Sven Schuldt Die Marktmacht von TUI in Deutschland und Europa IGEL Verlag
Sven Schuldt Die Marktmacht von TUI in Deutschland und Europa 1.Auflage 2009 | ISBN: 978‐3‐86815‐346‐0 © IGEL Verlag GmbH , 2009. Alle Rechte vorbehalten.
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Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Abkürzungsverzeichnis 1. Einleitung 2. Grundlagen der Tourismuswirtschaft 2.1 Entstehung und Entwicklung des Tourismus 2.2 Definition und Abgrenzung des Begriffs Tourismus 2.3 Entwicklung der touristischen Marktforschung 2.4 Primär‐ und Sekundärmarktforschung 2.5 Immaterialität von Reiseprodukten 2.6 Die Situation im Deutschland‐ und Welttourismus 3. Situationsanalyse des Reiseveranstaltermarktes 3.1 Abgrenzung Reiseveranstalter und Reisemittler 3.2 Marktkonstellation des deutschen Veranstaltermarktes 3.3 Strukturanalyse der Reiseveranstalter 3.3.1 Vorbemerkungen und Datenerhebungen 3.3.2 Struktur und Größe des Reiseveranstaltermarktes 3.3.3 Ausgewählte Analyseergebnisse im Detail 3.3.3.1 Gründungsjahre 3.3.3.2 Rechtsformen 3.3.3.3 Kapital 3.3.3.4 Marktvolumen Teilnehmer 3.3.3.5 Marktvolumen Umsatz 3.3.3.6 Durchschnittlicher Reisepreis 3.3.3.7 Mitarbeiterzahl und Mitarbeiterproduktivität 3.3.4 Vertriebswege der Reiseveranstalter 3.3.4.1 Direktvertrieb 3.3.4.1.1 Online‐Vertrieb 3.3.4.1.2 Teleshopping 3.4 Konzentrationsanalyse der Reiseveranstalter 3.4.1 Der Konzentrationsbegriff und Arten der Konzentration 3.4.1.1 Horizontale und vertikale Unternehmenskonzentration 3.4.1.2 Konzentrationsmessung und Konzentrationsmaße 3.4.2 Entwicklung der Konzentration im deutschen Reisemarkt 3.4.2.1 Einschätzung der Konzentrationsentwicklung 3.4.2.2 Konzentrationsmessung ausgewählter Reiseveranstalter 3.4.2.3 Entwicklung der Veranstaltergruppen 3.4.2.4 Auswertung der Messergebnisse
I
III IV V 1 3 3 4 7 9 11 13 24 24 25 31 31 32 39 39 40 41 41 42 42 42 43 46 48 49 50 51 52 52 53 59 59 61 64
3.4.2.5 Konzentrationskurve 3.4.2.6 Lorenzkurve 3.4.3 Beurteilung der Unternehmenskonzentration 3.5 Derzeitige Herausforderungen an Reiseveranstalter 4. TUI, ein weltweit führender Touristikkonzern 4.1 Geschichte der TUI (Preussag) AG 4.2 Vision und Unternehmensphilosophie 4.3 Entwicklung des Geschäftsfeldportfolio 4.4 Marktsegmentierungsstrategien 4.5 Wettbewerbsstrategien 4.6 Markenführung 4.7 Positionierung 4.8 Personalmarketing 5. Empirische Untersuchung zur Analyse von Image, Qualität und Markenbekanntheit von Reiseveranstaltern 5.1 Aufgabe und Zielsetzung der Untersuchung 5.2 Erhebungsverfahren 5.3 Aufbau und Inhalt des Fragebogens 5.4 Analyse der erhobenen Daten 5.5 Darstellung der Befunde 5.5.1 Soziodemographische Angaben 5.5.2 Persönliche Reisegewohnheiten 5.5.3 Mediennutzung 5.5.4 Markenbekanntheit 5.5.5 Qualitätsmanagement 5.5.6 Imageanalyse 6. Schlussbetrachtung Anhangsverzeichnis Quellenverzeichnis
66 67 69 71 75 75 75 77 81 83 87 92 94 97 97 98 98 99 100 100 102 104 106 109 113 115 117 155
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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31: Abbildung 32: Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35: Abbildung 36: Abbildung 37: Abbildung 38: Abbildung 39: Abbildung 40:
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Modell des Tourismus Entwicklung der Urlaubsreisen ab 5 Tagen Dauer Einnahmen und Ausgaben der BRD im Reiseverkehr Veränderung des Interesses von Reisezielen 2001 und 2003 Organisation der Urlaubsreisen in Deutschland Verteilung der Marktanteile deutscher Reiseveranstalter 2004 Marktanteile vor der Konzentration in Deutschland Marktanteile nach der Konzentration in Deutschland Strukturanalyse des Reiseveranstaltermarktes nach Kirstges Große mittelständische Veranstalter nach Teilnehmern Große mittelständische Veranstalter nach Umsatzzahlen Neugründungen von Reiseveranstaltern Struktur der Veranstalter anhand der Mitarbeiterzahlen Eigentümerstruktur der TUI im Zeitverlauf Gesellschafterstrukturen der 3 großen Konzerne Verhältnis der erfassten Veranstalter zu ihren Umsätzen Umsatzentwicklung ausgewählter Kleinveranstalter Umsatzentwicklung ausgewählter kleiner mittelständischer Veranstalter Umsatzentwicklung großer mittelständischer Veranstalter Umsatzentwicklung der Großveranstalter Umsatzentwicklung der Reisveranstaltergruppen Konzentrationskurve der Reiseveranstalter Konzentrationsverlauf im Verhältnis zur Gleichverteilung Umsatzanteile der einzelnen SGF am Konzernumsatz 5 Wettbewerbskräfte der TUI AG nach Porter Häufigkeit des Geschlechts Altersstruktur der Probanden in Prozent Berufsgruppen der Probanden in Prozent Prozentualer Anteil an Privat- und Geschäftsreisen Prozentualer Anteil an Auslands- und Inlandsreisen Reiseintensität der Befragten in Prozent Mediennutzung nach Gesamtauswertung Buchungsverhalten nach Gesamtauswertung Bekanntheit der Reiseveranstalter Bekanntheit der Veranstaltermarken Zufriedenheit mit der Dienstleistungsqualität Unzufriedenheit mit der Dienstleistungsqualität Notendurchschnitt der Rewe-Touristik anhand der Kriterien Notendurchschnitt von Öger Tours anhand der Kriterien Notendurchschnitt von TUI und TC anhand der Kriterien
5 17 18 20 22 27 30 30 34 38 38 40 43 56 57 61 62 63 63 64 64 67 68 79 85 100 101 101 102 103 103 105 106 107 108 109 110 111 112 114
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Aufgaben, Vor- und Nachteile der Primär- /Sekundärforschung Tabelle 2: Die 10 ausgabenstärksten Länder im Welttourismus im Vergleich der Jahre 1998 und 1999 Tabelle 3: Reiseanalyse 2003 Tabelle 4: Marktanteile ausgewählter Urlaubsländer in Prozent Tabelle 5: Großveranstalter nach Teilnehmer, Umsatz, Marktanteil Tabelle 6: Große mittelständische Reiseveranstalter nach Teilnehmer, Umsatz, Marktanteil Tabelle 7: Vertriebsstruktur der größten Veranstalter Tabelle 8: Anteile der Vertriebswege in Prozent sowie Umsatz pro Agentur Tabelle 9: Veranstalter, Marken und Fluggesellschaften Tabelle 10: TUI Konzernumsatz nach Sparten in 2004 Tabelle 11: TUI Ergebnis der Sparten Tabelle 12: Die wichtigsten europäischen Marken der World of TUI Tabelle 13: TUI Veranstaltermarken und ihre Zielausrichtung Tabelle 14: Beschäftigte in den Sparten des TUI Konzerns 2004 Tabelle 15: Verteilung des Geschlechts Tabelle 16: Mediennutzung numerisch und prozentual
11 14 16 21 35 36 46 47 58 80 81 90 92 95 100 104
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Abkürzungsverzeichnis A.C.
Aida Cruises
ADAC‐CR
ADAC Reisen AD Clubreisen GmbH
C&N
Condor & Neckermann Touristik
CR
Konzentrationsrate
DB
Deutsche Bahn
DER
Deutsches Reisebüro
DRV
Deutscher Reisebüro‐ und Reiseveranstalter‐ Verband
FVW
Fachzeitschrift Fremdenverkehrswirtschaft Interna‐ tional
F.U.R.
Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V.
GTI
German Travel Int. GmbH
HSE24
Home Shopping Europe 24h
I.C.
Inter Chalet
ITS
International Tourist Service
KV
Kleinveranstalter
LTU
Lufttransportunternehmen
MA
Mitarbeiter
N.H.
Naza Holidays
NUR
Neckermann‐Urlaubs‐Reisen GmbH
o.g.
oben genannte
RA
Reiseanalyse
RB
Reisebüro
RV
Reiseveranstalter
S.i.L.
Schauinsland‐Reisen
TC
Thomas Cook AG
TN
Teilnehmer
TUI
Touristik Union International
USP
unique selling proposition
UAP
unique advertising proposition
V
WestLB
Westdeutsche Landesbank
WTO
World‐Tourism‐Organization (Welttourismusorga‐ nisation)
Erläuterungen: Outgoing Tourism
Outgoing‐Tourismus = Tourismusstrom, der vom Inland (Quellgebiet oder Absatzmarkt) ins Ausland (Zielgebiet) reist
Incoming Tourism
Incoming‐Tourismus = Tourismusstrom, der vom Ausland (Quellgebiet) ins Inland (Zielgebiet) reist
VI
1. Einleitung Entgegen dem allgemeinen Wachstumstrend im Dienstleistungssektor, der mittlerweile einen zentralen Stellenwert im Wirtschafts‐ und Sozial‐ gefüge unseres Landes einnimmt, hat die Tourismusbranche seit einigen Jahren einen tief greifenden Schnitt vom Nachfragemarkt zum Ange‐ botsmarkt vollzogen. Während der Reiseveranstaltermarkt noch bis zur Mitte der 90er Jahre als starker Wachstumsmarkt galt und viele neue Rei‐ severanstalter auf den Markt drängten, um Massenware in Form von Pau‐ schalreisen zu verkaufen, so ist heute ein gravierender Kampf um Markt‐ anteile, verbunden mit stagnierender Nachfrage, zu beobachten. Grund ist einerseits die Angebotsvielfalt der Anbieter, die den Kunden zum stärkeren Vergleichen zwingt, andererseits ist aber auch eine zu‐ nehmende Preissensibilität der Kunden sowie ein stärkerer Trend zu Kurz‐ fristbuchungen zu verzeichnen. Eine weitere sich abzeichnende Tendenz ist die Abnahme der Nachfrage nach Pauschalreisen mit zunehmender Nachfrage nach Individualreisen. Die vorhandenen Sättigungstendenzen und das sinkende Marktwachstum im Reiseveranstaltermarkt verstärken den Wettbewerbsdruck der Reiseveranstalter, was eine Erhöhung der Marktanteile eines Anbieters nur auf Kosten der Marktanteile eines ande‐ ren möglich macht. Gefördert wird dieses Marktbild durch die Ende der 90er Jahre gebildeten Unternehmenskonzentrationen innerhalb der Rei‐ sebranche. Dieses Verhalten hat einerseits zur Stärkung der Marktmacht der Konzerne geführt und andererseits eine Verschärfung des Wettbe‐ werbs verursacht. Der so entstandene Angebots‐ und Preisdruck zwingt viele Veranstalter zur Spezialisierung und Besetzung von Nischen, andere werden zum Marktaustritt bezwungen. Außerdem ist seit einiger Zeit ei‐ ne wechselnde und schwer überschaubare Konsumorientierung der Ver‐ braucher zu beobachten. Die Ursachen für die sich dynamisch ändernde Nachfragesituation könnten in den veränderten gesellschaftlichen und kulturellen Sichtweisen sowie in den Verschiebungen von Interessen zu sehen sein. Der neue Trend einer zunehmend hedonistischen Grundein‐ stellung verstärkt den Wunsch nach Freiheit und Lifestyle. Durch die weitgehende Sättigung der Maslow´schen Grundbedürfnisse wächst der Wunsch nach Befriedigung neuer Bedürfnis‐Ebenen und damit die He‐ rausforderung an die Reiseveranstalter, auf die veränderte Marktsituation zu reagieren. Aufgrund der ständig steigenden Kundenerwartungen und des erhöhten Anspruchsdenkens der Verbraucher sehen sich die Reise‐ veranstalter daher zunehmend gezwungen, den Reisetrends der Nachfra‐ ger zu folgen und sich den veränderten Marktbedingungen anzupassen. Das Dilemma liegt dabei in der Immaterialität von Reisedienstleistungen,
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d.h. in ihrer physisch nicht wahrnehmbaren Eigenschaft. Aus diesem Grund erweist sich die Vermarktung von Reisedienstleistungen gegenü‐ ber Sachgütern als besonders schwierig. Ein weiterer Ansatzpunkt für das Marketing liegt in der Homogenität von Reiseprodukten. Leistungen wie Transport, Unterkunft und Verpflegung werden von allen Reiseveranstal‐ tern angeboten und sind für die Nachfrager selbstverständlich geworden. Gesucht werden zunehmend emotional ansprechende Nebenleistungen, die den Urlaub zu einem einzigartigen Erlebnis werden lassen. Ziel der Reiseveranstalter muss es sein, neben Zusatzleistungen und Sonderan‐ geboten, besondere Präferenzen für ihre Produkte zu entwickeln, um sich somit von ihren Wettbewerbern zu differenzieren. Die Tourismusindustrie in Deutschland hat sich in den letzten 10 Jahren einem tief greifenden Wandel unterzogen. Die strukturellen Veränderun‐ gen im Reiseveranstaltermarkt haben eine völlig neue Aufteilung der ge‐ samten Reisebranche mit sich gebracht. Bis Mitte der 90er Jahre operier‐ ten die einzelnen Glieder (Leistungsträger, Zielgebietsagenturen, Trans‐ fer, Reiseveranstalter und Reisemittler) der gesamten Wertschöpfungs‐ kette noch größtenteils unabhängig voneinander. Wettbewerb erfolgte in erster Linie über den Preis homogener Produkte bzw. über die Angebots‐ tiefe bei rechtlich selbständigen Unternehmen. Heute richtet sich der Wettbewerb fast ausschließlich auf die Macht und den Einfluss in der Tou‐ ristikwirtschaft. Der Hauptgrund ist der vorangeschrittene Konzentrati‐ onsprozess im deutschen Reiseveranstaltermarkt. Es herrscht ein Ver‐ drängungswettbewerb, der auf die Verschiebung von Marktanteilen zielt und kleinere, nicht wettbewerbsfähige, Veranstalter zum Marktaustritt zwingt. Die Macht und der Einfluss der großen Konzerne im Reisemarkt üben ebenfalls Druck auf die Destinationen aus, indem sie Preise und Leistungen diktieren. Zielsetzung dieser Arbeit ist die systematische Dar‐ stellung des bestehenden deutschen Reisemarktes sowie die qualitative und quantitative Feststellung der wichtigsten deutschen Reiseveranstal‐ ter. Neben der aktuellen Analyse der Situation im Deutschland‐ und Welt‐ tourismus orientiert sich die Arbeit also vordergründig auf die Untersu‐ chung der Marktmechanismen im deutschen Reiseveranstaltermarkt.
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2. Grundlagen der Tourismuswirtschaft 2.1 Entstehung und Entwicklung des Tourismus Eine kurze Einführung in die Entstehung und Entwicklung des Tourismus erscheint für den weiteren Verlauf der vorliegenden Studie als sinnvoll. Eine Beziehung zwischen der Geschichte des Tourismus und der heutigen Tourismusforschung1 ist durchaus vorhanden. Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte des Reisens. Seit jeher ist das Individuum bestrebt, aus verschiedensten Gründen (privaten, ge‐ schäftlichen, politischen oder religiösen) seinen Bestimmungsort zu ver‐ ändern. Dennoch ist das Bedürfnis des Menschen zu reisen nicht, wie oftmals angenommen, angeboren. Der Wunsch nach kurz‐ oder langfris‐ tiger Ortsveränderung ist vielmehr historisch bedingt und begann laut Spode2 mit dem „Unbehagen der Menschen an der Rationalität und dem Fortschritt der Gesellschaft und der dadurch bedingten revolutionären Neubewertung von Natur und Geschichte im 19. Jahrhundert“.3 Der Ursprung des eigentlichen Tourismus liegt in der Industrialisierung Europas und ist auf den Ausbau der touristischen Infrastruktur und Zu‐ nahme der erforderlichen finanziellen Mittel breiter Bevölkerungsschich‐ ten zurückzuführen. Die Geburtsstunde der Pauschalreise liegt etwa 160 Jahre zurück. Im Jahre 1841 veranstaltete der Engländer Thomas Cook, Gründer der heutigen Thomas Cook AG, seine erste Gesellschaftsreise. 570 Menschen fuhren mit „Mr. Cooks Extrafahrt“ von Leicester nach Loughborough zu einer Veranstaltung gegen Alkoholmissbrauch. Im Fahrpreis von umgerechnet ca. 0,50 Cent war die Fahrt in einem offenen Vergnügungszug, Tee und Brot enthalten.4 In Deutschland setzte der organisierte Pauschaltourismus erst Mitte der 60er Jahre dieses Jahrhunderts ein, vorher war das Reisen nur gutbetuch‐ ten Privilegierten vorenthalten. Damals existierten auf dem Reisemarkt etwa 220 Reiseveranstalter. Erste Flugreisen wurden 1961 in den Katalo‐ gen des Unternehmens Neckermann angeboten. In den Folgejahren bis 1970 wurden die bis heute am Markt etablierten Großveranstalter ge‐
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Nähere Erläuterungen siehe Punkt 2.3 Spode, H., Zur Geschichte des Tourismus, 1987, S. 37‐40 Roth, S., Marketing von Reiseveranstaltern, 2000, S. 9 Vgl. Liedtke, R., Das Urlaubskartell, 2002, S. 22
gründet und der Charterflugtourismus ins Leben gerufen.5 In den 70er Jahren begannen die inzwischen etwa 260 am Markt vorhandenen Reise‐ veranstalter durch Übernahmen und Unternehmenszusammenschlüsse zu expandieren. So entwickelte sich die Touristik Union International (TUI) schon bald zum führenden deutschen Reiseveranstalter.6 In der Zeit nach 1970 drängten zunehmend Spezialveranstalter auf den Markt, die sich auf bestimmte Zielgebiete spezialisierten und somit ihre Kompetenz für Individualreisen aufzeigten (z.B. der Veranstalter Yugotours für Jugos‐ lawien). Bis Ende der 70er Jahre stieg die Zahl der Reiseveranstalter auf etwa 400 an.7 Heute existieren auf dem deutschen Reiseveranstalter‐ markt etwa 1.500 Haupterwerbsreiseveranstalter. Neben diesen existie‐ ren noch ca. 2.300 Busreiseveranstalter, die regelmäßig Busreisen organi‐ sieren.8 Vergleicht man die Zahl der Reiseveranstalter im Zeitraum von 1960 bis 2002, ist festzustellen, dass sich der Wert innerhalb von 40 Jah‐ ren fast um das achtfache erhöht hat.9 Der größte Zuwachs an Reisever‐ anstaltern war zu Beginn der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 festzustellen. Die Hauptursache dürfte hier die Erschließung der ostdeut‐ schen Märkte sein.10 2.2 Definition und Abgrenzung des Begriffs Tourismus Wie bereits erwähnt, strebt der Mensch aus verschiedensten Gründen nach vorübergehenden Ortsveränderungen. Der ursprünglich aus dem griechischen stammende Begriff Tourismus fand erst nach dem zweiten Weltkrieg Verbreitung und wurde aus dem englischen (tourist) über‐ nommen. Der deutsche Ausdruck „Fremdenverkehr“ hingegen findet immer weniger Verwendung, da man in der Branche dazu tendiert, den Reisenden als „Gast“ und nicht als „Fremden“ zu sehen.11 5
Vgl. Kirstges, T., Sanfter Tourismus, 2003, S. 8; Beim Charterflugtourismus mietet (chartert) ein Reiseveranstalter eine bestimmte Flugkapazität bei einer Airline, für deren Auslastung er das Risiko trägt und kombiniert diese mit anderen Leistungen (i.d.R. Unterkunft und Transfer). 6 Kirstges, T., a.a.o., S. 8; Die TUI entstand im November 1968 als Zusammen‐ schluss der bis dahin selbständigen Veranstalter Touropa, Scharnow, Hummel und Dr. Tigges 7 Vgl. Hochreiter/Arndt, Tourismusindustrie, S.111. 8 Vgl. Kirstges, Strukturanalyse, 2003, S.14‐25; gemeint sind hier lediglich Ver‐ anstalter, deren Haupterwerb im Veranstalten von Reisen liegt 9 Vgl. Anhang 1 10 Vgl. Pompl, W., Management 1, S. 54. 11 Vgl. Roth, S., Marketing von Reiseveranstaltern, S.11
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Der Tourismusbegriff beschreibt in seinem Umfang den gesamten natio‐ nalen als auch internationalen Reiseverkehr und integriert alle am Tou‐ rismus beteiligten Leistungsträger inkl. Hotellerie und Gastronomie. Hin‐ gegen hat der Begriff Touristik eine eingeschränkte Bedeutung, da er den Hotel und Gaststättenbereich nicht berücksichtigt. Somit reduziert sich die Touristik auf Tourismusorganisationen (Verbände und Orte), Ver‐ kehrsträger (Transport), Reiseveranstalter (Bündelung von einzelnen Leistungen zu einem vollwertigen Reiseprodukt) und Reisebüros (Reise‐ mittler).12 Im engeren Sinne definiert der Tourismus die Gesamtheit der Beziehun‐ gen und Erscheinungen, die sich aus der Ortsveränderung und dem Auf‐ enthalt von Personen ergeben, die am Aufenthaltsort weder hauptsäch‐ lich noch dauernd leben bzw. arbeiten.13 Ganz unkompliziert könnte man sagen, dass der Tourismus dazu dient, Reisende vorübergehend von ih‐ rem festen Wohnsitz an einen Ort ihrer Wahl zu bringen. Diese Reisen müssen zwischen 24 Stunden und einem Jahr liegen und dürfen nicht zu Beschäftigungszwecken genutzt werden, die vom Zielort entlohnt wer‐ den. Modellhaft wird die vorübergehende Ortsveränderung in Abbildung 1 dargestellt.
„Zu Hause“ fester Wohn‐, Ar‐ beitsort Quellgebiet
Hinreise
Rückreise
„Die Ferne“ zeitweise Ziel‐, Emp‐ fängerort/ ‐gebiet Destination
Umfelder: ökonomisch, sozial, politisch,juristisch, medizinisch etc. Abbildung 1: Modell des Tourismus (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Freyer, W., Touris‐ musmarketing, 2001, S. 8)
12 13
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Vgl. Roth, P., Schrand, A.: Touristikmarketing 1999 Dettmer, H., Tourismus 1, S.14; Kaspar, 1996, S. 16