Die Wiederkehr der Renaissance

Ulrich von Huttens Wiederkunft zwischen. Philologie und Ideologie des 19. und. 20. ... Neorenaissance geworfen werden. Über diese hat auch Kurt Milde (Neo-.
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ISBN 978-3-89785-768-1

The Revival of the Renaissance in the Nineteenth and Twentieth Centuries

Die Wiederkehr der Renaissance im 19. und 20. Jahrhundert

Koopmann · Baron (Hg.)

Daß ein kulturhistorisches Werk wie Jacob Burckhardts Die Kultur der Renaissance in Italien, 1860 erschienen, eine ganze Epoche entscheidend beeinflussen konnte, war ein einmaliges Phänomen; zur ungewöhnlichen Wirkung dieses Werkes gehört, daß es überall Spuren hinterließ. Die Neorenaissance war um 1900 allgegenwärtig: in der Architektur und der Malerei, in der Philosophie und in der Theologie, in der Literatur und der Musik, in der Festkultur und in der Handwerkskunst. Nietzsche und Wagner haben sich mit der Renaissance auseinandergesetzt, Paracelsus und Hutten wurden als Repräsentanten der Renaissance diskutiert. Besonders stark war der Niederschlag in der Literatur: Für Rilke war die Beschäftigung mit der Renaissance eine Form der Selbsterfahrung, Heinrich und Thomas Mann waren Vertreter der Neorenaissance und zugleich deren Kritiker. Aber Burckhardts Buch beeinflußte auch Ezra Pound und seine Deutung der amerikanischen Architektur um 1900. In Deutschland findet sich die Neorenaissance in den Staatsbauten und den Banken, Hotels und Palästen des Großbürgertums. Später gab Thomas Manns Doktor Faustus der Diskussion über die sogenannte deutsche „Eigenrenaissance“ wichtige Anstöße; das Syndrom aus deutschem „Sonderweg“, lutherischer Reformation, Musik und Nietzsche bestimmte wesentlich seinen Deutschland-Roman mit. Hanns Eislers Johann Faust schließlich führte in der DDR zu einer heftigen kulturpolitischen Debatte. Der Renaissancismus um 1900 und seine Folgen, die bis in den Kult der Gewalt und deren Deutung als eines kulturfördernden Phänomens reichen, sind wenig erforscht; die hier versammelten Beiträge zeigen das Vielgestaltige der Neorenaissance und liefern in Abbreviaturen ein Stück Kulturgeschichte, das in Vergessenheit zu geraten droht.

Helmut Koopmann · Frank Baron (Hg.)

Die Wiederkehr der Renaissance im 19. und 20. Jahrhundert The Revival of the Renaissance in the Nineteenth and Twentieth Centuries

Koopmann/Baron (Hg.) · Die Wiederkehr der Renaissance

Helmut Koopmann, Frank Baron (Hg.)

Die Wiederkehr der Renaissance im 19. und 20. Jahrhundert The Revival of the Renaissance in the Nineteenth and Twentieth Centuries

mentis MÜNSTER

Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung Einbandabbildung: Bibliothekszimmer im Palais Pringsheim, München (um 1900)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem ∞ ISO 9706 und alterungsbeständigem Papier

© 2013 mentis Verlag GmbH Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-768-1

Inhaltsverzeichnis

Die Wiederkehr der Renaissance im 19. und 20. Jahrhundert The Revival of the Renaissance in the Nineteenth and Twentieth Centuries 7 Helmut Koopmann Renaissancismus um 1900 Grandiose Rückbesinnung oder ärgerlicher Schwindel? 13 C. Stephen Jaeger Burckhardt’s Renaissance and the Cult of Violence in the 19th Century and Beyond 39 Scott Jenkins Nietzsche’s Revaluation of Cruelty The Case of Cesare Borgia 55 Hans Rudolf Vaget »Die alte Zeit dünkt mich erneut.« Richard Wagner and the Renaissance

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Andrew Weeks Paracelsus and the Idea of the Renaissance Hartmut Rudolph Zum Paracelsusbild im Nationalsozialismus, vornehmlich bei Erwin Metzke 115

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Inhaltsverzeichnis

Hans-Gert Roloff Ulrich von Huttens Wiederkunft zwischen Philologie und Ideologie des 19. und 20. Jahrhunderts 137 August Stahl Rilkes Rezeption der Renaissance

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Elisabeth Galvan Femme fatale und Allegorie Thomas Manns Renaissancedrama »Fiorenza« und das München der Jahrhundertwende 181 Gert Sautermeister Humanismus und Renaissance Zu historischen und politischen Bezugsfeldern in Thomas Manns »Doktor Faustus« 195 Jan-Dirk Müller Renaissance, Reformation und der deutsche »Sonderweg« Von Thomas Manns »Betrachtungen eines Unpolitischen« zum »Doktor Faustus« 233 Michael Gnehm »Architecture comes first« Ezra Pounds amerikanische Renaissance

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Matthias Harder Neorenaissance in Berlin Beispiele und Bedeutung einer Stilrichtung im 19. Jahrhundert 285 Maren Köster Der Humanist als Renegat Hanns Eislers »Johann Faustus« und die FaustusDebatte in der DDR 305

DIE WIEDERKEHR DER RENAISSANCE IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT THE REVIVAL OF THE RENAISSANCE IN THE NINETEENTH AND TWENTIETH CENTURIES

Daß ein kulturhistorisches Werk wie Jacob Burckhardts Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch eine ganze Epoche entscheidend beeinflussen konnte, war ein einmaliges Phänomen; zur ungewöhnlichen Wirkung dieses Werkes gehört, daß es Spuren in den verschiedensten Disziplinen hinterließ. Burckhardts Buch erschien 1860 und wurde oft nachgedruckt. Heinrich Wölfflins Renaissance und Barock (1888), Gobineaus Renaissance. Historische Szenen (1877) und Karl Brandis Die Renaissance in Florenz und Rom (1899) waren Darstellungen, die Burckhardts Bild der Renaissance bestätigten und ergänzten. Das hatte Folgen: die Vorliebe der Romantik für alles Gotische verblaßte in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Vor allem in den südlichen, katholischen Gebieten Deutschlands bezeugte die Architektur die Hinwendung zu Vorbildern aus der Renaissance. Doch Renaissancismus gab es auch in anderen Bereichen – mit Auswirkungen bis tief in das 20. Jahrhundert hinein. Dennoch war es um Forschungen zur Neorenaissance in Deutschland (und Europa) in den vergangenen Jahrzehnten nicht sehr gut bestellt. Zwar war schon 1971 von Lothar Pikulik ein sehr fundierter Aufsatz über »Thomas Mann und die Renaissance« (in: Thomas Mann und die Tradition, hg. von Peter Pütz, Frankfurt am Main) erschienen. Aber sonst findet sich wenig. In dem Band Fin de siècle. Zu Literatur und Kunst der Jahrhundertwende [= »Neunzehntes Jahrhundert«. Forschungsunternehmen der Fritz Thyssen Stiftung Hg. von Roger Bauer u. a., Frankfurt am Main 1977] ist schon im Vorwort, das J. A. Schmoll gen. Eisenwerth für die Herausgeber geschrieben hatte, zwar von Neuromantik, Neohistorismus, Neobarock, Neorokoko, Neobiedermeier und Neoklassizismus die Rede, nicht aber von der Neorenaissance; unter den 28 Beiträgen dieses Bandes beschäftigt sich ein einziger mit dem Renaissancismus um 1900 (Lea Ritter Santini: »Maniera Grande«. Über italienische Renaissance und deutsche Jahrhundertwende). Nur einzelne Aspekte der Renaissance-Rezeption im 19. Jahrhundert werden in einem Sammelband Il Rinascimento nell’Ottocento in Italia e Germania /Die Renaissance im 19. Jahrhundert in Italien und Deutschland (hg.

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von August Buck u. Cesare Vasoli, Bologna /Berlin 1989) als Ergebnisse einer Studienwoche im September 1987 am »Istituto storico italo-germanico in Trento« behandelt (darunter von Armin Aurnhammer: »Zur Zeit der großen Maler«. Der Renaissancismus im Frühwerk Hugo von Hofmannsthals). Die sieben Beiträge eines Bandes mit dem Titel Renaissance und Renaissancismus von Jacob Burckhardt bis Thomas Mann (hg. von August Buck, Tübingen 1990), der auf eine Tagung des Kulturzentrums Villa Vigoni am Comer See vom September 1989 zurückgeht, befassen sich in relativ kurzen Darstellungen bloß mit einigen ausgewählten Themen der Neorenaissance – u. a. mit »Burckhardt und die italienische Renaissance« (August Buck); »Nietzsche und die Renaissance: Die Reflexion über ›Grenze‹ und ›Grenzüberschreitung‹« (Luca Farulli); »Zur Kritik der ›Hysterischen Renaissance‹ im Frühwerk Heinrich Manns« (Gerhard Goebel-Schilling); »Renaissance und Renaissancismus bei Thomas Mann« (Hanno-Walter Kruft). Ein Band Storia dell’arte e politica culturale intorno al 1900 (hg. von Max Seidel, Venezia 1999) enthält unter anderem zwar einige Beiträge über Jacob Burckhardt, Wilhelm Bode (als »Schüler« Jacob Burckhardts) und über Aby Warburg sowie über Renaissance-Ausstellungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts, aber nur einen über den Renaissance-Kult in der deutschen Literatur um 1900. In der Darstellung von Bernd Roeck, Florenz 1900. Die Suche nach Arkadien (München 2001) kommt die Neorenaissance naturgemäß zwar verschiedentlich zur Sprache, vor allem in den Kapiteln »Florentiner Moderne« und »Ninfa fiorentina«, aber dort dominieren kunsthistorische Aspekte, auch wenn Seitenblicke auf die Literatur und die (Bau-)Kultur der Neorenaissance geworfen werden. Über diese hat auch Kurt Milde (Neorenaissance in der deutschen Architektur des 19. Jahrhunderts. Grundlagen, Wesen und Gültigkeit, Dresden 1981) gearbeitet, und darüber informieren ebenfalls einige Beiträge des Bandes Neorenaissance – Ansprüche an einen Stil, den Walter Krause, Heidrun Laudel und Winfried Nerdinger im Anschluß an ein Symposion 2001 ediert haben. Im außerordentlich umfangreichen und gründlich gearbeiteten Handbuch Fin de Siècle, das Sabine Haupt und Stefan Bodo Würffel 2008 herausgegeben haben, kommt der »Renaissance-Kult der Epoche« nur ganz am Rande zur Sprache. Dieses allgemeine Defizit ist um so verwunderlicher, als seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Rückbesinnung auf die Epoche um 1500 zur Annahme einer deutschen »Eigenrenaissance« 1 führte, in der Gestalten wie Dürer, Luther, Paracelsus und Hutten zu großen Renaissancemenschen stilisiert wurden. Konrad Burdach war einer aus einer ganzen Reihe von Geistes1

Diesen Begriff hat Heinz Otto Burger in seinem Band Renaissance, Humanismus, Reformation. Deutsche Literatur im europäischen Kontext [ = Frankfurter Beiträge zur Germanistik Bd. 7], Bad Homburg v.d.H./Berlin /Zürich 1969, S. 45 verwendet.

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wissenschaftlern, die im frühen zwanzigsten Jahrhundert diese Linie verfolgten – eine Linie, die später den Nazis höchst willkommen war und die von ihnen sowohl ideologisch wie auch architektonisch genutzt wurde. Wieweit diese Aneignung und ausschließliche Betonung einer deutschen Renaissance falsch und sogar gefährlich war, hat Thomas Mann 1947 in seinem Roman Doktor Faustus diskutiert. Sonst aber ist der deutsche Renaissancismus weitgehend vernachlässigt worden. Das könnte zum Teil daran liegen, daß »Renaissancismus« zunächst als Sammelbezeichnung für eine Reihe von »verschiedenartigen mannigfaltigen Erscheinungen« gebraucht wurde, für die ein sie charakteristierender Begriff fehlte, »obwohl sie alle ohne allen Zweifel ein gemeinsames Band umschlingt«. So findet sich das bereits bei Friedrich Haack in seiner Darstellung Die Kunst des XIX. Jahrhunderts (Esslingen 1904, 31909). Darauf hat August Buck aufmerksam gemacht. 2 Gelegentlich wurde der Renaissancismus auch als »eine Erscheinung des Historismus im neunzehnten Jahrhundert« verstanden 3 oder als Phänomen der Dekadenz. Es kam hinzu, daß die Reichsgründung und Bismarcks Kulturkampf ein nationales Bewußtsein gestärkt hatten, das die Begeisterung vor allem für die italienische Renaissance nicht gerade beförderte; das Interesse an der Renaissance in Italien war ein Sonderfall, der sich in gewissem Sinn gegen nationale Strömungen behaupten mußte. Dennoch gab es dieses vor allem deutsche Phänomen des Renaissancismus – mit jener und gegen jene Strömung. Solche Überlegungen führen zu Fragen und Problemen, die in einem größeren interdisziplinären Rahmen noch nicht behandelt wurden. Wie verhalten sich die Wiederbelebung der italienischen Renaissance und die deutsche Eigenrenaissance zum kulturellen, literarischen und politischen Leben des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts? Welche typischen Ausdrucksformen hat diese Neorenaissance in Architektur, bildender Kunst, Philosophie, Musik, Literatur und Geschichte gefunden? In welchem Verhältnis steht der Renaissancismus zu anderen Bewegungen um 1900? Vor diesem Hintergrund hatte sich eine Tagung, die vom 26. bis 28. März 2010 in Lawrence an der University of Kansas stattfand, zur Aufgabe gesetzt, das Phänomen der Neorenaissance in angemessener Breite zu analysieren: die literarischen Erscheinungsformen der Neorenaissance sollten anhand repräsentativer Autoren der Zeit ebenso untersucht werden wie die NeorenaissanceArchitektur, musikalische Erscheinungsformen der Neorenaissance ebenso wie Renaissance-Betrachtungen aus philosophischer Sicht und die Adaptionen der eigentlichen Renaissance in Literatur und Theologie. Es sollte, mit 2

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In dem oben erwähnten Band Renaissance und Renaissancismus von Jacob Burckhardt bis Thomas Mann, S. 2f. So von F. F. Baumgarten: Das Werk Conrad Ferdinand Meyers. Renaissance-Empfinden und Stilkunst, München 1917, S. 6. Auch darauf hat August Buck hingewiesen.

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anderen Worten, möglichst das gesamte Spektrum dieser Kultur der Neorenaissance, soweit das in einer kurzen Tagung mit einer begrenzten Zahl von Referenten möglich war, behandelt werden. * Der einleitende Beitrag versucht, das Phänomen der Neorenaissance in seiner Breite zu umreißen. Denn die Neorenaissance war um 1900 allgegenwärtig: in der Architektur und in der Malerei, in der Philosophie und der Theologie, in der Literatur und in der Musik, in der Festkultur und in der Handwerkskunst. Zahlreiche Renaissance-Dramen wurden von heute nahezu vergessenen Schriftstellern verfaßt, Renaissance-Novellen schrieben aber auch bekannte Autoren wie C. F. Meyer, Isolde Kurz und Paul Heyse; Schnitzler und Hofmannsthal, Rilke und George, Thomas Mann und Heinrich Mann haben die Renaissance zitiert; einige von ihnen haben aber auch das Unechte des Renaissance-Kultus kritisiert (Heinrich Mann, Thomas Mann). Alles in allem war der Renaissancekult eine Antwort auf den Kulturpessimismus der Zeit; er stand aber zugleich in deutlicher Parallele zur Gründerzeit-Mentalität mit den Prunkbauten der Wilhelminischen Ära und wirkte bis in die dreißiger Jahre: Hitler stattete seine Reichskanzlei mit Gobelins im Stil der italienischen Renaissance aus. Darüber berichtet Helmut Koopmann (Renaissancismus um 1900 – Grandiose Rückbesinnung oder ärgerlicher Schwindel?). Jacob Burckhardt gilt der Beitrag von C. Stephen Jaeger (Burckhardt’s Renaissance and the Cult of Violence in the 19th Century and Beyond), der sich am Beispiel von Burckhardts Cultur der Renaissance in Italien mit dem Phänomen der Gewalt und dem Gewaltkult der Renaissance auseinandersetzt, besonders mit der unter Intellektuellen und Schriftstellern im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert verbreiteten Ansicht, daß Gewalt ein kulturförderndes Element sei – mit weitreichenden Folgen für Philosophie, Literatur und Volkskultur. »Gewalt« galt im späten 19. Jahrhundert als besonderes Kennzeichen der Renaissance; das trifft auch für Nietzsche zu, der sich vornehmlich mit der Gestalt des Cesare Borgia beschäftigte, bei dem »Größe« und Gewalt einander bedingten und zu dem Richard Wagners Parsifal eine Kontrastfigur lieferte (Scott Jenkins: Nietzsche’s Revaluation of Cruelty. The Case of Cesare Borgia). Wagner ist bekannt für sein Interesse an der Romanik und am Mittelalter; Hans Rudolf Vaget (»Die alte Zeit dünkt mich erneut.« Richard Wagner and the Renaissance) aber kann zeigen, daß sich Wagner ein Leben lang mit der Renaissance auseinandergesetzt hat – zumeist ablehnend. Seine Meistersinger, zu denen Tizians Assunta den Anstoß gegeben hat, sollten ein Gegenentwurf zur italienischen Renaissance sein und eine Art Gründungsurkunde einer »deutschen Eigenrenaissance«. Zwei andere Gestalten der Renaissance haben die Neorenaissance nicht weniger stark bestimmt: Paracelsus und Hutten. Paracelsus galt zu Be-

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ginn des 20. Jahrhunderts als genialer nordischer Repräsentant der Renaissance, der den italienischen Humanismus in den Schatten stellte – obwohl Reformationskonflikte ihn tatsächlich viel stärker prägten (Andrew Weeks: Paracelsus and the Idea of the Renaissance). Wie weit Paracelsus über die Jahrhundertwende hinaus sowohl in die nationalistische Ideologie wie in die Theologie der »Deutschen Christen« hineinwirkte, zeigt sich am Beispiel des Kirchenhistorikers Erich Seeberg und seiner Schule, zu der auch Erwin Metzke mit seinen Paracelsus-Arbeiten gehörte (Hartmut Rudolph: Zum Paracelsusbild im Nationalsozialismus, vornehmlich bei Erwin Metzke). Hutten (Hans-Gert Roloff: Ulrich von Huttens Wiederkunft zwischen Philologie und Ideologie des 19. und 20. Jahrhunderts) gehört ebenfalls zu den in der Epoche der Neorenaissance vieldiskutierten Gestalten; er ist schon im 19. Jahrhundert ideologisch von den verschiedensten Seiten in Anspruch genommen worden, geriet in die Auseinandersetzungen zwischen lutherischem Protestantismus, orthodoxem Protestantismus, jesuitischem Katholizismus und nationalistischen Tendenzen und wurde zum Symbol des Kulturkampfes, ohne daß eine objektive Textausgabe zur Verfügung gestanden hätte. Daneben war er Gegenstand einer großen Zahl literarischer Bearbeitungen (etwa C. F. Meyers Huttens letzte Tage). Besonders stark war der literarische Niederschlag der Neorenaissance. Rilkes Wahrnehmung und Deutung der italienischen Kultur des 15. und 16. Jahrhunderts entsprach in vielem der Sicht der Zeit um 1900 (Burckhardt, Thode, Pater), war aber immer auch eine Form authentischer Selbsterfahrung mit Hilfe der Überlieferung, wie sie sich ihm in den großen Gestalten der Renaissance darbot (August Stahl: Rilkes Rezeption der Renaissance). Thomas Mann verfaßte ein (von der Forschung bislang sehr stiefmütterlich behandeltes) Renaissance-Drama, mit dem er sich in die zeitgenössische literarische Renaissance-Mode einschrieb, diese zugleich auch wieder in seinen allegorischen Dimensionen unterlief; in seine Beschäftigung mit dem Phänomen des Renaissancismus waren zugleich das Aufkommen des Jugendstils und seine Auseinandersetzung mit dem literarischen Werk seines Bruders Heinrich einbezogen (Elisabeth Galvan: Femme fatale und Allegorie. Thomas Manns Renaissancedrama Fiorenza und das München der Jahrhundertwende). Zwei Beiträge gelten Thomas Manns Doktor Faustus, besonders dem Lutherbild, mit dem Thomas Mann der sogenannten deutschen »Eigenrenaissance« wesentliche Anstöße und Akzente verlieh (Gert Sautermeister: Humanismus und Renaissance. Zu historischen und politischen Bezugsfeldern in Thomas Manns Doktor Faustus). Thomas Manns ambivalentes Verhältnis zur Renaissance zeigt sich bereits in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen, wo sich schon das Syndrom aus deutschem ›Sonderweg‹, lutherischer Reformation, Musik und Nietzsche findet, das auch noch seinen Deutschland-Roman mitbestimmt (Jan-Dirk Müller: Renaissance, Reforma-

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tion und der deutsche ›Sonderweg‹. Von Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen zum Doktor Faustus). Die Beschäftigung mit Kunst und Literatur der Renaissance prägt aber auch einen Autor wie Ezra Pound: davon zeugen seine Malatesta Cantos mit der Inanspruchnahme von Burckhardts Cultur der Renaissance in Italien wie seine Deutung der amerikanischen Architektur der 1910er Jahre (Michael Gnehm: »Architecture comes first«. Ezra Pounds amerikanische Renaissance). Stärker freilich als in Amerika hat die Neorenaissance in der deutsche Architekturlandschaft geherrscht: besonders Staatsbauten (Reichstag, Berliner Dom) und Banken, Hotels und Paläste des Großbürgertums bevorzugten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Neorenaissance-Baustil und dessen »gesetzte Monumentalität«, vor allem, wenn es um Repräsentation ging (Matthias Harder: Neorenaissance in Berlin. Beispiele und Bedeutung einer Stilrichtung im 19. Jahrhundert). Auch in der Musik finden sich später noch Spuren der Renaissance: Hanns Eislers Johann Faustus führte in der DDR zu einer heftigen kulturpolitischen Debatte über das Verhalten der Intellektuellen im 16. Jahrhundert (und in der Gegenwart): Eisler hatte sein Werk als Abrechnung mit der deutschen Vergangenheit geplant. Aber es löste vor allem ungeahnt starke Kontroversen über das Kultur- und Geschichtsverständnis der noch jungen DDR aus (Maren Köster: Der Humanist als Renegat. Hanns Eislers Johann Faustus und die Faustus-Debatte in der DDR). * Die Verfasser dieser Beiträge haben versucht, in der Erforschung der Zeit um die Jahrhundertwende von 1900 und insbesondere in der Präsentation der literarischen, philosophischen, architektonischen und musikalischen Erscheinungsformen der Neorenaissance und ihrer Nachwirkungen bis in die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein neue Akzente zu setzen und das Vielgestaltige in den Erscheinungsformen der wiederentdeckten Renaissance zu zeigen, um so, in Abbreviaturen, ein Stück Kulturgeschichte, das über Jahrzehnte hin weitgehend in Vergessenheit geriet, zu bewahren. An dieser Stelle sei der Fritz Thyssen Stiftung für die großzügige Unterstützung des Symposions »Die Wiederkehr der Renaissance im 19. und 20. Jahrhundert /The Revival of the Renaissance in the Nineteenth and Twentieth Centuries« gedankt. Helmut Koopmann

Frank Baron

Helmut Koopmann RENAISSANCISMUS UM 1900 Grandiose Rückbesinnung oder ärgerlicher Schwindel?

Renaissancismus – Mode der Jahrhundertwende Der 11. Februar 1904 war für den jungen Schriftsteller Thomas Mann ein bedeutsamer Tag: er machte einen Antrittsbesuch im Hause Pringsheim in der Arcisstr. 12, München, und er wurde an diesem Tag für den nächsten Abend zum großen Hausball in das Pringsheimsche Palais eingeladen. Es wurde ein großer Abend. Seinem Bruder Heinrich schrieb er am 27. Februar: »Ich bin gesellschaftlich eingeführt, bei Bernsteins, bei Pringsheims. Pringsheims sind ein Erlebnis, das mich ausfüllt. Tiergarten mit echter Kultur.« Aber nicht weniger bedeutsam war schon der Vortag: Thomas Mann wurde »in dem italienischen Renaissance-Salon mit Gobelins, den Lenbachs, der Thürumrahmung aus giallo antico« empfangen. 1 Er war ins Zentrum des Münchner Renaissancismus geraten, und nicht nur die reiche Familie, auch deren Renaissancebau hatten es ihm angetan. In der Bibliothek, einem Raum von etwa 55 Quadratmetern Größe mit einer schweren Holzdecke, hingen LenbachBilder; zwei antikisierende Säulen gaben den Blick frei in den angrenzenden Musiksaal, der nicht weniger üppig ausgestattet war; in der oberen Zone der Wände befand sich ein umlaufender Fries. Überbordender Luxus im Stil der Zeit, eigentlich eine Wohn-Unmöglichkeit. Es waren vor allem Repräsentationsräume, und es ist sicherlich kein Zufall, wenn Thomas Mann in seinem Brief an den Bruder davon spricht, daß auch er im Grunde genommen ein gewisses fürstliches Talent zum Repräsentieren habe, wenn er einigermaßen frisch sei; hier muß ihm bewußt geworden sein, was »Repräsentieren« bedeutete. Das Haus hatte es ihm angetan, und in der Erzählung Beim Propheten aus dem gleichen Jahr 1904 erschien es auch literarisch; hier heißt es von der »reichen Dame«, der der »Novellist« in einer ärmlich ausgestatteten Dachstube auf einer sonderbaren Veranstaltung begegnet: »Sie war [. . .] aus ihrem prachtvollen Hause mit den Gobelins und den Türumrahmungen aus 1

Thomas Mann – Heinrich Mann: Briefwechsel 1900–1949. Hg. von Hans Wysling, Frankfurt am Main 31995, S. 97f.

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Helmut Koopmann

Giallo antico hierher gekommen«. 2 Es war Hedwig Pringsheim, die Mutter Katias. Renaissancismus in der Münchner Arcisstraße. 3 Stilrein war der allerdings nicht. Das Haus präsentierte sich im Untergeschoß zwar durchaus als Renaissance-orientiert, aber da stand auf der einen Seite eine eher barocke Giebelfront mit vielen Bögen, auf der anderen Seite ein sonderbarer Turm mit einer Haube, die alles andere als renaissancehaft war, und dann waren da noch Mansarden mit kleinen Türmchen, das Ganze also eine Mischkonstruktion, eben »deutsche Renaissance«, und dem entsprach eigentlich auch das Innere. Der große Fries stammte von Ludwig Thoma, und der hielt es eher mit der germanischen Mythologie und dem Deutschen, ersatzweise noch allenfalls mit der griechischen Antike. 1890 war Thoma zwar noch nicht mit dem Stigma des »Deutschen« versehen worden, zum deutschen Künstler wurde er erst später durch die Kunsthistoriker Henry Thode und Julius Meier-Gräfe. Aber er war Wagnerianer, und sein 1882 entstandener Zyklus aus acht Wandbildern und drei Sopraporten galten Szenen aus Wagner-Opern. Das Interesse fürs Deutsche war bei aller Vorliebe für die Renaissance freilich kein Zufall: das wohlhabende deutsche Judentum der Gründerzeit war für deutschnationale Selbstdarstellungen dieser Art durchaus empfänglich 4, und Thoma trug eben das Seine dazu bei. So finden sich mitten im Renaissancismus-Haus mit seinen Bildern von Leierspielern, Flötenbläsern, Landschaften, Blumenmädchen und einem antikisierten Tempel auch Bilder von einem geharnischten Ritter mitsamt einem Löwen und von einem Ritter mit zwei Hunden. Aber Thomas Mann sah nicht das Deutsche, er sah giallo antico und den italienischen Renaissancesalon. Und er sah ihn nicht nur, sondern nutzte das Gesehene nach seiner Erzählung Beim Propheten auch noch für die Skandalgeschichte Wälsungenblut, wo eine Renaissance begegnete, die das Selbsterlebte durchaus noch in den Schatten stellte. Tatort in Wälsungenblut war zwar nicht München, sondern ein Haus im Berliner Tiergarten – und man darf vermuten, daß Thomas Mann wohl auch das Palais Pringsheim aus Berlin kannte, das nun wirklich eine reichlich überbordende, aber sonst stilreine Renaissancismus-Baulichkeit war, wesentlich eindrucksvoller und großartiger als das Münchner Haus. In dieser Erzählung rekonstruierte Thomas Mann noch einmal das, was er in München im Haus Pringsheim gesehen, oder vielmehr: erlebt hatte. In Wälsungenblut ist die Räumlichkeit der Aa2

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Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Frankfurt am Main 1974, Bd. VIII, S. 366. Vgl. dazu grundlegend Hanno-Walter Kruft: Alfred Pringsheim, Hans Thoma, Thomas Mann. Eine Münchner Konstellation, München 1993 [= Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philologisch-historische Klasse. Abhandlungen. Neue Folge, Heft 107]. Ebd., S. 11.