Doppelt gemoppelt - Buch.de

der harten Sitzfläche erst eine bequeme Kuhle schaffen müsste. Dann weist sie mir mit einer fuchtelnden Bewegung den Platz ihr gegen- über zu. Ich versuche ...
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Nathalie Neureuther

DOPPELT GEMOPPELT Roman

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© 2017 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2017 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: fotolia: Geschlossene Doppeltür Datei: 55331509, Urheber: by-studio Printed in Germany Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck

ISBN 978-3-8459-2156-3 ISBN 978-3-8459-2157-0 ISBN 978-3-8459-2158-7 ISBN 978-3-8459-2159-4 Mini-Buch ohne ISBN

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Freitag, der 12. November 14.49 Uhr: „Chön, dasch Schie esch doch noch zu unscherer gleinen Underredung gchaffd ham, Frau Beddhold. Unn isch daschte scho, Schie häddn esch vergeschn< Na, dann wolln ma ma gleisch loschlegn, hiä endlang, bidde‚, drohend fuchtelt Gerlinde mit erhobenem Zeigefinger vor meiner Nase herum. Zugleich bohrt sie mir ihre gicht-knotigen Fingerspitzen der anderen Hand unsanft ins Kreuz, um mich durch die muffig riechende Garderobe in Richtung Personalraum zu schieben. Damit löst die Kindergärtnerin meines Sohnes ein kurzes Schaudern bei mir aus, das mir eiskalt den Rücken hinunterläuft, während ich unwillkürlich an die Hexe aus Hänsel & Gretel denken muss. Weil die Türe des Personalraumes offensteht, dringt fahles Licht durch den düsteren Gang des Kindergartens St. Martin und lässt Ger4

lindes aschgraue, kraus in alle Himmelsrichtungen abstehende Minidauerwelle aussehen, als ob die Gute versehentlich in die Steckdose gelangt hätte. Eine Frisur, für die ihr jeder deutsche Richter bestimmt das Doppelte des Monatsgehalts einer Erzieherin als Schmerzensgeld zusprechen würde, sollte sie ihren Friseur verklagen. Mindestens. Möglichst unauffällig wische ich mir einen kleinen Schweißtropfen von der Stirn - immerhin bin ich in einer absoluten Rekordzeit von der gut drei Kilometer entfernten Psychotherapeutischen Praxis, in der ich angestellt bin, bis zum Kindergarten geradelt. Ein pünktliches Beenden meines Arbeitstages wäre sicherlich hilfreich gewesen. Habe ich jedoch, wie fast jeden Tag, nicht ganz hingekriegt: vielmehr scheinen es meine Patienten förmlich riechen zu können, wenn ich nach getaner Arbeit noch einen Termin einzuhalten habe und daher bei der Verabschiedung ein 5

wenig unter Zeitdruck stehe. Wie einen weißen Hasen zaubern sie dann noch in letzter Minute ihrer Therapiesitzung ein mittelschweres Problem aus dem Hut. Das macht es dann natürlich erforderlich, für ein paar Minuten in die Verlängerung zu gehen. Aber derartige alltägliche Probleme interessieren hier anscheinend niemanden. Vor der Tür des Personalraums stehen in Reih und Glied fünf Paar ausgelatschte Birkenstockpantoffeln, die Einheitstracht der nicht anwesenden Mitarbeiterinnen. Es riecht nach einer Mischung aus eingebranntem Filterkaffee, alten Socken und abgestandener Luft. Von den Wänden neigen sich mir unzählige Papierecken verblichener Kinderzeichnungen entgegen, die jemand - ökologisch einwandfrei - mit einem extrakleinen Stück Tesafilm an der Wand befestigt hat. Gerlinde lässt sich mit einem ausgiebigen Stöhnen am Kopfende des ovalen Erzieherin6

nen-Besprechungstischs auf einem der zehn wackeligen Holzstühle nieder, rutscht darauf ein paarmal hin und her, als ob sie sich auf der harten Sitzfläche erst eine bequeme Kuhle schaffen müsste. Dann weist sie mir mit einer fuchtelnden Bewegung den Platz ihr gegenüber zu. Ich versuche, zunächst mit nur einer Pobacke, die ich vorsichtig auf den vordersten Rand des Holzstuhls geschoben habe, eine einigermaßen ausbalancierte Sitzposition einzunehmen. Ist schwieriger als man denkt. Und während meine (mangels akrobatischer Fähigkeiten) lächerlichen Bemühungen, eine einigermaßen würdevolle Haltung einzunehmen, eine andere Sprache sprechen, versichere ich eifrig, dass ich selbstverständlich niemals auf den absurden Gedanken käme, solch einen wichtigen Termin einfach zu vergessen. „Alscho‚, nuschelt Gerlinde und schiebt Papier und Schreibzeug geschäftig vor sich her, „esch gehd ja um unscheren liebn Jonasch.‚ 7

Meine Überraschung hält sich in Grenzen. Ohne der lieben Gerlinde eine blühende Fantasie vorwerfen zu wollen, aber was hatte sie sich vorgestellt, über wen oder was wir ansonsten hätten reden müssen? Na, das kann ja heiter werden, wenn so eine vorgealterte Möchtegernpädagogin mit Sprachfehler sich zu glauben anmaßt, mir etwas über meinen Sohn erzählen zu können, was ich als seine Mutter und ausgebildete Psychologin noch nicht weiß. Und weil „Tante Gerlinde‚ rein vom anatomischen Bau ihres Sprechapparats eigentlich sehr wohl dazu in der Lage sein müsste, das „ch‚ als auch das „sch‚ phonetisch korrekt auszusprechen, vermute ich den Defekt eher in weiter oben gelegenen Regionen< Naja, jetzt nicht darüber weiter nachdenken, befehle ich mir streng. Sigmund Freud hätte mein unablässiges inneres Herumhacken auf Gerlindes Frisur und ihrem Sprachfehler zutreffender Weise wahrschein8

lich als das interpretiert, was es ist: eine bockige Abwehr von Unsicherheit. Eine Strategie, die wohl jede berufstätige Mutter bei Elterngesprächen im Kindergarten nur zu gut kennt. Man fühlt sich verunsichert, schuldig, angeklagt - und rebelliert innerlich, noch bevor das erste Wort überhaupt gefallen ist< Mit einem maskenhaften Dauerlächeln nicke ich milde, zum Zeichen meiner Zustimmung. Kindergärtnerinnen und Lehrern muss man grundsätzlich immer Recht geben, egal, welchen Stuss sie einem weismachen wollen. Mit Kritik können die nämlich nicht umgehen und lassen ihren Frust dann später am zugehörigen Kind aus. In Gedanken wiederhole ich wie ein Mantra: immer Recht geben, immer ja sagen, immer nett sein – auch wenn’s schwer fällt. Doch nach einigen genuschelten Sätzen aus Gerlindes Mund bringt auch mein Mantra nichts mehr, weil mir eine ganze Flut an Verfehlungen, die sich mein Kind angeblich täg9

lich leistet, um die Ohren gehauen wird. Er verhalte sich zunehmend aggressiv und überschreite ganz bewusst Regeln. Ja, Jonas wende sogar körperliche Gewalt gegenüber anderen Jungs in seinem Alter an und zeige hinterher keinerlei Schuldbewusstsein. „Hm. Ich weiß nicht so recht, was ich darauf