Sina Blackwood
Die Magier von Tarronn
Band 1 Fantasy © 2013 AAVAA Verlag
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2013
Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Fotolia, 15657848 ‐ Deserted Space© Kerri McClellan Printed in Germany ISBN 978‐3‐8459‐0761‐1 AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin www.aavaa‐verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkei‐ ten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Die Offenbarung Der Raum war in Dämmerlicht getaucht, der Duft von Weihrauch und Myrrhe lag in der Luft. Unzählige Öllämpchen brannten flackernd, um‐ schlossen in weitem Rund den großen Kristall und das Lager, auf dem der starre Körper einer jungen Frau mit langem, dunklem Haar ruhte. In dem leblos wirkenden bleichen Gesicht traten die Wangenknochen hart hervor. Draußen ging bereits die Sonne unter, doch der Geist der Sehe‐ rin war noch immer nicht in den Körper zurück‐ gekehrt. Seit fast vierundzwanzig Stunden be‐ fand er sich auf Wanderschaft durch die Dimen‐ sionen. Wenn die beiden Hüterinnen hinaussa‐ hen, blickten sie direkt auf das zerklüftete Hoch‐ gebirge im Norden, auf dessen höchstem Kamm eine geflügelte Gestalt stand. Schimmerndes, weißes Licht ging von ihr aus und umwehte sie, wie eine Korona. Manchmal hatte die Seherin von diesem Wesen gesprochen, das so alt, wie das Universum sein und zu den Verborgenen gehören sollte. Schon die uralten Legenden er‐ zählten von Mi‐Kel mit dem flammenden 3
Schwert. Es hieß, immer, wenn eine Welt dem Untergang geweiht war, würden die Verborge‐ nen für alle sichtbar erscheinen. Heute hatten die Hüterinnen Mi‐Kel zum ersten Mal erspäht, wel‐ cher den Körper der Neri zu bewachen schien, deren Geist niemals zuvor so lange unterwegs gewesen war. Die Anwesenheit des Geflügelten deutete darauf hin, dass wahrhaft Schreckliches geschehen würde. Selbst der Hohe Rat hatte schon vor Monaten bemerkt, dass Ungemach in der Luft lag. So wandelten die Alten mit ernsten Gesichtern um‐ her und beobachteten ständig das Meer. Seit je‐ nem Tag, als Neri in Trance vom Großen Dra‐ chen gesprochen hatte, sorgten sie sich um die Sicherheit des ganzen Volkes, von dem nur noch Wenige übrig waren, die sorgsam das uralte Wissen hüteten. Seit Jahrtausenden mehrten sie es, waren Meister der Heilkunst und der Tech‐ nik. Immer wieder hatten sie versucht die Men‐ schen einzuweihen, aber deren beschränkter Verstand weigerte sich zu sehen und zu glauben. Aber schlimmer noch, diejenigen, die bereit wa‐ ren zu lernen, missbrauchten das Gehörte zum 4
eigenen Vorteil. So war es verständlich, dass die Alten nicht alles preisgaben und die Menschen von den größten Geheimnissen fern hielten. Ihr letztes Refugium auf diesem Planeten hatte bei den Erdenmenschen viele Namen. Sie selber nannten ihre Insel Atla, so, wie auch ihr Heimat‐ planet in einer fernen Galaxie geheißen hatte. In der Welt der Menschen war für sie alles anders geworden. Nicht nur, dass ihnen nur noch ein‐ fachste Mittel zur Verfügung standen, auch ihre Lebensspanne hatte sich dramatisch verkürzt. In ihrer alten Heimat, am anderen Ende des Uni‐ versums, waren die Atlan unsterblich gewesen. Die Minerale, aus denen ihr Planet bestanden hatte, wirkten wie ein Jungbrunnen auf alle Le‐ bewesen. Hier fehlten diese Elemente und so wurden die Atlan nur noch etwas über 3000 irdi‐ sche Sonnenjahre alt. Inzwischen waren die letzten blutroten Strahlen der untergehenden Sonne hinter dem Horizont verglüht. Das dumpfe Rauschen des nahen Was‐ serfalles hallte durch die Stille. Mi‐Kel schien mit dem Gebirge verwachsen zu sein. Vor dem im‐ mer dunkler werdenden Himmel hob sich seine 5
Gestalt scharf ab. Er stand noch immer auf sein Schwert gestützt und hielt den Blick auf die Hüt‐ te am Fuße des Sees gerichtet. Plötzlich löste sich ein spinnweb‐dünner Lichtstrahl aus seiner Au‐ ra, glitt auf die leblose Gestalt im Inneren der Behausung zu. „Mara! Schau nur!“, hauchte die Hüterin Kira in höchster Erregung. Die rothaarige Mara hatte gerade noch sehen können, wie die Gestalt des Geflügelten in einem diffusen hellen Nebel zerfloss. Jetzt traf das Licht die Liegende mitten auf der Stirn. Sie öffnete ruckartig die Augen. Ein markerschütternder Schrei, der sich in den Bergen in einem tausend‐ fachen Echo brach, entfuhr ihr. Grauen verzerrte ihr hübsches Gesicht und Panikwellen schüttel‐ ten ihren Körper. Die beiden Hüterinnen erstarr‐ ten fast vor Entsetzen. Noch nie hatten sie die Seherin in einer derartigen Verfassung erlebt. Neri begriff nur langsam, dass sie unversehrt in ihren Körper zurück gekehrt und in Sicherheit war. Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war ein glühend heißer Feuerstoß, der direkt auf sie zuschoss und dem sie nicht mehr ausweichen 6
konnte. Kurz bevor sie die Flammen umschlos‐ sen, traf ein gleißender weißer Lichtblitz ihre Stirn. Der Schmerz schien sie zu zerreißen und so schrie sie ihre Not heraus. „Neri, was ist geschehen?“, flüsterte die blonde Kira mit bebenden Lippen. Gemeinsam mit Mara versuchte sie, sie aufzurichten. Die Zurückge‐ kehrte schaute beide mit leerem Blick an. „Der Große Drache wird erwachen. Ruft die Alten und die Magier zusammen.“ Ein kurzer Blickwechsel, dann eilten die Hüte‐ rinnen in verschiedene Richtungen in die ster‐ nenklare Nacht. Neri sank erschöpft auf ihr La‐ ger zurück und schloss die Augen. Nach einigen Minuten erschienen weiß geklei‐ dete Atlan zwischen den Häusern, die, mit bren‐ nenden Öllämpchen in den Händen, in geradezu gespenstiger Stille, von allen Richtungen einem gemeinsamen Ziel zustrebten. Die Flämmchen hüpften wie kleine Lichtkobolde. Manchmal ra‐ schelten die langen Gewänder leise im Nacht‐ wind. Der blasse Vollmond über dem See wies den Dahineilenden den Weg, die in langer Reihe am Ufer entlang wandelten, um schließlich hin‐ 7
ter dem Vorhang des großen Wasserfalles zu verschwinden. Auch Neri hatte sich mit ihren Begleiterinnen auf den Weg gemacht. Sie trug ih‐ ren großen klaren Stein in den Händen, in dem sich das Mondlicht fing und es ihn zum Funkeln brachte. Ungewöhnlich warm fühlte er sich heute an. Über das kunstvolle Diadem auf ihrer Stirn huschten helle Schatten. Mara und Kira folgten ihr, sich dabei auf lange glitzernde Stäbe, die Zeichen ihres Standes, stützend. Die drei Nachzügler traten ebenfalls durch die Öffnung im Berg jenseits des Wassers. Nach ei‐ nigen Metern weitete sich der enge dunkle Gang zu einer Höhle, mit den Ausmaßen einer Kathed‐ rale. Das Licht der Lämpchen brach sich millio‐ nenfach in den Kristallen, die in den Wänden und an der Decke des natürlichen Saales saßen, so den Raum taghell erleuchtend. Als die drei Frauen erschienen, breitete sich Unruhe aus. Noch nie zuvor hatte die Seherin ihren Energie‐ stein in Anwesenheit des Hohen Rates einge‐ setzt! Neri trat, flankiert von ihren Gefährtinnen, in das Zentrum des Saales, stellte ihren Kristall auf einen nachtschwarzen polierten Quader aus 8
einem seltenen fremden Gestein und trat an‐ schließend einen Schritt zurück. Sofort begann der Kristall aufzuglühen und mit ihrem Diadem eine Verbindung einzugehen, wobei er das ge‐ samte Licht aufzusaugen schien. Es wurde im‐ mer finsterer in der Grotte, gleichzeitig weitete sich die leuchtende Aura um die beiden Steine aus. Dann erschienen die ersten flimmernden Bilder, die rasch klarer wurden und düstere Sze‐ nen zeigten. Gebannt verfolgten die Versammel‐ ten das Geschehen. Sie erlebten die letzte Seelen‐ reise ihrer Seherin im Zeitraffertempo. Manch‐ mal, wenn sich die Ereignisse im Energiefeld überschlugen, verschwamm das Bild, um danach noch klarer wieder hervor zu treten. Das schau‐ rige Geschehen endete in einem heranschießen‐ den Flammenmeer, das alles zu verschlingen drohte – dem Feueratem des Großen Drachen. Noch immer war es totenstill, nur die bläulichen Energieentladungen knisterten an der Basis des Kristalls. Neri trat hinzu, hob ihn vorsichtig vom Sockel. „Ich werde mich den Entscheidungen des Ho‐ hen Rates beugen“, sagte sie leise, während sie in 9
der Runde Platz nahm. Ihre Stimme hallte als Echo nach. Solon, der Älteste erhob das Wort: „Wer oder was hat dich gerettet, als die Flammen kamen?“ „Ich weiß es nicht. Es ging alles rasend schnell. Und dann war ich plötzlich wieder zurück – ein‐ fach so. Ich weiß nur, dass ich selbst keinen An‐ teil daran habe. Das beunruhigt mich. Welches Wesen ist stark genug, auf so eine Weise zu wir‐ ken? Ist es Freund oder ist es Feind? Von diesem Planeten kann es nicht stammen, das hätten wir schon lange gespürt. Wo also kommt es her?“ „Ich glaube, ich kenne einen Teil der Antwort.“ Kira ließ die Worte in die Stille tropfen. In Rich‐ tung Neri gewandt, erklärte sie: „Als du so lange nicht zurückkehrtest, da haben wir nach draußen gesehen, zum Gebirge, zum Wasserfall – du weißt schon. Mi‐Kel war dort, er hat dich wie‐ dergebracht. Ich habe seinen Lichtstrahl direkt auf deiner Stirn gesehen, da wo ihn auch der Kristall gezeigt hat. Mara hat den Geflügelten ebenfalls gesehen, auch, wie er sich auflöste, als dein Geist wieder in deinem Körper war.“
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Von ungläubigem Staunen bis zu höchstem Ent‐ setzen, reichten die Reaktionen der Atlan. Solon hatte Mühe, die Gemüter zu beruhigen. „Ja“, sagte er, „auch ich habe den hellen Schein auf dem Gebirge gesehen und mir Gedanken darüber gemacht. Aber diese Konstellation hätte ich nie in Erwägung gezogen. Dann haben die al‐ ten Schriften Recht behalten, die besagen, dass dereinst eine Auserwählte Kontakt mit den Ver‐ borgenen haben wird und unser Volk retten könnte. Es wird vielleicht über die ganze Welt verstreut werden – aber es wird überleben. Und wer weiß, vielleicht finden wir eines Tages tat‐ sächlich den Weg nach Hause.“ „Aber was sollen wir tun, um unser Erbe vor dem Abtrünnigen zu retten? Neri hat ihn gese‐ hen. Sein Hass scheint noch tiefer, als vor tau‐ senden Jahren“, rief eine der älteren Frauen. „Wie lange können ihn die magischen Fesseln noch halten?“ „Um das herauszufinden“, sprach der Älteste im Rat, „muss Neri der Spur des Abtrünnigen in der Zukunft folgen. Lasst uns nach Ablauf eines Sonnenjahres wieder hier zusammen kommen 11
und das Ritual durchführen. Jeder möge dazu seinen Energiestein mitbringen, wir können jede Hilfe brauchen.“ In den folgenden Tagen saß die Seherin stun‐ denlang vor den alten Büchern, um etwas über den Gegner herauszufinden. Wie war er über‐ haupt ihr Feind geworden, wo er doch einst ge‐ schworen hatte, ihr Wächter zu sein? Was hatte ihn so verändert? Letan war schon vor tausenden Sonnenjahren von den Atlan auf die Erde ver‐ bannt worden. Ein abtrünniger Wächter, der sich zur dunklen Seite gewandt hatte. Kira trat in den Raum. „Zermarterst du dir schon wieder das Gehirn? Was sagen die Schrif‐ ten?“ „Nur das, was ich schon weiß. Es ist zum Ver‐ zweifeln! Vielleicht sollte ich mit Solon unter vier Augen sprechen. Es ist wie eine magische Barrie‐ re, die ich mit meinem Geist nicht durchbrechen kann.“ „Und Mi‐Kel?“, fragte Mara. Neri zuckte mit den Schultern und zog eine hilf‐ lose Grimasse. „Ich fühle mich heute nicht nur mit Blindheit geschlagen.“ 12
„Immer noch Selbstzweifel?“ Mara streichelte Neris Hand. „Ja, immer und immer wieder. Wer bin ich?“ Kira schaute auf. „Du bist Neri, eine Atlan und zudem unsere einzige Seherin. Genügt das nicht?“ „Nein! Ich will wissen, wer ich wirklich bin. Woher habe ich die Gabe Dinge zu sehen, die einmal waren und einige, die einmal sein wer‐ den? Weshalb kann ich nicht das ergründen, was mich selbst betrifft?“ Mit hängendem Kopf ver‐ ließ Neri die Hütte. Mara und Kira blickten ihr kopfschüttelnd hinterher. Beide wussten, dass die Seherin ihre Gabe manchmal als Last ansah, nur, so deprimiert wie heute, hatten sie sie noch nie erlebt. Die Hüterinnen warfen neugierige Bli‐ cke in die Papiere, die wohlgeordnet auf dem Tisch lagen – Sternkarten, astronomische Be‐ rechnungen, Mythen und Legenden der Atlan sowie ein Verzeichnis aller ihrer bisherigen Rast‐ plätze in diesem Sonnensystem. Neri war, seit sie ihre Behausung verlassen hat‐ te, gedankenverloren und ziellos umhergewan‐ dert. Jetzt fand sie sich in der Nähe des stillen 13
Sees wieder, an dessen Ufer sich noch ein ande‐ rer rastloser Wanderer eingefunden hatte. Er lag auf dem Rücken im Gras und schaute dem Spiel der Schäfchenwolken zu. Die junge Frau ließ sich neben ihm nieder, umspannte mit den Armen ih‐ re angezogenen Knie. Beide schwiegen. Es tat gut, einfach nur dazusitzen, dem leisen Plät‐ schern des Wassers zu lauschen und die Wolken ziehen zu sehen. Sogar das monotone Rauschen des großen Wasserfalls fügte sich harmonisch ein. Nach endlos scheinenden Minuten setzte sich Solon, der älteste und weiseste Atlan, lang‐ sam auf. Er strich seinen weißen Bart glatt. „Ich weiß, was dich hergeführt hat. Ich werde versu‐ chen, deine Fragen so gut ich kann zu beantwor‐ ten. Es geht nicht darum, diese Insel zu retten, das ist unmöglich. Es geht nur noch darum, uns und unser Wissen zu schützen. Der große Schwarze wird nicht die Erde vernichten, er will uns. Aber in seiner blinden Wut wird er alles op‐ fern, was ihm dabei in die Quere kommt. Die Äl‐ testen erinnern sich noch, wie und warum wir auf diesen Planeten kamen. Wir sind nicht ganz freiwillig hier, vergiss das nicht. ER hat unsere 14
Rückkehr verhindert. Er fiel über uns her, kaum, dass unsere Raumschiffe in die Lufthülle dieses Planeten eingetreten waren. Als unsere Sonne zu erlöschen drohte, blieben uns nur drei Wege: Ei‐ nen neuen Lebensraum zu finden, eine Methode, den altersschwachen Zentralstern aktiv zu halten oder als Volk unterzugehen. So flogen Tausende von uns mit ihren Raumgleiter durch das Uni‐ versum, um eine neue Heimat zu finden, die we‐ nigstens ähnlich der alten war. Die zurückgelas‐ senen Wissenschaftler forschten unermüdlich an der Rettung unseres Zentralsterns. Wie die Mis‐ sion unseres Gleiters endete, weißt du ja. Wir sind quasi Schiffbrüchige im Weltall, mit wenig Hoffnung auf Rückkehr. Wir wissen nicht ein‐ mal, ob unser Sonnensystem überhaupt noch existiert.“ „Wusstet ihr damals, als ihr hierher flogt, dass hier Menschen leben?“ „Nein. Die Vorfahren der Menschen hockten da noch in Höhlen und unterschieden sich nur we‐ nig von den Tieren. Wir hatten nur auf die Scanns geachtet und die zeigten keinerlei Tech‐ nik.“ 15