Die Liebe zu Land und Leuten brachte unsere ... - Lilit Kommunikation

25.08.2014 - Die “Start-up Nation” zieht immer mehr Technologie- ... Gäste aus Europa meist die einzigen, die nicht in Jeans, sondern im Anzug zum ...
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25.8.2014

Israel für Expats

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Die Liebe zu Land und Leuten brachte unsere Autorin Marietta Gädeke nach Israel und hat sie bis heute nicht mehr losgelassen. Als Trainerin ist sie Expertin für Kommunikation und interkultureller Kompetenz für Israel, Indien und England. Die Deutsche Meisterin im Debattieren führt seit 2008 die Geschicke ihres Unternehmens Lilit www.lilitkommunikation.de und reist mit großer Leidenschaft. Den letzten Monat verbrachte sie in Tel Aviv und den Winter in Chennai, Indien, wo sie die Weltmeisterschaften im Debattieren organisierte. Respekt!

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Israel für Expats

ISRAEL – WIE LEBT MAN ALS EXPAT ZWISCHEN HIGH-TECH

UND RAKETEN? Nahost-Konflikt, Raketen, Papst und Pilger – Israel wirkt in den Medien mal exotisch, mal bedrohlich. Doch das Israel der Expats ist ein modernes, hochentwickeltes Land. Die “Start-up Nation” zieht immer mehr TechnologieFirmen und Kooperationspartner aus aller Welt an. Die müssen sich in Israel um Dinge wie gute Straßen, Strom und sauberes Trinkwasser keine Sorgen machen. Doch ein frappierender Unterschied bleibt: Die Sicherheit. Eine starke Militärpräsenz ist alltäglich. Wenn am Freitag die Bahnen überfüllt sind mit jungen Rekruten auf Heimaturlaub, kommt man schon mal auf Tuchfühlung mit locker über die Schultern geschlungenen Maschinengewehren. Und zu wissen, dass die Schilder am Kinderspielplatz den Weg zum nächsten Bombenschutzkeller weisen, gibt ein mulmiges Gefühl. Doch die Bedrohung durch Raketen der Hamas ist eine Alltäglichkeit, die nur am Rande eines ganz normalen Lebens stattfindet.

Auch Expats gewöhnen sich überraschend schnell daran: Sicherheitscheck am Einkaufszentrum, Befragungen am Flughafen, junge Soldatinnen in Uniform werden selbstverständlich. An den Menschen des jungen Staates geht bei aller Normalität die Erfahrung von Krieg trotzdem nicht spurlos vorbei. Wenn am “Yom Hazikaron” eine Sirene erklingt und das Leben für einen Moment still steht, um den “gefallenen israelischen Soldaten und Opfer des Terrorismus“ zu gedenken, ist fast jeder mit seinen Gedanken bei Freunden und Bekannten, die nicht mehr am Leben sind. Das Lebens wird dadurch in ein anderes Licht gerückt: In Israel steht alles unter dem Davidstern der ständigen Veränderung. Man lebt im Hier und Jetzt.

1. PLANUNG IST RELATIV Israelis arbeiten wie sie leben. Sehr informell, sehr intensiv und unglaublich flexibel. Bei Business-Meetings sind Gäste aus Europa meist die einzigen, die nicht in Jeans, sondern im Anzug zum Gespräch gekommen. Das passt besser zur Hitze des Landes und zur allgemeinen Lockerheit, denn auch beim Nachnamen bleibt man nicht lange. Jeder Israeli war bei der Armee. Einer Armee, deren Erfolg auf flachen Hierarchien, Flexibilität und innovativen Lösungen aufbaut: “This is what we have, and with this we shall win the war!” (“Dies ist, was wir haben und damit werden wir den Krieg gewinnen!”). Das Geschäftsleben ist geprägt von dieser Arbeitsweise und den dort geknüpften Kontakten. Und auch das zivile Leben kann sich jederzeit ändern. Wer weiß schon wann der nächste Krieg ausbricht oder wer nächste Woche zum jährlichen Reserve-Wehrdienst muss? Darum wird Flexibilität groß geschrieben. Ganz anders als im sicherheitsliebenden Deutschland ist Planung ist höchst relativ. Unsicherheit wird ausgehalten, Termine können ad-hoc verschoben werden oder später beginnen. Will man als Expat Akzeptanz für den eigenen Projektplan, sollte man sich auf den abschätzbaren zeitlichen Rahmen von ein bis zwei Monaten konzentrieren. Denn in Israel interessiert kaum, was für nächstes Jahr auf der Agenda steht – die Lage könnte dann wieder ganz anders aussehen! Also nehmen Sie einen tiefen Atemzug, schütteln Sie einiges an Sicherheitsbedürfnis ab und erinnern Sie sich: diese Flexibilität gehört zum Erfolgsgeheimnis der jungen Startup-Nation.

2. DER ISRAELISCHE RHYTHMUS http://www.what-about-my-pencilskirt.com/reportagen/laenderreportagen/israel-5-dinge-die-expats-ueber-das-land-wissen-sollten/

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Auch schnelles Leben braucht Orientierungspunkte. Egal ob streng orthodox, gläubig oder atheistisch: Der Rhythmus des täglichen Lebens wird von der jüdischen Tradition und Religion bestimmt. Unser gregorianischer Kalender ko-existiert mit dem jüdischen Kalender. Es gibt unsere Zeitrechnung im Business, doch wenn es um Feiertage geht, wird es kompliziert. So auch am Samstag, dem jüdischen Schabbat. Wie Geburtstage und alle Feiertage beginnt auch der Schabbat nicht um 0:00 Uhr, sondern mit Sonnenuntergang. Der Samstag wirkt auf das tägliche Leben wie ein Super-Sonntag: Wo vorher betriebsam eingekauft wurde, schließen die Geschäfte. Der öffentliche Nahverkehr stellt seinen Dienst ein. Einzig ein paar private Autos und Taxis sind noch auf den ausgestorbenen Straßen unterwegs. Wer bis Sonnenuntergang nicht da ist, wo er sein wollte, steckt fest. Der Schabbat ist ein Tag, an dem das Leben still steht. Arbeiten, Autofahren, elektrische Geräte und selbst der Knopf am Aufzug oder an der Mikrowelle sind für streng gläubige Juden am Schabbat tabu. Doch Expats können aufatmen: Der Schabbat macht zwar vieles komplizierter, aber es gibt kein Verbot das eigene Auto zu nutzen und auch am Schabbat gibt es Pizza-Lieferdienste. Und selbst streng gläubige Juden finden für alles eine Lösung. So schalten in hohen Gebäuden manche Aufzüge in den Schabbat-Modus: Sie halten auf jeder Etage, sodass das nicht erlaubte Drücken des Knöpfchens vermieden werden kann. Typisch Israel eben: Wo es eine Regel gibt, da gibt es doch sicher auch einen Weg drumherum…!

Zwei Kaffee mit Milchersatz, bitte! Der Schabbat ist auch ein Tag des Zusammenseins. Der Freitagabend wird gemeinsam mit der Familie verbracht, wo meist im Laufe des Tages ein wunderbares Schabbat-Essen vorbereitet wurde … denn vor Sonnenuntergang darf natürlich auch bei streng Gläubigen gekocht werden. Bei koscherem Essen gibt es entweder Milch- oder Fleischprodukte, eine Mischung ist nicht erlaubt. Restaurants teilen sich ebenfalls in eine der zwei Kategorien. Das gilt leider auch für den Nachtisch: Nach einem Schnitzel (natürlich kein Schweinefleisch) gibt es weder Milchpudding noch Milch für den Kaffee. Man behilft sich mit Milchersatz und Wackelpudding mit Gelatine. Doch auch nicht jeder Israeli mag es koscher… Wer ebenfalls nicht ohne Schinken leben kann, der findet in kleinen russischen Geschäften sein Glück.

3. DAS KOLLEKTIV GEHT VOR Gemeinschaft und Zusammenhalt ist in der israelischen Gesellschaft besonders wichtig. Kinder bekommen ist eine Mizwah, eine gute Tat, ein göttliches Gebot. Und so sieht man überall in Israel junge Familien und kleine Kinder. Es gibt viele Spielplätze, und wenn am hohen Feiertag Yom Kippur kein einziges Auto unterwegs ist, wird mitten auf der Straße gespielt. Auch abseits klassischer Familienbilder steht der Zusammenhalt ganz oben. In seiner Geschichte wurde das Land immer wieder von außen bedroht. Das schweißt zusammen: Seine Bürger sind eine Schicksalsgemeinschaft. So wird selbst Unbekannten, die ein Problem haben, wie selbstverständlich geholfen. Fremde halten an, um eine weinende Frau zu fragen wie es ihr geht und ob sie helfen können. Israelis in einer prall gefüllten Straßenbahn in Jerusalem, nehmen wortlos die Straßenbahnkarten neu einsteigender Gäste zum Abstempeln entgegen. Gegenseitige Hilfestellung wird nicht thematisiert. Sie ist einfach da.

“Das geht dich nichts an” gibt es nicht. Israel ist so klein wie Rheinland-Pfalz und hat doppelt so viele Einwohner. Man kennt sich, man mag sich nicht immer. Die israelische Gesellschaft grenzt sich nach innen ab: Orthodoxe, Aschkenasis, Misrachis, Araber, Juden, Atheisten, Linke und Rechte, Olim (d.h. neu einwanderte Juden) und Alt-Eingesessene – jeder im Land hat eine genaue Vorstellung wer zu ihm gehört und wer nicht. Und doch ist jeder, selbst prominente Personen, meist nur ein oder zwei Bekanntschaften voneinander entfernt und wie überall machen pikante Details schnell die Runde. Israelis schrecken selbst beim ersten Kontakt nicht zurück vor sehr persönlichen Fragen wie “Bist du Jude?” oder der Frage nach dem Verdienst. Überraschend sind für viele Expats ungewollten Ratschläge. Zum Beispiel von wildfremden Menschen auf dem Spielplatz die ungefragt die eigene Kindererziehung kommentieren. In Israel ist jeder für jeden verantwortlich – “Das geht dich nichts an” gibt es nicht. Da ist klar, dass Loyalität und Verschwiegenheit enorm wichtig genommen werden. Aufgrund dieser Beziehungsorientierung sollte man sich daher gerade als Expat viel Zeit für den persönlichen Kontakt nehmen. Denn “Protectzia”, das heißt Verbindungen und Netzwerke, sind auch im Geschäftsleben alles. Wo man sich vorher an der berühmt-berüchtigten israelischen Bürokratie die Zähne ausgebissen hat, kann ein bekanntes Gesicht plötzlich ganz ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.

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4. SABRA – HARTE SCHALE, WEICHER KERN Wer Kontakt zu Israelis sucht, kann von der direkten israelischen Art getroffen werden. In der Hitze des Nahen Ostens reagieren auch die Gemüter hitziger. Schnell werden laute Worte gewechselt. Ein gewisser Machismo, geprägt vom Militär trägt zum Bild bei: Im Land geborene Israelis werden darum auch Sabras, Kaktusfeigen, genannt. Ausgestattet mit einer dicken Schale, hart und stachelig. Direkte Kommunikation gehört in Israel zum Leben dazu. Hebräisch, eine Sprache, die die Dinge kurz und knapp auf den Punkt bringt eignet sich dafür wunderbar. Doch Vorsicht – wer denkt dass Deutsche ebenfalls direkt sind und es daher keine Probleme gibt, der irrt. Bei aller Direktheit sollten auch Expats aufpassen niemanden vor anderen Personen bloßzustellen, auch nicht mit wohl gemeinter Kritik. Die sollte lieber unter vier Augen geäußert werden. Am Ende beruhigt sich die Lage meist so rasant, wie sie ausgebrochen ist. Denn privat werden Israelis sanft und kümmern sich aufopferungsvoll um Freunde und Familie. Die harte Kaktusfeige hat eben auch einen weichen, zuckersüßen Kern.

Charmante Dreistigkeit. In Israeli kann Käufern in Geschäften starker Unwille von Seiten der Verkäufer entgegenschlagen, wenn dieser nicht glaubt man braucht seine Ware. Nicht-kooperativen Verkäufern etwas abzukaufen erfordert große Willenskraft. Expats haben auch an anderer Stelle zu kämpfen: An langen Schlangen gibt es in Israel immer Menschen, die sich vorne anstellen und im Restaurant muss man des Öfteren darauf bestehen, sein Wechselgeld wiederzubekommen. Jeder versucht so viel wie möglich für sich herauszuholen. Was gemacht werden kann, wird gemacht – wenn auch häufig mit einem netten Augenzwinkern. Die sprichwörtliche “chuzpe”, oder charmante Dreistigkeit, zieht sich durch das ganze Leben. Verträge werden weniger stark ausformuliert als in Deutschland, und dieser Interpretationsspielraum wird auch gerne ausgetestet. Man sollte immer ein wachsames Auge haben, schneller als in Deutschland einschreiten und klar machen, wenn es etwas anders läuft als man es möchte. Sich freundlich aber bestimmt für seine Interessen einzusetzen wird in Israel erwartet – wer sich stumm auszunutzen lässt ist ein “Freyer”, ein Dummer “mit dem man es machen kann”. Das will kein Israeli sein – seien Sie es auch nicht!

5. DEUTSCHLAND UND ISRAEL Israel ist eine Herausforderung. Das Leben ist bunter, direkter und offener. Gleichzeitig lehrt es mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen. Schwierig wird das, wenn man den typisch jüdischen Humor zu spüren bekommt. Charmant bis bissig trifft er dort, wo es weh tun kann. Besonders beim Thema Holocaust kann das deutsche Expats herausfordern. In Deutschland existiert ein starkes Tabu. Ein salopper Umgang mit dem Thema schockiert. Ganz anders in Israel, wo die Vergangenheit offen und häufig humorvoll bewältigt wird. Sicher nicht beim ersten Treffen. Aber das Thema kann aufkommen und von Witzen bis sehr direkten Fragen alle Formen annehmen. Geschäftsleben bedeutet das sehr sensibel für die eigene Geschichte zu sein: “6 Millionen” ist beispielsweise deutlich mehr als nur eine Zahl. Deutsche Produkte sind heute weit verbreitet, doch Deutsche Automarken sind weit seltener zu sehen. Kein Wunder, wenn ein Israeli beim Kauf zwischen Komfort und der eigenen Familiengeschichte abwägen muss. Im persönlichen Umgang muss jeder Expat seinen eigenen Umgang mit dem Thema finden. Doch die Zeit steht nicht still: Deutschland ist heutzutage ein Traumziel vieler junger Israelis. Berlin gilt als Synonym für Coolness, Hipster und lange Partynächte. Das Miteinander ist vielfältiger und weniger belastet als früher.

Und so gleicht das Expat-Leben in Israel eben auch einer Kaktusfeige: Stachelig von Zeit zu Zeit, aber im Kern doch so süß, dass man es nicht mehr missen möchte.

Mehr über Marietta findet ihr unter: www.lilit-kommunikation.de

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