Die Eisenbahn im Zeitalter der Elektromobilität - Buch.de

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IKEM – Interdisziplinäre Studien zu Klimaschutz, Energie und Mobilität · Michael Rodi (Hrsg.)

Michael Rodi (Hrsg.)

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€ 49,– ISBN 978-3-869 65-168-2

9 783869 651682

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Die Eisenbahn im Zeitalter der Elektromobilität Die neue Balance emissionsarmer Mobilität

Die Eisenbahn im Zeitalter der Elektromobilität

Elektromobilität auf der Grundlage erneuerbarer Energien steht im Zentrum der Vision eines klimaschonenden Verkehrs. Die Diskussion über eine Umstellung des Verkehrs auf elektrischen Antrieb bezieht sich bisher hauptsächlich auf den Individualverkehr. Die Eisenbahn als ursprüngliches Elektromobil spielt nur eine untergeordnete Rolle. Ihr kommt jedoch in zukünftigen nachhaltigen Verkehrsmärkten möglicherweise eine Schlüsselrolle zu. Dafür sprechen nicht nur die Tendenz hin zu verstärkter Intermodalität von Verkehrsmärkten und spezifische Potenziale der Bahn in der Umweltverträglichkeit, sondern auch der Umstand, dass die Bahn Erfahrungen und entsprechende Infrastrukturen für den Betrieb von Stromnetzen hat. Der vorliegende Band analysiert, welche Rolle dem Schienenverkehr in Zeiten der Elektromobilität zukommt und welche Konsequenzen sich hieraus für den Staat ergeben.

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Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität Institute for Climate Protection, Energy and Mobility

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IKEM – Interdisziplinäre Studien zu Klimaschutz, Energie und Mobilität ·  Michael Rodi (Hrsg.)

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Die Eisenbahn im Zeitalter der Elektromobilität Die neue Balance emissionsarmer Mobilität

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Die Eisenbahn im Zeitalter der Elektromobilität

Elektromobilität auf der Grundlage erneuerbarer Energien steht im Zentrum der Vision eines klimaschonenden Verkehrs. Die Diskussion über eine Umstellung des Verkehrs auf elektrischen Antrieb bezieht sich bisher hauptsächlich auf den Individualverkehr. Die Eisenbahn spielt als ursprüngliches Elektromobil nur eine untergeordnete Rolle. Ihr kommt jedoch in zukünftigen nachhaltigen Verkehrsmärkten möglicherweise eine Schlüsselrolle zu. Dafür sprechen nicht nur die Tendenz hin zu verstärkter Intermodalität von Verkehrsmärkten und spezifische Potenziale der Bahn in der Umweltverträglichkeit (etwa durch „Bremskraftrückgewinnung“), sondern auch der Umstand, dass die Bahn Erfahrungen und entsprechende Infrastrukturen für den Betrieb von Stromnetzen hat. In dem vorliegenden Band analysieren Experten aus Verkehrswissenschaft, Verkehrstechnik, Rechtswissenschaft und Wirtschaft, welche Rolle dem Schienenverkehr in Zeiten der Elektromobilität zukommt und welche Konsequenzen sich hieraus für den Staat als Eigentümer, Finanzier und Regulator der Bahn ergeben. Prof. Dr. Michael Rodi

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Inhaltsübersicht

Die Eisenbahn im Zeitalter der Elektromobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Michael Rodi

Elektromobilität als Herausforderung für die Eisenbahnverkehrspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Michael Rodi

Mobilität 2.0 und ihre kulturelle Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Weert Canzler

Rechtliche Aspekte der Elektromobilität: Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 33 Dr. Christian de Wyl, Dr. Roman Ringwald und Gisela Sinning

Das rechtliche Instrumentarium zur Steuerung des Straßen- und Schienenverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 PD Dr. Ekkehard Hofmann

Die Bahn im postfossilen Mobilitätskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Prof. Dr. Jörg Schütte und Prof. Dr. Arnd Stephan

Rückwirkungen des Paradigmenwechsels im Individualverkehr (Elektroautos) auf die Wettbewerbsposition der Bahn. . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Prof. Dr. Christian Böttger

Elektromobilität auf der Schiene – für eine Renaissance der Bahn(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Prof. Dr. Heiner Monheim

Historie, Trends und Zukunftsperspektiven der Elektromobilität im Straßenverkehr und ihre möglichen Folgen für den Schienenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Andrej Cacilo

Diskussionsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Andrej Cacilo und Nadine Löser

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Elektromobilität als Herausforderung für die Eisenbahnverkehrspolitik Prof. Dr. Michael Rodi*

I.

Herausforderungen und Ziele für die Verkehrsdienstleistungsmärkte der Zukunft 1. Gewährleistung von Mobilität und Daseinsvorsorge 2. Umweltverträglichkeit 3. Volkswirtschaftliche und individuelle Kosteneffizienz

II. Potenziale des Schienenverkehrs in Zeiten der Elektromobilität 1. Umwelttechnische Optionen 2. Die Zukunft der Bahn als Anbieter umfassender Verkehrsdienstleistungen III. Konsequenzen für die Schienenverkehrspolitik und die Steuerung der Deutschen Bahn durch den Bund 1. Optionen der staatlichen Steuerung der Eisenbahn, insbesondere der Deutschen Bahn AG 2. Steuerungsziele und Steuerungskonzepte

Angesichts der existenziellen und dramatischen Herausforderungen des Klimawandels wird das Ziel einer nachhaltige Gesellschafts- und Wirtschaftsform nur auf der Grundlage einer „Energierevolution“ erreicht werden können, die eine weitgehende Umstellung der Energieerzeugung auf erneuerbare Energiequellen umfasst. In erster Linie ist davon natürlich der Energiesektor betroffen. Es besteht aber Konsens, dass der Weg in eine kohlenstoffarme Zukunft nicht am Verkehrssektor vorbei beschritten werden kann. Dieser trägt in Deutschland und Europa zu 20 % zum Ausstoß von CO2 bei.1 Die Mobilitätsansprüche werden in den entwickelten Industriestaaten in Zukunft nicht abnehmen; zugleich besteht in der übrigen Welt teilweise erheblicher Nachholbedarf.2 Der zukunftsweisende Gedanke, Mobilität und Verkehr zu entkoppeln und mehr Mobilität mit wenig Verkehr zu gewährleisten,3 ist zwar überzeugend, die Umsetzung dieses Gedankens stellt aber ihrerseits eine gewaltige *

Universität Greifswald, Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM).

1

EEA (2010), S. 14 ff.

2

Zu den Wachstumsprognosen im Verkehr vgl. EEA (2010), Kap. 8 (S. 22 ff.).

3

Vgl. dazu grdl. Sachverständigenrat für Umweltfragen: Umwelt und Straßenverkehr. Hohe Mobilität – Umweltverträglicher Verkehr, Sondergutachten 2005; Rodi, Umwelt und Verkehr: Nachhaltige Verkehrspolitik als interdisziplinäre Herausforderung und rechtspolitische Aufgabe, in: Rodi (Hrsg.), Recht auf Mobilität – Grenzen der Mobilität, Berlin 2006, S. 1 ff.

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Elektromobilität als Herausforderung für die Eisenbahnverkehrspolitik

Herausforderung für Recht und Politik dar. Sie kann das Problem entschärfen, aber nicht lösen. Letztlich kommen wir auch in der Verkehrspolitik nicht um einen grundlegenden Paradigmenwechsel herum, der eine weitgehende Dekarbonisierung von Verkehrsleistungen zum Gegenstand haben muss. Der Schlüssel zur Lösung des Problems scheint auf den ersten Blick einfach zu sein: die Umstellung des Verkehrs auf elektrischen Antrieb bei vollständiger Erzeugung des dafür benötigten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen. Im Mittelpunkt der gegenwärtig dazu geführten, breit angelegten Diskussion steht der Individualverkehr. Das ist durchaus angezeigt, werden doch damit zur Zeit über 80 % der Verkehrsleistungen erbracht.4 Wieder einmal besteht allerdings die Gefahr einer gefährlichen Verengung der Sichtweise, wird nicht von Anfang an auch der Schienenverkehr mit in die Betrachtung einbezogen. Der Schienenverkehr ist schließlich entwicklungsgeschichtlich die ursprünglichste Form von Elektromobilität. Zudem ist klar, dass der zukünftige Verkehrsdienstleistungsmarkt multimodal angelegt sein muss und dem Schienenverkehr in ihm allein schon deshalb ein bedeutender Platz eingeräumt werden muss, weil der Straßenverkehr immer deutlicher an infrastrukturelle Grenzen stößt.5 Deshalb muss ein breiter Diskurs darüber geführt werden, welche Rolle der Schienenverkehr in einem künftigen Verkehrsdienstleistungsmarkt spielen wird (oder soll), der wesentlich auf elektrischen Antriebstechniken beruht. Daraus sind verkehrspolitische Konsequenzen abzuleiten, die der Staat als Eigentümer, Finanzier und Regulator des Eisenbahnwesens zu ziehen hat. Die Diskussion hat zwei Kristallisationspunkte: Einerseits ist zu bedenken, dass die bisherige Eisenbahnpolitik ihren legitimatorischen Ausgangspunkt ganz entscheidend unter der Annahme hatte, der Schienenverkehr sei umweltschonender als der Individualverkehr. Wenn nun der Individualverkehr umweltpolitisch motiviert auf der Grundlage von Elektromobilität „neu erfunden“ wird, muss das Rückwirkungen auf die Eisenbahnpolitik haben. Dabei dürfen natürlich hinsichtlich der Umweltverträglichkeit des Schienenverkehrs keine statischen Annahmen getroffen werden; es muss vielmehr untersucht werden, inwieweit nicht durch technischen Fortschritt auch hier Verbesserungen möglich sind. Andererseits ist zu bedenken, dass sich der zukünftige Verkehrsdienstleistungsmarkt auch ökonomisch grundlegend von dem bisherigen System von Verkehrsangeboten unterscheiden wird; zudem führt die Frage der Bereitstellung von Energie in Zeiten der Elektromobilität zu ganz anderen und wohl auch komplexeren Systemherausforderungen als im „fossilen Zeitalter“. Hierin liegt

4

EEA (2010) Tabelle A.4.

5

Zu Prognosen der Verkehrsentwicklung vgl. Roth u.a., CO2-Emissionsminderung im Verkehr in Deutschland. Mögliche Maßnahmen und ihre Minderungspotenziale. Ein Sachstandsbericht des Umweltbundesamtes, Texte 05/2010, S. 10 ff.

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für den Verkehrsträger Eisenbahn eine enorme Chance, wird der Schienenverkehr doch schon bisher ganz wesentlich elektrisch betrieben. Zudem hat die Bahn bereits Erfahrungen als Anbieter von Verkehrsdienstleistungen, die sich auch für eine Integration von Individualverkehrslösungen nutzen lassen.

I. Herausforderungen und Ziele für die Verkehrsdienstleistungsmärkte der Zukunft Die Entwicklung einer Strategie für die politische Steuerung des Bahnverkehrs durch die öffentliche Hand setzt voraus, dass man sich eine Vorstellung künftiger Verkehrssysteme und Verkehrsmärkte macht. Nur so ist es denkbar, sich ein – reales oder normatives – Bild von der Rolle der Bahn in zukünftigen Verkehrsdienstleistungsmärkten zu machen. Das ist alles andere als trivial. Eine zentrale Herausforderung ist darin zu sehen, dass vorliegend nicht ein ideales Szenario entwickelt werden soll. Wie die Zukunft aussehen wird, hängt schließlich auch davon ab, welche Ziele der Staat setzt und welche Instrumente für deren Erreichung eingesetzt werden. Nimmt die Politikberatung die demokratische Relevanz dieser Entscheidungen ernst, darf sie nicht auf der Grundlage wissenschaftlich fundierter Leitszenarien operieren, muss vielmehr relativ in Form von „Wenn-dann-Strukturen“ Steuerungsoptionen aufzeigen. Mögliche Zielszenarien zukünftiger Verkehrssysteme und Verkehrsmärkte bilden ihrerseits aber wieder ein komplexes Bündel an Unterzielen ökonomischer, sozialer und ökologischer Natur. Deshalb kann es nur darum gehen, Zielszenarien zu bilden, die Kombinationen von Einzelzielen mit einem jeweils spezifischen Verwirklichungsgrad abbilden. Die Gestaltungsfreiheit des demokratisch legitimierten Gesetzgebers (wie auch der mittelbar demokratisch legitimierten Regierung) bleibt so gewahrt. Erheblich erschwert wird diese Vorgehensweise durch den Umstand, dass die Fortentwicklung von Verkehrsszenarien und Verkehrsdienstleistungsmärkten von der technischen Entwicklung und den technischen Entwicklungsmöglichkeiten abhängt. Das betrifft natürlich in erster Linie die Frage der Elektromobilität und die hierfür grundlegende Fragen der Weiterentwicklung der Batterie-, Antriebs- und IT-Technik sowie der Infrastruktur. Dabei ist zu beachten, dass dieser zu prognostizierende Entwicklungspfad nicht nur von technologischen Vorfragen, sondern seinerseits entscheidend auch von öffentlicher Förderung und damit politischen Entscheidungen abhängt.6

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Vgl. dazu etwa den Zweiten Bericht der Nationalen Plattform Elektromobilität vom Mai 2011, unter 4.2 (Forschung und Entwicklung).

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Elektromobilität als Herausforderung für die Eisenbahnverkehrspolitik

Man hätte erwarten können, dass das kürzlich erschienene Weissbuch der Europäischen Kommission7 entsprechende Visionen aufzeigen würde, trägt es doch den insoweit viel versprechenden Untertitel „Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“. Es bleibt allerdings recht vage und spricht sehr allgemein einige bekannte Zielsetzungen an: Steigerung der Energieeffizienz durch neue Technologien, Verwirklichung des Binnenmarktes (insbesondere eines einheitlichen Eisenbahnverkehrsraums), Multimodalität, moderne Verkehrsmanagementsysteme (insbesondere dezentrale Güterverteilung mit Elektro- bzw. Hybridfahrzeugen). Eine umfassendere systemische Perspektive für die künftige Verkehrspolitik wird dagegen nicht entfaltet.

1.

Gewährleistung von Mobilität und Daseinsvorsorge

Der Staat hat die Aufgabe die Mobilität seiner Bürger in angemessenem Umfang sicherzustellen. Diese Mobilitätsverantwortung des Staates lässt sich auch verfassungsrechtlich begründen. So statuiert Art. 87e Abs. 4 GG eine Daseinsvorsorgeverantwortung in Bezug auf im öffentlichen Interesse stehende Verkehrsleistungen.8 Darüber hinaus folgt dies auch aus der allgemeinen Pflicht des Staates zur Gewährleistung der Daseinsvorsorge, die sich aus einer Zusammenschau mehrerer Verfassungsbestimmungen ergibt.9 Sie folgt zudem aus dem objektiven Gehalt mehrerer Grundrechte, setzt doch die effektive Wahrnehmung von Grundrechten oft Mobilität voraus; so muss man etwa die Möglichkeit haben, an einen Versammlungsort zu gelangen, um die Demonstrationsfreiheit aus Art. 8 GG wahrzunehmen.10 Ein angemessenes Ausmaß an Mobilität muss auch dann gewährleistet sein, wenn Bürger sich Individualverkehr nicht leisten können oder nicht in Anspruch nehmen wollen. Damit hat der Staat eine Gewährleistungsverantwortung für ein in Umfang und Preis angemessenes Angebot allgemein zugänglicher Verkehrsdienstleistungen. Aufgrund der historisch gewachsenen Verkehrsmärkte ist es gegenwärtig kaum vorstellbar, dass diese ohne ein breites Angebot an Schienenverkehrsdienstleistungen

7

Europäische Kommission, Weissbuch „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“, KOM(2011) 144 endg.

8

Wohl versehentlich wurde in dieser Bestimmung der Fall einer materiellen Privatisierung nicht berücksichtigt; damit kann sich der Staat nicht seiner Verantwortung entledigen, vgl. Fehling, in: Fehling/ Ruffert § 10 Rn. 11 m. Nachw.

9

Vgl. dazu etwa Berschin, Daseinsvorsorge durch Wettbewerb, 8.

10

Vgl. dazu Ronellenfitsch, Begründung und Tragweite eines Grundrechts auf Mobilität, in: Rodi (Hrsg.), Recht auf Mobilität – Grenzen der Mobilität, Berlin 2006, S. 73 ff.

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wahrgenommen werden kann. Mittelfristig ist der Bahnverkehr damit verfassungsrechtlich abgesichert.11 Elektromobilität bietet die Möglichkeit, dieser Verantwortung durch multimodale Angebote unter Einbeziehung klassischen Schienenverkehrs und damit kombinierter Lösungen im Bereich des Individualverkehrs – gerade auch auf elektromobiler Grundlage – gerecht zu werden (Car-Sharing-Systeme, Call-Busse, E-Bikes etc.).12

2. Umweltverträglichkeit Die Diskussion über Elektromobilität ist vor dem Hintergrund einer zweiten verfassungsrechtlich fundierten Verantwortung des Staates zu sehen: der Verantwortung für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und dabei insbesondere auch der staatlichen Verantwortung zum Schutz des Klimas.13 Effektive Klimaschutzpolitik wird gerade auch Lösungen im Bereich des weiter wachsenden Verkehrssektors entwickeln müssen. Die Vision der Elektromobilität (bei Erzeugung des Fahrstroms aus regenerativen Quellen) stellt gegenwärtig die einzig grundlegende Lösungsoption dar (über Optionen der Verkehrsreduktion sowie der Energieeffizienz hinaus). Diese Diskussion tangiert die künftige Bahnpolitik fundamental. Die staatliche Förderung des Schienenverkehrs wurde in der Vergangenheit gerade auch mit dem Argument einer größeren Umweltverträglichkeit (auch im Bereich des Klimaschutzes) begründet.14 Diese Legitimationsbasis scheint nun teilweise zu erodieren, sollte der Individualverkehr auf der Grundlage von Elektromobilität kategorial umweltfreundlicher werden. Die Diskussion über eine staatliche Förderung der Elektromobilität wird fast ausschließlich in Bezug auf den Individualverkehr geführt.15 Vordergründig besteht die Gefahr, dass die Bahn mit dieser Entwicklung in Sachen Umweltverträglichkeit „abgehängt“ wird. Zu wenig wird dabei in der politischen Debatte beachtet, dass es sich bei der Umweltverträglichkeit der Bahn nicht

11

Vgl. dazu auch Möstl, in: Maunz/Dürig, Art. 87 e Rn. 83f.

12

Vgl. beispielhaft das Forschungsprojekt „INMOD – Intermodaler öffentlicher Nahverkehr im ländlichen Raum auf Basis von Elektromobilitätskomponenten“, das ein derartiges Konzept für den ländlichen Raum umsetzt.

13

Vgl. dazu grdl. Fehling, in: Fehling/Ruffert, § 10 Rn. 15 ff.

14

Vgl. dazu in Zahlen: Die spezifischen CO2-Emissionen betragen unter der Annahme durchschnittlicher Auslastung pro Tonnenkilometer im Schienenverkehr 23 Gramm im Vergleich zu Lkw (40t) 87 Gramm. Im Personenfernverkehr 45 Gramm (Pkw 139 Gramm) und im Personennahverkehr 74 Gramm (Pkw 134 Gramm) vgl. Deutsche Bahn AG: Nachhaltigkeitsbericht 2009 unter Bezugnahme auf IFEU und Ökoinstitut. Dabei ist der „Strukturnachteil“ der Bahn zu berücksichtigen, dass Bahnkunden etwa 14 % mehr Wege zurücklegen müssen als Autofahrer, um bestimmte Strecken zu bewältigen, vgl. Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) „Energieverbrauch und Schadstoffemissionen des motorisierten Verkehrs in Deutschland“.

15

Vgl. etwa den Zweiten Bericht der Nationalen Plattform Elektromobilität 2011.

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Elektromobilität als Herausforderung für die Eisenbahnverkehrspolitik

um eine statische Größe handelt, diese vielmehr – gerade auch im Zeitalter von Elektromobilität – erhebliche Verbesserungspotenziale aufweist.16

3. Volkswirtschaftliche und individuelle Kosteneffizienz Bei der Erfüllung der staatlichen Gewährleistungsverantwortungen für Mobilität und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen darf die Frage der Kosteneffizienz nicht ausgeblendet werden. Dem Staat stehen zur Erfüllung seiner umfassenden Aufgabenagenda grundsätzlich beschränkte Mittel zur Verfügung. Kosteneffiziente Lösungen haben damit die materielle Wirkung, dass mit dem gleichen Geldbetrag mehr öffentliche Aufgaben wahrgenommen werden können (bzw. umfangreicher). Das Ziel der Haushaltsentlastung ist auch aus rechtlicher Perspektive als mitlaufendes Regulierungsziel vorgeschrieben.17

II. Potenziale des Schienenverkehrs in Zeiten der Elektromobilität Die aktuellen politischen Initiativen zur Förderung der Elektromobilität sind fast ausschließlich auf Autos, elektromobilen Individualverkehr und die damit zusammenhängenden technischen und organisatorischen Fragen bezogen.18 Langfristig erwartet man sich davon einen grundlegenden Fortschritt des Verkehrssektors im Bereich von Umweltverträglichkeit und Klimaschutz. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, welche Rolle dem Schienenverkehr in künftigen elektromobil fundierten Verkehrsmärkten zukommt. Abgesehen von den allgemeinen Feststellungen, dass die Bahn gleichsam das ursprünglichste Elektromobil ist und der Schienenverkehr schon allein wegen der Kapazitätsengpässe in der Infrastruktur des Individualverkehrs notwendig sein/bleiben wird, müssen die spezifischen Chancen der Bahn in sich wandelnden Verkehrssystemen und Verkehrsmärkten näher beleuchtet werden. Umfang und Richtung einer öffentlichen Steuerung und Förderung der Bahn wird wesentlich von den Antworten auf diese Fragen abhängen, so wie dies in der Vergangenheit unter der Prämisse einer größeren Umweltverträglichkeit des Schienenverkehrs der Fall war. Dabei sollen hier zwei Fragen in den Mittelpunkt gestellt werden: (1.) Kann nicht die Bahn ihrerseits die Umwälzungen in der Verkehrstechnik und den Verkehrsmärkten nutzen, um ihre relativen Vorteile im Bereich der Umweltverträglichkeit zu bewahren oder eventuell sogar auszu16

Zum Umweltvorteil der Bahn grundsätzlich vgl. Eickmann: Die Entwicklung des Umweltvorteils der Bahn im Hinblick auf ausgewählte technische Aspekte, Diss., Hannover 2005.

17

Fehling, in: Fehling/Ruffert, § 10 Rn. 19 ff.

18

Paradigmatisch: Nationaler Entwicklungsplan Elektromobilität der Bundesregierung vom August 2009; Zweiter Bericht der Nationalen Plattform Elektromobilität von 2011.

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