fragt: Es ist doch nichts Schlimmes, oder Herr ” Doktor?“ Nat¨ urlich ist es viel zu fr¨ uh, um irgendetwas zu sagen und der Arzt fasst sich dementsprechend kurz: Das kann man noch nicht sagen.“ ” Nun muss Emma etwas Blut abgenommen werden, um es sofort zu untersuchen. Ein Blick unter das Mikroskop zeigt kein gutes Bild. In Emmas Blut gibt es zu wenige rote Blutk¨ orperchen und Blutpl¨ attchen aber deutlich zu viele weiße Blutk¨ orperchen. Sie zeigen das typische Bild von unreifen Leuk¨ amiezellen, den sogenannten Blasten. Damit erkl¨ aren sich die Symptome bei der Erstuntersuchung. Die verminderte Zahl der roten Blutk¨ orperchen f¨ uhrt zu einer verringerten Sauerstoffversorgung der Organe und resultiert in Bl¨asse und Schw¨achegef¨ uhl. Die verminderte Zahl der Blutpl¨attchen f¨ uhrt zu einer erh¨ohten Blutungsneigung und resultiert in h¨aufige blaue Flecken. Schließlich f¨ uhren die

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unreifen weißen Blutk¨orperchen zu einer gesteigerten Zahl von Infekten, da das Abwehrsystem des K¨orpers seine Aufgabe nicht mehr zufriedenstellend erf¨ ullen kann. Um festzustellen, wie das Knochenmark von Leuk¨amiezellen befallen ist, muss hiervon eine Probe durch eine Knochenmarkpunktion gewonnen werden. Zu ¨ diesem Zweck versetzen die Arzte ihre kleine Patientin in einen Tiefschlaf, weil die Prozedur einer Knochenmarkpunktion sehr schmerzhaft sein kann. Auch diese Untersuchung l¨ asst keine Zweifel zu: Emmas Knochenmark ist voller Leuk¨amiezellen. Damit die richtige Therapie durchgef¨ uhrt werden kann, ist es jetzt entscheidend zu pr¨ ufen, ob das Zentralnervensystem ebenfalls befallen ist. Dazu wird mit einer Nadel – wieder unter Bet¨aubung – zwischen zwei Wirbeln in der Lendenwirbels¨ aule eingestochen und etwas R¨ uckenmarkfl¨ ussigkeit entnommen. Bei dieser Untersuchung zeigen sich keine Leuk¨ amiezellen. Eine Strahlentherapie bleibt Emma damit erspart. Der Leiter der kinderonkologischen Station teilt jetzt Emma und ihren Eltern die Diagnose der akuten lymphoblastischen Leuk¨amie mit. Die hohe Zahl von Leuk¨amiezellen erfordert einen sofortigen Therapiebeginn. Viele Tr¨anen fließen bei Emmas Eltern angesichts der schweren Diagnose. Erst als der Arzt auf die aussichtsreichen Heilungschancen hinweist, sch¨ opfen sie etwas Hoffnung. Diese fiktive Geschichte zeigt, dass die Diagnose einer Leuk¨amie im Kindesalter sehr h¨ aufig mit einem ineinander greifenden R¨ aderwerk aus Diagnostik und einzuleitender Therapie einhergeht. Obwohl der Name der Patientin erfunden ist, kann sicher gesagt werden, dass sich so wie hier beschrieben eine typische Leuk¨ amiediagnose in Kinderkliniken abspielt. Zwar ist die Leuk¨amie die h¨aufigste aller b¨osartigen Erkrankungen im Kindesalter ist, gleichzeitig bestehen bei ihr oft die besten Heilungschancen. Musste man fr¨ uher zuschauen wie die Kinder an ihrer Krankheit qualvoll starben, wurde die Leuk¨ amie erst behandelbar und schließlich in u ¨ber 80 % heilbar.

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Ganz anders war die Situation im Jahr 1860, als Dr. Biermer in W¨ urzburg einen exquisiten Fall von Leuk¨amie bei einem 4 12 Jahre alten Kinde“ [5, S. 552] ” beobachtete. Marie M. ist die Tochter des Kaufmanns M. und war im ersten Lebensjahr vollkommen gesund. Seit zwei Jahren wird sie wegen An¨amie, einer Blutarmut, behandelt. Diese verschlechterte sich jedoch immer weiter und der behandelnde Arzt rief Dr. Biermer zur Begutachtung der kleinen Marie, weil er eine organische Orsache vermutete. Dr. Biermer notiert am 27.08.1860, dem Tag seines Besuches bei Marie: ungemein blasses Erscheinungsbild, wachs¨ahnliches Aussehen des ganzen K¨ orpers, enorme Milzvergr¨ oßerung, vergr¨ oßerte Leber, gelbliche F¨ arbung der Augenwinkel. Die vergr¨ oßerten Organe dehnten den Unterleib stark aus, an der Milz tastete Dr. Biermer eine nussgroße Geschwulst. Die kleine Marie war schwach, lag aber dennoch meistens nicht im Bett. Die Stimmung war a¨ußerst tr¨ ub. Am 13.11.1860 und am 22.04.1861 sah Dr. Biermer abermals nach Marie. Bei seinem Besuch im November 1860 bringt er ein Mikroskop mit um direkt das Blut von Marie untersuchen zu k¨ onnen. ¨ Zu seiner Uberraschung waren die weißen Blutk¨ orperchen nicht in so starkem Maße vermehrt, wie er sich das vorher gedacht hatte. Dennoch stellte er die Diagnose der Leuk¨ amie, an der Marie am 05.05.1861 verstarb. Am 07.05.1861 nahm Dr. Biermer die Autopsie vor und konnte die Leuk¨ amie im Blut, der Leber und der Milz nachweisen. Da dieser Fall zum ersten Mal bei einem Kind beobachtet werden konnte, ließ sich Dr. Biermer seine Beobachtungen direkt von seinem Vorgesetzen, Prof. F¨orster, best¨atigen. Zwischen dem im November untersuchten Blut und dem aus der Leiche gewonnenen Blut gab es erhebliche Unterschiede: Die Vermehrung der farblosen K¨ orper hatte auf jeden Fall im ” letzten halben Jahre sehr zugenommen.“ [5, S, 553] Das war der erste Fallbericht ¨ einer Leuk¨amie bei einem Kind. Uber 100 Jahre sollten noch bis zu m¨oglichen Heilungen vor¨ ubergehen. Der Kontrast beider Geschichten macht deutlich, welcher Meilenstein in der Medizin auf dem Gebiet der Leuk¨ amie im Kindesalter erreicht worden ist.

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Der Tag an dem alles anders wurde Am 10.07.1989 hat mich meine damalige Kinder¨ arztin in die Kinderklinik Leverkusen u ¨berwiesen. Sie wollte eine Abkl¨arung u ¨ber eine starke Schwellung an ¨ ¨ meiner linken Halsseite im Ubergang zur Schulter. Arzte nennen den genauen Ort Supraclaviculargrube. Bereits seit Ende Mai hat meine Mutter darauf gedr¨angt, endlich der Ursache dieser Schwellung auf den Grund zu gehen, weil meine Einschulung nach den Sommerferien bevorstand. Beunruhigend war die Gr¨ oßenzunahme der Schwellung. Eine R¨ ontgenuntersuchung des Brustkorbs am 06.06.1989 war unauff¨ allig, brachte also auch keine Klarheit, woher eine solche sichtbare Ver¨ anderung an meinem Hals kommen k¨onnte. Es schien keinen Zweifel zu geben, dass es sich um einen geschwollenen Lymphknoten handelt. Nun wollte die Kinder¨ arztin Klarheit haben und sie schickte mich in die Ambulanz der Kinderklinik in Leverkusen. Allerdings wohl ¨ weniger aus eigener Uberzeugung, sondern eher weil meine Mutter endlich Abkl¨arung wollte. Dieser Termin fand am 11.07.1989 statt und sehr schnell fiel ¨ die Entscheidung, dass ich im Krankenhaus bleiben musste um – so die Arztin in der Ambulanz – das Unm¨ogliche auszuschließen.“ Ich erinnere mich genau ” wie traurig ich war, als ich h¨orte im Krankenhaus bleiben zu m¨ ussen, aber ich weiß auch noch genau, wie wenig u uber war. ¨berrascht ich dar¨ Bei der k¨orperlichen Untersuchung fielen auch an der rechten Halsseite tastbare Lymphknoten auf, wenn auch insgesamt weniger ausgepr¨agt als die am linken Seitenstrang. Am n¨ achsten Tag standen einige Untersuchungen an. Die Blutkontrolle zeigte keine Werte außerhalb der Norm, eine Ultraschalluntersuchung

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