Die Befreiung der Bücher: Zur Bedeutung der ... AWS

sie arbeiteten, dass sie eine Familie hatten, dass sie in einer Sekunde sterben könnten und sie einfach von einem euphorisierenden Etwas auf die Straße getrieben wurden, um sich mit dieser wahrhaftigsten aller demokratischen Gesten der Tyrannei mit dem Ein- satz des eigenen Lebens zu entledigen: in diesen Tagen, ...
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Andrei Teusianu

Die Befreiung der Bücher Zur Bedeutung der Dezemberrevolution von 1989 für die rumänische Literatur

Diplomica Verlag

Andrei Teusianu Die Befreiung der Bücher: Zur Bedeutung der Dezemberrevolution von 1989 für die rumänische Literatur ISBN: 978-3-8366-3615-5 Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010

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Inhaltsverzeichnis Vorwort............................................................................................................................ 3 Abkürzungsverzeichnis .................................................................................................. 4 1

Einleitung ............................................................................................................. 5

2

Schriftstellerisches Schaffen vor 1989 ............................................................... 9

2.1 Der beschränkte Schriftsteller: Zensur ................................................................ 11 2.1.1 Wellen der Zensur zwischen 1947 und 1989 ...................................................... 12 2.1.2 „Pakt mit dem Teufel“ oder Widerstand? Methoden des Umgangs mit Zensur .................................................................................................................. 16 2.1.3 Positive Aspekte der Zensur................................................................................ 20 2.2 Der unerwünschte Schriftsteller: Das Exilphänomen.......................................... 21 2.2.1 Kurze Typologie der Exilantenströme nach dem Zweiten Weltkrieg ................. 22 2.2.2 Assimilierung, Integration, Sehnsucht nach Heimat: Die Situation des Exilautors............................................................................................................. 24 2.3

Weitere Problembereiche .................................................................................... 28

3

Die Dezemberrevolution von 1989 ................................................................... 31

3.1

Entstehung und Verlauf ...................................................................................... 31

3.2

Hoffnungen, Enttäuschungen, Interpretationen: Die unmittelbare Zeit nach der Revolution und die Implikationen der Schriftsteller ..................................... 33

4

Rückkehr zur Normalität: Die Folgen der Dezemberrevolution für die rumänische Literatur ........................................................................................ 38

4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3

Kurzfristige Folgen.............................................................................................. 38 Liberalisierung und Demokratisierung................................................................ 39 Ökonomisierung und Mediatisierung .................................................................. 42 Verlagsgründungen, neue literarische Gruppierungen, Buchmessen.................. 44

4.2 Langfristige Folgen ............................................................................................. 46 4.2.1 Reintegration und Rehabilitation der Exil- und Dissensliteratur ........................ 47 4.2.2 Vergangenheitsaufarbeitung................................................................................ 52 4.2.2.1 Die Schuldfrage.............................................................................................................................52 4.2.2.2 Zwischen Ironisierung und Objektivität: Methoden der Vergangenheitsaufarbeitung..................56 4.2.2.3 Das Aufkommen neuer Gattungen nach 1989...............................................................................59

4.3

Aktuelle Probleme und Zukunftsperspektiven .................................................... 63

5

Elemente einer Synthese ................................................................................... 70

6

Schlusswort ........................................................................................................ 71

7

Lebensdaten der Autoren ................................................................................. 74

8

Literaturverzeichnis .......................................................................................... 75

Vorwort Der auf dem Filmfestival von Cannes 2007 mit der goldenen Palme ausgezeichnete Film des rumänischen Regisseurs Cristian Mungiu 4 luni, 3 săptămâni şi două zile (4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage) ist ein guter Beweis dafür, dass Rumänien ein kulturelles Potenzial hat, das nicht hinter dem anderer Länder zurückzustehen braucht. Die kürzlich erschienene deutsche Übersetzung des ersten Teils der Romantrilogie Orbitor (auf Deutsch unter dem Titel Die Wissenden erschienen) das wohl wichtigste und epischste Werk des zurzeit wohl rennomiertesten rumänischen Schriftstellers Mircea Cărtărescu, ist ebenfalls ein erfreuliches Beispiel dafür, dass man auch hierzulande langsam beginnt der rumänischen Kultur mehr Beachtung zu schenken. Diese Diplomarbeit soll ein kleiner Beitrag dazu sein die rumänische Literatur besser zu verstehen und Vorurteile ihr gegenüber abzubauen. Fast neunzehn Jahre nach der Rumänischen Revolution von 1989 ist der Bekanntheitsgrad rumänischer Autoren im Westen immernoch ausgesprochen gering. Die rumänische Literatur wird sich im Westen noch behaupten müssen, damit ihr Kanon eines Tages dem des Okkzidents gleichberechtigt gegenüber stehen kann.

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Abkürzungsverzeichnis UdSSR

UNION DER SOZIALISTISCHEN SOWJET REPUBLIKEN

DDR

DEUTSCHE DEMOKRATISCHE REPUBLIK

RSR

REPUBLICA SOCIALISTĂ ROMÂNIA (Sozialistische Republik Rumänien)

RPR

REPUBLICA POPULARĂ ROMÂNIA (Volksrepublik Rumänien)

DGPT

DIRECŢIA GENERALĂ A PRESEI ŞI A TIPĂRITURILOR (Generaldirektion für Presse und Druckerzeugnisse)

PCR

PARTIDUL COMUNIST ROMÂN (Kommunistische Partei Rumäniens)

PNL

PARTIDUL NAŢIONAL LIBERAL (Nationalliberale Partei)

PNŢ-CD PARTIDUL NAŢIONAL ŢĂRĂNESC-CREŞTIN DEMOCRAT (Christdemokratische Nationale Bauernpartei) FSN

FRONTUL SALVĂRII NAŢIONALE (Front der Nationalen Rettung)

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Einleitung

Ich glaube, wir sind ein Volk der Pflanzen Woher sonst die Ruhe Mit der wir das Fallen des Laubes abwarten Woher der Mut Uns auf dem Schlitten des Schlafes hinabgleiten zu lassen Bis in die Nähe der Nacht In dem sicheren Bewußtsein, daß es uns gelingen wird Noch einmal geboren zu werden? Ich glaube, wir sind ein Volk der Pflanzen Wer hat jemals einen Baum gesehen, der sich auflehnt? (Ich glaube / Ana Blandiana 1984)

Ja, wer? 1984, als das Gedicht Blandianas entstand, hat man ihn in Rumänien nicht mal erahnen können es könnte bald zu Ende sein, denn man war so gelähmt und mit dem alltäglichen Überleben beschäftigt, dass es unmöglich war zu denken, man könnte – um es mit Blandianas Worten zu sagen – „neu geboren werden“. Denn die Rumänen sind vieles, aber vor allem auch ein ruhiges Volk, ein Volk, das bestens mit der laissez faireMentalität vertraut ist. In den kalten, euphorischen, elektrisch aufgeladenenen Wintertagen des Dezember 1989, als man im Fernsehen Schüsse hören, Särge sehen und Reden hören konnte, als die rumänische Flagge von einem Tumor, dem kommunistischen Emblem, befreit wurde, als der sogenannte Volkszorn sich entlud und als man zum ersten Mal seit langem wieder hoffnungsvoll in die Zukunft blicken konnte, als manche vergessen hatten, wo sie arbeiteten, dass sie eine Familie hatten, dass sie in einer Sekunde sterben könnten und sie einfach von einem euphorisierenden Etwas auf die Straße getrieben wurden, um sich mit dieser wahrhaftigsten aller demokratischen Gesten der Tyrannei mit dem Einsatz des eigenen Lebens zu entledigen: in diesen Tagen, als man der Nacht schon zu nahe gekommen war, als man mit ihr zu verschmelzen, in ihr zu ersticken drohte, in 5

diesen Tagen fand ein singuläres historisches Ereignis statt: die Dezemberrevolution von 1989. Mit dieser Revolution ist es dem rumänischen Volk gelungen sich den erdrückenden, erstickenden Gewändern eines Zustands zu entledigen, in dessen Kern sie fast ein halbes Jahrhundert gefangen gehalten worden war, der sowohl ihrer Physis, als auch – und das sollte sich als die größte kommunistische Sünde erweisen – ihrer Psyche einen massiven, nachhaltigen Schaden zugefügt hatte. Die wackeligen, unscharfen, farbarmen Videobilder des erschossenen Diktators und seiner Ehefrau lösten das Volk aus einem lang anhaltendenen Trauma, aus einem jahrelangen, betäubenden Schlaf und sollten zum Sinnbild des Kommenden werden. Ein Volk, das bis 1989 nur rudimentäre Erfahrungen mit Demokratie sammeln konnte, sollte nun die Gelegenheit bekommen eine solche selbstständig aufzubauen. Der Weg Rumäniens zur Volksherrschaft – und nicht zuletzt auch zur Freiheit – erweist sich insbesondere in den ersten Jahren nach der Dezemberrevolution, in der sogenannten Zeit der Transition, als extrem problematisch. Die Rumänen erwachen nur langsam aus ihrem Schlaf1 und der Sog der Vergangehheit, die mentalen Schrammen, die der Kommunismus hinterlassen hatte, sie bleiben dem Volk inhärent; sich ihnen zu entledigen, zum Kern, zum Ethos des rumänischen Volkes vorzustoßen, vielleicht zum ersten Mal: das soll nun – auch die moralische – Aufgabe der Rumänen werden. Das kritiklose, ja geradezu euphorische Einsaugen der westlichen Massenkultur vor allem durch die Jugend, der durch jahrelanges Entbehrenmüssen aufkommende krasse Materialismus, der bei den Menschen zu Neid und Habsucht führen wird, das Absetzen einer gleichzeitig verhassten und bewunderten Oberschicht, die durch schon vorhandene Verbindungen in extrem kurzer Zeit extrem reich werden konnnte, die Enttäuschung und die Illusion darüber, dass der Fall des Kommunismus nicht automatisch Wohlstand für alle bringen wird: diese und andere Problemfelder, zu einem Ganzen zusammengefügt, sich gegenseitig bedingend, sich in gegenseitigem Konflikt befindend, sie sollten dazu führen, dass Rumänien nach der Revolution, im Vergleich zu den anderen, ehemaligen kommunistischen Ländern Osteuropas, das Land sein wird, das am längsten für

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Bezeichnenderweise lautet der Titel der neuen rumänischen Nationalhymne, die sofort nach der Revolution eingeführt wurde, Deşteaptă-te române (Wach auf, Rumäne)…

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seine Umwandlung von einem totalitären zu einem demokratisch-pluralistischen System brauchen wird. Um eine Umwandlung wird es auch in dieser Arbeit gehen. Betrachtet werden soll das soziale Subsystem der Kultur und darin die Literatur als jener Teilbereich der Kultur, der wegen seiner engen Interdependenz mit anderen sozialen Subsystemen, wegen seines meinungsbildenden Potenzials, wegen seiner langen Tradition und nicht zuletzt auch wegen seiner Bedeutung als irradiierendes Organ von Ideen (und somit auch wegen seiner Funktion als Katalysator sozialen Fortschritts) wohl besondere Beachtung verdient. Das Ziel dieser Arbeit soll eine literatursoziologische Analyse der Metamorphose sein, die die rumänische Literatur aufgrund der Dezemberrevolution durchlaufen hat, durchlaufen musste. Was ist eine Metamorphose? Vereinfacht ausgedrückt ist sie die Umwandlung eines Zustands in einen anderen. Die objektive Ursache dieser Verwandlung ist in vorliegendem Fall die Dezemberrevolution von 1989. Sie bildet den Schnittpunkt, die Symmetrieachse der nachfolgenden Untersuchungen. Um die Metamorphismen der rumänischen Literatur nach 1945 aber verinnerlichen zu können, sie in ein literaturhistorisches und – soziologisches Panorama der rumänischen Nachkriegsliteratur eingliedern zu können, ist vor allem eine Inbezugsetzung notwendig, die Schaffung eines relativen Rahmens. Daraus erklärt sich auch die Gliederung vorliegender Arbeit: Im ersten Teil wird versucht die Situation der Literatur während dem Kommunismus darzustellen; die Phänomene der Zensur und des Exils sollen hier Spiegelbild einer sowohl extrinsischen, als auch intrinsischen Einkapselung des literarischen Schaffens sein. Dies ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil nur durch diesen referentiellen Rahmen verständlich werden kann, was nach 1989 geschah. Nach einem kurzen Kapitel über die Revolution soll es im letzten und wichtigsten Teil der Arbeit um die (kurz- und langfristigen) Folgen dieser für die Literatur gehen. Vorliegende Arbeit kann und soll auch dem Ziel dienen einen Überblick über die Entwicklung der rumänischen Literatur ab der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu geben. Dabei wird keinesfalls ein Anspruch auf Vollsändigkeit gesetzt, vielmehr soll es darum gehen, die entscheidenen Linien aufzuzeigen, entlang denen sich die radikalen Veränderungen abgesielt haben. Auch kann diese Arbeit als Anfangspunkt, als Referenzraum für weitere literatursoziologische Untersuchungen innerhalb der hier vorliegenden Thematik betrachtet werden. 7

Kann man von einer „Befreiung der Bücher“ sprechen oder ist diese immernoch bewussten oder unbewussten Zwängen und Traumata ausgesetzt? Wie reagiert ein Land literarisch auf ein halbes Jahrhundert Unterdrückung und Totalitarismus? Welche Methoden und Wege machte sich die Literatur nach 1989 zu Nütze, um das kommunistische Erbe zu verarbeiten? Bis zu welchem Ausmaß fand eine Konsolidierung und Kanonisierung der Literatur nach 1989 statt? Diesen Fragen wird im Folgenden nachgegangen werden.

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