Diskussion einer kundenorientierten Prozesserhebung durch ...

Prozesserhebung in der Beratung. In: Proceedings Multikonferenz Wirtschaftsinformatik. 2010, Göttingen 2010; S. 623-635. [Bü11] Bührig, J.: Referenzmodelle ...
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Diskussion einer kundenorientierten Prozesserhebung durch Studierende an einer Hochschule Jan Bührig, Britta Ebeling, Michael H. Breitner Leibniz Universität Hannover Institut für Wirtschaftsinformatik Königsworther Platz 1 30167 Hannover [email protected] [email protected] [email protected]

Abstract: Die Modellierung von Geschäftsprozessen ist ein zentraler Bestandteil bei der Implementierung und Einführung von Informationssystemen. Dies trifft auch auf den Hochschulsektor zu, in dem zunehmend Arbeitsabläufe und deren ITUnterstützung prozessorientiert gestaltet werden. In den untersuchten Fallstudien wird eine spezielle Variante der Prozesserhebung, -modellierung, und -analyse dargestellt. Anstelle von professionellen Modellierern werden die Studierenden der eigenen Hochschule eingesetzt. Untersucht werden die Auswirkungen dieses Vorgehens auf die in der Literatur etablierten Vorgehensmodelle der Prozesserhebung und des Projektmanagements. Es kann gezeigt werden, dass deren grundsätzliche Phasen erhalten bleiben, jedoch in vielen Bereichen Anpassungen erforderlich sind. Diese Abweichungen sind insbesondere auf die Eigenschaften der Studierendenteams zurückzuführen. Sie sind unerfahrene Modellierer, direkte Prozessbeteiligte und ihr Einsatz ist vom Semesterzyklus abhängig. Aus diesen Rahmenbedingungen ergeben sich neue Anforderungen an die Planung und Durchführung eines Prozessmodellierungsprojektes. Für Studierende und Hochschulen entsteht ein zusätzlicher Nutzen durch die Praxiserfahrung und geringe Kosten.

1 Einleitung Geschäftsprozessmodellierung ist ein zentraler Bestandteil bei der Einführung und Implementierung von Informationssystemen. „Prozessmodelle sind nützlich zur Dokumentation, sie dienen als Hilfe zur Kommunikation, bei der Analyse, der Anpassung, dem Entwurf von Prozessen und bei der Ermittlung von Anforderungen“ [EA09]. Dieses im betrieblichen Umfeld bewährte Vorgehen wird auch in der Domäne Hochschule eingesetzt. Prozesse werden zunehmend als Gestaltungsobjekt durch das Hochschulmanagement genutzt. Es wird angestrebt organisatorische Abläufe zu optimieren und den aufgrund diverser Reformvorhaben knapper werdenden Ressourcen entgegenzuwirken. [Be11] Ein zentraler Schritt ist hierbei die Automatisierung von

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Arbeitsabläufen durch den Einsatz von Campus Management Systemen (CMS), deren Einführung oftmals durch eine Prozesserhebung und -analyse vorbereitet wird. [Bü11] Hochschulen stehen im Vergleich zur freien Wirtschaft besonderen Herausforderungen gegenüber, die sich aus organisatorischen, strukturellen und technischen Ineffizienzen ergeben. [SKB10] Ein Vorteil ist hingegen die in der eigenen Organisation verfügbare Kompetenz in Form von Professoren und ihren Studierenden. Diese kostengünstig verfügbaren Ressourcen kann sich die Hochschule zu Nutzen machen, indem sie Studierende in die Geschäftsprozessmodellierung für ein Softwareeinführungsprojekt involviert. Studien zu unerfahrenen Modellierern haben gezeigt, dass diese unter entsprechenden Voraussetzungen für die Modellierung erfolgreich eingesetzt werden können. [RSR10] In dem beschrieben Szenario ergeben sich jedoch noch weitere Besonderheiten. Die Modellierer sind keine Hochschulmitarbeiter, sondern Kunden der betroffenen Prozesse. Darüber hinaus bewegen sie sich in einem festen Semesterzyklus. In einigen Studiengängen erfolgt zusätzlich eine theoretisch fundierte Ausbildung in diesem Bereich. Daraus ergeben sich grundsätzlich neue Rahmenbedingungen für ein Prozesserhebungsprojekt an Hochschulen zur Einführung eines integrierten CMS. Die daraus abgeleitete Forschungsfrage lautet: „Wie müssen ausgewählte Vorgehensmodelle angepasst werden, wenn prozessbeteiligte Studierende die Geschäftsprozessmodellierung zur Informationssystemeinführung an einer Hochschule durchführen?“ Für die Untersuchung des beschriebenen Szenarios wird als methodische Herangehensweise die Fallstudienforschung eingesetzt. Diese wird zusammen mit der theoretischen Basis in Abschnitt 2 erläutert. Daraufhin werden in Abschnitt 3 die beiden Fallstudien vorgestellt. Deren Ergebnisse werden in Hinblick auf bestehende Phasenmodelle der Prozesserhebung und des Projektmanagements analysiert und die abgeleiteten Anpassungen der Vorgehensmodelle in Abschnitt 4 diskutiert. Abschnitt 5 liefert eine Zusammenfassung der Erkenntnisse sowie einen Ausblick auf weiterführende Forschung.

2 Forschungsmethodik Den methodischen Rahmen für das gewählte Vorgehen bildet die Fallstudienforschung nach Yin [Yi09]. Demnach umfasst das Forschungsvorhaben die sechs Schritte Planung, Design, Vorbereitung, Erhebung, Analyse und Veröffentlichung. Begonnen wird im ersten Schritt der Planung mit einer systematischen Literaturanalyse im Umfeld der untersuchten Problemstellung. [Fe06] Aus der identifizierten Literatur sind drei Bereiche für die gewählte Forschungsfrage relevant: Erstens CMS [Be11,Bü11,SKB10] und die damit verbundenen Besonderheiten bei der Einführung von Informationssystemen im Hochschulsektor. Der zweite Bereich beschreibt Herausforderungen einer Prozesserhebung durch unerfahrene Modellierer [RSR10] und der dritte umfasst Literatur der Vorgehensmodelle zur Prozesserhebung [BFL10]. Im zweiten Schritt wird das Design der Fallstudie festgelegt. Dem gewählten Vorgehen liegt der in Abbildung 1 veranschaulichte Replikationsansatz zugrunde. Ein in der Literatur nur einmal dokumentierter und somit einzigartiger Fall [BEB12] wird in einer neuen Fallstudie repliziert. Einzigartig ist in diesem Zusammenhang die Prozesserhebung durch

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Studierende als Kunden an der eigenen Hochschule. Eine Ableitung von fallübergreifenden Ergebnissen sowie eine Modifikation der zuvor aufgestellten Anpassungen des Vorgehensmodells zur Prozesserhebung werden so ermöglicht. Zur Untersuchung werden somit zwei Fälle an deutschen Fachhochschulen ausgewählt, an denen die Prozesserhebung und -modellierung zur Einführung eines CMS nicht mit Hilfe von professionellen Prozessberatern, sondern von den eigenen Studierenden der Hochschule durchgeführt wird. Theorieentwicklung

Übergreifende Fallanalyse Fallauswahl

Untersuchung HS Wismar

Bericht HS Wismar

Theorieanpassung

Protokollentwicklung

Untersuchung HS Harz

Bericht HS Harz

Ableitung Implikationen Übergreifender Fallbericht

Abbildung 1: Design der Fallstudienmethodik in Anlehnung an Yin [Yi09]

Als theoretische Basis für die analytische Generalisierung dienen die in der Literatur [BFL10] identifizierten klassischen Vorgehensmodellen der Geschäftsprozessmodellierung. Daraus werden die Phasen der Prozesserhebung (PE) [BFL10, Al05, BBK05, FFO06, Fi08, Ga07, Ga08, Sc02] und des Projektmanagements (PM) [BBK05] für die weitere Untersuchung verwendet. Darüber hinaus werden aus den genannten Standardwerken Themenschwerpunkte für die im Folgenden betrachteten vier Phasen herausgearbeitet (vgl. Abb. 2). Nicht betrachtet werden die letzten beiden Phasen: Zum einen die Optimierung, da die betrachteten Fälle für diesen Aspekt zu wenige Daten geliefert haben. Und zum anderen die Implementierung, da sie nicht von den Studierenden durchgeführt worden ist. Strategie (1PE) • Unternehmensstrategie [1, 2, 3, 4, 7] • Ziele der Organisation [1, 2, 4, 7] • Prozessstrukturen [1, 2, 3, 4, 7]

Vorbereitung (2PE) • Perspektive/ Fokus • [1, 2, 4, 7] • Projektorganisation [1, 2, 7] • • Modellierungstechnik [1, 2, 3, 4] • Modellierungskonvention • [1, 2, 3, 7] • • Modellierungswerkzeug [1, 2, 6] • Schulung [7] • Kennzahlen [4]

Ist-Erhebung (3PE)

Ist-Analyse (4PE)

Vorgehensweise Ist-Modellierung [1, 2, 3, 4, 5, 7] Identifikation/ Priorisierung [2, 3, 5, 7] Bestandsaufnahme [7] Modellkonsolidierung [2, 7]

• Referenzmodelle [2] • Benchmarking [2] • Schwachstellen/ Verbesserungspotentiale [1, 2, 3, 4, 6, 7] • Simulation [1, 3, 5] • Prozesskostenrechnung [1] • Sofortmaßnahmen realisieren [2]

1 = [Al05], 2 = [BBK05], 3 = [FFO06], 4 = [Fi08], 5 = [Ga08], 6 = [Ga07], 7 = [Sc02]

Abbildung 2: Phasen der Prozesserhebung (PE) mit Themenschwerpunkten der Literatur

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Projektziele (1PM) • Systematisierung der Projektziele • Leistungsziele • Modellierungszweck • Terminziele • Kostenziele

Projektplan (2PM) • Modellierungsvorbereitung • Strategie und Ordnungsrahmen • Ist-Modellierung • Soll-Modellierung

Projektorganisation (3PM) • Projektleiter • Projektlenkungsausschuss • Projektteam

Projektcontrolling (4PM) • Erhebung und Abstimmung der Prozessmodelle • Prozesse und Strategie • Termin- und Kostenkontrolle • Abweichungen von Projektzielen • Aufgaben des Projektleiters • Aufgaben des Lenkungsausschusses

Abbildung 3: Phasen des Projektmanagements (PM) mit Themenschwerpunkten (vgl. [BBK05])

Die Bedeutung von Projektmanagement bei Projekten zur Geschäftsprozessmodellierung wird in fast allen genannten Standardwerken betont. Eine Benennung von spezifischen Phasen findet sich jedoch nur bei Becker et al. [BBK05]. Diesen sind in Abbildung 3 analog zu den Phasen der Prozesserhebung die herausgearbeiteten Themenschwerpunkte zugeordnet. Zur Vorbereitung der Fallstudien werden im dritten Schritt die relevanten Personen(-gruppen) identifiziert. Dazu gehören die IT-Einführungsprojektleitung sowohl auf Seiten der Hochschule als auch auf Seiten des Softwareherstellers, die Projektleitung des Prozesserhebungsprojekts in der Hochschule sowie die beteiligten Studierenden. Für jede der vier Gruppen wird ein angepasster Interviewleitfaden entwickelt, der für jede Phase der beiden Modelle einen Frageblock enthält. Zur Sicherung von Validität und Reliabilität werden gezielte Maßnahmen ergriffen, wie zum Beispiel die Rückkopplung der transkribierten Interviews mit den Befragten und die Entwicklung einer Fallstudiendatenbank. Im vierten Schritt der Erhebung werden pro Fallstudie mit mindestens einem Repräsentanten pro Gruppe offene leitfadengebundene Interviews mit einer durchschnittlichen Dauer von einer Stunde durchgeführt. [MN05] Insgesamt wurden Gespräche mit vier Projektleitern und neun Studierenden geführt. Für die Erhebung stehen darüber hinaus die entstandenen Prozessmodelle und -dokumente (Präsentationen, Berichte, Leitfäden usw.) zur Verfügung. Im fünften Schritt erfolgt zunächst eine separate Analyse der beiden Fallstudien. Für die aufgezeichneten und transkribierten Interviews kommt die qualitative Inhaltsanalyse zum Einsatz. [GL09, Ma08] Diese zugrundeliegende Datenbasis, bestehend aus ca. 150 DinA4 Seiten mit wörtlich transkribierten Interviews, wird mit Hilfe des Programms WeftQDA gemäß dem Schema codiert, das sich aus den Abbildung 2 und 3 ergibt. Zusätzlich werden die als Ergebnis entstandenen Prozessmodelle vom Softwarehersteller auf ihre Eignung für das Einführungsprojekt bewertet. Danach erfolgt eine fallstudienübergreifende Analyse. Die entstandenen Ergebnisse und Erfahrungen aus der ersten Fallstudie können durch die zweite Replikation evaluiert und erweitert werden. Daraus werden schließlich spezifische Anpassungen der Vorgehensmodelle für diese Art der Geschäftsprozessmodellierung abgeleitet und im letzten Schritt der Veröffentlichung aufbereitet.

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3 Beschreibung der Fallstudiendaten Die erste Fallstudie an der Hochschule (HS) Wismar wurde ausführlich in einer vorausgehenden Veröffentlichung [BEB12] beschrieben. Daher liegt hier der Schwerpunkt auf den Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Besonderheiten beider Fallstudien. Einen Überblick über die Eckdaten der Fallstudien liefert Tabelle 1. Tabelle 1: Eckdaten der untersuchten Fallstudien im Vergleich Eigenschaft

HS Wismar

HS Harz

Hochschulgröße (Sommersemester 2011)

Ca. 6.900 Studierende

Ca. 3.300 Studierende

Beginn der Fallstudie

Sommersemester 2011

Wintersemester 2011/12

Modellierungszeitraum

9 Wochen

Pilotprojekt 6 Monate

Rahmen für Studierendeneinsatz

Lehrveranstaltung

Studentische Hilfskräfte

Anzahl eingesetzter Studierender

>70 Studierende

9 Studierende

Ziele der Prozessmodellierung

Prozesserhebung

Prozessverbesserung

3.1 Prozesserhebung (PE) Die Strategie (1PE) war bei beiden Fällen ähnlich und orientierte sich an den Empfehlungen des Softwareherstellers. Es entstand jeweils ein Projekt, in dem die veralteten und unzureichenden Prozessbeschreibungen erneuert und um die IT relevanten Aspekte sowie Verbesserungsvorschläge ergänzt wurden. Unter Berücksichtigung des Referenzprozessmodells (RPM) des Softwareherstellers wurden neue Prozesse in der Unified Modelling Language (UML) modelliert. Vor allem zur Kosteneinsparung wurden in beiden Projekten keine professionellen Prozessmodellierer, sondern eigene Studierende der Hochschule eingesetzt. In der ersten Fallstudie an der HS Wismar wurde das Modellierungsprojekt als Praxisteil in eine Lehrveranstaltung eingebunden. In der zweiten Fallstudie an der HS Harz wurden die Studierenden hingegen als studentische Hilfskräfte eingestellt. Der Modellierungsfokus in der HS Wismar umfasste 13 Bereiche der internen Verwaltung. In der HS Harz wurden zunächst das Prüfungs- und Veranstaltungsmanagement an einer Fakultät als Pilot aufgenommen, später folgen die weiteren Fakultäten. Bereits für die Vorbereitung (2PE) wurde beiden Hochschulen vom Hersteller das RPM des CMS zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wurde eine eintägige Schulung für die in der Modellierung unerfahrenen Studierenden angeboten. In dieser wurden die Grundlagen der Geschäftsprozessmodellierung mit der UML, der Bezug zur objektorientierten Geschäftsprozessmodellierung (OOGPM) [Oe03], die vom Hersteller verwendeten Modellierungskonventionen und die Modellierungssoftware „Astah Community“ vorgestellt. Zusätzliche Konventionen wurden von beiden Hochschulen nicht festgelegt. In der zweiten Fallstudie wurde für die Studierenden als Vorbereitung ein Fragebogen entwickelt, sowie ein Leitfaden zur Einarbeitung neuer Studierender zusammengestellt. Zur Erhebung (3PE) wurden von der Projektleitung des Modellierungsprojektes gemeinsam mit der jeweiligen Dezernatsbzw. Abteilungsleitungen die erforderlichen Prozesskenner für alle Bereiche des

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Modellierungsfokus bestimmt. In beiden Fällen wurden die Prozesskenner in Einzelinterviews von einem Team aus Studierenden anhand von vorhandenen Prozessabläufen befragt. Im Anschluss an die Aufbereitung hatten die Prozesskenner jeweils die Möglichkeit, die Prozesse auf Korrektheit zu prüfen. An der HS Wismar wurden die Befragungen von den Studierenden selbst organisiert, eine Vorgabe bestand nicht. Als Basis wurden die tabellarisch beschrieben Prozesse aus einem teilweise veralteten und nicht IT-bezogenen Verwaltungshandbuch der Hochschule verwendet und schriftlich ergänzt. Die entstandenen Prozesse wurden von den Studierenden zunächst auf Papier aufgezeichnet und anschließend softwareunterstützt in UML modelliert. An der HS Harz wurden die Prozesskenner hingegen immer von einem festen Team aus genau zwei Studierenden interviewt. Als Gesprächsbasis wurden die Prozesse aus dem RPM des Softwareherstellers verwendet. Bei einer Überarbeitung der Prozessabläufe kam die so genannte „Post-it-Methode“ zum Einsatz, bei der die Prozessschritte mit Hilfe von Haftnotizen auf das ausgedruckte Prozessmodell geklebt wurden. Die angepassten Prozesse wurden danach in einer hochschulspezifisch angepassten Kopie des RPM vom Softwarehersteller konsolidiert. Alle Dokumente und Protokolle wurden zudem kontrolliert und archiviert. Für die Analyse (4PE) wurden Zusätzlich zur Prozesserhebung in beiden Fällen Verbesserungsvorschläge der Prozesskenner dokumentiert. An der HS Wismar wurde dies z. T. durch zusätzliche Umfragen bei den Prozessbetroffenen ergänzt. An der HS Harz fand ein Benchmarking der Prozesse von beiden Hochschulstandorten statt. Sofortmaßnahmen zur Prozessverbesserung wurden nur in kleinem Umfang direkt im Prozessablauf vorgenommen. Prozesssimulation und Prozesskostenrechnung wurden an beiden Hochschulen nicht durchgeführt. 3.2 Projektmanagement (PM) Übergeordnetes Ziel (1PM) des Projekts war in beiden Fällen, möglichst klare Anforderungen für die IT-Einführung definieren zu können. Die Ziele für die Studierendenteams an der HS Wismar wichen jedoch teilweise stark voneinander und vom übergeordneten Ziel ab. Es gab kein Kostenziel, da kaum direkte Kosten entstanden sind, aber ein gemeinsames Terminziel am Semesterende. An der HS Harz wurde das übergeordnete Ziel von allen Teams verfolgt, jedoch mit weichen Vorgaben bzgl. Umfang, Termin oder Kosten. Für den Projektplan (2PM) wurden während der Vorbereitungsphase (2PE) von der Projektleitung des Modellierungsprojekts gemeinsam mit der Projektleitung des Softwareeinführungsprojekts die zu untersuchenden Bereiche festgelegt. Dazu wurden die notwendigen Aufgaben identifiziert und der Einsatz der Studierenden geplant. Im ersten Fall arbeiteten die Studierendenteams auf Grund von Notenkonkurrenz unabhängig voneinander, während im zweiten Fall die Projektleitung die permanente Koordination und Konsolidierung der Teams übernahm. Die Projektorganisation (3PM) war in beiden Fällen durch Studierendenteams geprägt. An der HS Wismar wurden von der Projektleitung für jeden Bereich im Modellierungsfokus Teams aus zwei Masterstudenten und drei bis vier Bachelorstudenten gebildet. Die Teams konnten die weitere Aufteilung der Aufgaben selbst übernehmen. An der HS Harz wurde jedem Prozesskenner ein fester Moderator zugeordnet, der immer zusammen

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mit einem variablen Protokollant ein Team bildet. Gezielte Maßnahmen zum Projektcontrolling (4PM) wurden in beiden Fällen kaum durchgeführt. Im Fall der HS Wismar war der zeitliche Rahmen durch die Einbettung in die Lehrveranstaltungen fest vorgegeben und konnte nicht überschritten werden. Da keine zusätzlichen Kosten zu erwarten waren, wurde weder eine Termin- noch Kostenkontrolle durchgeführt. Eine mögliche Abweichung von den Projektzielen und dem Projektplan erfolgte nicht im laufenden Projekt, sondern wurde erst am Ende im Rahmen einer abschließenden Ergebnispräsentation der Studierenden überprüft. Im Fall der HS Harz wurden die Kosten über die Stundenzettel der Studierenden kontrolliert. Hier hatten die Teilaufgaben der Studierendenteams feste Zielvorgaben, die anhand von Protokollen und Listen regelmäßig geprüft wurden.

4 Diskussion und Ableitung spezifischer Anpassungen für die Vorgehensmodelle Grundlage für die Ableitung der spezifischen Anpassungen aus den Fallstudien bilden die erhobenen Daten (Abschnitt 3) und die theoretische Fundierung (Abschnitt 2). In Hinblick auf die Forschungsfrage werden die Inhalte der ersten und der replizierten Fallstudie auf erforderliche Spezifikationen für etablierte Vorgehensmodelle der Prozesserhebung und des Projektmanagements untersucht. 4.1 Spezifische Anpassungen für die Prozesserhebung (PE) Tabelle 2: Spezifika für die Prozesserhebung in der Phase Strategie (1PE) Phase (1PE) Strategie

HS Wismar

HS Harz

Unternehmensstrategie

Kostengünstige Ist-Prozesserhebung für Softwareeinführung mit Hilfe von Studierenden

Kostengünstige und schlanke Prozessverbesserung für Softwareeinführung mit Hilfe von Studierenden

Prozessverbesserung für Studierende und Mitarbeiter

Kundenfokussierung und effiziente Verwaltungsabläufe

Aktualisierung der Prozessdokumentation

Schnittstellenverbesserung von Bereichen und Standorten

Ziele der Organisation

Prozessstrukturen

Einbindung in zwei parallele Lehrveranstaltungen

Spezifische Anpassungen Stark fokussiert, kein ganzheitliches Prozessmanagement Prozessbeteiligte Studierende nur in Hochschulsektor

Keine Anpassungen

Einstellung studentischer Hilfskräfte

Einbindung von Prozesskunden

¼ Stelle im Personaldezernat

Kaum Ressourcen verfügbar

Einbettung in ein Institut vorstellbar

Studierende an Semestergrenzen gebunden

Keine nachhaltige Prozessorganisation vorhanden

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Strategiedefinition (1PE) Beide betrachteten Hochschulen würden die Strategie, die Geschäftsprozessmodellierung durch die eigenen Studierenden durchführen zu lassen, wieder einsetzen. Die Auswahl der Unternehmensstrategie hierzu sollte jedoch nicht losgelöst vom Einführungsprojekt des Informationssystems erfolgen und zusätzlich die Lehrplanung der Studierenden berücksichtigen. Aufgrund der begrenzten und zeitlich befristeten Ressourcen wird in den Fallstudien jedoch eine stark fokussierte Strategie ohne ganzheitliches Prozessmanagement eingesetzt. Die Einbindung von Studierenden als Prozesskunden in die Prozessstrukturen des Projekts ist in dieser Form nur im Hochschulsektor möglich und erlaubt eine besondere Sicht auf die zu betrachtenden Abläufe. In Hinblick auf die Nachhaltigkeit muss die Geschäftsprozessmodellierung sowie das entstandene Prozesswissen über die Semestergrenzen hinweg langfristig an der Hochschule gebunden bzw. weitergegeben werden, um eine nachhaltige Prozessdokumentation aufrecht zu erhalten. (Vgl. Tabelle 2) Vorbereitung (2PE) Eine gut durchdachte, präzise Formulierung der Perspektive und des Fokus bilden einen beständigen Rahmen für das gesamte Projekt. Die Projektleitung kann den Aufwand der Geschäftsprozessmodellierung zuverlässiger abschätzen und die im Fokus liegenden Arbeitspakete besser verteilen. Eine Verlängerung der Bearbeitungszeit durch zusätzlichen Erhebungsaufwand wird durch eine erfolgreiche Aufteilung unwahrscheinlicher. Die Studierenden können die Relevanz der geforderten Modellierung besser beurteilen. Dies steigert nicht nur die Qualität und Einheitlichkeit der Modelle, auch die Prozesskenner können unmittelbarer identifiziert werden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die frühzeitige Kommunikation mit den Studierenden eine essentielle Voraussetzung ist. Der Themenschwerpunkt Schulung muss in einem Modellierungsprojekt mit unerfahrenen studentischen Modellierern bei der Einarbeitungszeit berücksichtigt werden. In dieser können sich die Studierenden mit der Modellierung von Geschäftsprozessen, der eingesetzten Modellierungssoftware, den Prozessmodellen der Hochschulen und des Softwareherstellers, den Konventionen sowie dem Vorgehen zur Prozesserhebung vertraut machen. Beide Fallstudien zeigen, dass eine einheitliche Schulung als notwendige Grundlage für ein effektives Arbeiten angesehen wird. (Vgl. Tabelle 3) Ist-Erhebung (3PE) Die Prozesskunden erheben hier die Prozesse, wodurch es zum einen zu Bedenken der Studierenden kommen kann, von den Prozesskennern nicht als vollwertiger Gesprächspartner wahrgenommen zu werden. Dies wird jedoch nicht bestätigt. Zum anderen werden die Hochschulmitarbeiter nicht von anonymen Beratern befragt, sondern von ihren Kunden, die unmittelbar von den diskutierten Prozessen betroffen sind. Weiterhin machen die Teams aus unerfahrenen Prozessmodellierern eine zusätzliche Koordination und Unterstützung erforderlich. Diese kann in der ersten Fallstudie nur in geringem Umfang geleistet werden, weshalb die Studierendenteams viel Zeit zur Arbeitsorganisation benötigen. In der zweiten Fallstudie wird hingegen bewusst ein fester Rahmen geschaffen: Die Studierenden erhalten Prozesse und einen Leitfaden für die Interviews in einer für die Prozesserhebung zusammengestellten Arbeitsmappe. In der Bestandsaufnahme wird in beiden Fällen als Basis für die IstErhebung die vorhandene Prozessdokumentation und das RPM des Softwareherstellers

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frühzeitig bereitgestellt und einbezogen. Die Ausgangsbasis für die Interviews ist in der ersten Fallstudie hauptsächlich das textuell beschriebene Verwaltungshandbuch. Dies hatte zur Folge, dass die Modellierung in UML unter Einbezug des RPM viermal so lange dauert wie die Interviews und sich für die Studierenden sehr schwierig gestaltet. In der zweiten Fallstudie hingegen ist das RPM die Ausgangsbasis. Die alten Hochschulprozesse stehen ebenfalls bei Bedarf zur Verfügung. Dadurch können viele Informationen direkt einbezogen werden und die UML-Modellierung erfolgt schnell und unproblematisch. Darüber hinaus können die Studierenden zusätzlich ihr eigenes Wissen über die Hochschulprozesse in die Gestaltung mit einfließen lassen. (Vgl. Tabelle 4) Tabelle 3: Spezifika für die Prozesserhebung in der Phase Vorbereitung (2PE) Phase (2PE) Vorbereitung

HS Wismar

HS Harz

Spezifische Anpassungen

Perspektive/ Fokus

13 Bereiche der internen Verwaltung

1 Pilot Fakultät, später alle weiteren

Fokus muss auf Studierendenteams aufgeteilt werden

Vgl. Phase Projektorganisation (3PM) des Projektmanagements

Projektorganisation

Stift und Papier, Flussdiagramme, UML

Post-it-Methode, UML

Keine Anpassung

Modellierungskonvention

HIS

HIS + HS Leitfaden

Keine Anpassung

Modellierungswerkzeug

Astah community, MS Visio

Astah community

Keine Anpassung

Schulung

Eintägiger Workshop

Eintägiger Workshop

Strategie für Einarbeitung unerfahrener Modellierer

Kennzahlen

Nicht eingesetzt

Nicht eingesetzt

Keine Anpassung

Modellierungstechnik

Tabelle 4: Spezifika für die Prozesserhebung in der Phase Ist-Erhebung (3PE) Phase (3PE) Ist-Erhebung

HS Wismar

HS Harz

Vorgehensweise Ist-Modellierung

Individuelles Vorgehen je Studierendenteam

Festgelegtes und einheitliches Vorgehen aller Studierendenteams

Identifikation/ Priorisierung

Nicht eindeutig vorgegeben, durch Studierendenteams entschieden

Bestandsaufnahme

Nicht gepflegtes Verwaltungshandbuch

2005/2006 Prozessaufnahme durch Studierendenprojekt

Hochschulprozesswissen der Studierende

Modellkonsolidierung

In Nachbearbeitung durch Rechenzentrum

Permanent durch Projektleitung

Keine Anpassung

Priorisierung durch Einführungsprojektleitung

Spezifische Anpassungen Prozesskunden erheben die Prozesse Koordination mehrerer unerfahrener Gruppen

Keine Anpassung

Start mit einfachen Prozessen

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Ist-Analyse (4PE) Falls Geschäftsprozessmodelle anderer Hochschulen zur Verfügung stehen, können diese für viele Prozesse als Benchmark zur Ist-Analyse der eigenen Hochschulprozesse genutzt werden. Zusätzlich können die Studierenden Erfahrungen aus anderen Hochschulen einbringen. Die Aufnahme und Dokumentation von Schwachstellen und Verbesserungspotentialen während der Prozesserhebung ist eine wichtige zusätzliche Informationsquelle für die Ist-Analyse. Vorschläge können sowohl von den Prozesskennern als auch von den Studierenden kommen, die als Kunden vieler Prozesse ihre eigenen Erfahrungen einbringen können. (Vgl. Tabelle 5) Tabelle 5: Spezifika für die Prozesserhebung in der Phase Ist-Analyse (4PE) Phase (4PE) Ist-Analyse

HS Wismar

HS Harz

Spezifische Anpassungen

Referenzmodelle

RPM des Herstellers als Modellierungsvorlage

RPM des Herstellers als Gesprächsgrundlage

Keine Anpassung

Benchmarking

Nicht eingesetzt

Zwischen den Fachbereichen und Standorten

Studierende bringen Erfahrungen aus anderen Hochschulen ein

Schwachstellen/ Verbesserungspotentiale

Während Interview mit Prozesskennern, z. T. Umfrage bei Prozesskunden

Während Interview mit Prozesskennern

Prozesskenner analysieren gemeinsam mit den Studierenden als Prozesskunden

Simulation

Nicht eingesetzt

Nicht eingesetzt

Keine Anpassung

Prozesskostenrechnung

Nicht eingesetzt

Nicht eingesetzt

Keine Anpassung

Nicht eingesetzt

Kleine im direkten Prozessablauf

Keine Anpassung

Sofortmaßnahmen realisieren

4.2 Spezifische Anpassungen für das Projektmanagement (PM) Projektziele (1PM) In Bezug auf die Leistungsziele ist eine klare Ausrichtung auf die Softwareeinführung erforderlich. Besonders in der ersten Fallstudie hat sich gezeigt, dass sich die Studierenden lange mit der Erhebung des Ist-Zustands befassen. Die für die ITEinführung relevanten Soll-Prozesse werden hingegen teilweise aus Zeitmangel nicht modelliert. Eine zu starke Fokussierung auf die Ist-Prozesse muss unter diesen Umständen von vorneherein vermieden werden. Neben dem Modellierungszweck der Prozessvorbereitung für die IT-Einführung gibt es für die Studierenden den Zweck der Leistungserbringung für eine Studienleistung bzw. für ein Zertifikat. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Kosten und somit auch die Kostenziele vernachlässigbar sind. Terminziele sind jedoch ein kritischer Faktor, da der Einsatz der Studierenden und die Verfügbarkeit der Prozesskenner stark vom Semesterzyklus abhängig sind. Die Einbettung in eine Lehrveranstaltung erhöht zusätzlich die Anforderungen an die Terminkoordination. (Vgl. Tabelle 6)

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Tabelle 6: Spezifika für das Projektmanagement in der Phase Projektziel (1PM) Phase (1PM) Projektziele

HS Wismar

HS Harz

Spezifische Anpassungen

Systematisierung der Projektziele

Abstimmung zwischen IT-Einführungsprojektleitung und Lehrperson

Abstimmung zwischen Hochschul-, ITEinführungs- und Modellierungsprojektleitung

Keine Anpassung

Leistungsziele

Stark abweichende Arbeitsaufträge in den jeweiligen Studierendenteams

Bearbeitung „möglichst vieler“ Prozesse des HIS-RPM

Priorisierung der SollModellierung aufgrund des begrenzten Zeitraums

Modellierungszweck

Prozessaufnahme für ITEinführung, Studienleistung der Studierenden

Vorbereitung der IT-Einführung, Prozessverbesserung, Lernerfolg der Studierenden

Nicht nur Prozessvorbereitung für IT-Einführung, auch Lernerfolg und -nachweis für die Studierenden

Terminziele

Semesterende

Start mit einem Semester, dann auf Dauer ausgelegt

Zeitplanung abhängig von Semesterzyklus

Kostenziele

Keine direkten Kosten

Kostenziel für studentische Hilfskräfte

Kostenziele sind Vernachlässigbar

Projektplan (2PM) Der Projektplan umfasst mehrere Themengebiete, die bereits im Rahmen der Prozesserhebung erläutert werden. In Bezug auf Strategie und Ordnungsrahmen ist zu beachten, dass ein zentraler Modellverantwortlicher erforderlich ist, um ein einheitliches Gesamtergebnis sicherzustellen. Dieser sorgt für die Einhaltung der Grundsätze ordnungsgemäßer Modellierung und der Orientierung am RPM. Darüber hinaus muss er für diesbezügliche Fragen der Studierenden als kompetenter Ansprechpartner fungieren. In der ersten Fallstudie gibt es diese Rolle während des Projektverlaufs nicht. Die einzelnen Modelle werden im Anschluss an die Lehrveranstaltung vom Rechenzentrum konsolidiert, so dass die Nachbearbeitung der aufgetretenen Unterschiede nicht mehr von den Studierenden unterstützt werden kann. Im zweiten Fall werden die Modelle direkt im Anschluss an die Interviews in ein zentrales Gesamtmodell eingepflegt. Zur Erstellung der Soll-Modellierung können die Studierenden aufgrund des fehlenden Wissens über Organisationsabläufe und dem Respekt vor der Erfahrung der Mitarbeiter nur wenig beitragen. Die Modellierung wird daher von den Studierenden lediglich methodisch durchgeführt und moderiert. Eine aktive und gestaltende Rolle, wie sie von einem professionellen Prozessberater eingenommen wird, können sie in den Fallstudien nicht übernehmen. (Vgl. Tabelle 7) Projektorganisation (3PM) Da es sich um ein Projekt handelt, das in ein IT-Einführungsprojekt und ggf. in eine Lehrveranstaltung eingebettet ist, kann es zu einer Hierarchie in der Projektleitung oder sogar zu einer Doppelleitung kommen. Eine klare Aufteilung der Zuständigkeiten vereinfacht die Koordination, wie z. B. zwischen der Projektleitung, die die Modellierung der Prozesse beaufsichtigt und der Lehrveranstaltungsleitung, die die Leistung der Studierenden beurteilt. Darüber hinaus ist eine klar definierte Kontrollinstanz erforderlich, die jedoch wie in beiden Fallstudien

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kein offizieller Projektlenkungsausschuss sein muss. Eine Herausforderung stellt die neue Zusammenstellung der Studierendenteams dar. Die Studierenden unterscheiden sich in Bezug auf Hintergrundwissen, Projekterfahrung und Motivation, müssen jedoch schnell produktiv zusammenarbeiten. (Vgl. Tabelle 8) Tabelle 7: Spezifika für das Projektmanagement in der Phase Projektplan (2PM) Phase (2PM) Projektplan Modellierungsvorbereitung

Strategie und Ordnungsrahmen

Ist-Modellierung

Soll-Modellierung

HS Wismar

HS Harz

Spezifische Anpassungen

Vgl. Phase Vorbereitung (2PE) der Prozesserhebung Jedes Studierendenteam arbeitet unabhängig, Zusammenführung durch das Rechenzentrum

Zentrale Projektleitung koordiniert die Teams und konsolidiert Ergebnisse in ein Gesamtmodell

Zentraler Modellverantwortlicher erforderlich, um ein einheitliches Gesamtergebnis sicherzustellen

Vgl. Phase Ist-Erhebung (3PE) der Prozesserhebung

Durch Rechenzentrum im Anschluss an Studierendenprojekt durchgeführt

Prüfung der Prozesse auf Mitarbeiter und Kundenfreundlichkeit sowie IT-Umsetzung Anschließende Diskussionsworkshops in der Hochschule

Unerfahrene Studierende können Soll-Prozesse nur schwer einschätzen

Tabelle 8: Spezifika für das Projektmanagement in der Phase Projektorganisation (3PM) Phase (3PM) Projektorganisation

HS Wismar

HS Harz

Spezifische Anpassungen

Projektleitung

Parallele Leitung für Lehrveranstaltung und IT-Einführungsprojekt

Einführungsprojektleiter beauftragt Projektleiter der Studierenden

Mehrere Projektleiter mit unterschiedlichen Rollen möglich

Projektlenkungsausschuss

Nicht offiziell vorhanden, Aufgaben durch Lehrenden, ITEinführungsprojektleitung der Hochschule und des Herstellers ausgeführt

Nicht offiziell vorhanden, Aufgaben werden durch ITEinführungsprojektleitung der Hochschule und des Herstellers ausgeführt

Vielzahl der Beteiligten mit unterschiedlichen Rollen machen klar definierte Kontrollinstanz erforderlich

26 Studierende des Masterstudiengangs „Steuern & Unternehmensberatung“

9 handverlesene Studierende aus dem Studiengang „Business Consulting“

Rund 50 Bachelorstudenten des Studiengangs „Betriebswirtschaft“

Studierendenteams aus Moderator und Protokollant

Studierendenteams aus 2 Masterstudenten und 3-4 Bachelorstudenten

Studierende ebenfalls im Backoffice tätig

Projektteam

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Studierende mit unterschiedlichem Hintergrundwissen, Projekterfahrung und Motivation, die in kurzer Zeit produktiv zusammenarbeiten müssen

Tabelle 9: Spezifika für das Projektmanagement in der Phase Projektcontrolling (4PM) Phase (4PM) Projektcontrolling

HS Wismar

HS Harz

Erhebung und Abstimmung der Prozessmodelle

Keine Abstimmung in der Erhebungsphase durch Notenkonkurrenz

Nachbesprechung der Erhebungsgruppen

1 Treffen je Woche

Newsletter Prozesse und Strategie

Termin und Kostenkontrolle

Keine Abstimmung mit den strategischen Unternehmenszielen

Abstimmung mit der Hochschulleitung

Fixes Abgabedatum der Semesterarbeit

Terminkontrolle der Teilaufgaben

Keine Kosten entstanden

Kostenkontrolle mit Stundenzetteln Keine messbaren übergreifenden Projektziele

Spezifische Anpassungen Motivation der Studierenden hat essentiellen Einfluss auf das Ergebnis Modellierungsprojekt nicht zwangsläufig Top-Down initiiert

Keine Anpassung

Semesterzyklische Belastung der Verwaltungsbereiche kann zu Verzögerungen führen

Abweichungen von Projektzielen

Modellierungsfokus oder Detailgrad von allen Teams unterschiedlich eingeschränkt

Aufgaben des Projektleiters

Zwei Projektleiter: Koordination von Lehrveranstaltung und Einführungsprojekt

Erstellen eines Modellierungsleitfadens und koordinieren der Teams

Leitung des Modellierungsprojekts keine Kernaufgabe

Aufgaben des Lenkungsausschusses

Bewertung der Semesterarbeit durch Lehrenden; Beurteilung der Prozesse durch ITEinführungsprojektleitung von Hochschule / Hersteller

Beurteilung der entstandenen Prozesse durch IT-Einführungsprojektleitung von Hochschule / Hersteller

Keine Anpassung

Für Teilpakete keine Abweichungen

Projektcontrolling (4PM) Auf die Erhebung und Abstimmung der Prozessmodelle haben die Einbindungsart der Studierenden sowie deren Motivation einen essentiellen Einfluss. Der erste Fall zeigt, dass durch die Einbettung in Lehrveranstaltungen eine Notenkonkurrenz zwischen den Teams entsteht, die den Austausch von Erfahrungen und eine frühzeitige Abstimmung der Modelle auf ein Minimum reduziert. Zusätzlich gibt es unterschiedlich motivierte Studierende. In der zweiten Fallstudie wird das Problem durch den Einsatz von hoch motivierten studentischen Hilfskräften gelöst. Diesen muss allerdings auch die Zeit und das Forum zum Austausch geboten werden, da auch sie sonst unabhängig voneinander arbeiten. Projekte mit Studierenden können wie in der ersten Fallstudie beobachtet aus der Hochschule heraus ohne den Impuls der Hochschulleitung initiiert werden. Für eine erfolgreiche Abstimmung der Prozesse und Strategie sollten diese Akteure jedoch mit einbezogen werden. Die Analyse der Abweichung von den Projektzielen hat gezeigt, dass insbesondere die semesterzyklische Belastung der Verwaltungsbereiche ein Grund für Verzögerungen darstellt. Bei der Betrachtung der Aufgaben des Projektleiters fällt in den Fallstudien auf, dass die Leitung des Modellierungsprojektes nicht die Hauptaufgabe ist. (Vgl. Tabelle 9)

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5 Limitationen, Fazit und Ausblick Die aktuelle Studie weist einige Limitationen auf: Aus der vorliegenden auf zwei Fachhochschulen begrenzten Datenbasis kann noch keine valide Variante der beiden Vorgehensmodelle abgeleitet werden. Darüber hinaus unterscheiden sich die beiden Fälle in den Rahmenbedingungen des Studierendeneinsatzes. Sie bietet aber durch die abgeleiteten spezifischen Anpassungen eine Ausgangsbasis für die Analyse weiterer Fälle. Außerdem müssen die erhobenen Aussagen der Projektbeteiligten relativiert werden, da diese tendenziell eher positiv über ihr Projekt berichten. Die beschriebene Variante der Geschäftsprozessmodellierung zur Vorbereitung einer CMS-Einführung mit Hilfe von den Studierenden einer Hochschule ist bisher noch keine weit verbreitete Strategie. Neben dem offensichtlichen Vorteil der Kostenersparnis kann damit für alle Beteiligten einen nachhaltigen Nutzen generiert werden. Es bietet sich hier die Möglichkeit, die Prozesse von den Kunden selbst aufnehmen zu lassen. Hochschulmitarbeiter treten nicht nur innerhalb der Hochschule, sondern auch mit ihren Prozesskunden in einen direkten Erfahrungsaustausch. Studierende erhalten neben Leistungszertifikaten tiefere Einblicke sowohl in die Praxis als auch in ihre Hochschule. Eine Prozessaufnahme mit Hilfe professioneller externer Modellierer bietet diese Vorteile nicht. Die Ergebnisse aus den Fallstudien haben jedoch gezeigt, dass durch die besonderen Rahmenbedingungen einige Anpassungen in den Vorgehensmodellen erforderlich sind. Bereits bei der Vorbereitung der Prozesserhebung muss eine Einarbeitungszeit für die unerfahrenen studentischen Modellierer fest eingeplant sein. Kostenziele sind vernachlässigbar, da nahezu keine Kosten anfallen. Die Zeit ist jedoch ein kritischer Faktor, da der Einsatz von Studierenden stark vom Semesterzyklus abhängig ist. Da die Aufgaben auf viele unerfahrene Modellierer verteilt werden, ist der Einsatz eines erfahrenen zentralen Modellverantwortlichen notwendig, um ein einheitliches Gesamtergebnis sicherzustellen. In den Fallstudien hat sich darüber hinaus gezeigt, dass die Motivation der Studierenden einen essentiellen Einfluss auf die Qualität der Ergebnisse hat. In Bezug darauf muss zwischen der Einbindung in eine Lehrveranstaltung oder der Einstellung von studentischen Hilfskräften abgewogen werden. Unter Berücksichtigung der analysierten Anpassungen des Vorgehensmodells stellt sie in diesem Bereich eine konkurrenzfähige Alternative dar. Für die weitere Forschung müssen die in den Fallstudien identifizierten Anpassungen überprüft werden, damit ein valides Vorgehensmodell für den Einsatz von Studierenden zur Prozesserhebung an Hochschulen abgeleitet werden kann. Darüber hinaus steht die Untersuchung aus, ob dieses Vorgehen auch an größeren Hochschulen mit Erfolg einsetzbar ist.

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