Die einzige Metropole

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DOWNTOWN TESSIN

DIE ZEIT No 32

Die einzige Metropole

Foto: Alessandro Della Bella/Keystone

Unser Autor NICOLAI MOR AWITZ war drei Jahre lang Korrespondent im Tessin. Nun zieht er Bilanz

Weltstadt? Lugano!

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s ist Nacht, und ich fahre auf der Autobahn A 2 von Lugano über den Ceneri nach Norden. Gleich nach dem Tunnel taucht es unter mir auf, das Lichtermeer: von Locarno bis nach Biasca. Downtown Ticino. In meinem Kopf spielt City of Stars, die Titelmelodie des Hollywoodfilms La La Land. Das da unten könnte auch Los Angeles sein. Nicht Zürich, Basel oder der Genferseebogen, die das gern von sich behaupten, nein, das Tessin ist die einzige richtige Metropole der Schweiz. Hier wird verdichtet, verbaut und verdrängt. Der Kanton und seine 350 000 Bewohner haben ihre Grenzen längst gesprengt, auch wenn sie noch immer spürbar sind. Das Tessin ist zu einem Bezirk von Mailand und seinem Umland geworden; einer Region mit über zehn Millionen Einwohnern. Doch das Tageslicht verwandelt den nächtlichen Metropolenglanz in einen unübersichtlichen Siedlungsbrei, als wäre er in einer Merlot-Laune entstanden. Da schmiegt sich in der Magadino-Ebene ein Baumarkt an einen Pferdestall, neben dem Logistik-Zentrum für Luxusmodelabels produziert ein Winzer seinen Wein. Diese Agglomerations-Romantik hat ihren eigenen Charme, aber sie schadet dem Kanton. Er ist gefangen in seinen kleinräumigen Strukturen, gelähmt von kurzsichtiger Politik und Altlasten. Mario Botta, der bekannteste Tessiner Architekt, sagt: »Das Tessin ist vom Agrarzeitalter direkt ins Dienstleistungszeitalter gestürmt.« Dabei habe es einige Zwischenschritte ausgelassen. Botta hat in der ganzen Welt gebaut. Im Tessin, sagt er, sei die »internationale Dimension« nicht mitgedacht worden, als in der Nachkriegszeit der große Bauboom begonnen habe. Ein »totales Desaster« der Raumplanung ist für den Star-Architekten die Pian Scairolo bei Lugano. Wo heute ein Industriegebiet mit Einkaufszentren die Gegend verschandelt, waren noch in den 1950er Jahren kleine Dörfer, in denen die Bauern Getreide anbauten und Wein produzier-

ten. Die Läden mit lokalen Produkten sind in den vergangenen Jahrzehnten verschwunden – gekommen sind dafür Lärm und Luftverschmutzung. Dieser Siedlungsanarchismus hat Folgen: Die Bewohner fliehen aus den Zentren in die höher gelegenen Randgebiete. Der Verkehr nimmt so noch mehr zu, denn die Peripherie ist mit Bus und Bahn schlecht erschlossen. Das Tessin gehört zu den Kantonen mit dem höchsten Motorisierungsgrad der Schweiz: Von 1000 Einwohnern haben 638 ein Auto, nur in Zug und Schwyz sind es noch mehr. Dazu kommen im Südkanton mehr als 60 000 italienische Grenzgänger, die täglich hierher pendeln – die meisten mit dem eigenen Auto. Die Grenzgänger: Sie waren es, über die Politiker, Journalisten und die Bewohner während meiner drei Jahre als Tessin-Korrespondent täglich gestritten haben. Die einen profitieren wirtschaftlich von ihnen, die anderen politisch. Das Klima ist vergiftet, geprägt von Misstrauen, Fremdenangst und einem diffusen Gefühl, selbst zu kurz zu kommen. Auch weil es der Metropole an einem Kern fehlt. Selbst Lugano hat es schwer, einen urbanen Geist zu entwickeln. Für den Architekten Botta ist die Stadt nichts als »eine luxuriöse Vitrine« oder, baulich betrachtet, »ein legalisiertes Desaster«. Zwischen Edelboutiquen und dem darbenden Finanzdistrikt fehlen Orte für ein Zusammenkommen, für Austausch, für Diskussionen. An Auseinandersetzungen fehlt es auch in der Politik. Nationale Abstimmungsvorlagen werden im Tessin selten kontrovers diskutiert. Die Parteien, allen voran die Lega dei Ticinesi, stecken früh ihr Terrain ab. Das Fernsehen lädt pflichtbewusst zu Diskussionsrunden – doch abseits davon rührt sich wenig. So auch beim Abstimmungskampf zur Durchsetzungsinitiative, im Februar 2016. Knapp 60 Prozent der Tessiner sagten Ja, in keinem anderen Kanton war die Zustimmung höher. Von der viel gelobten »Zivilgesellschaft«, die sich schweizweit zur Wehr setzte und die Abstimmung schließlich für sich entschied, war im Tessin nichts zu hören, nichts zu lesen, nichts zu spüren.

Als ich 2014 die ersten Tessiner Journalisten kennenlernte, fühlte ich mich tief ins 20. Jahrhundert zurückversetzt. In einigen Redaktionen lag noch Zigarettenrauch in der Luft, und auf den Chefposten sitzen bis heute fast ausschließlich Männer. Sie sehen ihre Zeitungen und Sendungen als Foren: Person A wird befragt, worauf Person B und C in den darauffolgenden Tagen ebenfalls ihre Meinung kundtun dürfen. Recherche, Einordnung und Analyse sind kaum gefragt, dafür werden persönliche Dispute groß inszeniert. Raum dafür gibt es genug. Die mediale Versorgung im Tessin ist dichter als in fast jeder anderen Gegend Europas. Neben dem Service public der RSI, mit zwei Fernsehsendern und drei Radiostationen, gibt es mehrere private Radio- und Fernsehsender und Online-Newsportale. Die Zeilen und Sendeminuten müssen gefüllt werden. An einer Medienkonferenz des Regierungsrats sind selbst bei unspektakulären Themen nicht selten über ein Dutzend Journalisten vor Ort. Der Tessiner Politologe Oscar Mazzoleni spricht von einem »Dauerwahlkampf«, in dem sich der Kanton befinde. Apropos: Im Tessin kommt es immer auch mal wieder zu einem Streik. Nicht nur unter den Matrosen auf dem Lago Maggiore, sondern auch unter den Volksvertretern. So geschehen in der letzten Sitzung vor der Sommerpause. Die Lega-Fraktion nahm weder an der Debatte noch an der Abstimmung über die Kantonsrechnung teil, weil sie gegen einen Regierungsbeschluss demonstrieren wollte – obwohl die Partei selber in der Regierung vertreten ist. Prompt wird der Aktion in den Abendnachrichten viel Platz eingeräumt. Nur ein Detail ging dabei unter: Das Tessin gibt seit 2011 regelmäßig mehr Geld aus, als es einnimmt. Ich hege aber auch Hoffnung für das Tessin. Mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels vor einem halben Jahr hat sich etwas verändert, im Bewusstsein der Leute. In einer Stunde und 40 Minuten sind sie nun von Zürich in Bellinzona. Die Tessiner, die sich oft beklagten, in Bern vergessen zu werden, sind mit dem längsten Eisen-

bahntunnel der Welt an den Rest der Schweiz angeschlossen. Und der Bahnhof der Kantonshauptstadt wurde renoviert und aufgehübscht; er ist nun das neue »Tor zum Süden«. Mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels Ende 2020 wird im Tessin eine neue Epoche anbrechen. Die Fahrzeiten zwischen dem Dreieck Locarno-Bellinzona-Lugano werden sich stark verkürzen. Eine Ticino-Metro entsteht. Von dieser engeren Vernetzung wird auch die Wirtschaft profitieren. Ein neues Zentrum für Biomedizin soll in Bellinzona entstehen und Forscher aus aller Welt anlocken. Die Stadt und der Kanton werden 23 Millionen Franken dafür investieren. Und obwohl es den streitsüchtigen Tessinern schwerfällt, Großprojekte zu verwirklichen, eröffnete vor zwei Jahren in Lugano das neue Kulturzentrum Lugano Arte e Cultura. Schwarz und markant ragt es keilförmig in Richtung See. In seinen ersten zwei Spielzeiten begeisterte das Zentrum mit seinem Theaterprogramm. Es bringt die Nord- und Südschweiz und die Tessiner einander näher. Ein Neubau allein reicht vielen Tessinern aber nicht. Sie wünschen sich einen Vermittler. Eine einende Persönlichkeit, die das Tessin versteht, die Bauern in den Seitentälern genauso wie die Großstädter. Jemand, der ihre Bedürfnisse nach Bern trägt: einen eigenen Bundesrat. Am 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, wählten die Vertreter der Tessiner Kantonalpartei den FDP-Nationalrat Ignazio Cassis zu ihrem Bundesratskandidaten. Der Arzt stammt aus Sessa, einem Dörfchen mit 700 Einwohnern an der Grenze zu Italien. Würde er Ende September gewählt, könnte er die Anliegen, die Wünsche und die Sorgen der größten, der einzigen richtigen Metropole des Landes wieder in die Bundespolitik einbringen. Nach 18 Tessin-losen Jahren. Es wäre ein Gewinn für die ganze Schweiz. Für ihre sprachliche Vielfalt, für den Zusammenhalt dieses Landes. Nicolai Morawitz, 28, war von 2014 bis Ende Juli 2017 Korrespondent der Schweizerischen Depeschenagentur

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Fotos: Martin MIschkulnig für DIE ZEIT

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Es war nicht nur die medizinische Herausforderung, die Beppe vor 35 Jahren ins Tal brachte

Beppe bleibt Die Tessiner zieht es in die Städte. Doch im Onsernonetal trotzt der Arzt Beppe Savary-Borioli dem Trend

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s ist bereits früher Abend, als Infektion verursacht, Beppe verabreicht der Beppe Savary-Borioli zu sei- 83-Jährigen trotzdem eine Diphterie-Tetanusnem letzten Einsatz aufbricht. Impfung, zur Sicherheit. Er ist froh, dass er Er steuert den Ambulanz- vorbeigeschaut hat. »Wenn du mit der Nase wagen die schmale Straße tal- im Züügs drin bist, weißt du einfach besser abwärts, vor jeder Kurve ein- Bescheid«, sagt er auf dem Rückweg ins Dorf. mal hupend. Rechts die »Individuelle Medizin« nennt er das. Etwas, Schlucht, links der Berg. Eine Frau hat ihn aus wovon viele Ärzte in großen Zentren nur ihrem Ferien-Rustico angerufen, sie wurde noch träumen würden. Doch es war nicht nur die medizinische von einer Maus in den Zeh gebissen. Ob Mäusebisse, verletzte Kinderknie oder Herausforderung, die ihn ins Tal brachte. eine Hausgeburt: Wenn es im Onsernonetal Sondern auch dessen Vergangenheit. 1872 etwas zu verarzten gibt, Beppe kommt – und wurde der Anarchist Michail Bakunin von der Gemeinde Mosogno zum Ehrenbürger erdas seit bald 35 Jahren. Der Facharzt für allgemeine innere Medi- nannt, ab 1930 bot die Schriftstellerin Aline zin, Spezialgebiet Katastrophenmedizin, ist Valagnin in ihrer Villa in Comologno beder bekannteste Talarzt im Kanton, und seine kannten Künstlern Zuflucht vor dem NaziGeschichte erzählt, wie das Tessin, unten, in regime. Beppe, der ein großer Marx-Freund der Ebene, längst verstädtert, in seinen hin- war, keine Demo ausließ und angeblich vom Militär ausspioniert wurde, wusste: Hier tersten Winkeln der Gegenwart trotzt. Beppe Savary-Borioli kam 1983 ins On- musste er hin. In seiner Stimme schwingt sernonetal. Dieses stotzige, wilde Tal, das kurz noch heute diese Revoluzzer-Nostalgie, im hinter Locarno abzweigt, sich bis auf 1000 Sekretariat seiner Praxis hängen Bilder von Höhenmeter hinaufwindet und kurz vor der Che Guevara, und wenn sein Handy klingelt, grünen Grenze in einer Sackgasse endet. Bep- ertönt Die Internationale auf Italienisch. Fasziniert war Beppe auch von den Bepe, damals 31 Jahre alt, tauchte mit langen Haaren und Wanderschuhen zum Vor- rühmtheiten, die das Tal anzog. Mit einigen stellungsgespräch auf. Im Dorf war man skep- von ihnen pflegte er enge Freundschaften. Darunter die Malerin tisch: War er einer dieser Gisela Andersch, Frau cappelloni, dieser LangMax Frisch des Schriftstellers Alfred haarigen, wie die AusAndersch, der Magnumsteiger aus der Deutschlernte er kennen, als der Fotograf René Burri schweiz genannt wurden, Autor einen oder Max Frisch, der im die in den siebziger JahAsthmaanfall hatte Dorf Berzona sein Refuren auf der Suche nach gium fand. »Wir lernten ihrem Seelenglück ins uns bei einem AsthmaTal strömten? Oder war er ein Arzt wie viele vor ihm, der sich im Tal anfall kennen«, erzählt Beppe. »Einige hielten einen Patientenstamm aufbaut und nach kur- ihn für ein Reibeisen, vielleicht konnte er das ab und zu sein, aber wir haben uns immer gut zer Zeit nach Locarno verschwindet? Beppe war nichts davon. Er war gekom- verstanden.« Aber den Rat von Frisch, ein men, um zu bleiben. Bis heute ist er einer der Tagebuch zu führen, den hat Beppe nicht wenigen verbliebenen Bewohner, die das Tal befolgt. »Mein Tagebuch sind die Krankheitsgeschichten der Menschen hier.« am Laufen halten. So ist seine Geschichte denn auch eng mit »Alle duzen mich«, stellt er als Erstes klar und meint damit wirklich alle: Patienten, Kol- der Geschichte des Tals verwoben und den legen, Politiker, Journalisten. Er hätte damals Menschen, die hier leben. Bereits kurz nach auch die Praxis seines Vaters übernehmen seiner Ankunft gab es in den Gemeinden die können, in St. Gallen, es war die größte im Idee, ein Alterszentrum im Dorf Russo zu erKanton. Auch eine Stelle in Locarno wurde richten, damit auch die älteren Bewohner bis ihm angeboten. Stattdessen entschied er sich ins hohe Alter im Tal bleiben können. Doch für eine Gegend, in der Menschen wegen den Gemeinden fehlte das Geld – und der eines geplatzten Blinddarms noch sterben Glaube daran, es zu bekommen. Aber Beppe trieb das Projekt voran, bekehrte die Zweifler. können. Weil sie zu abgelegen wohnen. »Das Bequeme hat mich noch nie interes- Schließlich spendete der Verein Patenschaft siert«, sagt Beppe, als er das Ambulanzauto im für Berggemeinden auf seine Anfrage hin die Dorf Loco parkiert. Nun geht es zu Fuß wei- fehlende Million. 1989 konnte die Eröffnung ter. Der Weg führt in steilem Zickzack bergab des Zentrums gefeiert werden, das gleichzeitig durch grüne Wälder, Linden, Edelkastanien, die Kantine für die Grundschüler im Dorf Nussbäume. Wer Beppe hier auf den ein- wurde. Heute ist es der größte Arbeitgeber im samen Pfaden im Wald begegnet, könnte sich Tal. »Niemand muss mehr zum Sterben in die fast ein wenig vor ihm fürchten. Vor dem Stadt«, sagt Beppe. Im Haus befindet sich auch seine Praxis, großen Mann mit dem stacheligen grauen Bart und den wilden Locken, stets mit ernster die er zusammen mit einem anderen Kollegen Miene unterwegs. Je näher das Rauschen des und einer Assistentin führt. Kommt kein Isorno-Flusses kommt, desto näher kommt Notfall dazwischen, hält Beppe dort die halbe Beppe seinem Ziel: ein Rustico aus Granit, Woche Sprechstunde im Fünfzehn-Minutenmitten im Wald, erst sichtbar, wenn man Takt. Zusätzlich arbeitet er als Leiter des Rettungsdienstes in Locarno. direkt davorsteht. Aber die Abwanderung konnte auch das »Sie sind sagenhaft«, begrüßt ihn die Frau, die in dem engen Zimmer auf ihrem Bett Centro Sociale nicht aufhalten. Um 1870 liegt. Der Mäusebiss am Zeh hat noch keine zählte man rund 4000 Einwohner. Dann zer-

störte internationale Billigware das Geschäft mit der Strohflechterei. Wer jung war, zog in die Stadt oder wanderte aus und überließ seinen Besitz den Feriengästen aus dem Norden. Heute leben noch etwa 700 Menschen im Tal. Beppe sorgt sich. »Die Jungen brauchen eine Perspektive hier.« Deshalb kämpft er für den Nationalpark del Locarnese, über den die betroffenen Gemeinden 2018 abstimmen sollen. Geht es nach den Befürwortern, wäre der Park ein Segen für das Tal, würde es schützen und den Bewohnern Arbeitsplätze bringen, Touristen, Geld. Leben! Anfangs war Beppe Präsident des Beratungskomitees, ist aber wieder zurückgetreten. »Ich bin nicht diplomatisch genug.«

VON SAMANTA SIEGFRIED

Zwar sei die Mehrheit für das Projekt, aber die Opposition mische kräftig mit. »Vor allem jene, die bereits im Trockenen sitzen.« Das geplante Gebiet erstreckt sich von der tiefsten Stelle der Schweiz, den Brissago Inseln, bis zum Pizzo Biela auf 2863 Metern über dem Meer. Neben einer Kernzone, in der sich die Natur frei entfalten kann, umschließt den Park eine Umgebungszone, in der nachhaltige Wirtschaft gefördert werden soll. Was das heißt, bestimmen die Bewohner selbst. Bereits jetzt entstehen verschiedene Projekte im Tal. Ein Lama-Trekking wird angeboten, oder manchenorts werden wieder Weinreben gepflanzt. Einige Kritiker befürchten, der Park würde Scharen von

Touristen in das Tal bringen. Beppe beschwichtigt. »Viel zu unbequem«, die enge Straße, das unwegsame Gelände. »Nur sanfter Tourismus wird kommen, kein Disneyland.« Kein moderner Reisebus schafft es die Straße hoch. Der Arzt wird persönlich durchs Tal ziehen, um Unentschlossene zu bearbeiten. Siegessicher wie immer, überzeugt zu wissen, was das Richtige für das Onsernonetal ist: »Ich gehe hier nicht weg, bevor abgestimmt wurde.« Weg wird er ohnehin nicht gehen. Russo bleibt seine Heimat. Auch nach seiner Pension im November will er für die Bevölkerung da sein. »Aber ich werde bestimmen, wann.«

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KEYNOTES:

WEITERE REFERENTEN:

DR. HENNING BECK Deutscher Meister Science Slam, Hirnforscher, Autor

VALERIE HOLSBOER Vorstand Ressourcen, Bundesagentur für Arbeit

PROF. WOLFGANG HUBER Bischof i.R., Evangelische Kirche Berlin Brandenburg - Schlesische Oberlausitz

HOLGER STARK Ressortleiter Investigatives und Mitglied der Chefredaktion, DIE ZEIT

ANA-CRISTINA GROHNERT Generalbevollmächtigte, Allianz Deutschland, Leitung Personal und Interne Dienste

ALETTA GRÄFIN VON HARDENBERG Geschäftsführerin, Charta der Vielfalt e.V.

HANS JABLONSKI Diversity Experte & Berater, jbd Business Diversity

ALBERT KEHRER Diversity & Change Experte, PROUT AT WORK-Foundation

NADINE LANGE Kulturredaktion, Queerspiegel, Der Tagesspiegel

TILMANN WARNECKE Redaktion Wissen/Forschen, Queerspiegel, Der Tagesspiegel

Informationen und Tickets: www.diversity-konferenz.de Diese Veranstaltung wird unterstützt von: