Die Mönche zieht es in die Ferne

12.02.2016 - büro, ohne booking.com, ohne Kre- ditkarte in ... Berliner Überforderung: Mit Hollywood-Nostalgie eröffnete am Donnerstag die 66. Berlinale.
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KULTUR 9

FREIT A G, 12. FEBRUAR 20 16

Die Mönche zieht es in die Ferne Studium, Pilgern und ein Blick in den Krater des Vesuvs ist geistlichen Herren eine Reise wert. HEDWIG KAINBERGER

Ein Mönch war früher dran als Goethe. Seit der Dichter „Neapel sehen und sterben“ in seiner „Italienischen Reise“ zitiert hat, wird er gelobt, der deutschen Sprache das Sehnsuchtswort nach dem Süden geschenkt zu haben. Tatsächlich aber war es der aus Salzburg stammende Pater Lukas Grass, Mönch von St. Gallen, der fast ein Jahrhundert vor Goethe diesen Satz über die Alpen gebracht hat – und das im kompletten Wortlaut der Neapolitaner: „Magna bruocoli (sic), vedi Napoli e poi muori, ben’ mio!“ (Broccoli essen, Neapel sehen, dann sterben, mein Lieber!) Ihm zu Ehren ist jene Ausstellung benannt, die auf die Spuren reisender Mönche führt. Nach St. Gallen und Einsiedeln ist am Donnerstagabend im DomQuartier der dritte Teil eröffnet worden. Der Titel ist drei Mal gleich: „Vedi Napoli e poi muori“. Doch der Direktor des Museums von St. Peter, Wolfgang Wanko, versichert: „Es ist keine Wanderausstellung, sondern eine Trilogie.“ In den Vitrinen seien Kostbarkeiten aus dem Stift, die noch nie ausgestellt gewesen seien, auch nicht in der Landesausstellung 1982. Die exquisite Schau ist aus weiterem Grund beachtlich: Es ist die erste von St. Peter gestaltete Sonderausstellung. Nach Eröffnung der Dauerausstellung im Wallistrakt im Mai 2014 ist dies eine weitere, neue Facette in der Außenwirkung der SALZBURG.

von Erzabt Korbinian Birnbacher geleiteten Benediktiner. Herzstück der Salzburger Exponate ist eine Handschrift – so ebenmäßig, als hätte da ein Mönch in der Ruhe seines Heimatklosters konzentriert die Feder geführt. Doch es ist ein Reisebericht, der Heft für Heft geschrieben und nachträglich zum Buch gebunden wurde. Verfasst haben ihn Albert Nagnzaun, der später Abt von St. Peter werden sollte, sowie Alois Stubhan, die 1804 bis 1806 in Italien unterwegs waren. Deren Schilderung von Reisen und Leben in Italien vor gut 200 Jahren soll im Frühjahr im BöhlauVerlag als Buch erscheinen. Dass die beiden nicht wegen heute üblicher Urlaubsreife von Abt Dominikus Hagenauer auf die Reise geschickt worden sind, zeigt allein der finanzielle Aufwand: 4500 Gulden haben deren Reisen gekostet, schildert Wolfgang Wanko. Das entspreche etwa 15 Jahresgehältern eines damaligen mittleren Beamten. Wie konnte man sich ohne Reisebüro, ohne booking.com, ohne Kreditkarte in einem fremden Land bewegen? Die beiden Benediktiner erzählen von schlechtem Essen, wie sie übers Ohr gehauen wurden, wie sie an den vielen Grenzen ihr Gepäck öffnen und Beamte bestechen mussten. Hilfreich waren den Mönchen die Möglichkeiten, in Klöstern als Gäste beherbergt zu werden, sowie Empfehlungsschreiben. Dabei kam ihnen zugute, dass Salzburg derweil von Ferdinand, Kurfürst der

Erzabt Korbinian mit einer Landkarte, auf der Reiserouten der Mönche eingezeichnet sind.

Toskana, regiert wurde. Dessen Staatsminister Marchese Federigo Manfredini hatte beste Kontakte zu Italien. Dank seiner Empfehlung konnten die zwei sogar den Künstler Antonio Canova treffen. Wozu? „Weil sie nicht nur Kirchenrecht und orientalische Sprachen erlernen, sondern auch den ‚buon gusto‘

„Wenn ein Mönch geht und wenn er kommt, kriegt er einen Segen.“ Korbinian Birnbacher, Erzabt

nach Salzburg bringen sollten“, erläutert Wolfgang Wanko. Und Canova gab ihnen wiederum ein – in der Ausstellung gezeigtes – Empfehlungsschreiben an einen Freund in Venedig, der den beiden Salzburgern günstig Geld wechseln sollte. Um die exorbitanten Reisekosten zu rechtfertigen, bekamen die beiden briefliche Instruktionen des Abtes, und sie hatten zu rapportieren. Sie taten dies mit ihrem Bericht sowie – mangels Fotoapparats – mit Zeichnungen. Immerhin hätten die beiden zuvor in Salzburg bei Wolf-

gang Hagenauer Zeichenunterricht genommen, sagt Wolfgang Wanko. Zudem besorgten Albert Nagnzaun und Alois Stubhan in Italien Kupferstiche und Bücher für Salzburg. Beim Ausflug auf den Vesuv 1805 – im selben Jahr wie Alexander von Humboldt – füllte Albert Nagnzaun ein Körbchen mit Vulkangestein. Dieses wird in der Mineraliensammlung von St. Peter verwahrt und nun in der Ausstellung gezeigt. Viele andere Reisen von Salzburger Benediktinern lassen sich im Nordoratorium erkunden – bis hin zur Dienstreise Erzabt Franz Bachlers 1973 zum Äbtekongress in Rom. Angereichert wird dies um Kostbarkeiten aus Einsiedeln und St. Gallen. Die außergewöhnlichste ist vermutlich aus dem 9. Jahrhundert: Der „Itinerarium Einsiedlense“ ist der älteste, noch immer nicht ganz entschlüsselte Touristenführer für Rom. Sogar eine Tabula Peutingeriana, eine spätantike Straßenkarte, ist aus St. Gallen in Salzburg. Ebenso gastieren Lukas Grass’ Aufzeichnungen aus 1699 bis 1701, das älteste in St. Gallen verwahrte Reisetagebuch (es wurde als „Itinera Italica“ jüngst im Folio-Verlag im ersten von

Der Bär macht einen großen Spagat Berliner Überforderung: Mit Hollywood-Nostalgie eröffnete am Donnerstag die 66. Berlinale. MAGDALENA MIEDL BERLIN. Die Berlinale ist eine Zumu-

tung. Über 400 Filme, Ausstellungen, parallel dazu ein Branchenmarkt, ein internationaler Wettbewerb, die Reihen „Panorama“, „Forum“, die „Perspektive Deutsches Kino“, „Kulinarisches Kino“ mit Menü, Kinderkino, Jugendfilme, eine Retrospektive und Kurzfilmprogramme: Es gibt nicht „die“ Berlinale, es gibt nur einzelne Filme, die jede Besucherin und jeder Besucher für sich auswählt. Dabei muss er oder sie nicht selten entscheiden zwischen Glamour und dem, was die Kritik als Filmkunst bezeichnet: ein Spagat, den das Festival alle Jahre wieder unternimmt. Auch in der 66. Festivalausgabe laufen die meisten Filme mit bekannten Schauspielnamen „außer Konkurrenz“, darunter der Eröffnungsfilm „Hail, Caesar“ der CoenBrüder. Ersten Kritiken aus den USA ist zu entnehmen, das sei ein vergnügt-verschrobenes Verwirrspiel aus dem Hollywood der 1950er-Jahre, mit George Clooney, Josh Brolin,

Berlinale-Direktor Dieter Kosslick und Jury-Präsidentin Meryl Streep. BILD: SN/AP

Scarlett Johansson, Frances McDormand, Tilda Swinton, Channing Tatum, Ralph Fiennes und Jonah Hill. Es ist eine großartige Bande prominenter Gesichter für die Kameras der Berichterstatter vom roten Teppich. Der Film kommt nächste Woche schon ins Kino, und Bilder von der Berlinale-Premiere erlauben dem Publikum daheim, sich ein wenig beim Glamour dabei zu fühlen. Oder nehmen wir Spike Lees „Chi-Raq“ mit Wesley Snipes, Ange-

la Bassett, Samuel L. Jackson und John Cusack. Der Film versetzt Aristophanes’ Komödie der um des lieben Friedens willen sexverweigernden Lysistrata per Musical ins Chicago der Gegenwart. Im Wettbewerb um die Bären laufen die Stars des Autorenkinos: Thomas Vinterbergs „Die Kommune“ handelt vom Aufbau einer Kommune im Kopenhagen der 1970erJahre, „Fuocoammare“ von dem italienischen Dokumentaristen Gian-

franco Rosi beschreibt die Insel Lampedusa als Ort des ständigen Ausnahmezustands zwischen Fluchtstation und Alltag. Und der über achtstündige, schwarzweiße Streifen „Hele Sa Hiwagang Hapis“ von dem gefeierten philippinischen Filmemacher Lav Diaz ist eine Reise in die kolonialistische Vergangenheit von Diaz’ Heimat. Eine Handvoll österreichischer Beiträge ist auf der Berlinale „nur“ in Nebenschienen zu sehen: Ruth Beckermanns Essayfilm „Die Geträumten“ über die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan und Nikolaus Geyrhalters „Homo Sapiens“ über vom Menschen verlassene postindustrielle Landschaften laufen im Forum, „Kater“ von Händl Klaus über eine Gewaltexplosion in einer bislang harmonischen Beziehung und Patric Chihas Dokumentation „Brüder der Nacht“ über junge bulgarische Sexarbeiter in Wien sind im „Panorama“ zu sehen.

BILD: SN/NEUMAYR/LEO

zwei Bänden editiert). All dies bezeugt, wie Mönche auf Dienst-, Pilger- wie Studienreisen, die sie auch für Besichtigungen nutzten, seit Jahrhunderten Wissen und Kulturgüter europaweit gesammelt, gepflegt und verteilt haben. Reisen sei „nichts spezifisch Monastisches“, stellt Erzabt Korbinian fest. Doch was geblieben sei, gehe oft über das Reiseerlebnis hinaus. Und heute? Meist sind Mönche dienstlich unterwegs – als Seelsorger oder Begleiter von Wallfahrten. Er selbst unternehme zudem pro Jahr mehrere Dienstreisen zu Treffen in der Kongregation und nach Rom, erläutert der Erzabt. Und jedem Mönch in St. Peter stehen pro Jahr 27 Tage Urlaub zu, dafür gibt es auch Reisegeld. Egal ob Dienst oder Urlaub: Vor jeder Abfahrt und nach jeder Ankunft erscheine jeder Mönch vor dem Abt: „Wenn er geht und wenn er kommt, kniet er sich nieder und kriegt einen Segen.“ Ausstellung: Vedi Napoli e poi muori – Grand Tour der Mönche, Nordoratorium, DomQuartier, bis 18. Mai. Katalog: 328 Seiten, Eigenverlag des Stiftsarchivs St. Gallen.

Harry Potters Sohn trägt schwer am Familienerbe LONDON. Die Harry-Potter-Ära geht

weiter. Bis Ende Juli müssen sich die englischsprachigen Leser gedulden, dann kommt das achte Buch auf den Markt: „Harry Potter and The Cursed Child“ heißt der Titel – Harry Potter und das verwunschene Kind. Doch wie Autorin Joanne K. Rowling und der britische Verlag Little, Brown Book klarstellen: Diesmal handelt es sich nicht um einen Roman, sondern um das ScriptBuch zu dem gleichnamigen Theaterstück, das am 30. Juli in London Premiere haben wird. David Shelley, der Chef des britischen Verlags, begründet die Entscheidung: Bei der Autorin und ihrem Team hätten sich viele enttäuschte Fans gemeldet, die das Theaterstück in London nicht sehen können. Sie würden das Stück aber gern als Buch lesen. Worum es geht? 19 Jahre nach der großen Schlacht von Hogwarts ist Harry Potter nun Familienvater und Mitarbeiter im Ministerium für Magie. Doch seinem jüngsten Sohn Albus Severus macht das Familienerbe zu schaffen . . . SN, dpa