Die Bedeutung von »wissen«

Dirk Kindermann, Christoph Kelp, Thomas Krödel, Christian Nimtz, Dolf. Rami .... lich in einen Wissensskeptizismus zu münden, während die erste Strategie.
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»wissen

Wissen Sie, dass Sie gerade eine Buchzusammen­ fassung lesen? Falls Sie versucht sind, diese Frage zu bejahen: Wissen Sie, dass Sie gerade nicht träumen? Und falls sie das nicht wissen, wissen Sie dann auch nicht, dass sie gerade eine Buchzusammenfassung lesen? In der erkenntnistheoretischen Diskussion erfreuen sich Positionen großer Beliebtheit, die davon ausgehen, dass Antworten auf diese Fragen in gewisser Weise kontextabhängig sind. Es ist allerdings selbst unter Vertretern dieser Positionen strittig, wie sich diese Kontextabhängigkeit auswirkt. Es gibt konkurrierende Meinungen dazu, ob ein und die­selbe Wissensaussage in einem Kontext wahr, in einem anderen aber falsch sein kann, und dazu, wessen Kon­ text hierbei die entscheidende Rolle eingeräumt wer­ den soll. Der vorliegende Band leistet einen darstellen­ den, einen kritischen und einen konstruktiven Beitrag zu dieser Debatte. Er führt in die Diskussion ein und analysiert die sprachphilosophischen und erkenntnis­ theoretischen Thesen des epistemischen Kontextualis­ mus, Relativismus und Invariantismus. Die bestehenden Ansätze werden kritisch dis­ kutiert und letztlich verworfen, bevor eine eigen­ ständige Variante der invariantistischen Theorie entwickelt wird.

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Stei · Die Bedeutung von »wissen«

Erik Stei

wissen Die Bedeutung von

»wissen«

Eine Untersuchung zur Kontextabhängigkeit von Wissensaussagen

01.04.14 13:01

Stei · Die Bedeutung von »wissen«

Erik Stei

Die Bedeutung von »wissen« Eine Untersuchung zur Kontextabhängigkeit von Wissensaussagen

mentis MÜNSTER

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

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c 2014 mentis Verlag GmbH

Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anne Nitsche, Dülmen (www.junit-netzwerk.de) Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-843-5 (Print) ISBN 978-3-89785-644-8 (E-Book)

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

1

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.4

Bedeutung im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wortbedeutung und Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahrheitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Semantische Kontextabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprecherbedeutung und Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprecherbedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pragmatische Kontextabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Semantik-Pragmatik-Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . Charakeristiken semantischer Bedeutung . . . . . . . . . . . . . Charakeristiken pragmatischer Bedeutung . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 27 27 33 44 50 64 76 79 83 85

3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.5

Extensionale Analysen der Variabilität von wissen . Die relevante Form der Variabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indexikalischer Kontextualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei Konzeptionen epistemischer Standards . . . . . . . . . . . Die semantische Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion der semantischen Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . Subjektsensitiver Invariantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissen und praktische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion der anti-intellektualistischen These . . . . . . . . . Weitere extensionale Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nonindexikalischer Kontextualismus . . . . . . . . . . . . . . . . Kontrastivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epistemischer Relativismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89 90 98 101 114 118 155 161 168 177 177 189 195 211

4 4.1

Allgemeine Probleme extensionaler Lösungen . . . . . Der methodologische Stellenwert sprachlicher Intuitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213 213

6

4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 6 6.1 6.2

Inhaltsverzeichnis

Gesagtes und Gemeintes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probleme der These zu semantischer Blindheit . . . . . . . . . Die Faktivität von Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Kontextualismus und das Faktivitätsproblem . . . . . . . Der ssi und das Faktivitätsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der epistemischer Relativismus und das Faktivitätsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion des Faktivitätsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

214 219 225 226 235 239 241 249

Die Implikaturenanalyse der Variabilität von Wissensaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Varianten des strikten Invariantismus . . . . . . . . . . . . . . . . Variabilität und Implikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Variabilität und konversationelle Implikaturen . . . . . . . . . Variabilität und konventionelle Implikaturen . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

251 254 256 261 286 295

6.4

Präsuppositionaler strikter Invariantismus . . . . . . . Pragmatische Präsuppositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Variabilität der Angemessenheit von Wissensaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kontextabhängigkeit der Angemessenheitsrelation . . . Angemessenheit und die Variabilitätsintuitionen . . . . . . . . Weitere Merkmale des präsuppositionalen strikten Invariantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

325 330

7

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

333

6.2.1 6.2.2 6.3

297 299 311 311 319

Vorwort

Dieses Buch ist eine leicht überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation, die im Juli 2012 von der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn angenommen wurde. Ohne die Unterstützung einer ganzen Reihe hilfreicher Hände und vor allem Köpfe wäre es in dieser Form nicht entstanden. An erster Stelle danke ich Elke Brendel, die mein Interesse an der Philosophie und insbesondere an der Semantik von Wissensaussagen bestärkt hat und die meine Arbeit äußerst engagiert betreute. Ich danke ihr für die kritischen, aber immer konstruktiven und sehr hilfreichen Diskussionen der zentralen Thesen der Arbeit und für die produktive und inspirierende Arbeitsatmosphäre an ihrem Lehrstuhl. Mein besonderer Dank gilt auch Joachim Bromand für die freundschaftliche Betreuung des Projekts, die Lektüre des ursprünglichen Manuskripts und die vielen wertvollen Hinweise. Ganz herzlich danke ich auch Daniel Gutzmann, der Teile der Arbeit gelesen und in ausgiebigen Telefonaten hilfreich kommentiert hat, sowie Timothy Williamson und John Hawthorne, die mir in einem frühen Stadium meines Dissertationsprojekts sehr wertvolle Hinweise und Anregungen gegeben haben. Teile dieser Arbeit wurden in verschiedenen philosophischen Kolloquien der Universitäten in Aachen, Bonn, Dresden, Göttingen und Mainz sowie auf dem XXI. Kongress für Philosophie in Essen (2008), dem GAP Doktorandenworkshop in Erlangen (2009), den Konferenzen GAP.7 in Bremen (2009), GAP.8 in Konstanz (2012), dem 34. Wittgenstein Symposium in Kirchberg am Wechsel (2011), dem »Knowledge Ascriptions«-Workshop in Leuven (2012) und dem SAPHIR Workshop in Bochum (2013) vorgestellt und diskutiert. Ich danke allen Teilnehmern an diesen Diskussionen für ihre kritischen Hinweise und hilfreichen Kommentare. Für wertvolle Gespräche, die diese Arbeit begleiteten, danke ich Michael Blome-Tillmann, Jochen Briesen, Wayne Davis, Lars Dänzer, Christoph Diehl, Sascha Fink, Florian Fischer, Cord Friebe, Mikkel Gerken, Jan Goerke, Thomas Grundmann, Nikola Kompa, Dirk Kindermann, Christoph Kelp, Thomas Krödel, Christian Nimtz, Dolf Rami, Jacob Rosenthal, Pedro Schmechtig, Markus Steinbach, Zoltán Gendler Szabó und Markus Werning. Barbara Dienst danke ich für das sorgfältige Korrekturlesen des Buchmanuskripts.

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Vorwort

Mein Dank gilt auch dem Deutschen Akademischen Austauschdienst für die Gewährung eines Doktorandenstipendiums, das einen Forschungsaufenthalt an der University of Oxford ermöglichte, Michael Kienecker vom mentis Verlag für die freundliche und geduldige Betreuung der Publikation sowie der VG Wort für die großzügige Finanzierung der Drucklegung. Nicht zuletzt danke ich meiner Familie und meinen Freunden für ihre Unterstützung. Bonn, im Januar 2014

Erik Stei

Kapitel 1 Einleitung Im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts hat in der Erkenntnistheorie zunehmend die Orientierung an natürlicher Sprache an Einfluss gewonnen. Philosophische Theorien über Wissenszuschreibungen, so eine der zentralen Motivationen dieser Entwicklung, sollten auch den alltäglichen Gebrauch des Verbs wissen erfassen können. 1 Vor allem im Anschluss an Edmund Gettiers (1963) einflussreichen Text, der anhand von Intuitionen zu mehr oder minder alltäglichen Fallbeispielen die klassische Definition von Wissen als wahre, gerechtfertigte Überzeugung kritisierte, richtete sich der Fokus erkenntnistheoretischer Forschung auf die Frage, unter welchen Umständen man davon sprechen kann, dass ein epistemisches Subjekt weiß, dass ein bestimmter Sachverhalt besteht. Natürlich stand hinter den Versuchen, notwendige und gemeinsam hinreichende Bedingungen für propositionales Wissen zu formulieren, das Ansinnen, die allgemeine Natur oder das Wesen von Wissen zu verstehen. Allerdings zeichneten sich die Diskussionen auch dadurch aus, dass die vorgeschlagenen Theorien immer wieder mit intuitiven Urteilen zu konkreten Fallbeispielen abgeglichen wurden. Ein grundlegender methodischer Zug dieser Diskussion kann in etwa wie folgt auf den Punkt gebracht werden: Wenn die Vorhersagen der Theorie nicht mit diesen Urteilen übereinstimmen, ist dies als ein Defizit der Theorie zu werten. Eine Theorie des Wissens, so die prinzipielle Forderung, sollte mit den Wissensaussagen kompetenter Sprecher übereinstimmen, wobei mit Wissensaussagen hier und im Folgenden sowohl Wissenszuschreibungen der Form »a weiß (zum Zeitpunkt t), dass p« als auch Wissensbestreitungen der Form »a weiß (zum Zeitpunkt t) nicht, dass p« bezeichnet werden. Dies wirft im Umkehrschluss natürlich die Frage auf, ob wir nicht aus natürlichsprachlichen Wissensaussagen etwas über die Natur von Wissen lernen können. Es ist also nur folgerichtig, dass in Form des erkenntnistheoretischen Kontextualismus schließlich eine Theorienfamilie entstand, die diese Aussagen explizit 1

Zur Notation: Kursivdruck soll verdeutlichen, dass ich auf Eigenschaften des kursiv gesetzten Wortes Bezug nehme. Dies können sowohl sprachliche als auch inhaltliche Aspekte sein.

10

1 Einleitung

zu ihrem zentralen Untersuchungsgegenstand machte. Die richtige Analyse alltäglicher Wissensaussagen, so eine der Hypothesen, kann dabei helfen, einige hartnäckige Probleme der Erkenntnistheorie zu lösen. Wissenszuschreibungstheorien nehmen fast ausschließlich kleine Fallstudien zum Ausgangspunkt, die dem alltäglichen Gebrauch des Wissensprädikats möglichst nahe kommen sollen. Vor dem Hintergrund der intuitiven Urteile zu den geschilderten Szenarien werden Rückschlüsse auf die Systematik von Wissensaussagen gezogen, anhand derer dann wiederum erkenntnistheoretische Thesen formuliert werden. Die Ergebnisse sind, aus Sicht der klassischen Erkenntnistheorie, mitunter radikal. So gehen einige Theoretiker davon aus, dass aus den natürlichsprachlichen Daten zur Verwendung von wissen geschlossen werden muss, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Wissensrelationen gibt oder dass die praktische Situation eines Subjekts – gewissermaßen das, was für eine Person auf dem Spiel steht – beeinflussen kann, ob das Subjekt etwas weiß oder nicht. Ich untersuche in dieser Arbeit zunächst die wichtigsten bestehenden Zuschreibungstheorien und argumentiere dafür, dass sie letztlich nicht haltbar sind. Stattdessen schlage ich eine alternative Theorie vor, die einige Vorteile der diskutierten Theorien, wenn auch unter anderen Vorzeichen, beibehält und ihre Probleme vermeidet. Die Diskussion der Bedeutung von Wissensaussagen nimmt ihren Ausgangspunkt in sprachlichen Intuitionen zu konkreten Fallbeispielen. Eines der berühmtesten ist Stewart Cohens Airport Case oder Flughafenbeispiel (vgl. Cohen 1999: 58) 2: (1.1)

Flughafenbeispiel – niedrige Standards (ni) Mary and John are at the L.A. airport contemplating taking a certain flight to New York. They want to know whether the flight has a layover in Chicago. They overhear someone ask a passenger Smith if he knows whether the flight stops in Chicago. Smith looks at the flight itinerary he got from the travel agent and responds, »Yes I know – it does stop in Chicago.«

In einem Fall wie diesem scheint es, aus einer intuitiven und vortheoretischen Sichtweise, zunächst vollkommen unproblematisch, Smith Wissen zuzuschreiben. Die Geschichte geht allerdings weiter: 2

Prinzipielle Übereinstimmungen weisen, unter anderen, die bank cases (Bankbeispiele) von Keith DeRose (1992) und Jason Stanley (2005a) auf. Gleiches gilt für die train cases (Zugbeispiele) von Jeremy Fantl und Matthew McGrath (2002), Fred Dretskes berühmtes Zebrabeispiel (Dretske 1970), die Lotterieparadoxie (die ursprüngliche Formulierung findet sich in Kyburg 1961, eine ausführliche Diskussion der erkenntnistheoretischen Implikationen in Hawthorne 2004) sowie DeRoses Bürobeispiele (vgl. (3.1)–(3.3) in Abschnitt 3.1).

1 Einleitung

(1.2)

11

Flughafenbeispiel – hohe Standards (ho) It turns out that Mary and John have a very important business contact they have to make at the Chicago airport. Mary says, »How reliable is that itinerary? It could contain a misprint. They could have changed the schedule at the last minute.« Mary and John agree that Smith doesn’t really know that the plane will stop in Chicago. They decide to check with the airline agent.

Obwohl sich an der epistemischen Situation von Smith nichts ändert, also beispielsweise weder neue Evidenzen hinzugewonnen werden noch alte sich als falsch erweisen, scheint – wiederum auf vortheoretischer Basis – Marys und Johns Ablehnung, dass Smith wisse, richtig zu sein. Ebenso wie in den verwandten Beispielen scheinen Informationen über potentielle Irrtumsmöglichkeiten, trotz gleichbleibender epistemischer Situation des vermeintlich Wissenden, einen Umschwung in der intuitiven Zuschreibung von Wissen zu bewirken. Klassische invariantistische Positionen gehen von konstanten (invarianten) epistemischen Standards aus (vgl. Kapitel 5 und 6). Sie sind daher entweder gezwungen, Smith Wissen zuzusprechen – und somit die Intuitionen in ho als falsch zu erklären – oder aber die Intuition, dass Smith in ni weiß, zu bestreiten, um die ho-Intuitionen zu retten. Letztere Option scheint schließlich in einen Wissensskeptizismus zu münden, während die erste Strategie prinzipiell einer antiskeptischen Position entspricht, die üblicherweise mit George Edward Moore in Zusammenhang gebracht wird (vgl. Moore 1959). Aus systematischer Sicht liegt dem Flughafenbeispiel also eine Struktur zugrunde, die sowohl an alltägliche als auch an skepische Intuitionen appeliert und im Folgenden als Zuschreibungstrilemma bezeichnet wird. (1.3)

Das Zuschreibungstrilemma 3 a. a weiß (zu t), dass p. b. a weiß (zu t), dass ¬ sh aus p folgt. c. a weiß (zu t), nicht dass ¬ sh.

Nehmen wir an, dass (1.3a) ausdrückt, dass Smith weiß, dass der Flug einen Zwischenstop in Chicago hat, und (1.3c) dafür steht, dass Smith nicht weiß, dass der Flug nicht gestrichen wurde. Außerdem weiß Smith laut (1.3b) dass die Tatsache, dass das Flugzeug in Chicago zwischenlandet, impliziert, dass der Flug nicht gestrichen wurde. Akzeptieren wir eine Standardform des Abgeschlossenheitsprinzips (ap) für Wissen, liegt auf der Hand, dass nicht alle Sätze gemeinsam wahr sein können. 3

Dabei steht a für ein epistemisches Subjekt, t für einen Zeitpunkt und p sowie sh für Propositionen.

12

(1.4)

1 Einleitung

Das Abgeschlossenheitsprinzip für Wissen (ap) 4 Wenn χ (zu θ) weiß, dass φ, und χ (zu θ) weiß, dass ψ aus φ folgt, dann weiß χ (zu θ), dass ψ , für alle epistemischen Subjekte χ, Propositionen φ und ψ sowie Zeitpunkte θ.

Skeptische Invariantisten halten, aufgrund der von ihnen postulierten extrem hohen Standards für wissen, (1.3b) und (1.3c) für wahr, bestreiten aber (1.3a). Anti-skeptische Invariantisten halten, aufgrund der von ihnen postulierten niedrigeren Standards für wissen, (1.3a) und (1.3b) für wahr, bestreiten aber (1.3c). Aus beiden Theorien ergibt sich also, dass unsere alltägliche Verwendung des Wissensprädikats einem systematischen Fehler unterliegen muss. Entweder wir unterschätzen oder wir überschätzen epistemische Standards für wissen. Eine dritte invariantistische Option, die am prominentesten von Fred Dretske (1970) oder Robert Nozick (1981) vertreten wird, besteht darin, die unqualifizierte Gültigkeit von (1.4) zu bestreiten. Das bringt mit sich, dass man unter Umständen in Kauf nehmen muss, dass daraus, dass Smith weiß, dass das Flugzeug in Chicago landet, und dass Smith weiß, dass daraus folgt, dass der Flug nicht gestrichen wurde, nicht gefolgert werden kann, dass Smith auch weiß, dass der Flug nicht gestrichen wurde (vgl. Dretske 1970: 1016). Die Ausrichtung an natürlichsprachlichen Intuitionen führt Kontextualisten hingegen zu der Ausgangsposition, dass eine Theorie, die alle drei Sätze als wahr interpretieren kann, zu bevorzugen ist. Aus diesem Grund wird ein noch zu spezifizierender Einfluss kontextueller Faktoren auf den Wahrheitswert von Wissenszuschreibungen postuliert, um die drohende Inkonsistenz zu verhindern. Auch wenn sich die jeweiligen Mechanismen unterscheiden (vgl. Kapitel 3), sind die unmittelbaren erkenntnistheoretischen Ergebnisse in vielerlei Hinsicht identisch. Ein und dieselbe Wissenszuschreibung der Form (1.5), kann demnach in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Wahrheitswerte haben. (1.5)

a weiß (zu t), dass p.

Dies gilt, Kontextualisten zufolge, sogar dann, wenn die Werte von a, t und p konstant bleiben. Ein solcher Satz kann in einem Kontext mit niedrigen epistemischen Standards wahr, in einem Kontext mit hohen epistemischen Standards aber falsch sein. Diese Besonderheit begründen Kontextualisten

4

Um alle Instanzen von Wissenszuschreibungen abzudecken, verwende ich hier eine metasprachliche Formulierung.

1 Einleitung

13

mit der semantischen These, dass das Verb wissen insofern kontextabhängig ist, als es in Abhängigkeit von kontextuell determinierten Standards seine Bedeutung verändert. Somit könnte (1.5) auch bei konstanter Interpretation von a, t und p in Kontexten mit verschiedenen epistemischen Standards unterschiedliche Propositionen ausdrücken. Wissen könnte dann als eine vierstellige Relation K(a,p,t,e) zwischen einem epistemischen Subjekt a, einer Proposition p, einem Zeitpunkt t und epistemischen Standards e aufgefasst werden. Alternativ könnte davon ausgegangen werden, dass es eine Vielzahl verschiedener Wissensrelationen gibt, und die epistemischen Standards bestimmen, welche dieser Relationen durch wissen ausgedrückt wird. (1.6) lässt beide Interpretationen zu: (1.6)

a weiße (zum Zeitpunkt t), dass p.

Gemäß dieser Sichtweise liegt dem Zuschreibungstrilemma schlicht und einfach eine begriffliche Äquivokation zugrunde. Die Bedeutung von wissen in (1.3a) unterscheidet sich von der Bedeutung von wissen in (1.3c), da (1.3a) in einem Kontext mit niedrigen, (1.3c) aber in einem Kontext mit hohen epistemischen Standards geäußert wird. Eine kontextualistische Neuformulierung des Trilemmas könnte daher wie folgt aussehen: 5 (1.7)

Das kontextualistische Zuschreibungs-»Trilemma« a. KNI (a,p,t) b. Ke (a, h p → ¬ sh i,t) c. ¬KHO (a, ¬ sh,t)

Für Kontextualisten liegt also nur ein vermeintliches Trilemma vor, das sich durch die Anerkennung der Kontextabhängigkeit von wissen auflösen lässt: Interpretiert man (1.7b) in Form von (1.8) oder (1.9), lässt sich aus den drei Sätzen keine Inkonsistenz mehr ableiten. (1.8)

KNI (a, h p → ¬ sh i,t)

(1.9)

KHO (a, h p → ¬ sh i,t)

Zur Verdeutlichung lassen sich Beispiele (1.10) und (1.11) anführen: (1.10)

a. b. c.

KNI (a,p,t) KNI (a, h p → ¬ sh i,t) ¬KHO (a, ¬ sh,t)

(1.11)

a.

KNI (a,p,t)

5

K steht hierbei für wissen, der Index für die jeweiligen epistemischen Standards und a, p und sh sowie t wie gehabt für epistemisches Subjekt, Propositionen sowie Zeitpunkt.

14

1 Einleitung

b. c.

KHO (a, h p → ¬ sh i,t) ¬KHO (a, ¬ sh,t)

Unter der Voraussetzung, dass (1.12) ungültig ist, stehen weder (1.10a) und (1.10c) noch (1.11a) und (1.11c) im Widerspruch zueinander. Das Trilemma wäre damit aufgelöst. (1.12)

KNI (a,p,t) → KHO (a, ¬ sh,t)

(1.12) ist auf den ersten Blick nicht sonderlich überzeugend, falls es sich bei KNI und KHO tatsächlich um unterschiedliche Relationen handelt. Wie ich gleich zeigen werde, kann es unter bestimmten weiteren Voraussetzungen dennoch plausibel gemacht werden. Zunächst sind die unmittelbar naheliegenden Möglichkeiten, ein modifiziertes Trilemma zu konstruieren, jedoch offenbar erschöpft. Wir sind somit in der Lage, eine erste informelle Formulierung der kontextualistischen These aufzustellen: (1.13)

Erkenntnistheoretischer Kontextualismus Die Bedeutung des Verbs wissen hängt von den epistemischen Standards des Äußerungskontexts ab.

Die kontextualistische Vorgehensweise hat einige attraktive Resultate. So kann etwa die Bedrohung alltäglicher Wissenszuschreibungen durch radikal skeptische Problemstellungen mittels analoger Mechanismen entschärft werden. Exemplarisch können hier René Descartes’ Genius malignus oder auch Hilary Putnams Gehirn im Tank-Gedankenexperiment herangezogen werden (vgl. hierzu Descartes 1994, Putnam 1981). Putnam entwirft beispielsweise ein Szenario, in dem das epistemische Subjekt ein Gehirn in einem Tank mit einer Nährflüssigkeit ist, dessen vermeintliche Sinneswahrnehmungen durch Stimulationen eines geschickten Wissenschafters hervorgerufen werden. Offenbar unterscheidet sich der Eindruck des Subjekts, Hände zu haben, in einem derartigen Szenario nicht von dem Eindruck, Hände zu haben, den das Subjekt in einem Szenario hat, in dem es kein Gehirn im Tank und körperlich unversehrt ist. Wenn wir also nicht wissen (können), dass wir uns nicht in einer solchen Situation befinden, können wir dann wissen, dass wir Hände haben? Kontextualisten zufolge unterscheidet sich die Problematik des radikalen Skeptizismus von dem bisher skizzierten Flughafenbeispiel nur insofern, als der Skeptiker die denkbar höchsten epistemischen Standards an die Wissensrelation anlegt. Die Analyse kann daher analog zu der oben beschriebenen erfolgen. Die Kontextualistin gesteht dem Skeptiker zu, dass wir in Kontexten, in denen radikal skeptische Hypothesen verhandelt werden, tatsächlich nicht wissen, dass wir Hände haben oder dass wir keine Gehirne im Tank sind. Sie bestreitet allerdings, dass dieses Zugeständnis problematische Konsequenzen für unser Alltagswissen hat. Dass wir dem Skeptiker